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Mrs. Harris geht ins Parlament E-Book

Paul Gallico

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Beschreibung

Mrs. Harris geht in die Politik.

Nicht jeden Tag wird eine Reinemachfrau Abgeordnete im britischen Unterhaus, aber Mrs. Ada Harris schon! Tapfer stellt sie sich vor die Mikros und Kameras und erobert mit ihrer fröhlichen Art schnell die Herzen ihrer Mitmenschen. Aber der Ausflug auf das spiegelglatte politische Parkett bringt auch so manche Stolperfalle mit sich. Doch da taucht Adas bester Freund, der charmante Chauffeur John Bayswater als Retter in der Not auf …

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Über Paul Gallico

Paul Gallico wurde in New York als Sohn der österreichischen Violinistin Hortense Erlich und des italienischen Komponisten, Musiklehrers und Pianisten Paolo Gallico geboren, die 1895 in die Neue Welt ausgewandert waren. 1916 begann Gallico ein Studium an der Columbia University, das er 1921 mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Science abschloss. Danach arbeitete er als Sportjournalist bei den New York Daily News, wo er ab 1923 auch eine eigene Kolumne hatte.

In den 30er Jahren wandte er sich zunehmend vom Sport ab und verfasste Kurzgeschichten, von denen viele in der Saturday Evening Post erschienen. Viele seiner Erzählungen und Romane wurden später für Kino und TV verfilmt.

Paul Gallico war viermal verheiratet und hinterließ mehrere Kinder. Er starb am 15. Juli 1976 in Antibes im Alter von 78 Jahren.

Informationen zum Buch

Nicht jeden Tag wird eine Reinemachfrau Abgeordnete im britischen Unterhaus! Aber Mrs. Ada Harris schon!

Tapfer stellt sie sich vor die Mikros und Kameras und erobert mit ihrer fröhlichen Art schnell die Herzen ihrer Mitmenschen. Aber der Ausflug auf das spiegelglatte politische Parkett bringt auch so manche Stolperfalle mit sich. Doch da taucht Adas bester Freund, der charmante Chauffeur John Bayswater als Retter in der Not auf …

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Paul Gallico

Mrs. Harris geht ins Parlament

Roman

Inhaltsübersicht

Über Paul Gallico

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Impressum

Für Katie Fairman

1

John Bayswater streckte den Arm aus und stellte den Fernsehapparat ab, und alle drei – Mrs. Harris, Mrs. Butterfield und er, der flotte, gut aussehende ältere Chauffeur – blieben noch ein paar Augenblicke im Halbdunkel sitzen und sahen zu, wie der Lichtfleck in der Mitte des jetzt schwarzen Bildschirms langsam erlosch.

In den vergangenen fünfundvierzig Minuten hatte man eine pseudointellektuelle Sendung mit dem Titel: »Was meinen Sie?« gesehen. Eine aus einem berühmten Autor, einem Anwalt und einem Parlamentsmitglied bestehende Gruppe hatte ihre Meinung über Fragen geäußert, die die Zuhörer eingereicht hatten, wobei der Ehrenwerte Ronald Puckle, Mitglied des Unterhauses, die beiden anderen ziemlich an die Wand gespielt und sich immer wieder in den Vordergrund gedrängt hatte.

»Ein grässlicher Kerl«, sagte Mrs. Harris.

»Ich finde, er hat einige äußerst kluge Bemerkungen gemacht«, sagte Mr. Bayswater, »zumal als er empfahl, die Kraftfahrzeugsteuer herabzusetzen. Es ist einfach empörend, was wir für unsere Rolls-Royce bezahlen müssen. Und erst einmal die armen Menschen …«

»Der ist ausgekocht«, sagte Mrs. Harris. »Verspricht jedem Gott und die Welt. Ich kenne die Sorte.«

»Ich werde Wasser aufsetzen und die Sandwiches machen«, sagte Mrs. Butterfield und erhob sich mühsam aus dem tiefen Sofa, auf das sie wegen ihres Gewichts und Umfangs ein Anrecht hatte.

Wie jeden Donnerstagabend, hatte man sich zu Tee und Fernsehen im Wohnzimmer der Wohnung von Ada Harris, London, Battersea, Willis Gardens 5, versammelt.

