Mörderische Beziehungen - Manuela Kusterer - E-Book

Mörderische Beziehungen E-Book

Manuela Kusterer

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Beschreibung

Neue Herausforderungen für die Kriminalhauptkommissarin Lisa Breuer Im Römermuseum Remchingen erleidet ein Mann einen anaphylaktischen Schock. Im Ortsteil Wilferdingen wird ein Toter gefunden. Schnell steht fest, dass es sich um ein Tötungsdelikt handelt. Dann verschwindet eine Frau spurlos. Hauptkommissarin Lisa Breuer, die ein Jahr zuvor von Berlin aufs Pforzheimer Kriminalkommissariat gewechselt hat, konzentriert sich voll und ganz auf die Ermittlungen. Die Vermisste befindet sich vermutlich in tödlicher Gefahr.

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Seitenzahl: 216

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Margot.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

19. Juni 2022

Sonntag, 22. Mai 2022

Sonntag, 19. Juni

Montag, 20. Juni

Montag 23. Mai

Dienstag, 24. Mai

Montag, 20. Juni

Mittwoch, 25. Mai

Montag, 20. Juni

Montag, 20. Juni

Donnerstag, 26. Mai

Montagnachmittag, 20. Juni

Freitag, 27. Mai

Montag, 30. Mai

Dienstag, 31. Mai

Mittwoch, 1. Juni

Dienstag, 21. Juni

Mittwoch, 22. Juni

Donnerstag 23. Juni

Sonntag, 26. Juni

Montag, 27. Juni

Dienstag, 28. Juni

Dienstagabend, 28 Juni

Mittwoch, 29. Juni

Mittwoch, 29. Juni

Mittwoch, 29. Juni

Mittwoch 29. Juni

Donnerstag, 30. Juni

Freitag, 1. Juli

Freitag, 1. Juli

Freitag, 1. Juli

Donnerstag, 30. Juni

Freitag, 1. Juli

Donnerstag, 30. Juni

Samstag, 2. Juli

Samstag, 2. Juli

Zur selben Zeit

Später

Samstag, 2. Juli

Samstagnachmittag

Kurz darauf

Zur selben Zeit

Samstagabend

Sonntag, 3. Juli

Sonntagabend

Freitag, 1. Juli

Montag, 4. Juli

In der Zwischenzeit

Dienstag, 5. Juli

EPILOG

Danke

Eine kleine Bitte zum Schluss

Leseprobe:

Gabriele

Raphael

PROLOG

10. August 1996

Larissa schaute ihrer vierjährigen Schwester genervt zu, wie sie mit einer Hand im Teich herumplanschte und versuchte, Fische zu fangen. Gleich würde Anne das Gleichgewicht verlieren und ins Wasser fallen. Aber das war Larissa im Moment egal. Warum musste sie auch ständig auf die Kleine aufpassen? Schließlich war sie selbst erst neun Jahre alt und würde viel lieber mit ihren Freundinnen spielen. Gerade heute wäre sie auf einem Geburtstag eingeladen gewesen. Aber nein, ihre Mutter musste arbeiten. Und das zu Hause. Irgendwelche Teile schraubte sie in Heimarbeit zusammen. War das etwa Larissas Problem?

Seufzend erhob sie sich und packte ihre Schwester an der Schulter. Nicht, dass Anne doch noch in den Teich fiel. Tief war der zwar nicht und sie könnte die Kleine jederzeit wieder rausholen, aber sie wollte nicht riskieren, klatschnass zu werden.

»Hey, lass mich«, schrie Anne.

»Nein, tu ich nicht. Ich muss doch auf dich aufpassen. Und wenn du nass bist oder untergehst, bekomme ich Ärger.«

Das schien die Kleine zu akzeptieren. Sie war ein ruhiges Mädchen, das ihre große Schwester vergötterte. Anne drehte sich um und stapfte in Richtung Sandkasten. Erleichtert setzte sich Larissa an den Gartentisch, auf dem ihr Malblock und die Buntstifte lagen. Das war ihre Lieblingsbeschäftigung. Dabei vergaß sie normalerweise die Welt um sich herum. Aber sie konnte sich nicht auf ihr neues Werk konzentrieren. Wie so oft schweiften ihre Gedanken ab. Warum liebte ihr Vater nur ihre Schwester und nicht sie? Warum war er immer so böse zu ihr? Sie versuchte ständig, alles richtig zu machen, damit er sich freute, aber ohne Erfolg. Lag es vielleicht daran, dass er nur ihr Stiefvater war?

