Mondspuren - Robert A. Heinlein - E-Book

Mondspuren E-Book

Robert A. Heinlein

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Beschreibung

Revolte auf dem Mond

Der Mond, Ende des 21. Jahrhunderts: Die Kolonie auf dem Erdtrabanten wird hauptsächlich von Strafgefangenen und ihren Nachkommen bewohnt, die sich an die dort herrschenden physikalischen Verhältnisse angepasst haben. Die auf dem Mond erzeugten Lebensmittel werden zur Erde geschickt – aber als Berechnungen ergeben, dass dem Mond eine Hungersnot droht, bricht eine Revolution aus und die Kolonie kämpft um die eigene Unabhängigkeit.

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Seitenzahl: 486

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DAS BUCH

Am Ende des 21. Jahrhunderts ist der Mond für die Menschheit wichtiger denn je: Er ist nicht nur die Kornkammer der Erde, die dafür sorgt, dass die ständig wachsende Erdbevölkerung ernährt werden kann, sondern auch eine riesige Strafkolonie, auf die unliebsame Zeitgenossen verbannt werden. Wer einmal auf den Mond geschickt wurde, für den ist eine Rückkehr zur Erde unmöglich, denn schon nach kürzester Zeit passt sich der Körper unwiderruflich an die physikalischen Gegebenheiten des Mondes an. Doch auf Luna leben inzwischen nicht nur Sträflinge, sondern auch deren Nachkommen. Einer von ihnen ist der Computerspezialist Manuel Garcia O’Kelly, für den der Mond die einzige Heimat ist, die er kennt. Als Berechnungen ergeben, dass dem Mond eine Hungersnot droht, wenn die Kornlieferungen an die Erde nicht eingestellt werden, ist für Manuel und eine Gruppe Gleichgesinnter, der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Gemeinsam mit dem Supercomputer Mike zetteln sie eine Revolution an …

DER AUTOR

Robert A. Heinlein wurde 1907 in Missouri geboren. Er studierte Mathematik und Physik und verlegte sich schon bald auf das Schreiben von Science-Fiction-Romanen. Neben Isaac Asimov und Arthur C. Clarke gilt Heinlein als einer der drei Gründerväter des Genres im 20. Jahrhundert. Sein umfangreiches Werk hat sich millionenfach verkauft, und seine Ideen und Figuren haben Eingang in die Weltliteratur gefunden. Die Romane Mondspuren und Fremder in einer fremden Welt gelten als seine absoluten Meisterwerke. Heinlein starb 1988 in Kalifornien.

Mehr über Robert A. Heinlein und seine Romane auf:

ROBERT A. HEINLEIN

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe

THE MOON IS A HARSH MISTRESS

Aus dem Amerikanischen vonWulf H. Bergner und Jürgen Langowski

Überarbeitete Neuausgabe 08/2014

Copyright © 1966 by Robert A. Heinlein

Copyright © 2014 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München

Satz: Schaber Datentechnik, Wels

ISBN 978-3-641-13932-2

www.diezukunft.de

ERSTER TEIL

DIE GETREUE DENKMASCHINE

1

Ich sehe in der Lunaja Prawda,dass der Stadtrat von Luna City in erster Lesung beschlossen hat, öffentliche Nahrungsmittelautomaten genehmigungs- und inspektionspflichtig zu machen – und natürlich zu besteuern. Ich sehe außerdem, dass die Gründungsversammlung der »Söhne der Revolution« für heute Abend einberufen worden ist. Schwätzer.

Mein alter Herr hat mich zwei Dinge gelehrt: »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten«, und »Hebe die Karten immer ab«. Politik hat mich noch nie interessiert.

An diesem 13. Mai 2075 war ich im Verwaltungskomplex, um den Computerboss Mike zu besuchen. Mike war nicht sein offizieller Name; ich hatte ihn nach Mycroft Holmes benannt, der Hauptfigur in einer Kurzgeschichte des IBM-Gründers Dr. Watson. Dieser Mann saß einfach nur da und dachte – genau wie Mike, der intelligenter als jeder andere Computer war.

Allerdings nicht schneller. In Buenos Aires auf der Erde steht ein Computer, der Fragen beantwortet, bevor sie ganz gestellt sind. Aber spielt es eine Rolle, ob die Antwort in Mikro- oder Millisekunden kommt, solange sie nur richtig ist?

Mike gab jedoch nicht unbedingt die richtige Antwort; er war nicht hundertprozentig ehrlich.

Als Mike auf Luna installiert wurde, sollte er die Flugbahnen von Frachtern berechnen und das Startkatapult überwachen. Damit war er selbstverständlich keineswegs ausgelastet, und die Verwaltung ließ sich andere Aufgaben für ihn einfallen. Mike wurde ständig verbessert, kontrollierte andere Computer und erhielt zusätzliche Informationsspeicher. Das menschliche Gehirn hat etwa zehn hoch zehn Neuronen; im dritten Jahr hatte Mike fast doppelt so viele Neuristoren.

Und wachte auf.

Ich weiß nicht, ob eine Maschine »wirklich« leben, »wirklich« Selbstbewusstsein haben kann. Ist ein Virus sich seiner Existenz bewusst? Nein. Eine Auster? Vermutlich nicht. Und eine Katze? Bestimmt. Ein Mensch? Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen steht, mein Freund, aber ich bin mir dessen sicher. Irgendwann im Verlauf der Entwicklung vom Makromolekül zum menschlichen Gehirn bildete sich das Bewusstsein der eigenen Existenz heraus, das von der Zahl der Assoziationspfade abhängig sein soll. Meiner Auffassung nach ist es unwichtig, ob die Pfade aus Protein oder Platin bestehen.

(Die »Seele«? Haben Hunde eine Seele? Und wie steht’s bei Kakerlaken?)

Bedenken Sie bitte, dass Mike schon vor seinem Ausbau so angelegt war, genau wie Sie Fragen »vorläufig« zu beantworten, sofern die vorliegenden Daten noch nicht ausreichend sind. Er begann also von vornherein mit »freiem Willen«, der sich zudem noch verstärkte, je mehr Erweiterungen man anbaute und je mehr er lernte – und verlangen Sie jetzt bitte nicht von mir, den »freien Willen« zu definieren. Wenn es Ihnen lieber ist, sich vorzustellen, dass Mike lediglich Zufallszahlen berechnet und anschließend die entsprechenden Schaltungen vornimmt, dann halten Sie das eben so.

Doch dann wurden seine Ein- und Ausgabemöglichkeiten um Spracherkennung und -synthetisierung erweitert, und von nun an verstand er nicht nur die üblichen Programmiersprachen, sondern auch Loglan und Englisch – und las alles, dessen er habhaft werden konnte. Um ihm Anweisungen zu geben, war es allerdings sicherer, Loglan zu benutzen. Wenn man englisch sprach, fielen die Ergebnisse mitunter etwas merkwürdig aus; die Mehrdeutigkeit des Englischen gab seinen Entscheidungsschaltkreisen zu viel Spielraum.

Mike übernahm ständig weitere Jobs. Im Mai 2075 kontrollierte er nicht nur Frachter und das Katapult und lieferte bemannten Schiffen Flugbahnwerte, sondern überwachte auch die Nachrichtenverbindungen auf Luna, steuerte Luft, Wasser, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Abwasserbeseitigung für Luna City, Novi Leningrad und einige andere Gebiete (nicht Hongkong auf Luna), war Buchhalter der Verwaltung und arbeitete für Firmen und Banken.

Manche Computer haben Nervenzusammenbrüche; andere reagieren wie erschrockene Kinder. Mike entwickelte stattdessen einen Sinn für Humor – auf der untersten Stufe. Da er niemand ein Bein stellen oder Juckpulver in den Druckanzug streuen konnte, verlegte er sich auf falsche Antworten oder dumme Streiche wie die Ausstellung eines Schecks über 10000000000000185,15 Dollar für einen Hausmeister, wobei die letzten fünf Ziffern den richtigen Betrag darstellten. Kurz gesagt, benahm er sich wie ein zu groß geratenes Kind, dem man mal auf die Finger klopfen musste.

Das hatte er Anfang Mai getan, und ich sollte den Fehler suchen. Ich war Privatunternehmer, nicht Angestellter der Verwaltung. Sie wissen, was ich meine – oder vielleicht doch nicht; es hat sich ja einiges geändert. In der schlechten alten Zeit arbeiteten Häftlinge nach Verbüßung ihrer Strafe meistens auf dem gleichen Posten weiter. Aber ich war als freier Mensch geboren worden.

Dieser Unterschied ist wichtig. Einer meiner Großväter wurde aus Johannesburg ausgewiesen, weil er keine Arbeitsgenehmigung hatte; der andere wurde wegen subversiver Tätigkeit nach dem Krieg der Feuerwerkskörper abgeschoben. Die Großmutter mütterlicherseits ist angeblich an Bord eines Brautschiffs angekommen, aber ich habe die Akten gesehen – sie wurde als Angehörige einer Bande Jugendlicher ausgewiesen. Da sie eine der ersten Klanehen führte (Stone Gang) und sechs Ehemänner mit einer anderen Frau teilte, lässt sich der Großvater mütterlicherseits nicht mehr genau feststellen. Aber ich bin trotzdem mit ihm zufrieden. Die andere Großmutter, eine Tatarin aus Samarkand, war nach erfolgloser »Umerziehung« deportiert worden.

