Mrs. Harris fliegt nach Moskau - Paul Gallico - E-Book

Mrs. Harris fliegt nach Moskau E-Book

Paul Gallico

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Beschreibung

Mrs. Harris und die Liebe in Zeiten des Kalten Kriegs.

Ein englischer Schriftsteller verliebt sich in eine Moskauer Fremdenführerin. Doch die Zusammenführung des west-östlichen Liebespaares scheint unmöglich. Doch nicht für Mrs. Ada Harris! Resolut nimmt sie das Projekt in die Hand und begibt sich mit ihrer besten Freundin Mrs. Violet Butterfield auf eine turbulente Reise in die Sowjetunion und setzt alles daran, dass die Liebe alle Grenzen überwinden kann …

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Über Paul Gallico

Paul Gallico wurde in New York als Sohn der österreichischen Violinistin Hortense Erlich und des italienischen Komponisten, Musiklehrers und Pianisten Paolo Gallico geboren, die 1895 in die Neue Welt ausgewandert waren. 1916 begann Gallico ein Studium an der Columbia University, das er 1921 mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Science abschloss. Danach arbeitete er als Sportjournalist bei den New York Daily News, wo er ab 1923 auch eine eigene Kolumne hatte.

In den 30er Jahren wandte er sich zunehmend vom Sport ab und verfasste Kurzgeschichten, von denen viele in der Saturday Evening Post erschienen. Viele seiner Erzählungen und Romane wurden später für Kino und TV verfilmt.

Paul Gallico war viermal verheiratet und hinterließ mehrere Kinder. Er starb am 15. Juli 1976 in Antibes im Alter von 78 Jahren.

Informationen zum Buch

Ein englischer Schriftsteller verliebt sich in eine Moskauer Fremdenführerin. Doch die Zusammenführung des west-östlichen Liebespaares scheint unmöglich. Doch nicht für Mrs. Ada Harris!

Resolut nimmt sie das Projekt in die Hand und begibt sich mit ihrer besten Freundin Mrs. Violet Butterfield auf eine turbulente Reise in die Sowjetunion und setzt alles daran, dass die Liebe alle Grenzen überwinden kann …

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Paul Gallico

Mrs. Harris fliegt nach Moskau

Roman

Deutsch von Kai Molvig

Inhaltsübersicht

Über Paul Gallico

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Impressum

Für meinen langjährigen Freund und LektorRoland Gant

1

Diese Fotografie hatte bisher nicht dagestanden. Mrs. Harris, deren Scharfblick nichts entging, war ihrer Sache ganz sicher. Sie nahm es sehr genau mit den kleinen Dingen, Bildern und sonstigen Erinnerungsgegenständen, von denen die Wohnungen ihrer Arbeitgeber, bei denen sie täglich saubermachte, überquollen. Die Besitzer waren, was die Anordnung der Sachen anging, zumeist recht eigen und ärgerten sich leicht, wenn irgend etwas sich nicht am gewohnten Platz befand.

Das etwa 20 x 25 cm große gerahmte Foto, das da auf Mr. Lockwoods Schreibtisch stand, zeigte das Brustbild eines in Pelz gehüllten schönen jungen Mädchens vor einem höchst merkwürdigen winterlichen Hintergrund: einer hohen Mauer, überragt von einem seltsamen Turm.

Mrs. Harris, die Mr. Lockwoods Schreibtisch, seine Schreibmaschine sowie die Nachschlagewerke und die zahllosen Kinkerlitzchen hatte abstauben wollen, die offenbar jeder Schriftsteller bei der Arbeit in Reichweite haben musste, nahm das geheimnisvolle Bild in die Hand, um es genauer zu betrachten. Ganz offensichtlich handelte es sich um die Vergrößerung eines Schnappschusses, doch auch der gröbere Raster vermochte die auffallende Schwermut der Augen nicht zu verbergen. Das Mädchen trug eine Pelzkappe, unter der dunkles Haar hervorquoll. Die genau in die Kameralinse oder auf den Menschen hinter der Kamera blickenden Augen versuchten eine Botschaft zu übermitteln. Für Mrs. Harris, phantasievoll und romantisch, wie sie nun einmal war, war es die Mitteilung einer grenzenlosen Trauer und Sehnsucht. Winter, Schnee, ein unglückliches junges Mädchen und hinter ihr eine düstere Trutzburg.

Diese Traurigkeit übertrug sich auf Mrs. Harris, oder, besser gesagt, sie verstärkte das Gefühl der Melancholie, das sie von Anfang an in dieser kleinen möblierten Wohnung empfunden hatte. Seit sechs Monaten arbeitete sie jetzt für Mr. Lockwood. Er wirkte immer sehr zerstreut und machte auf sie den Eindruck eines Menschen, an dem ein geheimer Kummer nagte.