Ein lauter Knall und ein schriller Schrei ließen Larissa zusammenfahren und holten sie in die Gegenwart zurück. Sie schaute sich erschrocken um, sah, dass Anne verschwunden war, und lief ums Haus.

Frau Meier, die Nachbarin aus dem Nebenhaus, stand auf dem Gehweg und starrte auf ein Auto, das sich mitten auf der Fahrbahn befand. Sie hielt Larissa fest, drückte sie an sich.

»Sie ist einfach zu der Katze gerannt, die auf der Straße lag. Das Auto war viel zu schnell …«

»Lassen Sie mich«, rief Larissa und riss sich los. Sie sah, wie ihre Mutter aus dem Haus gerannt kam, schreiend auf die Straße lief und dort zusammenbrach.

Jetzt kamen auch aus den anderen Häusern Menschen.

Larissa verstand nicht, was geschehen war. Wo war Anne, die musste doch hier irgendwo sein?

»Das Auto hat nicht mehr bremsen können und hat das Mädchen überrollt«, sagte Frau Meier.

In diesem Moment begriff Larissa, was geschehen war, und sie brach in Tränen aus.

»Mama …«, rief sie, doch die Mutter reagierte nicht.

»Komm«, sagte Frau Meier, nahm Larissas Hand und brachte sie zum Haus, wo der Stiefvater in der offenen Tür stand.

»Geh nach oben«, sagte er in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Larissa wand sich aus dem Griff der Nachbarin und lief die Treppe hinauf. In ihrem Zimmer warf sie sich aufs Bett und blieb dort, bis sich eine Psychologin von der Notfallhilfe um sie kümmerte.

Erst spät am Abend erfuhr sie, dass ihre Schwester den Unfall nicht überlebt hatte. Sie war schuld, dass Anne tot war.

19. Juni 2022

Lisa

Hauptkommissarin Lisa Breuer hörte nur mit halbem Ohr zu, was Kai Schneider, ein junger Hobbyhistoriker, enthusiastisch über die Entstehung des Römermuseums berichtete. Es sei entstanden, nachdem das Wohngebiet Niemandsberg gebaut worden war. Während der Bauzeit seien römische Mauerreste gefunden worden. Nach einem Baustopp habe man sich entschieden, einem Museum den Vorrang zu geben.

Schneider redete und redete, aber Lisas Gedanken wanderten immer wieder in eine andere Richtung. Hauptkommissar Klaus Kübler, mit dem sie seit September letzten Jahres in einer Beziehung war, hatte heute Morgen den Vorschlag unterbreitet, an einer Führung im Römermuseum teilzunehmen. Doch Lisa hätte an diesem Sonntag lieber einen gemütlichen Tag zu Hause verbracht, vor allem, weil es draußen in Strömen regnete.

Sie zuckte mit den Achseln.

Was soll’s?, dachte sie. Bei einem Museumsbesuch spielte das Wetter eh keine große Rolle.

Klaus, der nicht nur seit Jahren auf dem Polizeiposten in Remchingen arbeitete, sondern auch in Singen, dem zweitgrößten Remchinger Ortsteil, wohnte, hatte gemeint, dass es an der Zeit wäre, etwas über die Römer zu erfahren und sich die Ausstellung der Zeitenwende anzuschauen.

Lisa konnte sich einfach nicht konzentrieren. Immer wieder gingen ihr die Anspielungen von Klaus durch den Kopf. Ihr war bewusst, dass ihr Freund sich nichts sehnsüchtiger wünschte, als mit ihr zusammenzuziehen.

