Mörderische Zeiten - Manuela Kusterer - E-Book

Mörderische Zeiten E-Book

Manuela Kusterer

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Beschreibung

Neuanfang Lisa Breuer lässt ihr altes Leben hinter sich und hofft auf einen Neuanfang in Remchingen. Die Hauptkommissarin hat sich mit Erfolg auf eine freie Stelle im Pforzheimer Polizeipräsidium beworben. Viel Zeit zum Eingewöhnen bleibt ihr nicht, denn recht schnell muss sie sich mit einem ungeklärten Todesfall auseinandersetzen. Da es bald noch weitere Tote gibt, kommt die Polizeibeamtin kaum dazu, über ihre eigenen Probleme nachzudenken. Sie muss privat eine Entscheidung treffen, verdrängt diese aber solange, bis sie von der Vergangenheit eingeholt wird. Nicht immer handelt Lisa kühl und überlegt und bringt sich dadurch selbst in Gefahr...

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Seitenzahl: 191

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Manuela Kusterer, in Pforzheim geboren, Jahrgang 1964, lebt heute mit ihrem Mann und ihrem Hund in Remchingen. Sie hat zwei erwachsene Söhne.

2016 veröffentlichte sie ihren Debütkriminalroman „Das Schweigen im Schwarzwald“ im Selfpublishing.

Daraufhin folgten drei weitere Schwarzwaldkrimis, die zur Regionalkrimiserie gehören und im Kurort Schömberg im Nordschwarzwald angesiedelt sind.

Außerdem gibt es von der Autorin eine Romanserie, die mit dem Buch „Die Liebe, das Leben und die täglichen Katastrophen“ beginnt.

„Wer nicht vergessen kann, muss töten“, „Gefährliche Entscheidung“ und „Gefährlicher Deal“ sind unabhängige Krimis, die in Berlin und in Pforzheim spielen.

Wenn die Autorin gerade nicht schreibt, lernt sie gerne Fremdsprachen oder malt Aquarelle.

Besuchen Sie die Autorin im Internet.

www.manuelakusterer.com

oder in Facebook:

AutorinManuelaKusterer

Handlungen und Personen in diesem Kriminalroman sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden und toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Buch

Hauptkommissarin Lisa Breuer lässt ihr altes Leben hinter sich und wagt einen Neuanfang in Remchingen. Als ihr Jugendfreund Klaus ihr von einer freien Stelle im Pforzheimer Kriminalkommissariat erzählt, überlegt sie nicht lange und beantragt eine Versetzung, die schnell genehmigt wird. Nach den ersten Wochen stellt sie verwundert fest, dass es dort nicht ruhiger als in Berlin ist. Eine Mordserie beginnt und die Beamtin hat keine Zeit mehr, über ihre eigenen Probleme nachzudenken. Als ihr lang gehegtes Geheimnis ans Tageslicht kommt, hofft sie, dass jetzt alles gut wird. Aber so einfach wird es nicht. Lisa neigt dazu, im Alleingang zu ermitteln, begibt sich in Gefahr und versetzt ihre Freunde und Kollegen in Angst und Schrecken.

Für meinen Papa

Inhaltsverzeichnis

Remchingen: Neubeginn

Das Ehepaar

Das Abendessen

Pforzheim: Stammtisch

Der erste Arbeitstag

Remchingen

Polizeiposten

Pforzheim – Remchingen

War es Mord?

Pforzheim: Besprechung auf dem Polizeipräsidium

Remchingen: Das Telefongespräch

Die Befragung

Pforzheim: Der Neue

Remchingen: Der Ex

Die Schwester braucht Hilfe

Im Alleingang

In der Zwischenzeit auf dem Remchinger Polizeiposten.

