Mystik im Alltag - Léonard van Grippe - E-Book

Mystik im Alltag E-Book

Leonard van Grippe

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Beschreibung

Bei der Suche nach dem Sinn des Daseins begegnen wir unweigerlich Begriffen wie Sein, Seele, Geist, Gott oder Gnade. Die seit Jahrhunderten in philosophischen und kirchlichen Kreisen geführten Debatten um die Auslegung dieser und ähnlicher Begriffe haben jedoch keineswegs zur Klärung beigetragen, sondern eine weiterhin fragende, im spirituellen Suchen höchst verwirrte Menschheit hervorgebracht. Das Handbuch wurde verfasst, um zur Aufklärung beizutragen. Es beabsichtigt, den individuellen Zugang zur Mystik aufzuzeigen und zu unterstützen. Das Buch reflektiert die Entwicklung, welche Léonard auf seinem mittlerweile über 80-jährigen Lebensweg durchlaufen hat, einschliesslich einer über 40 Jahre dauernden spirituellen Praxis. Vieles, von dem er schreibt, steht im Widerspruch zu den gängigen Ansichten und Vorstellungen, verleiht dem Text jedoch erst seinen Reiz und seine Berechtigung.

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Seitenzahl: 300

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Zu diesem Buch

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens begegnen wir Menschen unweigerlich Begriffen, wie Sein, Seele, Geist, Gott oder Gnade. Die seit Jahrhunderten in philosophischen und kirchlichen Kreisen geführten Diskussionen um die Deutung dieser und ähnlicher Begriffe haben jedoch keineswegs zur Klärung beigetragen, sondern eine weiterhin fragende, im spirituellen Suchen sogar höchst verwirrte Menschheit heraufbeschworen. Das vorliegende Handbuch könnte ein Beitrag zu Antworten sein. Es versucht nichts weniger, als den individuellen Zugang zur Mystik aufzuzeigen und zu unterstützen. Dazu stellt Léonard van Grippe klare Anforderungen an die Lesenden bezüglich ihrer Offenheit, Sensibilität und Disziplin.

Das Handbuch widerspiegelt die Entwicklung, welche Léonard auf seinem fast 80-jährigen Lebensweg durchlaufen hat, eingeschlossen eine mehr als halb so lange spirituelle Praxis. Vieles, was er schreibt, entspricht nicht den gängigen Meinungen und Vorstellungen, verleiht diesem Buch jedoch erst seinen Reiz und seine Existenzberechtigung.

Léonard van Grippe, geboren 1943, ist promovierter Chemiker und hat bis zu seiner Pensionierung an einer Fachhochschule unterrichtet. Sein spiritueller Weg führte ihn seit 1978 an viele heilige Orte, zu einigen der bekanntesten Meister und zu sich selbst. Heute lebt er mit seiner Ehefrau in Bern. Seine Interessen gelten insbesondere dem Segeln im Sommer, Snowboarden im Winter und dem Phänomen des Bewusstseins. Er hat zwei erwachsene Söhne, eine Tochter und einen Enkel.

Prolog

Dr. Kemedu Moiré, Professor der Universität von Cocody in Abidjan, Côte d’Ivoire, hat sich seit Jahren auf die Schneeforschung spezialisiert. Er wurde der bedeutendste Schnee-Experte weltweit. Auf seinen Reisen erblickte er einige Male die Schneekuppe des fernen Kilimandscharo, er kennt die Bilder von tausenden Schneekristallen, die Phasendiagramme der Schneebildung, die meisten physikalischen Parameter, welche je publiziert wurden, kurz alles, was von Schnee und Eis über die Jahrhunderte an Wissen zusammengetragen wurde.

Am Rande eines Schneekongresses machen die Forscher einen Ausflug zum Top of Europe, aufs Jungfraujoch. Mit der Bahn geht‘s aufwärts durch den kilometerlangen Tunnel, dann oben aus dem Stollen aufs Schneefeld und nun hält unser Professor erstmals wirklichen Schnee in den Händen: »Wow – this is snow«!

