Tod im Märchenhaus - Runa Moore - E-Book

Tod im Märchenhaus E-Book

Runa Moore

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Beschreibung

Es ist der ganz besondere Liebesroman, der unter die Haut geht. Alles ist zugleich so unheimlich und so romantisch wie nirgendwo sonst. Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen, Vampire und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen ziehen uns wie magisch in ihren Bann. Moonlight Romance bietet wohlige Schaudergefühle mit Gänsehauteffekt, geeignet, begeisternd für alle, deren Herz für Spannung, Spuk und Liebe schlägt. Immer wieder stellt sich die bange Frage: Gibt es für diese Phänomene eine natürliche Erklärung? Oder haben wir es wirklich mit Geistern und Gespenstern zu tun? Die Antworten darauf sind von Roman zu Roman unterschiedlich, manchmal auch mehrdeutig. Eben das macht die Lektüre so fantastisch... Wieder horchte sie. Warum hatte sie das Gefühl, nicht allein im Zimmer zu sein? War es der Atem eines Menschen, der die Luft zum Vibrieren brachte? War es das Gewicht eines Körpers, der die Dielen in Schwingungen versetzt hatte? Marjorie merkte, wie ihre Beklemmung wuchs. Ihr Atem ging flach. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, um die Nachttischlampe anzuschalten. In der Dunkelheit fand sie den Schalter nicht sofort. Sie tastete mit der Hand auf dem Nachttisch herum. Ein Luftzug streifte sie. Plötzlich packte jemand ihre Hand. Marjorie stieß einen Schrei aus. »Hilfe!«, rief sie voller Angst. »Schrei nur! Hier hört dich keiner!«, sagte eine Stimme. Und dann drückte jemand ein Tuch auf ihr Gesicht. Marjorie machte ein paar ruckhafte Bewegungen mit den Beinen. Dann erschlafften ihre Glieder.

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Moonlight Romance – 17 –

Tod im Märchenhaus

Auf der Spur der grausamen Tat gerät Marjorie in Gefahr

Runa Moore

Wieder horchte sie. Warum hatte sie das Gefühl, nicht allein im Zimmer zu sein? War es der Atem eines Menschen, der die Luft zum Vibrieren brachte? War es das Gewicht eines Körpers, der die Dielen in Schwingungen versetzt hatte? Marjorie merkte, wie ihre Beklemmung wuchs. Ihr Atem ging flach. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, um die Nachttischlampe anzuschalten. In der Dunkelheit fand sie den Schalter nicht sofort. Sie tastete mit der Hand auf dem Nachttisch herum. Ein Luftzug streifte sie. Plötzlich packte jemand ihre Hand. Marjorie stieß einen Schrei aus. »Hilfe!«, rief sie voller Angst. »Schrei nur! Hier hört dich keiner!«, sagte eine Stimme. Und dann drückte jemand ein Tuch auf ihr Gesicht. Marjorie machte ein paar ruckhafte Bewegungen mit den Beinen. Dann erschlafften ihre Glieder. Innerhalb weniger Sekunden war sie bewusstlos.

Es war ein strahlender Septembertag. Der Himmel war blau und wolkenlos. Die Sonne schien, und das Laub der Bäume leuchtete. Nichts deutete darauf hin, dass schon wenige Stunden später die Geister der Vergangenheit aus ihrem Versteck kriechen und Marjorie in ihren zerstörenden Bann ziehen würden.

Eine Melodie vor sich hinsummend, stellte die junge Frau das kleine Holzregal mit gebrauch­ten Büchern auf den Bürgersteig vor ihrem Antiqui­tätenladen in der Green Road in Edinburgh.

»Guten Morgen, Marjorie! Kann ich dir hel­fen?« Der Briefträger, ein junger Mann mit leuch­tend rotem Haar, kam auf die junge Frau zu.

»Vielen Dank, Bill. Das schaffe ich doch al­lein. Ich muss ja manchmal noch viel schwerere Sa­chen tragen.«

»Ja, ich weiß. Das ist aber auch keine Ar­beit für Frauen. Möbel schleppen ist Männersache.«

»Ja, ich weiß. Aber was soll ich machen?«, erwiderte Marjorie achselzuckend.

