Nachhaltig gibt's nicht! - Cornelia Diesenreiter - E-Book

Nachhaltig gibt's nicht! E-Book

Cornelia Diesenreiter

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Beschreibung

Seit sie sechs Jahre alt ist, will Cornelia Diesenreiter die Welt besser machen. Doch je mehr sie sich informiert, je tiefer sie gräbt, umso stärker werden die Zweifel: Stimmt es tatsächlich, dass Biomilch in der Glasflasche nachhaltiger ist als zuckrige Limo aus der Dose? Ist Palmöl böser als Kokosfett? Was ist richtig, was ist falsch und – gibt es nachhaltig überhaupt? In ihrem ersten Buch erzählt sie persönlich und schonungslos ehrlich von diesem Dilemma und von ihrem Scheitern. Nach zahlreichen Irrtümern, Vorurteilen und verdrehter Selbsteinschätzung kommt sie am Ende doch zu einem unerwartet neuen Schluss: Nachhaltigkeit ist keine Geschichte des Verzichts und der Mühsal, sondern eine Reise zu reflektiertem Genuss und wiedergefundenem Glück, an deren Ende die sinnstiftende Befriedigung steht.

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Cornelia Diesenreiter

Nachhaltig gibt’s nicht!

Für meine Mama,

die Gartenrebellin

INHALT

Cover

Titel

Einleitung

Nachhaltigkeit – die Anfänge

Vom Wunsch, wirklich nachhaltig zu sein

Wirklich nachhaltige Marillenmarmelade

Nachhaltig gibt’s nicht

Meine Nachhaltigkeit

Quellenverzeichnis

Dank

Über die Autorin

Impressum

Einleitung

„Nachhaltig gibt’s nicht!“ Eine provokante Behauptung, warum greift man zu solch einem Buch? Gewählt habe ich diesen Titel in der Hoffnung, dass er vor allem zwei Gruppen von Menschen ganz besonders anspricht: Entweder du bist jemand, der sich bereits um ein nachhaltiges Leben bemüht und den diese Aussage irritiert. Warum sollte es nachhaltig nicht geben? Vor allem, warum solltest du nicht nachhaltig sein? Vielleicht ist Nachhaltigkeit bereits ein wichtiger Teil deines Lebens oder sogar deiner Identität. Oder es kann sein, du gehörst zu jenen Menschen, die sich denken, Ich hab’s doch schon immer gewusst, alles eine Lüge, dieses „nachhaltig“. Reine Geldmacherei! Vielleicht nerven dich die Ökos und Gutmenschen mit ihren überteuerten Bioprodukten und ihrer Wichtigtuerei. Womöglich erhoffst du dir von diesem Buch endlich Argumente, die deine Vorahnung bekräftigen können.

Wie sich im Buch zeigen wird, spielen diese beiden Gruppen gleichermaßen eine besonders tragende Rolle in der zukünftigen Entwicklung von Nachhaltigkeit. Geschrieben habe ich dieses Buch aber auch für alle, die noch keine klare Haltung zur Nachhaltigkeit gefunden haben und sie vielleicht noch etwas skeptisch aus der Ferne beobachten, denn davon gibt es derzeit noch viel zu viele.

Was bedeutet der Begriff „nachhaltig“ überhaupt? Die Geburtsstunde der modernen Nachhaltigkeit schlug bereits 1972, als der Club of Rome den weltberühmten Bericht Die Grenzen des Wachstums veröffentlichte. Der Club of Rome ist eine gemeinnützige Organisation, die sich aus Expert*innen unterschiedlichster Disziplinen aus über dreißig Ländern zusammensetzt und das erklärte Ziel verfolgt, sich für lebenswerte zukünftige Existenzbedingungen von uns Menschen einzusetzen. Für die Publikation des Berichts wurden erstmals die Ressourcen und Rohstoffvorräte der Welt berechnet und es entstand die vielzitierte Schlussfolgerung: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Diese Erkenntnis zeigt einerseits auf, dass wirtschaftliches Wachstum, wie wir es bisher kennen, nicht unendlich fortführbar ist. Andererseits wurde damit erstmals ins öffentliche Bewusstsein gerufen: Lokales Handeln hat globale Auswirkungen. Doch wesentlich wichtiger war die Feststellung, dass alle unsere Handlungen, noch lange nach dem Ende unserer eigenen Lebenszeit, Auswirkungen auf das Leben zukünftiger Generationen auf diesem Planeten haben – sehr viele natürliche Ressourcen sind begrenzt. Und andere brauchen eine gewisse Zeitspanne, um nachzuwachsen. Derzeit konsumieren wir für unseren Wohlstand und das wirtschaftliche Wachstum jedoch mehr natürliche Ressourcen, als für zukünftige Generationen rechtzeitig nachwachsen können. Diese Entwicklung ist mittlerweile wissenschaftlich mehrfach belegt und erste Auswirkungen von Knappheit manifestieren sich bereits in unserem Leben. Trotzdem gibt es bis heute, fünfzig Jahre später, noch immer keine verbindliche Definition von Nachhaltigkeit. Diese Tatsache brachte und bringt weitläufige Interpretationen und missbräuchliche Verwendung der Bezeichnung „nachhaltig“ mit sich. Kaum ein anderer Begriff wird von so vielen selbstbewusst ausgesprochen und verwendet und dabei nur von so wenigen tatsächlich in seiner Komplexität verstanden wie Nachhaltigkeit. Ein guter Nährboden für zahlreiche Vorurteile.