Inhaltsverzeichnis

A

1. Aberglaube

2. Agnostik

3. Allegorie

4. Alles

5. Anarchie

6. Angst

7. Astrologie

8. Atheismus

9. Auferstehung

10. Ausbeutung

B

1. Baum des Lebens

2. Bewusstsein

C

1. Chakra

2. Curriculum Vitae

D

1. Denken

2. Drogen

3. Dualität

E

1. Ego

2. Einheit

3. Eltern

4. Energie

5. Erfahrung

6. Erkenntnis

7. Erleuchtung

8. Erwachen

9. ES

10. Existenz

F

1. Feind

2. Flucht

3. Fortschritt

4. Frau

5. Freiheit

6. Friede

G

1. Gedankenfluss

2. Gefühlsstrom

3. Geistige Welt

4. Geld

5. Gewissen

6. Glaube

7. Gnade

8. Guru

H

1. Heiligkeit

2. Heilsweg

3. Hier und Jetzt

4. Hingabe

5. Hölle

6. Hoffnung

I

1. Identifikation

2. Illusion

3. Image

4. Initiation

5. Irrtum

J

1. Jenseits

K

1. Krise

2. Kultur

L

1. Lachen

2. Leben

3. Lehrer

4. Leiden

5. Licht

6. Liebe

7. Lust

M

1. Mann

2. Meditation

3. Meister

4. Mind

5. Mystik

N

1. Natur

2. Neurophilosophie

3. Nichtdenken

O

1. Om mani padme hum

P

1. Paradies

2. Philosophie

3. Physiologie

4. Probleme

5. Psychologie

Q

1. Quantenphysik

2. Quelle

R

1. Religion

2. Ritual

S

1. Sannyasin

2. Sanskrit

3. Satsang

4. Schuld

5. Seele

6. Sein

7. Selbst

8. Sex

9. Sinn

10. Spiritualität

11. Sport

12. Suche

13. Sünde

T

1. Teufel

2. Tod

3. Transzendenz

4. Trost

U

1. Unbewusstheit

2. Ursprung

V

1. Verantwortung

2. Vergebung

3. Verrat

4. Vertrauen

5. Vorstellung

W

1. Wahrheit

2. Weg

3. Weisheit

4. Welttheater

5. Werkzeuge und Hinweise

6. Widerstand

7. Wille

8. Wissen

9. Wissenschaft

10. Wort

11. Wunder

X

1. Xanthippe

2. Xenophobie

Y

1. Yoga

Z

1. Zeit

2. Zeuge

3. Ziel

4. Zufall

5. Zuflucht

Epilog

Anhang

1. Catherine Lechmann, Wandel der Liebe

2. Henry Miller, Wendekreis des Steinbocks

3. Schmidt-Salomon, Jenseits von Gut und Böse

4. Ueli Steck am Titlis

Bibliografie

1. Psychologie und Philosophie

2. Naturwissenschaftliches

3. Auf dem Weg

4. In die Irre

5. Richtung Ziel

6. Und die Favoriten

Index

»Existence is known through the heart, not through the head. And the heart approaches existence in deep love, trust. There is no other way to commune with the whole and if you can surrender to existence, if you can allow yourself to be overwhelmed by it, then the transformation happens easily without any bloodshed and without any damage. Not even scars are left in you. One changes so silently, so noiselessly, as if nothing has happened. On the outside everything remains the same and on the inside, nothing is the same.«

Bhagwan Shree Rajneesh

Vorwort

Die Esoterik und die Religionen wären als Hüter der Mystik prädestiniert. Leider tummeln sich in diesen Disziplinen fast ausschließlich »Schneeforschende« wie Kemedu Moiré aus dem Prolog, welche ihr Forschungsobjekt nur mehr theoretisch kennen. Vielleicht vor Jahrzehnten noch als Kind haben sie einmal im Schnee gespielt, aber vom Mysterium »Schnee« ist kaum mehr als eine müde Ahnung in ihrer Erinnerung geblieben, – »Schnee von gestern«. Auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen sind solche »Schneegelehrte« heute tonangebend in der Politik, den Wissenschaften und in den Kirchen. Unser ganzes Bildungswesen beruht weitgehend auf der Weitergabe von secondhand Wissen: »Schneegelehrte«, welche ihr angelesenes und angelerntes Schneewissen an »Schneeignoranten« weitergeben. Auch Léonard van Grippe hat in seiner jahrzehntelangen Lehrtätigkeit an einer Fachhochschule darin einiges Geschick erworben.

Das vorliegende Buch basiert jedoch ausschließlich auf Léonards eigener Erfahrung, seiner makellos subjektiven Sicht. Die Fußnoten weisen auf erweiternde und vertiefende Quellen; sie sind keinesfalls als Anrufung einer höheren Autorität zu verstehen. Léonard ist sich bewusst, subjektive Erfahrungen können zu untauglichen Schlussfolgerungen führen, sie bleiben als solche aber unanfechtbar. Meinungen hingegen lassen sich beliebig manipulieren, mit unzähligen Zitaten stützen, irgendeine Gegenmeinung jedoch genauso.

Selbstverständlich kann auch Léonard nur von Schnee berichten, etwas anderes ist gar nicht möglich. Lesen über Schnee bleibt immer abstrakt, könnte die Lesenden im besten Fall zu einem Ausflug in ein Schneegebiet animieren.

Dieses Handbuch ist insofern speziell, als es in einer Schneehöhle verfasst wurde. Immer wenn Léonard seinen Kopf nach draußen hielt, um ein bisschen frische Luft zu schnappen, befand er sich mitten in dichtestem Schneegestöber. Van Grippe möchte seine Leser und Leserinnen dazu anregen, Schnee dort zu suchen, wo es trotz Klimawandel und Hightech-Schneekanonen noch Schnee gibt. Reine, glitzernde Schneekristalle, welche sich schmelzend auf dem Antlitz der Suchenden auflösen. Schneeflocken für alle, für die philosophische, religiöse, und esoterische Texte zu kompliziert, zu wenig klar und vor allem zu wenig einleuchtend sind.

Schneeflocken für lange Jahre Suchende, die sich im Spiegel vieler Begriffe wiedererkennen und endlich ihren ureigenen Aufbruch zu Schnee und Eis realisieren können. Schneeflocken auch für die spirituell Fortgeschrittenen, Erwachende, die Schneegestöber aus eigener Erfahrung kennen, denen Léonard vielleicht ein paar Stunden Spaß und einige zusätzliche Einsichten im virtuellen Schneegestöber vermitteln kann. Kaum etwas für jene Mitmenschen, welche noch nie mit Schnee in Berührung gekommen sind, davon nichts wissen wollen oder nur im Bereich der Märchenwelt zulassen.

Begriffe wie Sein, Seele, Gott sind wie Schneeflocken. Nur diejenigen, die sie selbst gespürt und erlebt haben, wissen, wovon die Rede ist. Die seit Jahrhunderten in philosophischen und kirchlichen Kreisen geführten Diskussionen um die Deutung dieser und ähnlicher Begriffe haben zu einer äußerst verwirrten Menschheit geführt. Dieses Handbuch kann zur Klärung beitragen, falls sich Lesende auf die hier dargelegten Definitionen und Erläuterungen »open minded« oder besser mit offenem Herzen einlassen. Was für uns als kritisch eingestellte Westler eine große Herausforderung bedeutet, war für Patanjali1 noch eine Selbstverständlichkeit: »Before beginning any spiritual text it is customary to clear the mind of all distracting thoughts, to calm the breath and to purify the heart«. Léonard will nichts weniger, als den Weg zu Mystik ebnen. Dazu sollte man sich einfach aufmerksam und ohne innere Widerstände auf den Text einlassen. Etwas Psychologie, Lektüre von Gurdjieff, Krishnamurti und Osho/Bhagwan sind nützliche Hilfen, um die dargelegten Bewusstseins-Prozesse zu verstehen und sie bei sich auch zuzulassen.

Dieses Buch spiegelt die Entwicklung wider, welche Léonard auf seinem 80-jährigen Lebensweg durchlaufen hat, eingeschlossen eine mehr als halb so lange spirituelle Praxis. Vieles, was er schreibt, entspricht nicht den gängigen Meinungen und Vorstellungen, verleiht dem Text jedoch erst seinen Reiz und seine Existenzberechtigung.