Gewiss, sie harmonierten wunderbar, obwohl sich Lisa das vor einem Dreivierteljahr nicht im Geringsten hatte vorstellen können. Es hatte lange gedauert, bis sie sich ihre Gefühle, die sie für den Jugendfreund empfand, eingestanden hatte und ihre Bindungsangst ablegen konnte. Klar, er konnte toll mit ihrer vierjährigen Tochter Mia umgehen, aber sollte man sich deshalb gleich eine gemeinsame Wohnung nehmen? Darauf lief es nämlich hinaus, denn ihre war für drei Personen zu klein und die von Klaus ebenfalls. Als sie die Stelle als Hauptkommissarin auf dem Kriminalkommissariat in Pforzheim bekam, entschied sie sich, lieber auf dem Land zu wohnen und hatte die Wohnung in Wilferdingen gemietet. Diese Entscheidung hatte sie noch keine Sekunde lang bereut.

Ein lauter Schrei riss sie aus ihren Gedanken und unterbrach die Erzählungen des Historikers.

»Hilfe, mein Mann stirbt. Er braucht einen Arzt.«

Einige der Museumsbesucher, die um Lisa und ihren Lebensgefährten versammelt waren, eilten in Richtung eines kleinen, von Wänden nicht ganz geschlossenen Raumes, in dem sich nur wenige Menschen aufhalten konnten. Lisa und Klaus folgten den anderen. Ein Mann lag am Boden und rang keuchend nach Luft.

»Gehen Sie auf die Seite, ich bin Arzt«, sagte Dr. Bittighofer und kniete sich neben den Mann.

Lisa atmete erleichtert auf. Sie kannte den Arzt, hatte ihn aber heute bei der Führung bis jetzt noch nicht gesehen.

»Hier«, sagte eine Frau, auf deren blassem Gesicht sich rote Flecken ausgebreitet hatten, »das ist das Notfallset. Mein Mann ist Allergiker.« Sie hielt dem Arzt eine kleine Mappe entgegen.

Sofort griff Dr. Bittighofer hinein, holte eine Adrenalinspritze heraus und drückte sie dem keuchenden Mann in den Oberschenkel. Gleichzeitig forderte er eine in der Nähe stehende Person auf, den Rettungswagen zu rufen.

»Wie heißen Sie?«, fragte Bittighofer die begleitende Frau des Patienten.

»Martina Schlegel«, stellte sie sich vor, »und mein Mann heißt Alexander.«

»Sie müssen ins Krankenhaus«, sagte Bittighofer zu Alexander Schlegel, als die Rettungssanitäter eintrafen.

»Wir bringen ihn nach Pforzheim ins Helios Klinikum«, sagte einer der beiden.

Zunächst weigerte sich der Patient, mitzugehen, aber nach gutem Zureden von seiner Frau stimmte er schließlich zu. Martina Schlegel versprach ihm, mit dem eigenen Auto nachzukommen.

Kaum hatten die beiden Sanitäter mit Alexander Schlegel den Raum verlassen, als erneut ein Schrei ertönte. Dieses Mal aus dem anderen Raum, in dem sich das Café befand. Genaugenommen war es eher ein Durchgang, in dem hinter Glasfenstern Köpfe aus Sandstein ausgestellt wurden. Es handelte sich dabei um Frauen- und Männerköpfe aus der Römerzeit. Lisa und Klaus bahnten sich einen Weg durch die im engen Gang stehende Menge.

»Machen Sie Platz! Polizei!«, rief Klaus und sie erreichten den Durchgang.

Lisa sah sofort, dass eine Scheibe eingeschlagen war und wohl einer der Sandköpfe fehlte. Inmitten der Scherben stand händeringend eine Frau mittleren Alters vor dem leeren Fach, kreidebleich im Gesicht.

»Was ist passiert?«, fragte Lisa und ging zu ihr.

»Ich habe mein Handy im Auto vergessen, wollte es holen und habe im Vorbeigehen das hier entdeckt. Jemand hat den Kopf gestohlen«, erwiderte die Frau. »Das … das gibt es doch gar nicht«, stammelte sie. »Wer macht denn so was?«

»Beruhigen Sie sich. Wir sind von der Polizei und kümmern uns um alles«, sprach Lisa leise auf die Unbekannte ein. »Nennen Sie mir bitte Ihren Namen.«

»Ich bin Anita Engel und arbeite ehrenamtlich hier im Café, das zum Römermuseum gehört und sonntags geöffnet ist.«

»Ich laufe rasch zum Haupteingang und schaue, dass niemand das Museum verlässt«, sagte Klaus zu Lisa. Laut rief er: »Niemand verlässt das Gebäude.«

Dann wandte er sich Kai Schneider zu. »Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Ausgänge verriegelt sind.«

Lisa registrierte, dass ihr Lebensgefährte davoneilte.