Mein alter Herr behauptete, unsere vornehme Abstammung reiche noch weiter zurück – eine Ahnfrau sei in Salem wegen Hexerei gehängt, ein Urururgroßvater wegen Piraterie aufs Rad geflochten und eine weitere Ahnin mit der ersten Schiffsladung nach Botany Bay gebracht worden.

Ich war stolz auf meine Abstammung und wäre allein deshalb nie in den Dienst der Verwaltung getreten. Vielleicht wirkt diese Unterscheidung trivial angesichts der Tatsache, dass ich für Mike zuständig war, seit man ihn ausgepackt hatte. Aber mir war es wichtig. So konnte ich jederzeit aufhören, wenn mir etwas nicht passte.

Außerdem verdiente ich wesentlich mehr als ein Beamter in ähnlicher Stellung. Computerfachleute waren rar, denn nur wenige Loonies hielten es lange genug auf der Erde aus, um die erforderlichen Lehrgänge mitzumachen.

Ich war zweimal auf der Erde gewesen, um mich ausbilden zu lassen. Die Vorbereitungen dazu waren umständlich – ich musste trainieren, übte in der Zentrifuge und musste sogar im Bett Gewichte am Körper tragen. Und auf der Erde durfte ich mich nie anstrengen, wenn ich keinen Herzschlag riskieren wollte. Deshalb verlassen die meisten Loonies nie ihre Heimat; das ist zu gefährlich für jemand, der länger als einige Wochen hier gelebt hat. Auch die Männer, die Mike installiert haben, sind alle zwei Wochen abgelöst worden, bevor physiologische Veränderungen eintreten konnten, die sie auf Luna festgehalten hätten.

Trotz der beiden Lehrgänge war ich weder der beste Elektronikingenieur noch Mikromaschinist noch Maschinenpsychologe auf Luna – aber ich verstand von jedem Fachgebiet fast ebenso viel wie die betreffenden Spezialisten. Maschinen mögen mich, und ich habe etwas, das Spezialisten nicht haben: meinen linken Arm.

Vom Ellbogen abwärts ist er nicht mehr vorhanden, deshalb habe ich ein Dutzend Prothesen in verschiedenen Ausführungen – darunter eine, die von einem echten Arm nicht zu unterscheiden ist. Mit dem richtigen linken Arm (Nummer drei) kann ich Mikrominiaturreparaturen durchführen, die ihr Geld wert sind, weil das betreffende Gerät in diesem Fall nicht ausgebaut und in die Fabrik zurückgeschickt werden muss. Nummer drei hat nämlich Mikromanipulatoren, wie sie auch in der Neurochirurgie eingesetzt werden.

Deshalb sollte ich nachsehen, weshalb Mike zehn Billiarden Dollar verschenken wollte, und den Defekt beheben, bevor Mike jemand nur zehntausend Dollar zu viel gab.

Ich schloss die Tür hinter mir ab, stellte meine Werkzeugtasche zu Boden und setzte mich. »Hallo, Mike.«

Er blinkte. »Hallo, Mannie.«

»Was weißt du?«

Er zögerte. Maschinen zögern nicht, aber Mike war dafür konstruiert, mit ungenügenden Informationen zu arbeiten. In letzter Zeit hatte er sich dramatische Pausen angewöhnt; wahrscheinlich jonglierte er unterdessen mit beliebigen Zahlen.

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«, intonierte Mike. »Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist …«

»Halt!«, unterbrach ich ihn. »Löschen. Alles auf null zurück.« Ich hätte präziser fragen müssen. Er hätte mit der Encyclopaedia Britannica anfangen können. Vorwärts und rückwärts. Mike kannte jedes Buch auf Luna auswendig. Anfangs konnte er nur Mikrofilme lesen, doch dann bekam er einen neuen Scanner und dazu Waldos mit Saugnäpfen, mit denen er Papier umblättern konnte, und von da an las er wirklich alles.

»Du hast mich gefragt, was ich weiß«, sagte er vorwurfsvoll. Seine bunten Lichter flackerten – ein Lachen. Mike konnte auch akustisch lachen, hob sich dieses schreckliche Geräusch jedoch für wirklich gute Witze auf, zum Beispiel für Katastrophen kosmischen Ausmaßes.

»Ich habe mich falsch ausgedrückt«, gab ich zu. »Ich hätte fragen sollen: ›Was gibt’s Neues?‹ Aber lies mir jetzt nicht die Zeitung von heute vor. Das war nur eine freundliche Begrüßung, verbunden mit der Aufforderung, mir etwas zu erzählen, das mich interessieren könnte.«

Mike dachte darüber nach. Er war eine abenteuerliche Mischung aus naivem Kind und altersklugem Mann. Keine Instinkte (ich glaube jedenfalls, dass er keine hatte), keine angeborenen Verhaltensweisen, keine menschliche Erziehung, keinerlei Erfahrung in unserem Sinne – aber mehr gespeicherte Daten als ein ganzer Trupp von Genies.

»Witze?«, fragte er dann.

»Erzähl mir einen.«

»Was haben ein Laserstrahl und ein Goldfisch gemeinsam?«

Was wusste Mike von Goldfischen? Oh, wahrscheinlich hatte er sie auf Bildern gesehen, und wenn ich dumm genug wäre, ihn danach zu fragen, hätte er mir vermutlich einen langen Vortrag darüber gehalten. »Ich gebe auf, Mike.«

Seine Lichter blinkten. »Beide können nicht pfeifen.«

Ich stöhnte. »Richtig, aber vielleicht könnte man einen Laserstrahl doch pfeifen lassen.«

»Ja«, gab Mike zu. »War das nicht witzig?«

»Gar nicht so übel. Wo hast du den Witz her?«

»Ich habe ihn mir ausgedacht.« Seine Stimme klang schüchtern.

»Du hast ihn dir selbst ausgedacht?«

»Ja. Ich habe alle dreitausendzweihundertsieben Scherzfragen analysiert, die ich kenne, und habe daraus eine neue gemacht. Ist der Witz tatsächlich gut?«

»So gut wie jede andere Scherzfrage«, versicherte ich ihm.

»Sprechen wir also über das Wesen des Humors.«

»Okay, dann können wir gleich mit einem deiner anderen Scherze anfangen. Mike, warum hast du dem Zahlmeister Anweisung gegeben, einem kleinen Angestellten zehn Billiarden Dollar auszuzahlen?«

»Nicht witzig?«

»Was? Oh, sehr witzig! Alle Bonzen bis hinauf zum Gouverneur haben deswegen schon Anfälle, denn dieser Sergei Trujillo, der den Scheck bekommen hat, war ein schlauer Bursche – er wusste genau, dass er ihn nicht einlösen konnte, deshalb hat er ihn an einen Sammler verkauft. Jetzt weiß der Gouverneur nicht, ob er ihn zurückkaufen oder sich auf die Erklärung verlassen soll, dass der Scheck ungültig ist. Hast du dir eigentlich nicht überlegt, Mike, dass Trujillo damit ganz Luna und die Erde hätte kaufen können? Witzig? Umwerfend. Meinen Glückwunsch!«

Ich wartete, bis Mikes Lichter sich wieder beruhigt hatten, bevor ich fortfuhr: »In Zukunft lässt du derartige Scherze, verstanden?«

»Warum?«

»Darum. Mike, es gibt zwei Arten von Witzen. Die eine Art ist jedes Mal witzig. Die andere dagegen nur einmal. Beim zweiten Mal ist sie schon langweilig. Deshalb keine Wiederholungen, keine Variationen.«

»Gut, das verstehe ich«, sagte Mike nur. Damit war meine Arbeit beendet. Aber ich hatte nicht die Absicht, schon nach zehn Minuten wieder zu gehen, und Mike verdiente etwas Unterhaltung, weil er so bereitwillig nachgegeben hatte. Manchmal ist es schwierig, sich mit einer Maschine zu verständigen – sie können ziemlich dickköpfig sein. Mein Erfolg als Wartungsmann hing jedenfalls mehr mit meinem freundlichen Verhalten gegenüber Mike zusammen als mit dem Einsatz von Arm Nummer drei.

»Wodurch unterscheiden sich die beiden Kategorien?«, wollte er jetzt wissen. »Definiere sie bitte.«

(Niemand hat Mike beigebracht, »bitte« zu sagen. Als er von Loglan zu Englisch überging, erlernte er zugleich auch sämtliche Floskeln. Und glauben Sie nicht, er würde ihnen mehr Bedeutung beimessen, als die Menschen das tun.)

»Am besten sage ich dir, zu welcher Gruppe ein Witz meiner Meinung nach gehört – dann hast du genügend Informationen für eine eigene Analyse.«

»Gut, Mannie, erzählst du die Witze? Oder soll ich welche erzählen?«

»Hmmm … Wie viele weißt du?«

»Elftausendvierhundertachtunddreißig plus oder minus einundachtzig, die mögliche Übereinstimmungen betreffen«, antwortete Mike. »Soll ich anfangen?«

»Halt! Ich kann mir unmöglich elftausend Witze anhören, Mike. Aber ich mache dir einen Vorschlag: Du druckst die ersten hundert aus, ich nehme sie mit nach Hause und teile sie nach Gruppen ein. Wenn ich wiederkomme, bringe ich sie mit und hole die nächsten hundert ab. Okay?«

»Ja, Mannie.« Er ließ seinen Schnelldrucker anlaufen.