Die ersten Zeilen sind vor mehr als zehn Jahren entstanden. Damals war das generische Maskulinum noch ziemlich unbestritten. Dies hat sich erfreulicherweise geändert und van Grippe versucht, diesem unausweichlichen Trend zu folgen. Er nimmt dabei gewisse unschöne und für ihn noch häufig ungewohnte Schreibweisen in Kauf.

Léonard ist in einer traditionell reformierten Familie aufgewachsen, weshalb er sich immer wieder mit der christlichen Sichtweise auseinandersetzt. Bibelzitate werden dabei nicht verwendet, um theologische Lehrmeinungen auszudrücken, er möchte vielmehr an vertraute Auffassungen und Bilder anknüpfen, auch wenn er deren Authentizität und gängige Interpretation dann meist hinterfragt. Gläubige Christen und Christinnen möchte Léonard vor der Lektüre warnen, sie könnte ihren Glauben erschüttern! Mutigen, die sich davor nicht fürchten, könnte das Buch jedoch ungeahnte religiöse Perspektiven eröffnen.

Ein Teil der dargelegten Begriffe erscheint in alphabetischer Folge, viele wurden thematisch gegliedert, um das Lesen zu erleichtern. Sie lassen sich in der Buchausgabe über das ausführliche Stichwortverzeichnis auffinden. Weniger gebräuchliche Szenen-Ausdrücke, Zusatzinformation und Hinweise auf Literatur sind in den Fußnoten vermerkt. Meist sind diese zusätzlich mit einem Hyperlink unterlegt, der in der elektronischen Version direkt zur weiterführenden Stelle führt. Diese Hinweise und Internetzitate lassen sich aktivieren, vom Inhaltsverzeichnis springt man direkt zum entsprechenden Thema. Die notwendigen Informationen zum Aktivieren der elektronischen Version ist am Ende dieses Buches nach dem Index S. → zu finden.

Im Anhang wurden vier Schilderungen von Einheitserlebnissen zeitgenössischer Autoren übernommen. Die kleine Auswahl will die Vergleichbarkeit von mystischen Erfahrungen aufzeigen, obwohl deren Ursache und Entstehung ganz unterschiedlich sind. Im gegliederten Bibliografie-Abschnitt sind die Literaturangaben der Fußnoten detailliert aufgeführt und wichtige Bücher zusammengestellt, welche den Autor zum ziellosen Ziel begleiteten.

Léonard möchte allen danken, die halfen, den Text entstehen zu lassen und in eine druckfähige Form zu bringen.

1 Patanjali, zwischen 2. Jahrhundert v. Chr. und 4. Jahrhundert n. Chr. indischer Gelehrter und Verfasser des Yogasutra, des klassischen Leitfadens des Yoga

A

1. Aberglaube

Als Protestanten in einem katholischen Umfeld bekam Léonards Familie in der Mitte des letzten Jahrhunderts immer wieder deutlich zu spüren, dass sie einem Aberglauben nachlebte. Heutzutage sind Evangelische und Reformierte in der Schweiz immerhin als christliche, religiöse Gemeinschaften akzeptiert. Das Christentum ist diesbezüglich exemplarisch: Der verkündete Glaube der eigenen kirchlichen Ausrichtung ist wahr: »Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, und niemand kommt zum Vater denn durch mich«.2 Alle Andersgläubigen hängen folglich einem Aberglauben an, dem nur durch Bekehrung (oder Terror?) entgegengewirkt werden kann. Kompliziert wird das Ganze, weil dies nicht nur nichtchristliche Kirchen, sondern die meisten christlichen Kirchen und Sekten voneinander glauben, so gesehen gibt es nur Aberglaube. Und als Folge dessen gibt es – mehr oder minder versteckt, manchmal auch als Toleranz kaschiert – eine Gewalt, welche immer wieder in den interreligiösen Beziehungen sichtbar wird.

Vom Aberglauben ausgenommen ist selbstverständlich der zweifelsfrei wahre Glaube der eigenen Gemeinschaft. Nur leider haben die Andersbekennenden diesen einfachsten Sachverhalt bisher nicht erkannt. Mit gesteigerten Bekehrungsanstrengungen, ein bisschen mehr Einsicht der anderen und der gütigen Unterstützung des angerufenen Gottes, Allahu Akbar beispielsweise, müsste es doch gelingen, die ganze Menschheit zum richtigen Glauben zu bekehren.

2. Agnostik

Die Anhänger dieser philosophischen Schule meinen von sich selbst, gegenüber religiösen Fragen eine reife, humanistische Haltung einzunehmen. Die Frage »Gibt es Gott?« beantwortet ein Agnostiker nicht eindeutig mit »Ja« oder »Nein«, sondern mit »Ich weiß es nicht« oder »Es ist nicht geklärt«. Dass der Agnostiker nicht wagt, eine klare Stellung zu beziehen und die üblichen Gottesbilder als abstruse Vorstellungen zu entlarven, ist allein seiner mutlosen Anpassung und der meist christlich geprägten Toleranz zuzuschreiben.

3. Allegorie

Allegorie bedeutet griechisch »etwas anders ausdrücken«. Eine der schönsten allegorischen Geschichten ist für Léonard die Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies, nachdem sie sich von der Schlange verleiten ließen, den Apfel vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen.3 Wie hätte einem ungebildeten Nomadenvolk dieser doch so eigenartige Sachverhalt blumiger vermittelt werden können, dass die Menschen in einen Zustand gerieten, der sie unglücklich macht und sie sich von all den übrigen Lebewesen auf dem Planeten Erde so deutlich unterscheiden?

2 Heilige Schrift, Johannes 14, 6 (4)

3 Heilige Schrift, 1. Mose 3, 1-24 (4)

4. Alles

Alles umfasst alles, einfach wirklich alles. Alles ist TOE: Theory of Everything, die Theorie von Allem, wie dies wissenschaftlich korrekt bezeichnet wird. Materielles und Immaterielles, Sichtbares und Unsichtbares, Entdecktes und (noch) Unentdecktes, das ganze Universum, einfach ALLES. Als Wissenschaftler möchte Léonard auf das logische Problem aufmerksam machen: Gott steht per Definition

für ALLES, er ist ja der Schöpfer von Allem, aber A L L E S umfasst offensichtlich auch den Schöpfer von Allem.

