Mythos Trümmerfrauen - Leonie Treber - E-Book

Mythos Trümmerfrauen E-Book

Leonie Treber

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Beschreibung

Die "Trümmerfrau" gehört zum festen Repertoire nahezu jeder historischen Darstellung der Nachkriegszeit, ganz gleich, ob in TV- und Printmedien, in Schulbüchern oder in Ausstellungen der historischen Museen. Seit Anfang der 1950er Jahre bis in unsere unmittelbare Gegenwart kam es darüber hinaus in den unterschiedlichsten Städten immer wieder zur Errichtung von "Trümmerfrauen"-Denkmälern. Leonie Treber hat erstmals die überlieferten Fakten geprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass die "Trümmerfrauen" ein Mythos sind; es gibt nur ganz wenige Belege dafür, dass tatsächlich Frauen im Krieg und in der Nachkriegszeit Bombentrümmer beseitigt haben. Wie für Mythen gemeinhin üblich, handelt es sich bei den heute verbreiteten stereotypen "Trümmerfrauen"-Narrativen jedoch keineswegs um reine Lügen, vielmehr enthalten sie einige Brocken Wahrheit, die jedoch mitunter verfälscht und aus dem Kontext gerissen sind bzw. Wesentliches verschweigen. Die Autorin stellt dar, wie die Enttrümmerung der deutschen Städte tatsächlich stattgefunden hat. Meist waren professionelle Firmen mit technischem Großgerät und Fachkräften die Hauptakteure bei der Trümmerräumung. Und sie zeigt, wie der Mythos "Trümmerfrau" mit all seinen Facetten entstanden ist. Die Grundlagen für den Mythos der "Trümmerfrau" wurde bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit gelegt. Eine Analyse der zeitgenössischen Presseerzeugnisse von 1945 bis 1949 legt die dabei entworfenen Bilder offen und fragt nach dem Ursprung des "Trümmerfrauen"-Begriffs. Die Traditionslinien der "Trümmerfrauen" reichen in der DDR bis ins Jahr 1945 zurück und sind seitdem niemals abgebrochen, sondern kontinuierlich gepflegt worden. Die lange und stabile Tradierung der "Trümmerfrau" in der Erinnerungskultur der DDR trug somit wesentlich dazu bei, dass sich aus den getrennten und zum Teil diametral gegenüberliegenden Erinnerungssträngen der BRD und der DDR schließlich der gesamtdeutsche Erinnerungsort der "Trümmerfrau" flechten ließ.

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Leonie TreberMythos Trümmerfrauen

Leonie Treber

MythosTrümmerfrauen

Von der Trümmerbeseitigungin der Kriegs- und Nachkriegszeitund der Entstehungeines deutschen Erinnerungsortes

Titelabbildung:Reichstag 1946 »Trümmerfrauen«, Landesarchiv Berlin

1. Auflage Juli 2014

Satz und Gestaltung:Klartext Medienwerkstatt GmbH, Essen

Umschlaggestaltung:Volker Pecher, Essen

ISBN 978-3-8375-1178-9

ePub-ISBN 978-3-8375-1276-2

Alle Rechte vorbehalten

© Klartext Verlag, Essen 2014

www.klartext-verlag.de

Inhalt

Danksagung

Einleitung

Die Trümmer müssen weg: Enttrümmerungsmaßnahmen während des Luftkrieges und in der Nachkriegszeit

I.

Die Trümmerräumung während des Luftkrieges

1.

Ein System wird etabliert:Der SHD und die Trümmerräumung als Sofortmaßnahme

2.

Arbeitskraftreserven I:Wehrmacht, Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst

3.

Instandsetzung statt Trümmerräumung:Die Eingliederung des Bauhandwerks

4.

Arbeitskraftreserven II:Die Trümmerräumung wird zur Zwangsarbeit

4.1

Kriegsgefangene und Zivilarbeiter

4.2

KZ-Häftlinge

5.

Resümee

II.

Der Krieg ist aus: Ein Reich liegt in Trümmern

1.

Viele Kriegsenden:Kapitulation und Beginn der Besatzungszeit in den Städten

2.

Die Konsolidierung der deutschen Stadtverwaltungen

2.1

Das Beispiel Nürnberg

2.2

Das Beispiel Berlin

2.3

Pragmatismus versus Ideologie:Kontinuitäten deutscher Stadtverwaltungen

3.

Die Trümmerräumung als städtische Herausforderung

III.

Die Trümmerräumung in der Nachkriegszeit

1.

Die Trümmerräumung als Strafarbeit

1.1

Ehemalige Parteigenossen

1.2

Kriegsverbrecher und Häftlinge des »Automatischen Arrests«

1.3

Deutsche Kriegsgefangene

1.4

Strafgefangene

2.

Die Professionalisierung der Trümmerräumung

2.1

Das Bauhandwerk arbeitet weiter

2.2

Die Eingliederung der Bauunternehmen in die Arbeiten der Enttrümmerung

2.3

Die Konzepte: Trümmerbeseitigung versus Trümmerverwertung

2.4

Die Trümmerverwertungsgesellschaft in Frankfurt am Main

2.5

Der Beginn der planmäßigen Trümmerräumung in Dresden

2.6

Die Professionalisierung der Trümmerräumung in der SBZ und den drei westlichen Zonen: ein Vergleich

3.

Die Bevölkerung als Arbeitskräftereservoir

3.1

Arbeitslose

3.2

Bürgereinsätze

3.3

Deutsche Staatsbürger oder wer waren eigentlich die Arbeitskräfte?

3.4

Arbeitslose und Bürger als (un)erschöpfliches Arbeitskräftereservoir für die Trümmerräumung: ein Systemvergleich

4.

Resümee

IV.

Frauen als Akteurinnen bei der Trümmerräumung

1.

Die Zeit des Luftkrieges

2.

Die Nachkriegszeit

2.1

Die Trümmerräumung als Resozialisierungsmaßnahme für »leichte Mädchen«

2.2

Von der arbeitslosen Frau zur Bauhilfsarbeiterin

2.3

Die Heranziehung von Frauen zu den Bürgereinsätzen

2.4

Frauen und Selbsthilfe:Die Dimension der privaten Enttrümmerung

3.

Die Frau als Akteurin bei der Trümmerräumung:eine Frage des Systems?

Die Repräsentation der Trümmerräumung in den Medien der deutschen Nachkriegszeit und die Geburtsstunde der »Trümmerfrau«

I.

Die Deutung der Trümmerräumung in der zeitgenössischen Presse von Berlin und SBZ

1.

Die enttrümmernde Frau wird zum Medienschlager

2.

Der Begriff der »Trümmerfrau«

II.

»Trümmerfrau« versus Bauunternehmen, Bagger und männliche Arbeitskraft:Die Darstellung der Trümmerräumung in der ›West‹-Presse

III.

Resümee

Deutsch-Deutsche Erinnerungen: Die »Trümmerfrau« in den kollektiven Gedächtnissen von DDR und BRD

I.

Die Etablierung divergierender »Trümmerfrauen«-Bilder in den 1950er Jahren

1.

DDR

1.1

Die »erwerbstätige Mutter«:Frauenleitbild und Frauenpolitik in SBZ und DDR

1.2

Das Bild der »Trümmerfrau« in SBZ und DDR:Vorbild für die Frau im Männerberuf und Vorreiterin der Gleichberechtigung

1.3

Die »Trümmerfrau« in Bronze gegossen – Denkmäler in Dresden und Berlin-Ost

1.4

»Aufbauhelferin« versus »Trümmerfrau«:zwei weibliche Ikonen im Ringen um die Deutungshoheit über die Aufbauleistung der Frauen

2.

BRD

2.1

Restauration der Mutter- und Hausfrauenrolle:Frauenbild und Frauenpolitik in der BRD

2.2

Das »Trümmerfrauen«-Bild in West-Berlin:Heldin des Wiederaufbaus

2.3

Das »Trümmerfrauen«-Bild in der BRD:Erst auf den zweiten Blick sichtbar

3.

Resümee: Die »Trümmerfrau« im Zwiespalt

II.

»Erbauerin des Sozialismus« und »Vorreiterin für die Gleichberechtigung der Frau«: Die Kontinuitätslinien des »Trümmerfrauen«-Bildes in der DDR

1.

Rolle rückwärts: Von der »Aufbauhelferin« zur »Trümmerfrau«

2.

Die Frau im Bauberuf: Von der »Trümmerfrau« zur Ingenieurin

3.

Die politischen Gedenk- und Feiertage der DDR

3.1

Die »Trümmerfrau« und der Internationale Frauentag

3.2

1. Mai, 8. Mai und 7. Oktober: Tage der »Trümmerfrau«

4.

Die »Trümmerfrau«:Ikone des kommunalen Gedächtnisses

5.

Resümee

III.

Von der »armen Schwester im Osten« zur »Grundsteinlegerin des Wirtschaftswunders«: Ein wechselhafter Erinnerungsdiskurs an die »Trümmerfrau« in der BRD

1.

Wenig Anlass zum Feiern? Die politischen Feier- und Gedenktage in der BRD

1.1

Die »Trümmerfrau« in den erinnerungspolitischen Reden zum 8. Mai

2.

Die »Trümmerfrau« in den Medien der 1960er und 1970er Jahre

3.

Die »Trümmerfrau« wird zur bundesrepublikanischen Gedenkikone: Die 1980er Jahre

3.1

Frauengeschichte

3.2

Frauen in der Rentenversicherung der 1970er und 1980er Jahre

4.

Resümee

Schluss

Abkürzungsverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweis

Danksagung

Bei dieser Publikation handelt es sich um die nahezu unveränderte Drucklegung meiner Dissertationsschrift, die im Dezember 2012 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen eingereicht und von Prof. Dr. Ute Schneider und Prof. Dr. Wilfried Loth begutachtet wurde. Die Disputation fand am 17. September 2013 statt.

Während diese Eckpunkte das Ende der Geschichte dieser Arbeit markieren, so sind ihre Anfänge im Herbst 2005 im damaligen Darmstädter Arbeitszimmer meiner späteren Doktormutter Ute Schneider zu finden. Auf der Suche nach einem Thema für meine Magisterarbeit wurde die Idee für das nun vorliegende Buch geboren. Bis es schließlich so weit war, vergingen nicht nur viele Jahre, dazwischen liegen auch eine schicksalhafte Zugfahrt von Konstanz nach Darmstadt, der Wechsel an die Universität Duisburg-Essen und – zumindest für mich – die Rückkehr an die TU Darmstadt. In all dieser Zeit hat Ute Schneider den Fortgang meiner Arbeit mit persönlichem Interesse und viel Engagement begleitet. Wann immer es nötig war, hatte sie ein offenes Ohr und einen hilfreichen Ratschlag parat. Dafür möchte ich ihr von Herzen danken, ganz besonders jedoch für ihr Vertrauen in mein wissenschaftliches Arbeiten, das mir über all die Jahre den nötigen Rückhalt gegeben hat und ohne das diese Arbeit sicherlich nie entstanden wäre.

