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Faszinierend, wie leicht man zum Opfer, aber auch zum Täter werden kann. Fürchterlich gut und schrecklich spannend - der kurzweilige Spaß für Liebhaber kleiner aber feiner Krimi-Stories der etwas anderen Art. Dreizehn knallharte Krimis voll schwarzem Humor fügen sich wie eine Perlenkette aneinander, ohne sich zu berühren: Ob "29 auf einen Streich - oder Corona machts möglich"; "Der Küchenschlacht-Mörder - oder zu viel ist zu viel"; oder "Noch einen perfekten Mord - oder ein fast ganz normales Leben" - Überraschung und Spannung sind garantiert.
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Seitenzahl: 224
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Dieses Buch möchte ich allen Krimi-Liebhaber/innen, ganz besonders aber meiner lieben Freundin Ina Bauss aus Kaltenlengsfeld in der thüringischen Rhön widmen.
Einführung
Vorwort von Albert Camus
Das Geheimnis der Orangerie oder Kalk aus Fuerteventura
Noch einen … perfekten Mord oder Ein fast ganz normales Leben
29 auf einen Streich! oder Corona macht's möglich … irgendwo im Elsass, April 2020
Die vergessene Leiche oder Warum erst jetzt?
Die vergessene Leiche Teil II oder Der unmögliche Mord
Holz vor der Hütten oder Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben …
COVID 9 oder Covid 10?
Der elektrische Rollstuhl oder Eine fast wahre Geschichte
Der Küchenschlacht-Mörder oder Zu viel ist zu viel!
Mord nach Rezept oder Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde …
Schluss mit Freundschaft oder
Damals …
Alles hat ein Ende … nur die Wurst hat zwei!
Nachwort von Albert Camus
Für jeden Tag im Monat eine neue Geschichte. Nicht nur zum Fürchten - aber auch. Nicht nur zum Schmunzeln - aber auch. Vor allem nicht zum Nachahmen, auf gar keinen Fall!!!
Und genau deswegen wurden es keine einunddreissig. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, und auch die ist spannend und als letzte in diesem Band zu finden.
So wie alle anderen, spritzig und lebendig. Jede regt zum Nachdenken an und ist menschlich, tief und einfühlsam. Der schwarze Humor ist nicht der von Roald Dahl, sondern der von Karin Bohr-Jankowski. Eine gelungene Mischung aus deutschem, französischem und belgisch-luxemburgischem Flair. Regional und kosmopolitisch zugleich.
Faszinierend, wie leicht man zum Opfer, aber auch zum Täter werden kann. Der Stoff liegt auf der Strasse und würde auch reichen, ein Buch mit 366 Geschichten zu füllen …
In diesem Sinne wünsche ich euch viel Spass beim Lesen und - immer schön aufpassen: Ihr könntet gerade eurem Mörder begegnet sein, oder euer nächstes Opfer gefunden haben!
Karin Bohr-Jankowski, Bourbévelle, Franche-Comté und Kaltennordheim, Rhön, im Herbst 2020
aus
Der Fall
(in der Übersetzung von Guido Meister 1997)
«Wenn die Zuhälter und Diebe
immer
und überall verurteilt würden,
hielten sich ja alle rechtschaffenen Leute
ständig für unschuldig!
Und
meiner Meinung nach
muss gerade das
verhindert
werden.»
„Krass, ich glaube, ich hab' mir gerade die Fusssohlen verbrannt. Da muss man echt aufpassen … Der Sand ist ja glühend heiß“.
„Ich wusste doch, dass das die richtige Entscheidung war. Im Frühjahr muss man einfach auf die Kanaren, um Sonne satt zu kriegen. Und nicht warten, bis sie endlich mal zu uns nach Luxemburg kommt.“
Ingrid und André waren begeistert. In aller Herrgotts-frühe hatten sie sich aufgemacht, um die Frühmaschine nach Fuerteventura zu besteigen. Es war der erste gemein-same Urlaub nach dem Hauskauf. Und der lag nun auch schon fast fünf Jahre zurück. Sie wussten damals genau, dass das Anwesen zwischen Ardennen und Eifel eigentlich für sie ein paar Nummern zu gross war. Nicht nur, was das Finanzielle betraf. Aber schliesslich hatten sie ja beide ihre festen Jobs. Und die waren nicht schlampig: André, als Direktor bei der Europäischen Investitionsbank, wusste in Sachen Kredit und Anlagen immer bestens Bescheid, und Ingrid, als Notarin in der Hauptstadt des Grossherzogtums, zählte so einige der Privatbanken und Versicherungen auf dem Plâteau Kirchberg zu ihren Stammkunden. Und überhaupt. Geld zu leihen war momentan das Beste, was man machen konnte ...