4.1. Allah

Verantwortlicher für ALLES, für muslimische Gläubige.

4.2. Gott

Verantwortlicher für ALLES, für christliche Gläubige.

4.3. Jahwe

Verantwortlicher für ALLES, für jüdische Gläubige.

4.4. Manitu

Verantwortlicher für ALLES, für Native Americans, früher Indianer genannt.

4.5. Shiva

Verantwortlicher für VIELES, für hinduistische Gläubige. Hindus haben sinnigerweise für verschiedene Aspekte verschiedene Götter: Brahma, Vishnu und Shiva. Bemerkenswert, und in vielen indischen Tempeln sichtbar, sind die Kombinationen der Symbole für Shiva und seiner Gattin Shakti, der Davidstern und die Swastika, das Hakenkreuz! Léonard fragt sich, ob es nur ein Zufall ist, dass 5000 Jahre später fast die gleichen Symbole von Nazis und Juden verwendet wurden und wenigstens von letzteren auch heute noch.

5. Anarchie

Anarchie steht am Ende jeder erfüllten spirituellen Reise. Wo denn, wenn nicht in der gänzlichen Unabhängigkeit, in der Abwesenheit von jeglicher Herrschaft sollte die Befreiung von allem sonst enden? Léonard kann es nicht genügend betonen: Jede erfüllte spirituelle Suche muss in der Anarchie enden. Nur hat diese Anarchie mit der politischen, bombenwerfenden gleichnamigen wenig zu tun. Wie erfüllte Suchende mit Anarchie umgehen, kann an vielen Beispielen verfolgt werden: Meistens setzen sie sich in einen bequemen Sessel und erzählen ihren Zuhörern und Zuhörerinnen, was es mit der Befreiung auf sich hat. Manche haben sich in die Einsamkeit der Berge und Wälder zurückgezogen und verzichten weitgehend auf den Kontakt mit ihren Mitmenschen, auch dies eine Form der Anarchie.

6. Angst

Angst ist die Antithese von Liebe. Wo Angst ist, kann keine Liebe sein, wo Liebe ist, muss Angst abwesend sein, genauso, wie es sich zwischen Licht und Dunkelheit, Tag und Nacht verhält, Zwielicht und Dämmerung sind dabei nur vorübergehende Zwischenzustände, vergleichbar mit einem bewusstseinsmäßigen Dämmerbefinden.

Intuitive Angst bewahrt uns vor akut gefährlichen Situationen und kann für das Überleben entscheidend sein. Dagegen werden die »normalen« irrationalen Ängste durch innere Widerstände gegenüber dem, was ist, erzeugt und haben mit einer existenziellen, lebenssichernden Angst nichts zu tun. Im Spannungsfeld zwischen dieser unnötigen Angst vor verlorener Kontrolle, vor Neuem, vor dem großen Unbekannten, und der sinnvollen Angst vor realen Gefahren bewegen sich spirituell Suchende.

Jeder Schritt zu höherem Bewusstsein ist mit Angst verbunden, die Angst ist geradezu ein Indikator dafür, dass man sich in die richtige Richtung bewegt. Das Ego versucht um jeden Preis die Kontrolle zu behalten, und jeglicher Kontrollverlust erzeugt Angst.

Matthäus schreibt4: »Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut und sprach: Eli, Eli, lama asabthani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.« Nach Lukas hat Jesus wieder ins Vertrauen zurückgefunden: »in deine Hände befehle ich meinen Geist!«5

Die letzten Zuckungen des Egos sind mit höchster Todesangst verbunden und setzen ungeahnte Energien frei, welche äußerlich und innerlich zu großen Verheerungen führen können. Doch schließlich gelingt der Durchbruch in Angstfreiheit und Liebe, Krishnamurti nennt es »Einbruch in die Freiheit«.6

7. Astrologie

Sie ist eine häufig genutzte Pforte in die Welt der Irrationalität. Vertreter dieser Zunft würden sich wahrscheinlich gegen diese Aussage verwahren, denn sie kämpfen seit Jahrzehnten für die wissenschaftliche Anerkennung ihrer Theorien. Auch Spiritualität und Religion sind Systeme, welche versuchen, auf die hinter allem liegende irrationale – oder richtiger – arationale Transzendenz hinzuweisen. Diese Funktion kann die Astrologie häufig viel unbelasteter erfüllen, weshalb auch im Curriculum Vitae Spiritualis (vgl. S. →) das Geburtshoroskop von Léonard alias Swami Annapurna abgebildet ist. Gesunde Skepsis gegenüber der Deutung von Horoskopen ist ebenso wichtig wie ein klarer Kopf auf dem esoterischen Basar mit all seinen kommerziellen Auswüchsen7 oder im Umgang mit religiösen Dogmen. Léonard weiß leider auch nicht, wo es sich ganz ohne deren Einflüsse leben ließe.

8. Atheismus

Léonard wagt die Provokation im eigenen Lager: Atheist sein bedeutet, dass das Konzept Gott auch nicht richtig verstanden wurde. »Auch«, weil die meisten Religiösen an der gleichen Krankheit leiden. Der Atheist hat sich zwar vernünftigerweise von den weit verbreiteten religiösen Gottesbildern – der Herr mit dem Vollbart aus der Sixtinischen Kapelle – gelöst, aber auch seine Nicht-Gott-Vorstellung ist kaum besser. Ohne den Theismus der Religionen käme kein vernünftiger Mensch auf die Idee eines Atheismus. Der Glaube der Atheisten ist rein reaktiv und verrät eine ähnliche Bewusstseinsstruktur wie jene der religiösen Gottesgläubigen; beide verharren in dualistischem Denken.

9. Auferstehung

Die letzte große Erfahrung auf dem spirituellen Weg ist in der christlichen Lehre völlig missdeutet worden. Sie ist keinesfalls nur Jesus Christus und Maria oder bestimmten Heiligen vorbehalten. Solange in den gängigen exegetischen Vorstellungen verharrt wird, kann der allegorische Aspekt der christlichen Auferstehung nicht erkannt werden.