Einige gängige davon sind: reine Geldmacherei. Das muss man sich erst einmal leisten können. Ein Luxus. Ein Feigenblatt. Eine Lüge. Da sollen sich gefälligst die Konzerne und die Politik darum kümmern. Auf was ich dabei alles verzichten müsste. Das Klima hat sich doch schon immer verändert. Was kann ich allein da schon ausrichten? Schau dir einmal an, was die in China und den USA aufführen. Wir in Europa sind doch vorbildlich. Die Grünen wollen, dass der Diesel pro Liter 20 Euro kostet. Klimahysterie. Zöpferl-Diktatur. Haben wir nicht wichtigere Probleme?

Ja, haben wir nicht wichtigere Probleme? Den Luxus, uns diese Frage zu stellen, haben wir aber nicht mehr lange. Zahllose wissenschaftliche Studien belegen, dass Nachhaltigkeit eine unumgängliche und existenzielle Notwendigkeit ist. Kurzfristig hat 2019 die wachsende mediale Aufmerksamkeit rund um Greta Thunberg und ihre Fridays-for-Future-Bewegung das Thema in den gesellschaftlichen und politischen Mainstream geführt, bis ihre Stimmen durch die weltweite Corona-Pandemie fast wieder verstummt sind. Es ist nicht das erste Mal, dass Umweltthemen durch andere Krisen als Luxusproblem verharmlost und immer wieder in den Hintergrund gedrängt werden, ich denke dabei zum Beispiel an die Flüchtlings- oder die Währungskrise. Es ändert aber nichts, denn es wird nicht mehr allzu lange dauern, bis dies gar nicht mehr möglich sein wird. Die Tatsache, dass wir Nachhaltigkeit derzeit überhaupt noch als Luxusthema empfinden können, liegt vor allem daran, dass die Konsequenzen der von uns verursachten Umweltbelastungen sich erst stark zeitverzögert zeigen. Tragischerweise bekommt der Globale Süden schon heute die Konsequenzen des überschwänglichen Lebens des Globalen Nordens zu spüren. Immer extremere Hitzewellen und die stetig steigende Häufigkeit und Stärke aufeinanderfolgender Dürren, regelmäßige Hochwasser in Küstengebieten bedrohen hunderte Millionen Menschen. Lebensräume werden unbewohnbar. Tiere sterben aus. Polkappen schmelzen. Menschen werden zunehmend unter Hunger und steigenden Infektionskrankheiten leiden. Immer größer werdende Migrationsbewegungen finden statt und noch massivere sind zu erwarten. Auch im Norden finden sich in unseren Fischfilets bereits Mikroplastik und in unserem Fleisch Antibiotika. Dies alles sind allerdings nur kleine Vorboten der Katastrophe, die unmittelbar vor uns liegt. Eines ist gewiss: Natürliche Ressourcen werden enden und Wohlstand, wie wir ihn heute leben, wird schon bald nicht mehr möglich sein. Wir werden vor Herausforderungen ungeahnten Ausmaßes stehen und so wird sich Nachhaltigkeit früher oder später die Aufmerksamkeit verschaffen, derer sie jetzt schon so dringend bedürfte.