Von Punkt acht bis elf sahen Mrs. Harris, die unternehmungslustige Londoner Putzfrau, Violet Butterfield, ihre beste Freundin, und Mr. John Bayswater, Chauffeur bei reichen Leuten, dessen Status sich schwer bestimmen ließ, den aber Ada Harris bescheiden als einen ihr gut bekannten Herrn bezeichnet hätte, das Fernsehprogramm. Punkt elf tranken sie Tee, aßen belegte Brötchen und kleine Kekse mit grellbunter Glasur und unterhielten sich über das, was sie gesehen hatten. Um elf Uhr fünfundvierzig, nach der Uhr auf dem Kaminsims, die von zwei Cupidos getragen wurde, erhob sich Bayswater, räusperte sich, schob die gestärkten Manschetten in die Ärmel seines elegant geschnittenen Jacketts zurück und sagte: »Nun, meine Damen, ich danke Ihnen für einen sehr angenehmen Abend« und ging.

Die beiden Frauen hatten Bayswater auf dem Schiff kennengelernt, als sie nach Amerika fuhren, wo sie beide von einem Filmmagnaten und dessen Frau, Mr. und Mrs. Joel Schreiber, angestellt worden waren. Er begleitete den Marquis de Chassagne, den französischen Botschafter in den Vereinigten Staaten, und dessen Rolls-Royce.

Mit Hilfe Bayswaters und seines Arbeitgebers, des Marquis, war es Mrs. Harris gelungen, einen kleinen Jungen nach Amerika einzuschmuggeln, wo sie seinen lange verschollenen Vater suchen wollte.

Aber da sie alle in London geboren und aufgewachsen waren, hatten sie sich so fern von dieser Stadt auf die Dauer nicht glücklich gefühlt. Jetzt waren sie wieder in ihrer vertrauten Umgebung, wo Mrs. Harris als Putzfrau und Mrs. Butterfield als Köchin stundenweise tätig waren.

Mrs. Harris und Mr. Bayswater hatten noch etwas Weiteres gemeinsam. Sie arbeiteten jetzt nämlich bei demselben Mann, Sir Wilmot Corrison, einem Großkapitalisten, der hinter den Kulissen der Mittelpartei einflussreich war. Bayswater war der Chauffeur von Sir Wilmots neuem Golden Cloud Rolls-Royce, während Mrs. Harris jeden Morgen für ein paar Stunden in das kleine Haus hinterm Eaton Square kam, das Sir Wilmot als pied à terre in London hatte, damit er, wenn er bis spätabends im Büro bleiben musste oder keine Lust hatte, in sein Landhaus in Buckinghamshire zurückzukehren, dort schlafen konnte.

Zweimal wöchentlich war auch John Bayswater Mrs. Harris’ Kunde, denn dann begab sie sich in seine kleine Wohnung in jenem Stadtteil Londons, der den gleichen Namen hatte wie er, nämlich Bayswater, um dort zu putzen. Aber sie nahm dafür kein Geld, denn sie hatte nie vergessen, wie hilfreich Bayswater ihr in ihrer schwierigen Lage in Amerika zur Seite gestanden hatte. Im übrigen jedoch war die Freundschaft förmlich geblieben.

Der Chauffeur war ein eingefleischter Junggeselle, dessen einzige Liebe offenbar die verschiedenen Rolls-Royce waren, die er gefahren hatte und die er innen und außen unablässig pflegte und polierte, so dass der Motor kaum zu vernehmen war und das Chassis immer makellos glänzte.

An diesem Abend kam es zu einer hitzigen Debatte über die Persönlichkeit und die Ansichten des Ehrenwerten Ronald Puckle, konservativer Abgeordneter von Marley Vale.

»Solche Männer wie der schaden der Regierung nur«, sagte Mrs. Harris und warf dabei einen grollenden Blick auf den Fernsehschirm, als ob er dort noch zu sehen sei. »Ein Schwätzer, und dazu noch einer, der nicht viel auf der Pfanne hat!«

»Aber, aber«, sagte Mr. Bayswater. »Ich finde, er hat über viele Dinge sehr gesunde Ansichten.«

»Gesunde«, echote Mrs. Harris und imitierte dann die Stimme des Diskussionsleiters. »›Und was halten Sie von Englands Zukunft, Sir?‹ worauf wie aus der Pistole geschossen die Antwort des würdigen Parlamentariers kam: ›Oh, sie wird sehr gut sein, ausgezeichnet, glänzend!‹ Und dann redet er noch zehn Minuten lang. Und was sagt er? Was zu hoch steigt, muss herunter; was zu mager ist, muss ein bisschen Fett ansetzen; was zu fett ist, muss etwas schlanker werden. Schneidet den Bergen die Gipfel ab, füllt mit ihnen die Täler und lauft, so schnell ihr könnt, auf der Stelle! Haha! Er war so falsch wie seine Zähne. Habt ihr nicht gesehen, wie er jedesmal, wenn man ihm eine Frage stellte, die Augen verdrehte?«