Die kleine, schmächtige und resolute Mrs. Harris stand also jetzt in Kittelschürze, Pantoffeln und Kopftuch, gewappnet für den Kampf gegen Staub und Schmutz, den langen Stiel ihres Mops senkrecht in der Armbeuge vor Mr. Lockwoods Schreibtisch, in der einen Hand das Foto und in der anderen ein Staubtuch. Die Linien und Furchen in dem lustigen Spatzengesicht mit den runden, glänzenden Apfelbäckchen zeugten von geschlagenen Schlachten im Kampf des Lebens, und die kleinen, flinken, pfiffigen Äuglein leuchteten vor Aufregung über die gemachte Entdeckung.

Mrs. Harris war derart in den Anblick des Bildes vertieft, dass sie Mr. Geoffrey Lockwood nicht nach Hause kommen hörte; er durchquerte das Wohnzimmer, betrat sein Arbeitszimmer und ertappte sie bei etwas, was sie selbst ›herumschnüffeln‹ genannt hätte. Ada Harris war im Grunde keine Schnüfflerin, und als sie nun sozusagen in flagranti erwischt worden war, beeilte sie sich, das Glas des Bilderrahmens heftig mit dem Staubtuch zu bearbeiten.

Mr. Lockwood, einen merkwürdigen, ungewohnt finsteren Ausdruck in seinem sympathischen, ansprechenden Gesicht, trat zu Mrs. Harris, nahm ihr wortlos die Fotografie aus der Hand und stellte sie an ihren Platz zurück. Wie ein begossener Pudel stand Mrs. Harris da.

Das peinliche Schweigen musste unbedingt gebrochen werden. Mrs. Harris sagte: »Ein sehr schönes Mädchen!«

Mr. Lockwood gab keine Antwort, und da er ihr halb den Rücken zukehrte, konnte sie seine düstere, so gar nicht zu ihm passende Miene nicht sehen. Mit seinen fünfunddreißig Jahren war er noch jung zu nennen; er hatte rotblondes Haar, blaue Augen und ausgesprochen männliche Gesichtszüge, während der Mund eine leichte Schwäche verriet, die auch der kurz gehaltene Schnurrbart nicht gänzlich verbarg. Für gewöhnlich wirkte er immer ein wenig verwirrt und geistesabwesend, was Mrs. Harris, die eine verheiratete Tochter und Enkelkinder besaß und deren mütterliche Instinkte leicht zu wecken waren, von Anfang an für ihn eingenommen hatte.

Da auf ihre Bemerkung keine Reaktion erfolgt war, ließ Mrs. Harris einen zweiten Versuchsballon steigen. Sie fragte: »Wo ist das? Was ist das für ein Gebäude? Sieht aus wie ein Gefängnis.«

»Der Kreml«, erwiderte Mr. Lockwood kurzangebunden und warf dann plötzlich ohne ersichtlichen Grund den Packen Schreibpapier, den er gerade besorgt hatte, mit heftiger Gebärde auf den Schreibtisch. »Zum Teufel mit ihnen!« schimpfte er, und in seiner Stimme schwang eine solche Wut mit, dass Mrs. Harris vor Schreck einen kleinen Schrei ausstieß und sich dann entschuldigte: »Es tut mir leid, Sir, es war nicht meine Absicht …«

Mr. Lockwood wandte sich zu ihr und sagte: »Nein, Sie habe ich nicht gemeint, Mrs. Harris.« Er richtete den Blick auf das Foto, durch das junge Mädchen hindurch auf die Mauer hinter ihr und fuhr fort: »Sondern die da«, und nach einer kleinen Pause setzte er hinzu: »und unser gottverdammtes stures Foreign Office. Entschuldigen Sie, Mrs. Harris, ich wollte Sie nicht erschrecken.«

»Und ich wollte nicht schnüffeln«, sagte Mrs. Harris. »Nur … ich hatte das Bild noch nie bei Ihnen gesehen, und als ich heute hereinkam und es plötzlich da stehen sah, und das Mädchen war so wunderschön, dass ich einfach nicht anders konnte …«

»Ich weiß«, sagte Mr. Lockwood. »Bis jetzt brachte ich es nicht übers Herz, das Bild aufzustellen, aber da ich glaubte, das Foreign Office würde nun endlich etwas für mich tun …« Er beendete den Satz nicht, fügte jedoch etwas anderes hinzu, das Mrs. Harris gleichermaßen in Verwirrung brachte: »Sie ist Russin.«

Verwirrung ist nicht eigentlich das Wort, um Mrs. Harris’ Gefühle und ihre brennende Neugier zu beschreiben; es bedurfte ihrer ganzen Selbstbeherrschung, sich im Zaume zu halten. ›Foreign Office? Kreml?‹ Davon hatte sie schon mal gehört. Aber ›Russin‹? Wer war sie? Seine Frau, seine Freundin? Wo war sie? Und warum? Zweifellos war sie der Schlüssel zu dem Geheimnis, zu jener Schwermut, die ihr an Mr. Lockwood schon am ersten Tag aufgefallen war, als sie sich auf sein Inserat hin gemeldet und er sie engagiert hatte. Doch ihr angeborenes Anstandsgefühl verbot es Mrs. Harris, von diesem Schlüssel Gebrauch zu machen.