Der Tote

Pforzheim: Schwarze Katze

Pforzheim – Remchingen: Befragungen der Nachbarn

Pforzheim: Stammtisch

Remchingen: Schlaflos

Pforzheim: Besprechung

Remchingen: Schon wieder eine Tote

Pforzheim: Besprechung beim Chef

Die Befragung der Zeugin

Gute Laune

Die Aussage

Remchingen: Ein fast perfekter Abend

Pforzheim: Tatort

Remchingen: In der Zwischenzeit im Polizeiposten

Die Überraschung

Pforzheim: Kriminalkommissariat

Pforzheim – Stammtisch

Remchingen: Leichtsinnige Entscheidung

Remchingen: Wo ist die Hauptkommissarin?

Der Polizeieinsatz

Pforzheim: Das Verhör

Remchingen: Der Beginn einer Freundschaft

Pforzheim: Besprechung

Remchingen: Am nächsten Morgen

Pforzheim: Zeugenbefragung

Remchingen: Die Stimmungsschwankung

Heimsheim: Justizvollzugsanstalt

Die Heimfahrt

Remchingen: Justizvollzugsanstalt

Remchingen: In der Zwischenzeit

Pforzheim: Besprechung

Im Krankenhaus

Im Krankenzimmer

Kriminalkommissariat

Remchingen: Die Entscheidung

Pforzheim - Kriminalkommissariat: Besprechung

Remchingen: Lisa

Dank

Eine kleine Bitte zum Schluss

Leseprobe: Prolog

Kapitel 1: Pforzheim

Kapitel 2: Berlin

Remchingen

Neubeginn

Eine halbe Stunde bevor die Bahn in Wilferdingen eintraf, hatte Lisa es aufgegeben gedanklich abschalten zu können. Seit sie in Berlin in den ICE gestiegen war, grübelte sie, ob ihr Entschluss, alles hinter sich zu lassen, richtig war. Aber hatte sie nicht das Recht, die Zelte dort abzubrechen, wo sie ständig an ihre unglückliche Liebe erinnert wurde? Eine unerwiderte Liebe, fügte Lisa in Gedanken hinzu. Aber was war der Preis dafür? Bürdete sie ihrer Mutter zu viel auf? Glücklich war diese über ihre Entscheidung nicht gewesen.

Die Stimme eines Bahnangestellten, der durch den Lautsprecher verkündete, dass sie in Kürze ihr Ziel erreichen würde, riss sie aus ihren Gedanken. In wenigen Minuten würde Lisa ihre neue Heimat kennenlernen. Ihr Jugendfreund Klaus, der schon seit Jahren in Wilferdingen - einer der vier Ortschaften, die zu Remchingen gehörten - lebte, hatte die kleine möblierte Wohnung in der Hauptstraße für sie ausfindig gemacht. Den Mietvertrag hatte er ihr gefaxt und sie hatte ihn unterschrieben, ohne lange zu überlegen. Lisa war es vollkommen egal, wo sie wohnen würde, wichtig war ihr nur die neue Stelle als Hauptkommissarin in Pforzheim, die sie ebenfalls durch die Information von Klaus bekommen hatte. Da sie es bevorzugte auf dem Land zu leben und die Bahnverbindung von Wilferdingen zu ihrer neuen Arbeitsstelle perfekt war, hatte sie den unterschriebenen Vertrag sofort zurückgeschickt.

Sie sah Klaus schon von Weitem, noch bevor der Zug hielt, und freute sich aufrichtig, ihn zu sehen. Im Geiste dachte sie an die Jahre, die vergangen waren, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Es musste kurz nach ihrem gemeinsamen Abitur gewesen sein. Das waren jetzt schon sechzehn Jahre. Klaus hatte sie vor längerer Zeit über Facebook kontaktiert und seitdem hielten sie sporadisch Kontakt miteinander.

Inzwischen hatte Lisa ihr Gepäck, bestehend aus einem Trolley, einer Reisetasche und einem Rucksack, zusammengerafft. Mehr benötigte sie im Moment nicht. Alles andere würde sie sich nach und nach anschaffen. Schließlich hatte sie vor, einige Jahre hier zu verbringen. So reiselustig, ständig den Ort zu wechseln, war sie nicht. Aber aus Berlin, da musste sie weg. Dort fehlte ihr die Luft zum Atmen, so kam es ihr zumindest manchmal vor.