Es war halt Liebe auf den ersten Blick gewesen: genau wie bei ihnen damals, als sie sich nach der Oper im Foyer in die Arme liefen. Nur, dass es sich hier um eines der schönsten Anwesen im ganzen Kanton Clerf handelte. Unweit der belgisch-deutschen Grenze, auf fast 600m Höhe, ein vollkommen renoviertes Herrenhaus, mit Erker und Türmchen, wie im Bilderbuch. Stallungen für Pferde und Kühe. Aber das Tollste war die Orangerie. Ein historischer Wintergarten aus dem 18. Jahrhundert, den die Vorbesitzer ganz im alten Stil revitalisiert, und ihnen inclusive Zitrus-, Orangen-, Oliven-, Granatäpfel-, Lorbeerbäumen und sogar ein paar Palmen, verkauft hatten.
„Ich fühle mich hier auf Fuerte wie zu Hause, André. Schau dir mal die Pflanzen an. Die wachsen hier ganz wild, statt wie bei uns in der Orangerie … ganz ohne Glasscheiben und Heizung. Was für eine Pracht ...“.
Ingrid bückte sich voller Begeisterung über die Zitronen- und Orangenblüten. Aber André hatte keine Lust auf Vegetaion.
„Komm, lass uns schwimmen gehen. Wir erkunden die Anlage später. Ich hab Lust auf Meer ...“. Und damit schaute er ihr nicht nur in die Augen.
* * *
Fabienne und Pierre waren beide leidenschaftliche Surfer. Deswegen und wegen der kilometerlangen weissen Strände hatte er wieder Fuerteventura gebucht. Pierre kannte die Insel wie seine Hosentasche. Er war schon mit vielen Frauen hier gewesen, aber mit Fabienne zum ersten Mal. Er hatte sie im Fitnessstudio, ganz in der Nähe vom Leopoldspark, kennengelernt. Klasse durchtrainierte Figur, genau wie er. Lustig und aufgeschlossen. Sie kamen damals schnell ins Gespräch und hatten viele Gemeinsamkeiten. Sie arbeitete als Dolmetscherin im Europäischen Parlament und er, als einer der zahlreichen Lobbyisten, für einen grossen deutschen Autobauer.
„Wenn ich auf Fuerteventura bin, Fabienne, möchte ich am liebsten nie wieder zurück nach Brüssel. Mein Traum ist es, von hier aus arbeiten zu können. Und du? Könntest du dir nicht doch so ein Leben als Surfnomade vorstellen?“
Aber DIE Antwort kannte er bereits. Von der Arbeitszeit her könnte sie es sich sogar noch besser einteilen als er. Als freie Dolmetscherin konnte sie sich die Monate aussuchen, wann sie wo arbeiten wollte. Aber sie brauchte das Geld und wollte unabhängig bleiben. Auch unabhängig von seinem Geld. Als Lobbyist verdiente er zwar hervorragend, musste aber viel mehr dort Präsenz zeigen, wo die europäischen Regeln und Gesetze erarbeitet und verabschiedet wurden. Und das war vor allem Brüssel, manchmal Luxemburg und einmal im Monat auch Strassburg. Da reichte es nicht, eine gute WLAN Verbindung dorthin zu haben; da musste er sich physisch zeigen. Und sich nicht in Fuerte zwischen Chat und Barrel in die nächste Dünung stürzen.
„Sollen wir heute Abend nach Puerto de Rosario reinfahren oder hier in der Nähe in einem der kleinen Dörfchen bleiben? Ich hab keine Lust, im Hotel zu essen ...“.