Ada Harris gehörte zu der allmählich aussterbenden Gattung von Londoner Reinmachefrauen, die, früher für fünf Shilling, inzwischen für fünfzig Pence die Stunde Wohnungen und Büros auf Hochglanz brachten. Da Ada das Leben anderer Menschen glühend interessierte, hatte sie sich auf Wohnungen spezialisiert, denn wo sonst hätte sie einen besseren Einblick in ein fremdes Leben gewinnen können? Ihre Arbeitgeber stellten bald fest, dass sie nicht nur eine äußerst gewissenhafte Arbeitskraft war, sondern auch über einen schier unglaublichen Vorrat an Weisheiten und praktischer Lebenserfahrung verfügte, kurzum, dass sie einen gesunden Menschenverstand besaß. Sie wusste unglücklich Liebende zu trösten, konnte auf Anhieb die besten Friseure und Geschäfte sowie die preisgünstigsten Läden aufzählen, half Eheprobleme zu lösen, war stets auf dem laufenden, was die letzten Pressemeldungen über Hochzeiten, Scheidungen und Gesellschaftsskandale betraf, und gehörte zu jenem Geheimbund von Putzfrauen, die untereinander den üppigsten, aus erster Hand bezogenen Klatsch austauschten, der nicht den Weg in die Zeitungsspalten fand.

Sie schnüffelte jedoch nicht herum, wie sie selbst gesagt hatte, noch horchte sie ihre Kunden aus oder steckte ihre Nase in deren persönliche Angelegenheiten. Doch sobald jemand ihr sein Herz ausschütten wollte (gewöhnlich tat das die Dame des Hauses) oder sie um Rat fragte, war Ada ganz Ohr. Auf den Stiel ihres Mops gestützt, hörte sie zu, legte ihre Ansichten dar und redete ohne Punkt und Komma eine halbe bis eine Dreiviertelstunde auf ihr Gegenüber ein. Nichts war ihr lieber als so ein richtiger Schwatz von Frau zu Frau, nicht selten zum heftigen Leidwesen ihrer Arbeitgeberinnen, die dringend zur Kosmetikerin oder zur Schneiderin mussten und an das tickende Taxi dachten, das draußen auf der Straße wartete. Mrs. Harris stellte nie eine direkte Frage – man musste sich ihr schon freiwillig eröffnen.

Zu seiner nicht geringen Überraschung bemerkte Mr. Lockwood, dass er im Begriff war, eben dieses zu tun. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, und nachdem er einen kurzen, düsteren Blick auf die elektrische Schreibmaschine geworfen hatte, sagte er: »Sie ist Fremdenführerin bei Intourist in Moskau. Ich habe sie bei meiner letzten Reise kennengelernt, als ich wegen des Buches Russland ohne Maske dort war.«

Ada Harris traute ihren Ohren nicht. Der Mann, bei dem sie von Anfang an ein Geheimnis vermutet hatte, der ihre Dienste kaum zur Kenntnis nahm und jeden Versuch, ihn zu bemuttern, ablehnte, schien plötzlich bereit, sich alles von der Seele zu reden. Lockwood spürte, ohne dass ihm das bewusst wurde, den Drang, sein Herz zu erleichtern. Ausgelöst hatte dieses Bedürfnis wahrscheinlich die Fotografie, die er die ganze Zeit zwischen seinen Sachen verborgen gehalten und jetzt hervorgeholt hatte, als er glaubte, es gäbe Hilfe für ihn und seine Sorgen. Die brüske Weigerung des Foreign Office, irgend etwas in seiner Angelegenheit zu unternehmen, hatte seine hochfliegenden Hoffnungen und Pläne zunichte gemacht. Mrs. Harris’ Verhalten und die ganze, so unglücklich verfahrene Situation – all das stürmte nun auf ihn ein, und so war er bereit, sich jemandem zu eröffnen. Und wo wären diese Eröffnungen besser aufgehoben gewesen als bei einer halb anonymen Reinmachefrau, die an jedem Werktag zwischen neun und elf Uhr mit Besen, Eimer, Schrubber und diversen Reinigungsmittel erschien, um sich seiner Junggesellenwirtschaft anzunehmen und dann wieder ins Nichts zu entschwinden?