Nachdem Lisa aus dem Zug gestiegen war, riss sie sich als Erstes die FFP2-Maske vom Gesicht und atmete tief die warme sommerliche Luft ein. Sie hatte nicht einmal Zeit, sich am Bahnhof ihrer neuen Heimat umzuschauen, denn Klaus war schon zur Stelle und drückte sie so fest an sich, dass sie das Gefühl hatte, erneut an Luftmangel zu leiden.

„Hey, du erdrückst mich ja. Lass mich doch erstmal ankommen.“ Lachend befreite sie sich aus seinen Armen.

„Entschuldige.“ Ihr Jugendfreund trat einen Schritt zurück und musterte sie. „Schließlich habe ich meine beste Freundin eine Ewigkeit nicht gesehen. Aber ich muss sagen, was ich sehe, enttäuscht mich nicht.“

Lisa verdrehte die Augen. „Immer noch der gleiche Schleimer. Das hätte ich mir denken können.“ Klaus lachte. „Immer noch um keine Antwort verlegen. Das hätte ich mir denken können.“

Lächelnd wedelte Lisa sich Luft zu. „Kannst du dir vorstellen, wie es ist, sechs Stunden lang mit Maske in der Bahn zu sitzen?“

„Das möchte ich mir gar nicht vorstellen. Das ist ein Albtraum. Hättest du vor zwei Jahren gedacht, dass wir uns 2022 immer noch mit Corona beschäftigen müssen? Also ich nicht.“

„Doch, das war mir schon klar, dass uns dieses Thema eine Weile erhalten bleibt. Mir gehen nur die ständigen Diskussionen darüber auf die Nerven. Inzwischen bekommt man schon mit Freunden Streit, wenn man mal unüberlegt etwas sagt.“

„Das muss nicht unüberlegt sein“, erwiderte Klaus. „Die Meinungen gehen eben auseinander, welche Maßnahmen sinnvoll sind und welche nicht. Aber lass uns das Thema wechseln. Ich hätte dich auch in Karlsruhe abholen können, dann hättest du eine halbe Stunde weniger Fahrtzeit gehabt.“

Lisa winkte ab. „Kein Problem, es gibt Schlimmeres.“ Sie sah sich um und stellte befriedigt fest, dass sie sich hier wohl fühlen könnte. Dazu trug wahrscheinlich auch der strahlende Sonnenschein bei, der an diesem Tag im Juli herrschte.

Klaus griff nach Lisas Reisetasche und dem Trolley. „Möchtest du dir zuerst Wilferdingen ansehen oder deine Wohnung?“

„Hm, während der Autofahrt dorthin, kann ich doch auch schon ein bisschen sehen, nehme ich an. Da ich total müde bin, ziehe ich es vor, auf dem direkten Weg zur Wohnung zu fahren.“

Klaus schmunzelte. „Nun“, sagte er zögernd, „wir sind hier nicht in Berlin. Von Fahren kann nicht die Rede sein. Ich bin zu Fuß hier.“

Entsetzt schaute Lisa ihn an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst. Außerdem dachte ich, gerade weil wir nicht in Berlin sind, müssten wir fahren, da es hier ja keine U-Bahnen gibt.“

Klaus legte ihr beruhigend den freien Arm um die Schulter. „Bleib ganz entspannt.“

Er hob den Kopf, da seine Hände mit dem Gepäck beschäftigt waren, und deutete mit dem Kinn quer auf die andere Straßenseite. „Siehst du dort die Aral-Tankstelle?“ Lisa nickte.

„Wenn wir diese Straße ungefähr fünfhundert Meter entlang gehen, dann sind wir am Ziel.“

„Okay“, Lisa atmete erleichtert auf.

