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"Man kann lange über den Tod nachdenken, wenn man noch lebt. Aber, wenn man tot ist… Dann ist es vorbei." Die Stimme, die hier spricht ist die eines Schattenwesens, es ist Ismenes Stimme, die wir als die jüngere Schwester der berühmten Antigone, kennen. Kennen wir sie wirklich? "Ich war die einzig Normale in einer gestörten Umgebung", sagt sie von sich selbst. "Ich wollte einfach glücklich sein." Doch dazu sollte es nicht kommen. Ihre Mutter Iokaste erhängte sich, ihr Vater Ödipus stach sich die Augen aus, die Brüder Polyneikes und Eteokles metzelten sich im Kampf um die Macht in Theben nieder und Antigone, die Schwester, brach das Gesetz, indem sie den Bruder bestattete und dafür mit dem Tod bestraft wurde. "Alle in meiner Familie konnten sich entscheiden", klagt Ismene. "Leider hat sich nie jemand für mich entschieden." Abseits von allen befindet sie sich nun im Totenreich, in der Ferne bellen und jaulen die Hunde. Wer war Ismene? Lot Vekemans stellt uns in ihrem Monolog die Schwester von Antigone vor. Die kleine Schwester, die im Schatten der großen stand, die kein Götterkind war, kein Mensch der Tat. "Ich bin am Leben geblieben…"
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Seitenzahl: 30
Veröffentlichungsjahr: 2014
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© 2013 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH
Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin
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ISBN978-3--8442-7814-9
Mit Dank an Simone Steinert!
Sie lassen die Hunde los
Gleich
Gleich lassen sie die Hunde los
Zuerst hört man sie heulen
Grrrauuuw-wauuuw
…
Hört ihr?
Dieses nicht enden wollende Geheule
Morgens, wenn man aufwacht
Manchmal auch nachts
Am lautesten jaulen sie kurz bevor sie losgelassen werden
Ich weiß das
Inzwischen weiß ich das
Jahrelang hab ich dem zugehört
Hunde jaulen am lautesten kurz bevor sie losgelassen werden
…
Grrrauuuw Wauuuw
Grrauuuw Wauuuw
…
Hört ihr?
…
Die Hunde und ich, das hat was, das hat etwas
Ich höre sie
Ich höre sie immer
Ich habe sie immer gehört, so lange ich hier bin
Ich könnte sagen … schon Tausende Jahre, aber das weiß ich nicht
Lassen wir es also dabei, dass ich sie schon sehr lange höre
…
Am Anfang war mir … unheimlich
Oder ängstlich
Durch das Geheule
Es hatte etwas … Be-droh-liches?
Genau wie die Hunde früher heulten
Vor den Toren der Stadt
Wenn es dunkel wurde
Die Stunde, zu der sich niemand mehr raus wagte
Höchstens um zu fliehen
Zu verschwinden
…
Grrauuuw wauuuw
…
Jetzt macht es mich … ganz … ruhig
Der Gedanke, dass ich nicht … allein …
Nicht ganz allein … bin
…
…
…
Ich habe so lange nicht geredet
…
Ich habe so lange nur hier geredet
Sie weist auf ihren Kopf.
Endlose Gespräche habe ich hier geführt
Aber reden?
Laut reden?
Etwa ganze Sätze hintereinander
Eine Geschichte
Von Anfang bis Ende
Das ist … neu für mich, also
Nicht neu-neu, wie nie getan
Es ist eher ...
Lange her
…
Alles ist lange her
…
…
Jetzt ist es still
Hört ihr das?
Plötzlich ist es still, man hört nichts mehr
Das ist der Augenblick, in dem sie losgelassen sind
Wenn man gute Ohren hat, hört man das Schnüffeln, ja
Dann spürt man den Wind, den die wedelnden Schwänze verursachen
So was spürt man natürlich nicht
Das zu spüren wäre … übermenschlich
Und übermenschlich bin ich nicht
Übermenschlich sein ist etwas … Übermenschliches, ja
…
…
Ich würde gern wissen, was man von mir erwartet
Hier
Jetzt
Was jetzt und hier von mir erwartet wird
Das würde ich sofort machen
Ganz einfach
Es ist nicht so, dass ich viel kann
Aber ich kann es versuchen
Wenn ihr es wollt
Von mir
Ich meine, ihr wollt doch sicher irgendetwas
Oder … erwartet etwas
Jeder Mensch will etwas
Erwartet etwas
Jeder Mensch
Jedes Wesen
Wer seid ihr?
Jedenfalls, die meisten wollen etwas
Auch wenn sie selbst nicht wissen, was
Wenn man sie danach fragt
Sie wollen immer etwas
Etwas
Ist doch so
…
Ich habe immer gedacht …
Na ja, nicht immer
Manchmal
Gehofft
Gebetet vielleicht?
Das eines Tages jemand … hierherkommt
Nie gedacht, dass es so viele sein würden
Jemand
Der über mich … richtet?
Der über mich urteilt auf Grundlage … guter Führung?
Oder einer EINSICHT?
Wohin ich gehen darf
Hiernach
Wenn es überhaupt ein Hiernach gibt
Keine Ahnung
Man kann lange über den Tod nachdenken
Wenn man noch lebt
Aber, wenn man tot ist …
Dann ist es vorbei
Nicht, dass ich ein Denker bin
Nein
Ich bin eine einfache Seele
Schon immer gewesen
Als ich noch lebte und jetzt seit ich tot bin