»Haben Sie zuvor irgendetwas bemerkt?«, wollte sie dann von Frau Engel wissen.

»Nein, überhaupt nicht. Da waren der Schlag und dann das Splittern vom Glas zu hören. Und ….« Sie schluckte.

»Jetzt kommen Sie erst einmal mit und setzen sich hin. Sie sind ja vollkommen fertig.«

Lisa fasste die zitternde Anita Engel am Arm und führte sie zu einem der Tische im Café.

Seufzend ließ sich die Frau auf einen Stuhl fallen. Inzwischen war Klaus zurückgekehrt und nahm ihr gegenüber Platz. Lisa holte ihr Handy aus der Jackentasche und benachrichtigte die diensthabenden Kollegen aus Neuenbürg, die auch für Remchingen zuständig waren. Dann setzte sie sich ebenfalls an den Tisch.

»So, dann erzählen Sie mal der Reihe nach«, ergriff sie erneut das Wort.

»Wie gesagt, ich habe den Kuchen aufgeschnitten und Kaffee eingegossen und habe nichts Ungewöhnliches bemerkt.«

Zum Glück schien sich Anita Engel beruhigt zu haben.

»Sie haben also niemanden dort vor den Glaskästen stehen sehen?«

»Nein, also nicht bewusst. Es laufen ja ständig Leute hin und her. Aber wenn ich es mir recht überlege …«, sie hielt kurz inne, schaute zur Decke, »ja, da ist jemand davongerannt. Ich habe das aber nur aus dem Augenwinkel heraus gesehen, weil ich so geschockt war und den leeren Platz in dem Fach angestarrt habe.«

»Können Sie sagen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte?«

»Hm, ich bin mir nicht sicher, aber von der Statur her eher eine Frau.«

Nachdenklich runzelte Anita Engel die Stirn. »Doch, ich denke, es war eine Frau, denn ich glaube, sie trug ein längeres Gewand, einen Mantel oder so was Ähnliches.«

»Können Sie sich an die Farbe erinnern?«, mischte sich Klaus in das Gespräch ein.

»Nicht direkt, es war eine dunkle Farbe.«

»Okay, wenn Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich bitte an.« Klaus erhob sich und legte seine Visitenkarte vor Anita Engel auf den Tisch. Sie nickte.

Lisa stand ebenfalls auf und blickte Frau Engel, die inzwischen wieder etwas Farbe auf den Wangen bekommen hatte, aufmunternd an. Dann folgte sie ihrem Lebensgefährten.

»Ich würde sagen, wir warten noch auf die Kollegen und machen uns dann vom Acker. Schließlich sind wir heute zu unserem Vergnügen hier«, zischte Klaus ihr ins Ohr.

Lisa lächelte. »So machen wir es. Wir berichten kurz, was wir wissen und dann verschwinden wir. In einer Stunde wird Mia von ihrem Vater nach Hause gebracht. Da müssen wir sowieso zurück sein, sonst müsste ich ihn benachrichtigen, dass es später wird.«

»Das reicht locker. Du brauchst Max nicht anzurufen. Ich freue mich auf die Kleine«, sagte Klaus, der für Lisas Töchterlein wie ein Vater war.

Eine halbe Stunde später machten sie sich zu Fuß auf den Heimweg. Die Kollegen waren rechtzeitig eingetroffen und hatten sogleich mit der Befragung der anwesenden Personen begonnen. Einige von ihnen waren ziemlich ungeduldig gewesen und hatten sich bei Klaus beschwert, dass sie nicht ewig Zeit hätten. Daher atmeten Lisa und er erleichtert auf, als sie den Ort des Geschehens verlassen durften.

Das Auto hatten sie bei Lisa zu Hause stehen lassen, da es sich vom Römermuseum aus nur um fünfzehn Minuten Fußweg handelte und die Parkplätze im Ortsteil Wilferdingen an der Hauptstraße, wo sich ihre Wohnung befand, rar waren. Klaus ließ seinen Golf am Wochenende gerne in der Garage und nutzte die Freizeit für Spaziergänge. Meistens übernachtete er sowieso bei seiner Freundin.