»War etwas mit seinen Zähnen?« fragte Mrs. Butterfield, bei der der Groschen immer etwas spät fiel. »Ich fand sie sehr hübsch.«

»Zu hübsch«, höhnte Mrs. Harris. »Ein Gebiss! Wenn ich er wäre, würde ich mich vor keiner Fernsehkamera zeigen. Die sieht nämlich durch einen hindurch.«

Mr. Bayswater protestierte etwas steif. »Da Sie Labour sind, finden Sie natürlich …«

Mrs. Harris unterbrach ihn höhnisch. »Wer? Ich Labour? Nie im Leben! Die sind die Allerschlimmsten. Ich habe genug von ihnen gehört und gesehen. Mir reicht’s. Was tun sie denn für den Arbeiter? Sie haben keine Ahnung und sind weiter nichts als Heuchler. Ich habe meine eigene Partei. ›Leben und leben lassen‹ nenne ich sie. Wenn Vi und ich im Parlament wären, würden wir ihnen einiges sagen, nicht wahr, Vi?«

Mrs. Butterfields kleiner Mund wurde zu einem erschrockenen O in ihrem Mondgesicht, als sie sagte: »Oh, das würde ich nicht wagen.«

»Nun, ich würde es«, sagte Mrs. Harris mit solcher Vehemenz, dass die rosa Seidenfransen an dem Lampenschirm sich bewegten. »Ich würde ihnen sagen, was an der Regierung verkehrt ist und wie das Land regiert werden müsste.«

Mr. Bayswater lächelte freundlich-nachsichtig, denn er mochte Mrs. Harris wirklich sehr gern, fand ihre Gesellschaft äußerst angenehm und genoss die Tee- und Fernsehabende bei ihr. »Ich wette, Sie würden es, Ada«, sagte er. »Und vielleicht täte ihnen das sogar gut.«

Und da schlug die Uhr auf dem Kaminsims Dreiviertel.

Mr. Bayswater erhob sich, strich seine Jacke glatt, schob die Manschetten in die Ärmel und sagte: »Nun, meine Damen, ich danke Ihnen für einen sehr angenehmen Abend« und verabschiedete sich, wie es auch Mrs. Butterfield tat, nachdem das Geschirr abgewaschen war.

Mrs. Harris ging zu Bett, aber sie schlief lange nicht ein, denn sie dachte immer noch an die Worte Mr. Bayswaters, dessen Urteil und Verstand sie hochschätzte: »Ich wette, Sie würden es, Ada. Und vielleicht täte ihnen das sogar gut.« Und je mehr sie darüber nachdachte, desto richtiger erschien ihr ihr Slogan »Leben und leben lassen«. Und wie es eben ist, wenn man vor sich hinträumt, begann sie den Gedanken weiterzuspinnen, während sie über all die Ungerechtigkeiten nachsann, deren es nicht nur in ihrem Leben, sondern im Leben jedes Menschen nur allzu viele gab; Ungerechtigkeiten, die sich mit gesundem Menschenverstand und gutem Willen leicht beseitigen ließen. Wie kam es, dass solche unehrlichen Kreaturen wie der Ehrenwerte Ronald Puckle es schafften, dass man sie ins englische Parlament wählte?

Ada Harris hatte keine klare Vorstellung davon, wie das Parlament funktionierte, und schon gar nicht von Politik, außer dass sie fand, alle Politiker taugten nicht viel. Sie war nie im Unterhaus gewesen, und so musste sie schon ihre Phantasie zu Hilfe nehmen, um die köstliche Szene vor sich zu sehen, in der jemand, der ein prächtiges Kostüm mit Kniehosen trug, mit einem Amts- oder Bischofsstab auf den Boden klopfte und rief: »Ich bitte um Ruhe, Ladies und Gentlemen und Ehrenwerte Mitglieder. Wir hören jetzt eine Rede von Mrs. Ada Harris über das Thema: ›Was wird in England falsch gemacht?‹«

Während Ada Harris sich ihre Rede zurechtlegte, schlief sie schließlich ein.