Dank an vorderster Stelle gilt jedoch auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir durch die Förderung des Projektes »Trümmerfrauen«: Realität und Mythos über drei Jahre hinweg ein finanziell unbesorgtes und von anderen Verpflichtungen freies Arbeiten ermöglichte. Dazu beigetragen hat nicht zuletzt Daniel Tomczak, dem ich für seine unermüdliche Fleißarbeit und seine PC-Expertise zu großem Dank verpflichtet bin. Gleiches gilt für die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den unzähligen Archiven und Bibliotheken, die mir die Arbeit oftmals erleichtert haben – stellvertretend seien hier vor allem Johannes Rosenplänter (Stadtarchiv Kiel) und Horst Dinstühler (Stadtarchiv Jülich) genannt. Hervorzuheben ist an dieser Stelle Margarete Dörr, die mir ganz selbstverständlich ihr Haus öffnete und so das Arbeiten in ihrem Privatarchiv ermöglichte.

Mein Dank gilt darüber hinaus Wilfried Loth für das Zweitgutachten und die anregenden Diskussionen in den verschiedenen Essener Kolloquien sowie Katja Patzel-Mattern für die sehr engagierte Begleitung als Mentorin, von der ich persönlich und die Arbeit profitieren konnten.

Profitiert hat die Arbeit schließlich auch durch die Lektüre und kritischen Kommentare von William Clark, Lisa Fink, Holger Köhn, Isabel Schmidt und Korinna Schönhärl. Letztere trug jedoch nicht nur dadurch zum Gelingen der Arbeit bei, sondern wurde von einer Kollegin zu einer Freundin, die mir mit ihrer Gastfreundschaft in Essen ein Stückchen Heimat schenkte. Gleiches gilt für Stefanie Paufler-Gerlach. Nicht minder wichtig in der »Essener Zeit« war Sonja Hillerich, als treue Weggefährtin und Freundin. Dafür, aber vor allem für ihr unbestechliches Auge beim Lektorat meiner Arbeit: herzlichen Dank.

Damit die Arbeit jedoch schließlich zu dem werden konnte, was sie ist, danke ich meiner Familie und meinen Freunden. Ohne ihren Rückhalt, ihr Vertrauen und ihre Unterstützung, wäre all dies nicht möglich gewesen. Mein größter Dank gilt hierbei meiner Mutter – der ersten Leserin dieser Arbeit – und Laura für ihren unerschütterlichen Glauben an mich und daran, dass am Ende alles gut werden wird.

Darmstadt, im Frühjahr 2014

Einleitung

Am 24. Mai 2012 titelte die Frankfurter Rundschau in großen Lettern »Stunde der Trümmergirls«.1 Von »Girls« handelte der dazugehörige Artikel nicht wirklich und mit realen »Trümmern« hatte er rein gar nichts zu tun. Gleichwohl hätte die Redaktion kaum ein eindrücklicheres Bild für ihren Leitartikel finden können. Worum es darin eigentlich ging, darüber gab der Untertitel etwas mehr Aufschluss: »Oskar Lafontaine ist weg, die Linke zerlegt sich weiter. Ein Frauenkollektiv meldet sich zum Wiederaufbau.«2 Hintergrund der Schlagzeile war demnach die aktuelle parteipolitische Krise der Linkspartei: Nach gerade verlorenen Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sowie internen Streitigkeiten und Affären lag die Partei fast vollständig zerstört am Boden. Zu allem Übel hatte Lafontaine, einer der Gründungsväter der Partei, seine in Aussicht gestellte Kandidatur für die Parteiführung nun auch noch zurückgezogen. Für einen Neubeginn stand er nicht mehr zur Verfügung. Als Reaktion darauf hatten die 34-jährige Katja Kipping, stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, und die 1972 geborene Katharina Schwabedissen, gescheiterte NRW-Spitzenkandidatin, erklärt, »sie wollten die Linkspartei als weibliches Führungsduo aus der Krise führen«.3 Was eine ganze Reihe von vor allem männlichen Spitzenfunktionären – allen voran Oskar Lafontaine – mutmaßlich zerstört hatte, wollten die beiden jungen Frauen also wieder aufbauen. Ausgelöst durch eine Pressekonferenz, auf der die Politikerinnen ihre politischen Ambitionen verkündeten, waren sie von der Frankfurter Rundschau zu den »Trümmergirls« der Linken ernannt worden. Diese kleine semantische Abweichung konnte sich die Redaktion ohne weiteres erlauben, denn ansonsten saß der Vergleich: Genauso wie die »Trümmerfrauen« nach dem Zweiten Weltkrieg selbstlos damit begonnen hatten, die Trümmer zu räumen, die der Krieg der Männer hinterlassen hatte, genauso wollten jetzt die »Trümmergirls« der Linken die Ärmel hochkrempeln, um ihrer Partei zu neuer Blüte zu verhelfen.

Um diesen so geschickt konstruierten Vergleich auf Anhieb verständlich zu machen, bedurfte es freilich keinerlei Erklärungen. Denn die Redaktion der Frankfurter Rundschau konnte getrost davon ausgehen, dass ihre Leserschaft selbst darauf kam. Schließlich nimmt die »Trümmerfrau« im kollektiven Gedächtnis der heutigen BRD einen prominenten Platz ein. Darauf hat unlängst Marita Krauss in ihrem – für das Gesamtkonzept dieser Arbeit generell sehr inspirierenden Aufsatz – »Trümmerfrauen. Visuelles Konstrukt und Realität«, verwiesen. Darin konstatiert sie, dass die »Trümmerfrau« gegenwärtig zum festen Repertoire nahezu jeder historischen Darstellung der Nachkriegszeit gehört, ganz gleich, ob in TV- und Printmedien, in Schulbüchern oder in Ausstellungen der führenden historischen Museen, wie dem DHM in Berlin. Außerdem weist sie darauf hin, dass es seit Anfang der 1950er Jahre bis in unsere unmittelbare Gegenwart in den unterschiedlichsten Städten immer wieder zur Errichtung von »Trümmerfrauen«-Denkmälern gekommen ist.4

Somit muss hinzugefügt werden, dass die »Trümmerfrau« nicht nur »längst Teil des kollektiven Gedächtnisses geworden ist«,5 sondern als »spezifischer Eintrag« in demselben als deutscher Erinnerungsort gelten kann.6 Dass die »Trümmerfrau« in dem dreibändigen von Etienne Françoise und Hagen Schulze herausgegebenen Sammelwerk Deutsche Erinnerungsorte nicht vertreten ist, tut dieser Behauptung keinen Abbruch.7 Denn die beiden Herausgeber haben selbst darauf hingewiesen, dass die »Menge der Erinnerungsorte kaum überschaubar« ist und ihre Auswahl schon allein deswegen keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben kann.8 Diesen erheben sie auch gar nicht, sondern verstehen das ›Projekt‹ der deutschen Erinnerungsorte vielmehr als offen und erweiterbar. Anhand ihrer Definition, was unter einem Erinnerungsort zu verstehen ist, lässt sich die »Trümmerfrau« jedoch konzeptuell erfassen. In Anlehnung an Pierre Nora, der mit seinem monumentalen Werk Les Lieux des mémoire »eine beträchtliche Zahl von Bruchstücken des französischen nationalen Gedächtnisses in Form von Essays zusammengetragen hat« und damit die Forschungen u. a. zu den Deutschen Erinnerungsorten angestoßen hat, haben Françoise und Schulze Erinnerungsorte als »Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität« definiert, »die in gesellschaftliche, kulturelle und politische Üblichkeiten eingebunden sind«. Dabei können Erinnerungsorte »ebenso materieller wie immaterieller Natur sein, zu ihnen gehören etwa reale wie mythische Gestalten und Ereignisse, Gebäude und Denkmäler, Institutionen und Begriffe, Bücher und Kunstwerke – im heutigen Sprachgebrauch ließe sich von ›Ikonen‹ sprechen. Erinnerungsorte sind sie nicht dank ihrer materiellen Gegenständlichkeit, sondern wegen ihrer symbolischen Funktion.«9 Und zu solch einem Symbol für die deutsche Nachkriegszeit gerinnt die »Trümmerfrau« in all den vorne genannten Formen populärer historischer Darstellungen.

In auffällig stereotyper Weise wird die »Trümmerfrau« hierbei mit dem obligatorisch vorne geknoteten Tuch auf dem Kopf und dem Hammer in der Hand bzw. in einer Eimerkette arbeitend bildlich in Szene gesetzt.10 Nicht weniger standardisiert wirken die dazu gehörigen Kommentare, die die »Trümmerfrau« in einem gleichbleibend hellen Licht erstrahlen lassen. Besonders eindrucksvoll lassen sich die Stereotype, die immer wieder aufs Neue mit der »Trümmerfrau« verknüpft werden, anhand einer Rede des Alt-Bundeskanzlers Helmut Kohl veranschaulichen, die verdeutlicht, dass die »Trümmerfrau« längst auch Eingang in erinnerungspolitische Reden gefunden hat. Im September 2005, also gut sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, beschwor Kohl im Rahmen einer Feierstunde, bei der er den Franz Josef Strauß-Preis verliehen bekam, folgende Erinnerungen an die »Trümmerfrauen« herauf:

»Ich kannte München noch nicht und meine erste Begegnung mit der Stadt war ein Schock, denn sie war ein einziger Trümmerhaufen. Angesichts dieses Elends sahen weder wir Kinder noch die Erwachsenen eine positive Zukunft. Doch wir haben es geschafft! Diese großartige Generation meiner Eltern, der Großeltern und vielleicht der Urgroßeltern verzweifelte trotz allem nicht. Sie sagten sich: ›Wir wollen es packen!‹ Diese mutmachende Haltung versinnbildlicht in Berlin ein Denkmal, an dem ich fast täglich vorbeifahre. Es ist ein Denkmal, das die Berliner in den 50er-Jahren den so genannten Trümmerfrauen gewidmet haben. […] Das Denkmal in Berlin erinnert an eine große Zahl von Frauen, die sich freiwillig zur Beseitigung von Trümmern meldeten. Sie wussten nicht, wann ihr Mann aus dem Krieg zurückkommen würde, ob er vermisst, gefallen oder in Kriegsgefangenschaft ist. Sie wussten nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollten. Sie waren der Verzweiflung nahe, vor allem, wenn man bedenkt, wie viele von Ihnen [sic!] zwischen März und Oktober 1945 vergewaltigt wurden. Aber Sie gaben nicht auf. Und so sind diese ›Trümmerfrauen‹ zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit geworden.«11