Fabienne merkte sofort, dass Pierre keine gute Laune mehr hatte. Aber sie konnte ja nicht nur ihm zuliebe sagen, dass sie sich ein Leben mit Surfen als Mittelpunkt vorstellen konnte. Genauso wie Sport für sie eigentlich okay war, aber nicht mehr. Nicht wie bei Pierre, der jeden Abend in die Muckibude ging und seinen Körper sicherlich mehr liebte als ihren. Das und noch mehr wollte sie in diesem Urlaub herausfinden. Vielleicht wäre es also das Beste, sich in den Trubel der Hauptstadt zu stürzen und, warum nicht, ein paar nette Leute kennenlernen.
* * *
„Phantastisch, wie warm es noch ist, obwohl wir schon nach 20 Uhr haben ...“
Ingrid kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus. Vor dem Abendessen wollten sie noch über die berühmte Calle León y Castillo schlendern.
André, mit Blick in sein Smartphone, las ihr aus einem der vielen Reiseführer vor, die er alle nicht kaufen wollte. Unermüdlich dozierte er, was SIE doch unbedingt alles über Fuerteventura wissen sollte:
„Ursprünglich war Puerto del Rosario ein kleines Bauerndorf. Als dann eine patente Frau eine Bar für die vorbeiziehenden Hirten eröffnete, war die Siedlung bald unter dem Namen „Ziegenhafen“ bekannt. Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Puerto del Rosario durch die Verschiffung von gebranntem Kalk und dem in der Region gewonnenen Farbstoff Karmin zu einer wohlhabenden Hafenstadt und löste 1860 die bisherige Inselhauptstadt Betancuria ab...“
… hättest du das gedacht?“
Da Ingrid sich lieber die Schaufensterauslage der Perfumeria Cala anschaute, stellte er sich neben sie und las weiter:
„Wichtige religiöse Feste in Puerto del Rosario sind die Karwoche vor Ostern, in der große Prozessionen durch die Straßen ziehen, und die „Fiesta de la Virgen del Rosario“ ...
Und jetzt hatte er endlich ihre volle Aufmerksamkeit:
„Das ist ja wunderbar! Dann können wir uns das doch nächste Woche anschauen gehen ...“.
Aber eine „Fiesta de la Virgen“ war nun wieder nicht so sein Ding!
Plötzlich hörten sie von irgendwoher deutsche Klänge, als würde jemand etwas vorlesen. Sie schauten nach rechts und links und merkten, dass alle Bänke auf der Flaniermeile besetzt waren. Auf einer, ganz in ihrer Nähe, sass ein Pärchen mittleren Alters, und eine Frau rezitierte voller Begeisterung aus einem Reiseführer:
„In Fuerteventuras Hauptstadt gibt es zahlreiche Restaurants, in denen vor allem Einheimische essen gehen und wo du ein besonders authentisches Flair genießt. Zu den Insidertipps in Puerto del Rosario gehört das Bar-Restaurant „El Naufragio“, dessen Interieur überwiegend aus der an der Küste von Fuerteventura gestrandeten „American Star“ stammt. Auch das „El Congrejo colorao“ darf bei den besten Restauranttipps für Puerto del Rosario nicht fehlen. „Der bunte Krebs“ liegt etwas versteckt in Hafennähe und ist wegen der guten und preiswerten Fischgerichte beliebt...“.
„Entschuldigen Sie, wenn wir Sie so einfach ansprechen. Aber wir sind auch Deutsche und zum ersten Mal auf Fuerteventura ... Wir kennen uns leider überhaupt nicht aus und suchen auch ein Restaurant …, so eins mit Landesspezialitäten ...“.
Es war Ingrid, die als erste auf die andere Frau zugegangen war und nun weitersprach.
„Wir wollen wirklich nicht stören, aber wenn Sie uns einen Tip geben könnten, wären wir sehr dankbar ...“.
„Also Ingrid, lass doch die Leute ...“.
André, der im Ausland immer lieber einen grossen Bogen um andere Deutsche machte, war die Situation eher peinlich. Aber schon war Pierre aufgesprungen und bereit, den armen verlorenen Touristen einen Teil seines Wissens über Fuerteventura darzubieten.