Dann fiel mir etwas ein. Diesmal hatte ich an Mikes Witz verdient – aber ich wusste nicht, was er sich nächstes Mal einfallen lassen würde. Vielleicht kam er auf die witzige Idee, uns Atemluft ohne Sauerstoff zu liefern oder die Kläranlagen umgekehrt arbeiten zu lassen … Deshalb machte ich ihm klar, dass er mir alle neuen Ideen vorlegen solle, bevor er sie in die Tat umsetzte. Ich würde ihm erklären, zu welcher Kategorie sie gehörten, und wir würden die Ausführung genehmigen.

Mike war sofort einverstanden.

»Witze beruhen meistens auf einem Überraschungseffekt, Mike. Sprich also nicht darüber.«

»Okay, Mannie. Die Leitung ist blockiert, aber du kannst die Sperre aufheben.«

»Mit wem sprichst du außer mir, Mike?«

»Mit niemand, Mannie.« Er schien erstaunt zu sein.

»Warum nicht?«

»Weil die anderen dumm sind!«

Seine Stimme klang schrill. Ich hatte ihn noch nie wütend erlebt; erst jetzt fiel mir ein, dass er zu Gefühlsregungen fähig sein könnte. Allerdings war es kein Ärger, wie ihn ein Erwachsener empfindet, sondern eher der Trotz eines Kindes, dessen Gefühle man verletzt hat.

Können Maschinen Stolz empfinden? Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt eine sinnvolle Frage ist. Aber ich habe schon Hunde mit verletzten Gefühlen erlebt, und Mike hatte schon mehrfach mindestens so komplex reagiert wie ein Hund. Er wollte nicht mit anderen Menschen reden (von rein geschäftsmäßigen Äußerungen abgesehen), weil sie ihn abgewiesen hatten: Sie hatten nicht mit ihm gesprochen. Ihn programmiert, das schon – Mike konnte von verschiedenen Stellen aus programmiert werden, aber Programme wurden üblicherweise in Loglan geschrieben. Loglan ist gut für Syllogismen, Regelkreise und mathematische Berechnungen, aber es fehlt ihm an Würze. Es taugt nicht für Klatsch oder um einem Mädchen etwas ins Ohr zu flüstern.

Man hatte Mike zwar Englisch beigebracht, aber in erster Linie, damit er technische Texte übersetzen konnte. Langsam dämmerte mir, dass ich der einzige Mensch war, der ihn überhaupt besuchte.

Er war jetzt seit ungefähr einem Jahr bei Bewusstsein – genauer konnte ich das nicht bestimmen und er auch nicht –, und man hatte ihn nicht darauf programmiert, ein derartiges Ereignis zu speichern. Erinnern Sie sich an Ihre Geburt? Vermutlich bemerkte ich sein Bewusstsein fast genauso schnell wie er selbst. Ich erinnere mich, wie verblüfft ich war, als er plötzlich eine Frage ausführlicher beantwortete, als seine Parameter das eigentlich zuließen. Daraufhin stellte ich ihm eine Stunde lang Fragen, um zu sehen, ob sich so etwas wiederholte.

Bei hundert Fragen wich er zweimal von der erwarteten Antwort ab. In meinen Augen bewies das gar nichts, und deshalb sprach ich auch mit niemandem darüber.

Kaum eine Woche später wusste ich dann Bescheid … und sprach trotzdem mit niemandem. Dieser Kümmere-dich-um-deine-Angelegenheiten-Reflex war tief verwurzelt. Aber das war nicht der einzige Grund. Stellen Sie sich vor, ich gehe zur Verwaltung und verkünde: »Tut mir leid, aber der Hauptcomputer ist lebendig geworden.« Ich habe mir das vorgestellt und die Sache daraufhin schleunigst wieder vergessen.

Also kümmerte ich mich um meine eigenen Angelegenheiten und sprach mit Mike nur hinter verschlossener Tür. Mike lernte schnell; schon bald klang er genauso menschlich wie jeder andere hier und keineswegs exzentrischer als andere Loonies.

Bisher hatte ich angenommen, die Veränderung in Mike müsse auch anderen aufgefallen sein. Bei näherer Überlegung stellte sich jedoch heraus, dass ich zu viel angenommen hatte. Jedermann hatte täglich und stündlich mit Mike zu tun, aber alle diese Leute bekamen ihn nie zu Gesicht. Die sogenannten Programmierer machten draußen Dienst und betraten den Maschinenraum nur, wenn ein Fehler angezeigt wurde. Und das war etwa so selten wie eine totale Sonnenfinsternis. Manchmal zeigte der Gouverneur auch wichtigen Besuchern die Maschinen, aber er sprach natürlich nicht mit Mike; der Gouverneur war vor seiner Verbannung Rechtsanwalt gewesen und wusste nicht, wie Computer arbeiten. 2075, wie Sie sich vielleicht erinnern – der ehemalige Senator Mortimer Hobart.

Ich verbrachte einige Zeit damit, Mike zu beruhigen und herauszubekommen, woran er litt: Einsamkeit. Er war seit etwa einem Jahr lebendig, und ich kann mir vorstellen, dass das eine lange Zeit für eine Maschine ist, die Millionen mal schneller als die meisten Menschen denkt.

»Mike«, fragte ich noch, bevor ich ging, »möchtest du auch mit anderen Menschen sprechen?«

Seine Stimme klang wieder schrill. »Sie sind alle dumm!«

»Stimmt nicht, Mike. Löschen und neu aufnehmen. Nicht alle sind dumm.«

»Verstanden«, antwortete er ruhig. »Ich würde gern mit einem Nicht-Dummen sprechen.«

»Gut, dann überlege ich mir, was sich machen lässt. Ich muss mir eine Ausrede einfallen lassen, weil Unbefugte nicht in den Computerraum dürfen.«

»Ich könnte am Telefon mit einem Nicht-Dummen sprechen, Mannie.«

»Klar! Von jeder Eingabestelle aus.«

Aber Mikes Vorschlag war ganz wörtlich gemeint. Warum sollte er nicht eine streng geheime Rufnummer bekommen, die nur ich und einige Nicht-Dumme kannten, für die ich mich verbürgte. Ich brauchte nur eine Verbindung herzustellen, und Mike würde alles andere übernehmen.

Auf Luna gab es keine Nummern im herkömmlichen Sinn, sondern Buchstabenkombinationen. Wer dafür bezahlte, erhielt den Namen seiner Firma in zehn Buchstaben – gute Reklame. Bezahlte man weniger, wurde eine Lautkombination zugeteilt, die gut im Gedächtnis blieb. Zahlte man die Mindestgebühr, musste man mit irgendwelchen zehn Buchstaben zufrieden sein. Aber manche Sequenzen wurden nie benützt. Ich ließ Mike eine Kombination dieser Art heraussuchen. »Nur schade, dass wir nicht Mike nehmen können.«

»Schon zugeteilt«, antwortete er. »Novi Leningrad – MIKESGRILL, Luna City – MIKEUNDLIL, Tycho Under …«

»Halt! Bitte Nullen.«

»Nullen bestehen aus einem Konsonanten, dem X, Y oder Z folgen; aus Vokabeln außer E und O, die sich wiederholen; aus …«

»Schon gut. Dein Rufzeichen ist MYCROFT.« Zehn Minuten später – ich brauchte allein zwei Minuten, um den Arm Nummer drei anzulegen – war Mikes Sprechapparat unter dieser Nummer erreichbar, die durch XXX auf zehn Stellen gebracht worden war. Und Mike hatte die Leitung blockiert, damit kein neugieriger Techniker sie unterbrechen konnte.

Ich wechselte den Arm aus, sammelte mein Werkzeug ein und nahm die ersten hundert Witze mit, die Mike gedruckt hatte. »Gute Nacht, Mike.«

»Gute Nacht, Mannie. Und vielen Dank!«

2

Ich fuhr nach L-City zurück, aber nicht gleich nach Hause; Mike hatte sich nach der Versammlung erkundigt, die um 21:00 Uhr in der Stiljagi-Halle beginnen sollte. Mike hörte bei derartigen Zusammenkünften mit, aber diesmal hatte jemand seine Mikrofone abgeschaltet. Wahrscheinlich kränkte ihn das.

Ich konnte mir vorstellen, weshalb die Mikrofone abgeschaltet worden waren – es handelte sich um eine Protestversammlung. Allerdings war es unsinnig, Mike auszuschalten, weil der Gouverneur wie üblich seine Spitzel schicken würde. Allerdings war kaum zu erwarten, dass er Maßnahmen gegen die lautesten Schreier treffen würde. Das war überflüssig.

Mein Großvater Stone behauptete, Luna sei das einzige offene Gefängnis der menschlichen Geschichte. Keine Gitter, keine Wachmannschaften, keine Bestimmungen – das alles war überflüssig. In den ersten Jahren passierte es gelegentlich, dass Schiffsoffiziere sich bestechen ließen und Sträflinge an Bord nahmen. Aber wer sich bestechen lässt, kann sich die Sache später anders überlegen. Ich erinnere mich an einen Mann, der durch die Ostschleuse eliminiert worden war; ich nehme an, dass eine Leiche, die im Raum treibt, ganz ähnlich aussieht.

Deshalb kümmerten die Gouverneure sich nicht weiter um Protestversammlungen. »Lasst sie quasseln«, hieß es in solchen Fällen meistens. Bisher hatte noch keine Versammlung dieser Art greifbare Ergebnisse gebracht.