»Sie ist Fremdenführerin bei Intourist«, wiederholte er. »Sie heißt Lisaweta Nadjeschda Borowaskaja, aber ich nannte sie Liz.« Und dann schoss ihm ein Satz durch den Kopf, den er fast unbewusst aussprach: »Es war wohl so, dass wir beide plötzlich lichterloh brannten.« Als er seiner atemlos lauschenden Zuhörerin einen Blick zuwarf, wurde er plötzlich verlegen, sprach aber weiter, nun mit ruhigerer Stimme. »Nein, so war’s eigentlich gar nicht. Ich meine, wir wollten heiraten. Ich war noch nie jemandem wie ihr begegnet. Aber Sie haben ihr Bild ja gesehen.«

Erneute Verlegenheit ließ ihn stocken, und mit einer gewissen Resignation fügte er hinzu: »Entschuldigen Sie. Ich rede wie ein Schuljunge.«

Doch Mrs. Harris war nicht gesonnen, sich damit zufriedenzugeben. Nun, da der Damm gebrochen war, glaubte sie sich berechtigt weiterzufragen: »Was ist passiert? Warum haben Sie sie nicht geheiratet?«

Lockwoods Kinn ruhte auf seiner Brust, und er richtete den Blick auf die Vergangenheit. Seine Erwiderung bestand in einem einzigen Wort: »Russland«, sagte er, so als seien damit alle Fragen beantwortet. Doch als er sah, dass seine Zuhörerin immer noch auf weitere Einzelheiten erpicht war und er nun nicht mehr gut zurück konnte, sprach er weiter. »Sie hassen Ausländer und verbieten ihren Leuten, einen Ausländer zu heiraten oder das Land zu verlassen. Wir hatten noch Glück, dass wir die Sache geheimhalten konnten, und dann musste ich abreisen. Wären sie dahintergekommen, dann hätten sie …« Er begriff, dass seine mysteriösen Andeutungen weder ihm noch seiner Zuhörerin etwas nützten, und so gab er eine chronologische Wiedergabe der Ereignisse.

Sie hatten sich – gleich zu Beginn von Lockwoods Studienreise durch Russland – kennengelernt, sich ineinander verliebt und einander Treue geschworen. Moskau war die erste Station der Reise gewesen, bevor die Fahrt ins Landesinnere auf der von Intourist festgelegten Reiseroute weiterging, die Lockwood jedoch hier und da nicht einzuhalten gedachte, da er sich das Material für das von seinem Verlag gewünschte Buch Russland ohne Maske beschaffen wollte.

Sie hatten das außerordentliche Glück gehabt, dass ihre Romanze während seines dreiwöchigen Aufenthalts in Russlands Hauptstadt nicht entdeckt worden war. Vorsichtige Erkundigungen – so als brauchte er diese Auskunft aus beruflichen Gründen – wieweit es einer Sowjetbürgerin möglich sei, einen Ausländer zu heiraten, ergaben, dass dem schier unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstanden. Eine solche Eheschließung konnte nur nach Überwindung endloser bürokratischer Hürden und ausgeklügelter Hindernisse erfolgen, und selbst dann gab es keine Garantie dafür, dass die Ehefrau oder der Ehemann, je nachdem wer von beiden nun Sowjetbürger war, das Land anschließend auch verlassen durfte. Die Aussichten waren nicht gut, doch die beiden besaßen den Mut und die Hartnäckigkeit zweier Liebender und kamen überein, dass Lockwood zunächst die geplante Reise hinter sich bringen sollte, die ihn weit nach Osten bis nach Serow und noch weiter bis an den Amur nahe der chinesischen Grenze führen würde, und im Süden bis nach Taschkent und Samarkand sowie in die russischen Badeorte am Schwarzen Meer. Sobald er wieder in Moskau war, wollten sie sich in aller Stille daranmachen, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit sie heiraten konnten und Liz die Ausreiseerlaubnis nach England bekam.

Da Lockwood sowohl im Foreign Office in London als auch in der Britischen Botschaft in Moskau Freunde hatte, hielten die beiden Liebenden ihr Vorhaben nicht für ganz aussichtslos. Leider stellte das geplante Buch unter Umständen ebenfalls eine Gefahr dar, doch damit wollte Lockwood das junge Mädchen nicht belasten. Er hatte alles gründlich überlegt und erwartete nicht, dass irgend etwas schiefging. Sie hatten verabredet, dass sie sich während seiner Abwesenheit nicht miteinander in Verbindung setzen wollten und dass Lisaweta bis dahin englischen Touristen die Sehenswürdigkeiten von Moskau zeigen sollte. Lockwood hatte vor, in etwa drei Monaten wieder in Moskau zu sein. Dann sollte ein gemeinsamer Freund sie einander vorstellen, und sie würden so tun, als träfen sie sich zum erstenmal. Danach wollten sie ihre Beziehung nicht mehr geheimhalten und versuchen zu heiraten.