Während die beiden nebeneinander hergingen, schaute sie sich interessiert um und deutete auf Höhe der Tankstelle auf die andere Straßenseite.

„Und das, nehme ich an, ist euer neues Rathaus. Stimmt´s?“

„Nein, das ist die Kulturhalle und dann kommt das Rathaus. Dort befindet sich mein Arbeitsplatz.“

„Und wo wart ihr vorher?“

„Warte, wir kommen gleich daran vorbei. Das Haus ist hier auf dieser Seite. Da ist jetzt ein Kindergarten drin.“

„Okay“.

Klaus lächelte. „Da kannst du dann mal dein Kind unterbringen.“

Nachdem Lisa daraufhin nichts zu sagen hatte und schnell das Thema wechselte, dachte er sich, dass seine Jugendfreundin vielleicht mit Kindern nicht viel am Hut hatte. Ihm war aufgefallen, dass sich ihr Gesicht regelrecht verfinstert hatte. Weil Lisa gefragt hatte, wie es ihm auf dem Polizeiposten gefalle und wie viele Kollegen er dort habe, ging er auf den Themenwechsel ein.

„Neuerdings haben wir einen Hauptkommissar zur Verstärkung bekommen. Das sollte eigentlich nur vorübergehend sein, weil sich meine Kollegin Damaris eine Auszeit nimmt. Sie hat einen längeren Krankenhausaufenthalt wegen Corona hinter sich und fühlt sich einfach nicht fit. Wir hoffen, dass sie kein Long-Covid hat. Auf jeden Fall arbeitet sie im Moment nur Teilzeit, bis in einigen Wochen ihre Reha beginnt. Jetzt läuft es aber darauf hinaus, dass der Neue doch auf Dauer bleiben wird. Es ist übrigens...“

„Ist doch gut, wenn er bleibt. Oder?“ Abwesend schaute sie ihn an.

„Ja, klar. Dann ist da natürlich unser Chef, der Bernd Schneider und die Sekretärin Anja Reichenbacher.“

Klaus hatte das Gefühl, dass Lisa ihm nur mit halbem Ohr zugehört hatte, aber inzwischen waren sie am Ziel angekommen.

Sie schaute an dem Haus empor, das sich auf der gleichen Seite befand, auf der sie standen.

„Und? Gefällt es dir?“

„Auf jeden Fall. Es sieht sehr gepflegt aus. Überhaupt der ganze Ort, ich denke, hier kann man sich wohlfühlen.“

„Na, dann komm mal rein.“ Klaus hatte vom Vermieter den Schlüssel bekommen, da dieser heute verhindert war. Herr Becker ließ ausrichten, dass er in den nächsten Tagen vorbeischauen würde. Die Wohnung befand sich im ersten Stock. Nachdem Lisa hinter ihrem Jugendfreund die Zweizimmerwohnung betreten hatte, kämpfte sie zunächst mit ihrer Enttäuschung. Etwas moderner hatte sie sich die Einrichtung doch vorgestellt. Sie bemühte sich, ihre Gefühle zu verbergen, als Klaus sie erwartungsvoll ansah. So ganz gelang ihr das anscheinend nicht, denn er äußerte sich: „Nun, die Möbel sind wahrscheinlich nicht nach deinem Geschmack, meiner ist es auch nicht, aber da hast du ja freie Hand. Oben befindet sich ein Speicher und einen Keller gibt es auch. Da kannst du alles zwischenlagern, was du nicht magst und dir nach und nach eigene Sachen anschaffen.“

Lisa winkte ab. „Schon gut. Das ist nicht so wichtig. Und so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“ Ihr Blick schweifte über den Boden.

„Das Parkett ist wunderschön und alles andere kann man tatsächlich ändern.“

„Ich helfe dir gerne, wenn du Hilfe brauchst.“

„Das ist lieb. Jetzt gewöhne ich mich erst einmal ein. Es ist alles schön weiß gestrichen, da muss man gar nichts machen. Was will man mehr.“

Inzwischen waren sie im Wohnzimmer angekommen. Der Raum war nicht allzu groß, aber im Gegensatz zur Diele recht nett eingerichtet.