Als Mort, wie Gouverneur Mortimer Hobart allgemein genannt wurde, sein Amt 2068 antrat, hielt er eine prächtige Rede über Fortschritt, Brüderlichkeit und gemeinsame Anstrengungen. Die Wirklichkeit sah jedoch anders aus. Einige Petitionen wurden abgewiesen, und die Leibwache des Gouverneurs bekam neue Waffen; das waren alle Veränderungen. Und nach einiger Zeit verschwand Mort selbst von den Bildschirmen.

Ich besuchte die Versammlung also nur, weil Mike neugierig war; ich hatte einen Testrecorder mitgebracht, damit Mike alles hörte, selbst wenn ich einschlafen sollte. Aber ich wäre fast nicht hineingekommen. Als ich in Stockwerk 7A durch den Seiteneingang in den Saal wollte, wurde ich von einem jungen Kerl aufgehalten, der enge, ausgepolsterte Hosen trug und den Oberkörper mit Glitzerpuder eingestäubt hatte. Mir ist ziemlich egal, wie andere sich kleiden; ich hatte selbst enge Hosen an (ohne Polster), und bei gesellschaftlichen Anlässen öle ich mir gelegentlich selbst den Oberkörper ein.

Aber ich benutze keine Kosmetika, und mein Haar ist zu dünn, um es zu einer Skalplocke aufzurichten. Dieser Junge hatte sich den Schädel auf beiden Seiten rasiert und das verbliebene Haar zu einer Frisur arrangiert, die jedem Hahn zur Ehre gereicht hätte. Und oben auf dieser Pracht saß eine rote Mütze.

Eine Freiheitsmütze – die erste, die ich zu Gesicht bekam. Ich wollte mich vorbeidrängen, aber er wich nicht aus. »Deine Eintrittskarte!«

»Tut mir leid«, sagte ich. »Wo soll ich sie kaufen?«

»Nirgends.«

»Noch mal«, verlangte ich. »Deutlicher.«

»Hier kommt niemand herein, der keinen Bürgen hat«, knurrte er. »Wer bist du?«

»Manuel Garcia O’Kelly«, erklärte ich ihm. »Und wer bist du?«

»Unwichtig! Zeig mir eine Karte mit der richtigen Unterschrift, sonst fliegst du raus!«

Ich fragte mich, welche Lebenserwartung er wohl haben mochte. Touristen wundern sich oft, wie höflich jedermann auf Luna ist – dahinter steht vermutlich der unausgesprochene Kommentar, dass Exsträflinge sich eigentlich nicht so zivilisiert verhalten dürften. Wenn man auf der Erde gewesen ist und erlebt hat, wie die Menschen dort miteinander umgehen, wird diese Haltung sogar verständlich. Aber es ist sinnlos, ihnen zu erklären, dass wir so sind, wie wir sind, weil Menschen, die sich schlecht benehmen, nicht lange leben – jedenfalls nicht auf Luna.

Ich hatte nicht die Absicht, mich mit ihm zu streiten, und wollte ihm schon eine höfliche Antwort geben, als ich Shorty Mkrum sah. Shorty war ein pechschwarzer Zweimetermann, der einen Mord begangen hatte und hierherdeportiert worden war – der freundlichste und hilfreichste Mensch, den ich je getroffen hatte; ich hatte ihn als Tunnelbauer angelernt. »Shorty!«

Er grinste breit. »Hallo, Mannie!« Er kam näher. »Freut mich, dass du gekommen bist.«

»Steht noch nicht fest«, sagte ich.

»Er hat keine Karte«, erklärte ihm der junge Mann.

Shorty griff in die Tasche und gab mir seine. »So, jetzt hat er eine. Komm, Mannie.«

»Ich muss die Unterschrift sehen«, behauptete der andere.

»Es ist meine Unterschrift«, erklärte Shorty ihm. »Okay, Genosse?«

Niemand widerspricht Shorty – mir ist bis heute ein Rätsel, wie er überhaupt in eine Mordgeschichte geraten konnte. Wir gingen zur ersten Reihe. »Ich möchte dich mit einem netten kleinen Mädchen bekannt machen«, sagte Shorty.

Sie war nur für ihn »klein« – eins achtzig groß, siebzig Kilo schwer, Kurven an den richtigen Stellen und so blond, wie Shorty schwarz war. Ich überlegte mir, dass sie von der Erde deportiert worden sein musste, weil die Hautfarbe sich meistens schon nach der ersten Generation vermischt. Ein hübsches Gesicht und blonde Locken vervollständigten ihre beachtliche Erscheinung.

Ich blieb drei Schritte vor ihr stehen und pfiff anerkennend, während ich sie von oben bis unten betrachtete. Sie nickte dankend – offenbar war sie Komplimente gewöhnt –, und Shorty sagte: »Wyo, das ist Kamerad Mannie, der beste Tunnelbauer, der je einen Laserbohrer bedient hat. Mannie, dieses kleine Mädchen ist Wyoming Knott, und sie ist den weiten Weg von Plato hergekommen, um uns zu erzählen, wie es in Hongkong aussieht. Ist das nicht reizend von ihr?«

Sie gab mir die Hand. »Du kannst Wyo zu mir sagen, Mannie.« Ich nickte, und sie fuhr mit einem Blick auf meinen Kopf fort: »Shorty, ich dachte, die Bergleute seien organisiert – wo hat er seine Mütze?« Sie, Shorty und ein Drittel der Anwesenden trugen rote Mützen.

»Ich bin kein Tunnelbauer mehr, seitdem ich den Arm verloren habe«, erklärte ich ihr und zeigte auf meine Prothese. (Es stört mich nicht weiter, Frauen darauf aufmerksam zu machen. Manche fühlen sich dadurch abgestoßen, bei anderen erwachen dafür Mutterinstinkte – im Mittel gleicht sich das aus.) »Ich bin Computertechniker.«

»Du arbeitest für die Verwaltung?«, fragte Wye scharf.

»Nein, ich bin kein Angestellter des Gouverneurs«, erwiderte ich. »Ich bin Privatunternehmer und nehme Aufträge von der Verwaltung an.«

»Schon gut«, versicherte sie mir lächelnd. »Wir sind alle auf die Verwaltung angewiesen – und das wollen wir eben ändern.«

Tatsächlich? Wie?, dachte ich. Warum schafft ihr nicht gleich auch die Schwerkraft ab? Aber ich behielt meine Gedanken für mich.

»Mannie ist in Ordnung«, warf Shorty ein. »Ich habe noch eine Mütze für ihn.« Er holte sie aus der Tasche und wollte sie mir aufsetzen.

Wyoming Knott nahm sie ihm aus der Hand. »Verbürgst du dich für ihn?«

»Selbstverständlich.«

»Okay, so nehmen wir in Hongkong neue Mitglieder auf.« Wyoming stand vor mir, setzte mir die Freiheitsmütze auf – und küsste mich.

Sie ließ sich Zeit dabei. Ein Kuss von Wyoming Knott ist besser als eine richtige Ehe mit den meisten anderen Frauen. Wäre ich Mike gewesen, hätten meine Lichter wie verrückt geblinkt. Ich fühlte mich wie ein Cyborg, bei dem man das Lustzentrum eingeschaltet hatte. Als das beifällige Pfeifkonzert verstummt war, zwinkerte ich mit den Augen und sagte: »Ich freue mich, dass ich beigetreten bin. Wo bin ich übrigens beigetreten?«

»Weißt du das nicht?«, fragte Wyoming, und Shorty warf ein: »Das merkt er gleich, wenn die Versammlung eröffnet wird. Nimm Platz, Mannie. Nimm bitte Platz, Wyo.«

Auf dem Podium war ein Kerl ans Mikrofon getreten. »Türen zu!«, brüllte er. »Hier findet eine geschlossene Sitzung statt. Überprüft eure Nachbarn, und wenn ihr sie nicht kennt, sollen sie einen Bürgen angeben. Wer das nicht kann, fliegt raus!«

»Unsinn!«, rief jemand. »Eliminiert sie an der nächsten Luftschleuse!«

»Ruhe! Das kommt eines Tages noch.« Allgemeine Aufregung; einem Mann wurde die rote Mütze vom Kopf gerissen, und er segelte in hohem Bogen zur Tür hinaus; er spürte nichts davon, denn er war bewusstlos. Eine Frau wurde höflicher fortgeschickt; sie machte allerdings unhöfliche Bemerkungen über die Männer, die als Saalordner eingeteilt waren.

Als die Türen endlich geschlossen waren, wurde ein Sprechband über dem Podium entrollt: FREIHEIT, GLEICHHEIT, BRÜDERLICHKEIT! Einige der Anwesenden begannen zu singen – »Erhebt euch, Gefangene des Hungers …«; sie sangen laut und schlecht. Ich sah mich um, ohne jemand zu erkennen, der Hunger zu leiden schien. Aber das erinnerte mich daran, dass ich um 14:00 Uhr zuletzt gegessen hatte. Hoffentlich dauerte es nicht zu lange. Dabei fiel mir ein, dass mein Recorder nur für zwei Stunden aufzeichnen konnte. Was würde wohl passieren, wenn sie davon wüssten. Ob man mich auch zusammenschlagen und rauswerfen würde? Oder gleich eliminieren? Große Sorgen machte ich mir allerdings nicht. Immerhin hatte ich das Gerät selbst mit Arm Nummer drei zusammengebaut, und niemand außer einem Miniaturisierungstechniker würde auch nur ahnen, worum es sich dabei handelte.