Nach der Aufgabe aller Widerstände – »in deine Hände befehle ich meinen Geist« – stirbt, verschwindet oder löst sich das menschliche, individuelle Ego auf. Was daraufhin geschieht, ist nicht voraussehbar, sofern das Ego nicht wieder reaktiviert wird, was bedauerlicherweise meist passiert. Die Auferstehung, auch Erlösung genannt, ist die geistige Wiedergeburt, welche in die Mystik führt und mit dem physischen Tod nichts zu tun hat.

Weil die christlichen Kirchen jedoch auf ihrer Sichtweise beharren, versäumen sie bis heute die tiefere Erkenntnis, dass östliche und westliche Vorstellungen durchaus vergleichbar sind: Auferstehung, ewiges Leben, geistige Wiedergeburt im Westen, Samadhi, Nirwana, Moksha im Osten. Diese Bewusstseinszustände sind für alle Menschen erreichbar, darin sind sich alle spirituellen Schulen einig.

10. Ausbeutung

Menschen haben ihre Mitmenschen zu jeder Zeit ausgebeutet, meist materiell, sexuell, häufig auch mental oder emotional. Wir nennen das Sklaverei – ausgebeutet werden immer jene, die sich nicht wehren können, Minderheiten, gesellschaftlich und sozial Benachteiligte, besonders aber Frauen und Kinder.

Spirituelle Gemeinschaften sind geradezu prädestiniert für eine Kultur der Ausbeutung, denn ohne Hingabe und völlige Akzeptanz durch die Adepten gibt es ja kein spirituelles Wachstum. Sie sind die Paradiese für all diejenigen, deren Testosteronspiegel von Zeit zu Zeit überschwappt, deren Zölibat nicht zur Sublimierung des Sexualtriebes führte, oder für jene, die mit ihren hetero-, homo-, pädo- oder sonstigen »philischen« Gefühlen nicht zurande kommen.

Abhilfe zu schaffen, dürfte schwierig sein, eine bessere GRP (Gute religiöse Praxis vgl. S. →) ist vielleicht am dringendsten empfohlen.

Sexuelle Ausbeutung wird häufig erst Jahre später öffentlich gemacht, wenn Scham dies überhaupt zulässt. Viele Opfer sexueller und anderer Übergriffe können die institutionelle Dimension ihres Einzelschicksals gar nicht erkennen und bleiben ihrer Kirche weiterhin treu verbunden. Das übersteigt jegliche Vorstellung Léonards und zeigt eindringlich die Co-Abhängigkeit von Opfer und Täter und die ungeheure Macht der Institutionen.

4 Heilige Schrift, Matthäus 27, 46 (4)

5 Heilige Schrift, Lukas 23, 46 (4)

6 J. Krishnamurti: Einbruch in die Freiheit (6)

7 W. Schneider: Esoterische Irrtümer (4)

B

1. Baum des Lebens

Er war der »andere« Baum im Paradies; nicht der mit den verfluchten Äpfeln, sondern der, der die Menschheit wieder ins Paradies zurückführen würde. Nach dem Sündenfall8 – Adam und seine Frau Eva hatten kräftig in die herrliche Frucht hineingebissen – wurden beide als Sünder aus dem Garten verstoßen und es musste verhindert werden, dass sie je wieder ins Paradies zurückfinden könnten. Gott ließ die Cherubim vor dem Garten Eden lagern, um den Weg zum Baum des Lebens vor den Menschen zu bewahren.9 Seither schlagen sich alle Suchenden, die es bis vor die Tore des Paradieses geschafft haben, sinnbildlich mit diesen hochrangigen Engeln herum. Wie diese zu überlisten sind, weiß offenbar nur Gott. Vielleicht haben seine Stellvertreter auf Erden über die Jahre einige Tipps erhalten? Léonard weiß keinen. Viele spirituelle Lehrer, Gurus und Meister geben sich freilich so, als wenn sie Wesentliches darüber wüssten. Sie versammeln viele Schäfchen um sich und geben ihre Tipps an sie weiter. Liegt es nun an den Schäfchen, dass sie die Fingerzeige so selten erfolgreich umsetzen, sind die Tipps selbst nach Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden nicht mehr wirksam oder gar die Tippgeber nur Scharlatane?

2. Bewusstsein

2.1. Einleitung

Über menschliches Bewusstsein zu schreiben, scheint ziemlich vermessen. Viele Berühmtheiten haben es getan, ohne wirklich Klarheit zu erreichen. Da das Phänomen des Bewusstseins immer noch als eines der größten ungelösten Probleme von Philosophie und Naturwissenschaft gilt, geht es Léonard nicht um neue Hypothesen, wie das Bewusstsein funktionieren soll, sondern um eine Klärung bekannter Begriffe, die – wie die Erfahrung zeigt – sehr individuell verstanden werden. Häufig wird »Bewusstsein« synonym mit »Verstand« oder englisch »Mind« verwendet. Descartes10 »cogito ergo sum« – ich denke (nach), also bin ich – beleuchtet nur einen Teilaspekt des menschlichen Bewusstseins. Häufig werden auch nur das normale Wachbewusstsein, das Bewusstsein im Schlaf und das Nicht-Bewusstsein der Ohnmacht und des Todes unterschieden. Wir können scheinbar »Bewusstsein« nur so interpretieren, wie wir unser eigenes Bewusstsein wahrnehmen.

Léonard möchte auf weitere Aspekte des menschlichen Bewusstseins aufmerksam machen, damit sich die Lesenden und Léonard als Schreibender verständigen können. Die Begriffe, die Léonard verwendet und auch begründet, entspringen seiner eigenen Erfahrung, auch wenn sie möglicherweise etwas simpel sind, da und dort nicht ausreichend präzise und philosophisch oder theologisch nicht völlig korrekt erscheinen. Doch seit Jahrtausenden wurde über das menschliche Bewusstsein gerätselt und viele Autoren scheinen geradezu darauf erpicht, immer wieder neue Definitionen zu kreieren. Léonard legt hier nur ein Begriffsmodell vor (vgl. S. →), das er niemandem aufzwingen will. Er empfiehlt den Lesenden, wenigstens für einen Moment die eigenen Vorstellungen im Hintergrund zu belassen und erst einmal Léonards Darlegungen zu folgen.