Genauso wie in dem von Kohl entworfenen Erinnerungsbild scheint es Erstens generell eine symbiotische Verbindung zwischen den »Trümmerfrauen« und Berlin zu geben. Kohl, der eigentlich über München spricht, verweist für sein »Trümmerfrauen«-Beispiel auf Berlin. Und dies ist ganz typisch, denn immer dann, wenn von »Trümmerfrauen« die Rede ist, wird zumeist Berlin als Referenzstadt angegeben. Dies führt zum Zweiten dazu, dass davon ausgehend ganz allgemein von einer »großen Anzahl von Frauen« die Rede ist, die scheinbar nicht nur in Berlin die Trümmer geräumt hatten, sondern überall, beispielsweise eben auch in München. Gemeldet hätten sich diese Frauen Drittens in aller Regel freiwillig, zu einem Zeitpunkt, als sie nicht wussten, ob ihr Mann jemals aus dem Krieg bzw. der Kriegsgefangenschaft nach Hause kommen würde. Dieser altruistische Aufopferungswille, der den »Trümmerfrauen« immer wieder attestiert wird, lässt sie schließlich Viertens »zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit« werden. An dieser Stelle lohnt es sich, Kohls Ausführungen noch ein Stückchen weiter zu folgen. Denn sein »Trümmerfrauen«-Exkurs hatte vor allen Dingen den Zweck »sich immer wieder zu vergegenwärtigen, woher wir kommen und wo unsere Wurzeln liegen«.12 Möchte man Kohls Worten Glauben schenken, so hätte – etwas überspitzt formuliert – Deutschland ohne die »Trümmerfrauen« nie zu dem werden können, was es gegenwärtig ist. In diesem Interpretationsschema stellt die Figur der »Trümmerfrau« somit nicht nur einen konstitutiven Baustein im kollektiven Gedächtnis der Deutschen dar, sie scheint auch auf das Engste mit dem Gründungsmythos der Bundesrepublik verwoben zu sein. Darauf weist nicht zuletzt Herfried Münkler hin, indem er konstatiert, dass die »Trümmerfrau« seit den 1980er Jahren in die Trias der gründungsmythischen Erzählung – Währungsreform, »Wirtschaftswunder« und »Wunder von Bern« – der alten BRD eingepasst wurde: »Die Frauen, die nach dem Krieg die zerstörten Städte ›enttrümmert‹ hatten, avancierten zu Vorbereiterinnen des Wirtschaftswunders, das auf diese Weise gewissermaßen in die Zeit vor 1948 verlängert wurde.«13

Doch wie bereits Kohls Rede von 2005 deutlich macht, funktionierte dieses Narrativ nicht nur für die alte, sondern auch für die neue BRD. Denn als im Mai 2009 die nun wiedervereinte BRD 60 Jahre Grundgesetz und damit ihren 60. Jahrestag feierte, wurde die »Trümmerfrau« als deutsche Identifikationsfigur einmal mehr zum Medienstar. In einem sechzig sekundenlangen Bildbeitrag, mit dem die Redaktion der Tagesthemen die letzten sechzig deutschen Jahre eindrucksvoll Revue passieren ließ, führte der Weg der BRD von den »Trümmerfrauen« zur »harten D-Mark« und dem legendären VW-Käfer, über die »1968er Jahre« und die Ära Brandt nun freilich direkt zur deutschen Wiedervereinigung und von dort in die unmittelbare Gegenwart.14 Und auch unter den Menschen, die nach Meinung der Frankfurter Rundschau das Land in den letzten 60 Jahren geprägt hätten, war neben dem »Neudeutschen« Gerald Asamoah, dem »Techno-Pionier« Dimitri Hegemann, dem »Wendekind« Nicolas Bauer, dem »Bürgerbewegten« Gerold Reichenbach, dem »Gastarbeiter« Natale Bergamo auch die »Trümmerfrau« Liselotte Kubitza aus Berlin, der die Worte in den Mund gelegt wurden: »Zu enttrümmern ist für mich immer selbstverständlich gewesen. Die Männer waren im Krieg vermisst oder kamen als Krüppel zurück. Also mussten wir alle mit anfassen. Sonst säßen wir heute noch in Schutt und Trümmern.«15 In diese gängigen und beständig reproduzierten Klischees über die altruistisch motivierten »Trümmerfrauen«, denen man den heutigen Wohlstand zu verdanken habe, mischten sich jedoch auch kritische Töne. So war etwa in dem Artikel »Der Aufstand der Frauen«, der in dem umfangreichen Dossier 60 Jahre BRD der Frauenzeitschrift Emma erschien, zu lesen:

»Männer, die krank und kaputt sind und erwarten, dass sie nun von ihrer treusorgenden Ehefrau gehegt und gepflegt werden, müssen erkennen, dass diese Frauen andere Sorgen haben: dass sie ebenso gezeichnet sind von Hunger und Bombennächten, dass sie sich um die Beschaffung der nächsten Mahlzeit kümmern – und, dass sie die Trümmer wegschaffen müssen. Sie tun das nicht nur, wie es der verklärende Mythos der ›Trümmerfrau‹ will, aus ›typisch weiblicher‹ Selbstlosigkeit und Opferbereitschaft. Es ist profaner: Wer nicht zum Trümmerdienst geht, bekommt keine Lebensmittelkarten. Indem sie Steine klopfen und Schubkarren voll Schutt schieben, ernähren die Frauen sich und ihre Familien.«16

Die »Trümmerfrau«, die selbstlos, nahezu engelsgleich damit begann, die Trümmer zu räumen, als die Männer nach dem Krieg nicht mehr konnten oder wollten – nichts weiter also als ein Mythos? Zumindest im Lichte dieser Darstellung wird diese Komponente des zum Klischee geronnenen »Trümmerfrauen«-Narrativs hemmungslos entzaubert: nicht ihr intrinsischer Altruismus, sondern soziale Zwänge hätten die Frauen zur Arbeit in den Trümmern getrieben. So plausibel diese Erklärung auch klingen mag, so viele Fragen lässt sie gleichzeitig offen. Denn ist es einzig und allein die so häufig unterstellte Freiwilligkeit, die die »Trümmerfrau« zum mythisch verklärten Wesen werden lässt? Muss davon ausgehend nicht die sehr viel grundlegendere Frage gestellt werden, ob es tatsächlich die deutschen Frauen waren, die mit ihren Eimerketten und ihrem Hammer in der Hand die Trümmer des gerade zurückliegenden Zweiten Weltkrieges räumten und damit den Grundstein für das deutsche Wirtschaftswunder legten? Konnten sie das überhaupt, angesichts der unvorstellbaren Menge von geschätzten 400 Millionen Kubikmetern Trümmer und Schutt, die der Krieg auf deutschem Boden hinterlassen hatte?17

Axel Schildt gibt in seinem Überblickswerk zur Sozialgeschichte der BRD darauf eine deutlich negative Antwort, indem er konstatiert, dass die Trümmerräumung entgegen symbolträchtiger Legenden nicht von »Trümmerfrauen«, sondern maschinell mit schwerem Gerät durchgeführt worden sei.18 Gestützt wird diese von Schildt eher beiläufig formulierte These zum einen durch den bereits erwähnten Aufsatz von Marita Krauss, in dem sie u. a. einen groben Überblick über die in der Nachkriegszeit durchgeführten Enttrümmerungsmaßnahmen fernab der gängigen »Trümmerfrauen«-Klischees gibt.19 Zum anderen hat Anna-Maria Pappai für Dresden und Warschau herausgearbeitet, dass dort »Trümmerfrauen« stets zusammen mit »Trümmermännern« zur Trümmerräumung eingesetzt wurden.20 Und Irmgard Weyrather hat schon 1989 darauf hingewiesen, dass es »Trümmerfrauen« vor allem in Berlin und der SBZ gegeben hätte.21 Ihr Aufsatz liefert somit einen ersten Hinweis darauf, dass die heute oftmals hergestellte Verbindung zwischen den »Trümmerfrauen« und Berlin eventuell auf den simplen Grund zurückzuführen ist, dass es in der Nachkriegszeit auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik schlicht und ergreifend nur dort »Trümmerfrauen« gegeben hatte. Diese vorformulierten Thesen gilt es jedoch aus zweierlei Gründen zu überprüfen. Zum einen argumentieren die genannten Autorinnen und Autoren allesamt auf einer schmalen bzw. auf einzelne Städte fokussierenden Quellenbasis. Zum anderen steht eine umfassende Untersuchung zur Trümmerräumung nach dem Zweiten Weltkrieg bislang noch aus.

Zwar gehört der Wiederaufbau der zerstörten Städte Europas seit geraumer Zeit zu einem prominent diskutierten Thema der Stadtgeschichtsforschung, doch werden hier in erster Linie die städtebaulichen Neukonzeptionen unter stadtplanerischen und denkmalspflegerischen Aspekten in den Vordergrund gerückt.22 Die eigentlich naheliegende Frage, wie die davor notwendige Trümmerräumung in den Städten organisiert und durchgeführt wurde, wird hierbei jedoch weder gestellt, noch beantwortet. Eigentlich verwunderlich, schließlich hätte in den Städten keines der Neubzw. Wiederaufbaukonzepte umgesetzt werden können, wenn dort nicht zuvor effizient enttrümmert worden wäre. Folge dieses Forschungsdesiderats ist somit eine Leerstelle, die für eine umfassende Stadt- und Wirtschaftsgeschichte des Wiederaufbaus nach 1945 geschlossen werden muss. Darauf weisen nicht zuletzt die Ergebnisse des Forschungsprojektes Stadtzerstörung und Wiederaufbau hin, das von 1996 bis 2000 von der Internationalen Kommission für Städtegeschichte durchgeführt wurde.23 In den dazugehörigen Sammelbänden werden u. a. die Zerstörungen und der Wiederaufbau der Städte infolge des Zweiten Weltkrieges thematisiert. Zwischen diesen beiden Polen bleibt jedoch die Frage der Trümmerräumung nahezu unangetastet. Mit wenigen Federstrichen wird dieser Teil der Wiederaufbaugeschichte ad acta gelegt. So heißt es beispielsweise im Beitrag zu Berlin lediglich:

»Die ersten Nachkriegsjahre standen materiell im Zeichen eines Kampfes zunächst um das Überleben, dann um die Bedingungen für die einfache Fortexistenz in einem Umstand des nackten Mangels, der Unterversorgung und der Notbehelfe. Sie waren beherrscht von der Enttrümmerung und von Aufräumungsarbeiten, von Ausbesserung, Instand- und Ingangsetzung wie Wiederherstellung von Versorgungseinrichtungen, Industriebetrieben und Wohnungen. Bis Juli 1946 wurden 1,2 Millionen Kubikmeter Trümmer beseitigt, […]«24

Wie und von wem diese Trümmer jedoch beseitigt wurden, darüber schweigt sich der Autor des Aufsatzes aus. Und diese in der bislang vorliegenden Forschung so symptomatische Leerstelle zwischen Zerstörung einerseits und Wiederaufbau andererseits führt schließlich dazu, dass manch anerkannter Historiker in geschichtswissenschaftlichen Gesamtüberblicken die gängigen Klischees über die »Trümmerfrauen« immer noch eher kolportiert, als sie in Frage zu stellen. So schreibt beispielsweise Hans-Ulrich Wehler in seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte von 2003:

»Anfangs, als die Mehrzahl der Männer noch in Kriegsgefangenschaft war, mußten die ›Trümmerfrauen‹ Schwerstarbeit leisten, um die Straßen und die Zugangswege zu den Häusern notdürftig frei zu machen. […] Überall fehlte es an schwerem Räumgerät.«25

Und Eckart Conze legt in seiner 2009 veröffentlichten Monografie Suche nach Sicherheit nach:

»Vor allem die ›Trümmerfrauen‹ haben ihren Platz im kollektiven Gedächtnis der Deutschen gefunden. Da die Männer erst allmählich aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrten, viele erst nach Jahren, war es Frauen, Kindern und Alten überlassen, die Trümmer zu beseitigen.«26

Um dieses sehr eindimensionale Bild von der Trümmerräumung in Deutschland zu erweitern, stößt der erste inhaltliche Teil der Arbeit in die oben konstatierte Forschungslücke. Er versteht sich als Beitrag zur Geschichte des Wiederaufbaus in Deutschland nach 1945, bei dem unter vergleichender stadt-, wirtschafts- und sozialhistorischer Perspektive erstmals die Enttrümmerung der Städte in den Mittelpunkt gerückt wird. Im Zentrum des Interesses stehen dabei sowohl die Maßnahmen, die in den Städten zur Enttrümmerung ergriffen wurden, als auch die Akteure, die schlussendlich die Trümmer räumten. Denn letztlich gilt es die im Raum stehenden Fragen zu klären, ob die deutschen Frauen die Hauptlast der Enttrümmerung zu tragen hatten, wie es in populären Darstellungen suggeriert wird, oder ob diese nicht doch eher mit technischem Gerät durchgeführt wurde und die Beteiligung von Frauen an der Trümmerräumung als regionales Phänomen begriffen werden muss, wie es in ersten Forschungsaufsätzen behauptet wird.

Um diese Fragen erschöpfend beantworten zu können, setzt die Untersuchung nicht erst mit der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945, sondern mit dem Beginn des alliierten Luftkrieges gegen das nationalsozialistisch regierte Deutsche Reich im Frühjahr 1940 ein. Diese zeitliche Ausdehnung ist wiederum auf die Arbeit von Axel Schildt zurück zuführen. Denn er hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Trümmerbeseitigung entgegen heutiger Vorstellungen nicht erst nach dem Ende des Krieges begann, sondern ihren Ursprung bereits während des Luftkrieges hatte.27 Schließlich mussten die durch Luftangriffe verursachten Schäden zeitnah beseitig werden, damit das alltägliche Leben aufrecht erhalten werden konnte: zumindest für die dringend erforderliche Wiederinstandsetzung von Hauptverkehrsstraßen und Wohnraum mussten auch während des Krieges Trümmer geräumt werden. Sinnvoll erweist sich die Betrachtung der Trümmerbeseitigung während des Luftkrieges jedoch nicht nur aus Gründen der Vollständigkeit. Vielmehr wird es dadurch möglich, nach Kontinuitäten und Brüchen zu fragen: Wurden die bereits im Luftkrieg etablierten Maßnahmen zur Trümmerräumung nach 1945 einfach fortgesetzt und waren nach dem Kriegsende die gleichen Akteure an der Enttrümmerung beteiligt wie zuvor oder kam es stattdessen zu grundlegenden Wandlungen? Nur durch diese Perspektiverweiterung kann somit letztlich auch geklärt werden, ob es bereits während des Luftkrieges und damit in der Zeit des Nationalsozialismus Vor- bzw. Gegenbilder zur »Trümmerfrau« gab.

Um all diese Fragen auf der Grundlage einer möglichst breiten Quellenbasis beantworten zu können, wurden für die Analyse mit Berlin, Dresden, Magdeburg, Frankfurt (Oder), Kiel, Duisburg, Jülich, Saarbrücken, Freiburg im Breisgau, Nürnberg und Frankfurt am Main elf deutsche (Groß-)Städte ausgewählt, sodass zwar kein Anspruch auf Vollständigkeit, aber doch auf Repräsentativität gestellt werden kann. Mehrere Kriterien waren bei der Auswahl der Städte entscheidend: 1. der relativ hohe Zerstörungsgrad der Städte durch alliierte Luftangriffe, 2. die Abdeckung aller vier Besatzungszonen, um für die Nachkriegszeit Unterschiede bei der Enttrümmerungspraxis unter den jeweiligen Besatzungsmächten und speziell bei der Heranziehung von Frauen herausarbeiten zu können, 3. eine breite geografische Streuung sowie eine große strukturelle Unterschiedlichkeit der Städte, um dem Anspruch gerecht zu werden, einen Beitrag zur Enttrümmerungsgeschichte Deutschlands zu liefern, 4. die Existenz oder auch gerade die Nicht-Existenz eines Trümmerfrauen-Denkmals, um zu klären, ob ein Trümmerfrauen-Denkmal Rückschlüsse auf die Existenz »realer Trümmerfrauen« zulässt oder ob es sich bei den Denkmälern vielmehr um einen Ausfluss des Erinnerungsprozesses handelt.

Zur Rekonstruktion der Maßnahmen, die in diesen Städten zur Trümmerräumung ergriffen wurden, wurden die archivalischen Überlieferungen der jeweiligen Stadt- bzw. Landesarchive eingesehen und ausgewertet – zu nennen wären hier beispielsweise die Akten der Bau- und Arbeitsämter sowie Protokolle der Stadtverordnetensitzungen. Zusätzlich dazu wurden Recherchen im Landesarchiv Düsseldorf, im Stadtarchiv Essen28 und im Bundesarchiv in Berlin durchgeführt, genauso wie zeitgenössische Presseerzeugnisse in die Untersuchung einbezogen wurden.

Die Ergebnisse, die durch die Analyse dieses Quellenmaterials zu Tage gefördert werden, lassen sich nur schwer – dies sei an dieser Stelle bereits vorweg genommen – mit dem heute verbreiteten klischeehaften Bild der »Trümmerfrau« in Einklang bringen. Vielmehr scheint sich zwischen die ›Realgeschichte‹ der Enttrümmerung, wie sie sich aus der Retrospektive darstellen lässt, und den heutigen Erinnerungsort »Trümmerfrau« ein sehr viel grundlegenderer Mythos geschoben zu haben, als dies in dem Emma-Artikel von 2009 artikuliert wird. Wie für Mythen gemeinhin üblich, handelt es sich bei den heute verbreiteten stereotypen »Trümmerfrauen«-Narrativen jedoch keineswegs um »reine Lügen«, vielmehr enthalten sie »einige Brocken Wahrheit«, die jedoch mitunter verfälscht und aus dem Kontext gerissen sind bzw. Wesentliches verschweigen.29 Der Entstehung dieses Mythos, mit all seinen Facetten, gilt es daher im Folgenden auf den Grund zu gehen. Sodass neben die Frage – wie ist es gewesen? –, die im ersten Hauptteil zur Geschichte der Enttrümmerung verfolgt wird, die Frage tritt – wie wurde das Ereignis der Enttrümmerung und hier speziell die Beteiligung von Frauen erinnert? –, die im zweiten Hauptteil beantwortet wird.30 Damit diese beiden Teile der Arbeit – die Geschichte der Enttrümmerung einerseits und die Geschichte der »Trümmerfrau« im kollektiven Gedächtnis der Deutschen andererseits – jedoch nicht unvermittelt nebeneinander stehen, bilden zunächst die Überlegungen zur Repräsentation der Trümmerräumung in der Presse der unmittelbaren Nachkriegszeit die verbindende inhaltliche Klammer zwischen diesen auch methodisch durchaus disparaten Hauptteilen. Der Einschub dieses Zwischenteils macht vor allem deshalb Sinn, da die Grundlagen für die Legende um die »Trümmerfrau« bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit gelegt wurden. Mittels einer – freilich nur stichprobenartig ausfallen könnenden – Analyse der zeitgenössischen Presseerzeugnisse von 1945 bis 1949 werden die dabei entworfenen Bilder offengelegt und nach dem Ursprung des »Trümmerfrauen«-Begriffs gefragt. Insgesamt muss die Frage nach dem Begriff der »Trümmerfrau« als zentraler Aspekt gelten, der sich als roter Faden durch die gesamte Arbeit zieht und an dieser Stelle durch einen Knotenpunkt zusammen gehalten wird. Denn wie Pappai folgerichtig beklagt, liegt noch keine »definitorische Festlegung, welche Akteurinnen unter dem Begriff der ›Trümmerfrau‹ subsumiert wurden«, vor.31 Die bisherigen Versuche, den Begriff der »Trümmerfrau« zu definieren, müssen wegen ihrer Unschärfe unbefriedigend bleiben. So schreibt beispielsweise Ellen Graßmann in ihrer literaturwissenschaftlichen Untersuchung:

»Der Begriff der ›Trümmerfrau‹ im engeren Sinne bezeichnet die Frau, die konkret an der Trümmerbeseitigung, vor allem in den Großstädten, beteiligt war. Zahllose Fotos zeigen Frauen, die mit bloßen Händen in den Mauerresten der zerbombten Städte Steine und Schutt wegräumen. Im weiteren Sinne steht die Bezeichnung allgemein für die Rolle der deutschen Frauen während der Trümmerzeit.«32

Diese und ähnlich lautende Deutungen werden wohl eher aus den aktuell vorliegenden populären Darstellungen zu den »Trümmerfrauen« hergeleitet, als aus einer Analyse des zeitgenössischen Quellenmaterials, denn belegt werden sie nicht.33 Somit schaffen diese Definitionsversuche zum einen keine Klarheit darüber, welche Frauen in der Nachkriegszeit konkret als »Trümmerfrauen« bezeichnet wurden. Waren es nur die Frauen, die tatsächlich – in den Großstädten – Trümmer räumten oder waren es alle Frauen, die in irgendeiner Weise das harte Alltagsleben meisterten? Und daraus muss sich zum anderen zwangsläufig die Frage ergeben, ob in der Nachkriegszeit alle Frauen »richtige Trümmerfrauen« waren, oder nur in einem übertragenen Sinne, der dem Begriff der »Trümmerfrau« möglicherweise auch gar nicht von den Zeitgenossen eingeschrieben worden war, sondern erst im Laufe des Erinnerungsprozesses mit der entsprechenden Bedeutung versehen wurde.34 Denn nicht zuletzt bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob der Begriff der »Trümmerfrau« überhaupt ein zeitgenössischer war.