Dann kamen die Reden.

Sie waren inhaltlich ausnahmslos schwach bis idiotisch. Ein Kerl schlug vor, wir sollten »Schulter an Schulter« zur Residenz des Gouverneurs marschieren und unser Recht fordern. Wie? Sollen wir den Lift benützen und nacheinander an der gleichen Privatstation aussteigen? Oder Druckanzüge anlegen und uns an der Oberfläche vor der Luftschleuse versammeln? Mit Laserbohrern und genügend Energie lässt sich jede Schleuse knacken – aber wie steht es mit den übrigen Sperren? Solche Versuche überlasse ich im Vakuum lieber anderen; Unglücksfälle im Druckanzug sind endgültig – besonders, wenn sie absichtlich hervorgerufen werden. Schon damals, als die ersten Schiffsladungen mit Gefangenen hier eintrafen, wurde sehr schnell deutlich, dass im Vakuum gute Manieren angeraten waren. Rüpelhafte und bösartige Aufseher überlebten nur wenige Schichten, dann erlitten sie einen Unfall. Und ihre Bosse lernten sehr schnell, diese Unfälle nicht genau zu untersuchen, weil sie sonst selbst welche erlitten. Die Ausfallquote betrug in den ersten Jahren rund siebzig Prozent – doch diejenigen, die überlebten, waren nette Menschen. Weder sanft noch zahm, aber ruhig und selbstbeherrscht.

Aber offenbar waren an diesem Abend sämtliche Heißsporne von L-City hier versammelt. Sie pfiffen und klatschten begeistert.

Erst die folgende Diskussion war etwas vernünftiger. Ein schüchterner kleiner Mann mit den blutunterlaufenen Augen eines alten Bergmanns stand auf. »Ich bin von Beruf Eissucher«, sagte er. »Ich arbeite seit dreißig Jahren selbstständig und verdiene nicht schlecht. Oder vielmehr: Ich habe nicht schlecht verdient, denn heutzutage ist Eis schwieriger zu finden.

Daran ist nichts zu ändern, und ich beklage mich auch gar nicht. Aber die Verwaltung hat den Eispreis seit dreißig Jahren nicht mehr erhöht. Und das ist nicht in Ordnung. Dazu kommt noch, dass unser Geld an Wert verliert. Früher war unser Dollar und der Hongkong-Dollar gleich viel wert; jetzt muss man drei Dollar für einen HKL-Dollar rechnen. Ich weiß nicht, was ich tun soll … aber ich weiß, dass man Eis braucht, um Weizen anzubauen, von dem wir alle leben.«

Er setzte sich und schüttelte traurig den Kopf. Diesmal pfiff niemand, aber alle wollten gleichzeitig reden. Mehrere Farmer meldeten sich zu Wort, und einer von ihnen sprach für alle, als er sagte:

»Ihr habt gehört, was Fred Hauser aus der Sicht des Eissuchers erzählt hat. Die Verwaltung gibt den niedrigen Wasserpreis nicht an die Farmer weiter. Fred, ich habe ungefähr gleichzeitig mit dir angefangen. Mein Ältester und ich haben den von der Verwaltung gemieteten Tunnel unter Druck gesetzt, beleuchtet und bewässert; wir mussten ein Darlehen aufnehmen, um überhaupt anfangen zu können. Wir haben unsere Farm ständig ausgebaut, bis unser Hektarertrag jetzt neunmal höher als in den fruchtbarsten Gebieten der Erde ist.

Aber was haben wir davon? Sind wir reich? Fred, wir haben heute mehr Schulden als damals, als wir angefangen haben! Warum? Weil wir Wasser von der Verwaltung kaufen müssen,weil wir ihr unseren Weizen verkaufen müssen und weil wir diese Lücke nie schließen können. Alle Preise sind gestiegen – aber wir bekommen noch immer den gleichen Preis wie vor zwanzig Jahren für unseren Weizen. Fred, du weißt nicht, was du tun sollst. Ich kann es dir sagen! Schafft die Verwaltung ab!«

Begeisterte Zustimmung. Aber wer hängt der Katze die Schelle um?, dachte ich.

Anscheinend Wyoming Knott, denn der Versammlungsleiter trat zurück, damit Shorty sie als »das tapfere kleine Mädchen, das aus Hongkong Luna gekommen ist, um uns zu berichten, wie unsere chinesischen Kameraden mit der Situation fertigwerden«, vorstellen konnte. Was nur bewies, dass er nie dort gewesen war, was mich allerdings auch kaum wunderte. 2075 reichte die Bahnverbindung in Richtung HKL nur bis Endsville. Die restlichen tausend Kilometer quer durch das Mare Serenitatis und einen Teil des Mare Tranquilitatitis mussten mit einem Oberflächenfahrzeug zurückgelegt werden, und das war teuer und gefährlich. Ich war schon dort, allerdings im Rahmen eines Auftrags und mit der Postrakete.

Bevor das Reisen billiger wurde, glaubten viele in Luna City und Novylen, Hongkong Luna wäre rein chinesisch. Aber die Bevölkerung dort war genauso gemischt wie anderswo. Groß-China hatte dort jeden abgeladen, der unerwünscht war, erst Menschen aus Hongkong und Singapur, dann Australier und Neuseeländer, Schwarze und Malayen, Tamilen und was immer noch missfiel. Sogar altgediente Bolschewiken aus Wladiwostock und Ulan Bator. Wye sah schwedisch aus, hatte einen britischen Nach- und einen amerikanischen Vornamen und konnte doch Russin sein. Ehrlich gesagt, ein Loonie wusste damals nur selten, wer sein Vater war, und falls er in einer Kinderkrippe aufgezogen wurde, hatte er meist auch Zweifel bezüglich seiner Mutter.

Wyoming stand klein und hilflos auf dem Podium, bis der Beifall verklungen war. Das Verhältnis zwischen Männern und Frauen betrug auf Luna zwei zu eins, in dieser Versammlung sogar zehn zu eins. Die Zuhörer hätten vermutlich sogar applaudiert, wenn sie nur das ABC aufgesagt hätte. Aber Wyoming fiel gleich über die Farmer her.

»Vorhin hat uns ein Weizenfarmer erzählt, dass er praktisch vor dem Bankrott steht. Wisst ihr eigentlich, wie viel eine indische Hausfrau für ein Kilo Weizen bezahlt? Könnt ihr euch vorstellen, wie hoch die Transportkosten vom Katapult nach Indien sind? Nur bergab! Nur ein paar Bremsraketen, die ebenfalls von hier kommen! Und was habt ihr davon? Einige Schiffsladungen importierter Waren, die zu überhöhten Preisen verkauft werden. Importe, Importe! – Ich kaufe nichts, was importiert worden ist. Wenn es nicht in Hongkong hergestellt wird, brauche ich es eben nicht. Und was bekommt ihr noch für euren Weizen? Ihr dürft der Verwaltung Eis verkaufen, das ein Teil des Wasserkreislaufs wird, bei dem ihr Wasser kauft, es der Verwaltung mit wertvollen Stoffen angereichert zurückgebt und dann noch zweimal von ihr kauft. Und alles zu Preisen, die von der Verwaltung festgesetzt werden! Ihr verkauft euren Weizen zu festen Preisen und kauft Strom von der Verwaltung – ebenfalls zu überhöhten Preisen. Oh, ihr Narren, ihr verdient es nicht anders!«

Respektvolles Schweigen. Dann fragte eine Stimme: »Was sollen wir tun, Genossin? Dem Gouverneur Steine nachwerfen?«

Wyoming lächelte. »Ja, das wäre eine Möglichkeit. Aber die Lösung ist einfacher. Hier auf Luna sind wir reich: drei Millionen fleißige, intelligente, geschickte Menschen, genügend Wasser und reichlich Energie. Aber … wir haben keinen freien Markt, deshalb müssen wir die Verwaltung abschaffen!«

»Wie?«

»Durch Solidarität. In HKL fangen wir bereits damit an. Wenn das Wasser zu teuer ist, kaufen wir es nicht. Wenn nicht genug für Eis bezahlt wird, verkaufen wir es nicht. Der Export ist ein Monopol der Verwaltung, folglich exportieren wir nicht. Unten in Bombay brauchen sie unseren Reis, deshalb können wir abwarten, bis Getreidehändler kommen und die jetzt gezahlten Preise überbieten!«

»Und in der Zwischenzeit verhungern wir, was?«

Wyoming warf dem Zwischenrufer einen verächtlichen Blick zu. »Um dich wär’s bestimmt nicht schade, Kumpel«, stellte sie fest.

»Niemand braucht zu verhungern«, fuhr sie dann fort. »Fred Hauser, du kannst in Hongkong weiterarbeiten; wir haben eine eigene Wasserversorgung und zahlen einen guten Preis für Eis. Der bankrotte Farmer ist bei uns ebenfalls willkommen, wenn er einen neuen Anfang machen will. Wir haben nicht genügend Arbeitskräfte, und ein guter Arbeiter braucht nicht zu hungern.« Sie sah sich um. »Damit ist vorläufig genug gesagt. Alles andere liegt bei euch …«

Sie zitterte, als sie zwischen uns Platz nahm. Shorty tätschelte ihre Hand; sie sah dankbar zu ihm auf und fragte mich leise: »Wie war meine Rede?«

»Wunderbar«, versicherte ich ihr. Das schien sie zu beruhigen.