2

Am nächsten Morgen erhob sich Mrs. Harris beizeiten, um wie so viele Tausende ihrer Putzfrauenkolleginnen sich in die verschiedenen Wohnungen oder Büros zu begeben, die sie blitzsauber verlassen würden, damit die, die in ihnen arbeiteten oder wohnten, sie dann wieder versauen konnten. Sie dachte immer noch über die Diskussion am Abend zuvor und über ihren Traum nach.

Ein seltsames Gefühl von Unerfülltsein war in ihr, so wie sie es oft an sich erlebte, wenn sie sich an etwas erinnerte, das sie hatte tun wollen, aber nicht getan hatte. Es war ein recht schöner Traum gewesen. So manchen schönen Traum hatte Ada Harris im Laufe ihres Lebens geträumt, und einige davon hatte sie erstaunlicherweise erfüllen können.

Aber nachdem sie die Büros der Firma für elektrische Geräte am Sloane Square geputzt hatte, ging sie zu einer ihrer ältesten Kundinnen, Lady Dant, deren Garderobe einst der Anlass dafür gewesen war, dass Mrs. Harris nach Paris fuhr, um dort ausgerechnet ein Kleid von Dior zu erstehen, räumte dann bei Major Tiverton auf, der jeden Morgen eine erstaunliche Unordnung hinterließ – aber er war nun einmal Junggeselle –, machte schließlich im Laboratorium Alexander Heros sauber und hatte darüber das alles vergessen.

Es fiel ihr erst durch die ungewöhnlichen Umstände wieder ein, die sie in dem Haus Eaton Mews North 88 vorfand. Als sie nämlich die Schlüssel aus ihrer Plastiktasche herausgefischt und sich selber hereingelassen hatte, rief eine heisere Stimme aus dem Schlafzimmer oben: »Hallo! Sind Sie’s, Mrs. Harris? Erschrecken Sie nicht. Ich liege hier im Bett.«

Es waren wirklich äußerst ungewöhnliche Umstände und zu einer äußerst ungewöhnlichen Zeit. Denn wenn er in der Stadt blieb, war Sir Wilmot um neun Uhr morgens immer in seinem Büro, und jetzt war es schon nach elf.

»Sie sind doch nicht etwa krank?« rief Mrs. Harris.

»Nur ein bisschen erkältet«, krächzte Sir Wilmot von oben. »Es wird sicher bald wieder besser.«

Mrs. Harris stellte ihre Tasche ab und rief: »Bleiben Sie hübsch liegen, ich setze schnell Wasser für eine Tasse Tee auf. Ich komme dann gleich hinauf, um nach Ihnen zu sehen.«

Eine Tasse Tee war Mrs. Harris’ Allheilmittel oder zumindest der richtige Anfang jeder Kur. Sie füllte den Kessel, stellte ihn auf den Herd, streifte ihren Kittel über und band sich ein Tuch um den Kopf, ging in Sir Wilmots Schlafzimmer hinauf und sagte: »Da bin ich.«

Wenn Sir Wilmot offensichtlich auch nicht besorgniserregend krank war, so wirkte er doch leidend. Er hatte in der Nacht stark geschwitzt, denn sein schon schütteres Haar war ganz zerzaust und sein Pyjama zerknittert. Auch die Bettlaken waren zerknittert, und auf dem Nachttisch stand ein ganzes Sortiment von Pastillen und Medizinen, während auf der Bettdecke eine offene Aktentasche und verschiedene Papiere lagen und andere auf dem Fußboden verstreut waren. Die vielen Zigarettenstummel im Aschenbecher deuteten darauf hin, dass er die ganze Nacht die Wirkung der Heilmittel, die er eingenommen, durch Zigarettenrauch und Nikotin wieder zunichte gemacht hatte.

»Nein, so was!« sagte Mrs. Harris. »Sie unvernünftiger Mann! Sie haben ja alles nur noch schlimmer gemacht.«

»Ach, ich hab’s nur ein bisschen im Hals«, krächzte Sir Wilmot. »Aber mir war nicht danach, ins Büro zu gehen. Ich habe Bayswater aufs Land geschickt, um meine Frau zu holen. Mir fehlt weiter nichts. Das geht schnell vorüber.«

»Ja, bestimmt, sobald ich das Nötige getan habe«, sagte Mrs. Harris. »Zunächst einmal muss das Bett frisch bezogen werden, und Sie müssen einen sauberen Pyjama anziehen.« Sie war schon an seiner Kommode und reichte ihm den Pyjama. »So, und jetzt gehen Sie ins Badezimmer und waschen sich, während ich das Bett mache und hier ein wenig Ordnung schaffe. Ich werde Ihnen sagen, wann Sie wieder herauskommen können.«