Van Grippes Modell erklärt nichts grundsätzlich Neues, es versucht nur eine verständliche Ordnung in die Begriffe zu bringen, die seit alters her immerzu neu definiert und interpretiert wurden. Léonard knüpft an die umgangssprachliche Verwendung von »Bewusstsein« an und verwendet für die nachstehend erklärten Aspekte eine Skala von völlig »unbewusst« zu »etwas bewusst«, über »bewusst« zu »sehr bewusst» und weiter zum »höchsten Bewusstsein«. Léonard zeigt, dass sich mit einem Rückgriff auf die uralte Tradition von Körper, Geist und Seele die menschlichen Bewusstseinsaspekte verständlich beschreiben lassen. Die unterschiedlichen Bewusstseinsaspekte werden dabei graphisch miteinander verknüpft.

2.2. Bewusstseinsaspekte

2.2.1. Körper

Hier interessiert nicht die Materie, sondern das Bewusstsein des Körpers, beispielsweise das Tasten von Schnee oder das Spüren von Kälte im Körper. Ein Tänzer oder ein Musiker hat eine andere Wahrnehmung des Körpers als ein Intellektueller. Auch das Bewusstsein, das den Ablauf aller Körperfunktionen sicherstellt – das die Immunabwehr aktiviert oder die Zellteilung auslöst und das alle physiologischen Funktionen steuert – ordnet Léonard dem Körper-Bewusstsein zu. Die meisten dieser Funktionen wirken und vollziehen sich spontan, vom Individuum her betrachtet ohne unmittelbare Wahrnehmung. Dies alles geschieht unbewusst.

Deutlicher wahrnehmbar wird das Körperbewusstsein, wenn z. B. ein Bein »eingeschlafen« ist und die »Energie« wieder in das Bein zurückkehrt. Körperliche Schmerzen deuten auf eine Störung oder einen Stau im Energiefluss hin und dringen bis ins übliche Wachbewusstsein vor. Der Schmerz verschwindet, wenn sich die Blockierung des normalen Energieflusses löst.

Nach östlicher Auffassung sind sieben Chakras (vgl. S. →) die Energiezentren im menschlichen Körper und somit Teile des Körperbewusstseins. Sie wirken äußerst subtil und können erfahrungsgemäß in seltenen Situationen direkt oder indirekt wahrgenommen werden.

2.2.2. Geist

Der Ausdruck Geist ist weitgehend christlich geprägt und hat als der »Heilige Geist« eine umfassende Übernatur innerhalb der göttlichen Trinität11 erhalten. An dieser Stelle soll Geist jedoch nur als Überbegriff für Denken, Intelligenz, Erinnerung, Verstand, Vernunft oder Ratio stehen und bezeichnet all das, was landläufig im Kopf – also im Mind – passiert. Neurophysiologen sagen, alles finde im Gehirn statt, weil jede geistige, seelische oder körperliche Regung als Aktivität von Gehirnzellen gemessen werden kann. Léonard wagt den Vergleich: Zwischen Kaisten und Laufenburg am Rhein, an der Schweizer Grenze zu Deutschland, steht eine riesige Verteileranlage für die europäische Stromversorgung. Zu jedem Zeitpunkt wird hier elektrischer Strom zwischen dem nördlichen und dem südlichen Europa hin- und hergeschaltet. Würde jemand deshalb behaupten, Europa fände in Laufenburg statt? Das Gehirn ist zweifelsohne etwas wie eine Schaltzentrale. Aber wie sollte da die Suche nach dem Ursprung des Geistes in diesem Organ erfolgreich sein?

8 Heilige Schrift, 1. Mose 3,1-13 (4)

9 Heilige Schrift, 1. Mose 3,22-24 (4)

10 René Descartes 1596 – 1650, französischer Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler

11 Dreifaltigkeit bedeutet in der christlichen Theologie die Wesens-Einheit von Gott Vater, Sohn (Jesus Christus) und Heiligem Geist

2.2.3. Seele

Das Seelische umfasst Gefühle wie Angst, Wut, Trauer oder Liebe. Es ist aber auch der »Ort«, an dem »Seelenschmerz« bzw. alle »Herzensbewegungen« spürbar werden. Deshalb gibt es für Léonard auch keinen triftigen Grund, eine zusätzliche Unterscheidung zwischen Gefühlen und Emotionen herzuleiten, wie es in gewissen Strömungen der psychologischen Spiritualität versucht wird.

Die Öffnung, die wiedererlangte Wahrnehmung von differenzierten Gefühlen, ist bei der Bewusstseinsentwicklung für Männer wie Frauen deutlich spürbar. Frauen scheinen dabei deutlich bevorteilt, weil sie meist ihre bereits entwickelte natürliche Begabung vertiefen können.

Geist und Seele? Kopf oder Herz? Die Auflösung der viel beschriebenen Unvereinbarkeit kann als Bewusstseinsfortschritt erfahren werden. Meine Lektorin meint, Mann und Frau finden in einem »sowohl als auch« ihrer Ergänzung einen wunderbaren Schlüssel zur Beendigung des Konfliktes zwischen Verstand und Gefühlen.

2.2.4. Instinkt

Unser Instinkt findet nach allgemeiner Auffassung auf einer archaisch körperlichen Ebene statt. Werden etwa die entsprechenden Hirnströme vielleicht sogar im sogenannten Reptilienhirn gemessen? Das würde die animalische Ebene dieses Bewusstseinsaspekts – den Naturtrieb – sogar experimentell sichtbar machen. Immerhin sichert Instinkt Leben, Überleben und Fortbestand.

2.2.5. Intuition

Intuition ist im Bewusstseinsdiagramm (vgl. Abb. 1) bezeichnenderweise den seelischen Aspekten gegenüber angeordnet, und es ist sicherlich kein Zufall, dass die weibliche Intuition so bedeutsam geworden ist. Die meisten Frauen haben eine akzentuierte Intuitions-Seelen-Achse, Männer dagegen entfalten ihr Intuitionspotenzial üblicherweise erst im Laufe ihrer spirituellen Entwicklung.