Ich habe mein Leben meinem Herzensanliegen gewidmet, wirklich nachhaltig zu werden. Als ich acht Jahre alt war, fasste ich den Entschluss, dass ich unserer Umwelt, Menschen und Tieren durch meine Handlungen kein Leid zufügen möchte. Erst viel später habe ich gelernt, dass man diese Lebensweise als nachhaltig bezeichnet. Drei Studienabschlüsse, ein ökosoziales Unternehmen und ganze 25 Jahre später muss ich mir aber eingestehen, dass ich kläglich gescheitert bin. Nachhaltigkeit ist ein unvorstellbar komplexes Konstrukt mit unzähligen Implikationen in allen Lebensbereichen. Es ist allumfassend und daher nahezu un(be)greifbar. Auf meinem Weg fand ich zwar viele Antworten, aber noch wesentlich mehr offene Fragen. Aufgegeben habe ich trotzdem nicht, sondern vielmehr meine eigene Nachhaltigkeit gefunden. Ich bin davon überzeugt, dass die mangelnde Definition von Nachhaltigkeit und die zu geringe sachliche Aufklärung bestehende Vorurteile vervielfachen und bereits erkennbare destruktive Dynamiken verstärken, die uns als Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema immer mehr spalten. Doch Nachhaltigkeit darf nicht das Ziel einiger weniger bleiben, sondern muss schnellstmöglich Einzug in unser aller Leben finden.

Auch ich habe die eine Lösung nicht gefunden, die unsere Welt retten kann. Dieses Buch ist weder ein weiterer Ratgeber, mit den besten und schnellsten Tricks zu einem nachhaltigeren Leben, noch eine Feel-Good-Theorie, die nur überspielt, wie dramatisch die Situation tatsächlich ist. Ich habe sehr lange nachgedacht, wie ich euch, liebe Leser*innen, dieses für mich so wichtige Thema „Nachhaltigkeit“ näherbringen kann. Und ich habe mich dafür entschieden, so ehrlich und offen wie möglich meine ganz persönliche Geschichte zu erzählen. Es ist die Geschichte vom Bestreben, wirklich nachhaltig zu werden, auch die Geschichte des konstanten Scheiterns, und ich erzähle euch, warum ich trotzdem nie aufgegeben habe. Ich habe die große Hoffnung, dass dieses Buch – egal aus welchem Grund du dich dafür entschieden hast – zu einem gemeinsamen Verständnis der Bedeutung von Nachhaltigkeit beitragen kann und aufzeigt, weshalb wir sie so dringend brauchen.

Nachhaltigkeit – die Anfänge

Wie Schweinchen Babe mich zur Vegetarierin machte

Weihnachten 1995 – damals war ich acht Jahre alt – wurde im Fernsehen zum ersten Mal der entzückende Film Ein Schweinchen namens Babe ausgestrahlt. Darin begleitet man das Schweinchen Babe, das dem Maskottchen einer bekannten österreichischen Biomarke ähnelt, durch ein ungewöhnliches Leben auf seinem Weg zum Hirtenschwein. Das einsame kleine Ferkel wird am Hof des Schafzüchters Hoggett von einer Border-Collie-Hündin aufgenommen. Schnell merkt das Ferkel, dass alle Tiere am Hof einen Zweck erfüllen. Der Gockelhahn weckt frühmorgens den Hof, die Kuh gibt Milch, die Hühner legen Eier, die Schafe geben Wolle und die Hunde hüten die Schafe. Da muss Babe realisieren, dass der einzige Zweck eines Schweins darin besteht, möglichst schnell groß und fett zu werden, um irgendwann als köstlicher Sonntagsbraten auf den Tellern der Menschen zu enden. Um dieses Schicksal nun abzuwenden, versucht sich Babe mit Hingabe und herzzerreißenden emotionalen Momenten erfolgreich als Hirtenschwein. So schafft es Babe, sich in der Nahrungskette nach oben, in die Position der Hunde, vorzuarbeiten, also jener Tiere, die am Hof nicht gegessen werden.

Durch diesen Film wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, dass mein Schnitzel und mein Schinken den Tod eines fühlenden Lebewesens bedeuten. Dass wir Menschen Tiere als Nutz- oder Haustiere kategorisieren. Dass wir die einen schlachten und die anderen bei uns im Bett schlafen dürfen. Die Geschichte vom Schweinchen Babe berührte mich im Innersten und ich beschloss noch während des Filmabspanns, Vegetarierin zu werden. Aber ich war umgeben von begnadeten Köchinnen traditioneller Hausmannskost – die gefüllte Kalbsbrust meiner Großmutter zu Weihnachten war das kulinarische Highlight des Jahres. Mein achtjähriges Ich konnte dieser Versuchung nicht widerstehen und so hielt mein neuer Vorsatz genau zwei Tage lang. Trotzdem war ab diesem Moment ein Zwiespalt in mir geboren. Fleisch zu essen gehörte zum selbstverständlichen Alltag in meiner Familie und war mit vielen positiven Gefühlen und Genüssen besetzt, zugleich begriff ich, was es bedeutet, Fleisch zu essen. Es folgten unzählige gescheiterte Versuche, darauf zu verzichten. Und es sollte noch ganze sieben Jahre dauern, bis ich tatsächlich Vegetarierin wurde.