Während er ihr mit niedergeschlagener, eintöniger Stimme eine knappe Übersicht über seine Begegnung mit dem Mädchen gab, versuchte Mrs. Harris ihm mit ihrem flinken Verstand zu folgen und etwas zu ›sehen‹ von dem, was er ihr erzählte, oder sich jedenfalls ein Bild davon zu machen, doch der einzige Anhaltspunkt, den sie hatte, war das Foto mit der abweisenden Mauer und dem Turm dahinter. Immerhin gewann sie den Eindruck, dass das Leben hinter dem Eisernen Vorhang wohl doch nicht so rosig war, wie es oft geschildert wurde. Auch war sie alt genug, um zu wissen, wieviel von sogenannten umsichtigen Plänen und so weiter zu halten war, und Lockwoods gedrückte Stimmung wies eindeutig darauf hin, dass bei ihm alles schiefgegangen war. Doch sie musste unbedingt dafür sorgen, dass er weitersprach, damit sie nähere Einzelheiten erfuhr, denn Lockwood hatte innegehalten und betrachtete mit unglücklichem Gesichtsausdruck schweigend das Bild.

»Verflixt«, sagte Mrs. Harris. »Und was war dann? Hat man Ihnen nicht erlaubt zu heiraten?«

Lockwood riss sich von seinen Träumen los und erwiderte: »Es kam viel schlimmer. Ich habe sie nie wiedergesehen.«

Das hatte ihn beinahe umgebracht, vertraute er ihr an, als er den Faden wiederaufnahm. Auf seiner Reise durch das Landesinnere war es ihm gelungen, einen aus Moskau verbannten Schriftsteller zu interviewen, der mehrere Jahre Arbeitslager hinter sich hatte und überdies in einer Irrenanstalt ›behandelt‹ worden war, bis Proteste aus dem Westen seine Entlassung bewirkt hatten. Das Treffen mit diesem Dissidenten hatte ganz geheim stattgefunden, doch offenbar nicht geheim genug, denn als Lockwood in Moskau den Zug verließ, hatte der sowjetische Geheimdienst ihn unverzüglich festgenommen.

Er hatte verschiedene Vorsichtsmaßnahmen getroffen, sonst wäre es ihm übel ergangen. So war es ihm beispielsweise während seines Aufenthalts in Sotschi am Schwarzen Meer gelungen, eines von den zwei Tagebüchern mit seinen Reisenotizen, nämlich das gefährliche, über die Türkei außer Landes zu schmuggeln. Irgend etwas hatte ihn im letzten Augenblick dazu bewogen, auch Lisawetas Foto in das Päckchen zu legen, so dass der KGB, nachdem er Lockwood vierundzwanzig Stunden lang in einem seiner Kellerappartements einem strengen Kreuzverhör unterzogen hatte, ihm nichts nachweisen konnte. In seinen Aufzeichnungen waren lediglich die Beobachtungen eines reisenden Schriftstellers wiedergegeben, der sich für Sitten und Gebräuche, Volkstrachten und malerische Landschaften interessiert. Seinen Besuch bei dem Dissidenten hatte er mit seiner Bewunderung für dessen Werk erklärt.

Es gab keinen triftigen Grund, Lockwood länger festzuhalten und die mühsam angebahnte, aber höchst labile politische Entspannung zu gefährden, doch durch sein Interview mit dem in Ungnade gefallenen Schriftsteller war Lockwood zur persona non grata geworden. Der KGB konfiszierte sämtliche Aufzeichnungen und jeden kleinsten Zettel, den er bei sich trug, brachte ihn vom Verhör direkt zum Flugplatz, und fünf Stunden später fand Lockwood sich in London wieder.