An den beiden Fenstern waren neue Vorhänge im Grünton angebracht. Links in der Ecke befand sich ein alter Ohrensessel, der mit einer cremefarbenen Decke verschönert war. Und was Lisa wirklich gut gefiel, war ein dunkelbraunes Sideboard aus massivem Holz neben der Tür. Ein weißer runder Couchtisch und ein kleines Zweisitzer Sofa aus buntem Stoff vervollständigten die Einrichtung. Klaus war ebenfalls überrascht, nach den abgenützten alten Garderobemöbeln im Eingangsbereich, diesen heimeligen Raum anzutreffen.

„Na siehst du. Geht doch.“

Lisa lächelte. „Sei mir nicht böse, aber ich brauche jetzt ein bisschen Zeit für mich.“

„Na klar, du wirst müde sein. Ich gehe, dann kannst du dich ausruhen. Allerdings möchte ich dich heute Abend gerne zum Essen ausführen. Was meinst du?“

„Hm, ich weiß nicht. Können wir das nicht lieber morgen machen?“ Als Lisa sein enttäuschtes Gesicht sah, sprach sie schnell weiter. „Aber da ich hier noch keine Lebensmittel habe und heute ganz sicher nicht mehr einkaufen gehe...“

„Ich könnte Pizza holen, die wir hier zusammen essen können. Sozusagen als Einweihung“,unterbrach Klaus sie.

„Gute Idee, gibt es hier eine Pizzeria in der Nähe?“

„Ja, sogar mehrere und alle sind gut. Dann machen wir das so. Wann darf ich wieder kommen?“

Mit Blick auf ihre Armbanduhr stellte Lisa fest, dass es 17:00 Uhr war.

„Ups, schon so spät. Wie wäre es mit 19:00 Uhr?“

„Perfekt. Dann ruhe dich bis dahin ein bisschen aus.“

„Mach ich. Dann bin ich dir nachher bestimmt eine bessere Gesellschaft.“

„Das bist du auch so, aber jetzt ist es zu früh zum Abendessen. Ich freue mich auf später. Bis dann.“ Nachdem er ihr einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, war er verschwunden und Lisa allein mit ihren Gedanken. Sie stand am Fenster und beobachtete, wie ihr Kollege die Straßenseite überquerte und in der gegenüberliegenden Metzgerei verschwand.

„Also verhungern muss ich hier nicht“, murmelte sie vor sich hin. Unerwarteterweise hatte sich Lisa in der Gegenwart von Klaus heute vollkommen entspannt gefühlt. Ja, sie hatte sich tatsächlich gefreut, ihn zu sehen. Das war schon mal anders gewesen, damals in ihrer Schulzeit, als sie festgestellt hatte, dass er unsterblich verliebt in sie war. Da sie aber seine Gefühle nicht erwidern konnte und nur Augen für Max hatte, war das etwas anstrengend gewesen. Schließlich war Klaus dann weggezogen. Max hatte sie damals keines Blickes gewürdigt. Das änderte sich erst, als sie ihn zehn Jahre später in der Stadt getroffen hatte. Sie waren dann zusammen in eine Bar gegangen und hatten ab diesem Zeitpunkt viel Freizeit miteinander verbracht und das Bett geteilt. Bis dann vor fast vier Jahren ... Na ja, darüber wollte Lisa jetzt nicht nachdenken. Sie wandte sich ruckartig vom Fenster ab und erschrak, weil ihr Handy klingelte. Auf dem Display las sie ‚Mama‘. Nein, das konnte sie jetzt nicht gebrauchen, dass ihre Mutter wieder Schuldgefühle bei ihr heraufbeschwor.

Sie drückte das Gespräch weg und nahm sich vor, später zurückzurufen. Vielleicht.