»Den Beruf wechseln«, schlug Bill vor. »Zum Beispiel Briefträger werden. Dann hast du nur ein paar Kilo Briefe und Zeitschriften herumzutragen. Hier ist Post für dich«, sagte der junge Mann lä­chelnd und reichte Marjorie einen großen, festen Umschlag. »Sieht so offiziell aus. Hoffentlich nichts Unangenehmes«, fügte er hinzu.

Marjorie las den Absender. »Vom Rechtsan­walt«, sagte sie. »Keine Ahnung, was drin ist.«

»Ich drück dir die Daumen, dass es etwas Er­freuliches ist. Vielleicht hast du eine Erbschaft gemacht«, sagte Bill, winkte kurz und setzte sei­nen Weg vor.

Marjorie rückte die Bücher in dem kleinen Regal zurecht und betrat dann den Laden. Den Um­schlag legte sie auf ihren kleinen Schreibtisch und fing an, die Möbel abzustauben. Es war wich­tig, dass die schönen, alten Stücke so richtig glänzten.

Gegen zehn Uhr kam Adele, ihre Freundin und Miteigentümerin des Ladens. »Hier liegt Post vom Rechtsanwalt. Willst du sie nicht öffnen?«, fragte Adele und ging in den hinteren Raum, wo sie die Kaffeemaschine anstellte.

»Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, dass es vielleicht etwas Unangenehmes ist«, sagte Mar­jorie. »Aber ich muss sie ja öffnen.« Sie setzte sich in den hohen Lehnstuhl neben der Theke und nahm einen Brieföffner zur Hand. Sie hatte plötz­lich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend.

Der Absender war die Rechtsanwaltskanzlei »Foster & Hobbes« aus Inverness.

Sie schlitzte den Umschlag auf und zog das oberste Blatt Papier heraus. Es war eine Einladung zur Testamentseröffnung. »Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass Lady Mildred verstorben ist. Die Testa­mentseröffnung findet in Blackwood Hall statt. Da Sie als Erbin eingetragen sind, laden wir Sie ein.«

Marjorie ließ den Brief sinken. Tante Mild­red war gestorben? Wieso hatte sie davon nichts erfahren? Hatte Cathleen es nicht für wichtig er­achtet, sie zu benachrichtigen?

»Gute Nachrichten?«, fragte Adele. »Du siehst so blass aus.«

»Meine Großtante Mildred ist gestorben,schon vor zwei Monaten. Aber Cathleen hat es nicht für wichtig gehalten, mir das mitzuteilen.«

»Tante Mildred war doch die alte Dame mit dem schönen silbergrauen Haar. Ich erinnere mich sehr gut an sie«, sagte Adele.

»Stimmt, du kennst sie ja. Du warst ja auch manchmal mit auf Blackwood Hall«, erinnerte sich Marjorie.

»Ja, natürlich. Wir haben doch dort eine schöne Zeit verbracht. Obwohl ich in dem alten Gemäuer manchmal Angst hatte. Weißt du noch, es gab da diesen engen, dunklen Gang. Oh, der war schrecklich.« Adele schüttelte sich.

»Ja, der Gang war furchtbar«, stimmte Marjo­rie zu.

»Und dann war da deine Cousine, diese schreckliche Cathleen. Sie war ein paar Jahre äl­ter als wir und schminkte sich schon. Irgendetwas an ihr war sonderbar. Ich mochte sie nicht«, sagte Adele.

»Ich auch nicht. Sie konnte unheimlich fies und gemein werden«, erinnerte sich Marjorie.

»Ja, und sie war doch in Charles verliebt. Der war doch auch mit euch verwandt«, sagte Adele.

»Ja, ich glaube, er war ein Cousin zweiten Grades oder so etwas Ähnliches«, sagte Marjorie.

»Sag mal, ist der nicht gestorben?«

»Ja, er ist tot. Die Umstände waren schreck­lich. Man wusste damals nicht, ob es ein Unfall war oder Mord. Es war einfach furchtbar.« Marjorie merkte, wie ihr plötzlich schwarz vor Augen wurde.