Die außerordentliche Vertracktheit von Lockwoods misslicher Lage war Mrs. Harris zwar noch nicht in ihrem ganzen Umfang deutlich geworden, aber ihr Gehirn arbeitete bereits fieberhaft und suchte nach einem Ausweg für das ihr hier von einem ihrer Kunden unterbreitete Problem. Sie empfand eine angenehme Erregung darüber, an den Sorgen und Nöten eines Mitmenschen teilzuhaben, und sagte: »Aber können Sie nicht irgendwie nach Moskau fahren? Im Augenblick reisen doch ’ne Menge Leute als Touristen nach Russland. Von einer Dame, für die ich arbeite, ist gerade eine Freundin dort gewesen, und sie fand es himmlisch.«

»Russland hat zwei Gesichter.« Lockwoods Stimme klang bitter. »Da kommt man nach Leningrad und Moskau, sieht die Goldene Karosse im Kreml, die Mumie des großen Gottes Lenin und die Schätze des Zaren. Wodka, Kaviar, Verwöhnung von allen Seiten … Intourist tut sein Bestes, um den Westen hinters Licht zu führen. Nie im Leben bekomme ich noch einmal ein Visum … und schon gar nicht, wenn dieses Buch hier erst einmal erschienen ist.« Er tippte mit dem Finger auf das dicke Manuskript neben sich. »Sobald ich versuchte, das Mädchen zu treffen, säße sie im Handumdrehen hinter Gittern.«

Für Mrs. Harris lichtete sich das Dunkel ein wenig. Hinter dieser Mauer schienen also Zellen und Gitter zu sein. »Da sitzen Sie aber ganz schön in der Tinte!« sagte sie, was bei ihr der stärkste Ausdruck für eine vernichtende Niederlage war. »Aber sie hat doch sicher Verständnis, oder?«

Das ganze Ausmaß der Tragödie wurde nun offenbar. »Wie sollte sie?« stöhnte Lockwood. »Begreifen Sie doch … kein Mensch weiß etwas von meiner Ausweisung. Ich hatte versprochen, mich gleich nach meiner Rückkehr bei ihr zu melden. Das war vor sechs Monaten. Und neben allem anderen beschäftigt mich am meisten der Gedanke, dass sie annehmen muss, ich hätte sie im Stich gelassen.«

Mrs. Harris griff tief in den Schatz ihrer lebenslangen Erfahrung. »Wenn sie Sie liebt, wird sie das bestimmt nicht glauben.«

»Was sollte sie sonst glauben?« rief Lockwood. »Es ist doch eine geradezu klassische Situation. Denken Sie an Madame Butterfly.«

»An wen?«

»Schon gut«, sagte Lockwood. »Auch der Mann versprach etwas und kam nicht wieder. Einer der ältesten Tricks in diesem Spiel.«

Mrs. Harris wusste nichts von dem Treuebruch, den Lieutnant Pinkerton an der armen Cho-Cho-San begangen hatte, und so war sie rasch mit einem neuen Ratschlag bei der Hand. »Kopf hoch, Mr. Lockwood. Sie dürfen sich von so etwas nicht unterkriegen lassen. Sie sind doch ein gescheiter Kopf. Schreiben Sie ihr einen Brief.«

Lockwood schüttelte mutlos sein Haupt. »Das hätte keinen Sinn«, sagte er. »Alle Post aus dem Ausland geht durch die Zensur. Beim kleinsten Hinweis darauf, dass sie mit mir Kontakt hatte, würde man sie verhaften. Sie würde ihren Job verlieren, wenn nicht Schlimmeres, und endlosen Belästigungen ausgesetzt sein.«

Nun sah Mrs. Harris das ganze Ausmaß der Verzweiflung, unter der Mr. Lockwood litt, und ihr warmes, mitfühlendes Herz empfand mit ihm. »Bei Gott!« sagte sie. »Sie armer Mensch. Das ist wohl alles sehr schlimm für Sie, nicht wahr?«

»Es geht nicht um mich«, rief Lockwood aus. »Es geht um sie! Sie muss glauben, ich hätte sie wie jeder x-beliebige Schuft im Stich gelassen. Sie ist so unschuldig wie ein Kind.«

»Und was ist mit Ihren Freunden im Foreign Office?« fragte Mrs. Harris. »Sagten Sie nicht, dass …«

Doch damit erreichte sie lediglich, dass Lockwood einen neuen Wutanfall bekam; er hieb mit der Faust auf den Tisch und schrie: »Diese gottverfluchten Heuchler! Bis gestern hieß es, sie könnten etwas für mich tun. Nur deshalb habe ich ihr Bild hervorgeholt und gewagt, es wieder anzusehen. Und heute morgen dann eine glatte Kehrtwendung. Weil die politische Lage sich geändert hat. ›Du musst verstehen, alter Junge, im Augenblick ist leider nichts zu machen.‹«

Die ganze Ausweglosigkeit der Situation lag offen zutage. Versuchte er, Kontakt mit ihr aufzunehmen, geriet sie in Schwierigkeiten. Tat er es nicht, musste sie glauben, dass der Mann, den sie liebte, sie grausam verlassen hatte, und inzwischen starben zwei Liebende, für immer getrennt, an gebrochenem Herzen.