„Aber im Gegenteil … es ist uns eine besondere Freude. Meine Frau wollte im Reiseführer nur schnell den genauen Namen überprüfen. Sie ist nämlich auch zum ersten Mal auf Fuerte. Ich bin hier schon ganz oft gewesen. Aber ich kenne die Restaurants in Jandia, Cotillo und Carralejo viel besser. Die sind auch viel typischer ...“
Jetzt war es Fabienne, die sich langsam von der Parkbank erhob und Ingrid mit einem bezaubernden Lächeln vorschlug:
„Warum gehen wir denn nicht alle zusammen in den „Congrejo colorao“, oder wie wird „Der bunte Krebs“ richtig ausgesprochen?“
Statt seine sprachgewandte Frau zu verbessern, nickte Pierre begeistert, und die schlechte Laune war vorbei.
* * *
Die zwei Frauen verstanden sich von Anfang an und amüsierten sich wie Kinder. Wo André und Pierre noch beim sich gegenseitig Beschnüffeln waren, bestellten sie schon einen Apéritif und blätterten vergnügt in der Speisekarte.
„Wahnsinn. Das ist ja alles genau wie's hier steht. Hört mal zu:
… Unbedingt probieren muss man die in der Schale gekochten Runzelkartoffeln „papas arrugadas“. Sie werden in Mojo getunkt, den typisch kanarischen Dip auf Chili-Basis. Eine weitere Delikatesse ist der Ziegenkäse „Majorero“, der nur auf Fuerteventura hergestellt wird und über eine geschützte Herkunftsbezeichnung verfügt ...und am besten schmecken diese auf der überdachten Terrasse mit Meerblick.
… und wo sitzen wir? Auf der überdachten Terrasse mit Meerblick!
WUNDERBAR.“
Nachdem die Männer endlich auch die Formalitäten wie Beruf, Alter, Nationalität und vielleicht sogar noch mehr abgeglichen hatten, waren auch Pierre und André bereit, sich in den gemütlichen Teil des Abends fallen zu lassen.
„Unglaublich, dass wir Vier so viele Gemeinsamkeiten haben. Wir sprechen deutsch, leben aber nicht in Deutschland. Wir sind zwar dort geboren, aber arbeiten alle irgendwie in Verbindung zu Europa. Und überhaupt...“
André kam aus dem Schwelgen gar nicht mehr raus. Und nach der dritten Flasche Wein war für ihn nur noch eine Frage offen:
„Jetzt sagt bloss, dass ihr auch noch begeisterte Surfer seid ...“
„Das ist doch der helle Wahnsinn! Wie kann es nur sein, dass WIR uns noch nicht früher begegnet sind? Das muss doch gefeiert werden. Herr Ober – noch ne Flasche von Ihrem Roten, bitte - und morgen, morgen stürzen wir uns zusammen in die Reefbreaks an der North shore, die haben jede Menge Wumms – so steht es sogar in den Reiseführern, gell, Fabienne?“
* * *
Die nächsten Tage verliefen im Rhythmus: Spätes Frühstück, wenn möglich zusammen in einer der vielen Bodegas am Strand, Surfen je nach Wind und Wellengang, aber eigentlich war der Swell ihnen immer gewogen, und gemeinsame feuchtfröhliche Abendessen in den kleinen Fischerdörfern rund um ihre jeweiligen Hotels.
„Das müssen wir beim nächsten Mal noch besser hinkriegen. Hätte doch auch noch passen können, das selbe Hotel zu haben...“
Sie fühlten sich immer wohler zusammen. Als würden sie sich schon jahrelang kennen. Sie sprachen über Vorlieben und Gewohnheiten. Sie rollten ihr Leben voreinander aus wie Teppichhändler. Ohne Scheu, aber auch ohne Scham. Pierre und André mehr als Fabienne und Ingrid. Die beiden schauten sich nur immer tiefer in die Augen und fingen an, sich nicht nur über IHRE Männer zu amüsieren.
Wenn Pierre André fragte: „Liebst du es auch, ohne Neoprenanzug in die Wellen zu gehen und nichts zu spüren zwischen dir und dem Meer ….“ dann hoben die beiden vielsagend ihr Glas und prosteten sich zu.
Es ist schwer zu sagen, wann die Vertraulichkeiten intim wurden. So intim, dass André sogar die letzten Hemmungen verlor und bereit war, mit den neuen Freunden das Geheimnis der Orangerie zu teilen.