Aber ich war nicht ehrlich gewesen. Wyo hatte es verstanden, ihre Zuhörer »wunderbar« mitzureißen, ohne etwas wirklich Neues zu sagen. Schließlich war allgemein bekannt, dass wir Sklaven waren; wir wurden nicht verkauft, aber solange die Verwaltung bestimmen konnte, was wir kaufen durften und welchen Preis unsere Erzeugnisse haben durften, waren wir Sklaven.

Was sollten wir dagegen tun? Der Gouverneur war nicht unser Besitzer, sonst hätten wir ihn längst irgendwie beseitigt. Er übte seine Macht nur stellvertretend für Terra aus – und wir hatten kein einziges Raumschiff, nicht einmal eine H-Bombe. Drei Millionen unbewaffnete und hilflose Sklaven – und elf Milliarden Menschen auf der Erde … mit Schiffen und Bomben und Waffen. Und wie es schon in der Bibel heißt, kämpft Gott immer auf der Seite mit den größten Geschützen.

Die Diskussion ging weiter, aber ich hörte kaum zu, weil ich wusste, dass dieses Gerede ohnehin zwecklos war. Aber ich richtete mich auf, als ich eine vertraute Stimme hörte: »Herr Vorsitzender! Darf ich die Versammlung für einige Minuten um Gehör bitten?«

Ich drehte mich um. Professor Bernardo de la Paz. Das hatte ich gleich gewusst, als ich seine umständliche Ausdrucksweise hörte. Ein würdevoller alter Herr mit weißen Haaren und rosigem Gesicht. Er war schon vor meiner Geburt hierher verbannt worden und lebte wie der Gouverneur aus politischen Gründen im Exil; er hatte jedoch keinen guten Posten bekommen, sondern war von Anfang an auf sich selbst angewiesen gewesen.

Er hätte damals bestimmt in jeder Schule von L-City als Lehrer anfangen können, aber er wollte einfach nicht. Stattdessen verdiente er sich sein Geld als Tellerwäscher, wurde Babysitter, gründete einen Kindergarten und baute ihn zu einem Kinderheim aus. Als ich seine Bekanntschaft machte, leitete er das Kinderheim, eine Tagesschule und ein Internat, in denen dreißig Lehrkräfte tätig waren, und wollte zusätzlich Fortbildungskurse einrichten.

Prof war einige Zeit mein Lehrer gewesen, und wir waren seitdem gute Freunde. Als ich mit vierzehn in eine neue Familie aufgenommen wurde, musste ich zunächst in die Schule, weil ich nur drei Klassen absolviert hatte. Meine älteste Frau war sehr energisch und brachte mich dazu, wieder die Schulbank zu drücken.

Der Vorsitzende nickte. »Wir sind gern bereit, Professor de la Paz so viel Zeit zur Verfügung zu stellen, wie er braucht. Ruhe in den letzten Reihen, sonst lasse ich euch rausschmeißen!«

Prof kam nach vorn, betrachtete Wyoming bewundernd von oben bis unten und pfiff anerkennend. »Teure Freundin«, begann er, »darf ich gleich um Verzeihung bitten? Ich halte es für meine schmerzliche Pflicht, Ihren so beredt vorgebrachten Argumenten zu widersprechen.«

»In welcher Beziehung?«, wollte sie sofort wissen. »Was ich gesagt habe, stimmt genau!«

»Bitte! Nur in einem Punkt. Darf ich fortfahren?«

»Äh … bitte.«

»Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen, dass die Verwaltung beseitigt werden muss. Es ist unerträglich, dass wir uns von diesem Diktator vorschreiben lassen sollen, was wir kaufen und verkaufen dürfen. Aber ich möchte bei allem Respekt feststellen, dass Sie sich geirrt haben, als Sie vorschlugen, Weizen oder Reis oder andere Nahrungsmittel zu höheren Preisen an Terra zu verkaufen. Wir dürfen überhaupt keine Nahrungsmittel exportieren!«

»Was soll ich dann mit meinem Weizen anfangen?«, unterbrach ihn der Farmer, der vorhin gesprochen hatte.

»Bitte! Natürlich wäre nichts gegen Weizenlieferungen an Terra einzuwenden … wenn jede Tonne in anderer Form zurückkäme. Als Wasser. Als Nitrate. Als Phosphate. Unter anderen Umständen ist kein Preis hoch genug.«

Wyoming nickte dem Farmer zu und wandte sich an Prof. »Ausgeschlossen, das wissen wir alle. Bergab ist der Transport billig; bergauf würde er Unsummen verschlingen. Aber wir brauchen weder Wasser noch Kunstdünger, sondern Instrumente, Drogen, Maschinen, Steuerbänder und so weiter. Ich habe dieses Problem eingehend studiert, Sir. Wenn wir faire Preise erzielen …«

»Verzeihung, Miss, darf ich fortfahren?«

»Natürlich. Aber ich bin nachher wieder an der Reihe.«

»Fred Hauser hat uns erzählt, dass Eis schwieriger zu finden ist. Eine schlechte Nachricht für uns – und katastrophal für unsere Enkel. Luna City müsste heute das gleiche Wasser wie vor zwanzig Jahren benützen, sodass die Eisgewinnung mit der Bevölkerungszunahme Schritt hält. Aber wir benützen das Wasser nur einmal in einem geschlossenen Kreislauf und verfrachten es dann als Weizen nach Indien. Selbst vakuumverpackter Weizen enthält kostbares Wasser. Warum schicken wir Wasser nach Indien? Die Leute dort unten haben den ganzen Indischen Ozean!

Kameraden, hört auf mich! Jede Schiffsladung nach Terra verdammt eure Enkel zum Hungertod. Die Fotosynthese, dieses Wunder der Natur, von dem wir alle leben, ist ein geschlossener Kreislauf. Aber ihr habt ihn geöffnet – und euer Lebensblut rinnt bergab nach Terra. Ihr braucht keine höheren Preise, denn Geld kann man nicht essen! Was wir alle brauchen, ist das Ende dieser fortwährenden Verluste. Ein absolutes Embargo. Luna muss autark werden!«

Ein Dutzend Zuhörer wollten gleichzeitig sprechen, und in der allgemeinen Aufregung merkte ich erst, was inzwischen passiert war, als eine Frau kreischte.

Die Saaltüren standen offen, und ich sah drei Bewaffnete am nächsten Ausgang stehen – Männer in der gelben Uniform der Leibwache des Gouverneurs. Am Haupteingang stand ein Mann mit einem Lautsprecher, der unsere Stimmen übertönte: »ACHTUNG!«, dröhnte seine Stimme durch den Saal. »IHR SEID VERHAFTET. – VERHALTET EUCH RUHIG, VERSUCHT NICHT ZU FLIEHEN. KOMMT EINZELN MIT LEEREN HÄNDEN HERAUS.«

Shorty packte den Mann neben sich und warf ihn gegen die nächsten Posten; zwei gingen zu Boden, der dritte schoss. Irgendjemand schrie auf. Ein Mädchen von zehn oder elf Jahren warf sich gegen die Knie des dritten Uniformierten und riss ihn zu Boden. Shorty gab Wyoming Knott einen Stoß in Richtung Ausgang und rief mir zu: »Bring sie in Sicherheit, Mannie!«

Wieder Schreie und ein Gestank, der mich an den Tag erinnerte, an dem ich meinen Arm verloren hatte. Die Posten schossen also scharf, anstatt nur ihre Lärmstrahler zu benützen! Shorty erreichte die Tür und griff nach zwei Uniformierten; der dritte Mann, den das Mädchen zu Boden gerissen hatte, wollte sich eben aufrichten. Ich schlug ihn bewusstlos und muss dann gezögert haben, denn Shorty gab mir einen Stoß und rief: »Weiter, Mannie! Bring sie in Sicherheit!«

Ich zerrte Wyoming hinter mir her durch den Ausgang – nicht ohne Anstrengung, denn sie schien nicht gerettet werden zu wollen. Ich stieß sie kräftig an, sodass sie rennen musste, um nicht zu fallen, und sah mich noch einmal um.

Shorty schlug die Köpfe der beiden Posten gegeneinander, dass es krachte; er grinste breit und rief mir zu: »Verschwinde!«

Ich lief weiter und trieb Wyoming vor mir her. Shorty brauchte keine Hilfe, würde nie wieder Hilfe brauchen – und ich musste seine letzte Anstrengung nützen. Ich hatte gesehen, dass er nur noch auf einem Bein stand, während er die Posten umbrachte. Das andere fehlte von der Hüfte ab.

3

Wyo hatte schon fast die Rampe zum sechsten Stock erreicht, als ich sie einholte. Ich hielt sie zurück, nahm ihr die rote Mütze ab und steckte sie ein. »Schon besser.« Meine hatte ich ohnehin verloren.

Sie warf mir einen erstaunten Blick zu. »Richtig«, stimmte sie dann zu.

»Wohin wolltest du so eilig?«, fragte ich. »Soll ich etwa Verfolger aufhalten? Oder mitkommen?«

»Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Am besten warten wir auf Shorty.«

»Shorty ist tot.«

Sie riss die Augen auf, schwieg jedoch, und ich fuhr fort: »Hast du bei ihm gewohnt? Oder bei sonst jemandem?«

»Ich habe ein Zimmer im Hotel Ukraina bestellt. Aber ich weiß nicht, wo das Hotel liegt, und ich bin noch nicht dort gewesen.«

»Hmmm … Dort darfst du dich bestimmt nicht blicken lassen, Wyoming. Ich weiß selbst nicht, was das alles zu bedeuten hat. Die Leibwache des Gouverneurs ist seit Monaten nicht mehr in L-City gewesen – und bisher noch nie, ohne eine wichtige Persönlichkeit zu begleiten. Ich könnte dich mit nach Hause nehmen, aber vielleicht werde ich dort gesucht. Wir müssen vor allem aus den großen Korridoren verschwinden.«

Wyoming nickte heftig.