Das Ehepaar

Franz Bierbock saß mit seiner Frau Bianca in der altmodisch eingerichteten Küche. Er hatte das Elternhaus in Nöttingen nach dem frühen Tod seiner alleinerziehenden Mutter geerbt und weigerte sich, sehr zum Ärgernis seiner Frau, irgendetwas zu verändern oder gar neue Möbel anzuschaffen.

Missmutig starrte Bianca die farbige Wachstischdecke an. Schweigend trank das Ehepaar Kaffee, wie jeden Nachmittag um 16:00 Uhr. Das hatte Franz eingeführt, gleich nachdem er 2020 mit sechzig Jahren in den Vorruhestand gegangen war. Pünktlich um 16.30 Uhr erhob er sich, schaute auf seine Frau herab und sprach sie an. Diese zuckte zusammen, denn das war sie nicht gewöhnt. Normalerweise verließ ihr Mann leise vor sich hinmurrend den Raum.

„Ich gehe heute Abend fort. Das wolltest du doch immer, stimmt´s?“

Überrascht hob Bianca den Kopf und versuchte, ihre Freude zu verbergen. Stattdessen sah sie ihn fragend an. „Wie das, so plötzlich?“

„Na, du meintest doch dauernd, dass ich mal was unternehmen soll. Und das mache ich jetzt.“

„Okay. Ich sagte zwar, dass wir vielleicht zusammen etwas unternehmen könnten, aber natürlich kannst du das auch alleine tun“, erwiderte sie schnippisch, „wo soll´s denn hingehen?“

„Ich habe gestern meinen Schulkameraden Anton getroffen. Und der hat sich so gefreut mich zu sehen, dass er mich gefragt hat, ob ich nicht Lust auf einen wöchentlichen Stammtisch habe. Unser gemeinsamer Kumpel Detlef aus Jugendzeiten würde da auch gerne mitmachen. Das hat er mir heute Morgen am Telefon erzählt.“

„Ach so.“ Bianca hatte sich schon gewundert, wer der ominöse Anrufer war, denn Franz hatte nichts dazu gesagt.

Ihre Ehe war schon längst auf einem absoluten Tiefpunkt, darüber war sich Bianca im Klaren, aber bis vor Kurzem hatte sie noch ein bisschen Hoffnung, dass alles gut werden könnte. In den letzten Tagen war ihr allerdings klargeworden, dass sie mit Franz nie richtig glücklich gewesen war. Höchstens in der Anfangszeit.

Deshalb freute sie sich auf einen gemütlichen Abend ohne ihren Ehemann. Und das sogar wöchentlich. Wenn sie es sich manchmal auf dem Sofa bequem machte und ein Buch zur Hand nahm, um zu lesen, dann passte ihm das nicht und er meckerte ständig an ihr herum. Irgendetwas fiel ihm immer ein, so dass sie nie in ihrem Roman versinken konnte.

Als von ihr kein Einwand kam, äußerte er sich: „Das ist alles? Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“

„Nein, das ist doch schön für dich. Ich gönne dir das. Vielleicht gehe ich auch mal mit alten Freundinnen aus.“

Sofort verfinsterte sich seine Miene, er entgegnete aber nichts und verließ die Küche. Bianca atmete erleichtert auf.

Das Abendessen

„Lecker. Das war eine gute Idee von dir.“

Lisa lächelte ihren Jugendfreund an und schob den leeren Pizzakarton auf die Seite. Bevor sie das Geschirr, das in der möblierten Wohnung ausreichend vorhanden war, benutzen würde, wollte sie es zuerst durchspülen.

„Das erinnert mich an längst vergangene Zeiten.“ Klaus schaute Lisa mit verklärtem Blick an, so dass ihr ganz anders wurde. Schnell erhob sie sich, um die Essensreste aufzuräumen. Aber ihr Jugendfreund hielt sie am Arm fest.

„Jetzt bleib doch mal sitzen. Ich helfe dir nachher dabei. Erzähl doch mal.“

„Was möchtest du denn wissen?“ Lisa hatte sich zögernd wieder hingesetzt.