»He, Marjorie, was ist los? Ist dir übel?«,

rief Adele. »Warte, ich hole dir ein Glas Wasser.«

Marjories Kopf sank auf die Brust. Sie war aschfahl.

»Komm, trink das, Marjorie.« Adele hielt ihr das Glas mit Wasser an die Lippen.

Marjorie trank einen Schluck. Das Flimmern vor ihren Augen ließ nach.

»Du hast eiskalte Hände und siehst leichen­blass aus.« Adele nahm Marjories Hände in die ih­ren und rieb sie fest. »Komm, trink noch einen Schluck.«

Allmählich erholte sich Marjorie. Sie sah Adele an. »Es war furchtbar. Ich erinnere mich zum Glück nur an ein paar Dinge, nicht an alles.«

»Wirst du zur Testamentseröffnung fahren?«, fragte Adele und sah Marjorie nachdenklich an.

Marjorie nickte. »Ich glaube schon. Ich soll persönlich anwesend sein. Außerdem möchte ich zum Grab von Tante Mildred gehen, wenn ich schon nicht zu ihrer Beerdigung gefahren bin.«

»Meinst du wirklich, dass es eine gute Idee ist, dorthin zu fahren, wo so etwas Schreckliches passiert ist?«

»Ich weiß es nicht genau. Aber vielleicht ist es gut, wenn ich mich endlich der Vergangen­heit stelle«, meinte Marjorie nachdenklich.

Der Tag im Geschäft verlief gut. Es kamen etliche Kunden in den Laden. Sie sahen sich die Antiquitä­ten nicht nur an, sondern sie kauften auch etwas.

Adele machte Luftsprünge, als sie am späten Nachmittag von einem Ankauf zurückkam. Marjorie hatte in der Zwischenzeit eine wunderschöne Kommo­de verkauft, und die Kundin hatte sofort bezahlt, ohne zu handeln. Dann hatte sich ein Ehepaar für die wunderschöne Tiffany Lampe entschieden. Gegen Abend war schließlich noch ein älterer Herr er­schienen und hatte eine Kette für seine Frau ge­kauft. Zum fünfzigsten Hochzeitstag, hatte er Mar­jorie anvertraut.

Kurz nach sechs stellte Marjorie das kleine Holz­regal zurück in den Laden. Ein junger Mann hatte ein Taschenbuch für 50 Cent gekauft, einen Krimi. Sie schloss die Ladentür zu, warf einen letzten Blick in das Schaufenster und ging zur U-Bahn. Als sie nach drei Stationen die Treppe nach oben hin­aufstieg, klingelte ihr Handy. Vielleicht war das ihre Mutter. Mrs Morrison rief hin und wieder an, um zu hören, wie es ihrer einzigen Tochter ging.

Doch ein Blick auf das Display zeigte eine unbekannte Nummer.

»Da staunst du, nicht wahr, Marjorie«, sagte eine weibliche Stimme. »Ich bin’s.«

Als Marjorie die Stimme hörte, lief es ihr kalt über den Rücken. »Ja, ich bin sehr erstaunt, Cathleen«, brachte sie hervor. »Woher … woher hast du meine Nummer?«

»Nun, ich weiß doch, dass du mit Antiquitä­ten handelst, seit dieser Artikel in der Zeit­schrift »Stilvoll wohnen« erschienen ist. Deine Geschäftspartnerin war so freundlich, mir auch deine Privatnummer zu geben. Wirklich sehr freund­lich.«

»Dann hättest du mich ja auch anrufen kön­nen, als Tante Mildred gestorben ist. Oder schon vorher. Vielleicht war sie krank und ich hätte sie besuchen können.«

»Ach nein, wärst du wirklich nach Blackwood Hall gekommen?«, fragte Cathleen.

»Das hätte ich mir dann überlegen können. Aber dass du mich nicht benachrichtigt hast, als Tante Mildred gestorben ist, finde ich nicht in Ordnung.« Marjorie versuchte, nicht darauf zu ach­ten, wie ihr Herz in der Brust hämmerte und das Blut in ihren Ohren rauschte.