Um dem hier angerissenen Fragenkatalog auf die Spur zu kommen, fühlt sich die Arbeit der historischen Begriffsgeschichte verpflichtet. Sie folgt diesen maßgeblich auf Reinhart Koselleck zurückgehenden Ansätzen im Zwischenteil zur Repräsentation der Trümmerräumung ganz explizit und lässt sich auch ansonsten von ihnen leiten. So wird der Begriff der »Trümmerfrau« im Laufe der Arbeit immer wieder auf einer synchronen und diachronen Ebene untersucht.35 Denn prinzipiell geht die Begriffsgeschichte davon aus, dass ein Begriff zu einem bestimmten Zeitpunkt mehrere Bedeutungen haben kann, genauso wie ihm im Zeitverlauf verschiedene Bedeutungen eingeschrieben werden können. Koselleck spricht in diesem Zusammenhang von mannigfachen »Zeitschichten«, die jedem Begriff innewohnen.36 Diese gilt es für den Begriff der »Trümmerfrau« offen zu legen, sodass auch die Verwerfungen oder Modifizierungen seiner spezifischen Semantik sichtbar gemacht werden können.37 Denn: »Jede Wortoder Begriffsgeschichte führt von einer Feststellung vergangener Bedeutungen zu einer Festsetzung dieser Bedeutung für uns.«38 Es lässt sich also feststellen, was im Verlauf der Geschichte von der ursprünglichen Bedeutung des Begriffes »Trümmerfrau« heute noch übrig geblieben ist. Gerade die für die Begriffsgeschichte so zentrale Frage nach dem Ursprung eines Begriffes ist für diese Arbeit von besonderer Bedeutung. Macht es doch einen wesentlichen Unterschied, ob und ggf. von welchen Zeitgenossen der Begriff der »Trümmerfrau« geprägt wurde. Handelte es sich etwa um eine Selbst- oder um eine Fremdbezeichnung oder wurde der Begriff sogar erst nachträglich, beispielsweise von Journalisten in die mediale Erinnerungsberichterstattung zur Nachkriegszeit eingeführt?39 Abschließend muss demnach festgehalten werden, dass sich die begriffsgeschichtliche Analyse vor allem deshalb als fruchtbar erweist, da mit ihr ein Transfer von der Vergangenheit in die Gegenwart geleistet und somit auch die erinnerungsgeschichtliche Perspektive der Untersuchung unterstützt werden kann.

Schließlich werden im zweiten Hauptteil der Arbeit die mit der »Trümmerfrau« verbundenen Erinnerungsbilder im kollektiven Gedächtnis der Deutschen historisiert und nachgezeichnet. Hierzu kann an einige wenige erste Forschungsergebnisse angeknüpft werden. So hat Kay L. McAdams erste Überlegungen dazu angestellt, welche Bedeutung das Bild der »Trümmerfrau« in der SBZ für das dort verfolgte Ziel hatte, weibliche Arbeitskräfte in angestammte ›Männerberufe‹ einzugliedern.40 Zeitlich daran anschließend untersucht Ina Merkel in ihrer kulturwissenschaftlichen Monografie, welches Frauenbild über die Figur der »Trümmerfrau« in der DDR der 1950er Jahre transportiert wurde.41 Im Gegensatz dazu hat Elizabeth Heineman erste Thesen zur Rolle der »Trümmerfrau« im kollektiven Gedächtnis der BRD aufgestellt. In einer vergleichenden Betrachtung weist sie den Erinnerungen an die deutsche Frau als »Vergewaltigungsopfer«, als »Amiliebchen« und als »Trümmerfrau« einen entscheidenden Beitrag zur Herausbildung einer neuen westdeutschen Identität zu.42 Zu Recht hat Nicole Kramer darauf verwiesen, dass die Schlüsse, die Heineman dabei für die Erinnerungen an die »Trümmerfrau« zieht, kritisch zu hinterfragen sind. Und so bilden Kramers Forschungen zur »Trümmerfrau« als »Ikone des Wiederaufbaus […] in der bundesdeutschen Erinnerungskultur« schließlich die fundiertesten Vorarbeiten, auf die in diesem Zusammenhang aufgebaut werden kann.43 Gleichwohl versäumt es Kramer, genauso wie die anderen genannten Autorinnen und Autoren auch, ihre für die BRD bzw. DDR gewonnenen Forschungsergebnisse in einem Systemvergleich miteinander zu verknüpfen.

Um diese weitere zu konstatierende Forschungslücke zu schließen, verfolgt der zweite Hauptteil der Arbeit einen komparativen Ansatz. Diese Perspektiverweiterung ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die »Trümmerfrau« nach der Wende von 1989/90 scheinbar problemlos zu einem gesamtdeutschen Erinnerungsort werden konnte. Diese bemerkenswerte Transferleistung ist bislang unkommentiert geblieben, obwohl es in der Forschung zum nationalen Gedächtnis als Allgemeinplatz gilt, dass »die Umbrüche des Jahres 1989 das kollektive Gedächtnis der betroffenen Länder in große Unruhe versetzt haben«.44 Insofern müssen einige grundlegende Fragen gestellt werden: Überdauerte die »Trümmerfrau« als Teil des Gründungsmythos der alten BRD schlichtweg die Wende, auch wenn sie mit den in der DDR geprägten Erinnerungen vielleicht nicht in Einklang gebracht werden konnte, wie dies zumindest für die Erinnerungen an die Währungsreform mit der »harten D-Mark« und das »Wirtschaftwunder« mit dem VW-Käfer gelten muss? Oder waren die Erinnerungsbilder an die »Trümmerfrau« in der BRD und DDR im Gegensatz dazu möglicherweise so kompatibel, dass sie nach der Wiedervereinigung ohne Probleme in einen gemeinsamen Erinnerungsort münden konnten? Damit diese Fragen erschöpfend beantwortet werden können, basiert der zweite Hauptteil der Arbeit auf einer breiten, gleichwohl aber disparaten und fluiden Quellenauswahl. Schließlich lässt sich das Inventar der kollektiven Gedächtnisse von DDR und BRD nicht in einem geschlossenen Quellenbestand finden und lagert sich auch nur rudimentär in den deutschen Archiven ab – klammert man einmal die Überlieferungen zu erinnerungspolitischen Akten wie Denkmalserrichtungen, politischen Feier- und Gedenktagen oder Ehrungen aus. Daher wurden in erster Linie Tageszeitungen, Illustrierte und Frauenzeitschriften beider deutscher Staaten ausgewertet. Die Auswertung folgte in der Regel einer strikten Systematik, sodass die Jahrgänge der entsprechenden Medien seit 1950 im Turnus von fünf Jahren eingesehen wurden. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Berichterstattung zu erinnerungspolitisch relevanten Daten wie beispielsweise dem 8. Mai, als offizieller Jahrestag des Kriegsendes, gelegt. Darüber hinaus wurden für die DDR im Bundesarchiv Berlin u. a. die Akten des Demokratischen Frauenbunds Deutschland (DFD) und der Frauenausschüsse der SED sowie für die BRD u. a. Bundestagsprotokolle zu den Rentendebatten und Publikationen der Frauengeschichtsschreibung in die Analyse eingebunden. Die Darstellung der aus diesem Quellematerial herausdestillierten »Trümmerfrauen«-Bilder in den kollektiven Gedächtnissen der beiden deutschen Staaten erfolgt schließlich in drei Schritten: In einem direkten deutsch-deutschen Vergleich werden zunächst die Bilder herausgearbeitet, die in den 1950er Jahren die Erinnerungen an die »Trümmerfrau« in der DDR und BRD prägen sollten. Davon ausgehend werden sowohl für die DDR als auch für die BRD in zwei voneinander getrennten Kapiteln die Kontinuitätslinien, Wandlungen und Brüche nachgezeichnet, die diese Erinnerungsbilder bis zur Wende erfuhren. Mit dieser auf den Vergleich abzielenden Betrachtung liefert der zweite Hauptteil der Arbeit somit einerseits einen Beitrag zur Erinnerungskultur der beiden deutschen Staaten, deren Disparität durch die komparative Spiegelung besonders deutlich zu Tage tritt, und andererseits zu einer deutsch-deutschen Beziehungsgeschichte unter geschlechter- und sozialhistorischer Perspektive. Denn über die Ausgestaltung der jeweiligen »Trümmerfrauen«-Bilder wurden in den beiden deutschen Staaten nicht nur Systemkonkurrenzen ausgetragen, in ihnen lassen sich auch die zwischen DDR und BRD so unterschiedlich geführten Debatten um die Gleichberechtigung der Frau wie in einem Brennglas spiegeln. Somit wird die bereits 1993 von Christoph Kleßmann formulierte Prämisse befolgt, die deutsche Nachkriegsgeschichte als eine Geschichte von »Verflechtungen« und »Abgrenzungen« zu erzählen.45

1 Stunde der Trümmergirls, in: Frankfurter Rundschau, 24. Mai 2012, S. 1.

2 Ebda.

3 Ebda.

4 Vgl. Krauss, Marita: Trümmerfrauen. Visuelles Konstrukt und Realität, in: Paul, Gerhard (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band I: 1900 bis 1949. Bonn 2009, S. 738–745. Inspiriert wurde diese Arbeit nicht nur durch den genannten Aufsatz, vielmehr fußt sie auf den Forschungsergebnissen meiner Magisterarbeit, vgl. hierzu: Treber, Leonie: »Trümmerfrauen«. Die Geschichte eines Mythos. Von der Trümmerbeseitigung 1945 bis zur »Generation der Trümmerfrauen«. Unveröffentlichte Magisterarbeit. Darmstadt 2006.

5 Krauss, Trümmerfrauen, S. 738.

6 Assmann, Aleida: Im Zwischenraum zwischen Geschichte und Gedächtnis. Bemerkungen zu Pierre Noras »Lieux de mémoire«, in: François, Etienne (Hg.): Lieux de mémoire. Erinnerungsorte: d’un modèle français à un projet allemand. Berlin 1996, S. 19–27.

7 Vgl. François, Etienne/Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. 3 Bände. München 2001.

8 François, Etienne/Schulze, Hagen: Einleitung, in: François, Etienne; Schulze, Hagen (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte I. München 2001, S. 9–24, hier: S. 18 ff.

9 Ebda., S. 15 ff.

10 Vgl. Krauss, Trümmerfrauen, hier vor allem: S. 740.

11 Rede des Preisträgers Dr. Helmut Kohl anlässlich der Verleihung des Franz Josef Strauß-Preises am 30. September 2005 in München, in: http://www.hss.de/fileadmin/migration/downloads/FJSP_2005_Rede_Hemut_Kohl.pdf [22. April 2014].

12 Ebda.

13 Münkler, Herfried: Die Deutschen und ihre Mythen. Berlin 2009, S. 468 f.

14 60 Jahre in 60 Sekunden – Momente unserer Geschichte, in: http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video500848.html [22. April 2014].

15 Wir sind Deutschland, in: Frankfurter Rundschau, 22. Mai 2009, S. 2.

16 Der Aufstand der Frauen, in: Emma, 3/2009, S. 78–89, hier: S. 82.

17 Vgl. Statistisches Jahrbuch deutscher Gemeinden. Berlin 1949, S. 362.

18 Vgl. Schildt, Axel: Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland bis 1989/90. München 2007, S. 10.

19 Vgl. Krauss, Trümmerfrauen, S. 740 ff.

20 Vgl. Pappai, Anna-Sophia: »Trümmerfrauen« und »Trümmermänner«. Symbolische und reale Wiederaufbauarbeit in Dresden und Warschau nach 1945, in: Kraft, Claudia (Hg.): Geschlechterbeziehungen in Ostmitteleuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Soziale Praxis und Konstruktionen von Geschlechterbildern. München 2008, S. 43–57.