„Na, von deiner Zeit in Berlin. Was du erlebt hast und wie es dir ergangen ist. Hattest du einen Freund? Nach Max, meine ich. Oder warst du die ganze Zeit allein?“

„Ach, eine Zeitlang... aber die meiste Zeit war ich Single.“ Mehr war nicht aus ihr herauszubringen.

„Erzähle du mir lieber was von hier. Das ist viel interessanter. Wie sind meine Kollegen in Pforzheim? Kennst du sie?“

„Also kennen ist zuviel gesagt, aber wir hatten hin und wieder miteinander zu tun. Aber nicht allzu oft, da es zumindest hier in Remchingen recht ruhig zugeht. Da gibt es höchstens mal Diebstähle und ab und zu eine Schlägerei.

Und Drogengeschichten, ja, das hat auch bei uns überhandgenommen. Leider. Wir haben hier nur einen Polizeiposten mit geregelten Arbeitszeiten. Nachts ist niemand da.“

„Und wenn dann etwas passiert?“

„Da müssen die Anrufer sich an Pforzheim oder Neuenbürg wenden.“

„Dann schiebst du ja eine ruhige Kugel.“

Lisa lächelte.

„Nun ja, ganz so ist es auch nicht. Aber wenn ich Feierabend habe, dann brauche ich keine Angst zu haben, dabei gestört zu werden. Was grinst du denn so?“ Er folgte ihrem Blick, der an seinem kleinen Bauchansatz hängenblieb und erwiderte auf ihre Neckereien eingehend: „Ich bin schließlich keine zwanzig mehr.“

„Steht dir gut.“ Als Lisa seinen entrüsteten Blick bemerkte, konnte sie nicht an sich halten und prustete los.

„Ich sehe schon, ich muss was tun. Morgen fange ich an zu joggen.“ Klaus seufzte tief.

„Das ist eine gute Idee. Ich komme mit.“

Entsetzt musterte er Lisa. War das womöglich ihr Ernst? Er hasste Sport und hatte das nur so dahingesagt.

„Aber nun zum Pforzheimer Team. Peter Baumann ist der Leiter des Kriminalkommissariats, das weißt du ja. Maria Fernandez, seine Sekretärin, himmelt ihn an, streitet es aber ab, wenn man sie darauf anspricht. Schließlich ist er glücklich verheiratet. Dann gibt es Hauptkommissarin Lea Sonntag. Sie arbeitet in Teilzeit, weil sie zwei kleine Kinder hat. Und ich glaube, im Moment haben sie dann nur noch Oberkommissar Jörg Sebastian. Deshalb warten sie auch sehnsüchtig auf dich, denn in Pforzheim ist einiges mehr los als hier bei uns in Remchingen. Aber die Einzige, die ich etwas näher kennengelernt habe, ist die Lea, weil wir mal in einem Fall zusammengearbeitet haben. Sie ist echt nett. Ihr werdet euch sicher gut verstehen.“

„Naja, du weißt, ich bin nicht so der Freundinnentyp.“

Klaus konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

„Daran kann ich mich noch gut erinnern. Wir werden sehen. Auf jeden Fall war Lea bevor sie zu den Pforzheimern gestoßen ist, die Chefin in Schömberg im Nordschwarzwald.“

„Echt? Und warum ist sie dort weggegangen.“ Klaus seufzte theatralisch. „Na weswegen wohl?“

„Na sag schon.“

„Der Liebe wegen. Sie hat sich in ihren Kollegen verknallt, ihn schließlich geheiratet und zwei Kinder mit ihm bekommen.“

Lisa grinste. „So was passiert mir mit Sicherheit nicht.“

„Bist du da sicher? Du könntest aber was mit mir anfangen, schließlich arbeiten wir nicht zusammen.“

Sie zog ihre Augenbrauen hoch und musterte Klaus nachdenklich. „Das war doch hoffentlich Spaß, oder?“

„Entspanne dich. Meine Teenagerschwärmerei für dich ist längst vorbei.“

Lisa atmete erleichtert auf, was Klaus nicht entging. Er verabschiedete sich dann auch recht schnell.