»Du scheinst dich gar nicht zu freuen, von mir zu hören«, erwiderte Cathleen. Sie sprach be­tont langsam und zog die Wörter in die Länge.

»Du hast Recht, ich breche nicht in Jubel aus, aber es ist doch gar nicht so wichtig, ob ich mich freue oder nicht. Sag einfach, worum es geht.«

»Hast du noch keinen Brief vom Anwaltsbüro Foster & Hobbes bekommen.«

»Doch, habe ich.«

»Und, was sagst du? Hast du ihn schon gele­sen?«

»Ich habe ihn nur überflogen, es geht um die Testamentseröffnung von Tante Mildreds Erbe.«

»Genau. Außerdem stehen die Möbel und das Geschirr, das Tante Mildred dir hinterlassen hat, hier im Wintergarten. Sie hat alles mit kleinen Zetteln versehen, auf denen steht, was du bekommen sollst. Sie hat sich sehr viel Arbeit damit ge­macht.«

»Umso schlimmer, dass du mich nicht benach­richtigt hast. Dann hätte ich mich noch bei ihr bedanken können«, sagte Marjorie, und ihre Stimme klang ärgerlich und traurig zugleich.

»Nun, dafür ist es zu spät. Auf jeden Fall möchte ich demnächst den Wintergarten renovieren lassen, und da wäre es gut, wenn die Sachen weg­kämen«, sagte Cathleen.

»Aber du bist doch gar nicht die Eigentüme­rin von Blackwood Hall. Wie kannst du da etwas re­novieren? Das ist doch Williams Angelegenheit.«

»William ist nie da. Bis jetzt hat er sich überhaupt nicht um den Besitz gekümmert. Und der Wintergarten muss dringend renoviert werden. Also, was ist mit den Möbeln? Willst du sie haben?«

»Natürlich. Wie kommst du auf die Idee, dass ich sie nicht haben will?«, fragte Marjorie.

»Das tue ich ja nicht. Du kannst sie be­stimmt mit Gewinn verkaufen. Schließlich bist du vom Fach und weißt, was man für die kleinen Kost­barkeiten verlangen kann.«

»Lass das mal meine Sorge sein, ob ich sie verkaufe oder nicht«, erwiderte Marjorie gereizt.

»Das heißt, du kommst vorbei und holst die Sachen ab?«, fragte Cathleen.

»Ja, wahrscheinlich«, erwiderte Marjorie. »Ich gebe dir Bescheid.«

»Wie gesagt, ich habe vor, den Wintergarten aufzuräumen und möchte die Sachen nicht wegwer­fen«, sagte Cathleen in drohendem Ton.

»Ich komme, sobald ich kann, und gebe dir rechtzeitig Bescheid. Ist das klar genug?«

»Ja. Reg dich nicht so auf, Cousinchen.«

Marjorie zuckte zusammen, als Cathleen sie mit Cousinchen anredete. Das hatte sie auch damals immer zu ihr gesagt. Cousinchen, wie fändest du es wenn …« Und dann war ein Vorschlag gekommen, bei dem sich bei Marjorie fast immer die Haare sträub­ten. Aber ein bisschen hatte sie Cathleen auch be­wundert. Sie war nicht so ängstlich und brav gewe­sen wie sie.

Cathleen hatte sich nicht geändert. Sie war immer noch so gemein, rechthaberisch und egois­tisch wie damals.

Normalerweise ging Marjorie gegen zehn zu Bett. Dann war sie rechtschaffen müde und freute sich darauf, in die weichen Kissen zu sinken und tief und traumlos zu schlafen. An diesem Abend hatte sie ein merkwürdiges Gefühl in der Magengegend. Sie war beunruhigt, wusste aber nicht, warum.