Ich erinnere mich an einen Kirtag mit meinem Bruder Andreas. Ein heißer Sommertag. Wir wollten uns ein Grillhuhn teilen. Grillhuhn war für uns etwas ganz Besonders. Unsere Großmutter hat es immer zu speziellen Anlässen für uns zubereitet. Schon immer zuckte ich innerlich zusammen, wenn die Geflügelschere durch die Knochen brach – ein fürchterliches Geräusch. Auch aß ich immer nur das schön abgetrennte Brustfleisch und wollte nie, wie alle anderen in meiner Familie, die Flügel abnagen. Bloß nicht zu nahe am Tier dran sein! Auf diesem Kirtag war unglaublich viel Trubel. Der Verkäufer zog das Grillhuhn vom Spieß und setzte die Geflügelschere an, doch es war anscheinend noch nicht lange genug am Grill. Als er es aufschnitt, war das Innere noch voll Blut. Mein Grillhuhn war noch deutlich erkennbar ein totes Tier und noch kein schmackhaftes Stück Fleisch. In diesem Moment fiel in meinem Kopf endgültig ein Schalter und plötzlich war ich Vegetarierin. Bis heute weiß ich, dass tote Tiere köstlich schmecken – vor allem, wenn ich gebratenen Speck rieche –, aber meine klare Entscheidung fühlte sich trotzdem nie wieder nach Verzicht an. Nicht einmal die legendäre gefüllte Kalbsbrust meiner Großmutter konnte mich jemals wieder in Versuchung führen.

Wenn das fair ist, was ist dann mit all den anderen?

Ungefähr zu der Zeit von Babe begann meine Mutter, die ersten Bio- und Fairtrade-Produkte zu kaufen. Sie meint, dass dies damals möglich wurde, weil es zum ersten Mal Bioprodukte von einer Handelskette im normalen Supermarktsortiment gab. Ich erinnere mich, dass es zu Beginn vor allem Milchprodukte und Kaffee waren. Meine Mutter erklärte mir voll Freude, dass dieser Kaffee fair gehandelt werde und die Bauern und Bäuerinnen einen guten Preis für die Bohnen erhielten. Und die Kühe der Bio-Milchprodukte wären glückliche Kühe. In mir löste die Existenz dieser Produkte aber vor allem eine Frage aus: Wenn dieser Kaffee fair ist, was ist dann mit all dem anderen Kaffee? Wenn die Kuh dieser Milch glücklich ist, was ist dann mit all den anderen Kühen? Erst durch das Entstehen biologischer und fair gehandelter Produkte entwickelte sich in mir der Gedanke, dass es anscheinend Kühe gibt, die nicht glücklich sind, und Kaffee, der nicht fair ist.

Die Gartenrebellin und das Waldsterben

Aufwachsen durfte ich in einem Haus mit einem wunderschönen großen Garten. Als ich noch klein war, war der Garten bis ins letzte Eck sauber und penibel gepflegt, so „wie es sich halt gehört“ am Land. Löwenzahn, der es wagte, zwischen den Terrassenfliesen hervorzuschauen, wurde als Unkraut sofort ausgerissen. Der Rasen war immer ordentlich und stets frisch gemäht. Pflanzen wurden danach ausgesucht, ob sie schön aussehen und lange blühen. Mit ihrem ordentlichen Garten und den hübschen Blumenkisterln hat meine Mutter sogar Preise für den schönsten Balkon gewonnen.