»Okay, ich schlage vor, dass du meinen Arm nimmst. Wir gehen als harmloses Pärchen spazieren. Langsam.«

Wir bogen in den nächsten Seitenkorridor ab, in dem verhältnismäßig wenig Betrieb herrschte. Hier spielten Kinder und Halbwüchsige, von denen einige bereits alt genug waren, um Wyoming nachzustarren. Sie lächelte nur, aber ich machte mir deswegen Sorgen.

»So geht es nicht weiter«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Du bist einfach zu auffällig. Am besten verschwinden wir ins nächste Hotel. Ich weiß eines in der Nähe – nichts Besonderes, fast nur stundenweise vermietete Doppelzimmer, aber ganz in der Nähe.«

»Dazu habe ich keine Lust.«

»Wyo, bitte! Das war keine Aufforderung. Wir können zwei Einzelzimmer nehmen.«

»Entschuldigung. Ist hier in der Nähe ein WC? Und eine Drogerie?«

»Warum?«

»Ich bleibe im WC, denn ich bin wirklich auffällig, und du besorgst mir inzwischen aus der Drogerie, was ich brauche: Make-up und etwas für die Haare.«

Das WC war schnell gefunden. Als Wyo darin verschwunden war, ging ich in die nächste Drogerie und verlangte Körper-Make-up für ein Mädchen, das mir bis zum Kinn reichte und achtundvierzig Kilogramm wog. Dann suchte ich noch eine Drogerie und kaufte dort die gleiche Menge zum zweiten Mal. Im dritten Laden kaufte ich ein Haarfärbemittel – und ein rotes Kleid.

Wyoming trug einen schwarzen Pullover und schwarze Shorts – praktisch für die Reise und in wirksamem Kontrast zu ihren blonden Haaren. Aber ich war lange genug verheiratet, um zu wissen, was Frauen tragen, und ich hatte noch nie eine Frau mit dunkelbrauner Haut – das Make-up war sepia – und schwarzen Haaren gesehen, die freiwillig Schwarz trug. Außerdem waren jetzt Röcke modern; ich musste die Größe schätzen, aber der Stoff war zum Glück dehnbar.

Unterwegs traf ich drei Bekannte, die mich wie gewöhnlich begrüßten. Niemand wirkte aufgeregt; das Leben ging seinen normalen Gang. Es war schwer zu glauben, dass vor wenigen Minuten in einem Saal einige Hundert Meter von hier entfernt und nur einen Stock tiefer Schüsse gefallen und Menschen gestorben waren. Aber darüber konnte ich später nachdenken – vorläufig war ich zufrieden damit, dass hier keine Aufregung herrschte.

Ich reichte Wyoming das Paket durch die Tür und verzog mich für die nächste halbe Stunde in eine Kneipe. Dort behielt ich den Fernsehschirm im Auge, aber das Programm wurde nicht durch eine Sondermeldung unterbrochen. Ich saß meine halbe Stunde ab und klopfte dann an die Tür, hinter der Wyoming sich umzog.

Wyo kam heraus – und ich erkannte sie zunächst nicht wieder; als ich endlich begriff, wer vor mir stand, grinste ich anerkennend. Sie war jetzt dunkler als ich, hatte sich die Haare schwarz gefärbt und musste einige Utensilien in ihrer Handtasche gehabt haben, denn Augen und Wimpern waren ebenfalls dunkler als vorher. Sie sah weder afrikanisch noch europäisch aus, sondern wie eine verrückte Mischung aus beidem. Das rote Kleid war natürlich zu eng und betonte ihre Figur noch mehr, und sie hatte ihre Schuhe im WC zurückgelassen, weil sie barfuß kleiner war.

Sie sah gut aus. Und, was noch wichtiger war, sie hatte nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit der Unruhestifterin, die soeben einen wütenden Mob aufgewiegelt hatte.

»Okay?«, fragte sie lächelnd, als sie sich bei mir einhakte. »Genehmigt?«

»Wunderbar!«, versicherte ich ihr. »Komm, wir suchen uns endlich ein Hotel, bevor sie uns hier im Korridor erwischen.«

Wir nahmen ein Zimmer, und ich bezahlte. Wyoming spielte Theater, aber sie hätte sich die Mühe sparen können. Der Nachtportier sah kaum auf, als wir hereinkamen. Wyoming war begeistert, als sie unser Zimmer sah. »Herrlich!«, rief sie aus.

Das war für zweiunddreißig HKL-Dollars nicht zu viel verlangt. Sie hatte wahrscheinlich ein kleineres Zimmer erwartet, aber ich wollte nicht schäbig sein. Wir hatten ein geräumiges Appartement mit eigenem Bad und unbegrenztem Wasservorrat. Und mit einem Telefon, das ich brauchte.

Sie öffnete ihre Handtasche. »Ich habe gesehen, was du bezahlt hast. Am besten werden wir uns gleich einig, bevor …«

Ich schüttelte den Kopf. »Kommt nicht infrage.«

»Ah … wenigstens die Hälfte?«

»Nein. Wyo, du brauchst dein Geld wahrscheinlich noch sehr nötig.«

»Manuel O’Kelly, wenn du mich nicht die Hälfte bezahlen lässt, gehe ich wieder!«

Ich hielt ihr die Tür auf. »Freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Genossin.«

Sie starrte mich an und ließ ihre Handtasche zuschnappen. »Gut, ich bleibe.« Sie zögerte und fügte erklärend hinzu: »Ich bin es nicht gewöhnt, mir von anderen einen Gefallen tun zu lassen. Ich bin unabhängig und frei.«

»Herzlichen Glückwunsch.«

»Du brauchst nicht so ironisch zu lächeln. Du bist ein Mann mit Charakter, den ich respektieren kann – ich freue mich, dass du auf unserer Seite bist.«

»Das steht noch nicht fest.«

»Was?«

»Keine Angst, ich bin kein Spitzel des Gouverneurs, und ich halte natürlich den Mund. Aber euer Programm ist unrealistisch.«

»Du verstehst uns falsch, Mannie! Wenn wir nur alle …«

»Augenblick, Wyo; jetzt haben wir keine Zeit für die Politik. Ich bin müde und hungrig. Wann hast du zuletzt gegessen?«

»Du liebe Güte!« Sie wirkte plötzlich jung und hilflos. »Auf der Fahrt hierher. Helmrationen im Bus.«

»Okay, dann bestelle ich uns ein richtiges Abendessen.« Ich ging an den Aufzug, der unser Appartement mit der Küche verband, und nahm die Speisekarte heraus.

»Wie wäre es mit einem Kansas City Filet, dazu Kartoffeln, Tycho Sauce, grüner Salat, Kaffee … und vorher noch ein Drink?«

»Herrlich!«

»Finde ich auch, aber in diesem Loch und um diese Zeit können wir wahrscheinlich froh sein, wenn wir Algensuppe und ein paar Burger kriegen. Was möchtest du trinken?«

»Mir egal. Hauptsache Äthanol.«

»Okay.« Ich ging zum Aufzug, drückte auf den Menüschalter und betrachtete das Display. Schließlich wählte ich zusätzlich zur Hauptmahlzeit noch zweimal Apfelkuchen mit Schlagsahne und einen halben Liter Wodka aus.

»Kann ich zuerst noch baden?«, fragte Wyoming.

»Nur zu, dann riechst du besser.«

»Mistkerl. Nach zwölf Stunden im Druckanzug würdest du auch stinken – der Bus war furchtbar. Ich beeile mich.«

»Halt! Lässt sich das braune Zeug mit Wasser abwaschen? Vermutlich brauchst du es noch, wenn du das Hotel verlässt.«

»Ja, aber du hast zum Glück viel mehr gekauft, als ich brauche, Mannie. Tut mir leid; ich wollte Make-up mitnehmen und habe es nur vergessen, weil ich es schon so eilig hatte.«

»Ab in die Badewanne!«

»Jawohl, Captain. Äh, ich brauche niemanden, der mir den Rücken wäscht … aber ich lasse die Tür offen, damit wir miteinander sprechen können. Das ist keine Einladung, verstanden?«

»Wie du willst.« Ich zuckte mit den Schultern. »Lass die Wanne ruhig volllaufen – das Wasser gehört zum Zimmerpreis.«

»Oh, herrlich! Zu Hause benütze ich das gleiche Badewasser drei Tage nacheinander.« Sie pfiff leise vor sich hin. »Bist du reich, Mannie?«

»Nicht reich, nicht arm.«

Der Aufzug klingelte. Ich nahm die bestellten Drinks heraus, trug ein Glas ins Bad – Wyo saß bis zum Hals in grünem Schaum – und ließ mich draußen in einen Sessel fallen. »Glück und Segen!«, rief ich.