Beide hingen ihren Gedanken nach.

Am Ende der Straße, neben dem Gebäude, in dem bis vor zwei Jahren das Rathaus gewesen war, blieb Lisa plötzlich abrupt stehen, packte ihren Lebensgefährten am Arm und schaute ihn stirnrunzelnd an.

»Wieso klaut jemand so einen Frauenkopf, der überhaupt nichts wert ist?«

»Keine Ahnung, das frage ich mich schon die ganze Zeit. Aber da es eine Anzeige gibt, müssen wir uns darum kümmern. Außerdem wurde die Glasscheibe, hinter der sich der Kopf befand, zerstört. Es handelt sich also um Sachbeschädigung.«

»Du meinst, ich muss mich darum kümmern, denn für dich ist der Fall ja nun erledigt. Das Ganze geht jetzt nach Pforzheim, und es wird morgen in der Besprechung Thema Nummer eins sein.« Lisa verdrehte die Augen.

»Du hast recht.« Klaus grinste. »Aber natürlich bin ich euch bei der Aufklärung behilflich. Schließlich ist es hier bei uns passiert. Glaubst du, dass es da viel zum Aufklären gibt? Ich denke nicht, dass wir den Dieb, oder eher die Diebin, bekommen werden. Und bei diesem geringen Schaden wird wahrscheinlich kein so großer Aufwand betrieben.« Er sah skeptisch aus.

»Das stimmt. Wir müssen abwarten, was die Befragungen der Kollegen ergeben. Da die Teilnehmer nicht namentlich angemeldet waren, wird es schwierig, wenn nicht gar unmöglich werden, herauszufinden, wer da zum Schluss gefehlt hat. Dazu kommen dann noch die Gäste des Cafés.«

Lisa pustete genervt die Luft nach oben, sodass sich eine Haarsträhne von ihrer Stirn abhob.

Ihr Freund nickte zustimmend. Inzwischen waren sie bei dem Mehrfamilienhaus angekommen, in dem Lisa wohnte.

»Ich werde uns jetzt einen schönen Salat zaubern. Was meinst du dazu?«, fragte Klaus, während sie die Treppen in den zweiten Stock hinaufstiegen.

»Das ist eine fantastische Idee. Und wir reden heute nicht mehr über Raub, Mord und Totschlag«, fügte Lisa hinzu.

»Guter Vorschlag.«

Sonntag, 22. Mai 2022

Rückblick

Martina Schlegel

Ben Augenstein und das befreundete Ehepaar Schlegel setzten sich an einen freien Vierertisch mitten im Raum. Sie waren die ersten Gäste im Café des Römermuseums. Sie hatten noch eine halbe Stunde Zeit, bis die Führung im Museum beginnen würde.

Suchend sah Alexander Schlegel sich um. »Wo ist denn Larissa abgeblieben?«

»Keine Ahnung, gerade war sie doch noch da«, erwiderte Larissas Mann Ben achselzuckend.

»Komisch, dass du sie vermisst und Ben nicht.« Martina Schlegel schaute ihren Mann an. Es war ihr in letzter Zeit nicht entgangen, was für schmachtende Blicke er der Frau ständig zuwarf.

»Ich wollte sie fragen, wo sie sitzen möchte«, rechtfertigte sich Alexander.

»Na gut, ich kann euch sagen, wo sie hängengeblieben ist.« Martina grinste, verdrehte dann die Augen.

Die beiden Männer sahen sie erwartungsvoll an.

»Sie steht wie angewurzelt da vorne bei den Römerköpfen. Ich schau mal nach ihr.« Sie erhob sich und ging zu den Glaskästen. In ihr brodelte es, inzwischen sah sie Bens Frau als Konkurrentin.

»Willst du hier übernachten?«, fuhr sie Larissa an. »Ben und Alexander warten auf dich. Ja, der vor allem.« Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz um und eilte zurück an ihren Tisch. Richtig befreundet war sie mit der Frau nie gewesen. Wenn die Männer nicht langjährige Freunde wären, hätte sie den Kontakt zu ihr längst abgebrochen.

Larissa war ihr gefolgt und nahm neben ihrem Mann und gegenüber von Alexander Platz.