Auf dem Heimweg grübelte er über seine langjährige Freundin. Sie hatte sich kaum verändert, abgesehen davon, dass sie immer noch nichts von ihm wissen wollte. Aber er ja auch nicht mehr. Oder doch? Er schüttelte vehement den Kopf. Nein, das war vorbei. Er fand sie nach wie vor wunderschön, mit ihrer hellbraunen Lockenmähne und ihren niedlichen Wangengrübchen. Bevor er mehr ins Schwärmen geriet, rief er sich zur Vernunft. Außerdem stellte er fest, dass er noch weniger schlau aus ihr wurde als damals, wenn das überhaupt möglich war.

Ganz so verschlossen wie heute, war sie früher nicht gewesen.

Da er keine Lust hatte, in seine leere Wohnung zu gehen, die sich in Singen, einem der vier Remchinger Ortsteile, befand, entschied er, ein Bier im Brauhaus zu trinken.

Pforzheim

Stammtisch

Der erste Abend des neu eröffneten Stammtisches von Franz Bierbock, Anton Morlock und Detlef Bauer fand in einem Bistro am Pforzheimer Schlossberg statt. Das Trio hatte sich um einen kleinen runden Tisch in einer Nische platziert.

„Das war ne super Idee von euch. Endlich komm ich mal für ne Weile von meiner Alten weg“, begann Franz die Unterhaltung.

Die beiden anderen prusteten los.

„Wieso, stehst du bei ihr unter dem Pantoffel?“, wollte Detlef wissen.

„Natürlich nicht, aber ich hatte auch keine Lust, alleine etwas zu unternehmen. Und wie sieht es bei dir aus. Hast du deine Frau im Griff?“ Fragend schaute Franz seinen Kumpel Anton aus Jugendzeiten an, dabei plusterte er sich wie ein Papagei auf.

„Natürlich“, antwortete dieser wortkarg.

„Und was ist mit dir?“ Fragend schauten Franz und Anton nun den dritten im Bunde an. Detlef stierte einen Moment nachdenklich vor sich hin, äußerte sich dann aber in ernstem Ton: „Da ich keine Frau habe, ist das für mich kein Thema.“ Weder Anton noch Franz erlaubten sich eine blöde Bemerkung bei dieser Aussage, weil sie bemerkten, dass ihrem Freund etwas auf der Seele brannte und der fuhr auch sogleich fort: „Ihr kennt doch meine Schwester. Stimmt´s?“

„Na klar, kennen wir Annika“, erwiderten beide wie aus einem Munde.

„Allerdings habe ich sie ungefähr dreißig Jahre lang nicht mehr gesehen.“ Nachdenklich kratzte sich Anton am Kinn.

„Was ist denn mit ihr?“ Ungeduldig sah Franz seinen Kumpel an.

„Sie ist schon seit Jahren drogenabhängig.“

Entsetzt blickten seine Stammtischfreunde ihn an.

„Da muss man doch was unternehmen. Du kannst Annika doch nicht ins Unglück rennen lassen“, meldete sich Anton zu Wort, der früher ein bisschen verliebt in die kleine Schwester gewesen war.

„Und was denkst du, was ich tun soll? Vielleicht den Sascha umbringen? So heißt ihr Freund, der sie in die Drogenszene gebracht hat.“

„Das wäre die beste Lösung“, murmelte Franz vor sich hin.

„Lasst uns von was anderem reden.“ Detlef rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl herum.

Es wurde dann ein lustiger Abend, nachdem das Thema „Annika“ beendet worden war. Die drei nahmen sich vor, diese Art von Zusammenkunft wöchentlich zu wiederholen, und fuhren gegen Mitternacht mit der Bahn nach Hause.

Der erste Arbeitstag