Sie stand vor dem Spiegel im Badezimmer und dachte über das Telefongespräch nach. Eigentlich hatte sie überhaupt keine Lust, nach Blackwood Hall zu fahren. Aber wenn Tante Mildred ihr diese Möbel vermacht hatte, dann sollte sie sie auch ab­holen. Vielleicht konnte sie ein paar Sachen be­halten und in ihre Wohnung stellen – als Erinne­rung an Tante Mildred. Alle anderen Erinnerungen an Blackwood Hall waren traurig und überhaupt nicht schön. Deshalb hatte sie es auch immer ver­mieden, nach diesem schrecklichen Sommer noch ein­mal dorthin zu fahren. Hin und wieder hatte sie Tante Mildred angerufen oder hatte ihr eine Karte zum Geburtstag geschickt, aber das Haus hatte sie gemieden. Vor allem wollte sie Cathleen nicht be­gegnen.

Was sollte sie tun? Marjorie begann, sich abzuschminken. Normalerweise hatte sie das Make-up mit wenigen raschen Handgriffen entfernt, ihr langes, blondes Haar zu einem lockeren Pferde­schwanz zusammengebunden und das Nachthemd überge­streift. Heute Abend dauerte das unendlich lange. Sie griff nach dem Cremetiegel, tupfte etwas Creme auf die Wangen und verteilte sie im Gesicht. Als sie den Tiegel zurückstellen wollte, rutschte er ihr aus der Hand und fiel auf den gekachelten Bo­den. Der Aufprall war so stark, dass das Glas zer­brach. Erschrocken bückte sie sich, um die Scherben einzusammeln. Dabei griff sie in die Spitze eines Glasstückes. Sofort quoll Blut aus ihrem Finger. Sie hob den Finger und dabei tropfte das Blut auf ihr weißes Nachthemd.

Fasziniert starrte sie auf die Flecken, die sich in Bruchteilen von Sekunden ausbreiteten. Das Blut saugte sich in den weichen Flanell-Stoff, und aus den fingernagelgroßen Flecken wurden Flecken so groß wie Münzen. Marjorie war wie gelähmt.

Anstatt aufzustehen und den blutenden Finger ins Waschbecken zu halten, blieb sie sitzen und griff in ihrer Panik mit der blutenden Hand in den Stoff. Auf dem Nachthemd zeichnete sich ein bluti­ges Gemälde aus Flecken und Strichen in verschiedenen Rottönen ab. Marjorie atmete schwer. Aus der Tiefe ihres Unbewussten kroch eine Erinnerung her­vor, die sie in Angst und Schrecken versetzte.

»Nein, bitte nicht!«, flüsterte Marjorie und rang nach Luft. Sie legte die linke Hand auf die Brust und versuchte, ihr wild klopfendes Herz zu beruhigen. Sie atmete tief durch und allmählich schlug ihr Herz wieder normal.

Sie stand auf und hielt den Finger unter den Wasserhahn. Dann öffnete sie mit der linken Hand den Spiegelschrank und zog einen Verband aus dem unteren Fach. Sie schaffte es, sich die Mullbinde um den Finger zu wickeln.

Dann zog sie sich das Nachthemd über den Kopf und hielt es unter das fließende Wasser.

Sie sah zu, wie das bräunlich gefärbte Wasser im Abguss verschwand. Dann hängte sie das Hemd über die Duschstange und holte eine Kehrschaufel.

Wie hatte sie so unvorsichtig sein können, die Scherben mit der Hand aufzusammeln? Das Blut hatte sie so in Aufregung versetzt, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Kopfschüttelnd kehrte sie die herumliegenden Teile zusammen und schüttete sie in den Abfalleimer. Dann zog sie ein frisches Nachthemd an und ging zu Bett.

Aber sie konnte keinen Schlaf finden. Immer wieder sah sie vor ihrem geistigen Auge das Blut auf ihr Nachthemd tröpfeln. Sie stellte sich vor, wie das Blut von der Decke und den Wänden tropfte. Auf dem Fußboden bildeten sich Lachen aus Blut, sie verbanden sich zu kleinen Seen, bis schließ­lich der ganze Boden mit Blut überschwemmt war. Sie konnte sich nicht gegen die Bilder wehren, die aus ihrem Unbewussten nach oben drängten. Irgend­wann fiel sie in einen unruhigen Schlaf.