Doch irgendwann hat sie dann im Fernsehen eine Dokumentation über Werner Lampert gesehen – ein Bio-Pionier Österreichs und Mitbegründer mehrere Bioproduktlinien. Sie war begeistert und bewegt von seiner Ansicht, die Umwelt als ein schützenswertes Gut, als Heimat abertausender Lebewesen zu betrachten. Meine Mutter hat sehr früh damit begonnen, sich im Internet über alternative Ansätze der Gartenpflege einzulesen. Mühsam suchte sie nach Artikeln und Videos mit Informationen, wie sie dazu beitragen könnte, dass es der Umwelt gut geht, und beschäftige sich eingehend mit naturnahen Gärten. So blieb dann allmählich kein Stein auf dem anderen: Schnell wurde aus dem ordentlichen, sauberen Garten wilde Natur. Der ehemals sorgfältige Rasen wurde zur wilden Wiese. Jeglicher chemische Dünger und Pestizide wurden aus dem Garten verbannt. Pflanzen, die nur schön waren, aber Bienen und Schmetterlingen keinen Nutzen brachten, wurden durch Bienenweiden ersetzt. Sogar der Löwenzahn durfte nun zwischen den Fliesen durchdrängeln und sich zu Hause fühlen.

Es dauerte nicht lange und auf unserer Wiese wuchsen seltene Blumen. Meine Mutter kaufte eine Sense, mit der mein Vater als Kind am Bauernhof meiner Großmutter umzugehen gelernt hatte. Damit mähte er im Hochsommer die wunderschön blühende Wiese im Garten und ließ sie zu Heu trocknen. Der Duft des frischen Heus in den Sommernächten war unbeschreiblich schön. Rundherum in den Sträuchern und Bäumen summte es von den vielen Bienen und Schmetterlingen. Seltene Vögel begannen Nester zu bauen. In der Nacht tummelten sich Igel und viele andere Tiere im Gestrüpp. Bis heute berührt mich die unfassbare Liebe meiner Mutter zu ihrem Garten zutiefst, wenn sie mir bei jedem Besuch zu Hause mit unbändiger Freude und leuchtenden Augen eine Führung durch ihren Garten gibt.

Ich nahm als Kind deutlich den einen oder anderen irritierten oder sogar verurteilenden Blick und manchen spitzfindigen Kommentar von Gästen wahr, wenn meine Mutter sie durch ihren Garten führte. Überall wucherte das Unkraut, die Wiese war kniehoch, Teile der Wiese durfte man nicht betreten, weil dort ganz besondere Blumen heranwuchsen. Nicht einmal mein Vater konnte mit dem Einwand, wo er denn jetzt bitte seinen Liegestuhl hinstellen solle, etwas daran ändern. Für viele war der Garten verwahrlost und unordentlich. Sicherlich kein Schönheitsbalkonpreisträger im herkömmlichen Sinn. Für mich gab es keinen schöneren Garten als den meiner Mama. Ich bewundere noch heute, dass sie trotz der Blicke und Kommentare immer mehr zur Gartenrebellin wurde. Vor allem musste ich schmunzeln, wenn andere sich bei ihr über die Nacktschneckenplage in ihren ordentlichen Gärten beschwerten, das gab es bei ihr nicht. In einem naturnahen Garten mit vielen natürlichen Fressfeinden haben Schnecken keine Chance.

Als Kind konnte ich die Tragweite dessen, was meine Mutter schon so früh begonnen hat, noch nicht fassen. Erst viele Jahre später, an der Universität für Bodenkultur, erkannte ich, was für eine Pionierin sie war. Medial wird das große Bienen- und Insektensterben erst seit wenigen Jahren thematisiert, lange nachdem sie bereits ihr eigenes kleines Naturschutzgebiet errichtet hatte. Damals wurde in den Medien immer wieder von „saurem Regen“ berichtet, der dazu führen werde, dass unsere Wälder sterben. Ich erinnere mich an die Angst vor Ozonlöchern und dass man keine Spraydosen mehr verwenden sollte. Die Gründe, Auswirkungen und Tragweite dieser Probleme waren für mich damals noch absolut nicht greifbar.

Der Samen der Nachhaltigkeit

Inspiriert von der unermesslichen Freude meiner Mutter, habe ich sehr früh entschieden, alles für die Umwelt und ihre Lebewesen tun zu wollen und niemandem zu schaden. Sie pflanzte mit ihrer Liebe zur Natur den Samen der Nachhaltigkeit in mir, wenngleich mir der Begriff „nachhaltig“ damals noch vollkommen unbekannt war. Als Kind hatte ich das Gefühl, nur einige wenige Dinge in meinem Leben bedenken zu müssen, um der Umwelt und den Tieren kein Leid zuzufügen: kein Fleisch essen, Biomilch und Fairtrade-Kaffee kaufen, im Garten das Unkraut wachsen lassen, keine Spraydosen verwenden, die das Ozonloch noch größer machen, und Recyclingpapier kaufen. Ich war felsenfest davon überzeugt, diese überschaubare Liste an Verhaltensweisen erfüllen zu können. Erst viel später stellte sich heraus, wie sehr ich mich damals getäuscht habe.