„Wisst ihr, wir haben dieses phantastische Anwesen vor sechs Jahren rein zufällig entdeckt. Wir kannten diese Ecke von Luxemburg ja vorher überhaupt nicht. Du warst beim ersten Mal gar nicht dabei. Kannst du dich noch erinnern, Spatz? Ich war doch dienstlich im Auftrag der EIB in Vianden, dieses Treffen mit den internationalen Geldgebern, es ging um dieses Wahnsinns Wasserkraftwerk, das grösste Europas. Und da war ein Empfang genau in diesem Herrenhaus. Ich konnte mich kaum noch auf die Arbeit konzentrieren. Stellt euch mal vor ... aber das ist unmöglich … ich sag nur, so was gibt es noch nicht mal im Film. Ich erfahre von der Managerin der Konferenz, dass das ganze Anwesen, so wie ich es gerade sehen würde, zum Verkauf stünde. Und zu einem Preis – ich sag euch – zu einem Preis … Okay, es war nicht wenig. Aber es ist ja auch fast ein Schloss, mit Parkanlagen, Ställen und, ja, haltet euch fest - jetzt kommts: Einer Orangerie … einer Bilderbuch-Orangerie … wie aus dem Barock!“
André, der seinen Redefluss eigentlich nur kurz unterbrechen wollte, um sein Glas zu füllen, hielt erstaunt inne. Beim Kerzenschein auf ihrer Lieblingsterrasse mit Meerblick hatte er nicht gemerkt, dass seine Zuhörer ihm nicht wie erhofft gebannt lauschten, sondern seine Ingrid ihn wütend anblitzte, Pierre schockiert dreinschaute und Fabienne eindeutig gelangweilt.
„Äh, sorry, dass ich den Rest ausgetrunken habe, soll ich noch ne Flasche bestellen, oder wollt ihr nichts mehr trinken?“
Pierre reagierte als erster, nickte ihm zu und stürzte sich hustend und prustend Richtung Toiletten. Fabienne steckte sich nonchalant einen Zigarillo an und meinte mit einem aufmunternden Lächeln Richtung Ingrid, sie habe schon noch Lust auf MEHR ... Wein, und vor allem ein Dessert.
Ingrid nickte ihr kämpferisch zu, denn genau in diesem Moment wollte sie ihr Bein ausstrecken, um André unter dem Tisch einen Tritt in die Eier zu verpassen. Sie hasste es, wenn er sie Spatz nannte, und er hatte das schon lange nicht mehr gewagt. Schade, dass er ausgerechnet jetzt und hier, bei neuen Freunden, in seine alten Macho Muster zurückverfiel. Sie war nie sein Spatz. Wie auch? Mit 80kg auf 1m65 … Nicht gerade ein Spatzengewicht. Aber trotzdem war sie athletischer und sportlicher als er. Und nicht nur auf dem Surfbrett.
* * *
Pierre liess sich das kalte Wasser über die Handgelenke laufen und klatschte sich noch eine Handvoll ins Gesicht. Das konnte doch alles kein Zufall mehr sein … Wie war das nur möglich? Er hatte sofort bei der Beschreibung das Anwesen wiedererkannt. Ihm war auch klar, wieso André ihn nicht als den früheren Besitzer erkennen konnte. Das Anwesen war ja auf den Namen seiner damaligen Lebens-gefährtin, Isabella Ragnieri, gelaufen, und nicht auf André Walz. Klar, ihr Büro hatte damals die Konferenzen organisiert. Wahnsinn. Gut, dass er genau im richtigen Moment den Hustenanfall vorgetäuscht und die Flucht ergriffen hatte. Wie sollte er sich nur verhalten, wenn André weiter von der Orangerie erzählen würde? Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was jetzt kommen musste … Fabienne hatte ja Gott sei Dank überhaupt keine Ahnung. Gut so. Und sie brauchte auch nichts zu erfahren. Nichts von dem Verkauf damals. Nichts von der ganzen Geschichte drum herum und schon mal gar nichts von der Leiche in der Orangerie.
Er musste unbedingt zurück an den Tisch. So tun, als sei alles okay, und hören, wie die Geschichte von André weiterging. Vielleicht hatte er ja noch gar nichts bemerkt … So dröge wie der tickte!