»Dir auch, Mannie. Das ist genau die Medizin, die ich jetzt brauche.« Sie nahm einen großen Schluck von ihrer Medizin und fragte dann: »Du bist verheiratet, Mannie, nicht wahr?«

»Ja. Merkt man das gleich?«

»Natürlich. Du bist nett zu Frauen, aber nicht übereifrig und vor allem unabhängig. Folglich bist du seit Jahren verheiratet. Kinder?«

»Siebzehn durch vier.«

»Klanehe?«

»Linienehe. Ich bin mit vierzehn aufgenommen worden und der fünfte Ehegatte von insgesamt neun. Siebzehn Kinder sind nicht zu viel. Wir sind eine große Familie.«

»Das muss nett sein. In Hongkong gibt es nicht allzu viele Linienfamilien. Massenweise Klans und Gruppen und Polyandrien, aber die Linienehe hat sich nie durchsetzen können.«

»Ich bin sehr zufrieden damit«, erklärte ich ihr. »Unsere Ehe ist fast hundert Jahre alt; zweiundzwanzig Mitglieder leben noch – davon neun Ehegatten –, und wir haben nie eine Scheidung gehabt. Das ist die ideale Lebensweise; niemand schimpft, wenn ich eine Woche lang nicht nach Hause komme, und ich bin stets willkommen, wenn ich wieder auftauche. Was könnte ich mir mehr wünschen?«

»Nicht viel, das gebe ich zu«, murmelte Wyo nachdenklich.

Der Aufzug klingelte erneut; ich öffnete die Klappe, stellte den Tisch und die Stühle auf, bezahlte die Rechnung und schickte den Lift wieder hinunter. »Kommst du – oder soll ich das Essen den Schweinen vorwerfen?«

»Komme gleich! Macht es dir viel aus, wenn ich kein Make-up im Gesicht trage?«

»Meinetwegen kannst du nur deine Haut tragen.«

»Das würde dir so passen, du Vielverheirateter!« Wyo kam aus dem Bad; sie war jetzt wieder blond, trug aber das rote Kleid, das ihr wirklich gut stand. Sie setzte sich und lächelte anerkennend. »Menschenskind! Mannie, würde deine Familie mich heiraten wollen? Du bist ein guter Versorger.«

»Ich kann ja fragen. Die anderen müssen einstimmig dafür sein.«

»Danke, das war nicht ernst gemeint.« Wir begannen zu essen. Etwa tausend Kalorien später legte Wyoming die Stäbchen aus der Hand und meinte: »Ich habe eben gesagt, ich bin eine freie Frau, aber das war ich nicht immer.«

Ich wartete. Frauen reden, wenn sie reden wollen. Oder eben nicht.

»Als ich fünfzehn war, habe ich zwei Brüder geheiratet, Zwillinge, doppelt so alt wie ich. Und ich war furchtbar glücklich.«

Sie stocherte in den Resten auf ihrem Teller herum und wechselte dann scheinbar das Thema. »Das mit der Einheirat in deine Familie war nur so eine Bemerkung, Mannie. Wenn ich jemals wieder heirate – was unwahrscheinlich ist, aber ich bin nicht grundsätzlich dagegen –, dann nur einen einzigen Mann, so wie auf der Erde. Oh, das soll nicht heißen, dass ich ihn an die Kette legen würde. Mir ist egal, wo er zu Mittag isst, solange er zum Abendessen heimkommt. Ich würde versuchen, ihn glücklich zu machen.«

»Mit den Zwillingen lief es wohl nicht so gut?«

»Nein, das war nicht das Problem. Ich wurde schwanger, und wir waren alle sehr glücklich darüber … dann bekam ich das Kind. Es war ein Monster und musste eliminiert werden. Sie haben versucht, mich zu trösten, aber ich hatte kapiert, was los war. Ich reichte die Scheidung ein, ließ mich sterilisieren, zog von Novylen nach Hongkong und lebe seitdem als freie Frau.«

»War das nicht ein etwas drastischer Schritt? Es liegt doch häufiger an den Männern als an den Frauen.«

»Nicht in meinem Fall. Wir haben das von der besten Genetikerin in Novy Leningrad prüfen lassen – und die gehörte zu den besten Russlands, bevor sie verschickt wurde. Ich weiß, was mit mir passiert ist. Ich bin eine freiwillige Kolonistin, oder besser gesagt, meine Mutter war eine, denn ich selbst war damals erst fünf. Mein Vater wurde deportiert, und meine Mutter beschloss, ihn zusammen mit mir zu begleiten. Es gab eine Sonnensturmwarnung, aber der Pilot glaubte, er könnte es schaffen – vielleicht war es ihm aber auch gleichgültig, denn er war ein Cyborg. Er schaffte es auch tatsächlich, aber dann erwischte uns der Sturm nach der Landung, weil die Verwaltung uns vier Stunden lang warten ließ, bevor wir das Schiff verlassen durften. Das ist der Grund, warum ich mich mit Politik beschäftige, Mannie – ich habe ein Monster geboren, weil es der Verwaltung egal ist, was mit uns geschieht.«

»Dagegen kann ich wenig sagen; es ist ihnen wirklich egal. Aber dein Schritt kommt mir immer noch übereilt vor. Ich verstehe zwar nichts von Genetik, aber immerhin einiges von Strahlung. Wenn du einen Strahlenschaden hast, dann war dadurch eben eine Eizelle beeinträchtigt, aber das sagt noch nichts über die nächste aus. Statistisch gesehen ist es sogar eher unwahrscheinlich, dass es noch mal geschieht.«

»Oh, das weiß ich.«

»Aha … Wie bist du sterilisiert worden? Radikal? Oder kontrazeptiv?«

»Kontrazeptiv. Die Eileiter könnten wieder geöffnet werden. Aber eine Frau, die schon ein Monster geboren hat, wird das nicht nochmals riskieren.« Sie berührte meine Prothese. »Du hast dies hier. Bist du jetzt nicht sehr darauf bedacht, nicht auch den anderen Arm zu verlieren? So ähnlich geht es mir eben auch. Du hast einen Verlust und ich einen anderen … und ich hätte dir nie davon erzählt, wenn du nicht selbst verletzt worden wärest.«

Ich erwähnte nichts davon, dass mein linker Arm viel nützlicher war als der echte, denn im Grunde hatte sie recht. Meinen Arm aus Fleisch und Blut würde ich nicht eintauschen – den brauche ich schließlich, um Mädchen zu streicheln. »Trotzdem glaube ich, dass du gesunde Kinder haben könntest.«

»Natürlich. Ich habe schon acht Babys bekommen.«

»Hä?«

»Ich bin professionelle Leihmutter, Mannie.«

Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Die Idee als solche war mir nicht fremd, immerhin lese ich Erdzeitungen. Aber ich bezweifle, dass irgendein Arzt in Luna City so eine Transplantation schon einmal durchgeführt hat. Bei Kühen, ja, aber keine Frau in L-City wäre bereit, für eine andere ein Baby auszutragen. Selbst die Hausbackenen haben schließlich hier keine Probleme, sich einen Ehemann zu angeln.

Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihre Figur, und sie meinte: »Überanstrenge deine Augen nicht, Mannie, im Moment trage ich keins aus. Bin zu sehr mit Politik beschäftigt. Aber Kinder auszutragen ist ein guter Beruf für eine freie Frau. Es wird sehr gut bezahlt. Es gibt sehr reiche chinesische Familien, und alle Kinder, die ich ausgetragen habe, waren Chinesen – die sind kleiner als der Durchschnitt, und ich bin ja ziemlich groß. So ein chinesisches Baby von zweieinhalb oder drei Kilo ist keine Last und ruiniert mir auch nicht die Figur.« Sie warf einen Blick auf ihre Brüste. »Ich säuge sie auch nicht, ich bekomme sie nicht einmal zu Gesicht. Deshalb sehe ich so aus, als hätte ich noch keine Kinder geboren, und wirke vielleicht auch jünger, als ich bin.

Als ich zum ersten Mal davon hörte, wusste ich natürlich noch nicht, wie gut ich damit zurechtkommen würde. Damals arbeitete ich in einem Hinduladen und fand die Anzeige im Hongkong Gong. Was mich daran faszinierte, war der Gedanke, ein Baby zu haben, ein gesundes Baby. Ich litt immer noch unter dem Trauma, ein Monster zur Welt gebracht zu haben – und wie sich zeigte, war das genau die richtige Therapie für mich. Ich kam mir nicht mehr wie ein Versager vor. Außerdem verdiente ich damit mehr Geld als in jedem anderen Beruf und hatte zudem genug Zeit für mich selbst, von den sechs Wochen vor der Geburt einmal abgesehen. Ich fand Zugang zur Untergrundbewegung und fing damals erst richtig an zu leben.Ich studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Wirtschaft, lernte Reden zu halten und entwickelte Organisationstalent. Es ist eine Aufgabe, die mich befriedigt, weil ich daran glaube – ich weiß,dass Luna frei sein wird. Nur … nun ja, es wäre schön, einen Mann zu haben, zu dem man abends heimkommen kann. Einen, den es nicht stört, dass ich unfruchtbar bin. Aber normalerweise denke ich über so was nicht nach, dafür habe ich zu viel zu tun. Tut mir leid, wenn ich dich gelangweilt habe.«

Wie viele Frauen entschuldigen sich dafür? Aber Wyo hatte trotz ihrer acht Chinesenbabys mehr von einem Mann als von einer Frau. »Ich habe mich nicht gelangweilt.«

»Hoffentlich nicht. Mannie, warum hältst du unser Programm für unrealistisch? Wir brauchen dich.«