In Wirklichkeit war Sir Wilmot froh, dass sie da war, denn seine Frau würde erst in mehreren Stunden eintreffen können. Er war ein großer, gut genährter Mann, der angenehm und attraktiv ausgesehen hätte, hätte nicht sein Gesicht ein wenig »unfertig« gewirkt. Alles darin war im Verhältnis zu dem übrigen etwas zu klein: die spitze Nase, der leicht verkniffene Mund, die ein bisschen zu eng aneinander stehenden Augen und die kleinen Ohren, als ob der Schöpfer hier mit dem Material geknausert hätte. Aber er war als ein recht netter Mann bekannt, besonders bei denen, die zufriedenstellend für ihn arbeiteten, und ebenso als ein gerissener, rücksichtsloser Antreiber hinter den Kulissen der Mittelpartei, die er bei den bevorstehenden Wahlen auf Vordermann zu bringen versuchte.

Jetzt trottete er gehorsam ins Badezimmer, seinen sauberen Pyjama in der Hand, und wirkte ein wenig wie ein altes Baby. Sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, machte sich Mrs. Harris ebenso eifrig wie geschickt an die Arbeit.

Zwanzig Minuten später lag Sir Wilmot behaglich in dem sauberen Bett, mit mehreren Kissen im Rücken und einem Tablett mit Tee, warmem, mit Butter bestrichenem Toast, Marmelade und Orangensaft auf dem Schoß. Die Aschenbecher waren geleert, die Vorhänge aufgezogen und das Zimmer frisch gelüftet. Er fühlte sich schon sehr viel besser. Das Gurgeln und das Waschen hatten ihm wohlgetan.

»Mrs. Harris, Sie sind ein Engel«, sagte er.

»Meinen Sie? Nun, es ist sehr nett von Ihnen, das zu sagen. Ich sorge gern für andere. Aber heute vormittag werden keine Zigaretten mehr geraucht, und Sie werden frühstücken, während ich unten putze. Dann komme ich wieder, um zu sehen, wie’s Ihnen geht, und vielleicht um ein bisschen mit Ihnen zu plaudern.«

An diesen Worten beunruhigte Sir Wilmot nichts, denn er war immer noch in so gehobener Stimmung, dass er vergessen hatte, was jeder Politiker weiß, dass nämlich nichts, absolut nichts im Leben umsonst ist und dass man für jeden Dienst, der einem erwiesen wird, zahlen muss.

Denn während Mrs. Harris unten den Teppich saugte, die Bilder und Nippes abstaubte und die antiken Möbel polierte, wurde in ihrem Inneren all das wieder lebendig, was sie am Abend zuvor gesehen, gehört und worüber sie nachgedacht hatte, und sie bereitete die Rede vor, die sie zwar nicht vorm Parlament, aber vor dem Macher von Parlamentariern, Sir Wilmot Corrison, halten würde. Wenn er auch selber kein Abgeordneter war, so wusste sie doch, dass er in der Politik eine große Rolle spielte.

Um ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer Intelligenz gerecht zu werden, muss man sagen, dass Mrs. Harris sich an diesem Vormittag einfach nur darüber freute, dass sie einen ans Bett gefesselten unfreiwilligen Zuhörer hatte, der ihrem Redestrom nicht entrinnen konnte. Es war eine zu gute Gelegenheit, um sie ungenutzt vorübergehen zu lassen. Denn während Mrs. Harris eine unverbesserliche Plaudertasche war, waren ihre Kunden es meistens nicht, und sie war nicht dumm genug, um ihre Ausflüchte nicht zu durchschauen: »Liebe Mrs. Harris, ich würde ja gern noch bleiben und mit Ihnen plaudern, aber ich habe ein Taxi bestellt.« – »Wie ungeheuer interessant, Mrs. Harris. Ich wünschte, ich könnte noch das Ende Ihrer Geschichte hören, aber ich komme schon zu spät zu meinem Zahnarzt.« – »Ach, wie schade, Mrs. Harris. Hat es da nicht geklingelt?« – »Nächste Woche, wenn ich mehr Zeit habe, müssen wir uns ausführlich unterhalten.«

Aber dort oben lag, an Händen und Füßen ebenso durch Fesseln der Dankbarkeit wie der Unpässlichkeit gebunden, jemand, der nicht nur würde zuhören müssen, sondern von dem man sogar erwarten konnte, dass er verstand, wovon sie sprach.