Mit einer über Jahrzehnte eingeübten Unschuldsmiene und einer neuen Flasche Listàn Negro kam er an den Tisch zurück und meinte:
„Ich hab einfach zu schnell gegessen und mich so was von verschluckt … oh, wie ich sehe, sind die Mädchen schon weg, oder was ist los?“
„Nein, nein alles unter Kontrolle, die beiden sind runter zum Strand und führen sicher ein typisches Frauengespräch – mach dir keine Sorgen - lass uns mal anstossen – salud, auf uns Männer!“
André, der heute schon früher als üblich an seinem Alkohol-Limit gestrandet war, beugte sich zu Pierre und flüsterte ihm ins Ohr.
„... ich erzähl dir noch schnell was Tolles, bevor die Chicks wieder auftauchen. Diese vollbusige Blondine, die von der Geberkonferenz, hahaha, das ist ein Guter, „Geberkonferenz“, die hab ich so was von vernascht an dem besagten Abend. Ging ganz einfach. Genau wie du gerade. Deshalb hab ich dran gedacht. Ich hatte mich auch rausgeschlichen, auf die Herrentoilette. Und die ist glatt mit … die wollte es, die war richtig scharf drauf. Und dann hab ich's ihr besorgt, so richtig hart. Ich sag dir, da ging die Post ab … pscht, die Weiber sind im Anmarsch...„
„Geht's wieder, Schatz, oder sollen wir nicht doch lieber nach Hause ...“.
Pierre schaute benommen zu Fabienne auf, die im Kerzenschein neben ihm noch verführerischer aussah, als bei Tageslicht. Aber … was war das denn? Nein, unmöglich, oder? War das etwa Lippenstift ... an ihrem Hals?
Und Ingrid, die sich gerade etwas zu eng an seine Frau schmiegte, ihr verwegen den Rauch ihres Zigarillos ins Gesicht blies, bevor sie sich neben ihn auf die Bank fallen liess. Was ging denn HIER ab?
„Schenkt uns doch mal nach, oder ist das 'ne Herrenflasche? Dann bestellen wir uns aber auch noch eine, oder, Fabienne? Und was haben wir sonst noch so verpasst? Hast du Pierre schon weitererzählt? Das mit dem Geruch in der Orangerie?“
„Äh … ja … das mit dem Geruch, Spatzi, das wollte ich natürlich nicht ohne dich erzählen. Wo soll ich da am besten anfangen? Das ist nämlich echt komisch. Ein Rätsel. Jeder vernünftige Mensch würde jetzt sicherlich sagen, dass es ja total normal ist, dass es in einer Orangerie duftet. Aber bei uns müffelt es; es riecht einfach nicht gut, ja man könnte sogar sagen, es stinkt. Nicht überall. Aber an einer ganz bestimmten Stelle...“
Er schaute fragend zu Ingrid, die ihm aufmunternd zunickte, griff zu seinem Glas und leerte es in einem Zug. Mit schwerer Zunge verkündete er seine für diesen Abend letzte Weisheit:
„Am besten kommt ihr Beiden uns einfach mal besuchen ...“.