2.2.6. Imagination

Imagination, Inspiration und Intension ordnet Léonard dem gleichen Bewusstseinsaspekt zu. Imagination wird oft missbräuchlich verwendet, um materielle Güter zu erlangen. Von Amerika herkommend, verdrängen Visualisierung und Imagination allmählich das für unsere christlich geprägte Kultur eher typische Wunsch- oder Bittgebet. Beides scheint hin und wieder sogar zu funktionieren. Der arme liebe Gott, wie soll er sich nur entscheiden, wenn die Fans beider Mannschaften eines Fußballspiels sich an ihn wenden. Vielleicht doch würfeln?

2.3. Bewusstseinsdiagramm

Abbildung 1: Bewusstseinsbegriffe

Die sechs Bewusstseinsaspekte lassen sich in einem Diagramm sehr einfach und sinngerecht anordnen (vgl. Abb. 1). Die dominanten Aspekte Körper, Geist und Seele in der oberen Hälfte werden den drei I-Aspekten Instinkt, Imagination und Intuition gegenüberliegend angeordnet.

Auf den sechs Achsen können die unterschiedlichen Bewusstseinsaspekte halbquantitativ und relativ zu einem maximal angenommenen Potenzial aufgetragen werden. Daraus kann ein Netz-Diagramm entwickelt werden, in dem die Stärken und Schwächen sehr einfach zum Ausdruck kommen.

Abbildung 2: Individualbewusstsein mit männlicher Ausprägung

Die unregelmäßig begrenzte rote Fläche in Abb. 2 entspricht dem Abbild des Bewusstseins eines Probanden zum Zeitpunkt dieser Datenerfassung. Gelb zeigt das maximal erreichbare individuelle Bewusstseinspotenzial, während das Unterbewusstsein grau, das Bewusstseinsprofil vervollständigt.

Gewisse Aspekte können auch auf mehreren Achsen aufgetragen werden. Beispielsweise gehören zur Kreativität hauptsächlich Intuitions- und Imaginationsaspekte, aber auch verstärkte Geist- und Seelenkomponenten. Eine solche zeichnerische Darstellung, in die sowohl Fremdbilder wie Selbsteinschätzung einfließen, könnte wichtige Hinweise auf die zukünftige persönliche Bewusstseinsentwicklung geben. Daher ist es mit einem Horoskop oder dem Enneagramm vergleichbar, nur viel konziser auf das wahre Potenzial ausgerichtet.

Die Aufweitung des roten Bereichs bis zur vollständigen Deckung mit Gelb entspricht der auf dem spirituellen Weg zu durchlaufenden Bewusstseinsentfaltung. Wichtig ist aber auch die Entwicklung zum Zentrum hin, zur endgültigen Einsicht in das Unbewusste. In diesem Prozess nähern sich Suchende immer mehr dem Ursprung oder der Quelle, ihr Bewusstsein beginnt sich über den inneren grauen Bereich auszudehnen, wie es im Diagramm vorzüglich zum Ausdruck kommt.

Wenn das individuelle Potenzial sowohl nach außen als auch nach innen erlangt ist, also alle gelben und grauen Bereiche bewusst geworden sind, kann der Entwicklungsprozess als abgeschlossen betrachtet werden. Dann muss nur noch auf den letzten Gnadenakt gehofft werden.

Authentizität ist wieder erreicht, Léonard erinnert an Gebser12 und Wilber13, welche von integralem Bewusstsein sprechen. Dies ist kein quantifizierbarer, absoluter, sondern ein zum eigenen Potenzial relativer Zustand. Jede spirituelle Suche lotet das eigene Potenzial vollständig aus und es geht nicht darum, so zu werden wie Mutter Teresa, Gandhi oder andere großartige Vorbilder. Nachahmung bleibt immer eine Identifikation und kann nie zur Befreiung führen.

2.4. Bewusstseinsindikatoren

Individuelles Bewusstsein und Individuum schließt Unteilbarkeit ein, denn Individuum heißt lateinisch ungeteilt. Tatsächlich steht der missliche Zustand unseres Bewusstseins, das nicht in der Lage ist, die Welt und die in ihr lebende Kreatur als Einheit zu erkennen, hinter all den verzweifelten Versuchen, endlich ganzheitlich wahrnehmen zu können. Einem solchen »noch nicht Individuum« können die Bewusstseinsdiagramme aufzeigen, in welcher Richtung die Individuation gehen müsste. Auf dem Weg sind orientierende Feedbacks sehr nützlich, da sie den Suchenden sowohl Illusionen als auch Selbsttäuschungen aufzeigen, mögliche Krisen vermeiden lassen und sie auf dem eingeschlagenen Pfad unterstützen.

Solche Indikatoren sind bei ausreichender Selbstkritik und Ehrlichkeit unbestechlich. Ein überzeugend erklärtes Horoskop, eine Enneagramm-Struktur oder auch ein Tarotblatt können Suchenden zweifelsohne Hinweise sowohl zu ihrem aktuellen Bewusstsein wie auch zu dessen weiteren Fortentwicklung geben.

Bewusstseinsentwicklung bildet sich – nicht automatisch gleichmäßig – auf körperlicher, seelischer und geistiger Ebene ab und kann individuell untrüglich wahrgenommen werden. Körperlich feststellbar sind beispielsweise Heilungsprozesse, die Stabilisierung der Gesundheit, das Öffnen der Chakras und wie sich die Sichtweise auf die Außenwelt wandelt. Die seelischen Veränderungen führen zu größerer Gelassenheit, im Geist ist das allmähliche Versiegen des Gedankenflusses und der Träume erkennbar. Da die meisten dieser Veränderungen zwar langsam, aber stetig erfolgen, ist eine hohe Aufmerksamkeit erforderlich, um sie überhaupt zu erkennen. Andererseits ist die erhöhte Aufmerksamkeit ein zusätzlicher Indikator für die sich vollziehende Bewusstseinsentwicklung. Die Häufigkeit, mit der z. B. jemand ungewollt irgendwo anstößt, in Hundekot tritt oder Geschirr fallen lässt, stellt eine wunderbare Indikation der mangelnden Präsenz dar.