Martina blickte auf ihre Armbanduhr. »Jetzt haben wir nur noch fünfzehn Minuten, bis es losgeht. Dann sollten wir anschließend Kaffee trinken. Aber ich hole mir kurz ein Mineralwasser. Ich bin am Verdursten.«

»Ein Bier wäre mir lieber«, warf Ben ein.

»Ich glaube, damit warten wir besser bis heute Abend.«

Unsicher schaute Alexander seine Frau an. Er hatte vermutlich bemerkt, dass sie sauer war. Ob er ihr Misstrauen ahnte?

Gut so, dachte Martina. Gerade streifte er Larissa wieder mit einem kurzen Blick. Sie war vollkommen abwesend und schien in ihre Gedanken versunken.

Martina hatte das Mineralwasser geholt. Als sie zum Tisch zurückkam, hörte sie Alexanders Worte: »Hey, was ist los mit dir? Du bist ja so ruhig.«

Larissa reagierte nicht, aber Ben zog spöttisch seine Augenbrauen nach oben. »Sie träumt wahrscheinlich wieder von der Römerzeit, Alex. Weißt du denn nicht, dass sie eigentlich dorthin gehört und nur aus Versehen hier im Jahre 2022 gelandet ist? Wo sie doch eigentlich vor 1.940 Jahren geboren wurde. Ihre ganze Familie ist noch dort und Lari überlegt, wie sie durch eine Zeitreise zu ihnen gelangen kann.«

Irritiert sah Alexander seinen Kumpel an.

Martina musste insgeheim grinsen. Sie hatte ebenfalls ab und zu mitbekommen, dass Larissa so einen Unsinn von sich gegeben hatte. Spinnereien waren das.

Larissa sprang auf, stieß dabei rückwärts gegen sie, als sie ihr Glas Sprudel auf den Tisch stellen wollte. Die Hälfte des Wassers schwappte auf den Boden.

»Hast du sie noch alle«, fuhr Martina sie an.

Larissas Gesicht war vor Zorn gerötet. Sie wandte sich an ihren Mann. »Weißt du was? Du kannst mich mal. Ich habe keine Lust mehr auf die Führung. Die könnt ihr alleine machen. Ich habe andere Pläne.«

Mit hocherhobenem Kopf stolzierte sie davon.

Sonntag, 19. Juni

Lisa

Lisa lehnte sich entspannt zurück, nachdem sie sich die letzte Gabel mit Salat in den Mund geschoben hatte. Sie seufzte zufrieden auf. »Das war lecker. Du hast den Beruf verfehlt. Anstatt zur Polizei zu gehen, hättest du Koch werden sollen.«

Klaus, der ihr gegenüber am Esstisch saß, sah sie nachdenklich an, sagte aber nichts. Dann wanderte sein Blick zu Mia, die hingebungsvoll in ihrer Puppenecke spielte.

Lisa ahnte, was in ihm vorging, als er sie wieder anschaute. Mit ihrer Entspannung war es nun vorbei. »Bitte fang nicht wieder mit dem Thema an.«

»Du weißt doch gar nicht, was ich sagen möchte, geschweige denn, was ich denke«, entgegnete Klaus und runzelte die Stirn.

»Oh, doch, das kann ich mir denken. Wir hatten das Thema schon unzählige Male. Alles läuft super. Ich verstehe mich gut mit Mias Vater und auf dem Revier in Pforzheim gefällt es mir sehr gut. Die Unstimmigkeiten mit meiner Mutter habe ich geklärt und ich genieße die Zeit mit meinem Töchterlein. Natürlich auch mit dir«, fügte sie hinzu, als sie seinen fragenden Blick sah. »Warum also soll ich daran jetzt was ändern? Schließlich bin ich erst seit einem Jahr hier und musste mich an so vieles gewöhnen.«

Klaus erhob sich. »Wir könnten eine richtige Familie sein.«

»Das sind wir auch so.« Lisa stand ebenfalls auf und fuhr sich genervt durch ihre langen dunklen Haare. »Du kannst doch immer hier übernachten.«

»Das ist auf Dauer viel zu eng. Mia braucht ein Kinderzimmer.«

»Blödsinn, schau sie dir an. Sie ist glücklich. Mit vier Jahren hatte ich auch keinen eigenen Raum, sondern ein Zimmer zusammen mit meinem Bruder.«

»Weißt du was? Das führt heute zu nichts mehr. Ich gehe jetzt nach Hause, morgen muss ich ausgeschlafen sein.« Ohne Lisa anzuschauen, ging er zu Mia, beugte sich hinunter, gab ihr einen Kuss auf die Wange und strich ihr über die Haare.