21 Vgl. Weyrather, Irmgard: »Was Männer zerstören, bauen Frauen wieder auf«. Frauenarbeit am Bau in den Trümmerjahren, in: Klönne, Arno/Bartels, Olaf (Hg.): Hand in Hand. Bauarbeit und Gewerkschaften – Eine Sozialgeschichte. Frankfurt am Main 1989, S. 280–295, hier v. a.: S. 285f.

22 Vgl. hierzu v. a. den folgenden Forschungsüberblick: Wagner-Kyora, Georg: Wiederaufbau und Stadtgeschichte. Neuorientierungen nach dem spatial turn, in: Informationen zur Modernen Stadtgeschichte, 2/2010, S. 83–102 und Wagner-Kyora, Georg (Hg.): Wiederaufbau europäischer Städte/Rebuilding European Cities. Rekonstruktionen, die Moderne und die lokale Identitätspolitik seit 1945/Reconstructions, Modernity and the Local Politics of Identity Construction since 1945. Stuttgart 2014 sowie weiterhin: Franz, Birgit/u. a. (Hg.): Stadtplanung nach 1945. Zerstörung und Wiederaufbau. Denkmalpflegerische Probleme aus heutiger Sicht. Holzminden 2011; Durth, Werner/Gutschow, Niels: Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands, 1940–1950. Band I: Konzepte. Braunschweig 1988; Durth, Werner/Gutschow, Niels: Träume in Trümmern. Planungen zum Wiederaufbau zerstörter Städte im Westen Deutschlands, 1940–1950. Band II: Städte. Braunschweig 1988 und Durth, Werner/Düwels Jörn/Gutschow, Niels: Architektur und Städtebau der DDR. Bd. 2: Aufbau, Städte, Themen. Dokumente. Frankfurt am Main, u. a. 1998.

23 Vgl. Körner, Martin (Hg.): Stadtzerstörung und Wiederaufbau. 3 Bände. Bern 1999–2000; vgl. hierzu auch: Ranft, Andreas/Selzer, Stephan: Städte aus Trümmern. Einleitende Überlegungen, in: Selzer, Stephan/Ranft, Andreas (Hg.): Städte aus Trümmern. Katastrophenbewältigung zwischen Antike und Moderne. Göttingen 2004, S. 9–25, hier: S. 15.

24 Müller-Mertens, Eckhard: Berlins Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg und sein Wiederaufbau, in: Körner, Martin (Hg.): Stadtzerstörung und Wiederaufbau. Band 2: Zerstörung durch die Stadtherrschaft, innere Unruhen und Kriege. Bern 2000, S. 367–394, hier: S. 375 f.

25 Wehler, Hans-Ulrich: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949. München 2003, S. 953.

26 Conze, Eckart: Die Suche nach Sicherheit. Eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis in die Gegenwart. München 2009, S. 25.

27 Vgl. Schildt, Die Sozialgeschichte der Bundesrepublik, S. 10.

28 Es war zunächst geplant, Essen als Referenzstadt für das Ruhrgebiet in die Untersuchung einzubeziehen. Während den Arbeiten im Stadtarchiv stellte sich jedoch heraus, dass die Aktenbestände, die für eine umfangreiche Analyse hätten ausgewertet werden müssen, aus konservatorischen Gründen nicht zugänglich waren. Aus diesem Grund wurde Duisburg statt Essen in die Städteauswahl aufgenommen. Die Ergebnisse aus den Beständen, die im Stadtarchiv Essen gesichtet werden konnten, fließen dennoch in die Arbeit ein.

29 Keil, Lars-Broder: Fiktionen im Geschichtsbewusstsein. Wie Legenden und Mythen das Bild von vergangener Wirklichkeit beeinflussen können, in: Horn, Sabine/Sauer, Michael (Hg.): Geschichte und Öffentlichkeit. Orte – Medien – Institutionen. Göttingen 2009, S. 32–39, hier: S. 35.

30 Vgl. zu diesem methodischen Ansatz: Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Bonn 2007, S. 41.

31 Pappai, »Trümmerfrauen« und »Trümmermänner«, S. 51 f.

32 Graßmann, Ellen: Frauenbilder im deutschen Roman der fünfziger Jahre. Frankfurt am Main 2004, S. 109.

33 Ähnlich lautende Definitionen, was unter einer »Trümmerfrau« zu verstehen sei, finden sich in: Glaser, Hermann: 1945. Ein Lesebuch. Frankfurt am Main 1995, S. 148; Lachenicht, Susanne: Mythos Trümmerfrau? Trümmerräumung in Heilbronn (1944–1950), in: Schrenk, Christhard/Wanner, Peter (Hg.): heilbronnica 2. Beiträge zur Stadtgeschichte. 2003, S. 319–360, hier: S. 320 f.

34 Auf diese Möglichkeit weisen die Ausführungen von Weyrather zur (nachträglichen) Aufladung des »Trümmerfrauen«-Begriffes hin, vgl. Weyrather, Was Männer zerstören, S. 281.

35 Vgl. Koselleck, Reinhart: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten. Frankfurt am Main 1995, S. 125.

36 Koselleck, Reinhart: Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache. Frankfurt am Main 2010, S. 90 f.

37 Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 125.

38 Ebda., S. 115.

39 Ein wesentliches Kriterium der Begriffsgeschichte ist die analytische Unterscheidung zwischen Quellen- und Wissenschaftssprache. Eine begriffsgeschichtliche Analyse fragt daher danach, ob es sich bei dem zu untersuchenden Begriff um einen zeitgenössischen, in den Quellen verwendeten, oder einen erst später z. B. von der Wissenschaft geprägten handelt. Vgl. hierzu: Bödeker, Hans Erich: Reflexionen über Begriffsgeschichte als Methode, in: Bödeker, Hans Erich (Hg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte. Göttingen 2002, S. 75–121, hier: S. 90. Darüber hinaus fragt die Begriffsgeschichte danach, inwiefern es sich bei einem Begriff, der eine Person bzw. eine (politische oder soziale) Gruppe bezeichnet, um eine Fremd- oder Selbstbezeichnung handelt. Vgl. hierzu: Koselleck, Vergangene Zukunft, S. 211 f.

40 Vgl. McAdams, Kay L.: »Ersatzmänner«. Trümmerfrauen and Women in »Men’s Work« in Berlin and in the Soviet Zone, 1945–1950, in: Hübner, Peter/Tenfelde, Klaus (Hg.): Arbeiter in der SBZ – DDR. Essen 1999, S. 151–167.

41 Vgl. Merkel, Ina: … und Du, Frau an der Werkbank. Berlin 1990.

42 Vgl. Heineman, Elizabeth: The Hour of the Woman. Memories of Germany’s »Crisis Years« and West Germany National Identity, in: Schissler, Hanna (Hg.): The miracle years. A cultural history of West Germany 1949–1968. Princeton, Oxford 2001, S. 21–56. Der Aufsatz liegt auch in deutscher Übersetzung vor, vgl. Heineman, Elizabeth: Die Stunde der Frauen. Erinnerungen an Deutschlands »Krisenjahre« und westdeutsche nationale Identität, in: Naumann, Klaus (Hg.): Nachkrieg in Deutschland. Hamburg 2001, S. 149–177.

43 Kramer, Nicole: Ikone des Wiederaufbaus. Die »Trümmerfrau« in der bundesdeutschen Erinnerungskultur, in: Arnold, Jörg/Süß, Dietmar/Thießen, Malte (Hg.): Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa. Göttingen 2009, S. 259–276. Bei diesem Aufsatz handelt es sich um die Auskopplung eines nahezu identischen Kapitels aus ihrer Monografie: Kramer, Nicole: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung. Göttingen 2011, S. 320–340; vgl. außerdem am Rande: Kramer, Nicole: Von der Kämpferin zur »Trümmerfrau«. Münchnerinnen im Luftkrieg, in: Hajak, Stefanie/Zarusky, Jürgen (Hg.): München und der Nationalsozialismus. Menschen. Orte. Strukturen. Berlin 2008, S. 249–270.

44 König, Helmut: Das Politische des Gedächtnisses, in: Gudehus, Christian (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, u. a. 2010, S. 115–125, hier: S. 117.

45 Kleßmann, Christoph: Verflechtungen und Abgrenzungen. Aspekte der geteilten und zusammengehörigen deutschen Nachkriegsgeschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 29–30/1993, S. 30–41; vgl. hierzu auch: Wentker, Hermann: Zwischen Abgrenzung und Verflechtung: deutsch-deutsche Geschichte nach 1945, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 1–2/2005, S. 10–18.

Die Trümmer müssen weg

Enttrümmerungsmaßnahmen während des Luftkrieges und in der Nachkriegszeit

»Was um uns herumlag, war ›neuer Schutt‹. Nach den ersten Bombenangriffen von 1942 und 1943 hatte man die Trümmer weggeräumt und die Stadt war wieder einigermaßen zum Leben erwacht. Erst in der vergangenen Woche, während der letzten großen Angriffe vom 2. und 3. März, als Köln für den Einmarsch ›weichgemacht‹ wurde, waren die meisten Gebäude, die noch standen, auf die Straße gestürzt und hatten etwa vierhundert Deutsche mitgerissen. Damals erhielt auch der Dom, der bis dahin ziemlich unbeschädigt geblieben war, die drei Volltreffer, die das Hauptschiff mit Trümmern füllten.«1

Die Eindrücke von Margaret Bourke-White, die als amerikanische Fotojournalistin den Einmarsch der US-Armee auf deutschem Boden begleitete, verdeutlichen auf anschauliche Weise die von Axel Schildt formulierte These, dass die Trümmerräumung, als Vorbedingung für den Wiederaufbau Deutschlands, entgegen heutiger Vorstellungen, nicht erst nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einsetzte.2 Vielmehr lässt sich die Trümmerräumung in zwei Phasen unterteilen: In eine erste Phase, die mit dem Beginn des alliierten Luftkrieges gegen das Deutsche Reich im Jahr 1940 begann und in der die Trümmerräumung in vielerlei Hinsicht ein Provisorium bleiben musste, da gerade geräumte Trümmer durch neue ersetzt wurden. Mit der deutschen Kapitulation im Mai 1945 ist schließlich die zweite Phase der Trümmerräumung anzusetzen, da das Ende der Bombardierungen eine realistische Aussicht auf einen kontinuierlichen Wiederaufbau eröffnete, dem eine planvolle Enttrümmerung vorausgehen musste.