* * *
Also doch. Der Geruch hatte sich nach all den Jahren immer noch nicht verzogen. Es war von Anfang an eine scheiss Idee gewesen, bei den Renovierungsarbeiten die Leiche ausgerechnet in der Orangerie verschwinden zu lassen. Aber nein, Isabella wollte ja damals nicht auf ihn hören. Scheisse. Scheisse. Scheisse. Jetzt hatte er WIEDER alles an der Backe. Genau wie damals. Sie hatten zwar gemeinsam die Idee, Onkel Jakob früher, als der vorhatte, ins Jenseits zu befördern, um endlich an das Geld zu kommen, das ihr ja nach seinem Tod eh zugefallen wäre. Aber Geduld war nicht ihre Stärke, und Onkel Jakob fit wie Turnschuh. Der wäre locker 100 Jahre alt geworden. Und wovon, bitte schön, hätten sie bis dahin leben sollen? Nein, das mit dem Rattengift war eine gute Idee gewesen. War ja auch seine. Und obwohl das Zeug schon so alt war, hatte es noch gut gewirkt. Na ja, der Anblick, bis der Alte endlich krepiert war .... aber immerhin für eine gute Sache. Dass seine Ex dann auf dieser tollen Geberkonferenz so schnell ein passendes Opfer für den Verkauf ausgespäht hatte, war doch auch wieder ein Glückstreffer. Und ihre Verführungskünste kannte er ja selbst am besten. Dass er nach so viel Jahren ausgerechnet genau diesen Typ treffen sollte … auf Fuerteventura … was für eine Ironie des Schicksals war das denn? Eigentlich schade, dass sie sich damals getrennt hatten, nach dem Verkauf, und jeder mit seiner Hälfte ein neues Leben angefangen hatte. Wo Isabella jetzt wohl sein würde? Südamerika war immer ihr Traum gewesen … Aber ein Leben mit so einer Sado-Maso-Nymphomanin war sogar ihm auf Dauer zu anstrengend. Trotzdem kam etwas Wehmut bei ihm auf … aber dafür war jetzt keine Zeit. Er musste eine Entscheidung treffen: Er konnte auf keinen Fall diese Einladung annehmen. Niemand durfte ihn mehr mit diesem Anwesen in Verbindung bringen. Und SO nett waren die beiden ja auch wieder nicht. Typische Ferienbekanntschaft … und die lässt man halt auslaufen. Warum musste ausgerechnet Fabienne jetzt so Druck machen, die beiden so schnell wie möglich in diesem scheiss Schlösschen zu besuchen ...?
* * *
Ingrid und Fabienne hatten es sich nicht leicht gemacht. Viel überlegt, diskutiert und recherchiert. Allein auf die Frage „wo“ gab es mehrere Antworten: Warum nicht schon auf den Kanaren? Warum nicht bei ihrem Lieblingssport, dem Surfen?
In der deutschen Zeitschrift für Sportmedizin fanden sie dann einen Beitrag der Wissenschaftler Dau, Dingerkus und Lorenz, die aufgrund einer retrospektiven Untersuchung zu dem Schluss kamen, dass es beim Wellenreiten am häufigsten zu Verletzungen der unteren Extremitäten (44,6 %) und des Kopfes (27,8 %) kam. Im Hinblick auf die erlittenen Verletzungsarten dominierten wohl eindeutig Schnittverletzungen (37,4 %). Und auf Frakturen kamen tatsächlich nur 7,6 %. Gut, dass sie sich vorher schlau gemcht hatten. Was war noch zu beachten? Die Verletzungen gingen in den meisten Fällen auf eine Kollision mit dem eigenen Surfboard (52,4 %) zurück, das liesse sich ja einrichten, wobei die Finne insgesamt 51,1 % auf das Wellenreiten bezogenen Verletzungen verursachte.
Damit konnte man doch arbeiten!
Sie hatten es eigentlich als Paket geplant. Im Sinne von: Die Beiden zusammen zu entsorgen. Aber da kam der Unfall von André's Mutter in Köln dazwischen, und die Drei liessen ihn, zusammen mit ihrem tiefsten Mitgefühl, eine Woche vor Ferienende alleine zurückfliegen. André war es wichtig, dass sein Spatz sich doch nicht die wohlverdienten Ferien wegen ihrer Schwiegermutter versauen sollte. Wo er doch schon alles so schön eingefädelt hatte und seine schnuckelige Sekretärin ihn vom Flugplatz abholte.
Mit Pierre alleine war es dann ein Kinderspiel. Sie wussten, wie wenig er sich ihrer gemeinsamen Reize wehren konnte. Und es war wunderbarstes Fuerteventura Wetter, mit noch mehr Wind als sonst schon und Bedingungen, wie im Reiseführer beschrieben: Reefbreaks an der North shore, mit jeder Menge Wumms. Und Ingrid und Fabienne in ihren knappsten Bikinis, und, genau wie ihre Männer es doch so liebten „ ... ganz ohne Neoprenanzug in die Wellen zu gehen und nichts zu spüren zwischen dir und dem Meer“.
Darauf, was eine Frau so alles unter ihrer Bandana verstecken konnte, wäre Pierre nie gekommen. Die Einstichstelle für das Insulin hätten sie eigentlich nicht am Fuss lassen können - jeder halbwegs taugliche Pathologe hätte sie gefunden – aber dafür hatte Ingrid ja das kleine Skalpell dabei … Wie war das nochmal: Schnittverletzungen 37,4 %, in Verbindung mit der Finne insgesamt 51,1 %, und was die unteren Extremitäten betraf: 44,6 % .