Die Kleine schaute ihn an. »Klaus, nicht gehen. Ich will mit dir spielen.«

»Ein anderes Mal, mein Schatz«, antwortete er und verließ ohne weitere Worte die Wohnung.

Na super, schoss es Lisa durch den Kopf.

»Das habe ich ja wieder toll hingekriegt«, murmelte sie. In Gedanken versunken räumte sie den Tisch ab, stellte das Geschirr in die Spülmaschine und wischte die Arbeitsflächen ab. Nachrennen würde sie Klaus ganz sicher nicht. Das war jetzt das dritte Mal in den vergangenen vier Wochen, dass er vom Zusammenwohnen anfing. Sie hatte in letzter Zeit so viele für sie zuvor undenkbare Veränderungen gehabt, da musste er ihr schon ein bisschen Zeit geben.

Seufzend ging sie zu ihrer Tochter, um ihr beizubringen, dass das Bett auf sie wartete. Das war jeden Abend der gleiche Kampf.

Als die Kleine endlich schlief, fiel Lisa erschöpft auf ihr neues graues Sofa und ließ den Nachmittag im Römermuseum Revue passieren. Es dauerte nicht allzu lange und ihre Arme und Beine wurden schwer, die Müdigkeit überfiel sie und sie schloss die Augen. Das wäre ihr auf dem alten Sofa nicht passiert, da es so kurz gewesen war, dass sie sich nicht hatte ausstrecken können.

Diese komfortable Couch mit ausfahrbaren Fuß- und Nackenstützen hatte sie gekauft, weil Klaus die meiste Zeit bei ihr weilte und dadurch auch Platz genug für das Kind da war. Schon manche Kuschelabende hatten sie darauf zu dritt verbracht. Wenn nur nicht immer diese ständigen Meinungsverschiedenheiten wären, dachte sie noch, bevor sie im Land der Träume versank.

Montag, 20. Juni

Lisa

Nach einer unruhigen Nacht, in der Lisa mehrfach aufgewacht war, machte sie sich auf den Weg zum Pforzheimer Kriminalkommissariat, wo sie seit einem Jahr arbeitete. Auf der B 10 in Höhe des Sperlingshofes trat sie fluchend auf die Bremse. Ein Stau. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, sie war sowieso spät dran.

Da die Autos vor ihr keine ortsansässigen Kennzeichen hatten, ging Lisa davon aus, dass die Autobahn gesperrt war und die Fahrer von ihren Navigationsgeräten umgeleitet worden waren. Vielleicht hat es einen Unfall gegeben, überlegte sie und verfiel gedanklich wieder in ihre eigenen Probleme. Sie liebte Klaus und ja, sie würde gerne mit ihm zusammenziehen und eine Familie gründen, nur jetzt noch nicht. Sie war gerade erst richtig hier angekommen. Auf der anderen Seite wollte sie ihn aber nicht verlieren.

Sie seufzte und gab Gas, als der Verkehr endlich wieder zu fließen begann.

Eine Stunde später betrat sie, genervt über ihre Verspätung, das Kriminalkommissariat.

Hauptkommissarin Lea Sonntag, die ihr inzwischen zu einer guten Freundin geworden war, eilte ihr entgegen. »Mensch Lisa, wo bleibst du denn? Alle warten nur auf dich. Die morgendliche Besprechung hat längst begonnen. Der Chef möchte von dir wissen, was sich gestern im Römermuseum zugetragen hat.«

Lisa stöhnte. Der Tag konnte nicht schlechter beginnen. »Ich komme ja schon.«

»Hey, was ist los mit dir? Ist was passiert? Hattest du eine schlechte Nacht?«

»Viele Fragen auf einmal, Klaus möchte mit mir zusammenziehen. Lass uns später einen Kaffee trinken. Okay?«

»Gerne, wir können mittags zu Thalia, einen Kaffee trinken gehen.« Lea strich sich eine Strähne ihrer blonden Locken aus dem Gesicht.