Im Folgenden sollen diese beiden Phasen der Trümmerräumung nicht nur ausführlich dargestellt werden. Es gilt darüber hinaus die Frage zu klären, ob sich mit dem Kriegsende nicht nur die Vorzeichen der Enttrümmerung veränderten, sondern auch die dazu ergriffenen Maßnahmen und die daran beteiligten Akteure, oder ob sich hingegen Kontinuitätslinien erkennen lassen – es die viel beschworene und genauso häufig revidierte »Stunde Null« also möglicherweise auch bei der Trümmerräumung nicht gegeben hat.

I. Die Trümmerräumung während des Luftkrieges

Seitdem das Bomber Command der britischen Luftwaffe im Mai 1940 den strategischen Luftkrieg gegen das nationalsozialistische Deutsche Reich eröffnet hatte,3 hinterließen die auf Städte und Industriegebiete niedergehenden Bomben Trümmer, die geräumt werden mussten. Wie umfangreich die dabei zu erledigenden Arbeiten waren, hing nicht zuletzt vom allgemeinen Kriegsverlauf ab. Denn wie in der Forschung hinlänglich belegt wurde, steigerten sich die alliierten Luftangriffe kontinuierlich. So untergliedert beispielsweise Ralf Blank den Luftkrieg gegen das Deutsche Reich in eine Anfangsphase von 1940 bis 1942, in der viele deutsche Städte erstmals zum Ziel alliierter Luftschläge wurden. Bereits im Laufe des Jahres 1942 wurde die Angriffswelle durch Großangriffe auf mehrere Großstädte verstärkt, die auf direktem Weg in eine zweite Phase des alliierten Luftkrieges mündete. Seit 1943 hatten die Luftangriffe auf das Deutsche Reich mit der als »Battle of the Ruhr« bezeichneten Bombardierung des Ruhrgebietes, einer Angriffsserie auf Hamburg – der sogenannten »Operation Gomorrha« – sowie einer Fokussierung der Luftanschläge auf die Reichshauptstadt Berlin eine neue Qualität erreicht. Daraufhin folgte schließlich seit Herbst 1944 die Endphase des alliierten Luftkrieges, die vor allem dadurch gekennzeichnet war, dass die Zentren vieler deutscher Städte durch Flächenbombardements innerhalb weniger Tage fast vollständig zerstört wurden. Diese, wenn auch sehr vereinfachte, Darstellung des Luftkrieges deutet gleichwohl darauf hin, dass die Menschen in den Städten somit ganz unterschiedliche Luftkriegserfahrungen machten. Während manche Städte von 1940 bis zum Kriegsende im Mai 1945 immer wieder zum Ziel alliierter Luftangriffe wurden, blieben andere lange Zeit fast vollständig verschont und wurden erst in der Kriegsendphase durch Flächenbombardements innerhalb kürzester Zeit zerstört. Um nur einen besonders eindrücklichen Vergleich zu nennen: Auf Duisburg gingen am 12. Mai 1940 die ersten acht Bomben nieder, bis zum Ende des Krieges sollten diesem Angriff 314 weitere folgen.4 Dresden war hingegen bis zum legendären Flächenbombardement vom 13. Februar 1945, bei dem weite Teile der historischen Altstadt und des Stadtzentrums zerstört wurden, fast vollständig von Luftangriffen verschont geblieben.5

Mit Blick auf die daraus erwachsenden Aufgaben bei der Trümmerräumung ergeben sich für die Städte somit höchst unterschiedliche Ausgangslagen: Wurden Städte regelmäßig zum Ziel alliierter Luftangriffe, war eine kontinuierliche Trümmerräumung notwendig, die sich im Zuge des anhaltenden und immer intensiver geführten Luftkrieges jedoch zunehmend aufwendiger gestalten musste. Im Gegensatz dazu sahen sich die Städte, die relativ spät von einem Großangriff getroffen wurden, mit einem Mal einer unermesslichen Trümmermenge gegenüber, die es nun zu räumen galt. Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangssituationen kann gleichwohl verallgemeinernd festgehalten werden, dass die in den Städten anfallenden Trümmermassen im Laufe des Luftkrieges stetig wuchsen und sich die Situation bei der Trümmerbeseitigung dadurch in allen betroffenen Städten gravierend zuspitzte. Davon zeugt nicht zuletzt der in diesem Bereich rasch ansteigende Arbeitskräftebedarf, der schon in der ersten Kriegsphase nur noch unzureichend gedeckt werden konnte. Wie sich seit dem Beginn des alliierten Luftkrieges gegen das Deutsche Reich daher die Eingliederung immer weiterer Personenkreise und Institutionen in die Maßnahmen zur Schadensbeseitigung vollzog, dokumentiert das folgende Kapitel.

1. Ein System wird etabliert: Der SHD und die Trümmerräumung als Sofortmaßnahme

Frankfurt am Main gehörte genauso wie Duisburg zu jenen deutschen Großstädten, die bereits früh zum Ziel alliierter Luftangriffe wurden und diesen fortan mehr oder minder durchgängig bis zum Kriegsende ausgesetzt blieben.6 Als dort am 4. Juni 1940 die ersten Bomben der Royal Airforce niedergingen und eine Spur der Verwüstung hinterließen, stand man dieser Situation in Frankfurt am Main jedoch keinesfalls hilflos gegenüber. Unzählige Berichte des Bereitschaftsführers des Sicherheits- und Hilfsdienstes (SHD) und des Polizeipräsidenten dokumentieren hingegen, dass unmittelbar nach den Angriffen Maßnahmen zur Schadensbehebung eingeleitet wurden. So ist im ersten erhalten gebliebenen Rapport u. a. zu lesen, dass Männer des SHD in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1940 bei völliger Dunkelheit an der Schadensstelle eintrafen, um die Straßen vom Schutt frei zu räumen, damit die Fahrzeuge der Feuerwehr vorfahren konnten. Der anschließende Abtransport des Schuttes erwies sich aufgrund fehlender Fahrzeuge jedoch als problematisch.7 Auch wenn demnach nicht alles reibungslos funktionierte, zeugt das Frankfurter Beispiel gleichwohl davon, dass dort mit dem SHD bereits zu Beginn der alliierten Luftangriffe eine Institution für die Schadensbeseitigung bereitstand. Dass der SHD als erster Akteur bei der Trümmerräumung zeitgleich mit den ersten in Frankfurt am Main anfallenden Trümmern auf den Plan treten konnte, war nur deshalb möglich, da er bereits vor Ausbruch des Krieges aufgestellt worden war.

Die Gründung des SHD war eine auf Reichsebene angesiedelte Maßnahme des zivilen Luftschutzes, mit der das Reichsluftfahrtministerium unter der Leitung von Hermann Göring nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten 1933 betraut worden war. Noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde der SHD, der dem örtlichen Polizeiführer unterstellt wurde, mit dem Ziel gegründet, schon in Friedenszeiten die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, um gegen die Gefahren eines Luftangriffes gewappnet zu sein.8 Dieser Prämisse folgend wurden für den SHD

»die schon im Frieden für den Schutz der Allgemeinheit bestehenden Organisationen staatlicher, kommunaler und privater Art zusammengefaßt, straff gegliedert und einheitlich geführt. Das Personal stellten für den Sicherheitsdienst die Polizei, für den Feuerlöschdienst die Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren, für den Luftschutz- und Instandsetzungsdienst die Technische Nothilfe, für den Luftschutz- und Entgiftungsdienst die Straßen- und sonstigen Reinigungsbetriebe, für den Luftschutz-Sanitätsdienst die öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und das Rote Kreuz, für den Luftschutz-Veterinärdienst die tierärztlichen öffentlichen und privaten Anstalten und Organisationen, für die Fachtrupps der Störungsdienst der Versorgungsbetriebe, für die Havarietrupps und den Hafenluftschutz die Schiffahrts- und Hafenbetriebe sowie die Wasserbauämter.«9

Die Zusammensetzung der Truppen und Mitglieder des SHD verdeutlicht, dass dessen zugedachte Aufgaben von der administrativen Koordinierung der Einsätze über die Feuerlöschung und die Sicherung von Schadensstellen, bis hin zur Rettung von Verschütteten und die Versorgung von verletzten und obdachlos gewordenen Menschen und Tieren reichte. Die Trümmerbeseitigung fiel dabei in den Aufgabenbereich des Instandsetzungsdiensts, auch Instandsetzungstruppe genannt.10 Bestand der SHD zu Beginn noch ausschließlich aus den aufgelisteten Spezialkräften, so wurde er spätestens mit dem Ausbruch des Krieges durch Hilfskräfte ohne Fachausbildung ergänzt. Da Wehrmacht, Industrie und Wirtschaft jedoch Vorrang bei der Zuteilung von Arbeitskräften hatten, blieben für den SHD oftmals nur die eingeschränkt einsatzfähigen übrig. Da überdies Einberufene aus unterschiedlichsten Gründen nicht zum Dienst beim SHD erschienen, war dieser chronisch unterbesetzt.11 Hinzu kam, dass die Einrichtung des SHD nur für die Luftschutzorte I. Ordnung verpflichtend, für die Luftschutzorte II. und III. Ordnung hingegen freiwillig war.12 Es muss also davon ausgegangen werden, dass nicht in allen Städten, wie in Frankfurt am Main, ein SHD bereit stand und wenn es einen gab, die Qualifikation seiner Mitglieder und seine Organisation wohl stark variierten. Trotz der beschriebenen Mängel hatten die Nationalsozialisten mit dem SHD bei Beginn des Luftkrieges für die Bevölkerung ein erstes Hilfssystem etabliert, das ein gewisses Maß an Sicherheit suggerieren sollte, was in öffentlichen Übungen des SHD entsprechend propagiert wurde:

»Alle nahmen die Gewißheit mit heim, daß unser SHD. in der Tat allen Anforderungen gewachsen ist und daß seine Männer mit soldatischer Einsatzbereitschaft überall zur Stelle sind, wo die Bevölkerung durch tückische englische Angriffe irgendwie in Not geraten ist oder wo öffentliche Anlagen und Einrichtungen durch Luftangriffe zerstört oder gefährdet sind.«13

Und tatsächlich waren nicht nur in Frankfurt am Main, sondern auch in Duisburg, die Männer der Instandsetzungstruppe des SHD in der Regel die Ersten, die nach einem Luftangriff im Frühjahr/Sommer 1940 an den Schadensstellen eintrafen, um die Trümmer zu räumen, den Schutt abzufahren und den Hausrat zu bergen.14

Nichtsdestotrotz führten die Erfahrungen, die in den ersten Monaten des Luftkrieges in den deutschen Städten gesammelt wurden, zu einer Neuordnung der Zuständigkeiten im Bereich der Schadensbeseitigung. Denn es hatte sich gezeigt,

»[…] dass eine enge Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Bauverwaltungen und den Handwerksinnungen zu einer raschen Beseitigung von Schäden führte. Da man mit weiteren Angriffen auf Wohnviertel deutscher Städte rechnete, sollte die schnelle Wiederherstellung von Wohnraum ein Abbröckeln der politischen Zustimmung für das Regime verhindern.«15