Mrs. Harris, gerührt bis in die Tiefen ihrer Seele und den Tränen nahe, sagte: »Mein Gott, Mr. Lockwood, wenn ich Ihnen doch helfen könnte!«

»Niemand kann mir helfen«, sagte Lockwood düster. Er griff nach dem Foto, zog die Schreibtischschublade auf und wollte es hineinlegen.

Mrs. Harris sagte: »Tun Sie das nicht. Lassen Sie es dort stehen. Man weiß nie, was noch kommt. Das Bild wird Ihnen helfen, den Mut nicht zu verlieren.«

Er stellte es wieder an seinen Platz zurück, und beide verfielen für kurze Zeit in tiefes Nachdenken. Mrs. Harris überließ sich Phantasiegebilden, die sie oft überkamen, wenn jemand sich in Schwierigkeiten befand und sie sich gedrängt fühlte, helfend einzugreifen. Die Träumereien, die ihr durch den Kopf gingen, waren weit davon entfernt, vernünftig oder praktikabel zu sein. Im Geiste sah sie sich hinter jener Festungsmauer einer Gruppe von Männern gegenüber, denen sie gehörig die Meinung sagte, weil sie ein verzweifeltes Liebespaar nicht zueinanderkommen ließen. Dann wieder sah sie sich vor Mr. Lockwoods Wohnungstür stehen und auf den Klingelknopf drücken, neben ihr stand Lisaweta Sowieso oder Liz, wie er sie genannt hatte, und als die Tür geöffnet wurde, sagte sie nur: »Hier ist sie, Mister Lockwood. Ich war in Russland und habe sie Ihnen mitgebracht.«

Lockwood räusperte sich, griff nach seinem Manuskript und sagte: »Ja, also …«

Mrs. Harris hatte ein feines Ohr für Andeutungen. Sie sagte: »Es wird Zeit, dass ich mich verabschiede«, und sie suchte ihre Siebensachen zusammen, um zu ihrem nächsten Stelldichein mit Staub, Kehricht und einem großen Berg schmutzigen Geschirrs aufzubrechen.

2

Auf dem Nachhauseweg kreisten Mrs. Harris’ Gedanken an diesem späten Samstagnachmittag unausgesetzt um Mr. Lockwoods tragische Situation, und auch, als sie sich mit ihrer Busenfreundin, Mrs. Violet Butterfield, zur allabendlichen Tasse Tee und einem ausgiebigen Schwatz zusammensetzte, war sie noch immer trüber Stimmung.

Busenfreundin war genau die passende Bezeichnung für Mrs. Butterfield, denn sie war ebenso rundlich und wohlbeleibt wie Mrs. Harris dünn und schmächtig war. Auffallend klein in ihrem Vollmondgesicht waren nur der Mund über dem dreifachen Kinn in Form eines winzigen ›O‹, das Knopfnäschen und die zwei erschrocken dreinblickenden Äuglein. Der Mund schien wie geschaffen dafür, jeden Augenblick einen kleinen Angstschrei auszustoßen.

Während Ada Harris die geborene Optimistin war und über eine Portion persönlichen Muts verfügte, der manchmal an Verwegenheit grenzte, war Mrs. Butterfield furchtsam und nervös, und da sie ausgesprochen pessimistisch veranlagt war, neigte sie stets dazu, Katastrophen und Unglück zu prophezeien, besonders wenn ihre engste Freundin mal wieder eine ihrer ausgefallenen Ideen zum besten gab.

Früher einmal hatte Violet zu jener tapferen Schar von Putzfrauen gehört, die allmorgendlich um vier Uhr aufstanden, damit sie rechtzeitig die Büros von London säubern konnten, doch kürzlich war es ihr gelungen, sich im ›Paradise Night Club‹ in Mayfair den Posten einer Toilettenfrau zu sichern.

Daraus hatte sich das abendliche Zeremoniell entwickelt, denn sobald Mrs. Harris ihr Tagewerk beschloss, machte Violet Butterfield sich so langsam zu ihrem Arbeitsplatz auf den Weg, was ihnen Gelegenheit gab, rund eine Stunde beieinanderzusitzen und Tee und Abendzeitung zu genießen.

Zu diesen Zusammenkünften steuerte Mrs. Butterfield ihren Anteil in Gestalt von allerlei pikantem Tratsch bei, den sie von den Damen, die ihr Reich aufsuchten, aufgeschnappt hatte, während Mrs. Harris mit Bemerkungen über die Extravaganzen und Eskapaden ihrer Arbeitgeber aufwartete. Doch an diesem Abend verspürte sie merkwürdigerweise keine Lust, das, was Mr. Lockwood ihr anvertraut hatte, weiterzuerzählen. Das tragische Schicksal der jungen Liebenden erschien ihr irgendwie zu erhaben, um Stoff für Klatsch und Tratsch abzugeben. Sie zog es vor, sich der Wehmut über besagtes herbes Schicksal allein hinzugeben. Außerdem kamen sie schnell auf zwei Dinge zu sprechen, die Mr. Lockwoods Sorgen ohnehin vorübergehend in den Hintergrund drängten: der Pelzmantel und der Farbfernseher.