Und so erschien, gerade als Sir Wilmot mit Genuss sein Frühstück verzehrt und sein Verlangen nach einer Zigarette unterdrückt hatte und nun dabei war, in ein seliges Dösen zu versinken, der »Geldeintreiber« in der Tür des Schlafzimmers in Gestalt einer kleinen alten Dame mit Bäckchen, so verschrumpelt wie Winteräpfel, dunklen Augen und einem schadenfrohen Zug um den Mund. Eine zarte, schmächtige Frau mit einem Tuch um den Kopf, unter dem graue Locken hervorlugten. Nicht ohne Anmut lehnte sie sich an ihre Waffe, den Besen.

Mrs. Harris begann: »Haben Sie gestern abend ferngesehen?«

»Was?«

»Ich meine das Programm mit dem Titel: ›Was meinen Sie?‹«

»Was? Ach ja. Das habe ich gesehen. Ich hatte nichts Besseres zu tun. Saudumm, nicht wahr?«

»Ich möchte gern Ihre Meinung über den – wie heißt er doch? hören. Den, der das Gespräch immer wieder an sich riss. Den mit den Fischaugen und den falschen Zähnen.«

Sir Wilmot war leicht amüsiert, ohne recht zu wissen warum. Im Bett zu liegen und mit seiner Putzfrau über Politik zu sprechen, gefiel dem Snob in ihm. »Meinen Sie den Ehrenwerten Ronald Puckle, M. P.? Das ist ein Esel!«

»Was tut er dann in unserem Parlament?« fragte Mrs. Harris.

»Man wählt ihn eben. Er redet einen Haufen anderer Esel unter den Tisch, die dann für ihn stimmen.«

»So was«, sagte Mrs. Harris. »Solch ein Gewäsch habe ich noch nie in meinem Leben gehört. Wenn man alles zusammenzählt, was er, wie er sagte, für das Land tun will, was hätte man dann zum Schluss? Nichts.«

Sir Wilmot grinste über Mrs. Harris’ schlaue Rechnung. Jedem Plus, das der Ehrenwerte Abgeordnete aus Marley Vale bot, folgte ein Minus, und die Endsumme war null. »So muss man’s machen, wenn man seinen Sitz im Parlament behalten will.«

»Nun, wenn ich das Land regieren würde, ich wüsste was zu sagen, und das wäre nicht so nichtiges Zeug.«

Es war mehr die Art, in der sich die kleine Mrs. Harris jetzt an ihren Besenstiel lehnte, als die Worte, die in Sir Wilmots Kopf Alarmglocken in Gang setzten. Spaß war Spaß. Aber eine lange und langweilige Tirade darüber anhören zu müssen, was verkehrt im Lande war, zumal wenn er sich nicht wohl fühlte und nicht entrinnen konnte, war etwas anderes. Es gab kein Diner und keine Gesellschaft, an denen er teilnahm, ohne dass ihn jemand beiseite nahm und ihm die Allheilmittel für die Nöte des modernen Englands in die Ohren trompetete.

»Ja, ja«, sagte Sir Wilmot hastig. »Ich bin sicher, das würden Sie, aber im Augenblick …« Und da er fand, dass Aktionen lauter sprechen als Worte, lehnte er den Kopf zurück und schloss die Augen.

Doch es war zu spät, denn Mrs. Harris sah ihn überhaupt nicht mehr. Die heilige Johanna, die sich in jeder Frau verbirgt, war losgelassen und hielt den Besenstiel ein Stück von sich wie eine Fahnenstange und fuhr fort:

»Ich will Ihnen mal sagen, was ich ihnen sagen würde, damit sie endlich aufwachen. Leben und leben lassen! Sie wollen uns nicht leben lassen. Das ist es. Sie geben uns nie eine Chance, den Kopf über Wasser zu halten, ehe sie uns wieder hineinstoßen. Das Leben ist dafür da, gelebt zu werden. Aber vom ersten Atemzug, den wir tun, bis zum letzten müssen wir durch sie leiden.«

Sir Wilmot schlug die Augen wieder auf oder vielmehr, sie wurden ihm durch die Kombination von Verzweiflung und Triumph in dem Schrei »Leben und leben lassen«, den er gehört hatte, geöffnet, und es erstaunte ihn nicht im geringsten, nicht mehr die ein wenig lächerliche und geschwätzige typische Londoner Putzfrau auf einer Rednertribüne zu sehen, sondern eine Person voll aufrichtiger Leidenschaft.