Aus diesem Grund erließ Fritz Todt16 im September 1940 die 18. Anordnung des Generalbevollmächtigten für die Regelung der Bauwirtschaft. Damit wurde zum einen das Bauhandwerk in die Maßnahmen zur Beseitigung der Luftkriegsschäden eingegliedert, worauf später ausführlich einzugehen sein wird.17 Zum anderen wurden darin die sogenannten Sofortmaßnahmen bei Bomben- und Brandschäden geregelt, die für die gesamte Zeit des Luftkrieges – und wie sich zeigen wird, auch darüber hinaus – maßgebend für die Organisation der Trümmerräumung und der Instandsetzung werden sollten.18 Mit der 18. Anordnung wurden die Oberbürgermeister bzw. Bürgermeister der Städte zu Leitern der Sofortmaßnahmen erklärt.19 Diese betrauten wiederum in der Regel die jeweiligen Leiter der Bauämter mit der Koordination und Durchführung.20 Als Sofortmaßnahme wurde »die Beseitigung von Bomben- und Brandschäden an Wohngebäuden« definiert. Ausgenommen von den Sofortmaßnahmen war die Wiederherstellung von Wohngebäuden, die als Totalschäden eingestuft wurden, hier konnten lediglich die dringend erforderlichen Aufräumungsarbeiten als Sofortmaßnahmen ausgeführt werden.21 Ziel war es, Wohnraum unter der geringen Aufwendung von Arbeitskraft und -material zu erhalten bzw. wiederherzustellen, nicht aber der Wieder- oder gar Neuaufbau. Die Schadensbeseitigung während des Krieges lässt sich folglich in zwei Kategorien unterteilen: zum einen in die Trümmerräumung, die nötig war, um Straßen und Häuser wieder erreich- und begehbar zu machen, und zum anderen in die Instandsetzung, die auf die Trümmerräumung folgte und Straßenschäden behob und Wohn- und Arbeitsraum – zumindest provisorisch – wiederherstellte.

Der SHD – der nach wie vor eine wichtige Rolle bei allen anfallenden Arbeiten unmittelbar nach einem Bombenangriff spielte – übernahm beide Aufgabenbereiche. Neben den bereits beschriebenen Arbeiten bei der Aufräumung und Enttrümmerung war der SHD auch für die Sicherung von zerstörten Gebäuden vor herabfallenden Teilen und für kleinere Instandsetzungsarbeiten zuständig. Nachdem mit der 18. Anordnung die Grundlage für die Einbeziehung des Bauhandwerks in die Schadensbeseitigung nach Fliegerangriffen gelegt worden war, konnte der SHD gerade bei der Erledigung dieser Arbeiten durch Fachpersonal unterstützt werden. Dennoch blieb vor allem die Trümmerräumung weiterhin eine wichtige Aufgabe der Instandsetzungstruppen des SHD bzw. der Luftschutzpolizei, wie der SHD nach seiner Umbenennung im Mai/Juni 1942 hieß.22 Zwar verfügte Hermann Göring23 per RdLuObdL-Erlass vom 20. Mai 1941, dass die Aufräumungsarbeiten nicht zum Aufgabengebiet des SHD gehörten,24 doch belegen die Akten mehrerer Städte, dass der SHD bzw. die Luftschutzpolizei bis 1945 zumindest zu den Aufräumungsarbeiten, die unmittelbar nach einem Luftangriff erledigt werden mussten, eingesetzt wurde.25 Dass der Einsatz der Luftschutzpolizei auch in den letzten Kriegsmonaten weiter praktiziert wurde, wird überdies durch eine von Heinrich Himmler26 1944 getätigte Ergänzung des RdLuObdL-Erlasses von Mai 1941 deutlich. Hier wird zwar nochmals wiederholt, dass die Luftschutzpolizei eigentlich nach der ersten Schadensbeseitigung abzuziehen sei, erlaubte nun aber Ausnahmeregelungen, die auch den weiteren Einsatz der Luftschutzpolizei bei Aufräumungsarbeiten ermöglichten.27

2. Arbeitskraftreserven I: Wehrmacht, Hitlerjugend und Reichsarbeitsdienst

Da die »normalerweise vorhandenen Arbeitskräfte der baulichen Sofortmaßnahmen« – also die Mitglieder des SHD bzw. der Luftschutzpolizei – allerdings oftmals »für die Beseitigung von Straßenverschüttungen, für die Freimachung der Fahrbahnen, für die Bergung verschütteter wertvoller Güter, Maschinen und Betriebsanlagen und Haushaltsgut« bei Weitem nicht ausreichten, wurde die Wehrmacht schnell zu einem weiteren wichtigen Akteur bei der Trümmerräumung in den Städten.28

Das Kriegsheer der Wehrmacht unterteilte sich in ein Feldheer, das an der Front eingesetzt wurde, und ein Ersatzheer, das seinen Standort im Deutschen Reich hatte.29 In General- bzw. Wehrkreiskommandos unterteilt, bildete letzteres sozusagen die Reserve für die Front. Neben dem festen Personal, wie etwa den Kommandeuren, gehörten dem Ersatzheer vor allem Truppen an, die gerade nicht im Fronteinsatz waren, sowie Soldaten, die sich noch in der Ausbildung befanden; darüber hinaus zählten auch Soldaten auf Heimat- oder Genesungsurlaub zum Ersatzheer. Während ihrer Stationierung im Reich bildeten sie nicht zuletzt ein Arbeitskräftereservoir für die Sofortmaßnahmen, bei denen sie als sogenannte Wehrmachtshilfskommandos eingesetzt wurden. Ähnlich wie SHD/Luftschutzpolizei wurden sie ihrem Verwendungszweck entsprechend in Absperr- und Ordnungskommandos, Feuerlöschkommandos, Rettungs- und Bergungskommandos, Aufräumungskommandos, Sprengkommandos, Kraftwagenkommandos sowie Waldbrandbekämpfungskommandos unterteilt.30

Die Eingliederung dieser Wehrmachtshilfskommandos in das System der Sofortmaßnahmen ist für Nürnberg bereits dokumentiert worden und soll deshalb hier exemplarisch skizziert werden.31 Koordiniert wurden die Einsätze der Soldaten dort von der Wehrmachtskommandantur Nürnberg, die dafür auf die in der Stadt und im Umland stationierten Truppen zurückgreifen konnte. In den ersten Kriegsjahren musste der örtliche Luftschutzleiter die nach den Luftangriffen benötigten Soldaten bei der Kommandantur anfordern, ab Mitte 1944 brachte diese sie selbstständig zum Einsatz, indem den Polizeirevieren feste Kontingente zur Verfügung gestellt wurden. Nach größeren Fliegerangriffen kamen so bis zu 2.300 Soldaten in Nürnberg bei Soforthilfe-, Bergungs- und Räumarbeiten zum Einsatz. In Köln wurden nach dem Angriff vom 30./31. Mai 1942 sogar 4.000 Wehrmachtsangehörige allein für die Abräumung eingesetzt.32 Diese hohen Zahlen verdeutlichen, dass der Einsatz der Wehrmacht bei der Trümmerräumung in der Zeit des Nationalsozialismus keine Randerscheinung war. Zumal sich ihre Einsätze in vielen deutschen Städten nachweisen lassen und sich über die gesamte Zeit des Luftkrieges erstreckten: In Frankfurt am Main wurden bereits 1940 Soldaten mit der Wegräumung von Schuttmassen betraut;33 in Magdeburg wurden sie Anfang 1943 als Hilfskräfte an großen Schadenstellen eingesetzt;34 der städtische Oberverwaltungsrat in Essen forderte ebenfalls 1943 rund 1.000 Soldaten zur Fortschaffung von Schutthaufen an, die die Luftschutz- und Feuerschutzpolizei in ihrer Arbeit behinderten;35 in Dresden wurden sie Ende 1944 vorwiegend zur Bergung von Hausrat eingesetzt36 und zumindest in Nürnberg waren Soldaten noch Anfang 1945 bei Soforthilfe- und Räumungsarbeiten im Einsatz.37 Neben den Soldaten der Wehrmachtshilfskommandos, die als ungelernte Kräfte zu Tätigkeiten wie der Trümmerräumung herangezogen wurden, kamen darüber hinaus auch spezialisierte Bau-Bataillone der Landes-Baupioniere der Wehrmacht – beispielsweise in Duisburg – zum Einsatz. Diese setzten sich aus Soldaten zusammen, die den verschiedensten Handwerkszweigen angehörten und dementsprechend als Fachkräfte bei der Instandsetzung eingesetzt wurden.38

Wie die Forschung bereits herausgearbeitet hat, wurde auch die Hitlerjugend (HJ) in großem Umfang in die deutschen Kriegsanstrengungen einbezogen. Vor allem auf ihren Einsatz als Flakhelfer und ihre sinnlose Rekrutierung als Soldaten für den »Endsieg« wird in diesem Zusammenhang immer wieder hingewiesen.39 Allerdings umfasste ihre Eingliederung in die Hilfs- und Rettungsorganisationen des Luftschutzes nicht nur den Dienst bei der Flak, sondern u. a. auch ihren Einsatz bei der Trümmerräumung und teilweise sogar bei der Leichenbergung.40 Als Hilfskräfte wurden sie hierfür meist gemeinsam mit Mitgliedern der Wehrmacht und des SHD bzw. der Luftschutzpolizei zu Einsätzen zusammengefasst.41 Die Heranziehung der HJ zur Trümmerräumung erfolgte allem Anschein nach bedarfsorientiert: waren nicht genug anderweitige Einsatzkräfte vorhanden, wurden hierfür Mitglieder der HJ rekrutiert. Ähnliches galt wohl auch für den Einsatz von NSDAP-Mitgliedern und der SA-Standarte, denn auch für diese lassen sich vereinzelte Einsätze bei der Trümmerräumung belegen.42

Da der Bedarf an Arbeitskräften für die Beseitigung der Fliegerschäden jedoch stetig stieg, gab es ab 1942 zumindest formal die Möglichkeit über den Reichsarbeitsdienst (RAD) weitere Arbeitskräfte für die anfallenden Sofortmaßnahmen zu rekrutieren. Der RAD, der sich unter Konstantin Hierl in den ersten Jahren des »Dritten Reiches« nur mühsam konsolidieren konnte und mehrfach zwischen verschiedenen Machtinteressen fast aufgerieben worden wäre, konnte sich durch seine Verstaatlichung mit dem RAD-Gesetz im Jahr 1935 als feste Größe im NS-System etablieren.43 Seit diesem Jahr bestand für männliche Jugendliche vor Beginn ihres Wehrdienstes und ab 1939 für junge Frauen zwischen 17 und 25 Jahren die Pflicht zur Ableistung eines Arbeitsdienstes. Laut Gesetz wurde mit der Arbeitsdienstpflicht vor allem ein erzieherisches Ziel verfolgt:

»Der Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der Handarbeit erziehen.«44