»Du und dein Pelzmantel!«

»Du und dein Fernseher!«

Seit Jahren schon stach Violet Butterfield ein Bisampelz in die Augen, der jeden Herbst – immer der neuesten Mode entsprechend – im Schaufenster von Arding und Hobbs, ihrem Lieblingskaufhaus, auftauchte. Es war eine aussichtslose Sache. Denn während Violet knauserte und sparte, um so viel zusammenzukratzen, wie der Pelz im vergangenen Jahr gekostet hatte, erhöhte die galoppierende Inflation in der folgenden Saison den Preis um weitere zwanzig Pfund, womit das begehrte Stück für Mrs. Butterfield erneut unerschwinglich wurde.

Was den Schwarzweiß-Fernseher von Mrs. Harris anging, so handelte es sich dabei um ein uraltes Modell. Der Apparat war launisch und eigenwillig und hatte überdies die fatale Neigung, immer im spannendsten Augenblick den Geist aufzugeben. Mrs. Harris verzehrte sich nach einem neuen, modernen Farbfernsehgerät mit Super-Bildschirm, das ihre Kellerwohnung in Willis Gardens Nr. 5, Battersea, in ein richtiges Theater verwandeln würde. Der Preis für ein solches Gerät, inklusive Installation, Versicherung und Kundendienst betrug mehr als 400 Pfund und war für sie so unerreichbar wie das erwähnte Rauchwerk für ihre Freundin.

Es gab eine Zeit, in der Ada dieses Problem gemeistert hätte. Einmal war es ihr gelungen, die riesige Summe von 450 Pfund zusammenzusparen: sie war nach Paris gefahren, wo sie sich – man lese und staune – ein Modellkleid bei Dior gekauft hatte. Doch inzwischen war sie älter geworden, leichter ermüdbar und nicht mehr so robust wie früher. Die Anhäufung einer solchen Summe war einfach nicht ›drin‹, also auch das Farbfernsehgerät nicht. Aber das hielt sie nicht davon ab, es sich zu wünschen. Oft blieb sie auf dem Heinweg vor einem Elektrogeschäft stehen und betrachtete voll Verlangen die ausgestellten Apparate, auf denen allen in wunderbaren, natürlichen Farben das gleiche Bild flimmerte.

Die Teeblätter waren zum zweitenmal überbrüht worden, und auf dem Tisch stand eine Platte mit belegten Broten. Mrs. Butterfield fiel auf, dass ihre Freundin sich heute ungewöhnlich schweigsam und ungesellig verhielt. Sie stieß in der Evening News auf einen Artikel, der bestimmt auch Adas Interesse erwecken würde.

»Oh, hör mal«, sagte sie, »hier steht etwas über einen Freund von dir.« Und sie begann einen Bericht aus Paris vorzulesen, in dem es hieß, dass der Marquis Hypolite de Chassagne, der derzeitige französische Botschafter in den Vereinigten Staaten, in Kürze nach Paris zurückkehre und im Quai d’Orsay einen neuen Posten als Chefberater für Auswertige Angelegenheiten übernähme. »Mit dem hattest du dich doch richtig angefreundet, nicht wahr?« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »… damals, als du ins Parlament gewählt wurdest.«

Ada überflog die wenigen Zeilen nun selbst, ließ sich jedoch zu keinem Kommentar herab. Mrs. Butterfield sah sie erstaunt an und bemerkte: »Vielleicht kommt er mal wieder nach London rüber. Dann könntet ihr euch doch mal treffen.«

Mrs. Harris, nach wie vor im Banne von Mr. Lockwoods Tragödie, nickte nur düster und verhielt sich noch immer schweigsam.

»Also wirklich«, rief Violet aus, »deine Stimmung scheint ja heute auf dem Nullpunkt zu sein. Hat einer von deinen Leuten sich dir gegenüber nicht nett benommen? Hast du ihm vielleicht die Schlüssel durch die Tür geworfen?«

Letzteres bezog sich auf die altehrwürdige Form der Kündigung, die alle Londoner Putzfrauen anwendeten, sobald sie sich von ihrem Arbeitgeber schlecht behandelt oder beleidigt fühlten. Beim Verlassen der Wohnung warfen sie die Schlüssel durch den Briefschlitz in der Tür, was hieß, dass sie jede Verbindung abbrachen.