Lisa nickte dankbar. Sie wusste, dass Lea sie verstand, hatte die doch die gleiche Bindungsangst erlebt, bis sie sich endgültig für ihren Mann entschieden hatte, der Hauptkommissar auf dem Polizeiposten in Schömberg gewesen war, wo auch sie gearbeitet hatte.

Als sie beide den Besprechungsraum betraten, wurden sie von drei Augenpaaren erwartungsvoll gemustert. Peter Baumann, der Leiter des Kriminalkommissariats, Jörg Sebastian, der inzwischen zum Hauptkommissar befördert worden war, und der neue Kollege, Oberkommissar Frank Rippberger, hatten sich um den langen Besprechungstisch versammelt.

Lisa murmelte eine Entschuldigung und ließ sich neben ihrer Freundin nieder, die sich auf den Stuhl an der komplett freien Längsseite des Tisches gegenüber dem Fenster gesetzt hatte.

Der Chef, der an der Stirnseite saß, erhob sich und stellte sich vor das Whiteboard. Er war am liebsten in Bewegung und konnte nicht lange stillsitzen. Nun wandte er sich an Lisa. »So, dann berichte uns mal von deinem gestrigen Besuch im Wilferdinger Römermuseum. Du hast doch die Kollegen gerufen. Stimmt’s?«

»Ja, ich habe an der Führung der Zeitenwende teilgenommen, als plötzlich ein Tumult entstand, weil in einer Nische ein Mann einen allergischen Schock erlitt. Da Herr Schlegel, so heißt er, ein Notfallset bei sich trug und bei den Teilnehmern der Führung ein Arzt zugegen war, konnte ihm schnell geholfen werden. Während der Patient von den inzwischen eingetroffenen Sanitätern zum Rettungswagen gebracht wurde, ertönte erneut ein Schrei. Dieses Mal vom Durchgang, der ins Bistro und zum Museumsrundgang führt. Eine Frau, die ehrenamtlich im Café tätig ist, hat einen Knall und das Geräusch von splitterndem Glas gehört, ist dorthin gerannt und hat dann die eingeschlagene Scheibe des einen Schaukastens gesehen. Gestohlen wurde ein Frauenkopf aus Sandstein. Eigentlich wertlos, wie ich erfahren habe. Dann haben die Kollegen aus Neuenbürg übernommen.« Lisa lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und sah Peter Baumann abwartend an.

Der kratzte sich am Kinn, eine gewohnte Geste von ihm, wenn er nachdachte. »Und du? Hast du mit niemandem gesprochen?«

»Doch, wir haben natürlich noch kurz …«

»Wer ist wir?«, unterbrach Baumann.

»Nun, also, ich war mit Klaus Kübler dort.« Mehr gab es nicht zu erklären, denn Peter wusste, dass sie mit dem Kollegen aus Remchingen liiert war.

»Okay, also, mit wem habt ihr gesprochen?«

Lisa verdrehte die Augen. Der Chef hätte sie gleich aussprechen lassen können. »Wir haben noch mit der Frau, die den Diebstahl bemerkt hat, geredet. Sie hat aus dem Augenwinkel heraus eine Person, wahrscheinlich eine Frau, bemerkt, die zum Ausgang gerannt und verschwunden ist. Angeblich trug die ein wehendes Gewand, am ehesten wohl ein Kleid oder einen langen Rock mit Umhang.«

»Gut. Was meinst du? Hat der anaphylaktische Schock des Mannes etwas mit dem Diebstahl zu tun?«

»Hm, das habe ich mir auch schon überlegt, allerdings ...«

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Meint ihr, der Mann hat simuliert?«, fiel ihr Jörg Sebastian ins Wort. »So was kann doch nicht vorgetäuscht werden.«

Lea nickte zustimmend.

»Nicht unbedingt, ich denke, das war nicht vorgetäuscht. Schließlich war ein Arzt dabei. Aber in der Tat ist es ein komischer Zufall, wenn es zeitgleich zwei solche Ereignisse gibt«, sagte Lisa. »Im ersten Moment dachte ich auch an ein Ablenkungsmanöver. Allerdings könnte es sein, dass der Dieb oder die Diebin einfach die Gelegenheit genutzt hat.«

»Das glaube ich eher«, kommentierte Lea.