Als die beiden eine Woche nach dem tragischen Unfall von Pierre Walz auf Fuerteventura den Abschlussbericht und eine Urne in Empfang nahmen, bestätigte auch dieser Surfunfall die Statistik der Wissenschaftler Dau, Dingerkus und Lorenz.
Oder, wie der Lateiner sagen würde: Quod erat demonstrandum.
Epilog I
Obwohl man ja landläufig gerne mal behauptet, die Zeit heile alle Wunden, fühlte sich nach knapp einem Jahr immer noch etwas falsch an. Und als Fabienne mal wieder, wie so oft nach dem schrecklichen Unfall von Pierre, ein langes Wochende auf dem Anwesen von Ingrid und André verbrachte, spielten das Schicksal und der Zufall ihnen das in die Hände, was ihnen zum Paradies auf Erden noch gefehlt hatte. Man muss halt nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.
Und das galt nicht nur für Fabienne, sondern auch für André, der ausnahmsweise an diesem Wochende keine „Überstunden“ im Büro oder sonst wie geartete „ausser-ordentliche“ Konferenzen im europäischen Ausland vorgegeben hatte.
Und da Pierre ja das Geheimnis der Orangerie mit ins Grab, oder genauer gesagt ins Wasser genommen hatte, war da auch nach einem Jahr niemand, der ihnen hätte erklären können, wieso es an einem so wunderbaren Ort mit so vielen exquisit riechenden Pflanzen an einer Stelle weiterhin - bestialisch stank.
„André, du hast doch immer gesagt, dass es auch was mit dem Abzug dieses uralten Holzofens im Gewächshaus zu tun haben könnte, oder? Der zieht jetzt immer schlechter, und vielleicht sollte doch mal jemand kommen und sich das Zwischengeschoss genauer ansehen. Vielleicht sind es ja auch nur ein paar tote Viecher, die da schon seit Ewigkeiten liegen. Lass uns das doch mal von einem richtigen Fachmann prüfen ...“.
Sie kannte ihn so gut. Und hatte die Worte ganz präzise gewählt. Jedes einzelne:
Klar hatte er es schon immer gewusst! Und für so einen Pipifax, wie einfach mit der Leiter ins Zwischengeschoss zu klettern und sich umzuschauen, brauchte es doch keinen anderen Fachmann – ausser ihm. Und dafür auch noch Geld auszugeben, verrückt. Typisch Ingrid – Spatzenhirn!
* * *
Es war schon wieder so einfach. Und dieses Mal ganz ohne Spezialrecherche. Fabienne hatte solides Insider-Wissen, ihr Vater war Heizungsingenieur gewesen und Kohlenmonoxidprävention ein Steckenpferd von ihm. Sie hatten schon seit langem Vorkehrungen getroffen, den alten Ofen so manipuliert, dass sie eine Konzentration von 6.000ppm erreichen konnten, was in etwa 0,6% Kohlenstoffmonoxid in der Atemluft entspricht, und damit nach 10 Minuten zum Tod führte. Bei einer Konzentrationen von 30.000ppm wäre er schon nach zwei Minuten tot gewesen, aber das hatten sie nicht geschafft.
Ob nun 2 oder 10 Minuten lang die Klappe zum Zwischengeschoss zuzuhalten, war doch auch kein Problem. In voller Lautstärke brüllte Till Lindemans:
Du … Du hast … Du hast mich … Du hast mich gefragt … Du hast mich gefragt und ich hab nichts gesagt!
Epilog II
André blieb auf mysteriöse Weise verschollen. Ingrid und Fabienne hatten die Leiche mit einer Schicht des berühmten Kalks aus Fuerteventura nach altbewährter Art präpariert, und jedes Jahr kamen ein paar Liter Lavendelessenz aus eigenem Anbau dazu ….
Jetzt roch es endlich wie in einer Orangerie.
Vielleicht würden sie ja nach 10 Jahren Wertsteigerung und Verschollenengesetz doch das Anwesen verkaufen und ganz in den in den Süden ziehen.
Er hatte sich früh darauf spezialisiert: