Mord in Hamburgs Hafen-City - Palomino Bush - E-Book

Mord in Hamburgs Hafen-City E-Book

Palomino Bush

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Beschreibung

Die zielstrebige Gymnasiastin Jennifer aus Hamburg-Altona träumt von einer einträglichen Karriere als Investmentbankerin und von einer schönen Wohnung in Hamburgs neuer Hafen-City. Als sie eines Tages von ständiger Müdigkeit und Unterleibsschmerzen heimgesucht wird, bemerkt sie, dass sie des Nachts offenbar Aktivitäten nachgeht, an die sie sich tagsüber nicht mehr erinnern kann. Mit Hilfe eines Tonband-Gerätes versucht die Achtzehnjährige, hinter dieses Geheimnis zu kommen. Was sie herausfindet, ist schockierend: Längst wohnt sie offenbar schon in der Hafen-City, aber mit einem Mann, der sie mittels Mind Control fremdbestimmt. Als sie ihren Peiniger in einem Moment wiedererlangter Selbstbestimmtheit ins Koma prügelt, beginnt ein spannender Erotikthriller.

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Seitenzahl: 209

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhaltsverzeichnis

Mord in Hamburgs Hafen-CityNachts am Ufer der Hafen-CityDer "Quallen-Hans" aus AltonaKein Geschlechtsverkehr vor 18!Das Wetttauchen in der ElbeTod im HafenbeckenJennifers geschwollener AnusJenny wird von "Quallen-Hans" ferngesteuertZeitdiebstahlDas Mind Control-MedaillonEreignisse im Mädchen-KloDie geheime Hütte im WaldVerführung im KrankenhausSchmerzhafte Gedanken an MarionEr spürte ihre einladende Feuchte"Mord, Jennifer?"Hans erwacht aus dem KomaPistole an der SchläfeGefangen im KäfigÜberall SpinnenJenny versucht zu fliehenMord am "Quallen-Hans"MärchenlandGruppensex mit der "Königin" von HamburgDer böse Traum ist ausgeträumt!Impressum

Mord in Hamburgs Hafen-City

Palomino Bush

Copyright 2015 durch Palomino Bush, King of Prussia, Pennsylvania, USA. Alle Rechte vorbehalten!

Nachts am Ufer der Hafen-City

Nachts am Ufer der Hafen-City

Bei Nacht ähnelt die Elbe außerhalb der Millionenstadt Hamburg, nördlich von Blankenese, fast einem schwarzen Spiegel. Ihre Tiefen sind unergründbar; auf den sich leicht kräuselnden im Winde Wellen tanzt der Mond, bis sich eine Wolke vor ihn schiebt. Die Bäume in den Gärten der Millionärsvillen von Blankenese reichen bis ans Ufer und strecken ihre Äste hinaus über das Wasser. Die Stille ringsum wird nur hin und wieder vom leichten Rascheln der Blätter oder dem Schrei einer Eule gebrochen. Fast schon unheimlich erheben sich hier die Hügel mit den gepflegten Anwesen über den Fluss. Im Nordosten bildet der Fluss eine Bucht, die von dem noblen Blankenese nicht einzusehen ist. Der Wald ist hier weniger dicht bewachsen. Eine Lichtung würde diesen Ort zur idealen Badestelle machen, wäre das Ufer nicht gerade hier sumpfig und verschilft. So aber ziehen die Hamburger Familien an Sommernachmittagen den dichter an der Stadt gelegenen „Strand" im Norden der Hafen-City vor – die Sandigkeit dieses Strandes ist sicherlich eher auf die Zerstörung der Grasnarbe durch zu starke Benutzung und die ständigen Bauarbeiten in dem Neubauviertel zurückzuführen, als darauf, dass es sich um einen wirklich Strand handele. – Dieser "Strand" wird odt von jugendlichen Pärchen und Studenten genutzt, die an ihr vor allem den Anschluss der Hafen-City an die Hamburger Hochbahn zu schätzen wissen. Jetzt jedoch, mitten in einer Nacht in den Sommerferien, befinden die meisten dieser Pärchen sich in den einzigen Diskotheken oder in den vielen sich an jugendliches Klientel richtenden Kneipen, die Hamburg insbesondere an der Reeperbahn aufweisen kann. Einige haben vielleicht auch die lange Fahrt mit der Regionalbahn in die Hafenstadt auf sich genommen, um der heimatlichen Einöde Schleswig-Holsteins oder Niedersachsens wenigstens für einen Abend zu entfliehen. Der Uferabschnitt im Norden der Hafen-City liegt still in der Dunkelheit, unberührt von der Existenz lauter Musik und schwüler, rauchiger Hitze, glitzernder Lichter und der Trunkenheit, der sich die Hamburger Jugend an den Wochenenden aussetzt. Die Schilfhalme wiegen sich sacht im Wind, der über die breite Elbe weht, und als der Mond für einige Momente einen freien Blick auf den Hafen bekommt – eine Wolke hat ihn freigegeben, die nächste erreicht ihn erst später – funkelt es auf im Schilf: Etwas hängt fest zwischen den Halmen. Etwas Silbernes, scheinbar Kostbares – eine Kette oder ein Armband. Da wird auf einmal die Stille der Nacht von menschlichen Fußstapfen gestört. Die Wolken schieben sich schon wieder vor den Mond, und so ist nur noch die Silhouette eines Mannes erkennbar, der zielstrebig auf das Ufer zugeht. Er sinkt ein wenig ein im Schlamm, scheint sich daran jedoch nicht zu stören. In der Dunkelheit glitzert das Metall zwischen im Schilf nicht mehr, es ist kaum noch zu erkennen. Der Mann findet es dennoch, und seine Hand taucht in das dunkle, kühle Wasser, ergreift den Gegenstand, der sich da kurz unter der Oberfläche des Flusss verfangen hat, und zieht ihn heraus. Wieder platschen seine Füße laut durch das Elbewasser. An Land zertreten sie einige Äste. Dann ist er weg, und die Elbe und die Hafen-City liegen erneut in Stille.

Der "Quallen-Hans" aus Altona

Der "Quallen-Hans" aus Altona

Irgendwo in Altona schwankt währenddessen ein junger Mann namens Hans angetrunken nach Hause, und versucht energisch den Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, dass ihm nur noch zwei Wochen bis zum Beginn des neuen Schuljahres bleiben. Hans bewegte sich durch seine Schulzeit ähnlich einer zähen, klebrigen Masse, die mit genügend Kraft in jede beliebige Form gepresst werden konnte, darin jedoch nie besonders elegant aussah – die Luftblasen aufwies, und die, ließ man sie fallen, nicht etwa auseinander floss, sondern nur leicht eingedellt als plumper Klumpen liegen blieb. Seit der Grundschule widerstand er stur und stumm den Aufforderungen, seine Hausaufgaben zu erledigen oder zu lernen – aber nur so lange, bis abzusehen war, dass dieser Widerstand in noch größere Anstrengungen ausarten könnte, als mit den von ihm erwarteten Leistungen verbunden waren. In der dritten Klasse war er einmal sitzen geblieben, und es war weniger die Tracht Prügel, die er dafür von seinem Vater erhielt, als die lästigen Nachhilfestunden und die langwierigen Gespräche, in denen er sich zu seinem Vergehen äußern sollte, die ihn davon überzeugten, dass ihm ein solcher Fehler nicht noch einmal unterlaufen dürfte, wollte er denn sein Leben in der gewohnten Ruhe fortsetzen. So fiel er weder durch positive, noch durch allzu negative Leistungen sonderlich auf. Allerdings versetzte seine besondere Unfähigkeit, selbständig zu denken oder auch nur die gelernten Fakten zu abstrahieren oder aber sich zu ihnen eine Meinung zu bilden, zumindest die engagiertesten seiner Lehrer ein paar Mal in Sorge. Ein diesbezügliches Gespräch mit seiner Deutschlehrerin der sechsten Klasse überstand er durch stumpfsinniges Schweigen und Nicken genau an der richtigen Stelle. Sie entließ ihn mit nagenden Zweifeln daran, ob ihre Argumente überhaupt zu ihm durchgedrungen waren, und zugleich wachsender Unsicherheit, wie ihre Sorgen in einem Brief an seine Eltern formuliert werden könnten. Letztendlich unterließ sie jegliche Unternehmungen, die sie zur Behandlung des Problems geplant hatte, und gab ihm, wohl aus schlechtem Gewissen über ihre eigene, durch sein Verhalten hervorgerufene Lethargie, eine Note, die seine Leistungen weit übertraf. Auf Drängen seiner Eltern schaffte er gerade so die Zulassung zum Gymnasium, und es war abzusehen, dass er das Abitur ablegen würde, wenn auch mit sehr mittelmäßigen Leistungen. Sport war Hans zuwider, und man sah ihm dies an. Jedoch war er darauf bedacht, nicht so sehr zuzunehmen, dass er Opfer von Sticheleien seiner Mitschüler werden könnte, oder schlimmer noch, seine Mutter ihn auf Diät setzen würde. So war er, der an Körpergröße nur leicht den Durchschnitt der Jungen seines Alters übertraf, ziemlich kräftig ohne dabei fett zu wirken. Seine Gesichtszüge waren nicht unförmig oder grobschlächtig, noch weniger jedoch konnten sie als fein bezeichnet werden – ihn hässlich zu nennen wäre eine arge Übertreibung, auf die im Übrigen niemand käme, da seine Züge zu uninteressant für diese Bezeichnung waren. Sein Haar war von einem dunklen, schmutzigen Grau-Braun, und wurde alle zwei Monate mit einem Rasierer gleichmäßig auf wenige Millimeter herunter geschnitten. An Freunden mangelte es ihm nie, da er sich problemlos in Gruppen einfügte, solange diese ihm kein eigenständiges Denken abverlangten. Er galt als angenehme Gesellschaft für all jene, die gern das erste und letzte Wort hatten, da er sie nie durch eigene Vorschläge störte. Er war wie eine Qualle. Nicht zu greifen, ohne Inhalt. Um nicht diskutieren zu müssen, war er für alles zu haben, solange ihm nicht zu viel anstrengendes Handeln abgefordert wurde. Zugleich war er so unauffällig, dass man ihn, wenn er aufgrund veränderter Machtverhältnisse an der Schule die Freunde wechselte, kaum vermisste, und seltsamerweise den Mangel an Loyalität auch nicht übel nahm. Er war eben so. Der erste Schultag der zwölften Klasse begann mit einer schrecklichen Nachricht: Herr Grundmann, der Mathematiklehrer, war am vergangenen Abend tödlich verunglückt. Sechsundzwanzig Augenpaare richteten sich stumm und erschrocken auf Frau Lüneburger, die etwa fünf Minuten nach Unterrichtsbeginn den Raum betreten hatte, um dem Grundkurs II Mathematik die schreckliche Nachricht zu verkünden. Sechsundzwanzig Augenpaare – im Raum saßen aber achtundzwanzig Schüler. Am letzten Tisch der Fensterreihe saßen Hans, der wie so oft ins Leere zu schauen schien, und Jennifer, die nach unten auf ihre Knie starrte. Woran Hans dachte ist fraglich, es ist sogar sehr gut möglich, dass er an gar nichts dachte. Immerhin bekam er von dem Mitgeteilten genau so viel mit, wie notwendig war, um nicht aufzufallen. Jennifer dagegen dachte an jenen schicksalhaften Nachmittag vor nun beinahe zwei Wochen, an dem sie am Ufer der Elbe in der Hafen mit ihrem Freund Hauke Schluss gemacht hatte. Vorher hatten Sie noch in dem kleinen Bistro leckeren Labskaus gegessen. Jennifer liebte das moderne Flair der Büro- und Schicki-Micki-Gebäude. Das war ihr persönlicher Gegenpool zur "abgefuckten" Reeperbahn. Überhaupt empfand sie Hamburg in weiten Teilen als ziemlich asozial. Besonders Sankt Pauli. Aber auch die Mönckebergstraße konnte man in ihren Augen vergessen. Wäre sie erst alt genug und hätte einen guten Job, würde sie eine schicke Wohnung in der Hafen-City mieten und Altona umgehend verlassen. Die S-Bahnstation Diebsteich, von der sie immer zur Schule fuhr, empfand sie als absolute Zumutung. Oft wurde sie dort von besoffenen Pennern belästigt. Wie anders verhielt es sich da in der Hafen-City. Sie kam sich dort vor, wie im "gelobten Land".

Kein Geschlechtsverkehr vor 18!

Kein Geschlechtsverkehr vor 18!

Dass es nicht irgendein Tag war, sondern ihr achtzehnter Geburtstag, schien die Sache nur noch schlimmer zu machen. Vielleicht waren es ja die hohen Erwartungen, die sie beide für diesen so symbolträchtigen Tag gehegt hatten, die schließlich zum Eklat führten. Schließlich sollte „es" heute geschehen. Jennifers Eltern, die selbst für ihre ländliche Heimat Plön recht konservativ waren, hatten dem Mädchen schon früh eingeprägt, dass verfrühter Geschlechtsverkehr unabsehbare psychologische Folgen haben könnte – abgesehen einmal von dem Risiko einer Schwangerschaft. Als dann vor etwas über einem Jahr ihre Beziehung mit Hauke immer ernsthafter wurde, teilte sie ihm mit, dass vor ihrem eigenen achtzehnten Geburtstag keineswegs etwas laufen würde. Hauke selbst war eine Klasse über ihr und somit mehr als ein Jahr älter. Er war jedoch der verständnisvollste und geduldigste Partner, den sich Jennifer und auch ihre Eltern nur wünschen konnten. Seit einiger Zeit ging denn das Vertrauen von Jennifers Eltern sogar soweit, dass sie die Tochter bis spät abends ausgehen ließen, wenn denn der Freund dabei war. In engeren Freundeskreisen sprachen sie bereits scherzhaft von ihrem „Schwiegersohn". Wer sie gut kannte, spürte in ihren Worten die Hoffnung, dass es vielleicht eines Tages wirklich so sein sollte. Dennoch hatten sich Jennifer und Hauke an ihr Versprechen aneinander gehalten. Bis zu Jennifers achtzehntem Geburtstag waren sie über Küsse und schüchternes Streicheln nicht hinausgegangen, obwohl auch Jennifer die eigene Weiblichkeit und die Sehnsucht nach jener größten Nähe zu ihrem Freund immer stärker in sich erwachen fühlte. Dementsprechend groß waren denn auch beider Erwartungen an den Nachmittag des Geburtstages. Sie hatten bereits vor Wochen beschlossen, dass es an jenem Tag soweit sein sollte. Jennifer feierte ihren Geburtstag nicht mit Freunden – schon seit Jahren tat sie das nicht mehr – sondern verkündete ihren Eltern, dass sie einen ruhigen Spaziergang im Wald wollte, nur sie und Hauke. Es war Ende August, ein warmer und sonniger Tag. Hauke hatte eine Decke und genügend Leckerbissen für ein Geburtstagspicknick mitgebracht, und so setzten sie sich an das Ufer der Elbe mit Blick auf das Musical-Zelt von "König der Löwen" und aßen. Jennifer bekam allerdings kaum einen Bissen herunter – es lag eine kaum erträgliche Spannung in der Luft. Schließlich packten sie die Essensreste weg, und begannen sich so schüchtern zu küssen, als hätten sie sich gerade erst kennen gelernt. Was dann geschah, wusste sie selbst nicht so genau. Auf einmal waren sie mitten in einem Streit. Wie war es dazu gekommen? Vage erinnerte sich Jennifer, dass Hauke ein Armband aus der Tasche zog – angeblich hatte er es gerade erst gefunden, an eben dieser Picknickstelle – und es Jennifer schenken wollte. Und dann? Aus irgendeinem Grund wollte sie das Armband nicht. Sie war wütend auf ihn gewesen, hatte ihm die seltsamsten Vorwürfe gemacht. Warum nur? Es war, als sei sie nicht sie selbst gewesen. Schließlich war sie davon gerannt, aus der Hafen-City, sie wollte ihn nie wieder sehen. Eine leichte Berührung an ihrem Arm riss Jennifer aus den Gedanken. Sie sah auf. Hans. Er blickte sie mit seinem typischen, undefinierbaren Gesichtsausdruck an. Oh, wie sie ihn hasste – Jennifer hatte seit dem ersten Schultag am Gymnasium eine starke Abneigung gegen diesen dummen, einfachen Altonaer Jungen. Irgendetwas war nicht in Ordnung mit ihm, da war sie sich sicher. Vermutlich waren seine Vorfahren schwachsinnige Inzucht-Wickinger. Schließlich gehörte Altona ganz früher mal zu Dänemark. Er war nicht einfach nur dumm und unterwürfig, es war mehr. Er war ekelhaft. Es war ihr unangenehm, dass er sie eben berührt hatte. Warum saß sie eigentlich neben ihm? Es war wohl der einzige freie Platz gewesen, überlegte sie. „Hast du nicht gehört?" fragte Hans. „Was!?" Jennifers Ton war schärfer als geplant. „Herr Grundmann ist tot. Wir können nach Hause gehen. Morgen gibt's eine Gedenkveranstaltung, dann geht der Unterricht normal weiter, sobald eine Vertretung gefunden ist." Jennifer sah sich um. Frau Lüneburger stand nahe der Tür und unterhielt sich mit ein paar Schülern. Sie alle schauten sorgenvoll, eine Schülerin wischte sich mit dem Ärmel über die Augen. Die Anderen im Raum packten stumm und ernst ihre Bücher wieder in die Taschen und Rucksäcke.Erschrocken wandte sich Jennifer zurück zu Hans. Doch der war bereits auf dem Weg zur Tür. Die Gedenkveranstaltung begann um zehn. Sie dauerte zwei Stunden, danach sollte es noch ein paar Stunden Unterricht geben, schließlich musste das neue Schuljahr ja irgendwann beginnen. Es war laut in der Aula, so dass der Direktor lautstark um Ruhe bitten musste – für rund die Hälfte der Schüler, diejenigen, die nie Unterricht mit Herrn Grundmann gehabt hatten, war die Veranstaltung nichts weiter als eine willkommene Ablenkung in jenen so frustrierenden ersten Schultagen direkt nach den großen Ferien. Jennifer saß nahe der Tür im hinteren Teil der Aula und starrte auf ihre Knie. Sie trug einen dunklen, knielangen Rock, normalerweise zog sie Hosen vor, aber es schien ihr heute ein Anlass, sich ein wenig hübscher und zugleich gemäß der Trauer schwarz anzuziehen. Das Gefühl, jemand beobachte sie, ließ sie unruhig werden, und sie sah sich im Saal um. Etwa fünfzehn Meter von sich entfernt entdeckte sie Hauke. Der Direktor begann gerade mit seiner Rede, es war endlich still geworden im Saal, und Hauke schaute nach vorne, schien aufmerksam zuzuhören. Jennifer glaubte zu erkennen, dass er blass war und leichte Ringe unter seinen dunklen Augen hatte. Aber das war Unsinn, er saß zu weit weg, um so etwas zu erkennen. Sie wandte sich ab. Die Stimme des Direktors, die an das Leben des Lehrers erinnerte, der selbst schon hier zur Schule gegangen war, bedrückte sie. Sie hatte Herrn Grundmann gemocht. Er war nicht mehr jung, zumindest nach Ansicht der Schüler, und es schien ihm zugleich an Welterfahrung zu mangeln – aber gerade das brachte ihn den Schülern näher. Auch sie hatten schließlich zum Großteil Hamburg und Umgebung noch kaum verlassen, und konnten den kleinbürgerlichen Konservativismus des Lehrers gut nachvollziehen. Er entsprach dem, was sie von Kindheit an kannten. Jennifer selbst war nicht besonders gut in Mathematik. Da der Lehrer aber früher in dieselbe Klasse wie ihre Mutter gegangen war, brachte ihr schon das ein paar Extrapunkte und ein freundliches Lächeln jeden Morgen, wenn der Lehrer die Klasse betrat. Sie konnte hier nicht länger sitzen, sie wollte sich nicht jede Sekunde daran erinnern, dass jemand gestorben war, den sie kannte. Das letzte Mal war dies geschehen, als sie fünf war, und ihr Großvater starb, die anderen Großeltern lebten noch. Sie wollte nichts davon hören, und außerdem musste sie mal.

Das Wetttauchen in der Elbe

Das Wetttauchen in der Elbe

Jennifer verließ die Toilettenräume und wanderte die leeren Hallen entlang zurück zur Aula. Die Schule war vor wenigen Jahren renoviert worden, und noch hatten es die Schüler nicht geschafft, den Eindruck klinischer Sauberkeit von den weißen Wänden, grauen Türen und gelblichen Linoleumfußböden zu löschen. Gewiss gab es ein paar Schmierereien an den Wänden, doch zumeist wurde der Übeltäter ausfindig gemacht und musste seine Untaten selbst überstreichen. Jennifer blieb an einem Fenster stehen und schaute auf den Hof. Sie blickte genau auf die Fahrradständer, die nie für alle Räder ausreichten. Ein Chaos aus Reifen und bunten Rahmen, stehenden und umgefallenen Fahrrädern, türmte sich um sie. Dahinter ein paar Bäume, zwischen denen die Elbe und das Licht der Hafenanlagen hervorblitzte. Die schöne Hafen-City lag in südlicher Richtung. Der Gedanke an das Viertel beruhigte Jenny. Die Sonne schien, der Himmel war auch jetzt im September noch blau, ohne Rücksicht auf die Trauerveranstaltung in der Schule. Wieder hatte Jennifer das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie wandte sich um. Der Gang war leer, nicht einmal Fußtritte waren zu hören. Ihr Blick fiel auf die große Uhr, die am Ende des Ganges an der Wand hing. Fast zwölf. Sie hätte nicht gedacht, dass bereits so viel Zeit vergangen war – hatte sie die Trauerveranstaltung nicht schon kurz nach Beginn verlassen? Und sie war ja wohl kaum über eine Stunde auf der Toilette gewesen. Nun gut, es lohnte sich wohl nicht mehr, zur Aula zurückzukehren. Statt dessen könnte sie sich am Automaten im zweiten Stock eine Cola holen, und dann darauf warten, dass die anderen die Aula verließen, um sich unter sie zu mischen und mit ihnen zum Unterricht gehen. Ja, eine Cola wäre eine gute Idee, sie hatte Durst und einen komischen Geschmack im Mund. Innerhalb weniger Tage hatte sich der Schulalltag wieder auf seinen normalen Rhythmus eingespielt, die traumatische Nachricht jenes ersten Schultags schien vergessen. Eine Zeitungsmeldung verkündete, dass der Mathematiklehrer Herr Grundmann am Mittwoch nur im Kreise seiner engsten Angehörigen beigesetzt worden war. Keiner von ihnen lebte in der Stadt, und daher gab es kaum Augenzeugenberichte des Begräbnisses. Sein Unterricht am Gymnasium wurde zunächst provisorisch von einer schon seit etlichen Jahren pensionierten älteren Dame übernommen, die früher einmal für ihre Strenge bekannt gewesen war, sich inzwischen jedoch mehr noch durch Zerstreutheit auszeichnete. Sie empfand das Unterrichten als willkommene Abwechslung in ihrem recht einsamen Rentner-Dasein und hatte sich nur zu gerne bereiterklärt, die Stelle auszufüllen, bis die Schulverwaltungsbehörden einen angemessenen Ersatz schickten. Jennifer stellte zu ihrer Überraschung fest, dass sie in beinahe allen Unterrichtsfächern neben Hans saß. Sie war sich nicht sicher, wie es dazu gekommen war, es wurde ihr immer erst dann bewusst, wenn es für einen Platzwechsel schon zu spät war. Sie machte sich jedoch nicht allzu viele Gedanken darüber, denn sie hatte andere Sorgen: Obwohl sie beschlossen hatte, sich nicht zu viel aus dem Ende ihrer Beziehung zu machen – es entsprach nicht ihrer Vorstellung von sich selbst, dass sie zu sehr unter einer Trennung litt – wanderten ihre Augen ständig nach Hauke suchend über den Schulhof und die Wiese neben dem Schulgebäude. Sie sah ihn jedoch selten, fragte sich manchmal gar, ob er vielleicht die Pausen drinnen verbrachte, um ihr aus dem Weg zu gehen. Weiterhin jedoch schien die Trennung sogar Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen und ihr allgemeines psychisches Wohlbefinden zu haben. Anders konnte sich Jennifer nicht erklären, dass sie sich bei Fragen des Lehrers oder in Klassenarbeiten oft nicht einmal daran erinnern konnte, dass das genannte Thema jemals im Unterricht besprochen worden war. Es schien ihr fast, als würden immer wieder kleine Stücke aus dem Unterricht fehlen, als würde sie mit ihren Gedanken so sehr abzuschweifen, dass sie Raum und Zeit vergaß. Außerdem war sie fast ständig müde. Einmal war sie gar in der Pause unter dem Baum am Fluss so tief eingeschlafen, dass sie eine ganze Doppelstunde Geschichte verpasst hatte. Es war allen Schülern, die achtzehn Jahre oder älter waren, erlaubt, in den Pausen und Freistunden das Schulgebäude zu verlassen. Da direkt neben der Schule eine große Wiese bis an die Elbe heranreichte, an deren Ufer dann ein paar Bäume Schatten spendeten, zog es die meisten Schüler in jenen letzten sommerlich warmen Tagen dorthin. In Grüppchen saßen sie im Gras, rauchten, besprachen Hausaufgaben, oder spielten Karten. Da Jennifer erst kurz vor Beginn der zwölften Klasse achtzehn geworden war, hatte sie bisher keiner dieser Gruppen angehört. Sie zog jedoch meist die Einsamkeit der Gesellschaft anderer vor, und setzte sich daher gerne unter einen der Bäume fast direkt am Ufer, schaute auf das Wasser hinaus, beobachte vorbeikommende Container- oder Kreuzfahrtschiffe oder las. Dabei nickte sie ein, und als sie an jenem Tag wieder erwachte, stellte sie fest, dass die Wiese vollkommen leer war, alle Schüler befanden sich im Gebäude. Ein Blick auf das Handy verriet ihr, dass sie beinahe zwei Stunden geschlafen hatte. Statt Erholung fühlte sie jedoch nur eine noch größere Erschöpfung. Aus den leichten Schmerzen, die ihr das Laufen zurück ins Schulgebäude – was soll ich nur der Lehrerin sagen? – bereitete, schloss sie, dass sie wohl recht unbequem gelegen haben musste. Allerdings war sie doch in der folgenden Unterrichtsstunde, Mathematik bei der Vertretungslehrerin, zu größerer Konzentration fähig, als dies bisher meist der Fall gewesen war, nicht ein einziges Mal schweiften ihre Gedanken ab. Der September fand wie jedes Jahr im Hamburger Hafenfest seinen Abschluss. Wie jedes Jahr waren die Geschichts- und Deutschlehrer sehr bemüht, den Schülern die Legenden des Hafens, der die Stadt groß gemacht hatte, näher zu bringen. Die Erklärungsversuche wurden inzwischen längst mit gelangweilten Seufzern begrüßt, dennoch sahen alle mit Freude den Festlichkeiten entgegen, die mit dem Wetttauchen der jungen Männer in der schon kalten Elbe ihren Höhepunkt fanden, und gleichzeitig die Badesaison offiziell abschlossen. Jennifer hatte nicht vor, dieses Jahr überhaupt zum Fest zu gehen. Sie kannte alles schon in- und auswendig: die mittelalterlich angehauchten Kostüme, die Unmengen Bratwürste und Bier, die Reden, die Schiffe. Außerdem ging ihr immer wieder durch den Kopf, wie sie letztes Jahr mit Hauke hier gewesen war. Und Hauke hatte sich vor einigen Monaten schon für das diesjährige Wetttauchen angemeldet. Damals hatte er versprochen, er werde für sie gewinnen. Ob er wohl noch immer daran teilnehmen würde? Jennifer jedenfalls wollte ihn gewiss nicht tauchen sehen. Im Haus bleiben konnte sie aber auch nicht. Ihren Eltern war aufgefallen, wie seltsam sie sich in letzter Zeit benahm. Auch dass Hauke nicht mehr zu Besuch kam, hatten sie gemerkt. Ihrer Meinung nach brauchte die Tochter nun Ablenkung, und sie bestanden darauf, dass sie aus dem Haus und ihrer Meinung nach zum Fest ging Stattdessen wanderte Jennifer ziellos durch die Straßen. Ihr entgegen kamen Familien, die in Richtung Hafen zu den Landungsbrücken gingen. Aber je weiter sie sich vom Hafen entfernte, desto ausgestorbener wurden die Straßen. Jennifer genoss die Stille, und ließ ihre Gedanken schweifen. Und plötzlich, sie wusste selbst nicht, wie es gestehen war, stand sie auch an der Landungsbrücke, wo sie ursprünglich gar nicht hin wollte. Auf einer Bühne spielten ein paar Kinder gerade die Legende von der Prinzessin im Hamburger Michel, die sich in einen Zauberer verliebte, der aber böse war und Prinzessin auf den Grund des Hafens sinken ließ, dann selbst auch verschwand, vielleicht im selben Hafen, um die Prinzessin nur für sich zu haben. Am Ufer machte sich eine Gruppe junger Männer zum Wetttauchen bereit. Mit Herzklopfen entdeckte Jennifer Hauke unter ihnen. Seine dunklen Haare waren vom Wind zerzaust, sein Oberkörper war, obwohl es schon Herbst war, noch sommerlich braungebrannt. An seinem Arm glitzerte etwas. Jennifer erkannte das Armband, dass er ihr hatte schenken wollen. Die breite, etwas unförmige und bleiche Figur neben Hauke überraschte Jennifer – es war Hans. Nun, auch Hans war neunzehn Jahre alt, und hatte somit das Mindestalter zur Teilnahme am Wetttauchen erreicht. Aber nie hätte Jennifer oder irgendjemand anders damit gerechnet, dass Hans freiwillig an etwas so Anstrengendem teilnehmen würde, noch dazu den Blicken der ganzen Stadt ausgesetzt. Aber da war er nun. Ihn nur in Shorts zu sehen, und mit einer Kette mit Amulett, die er um den Hals trug, ließ ihn Jennifer noch unangenehmer erscheinen, als er ihr ohnehin schon war. Obwohl nicht besonders dick, erinnerte er sie irgendwie an Pudding. Jennifer trat näher heran, zwischen die anderen Zuschauer. Da sie nun schon einmal hier war, konnte sie auch zusehen. Des Ersten Bürgermeisters Stimme tönte aus Lautsprechern über die Landungsbrücken und erklärte für Besucher und für Einheimische, die vielleicht seit dem letzten Jahr alles vergessen hatten, die Regeln des Wetttauchens: Ein Kästchen mit einem Preis war in etwa drei Metern Tiefe, in einem eingeschränkten Bereich des Flusses, versenkt worden. Die Wetttauchenden mussten unter Wasser danach suchen – das durch das Kästchen symbolisierte Hamburg „befreien". Zum Dank durften sie es dann behalten, und erhielten außerdem einen Kuss von der „Prinzessin", einer Elftklässlerin mit langen blonden Haaren und eingefrorenem Lächeln, die im mittelalterlichen Kleid neben dem Bürgermeister auf der Tribüne stand, und in einem dem Festival vorangehenden Wettbewerb zur diesjährigen Schönheitskönigin gekürt worden war. Dann gab der Bürgermeister das Signal zum Beginn des Tauchwettbewerbes. Die etwa acht jungen Männer, die da am Ufer standen, rannten schnell ins kalte Wasser des Hafens, warfen sich nach vorn, und schwammen auf den für den Wettbewerb mit Bojen markierten Bereich zu. Gleich mehrere von ihnen jedoch schienen ihre Schwimmbewegungen nur schwer koordinieren zu können. Sie schwammen auffällig langsam, oder aber in eine ganz falsche Richtung, und so erreichten am Ende nur drei Jungen den Bereich, in dem das Kästchen sich befand – sowohl Hans als auch Hauke waren unter ihnen. Die anderen Teilnehmer waren zu weit entfernt, um noch eine Chance zu haben, und gaben daher auf. Wie auf Kommando tauchten die Drei nun gleichzeitig ins Wasser ein – es war eine Sache von Geschicklichkeit wer zuerst den Grund erreichte, und eine Sache von Glück, wer dann auch wirklich das Kästchen zuerst im schmutzig-dunklen Fluss-Wasser der Elbe finden würde. Die Leute am Hafenbeckenrand jubelten ihnen zu, riefen den Namen ihres Favoriten, wenn sie jemanden der drei kannten. Nach etwa einer Minute wurden die Jubel leiser und nach und nach von einem besorgten Gemurmel ersetzt. Sollten die Taucher nicht längst wieder an der Oberfläche sein, einer von ihnen mit dem Kästchen in der Hand? Doch der Fluss lag still da. Jennifer hielt den Atem an. Dann, endlich, tauchte ein Kopf aus dem Wasser: Hans, und im nächsten Moment hielt er triumphierend das Kästchen in die Höhe. Ein paar Leute begannen erleichtert zu jubeln, und der Jubel wurde lauter, als einige Sekunden später auch Haukes Kopf an der Oberfläche erschien. Beide begannen auf das Ufer zu zu schwimmen. Aber noch fehlte ein Taucher, Erleichterung und Jubel ließen schnell wieder nach und machten gespanntem Schweigen Platz.

Tod im Hafenbecken

Tod im Hafenbecken