»Der Ochse und sein Hirte« ist ein Zen-Geschichtchen aus dem frühen chinesischen Buddhismus und versinnbildlicht – je nach Überlieferung – in 8 oder 10 Bildern und Merksätzen den Fortgang einer Bewusstseinsentwicklung.14 Mit der Suche nach dem Ochsen, dem Finden der Ochsenspur, dem Finden des Ochsen, über das Zähmen, Reiten, Vergessen des Ochsen bis zur vollkommenen Leere, sind schon alle Meilensteine eines spirituellen Weges im 12. Jahrhundert erfasst worden. Diese alten Bilder geben auch heute den ehrlich Suchenden das perfekte Feedback zu allen Schritten ihres Weges. Wir heutigen Westler haben allerdings wenig Bezug zu Geschichten von Ochsen, Hirten und Schafen. Solche in Insider-Kreisen viel zitierten Bilder gehören zu einem frühen Bewusstseinszustand der Menschen, der Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zurückliegt und genau wie die christlichen Gleichnisse nicht mehr unmittelbar verständlich sind. Sie bedürfen unbedingt einer zeitgemäßen Interpretation. Kaum ein modern interpretierender Theologe, Satsanglehrer – oder auch Léonard – zählen Hirten und Bauern zu ihren Bekannten. Ihr Wissen stammt von der Universität, weshalb ihre Interpretationen von analogen Sachverhalten auch entsprechend anders klingen.

Modernen Gehirnforschern gelingt es zwar, Wahrnehmungen einer Testperson mit bestimmten Aktivitäten und Frequenzmustern im Gehirn zu korrelieren. Daraus aber Entscheidendes über das Wesen des Bewusstseins abzuleiten, scheint weiterhin unmöglich. Léonard kombiniert seine eigenen Erfahrungen mit Ergebnissen der Neurowissenschaften im Abschnitt Neurophilosophie (vgl. S. →).

Vom heiligen Franziskus wird erzählt, er hätte sogar mit den Tieren sprechen können, ähnliches wird von Indianern überliefert. Léonards Erinnerungen an »Kommunikation« mit Schmetterlingen werden dabei wach, die damals beim Zelten an einem wilden Bergbach begannen, mit ihm zu »spielen« und sich immer wieder auf ihm niederließen.

Später, in Rajneeshpuram, einem ziemlich magischen Ort, ist er einmal zwei amselartigen Vögeln in einen etwas abseits gelegenen Sumpf gefolgt, die sich durch ihr Gezwitscher und aufgeregtes Umherfliegen bemerkbar gemacht hatten. Da stand er dann im übermannshohen Schilf im knöcheltiefen Wasser und wusste nicht mehr weiter. Die beiden »Lockvögel« neben ihm in fast greifbarer Distanz ruhig wartend, doch wieder loskreischend, sobald sich Léonard in irgendeine Richtung zu bewegen begann. Nach einigem Rätseln kauerte er sich nieder – da waren sie, etwa ein halbes Dutzend frisch geschlüpfte Wollbällchen, die zwischen den Schilfrohren umherflitzten. Tief berührt und unbehelligt durfte Léonard daraufhin den Schilfplatz verlassen. Solche Erlebnisse waren für Léonard deutliche Bestätigungen für die Richtigkeit seines Weges.

C. G. Jung15 hat den Begriff der Synchronizität geprägt für zeitlich korrelierende Ereignisse, welche zeitnah aufeinander erfolgen, aber nicht kausal miteinander verknüpft sind. Während ein »Normalbewusstsein« solche Begebenheiten als Zufall abhakt, bekommen sie für Suchende eine äußerst wertvolle Bedeutung, denn die Zunahme der Häufigkeit solcher Synchronizitäten bestärken sie in der Korrektheit ihres Tuns.

Aus dem Zen stammt die uralte Übung des Atemzählens, das völlig unabhängig vom jeweiligen Zeitgeist bleibt. Normalerweise bereitet es keine großen Schwierigkeiten, diese Übung in ihren einfachen Formen auszutricksen. Léonard hat das damals in seiner eigenen Meditationspraxis schnell begriffen: Atemzählen und gleichzeitig den Gedanken nachhängen, war nicht wirklich schwierig. Das Zählen passierte völlig automatisch und benötigte kaum Aufmerksamkeit. Das änderte sich erst, als er begann rückwärtszuzählen oder noch wirksamer im hexadezimalen Zahlensystem dem Atem folgte. Dass es Léonard gelang, eine ganze Zazen-Sitzung hexadezimal fehlerfrei durchzuzählen, war der eine Punkt, aber im warmen Bett liegend wach dem Atem ebenso zu folgen, erwies sich als außerordentliche Herausforderung. Welch Wohlgefühl, nachdem auch dies endlich gelang! Nur gibt es leider innerhalb der Bewusstseinsentwicklung kein Ausruhen auf den Lorbeeren, die fehlerfreie Sitzung heute bedeutet keineswegs ein Gelingen morgen, denn auf dem Spiegel setzt sich permanent Staub ab.

2.5. Bewusstseinsmonitoring

Spirituell Suchende, welchen schon die Überschrift dieses Kapitels körperliches Unbehagen bereitet, sollten es einfach überspringen und ein paar weitere Jahre Vipassana oder Zazen üben. Vielleicht sind jedoch einige bereit, ihre bisherige spirituelle Praxis zu überprüfen und zu hinterfragen, dann könnte im Lesen dieses Kapitels echter Gewinn entstehen.

Léonard hat in verschiedenen Gruppen, Seminaren und Retreats erlebt, wie Leiter eine Klassifizierung der Teilnehmer vornahmen und diese auch publik machten. Lieblingsschüler kriegten sozusagen eine Eins, Rebellen und solche, die schlecht fassbar waren, eine Fünf. Einerseits war dies auch bei Léonard mit unangenehmen Gefühlen von Bevorzugung oder Abwertung verbunden, andrerseits war es aber durchaus wichtig für ihn zu wissen, wie es jeweils um ihn stand, und um die eigene Bewusstseinsentwicklung ermessen zu können. Wie leicht suggeriert das Ego, man stünde kurz vor der Erleuchtung und erhält dann postwendend vom Lehrer die unbedingte Empfehlung, ein Seminar mit dem vielsagenden Namen «Fresh Beginning» zu besuchen…

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