Vom Wunsch, wirklich nachhaltig zu sein

Mit dieser überschaubaren To-do-Liste im Gepäck fiel es mir als junger Erwachsenen recht leicht, nachhaltig zu leben. Es sollte jedoch noch eine ganze Weile dauern, bis ich das Konzept der Nachhaltigkeit in all seiner Komplexität und Vielschichtigkeit tatsächlich kennenlernte – um dann auch kläglich daran zu scheitern.

Nachdem ich 2005 die Schule abgeschlossen hatte, wollte ich mein Talent als Köchin zum Beruf machen. Die Liebe, mit der meine Mutter und Großmutter hervorragende Nahrungsmittel und Gerichte zubereiteten, hatte sich auf mich übertragen. Meine Mutter kochte alle Marmeladen und Säfte selbst aus den Früchten ihres wilden Gartens ein, meine Großmutter beherrschte am Bauernhof alte Künste wie das Stoßen von Butter oder das Selchen von Fleisch und Würsten. Das war inspirierend. In meiner Familie wurde immer großer Wert auf das gemeinsame Essen gelegt und so hatten Lebensmittel und Essen für mich etwas sehr Soziales. Da ich selbst Kartoffeln aus der Erde gegraben habe, versucht habe, Kühe zu melken, und für meine Mutter jeden Sommer gefühlte tausend Stunden Ribiseln (Johannisbeeren) pflücken musste, konnte ich eine tiefe Verbindung zur Wertigkeit von Lebensmitteln entwickeln. Ich wusste, wie viel Arbeit hinter jedem Lebensmittel steckt. Bereits das erste Pflichtpraktikum meiner Kochausbildung konfrontierte mich aber mit einer ganz anderen Realität: Die Schnitzel für die Tagesteller kamen fertig paniert und tiefgekühlt in einem riesigen Sack. Der Kartoffelsalat wurde fertig aus einem Kübel geschöpft. Halbvolle Teller viel zu großer Portionen wurden einfach weggeworfen. Das sei notwendig, wenn man einen Tagesteller um 6 Euro anbieten wolle, hieß es. Ich bemerkte: Professionelles Kochen hat nichts mit meinen Vorstellungen zu tun.

Die Wirtschaft und die Nachhaltigkeit

Auch wenn ich nicht mehr wirklich weiß, warum, begann ich 2007 nach Abschluss meiner Kochausbildung – damals war ich zwanzig – Recht und Wirtschaft zu studieren. Als Prämisse der Betriebswirtschaftslehre galt und gilt: Wie kann man möglichst viel Geld verdienen und Gewinne maximieren? Wie kann die Wirtschaft immer weiterwachsen? Hier fragte sich scheinbar niemand, ob Kaffee fair gehandelt wurde oder Milchkühe glücklich waren. In dieser Zeit gab es medial und im Internet die ersten größeren Berichte über die katastrophalen Sweatshops in Asien, wo tausende Menschen für Hungerlöhne ausgebeutet werden, um unsere Technik und Kleider anzufertigen. Es gab Bilder von verendeten Elefanten, die für das Elfenbein ihrer Stoßzähne von Wilderern getötet wurden. Ausgehungerte und todkranke Kinder in Afrika. Tierarten, die vom Aussterben bedroht waren. Urwälder, die für Sojaplantagen niedergebrannt wurden. Doch davon war in den Vorlesungen nichts zu hören. Warum fand all das keinen Platz in einem Studium, dessen Absolvent*innen die wirtschaftlichen Prozesse der Zukunft gestalten werden? Wie sollte es möglich sein, – die so unbestreitbar nötige – Rücksicht auf die Umwelt zu nehmen, wenn sie nicht mal thematisiert wird? Mit jeder Vorlesung wurde mir mehr und mehr bewusst, warum es unglückliche Kühe und unfairen Kaffee gab. Zugleich war ich im Hörsaal umgeben von Menschen, die sich diese Fragen nicht stellten und die daran auch nichts ändern würden. Prozessoptimierung, Kostenminimierung und Effizienzsteigerung waren alles, was zählte. Die Umwelt hatte offensichtlich keinen Platz in der Wirtschaft. Das hat mich zutiefst bedrückt. Unterdessen wurde meine bis dahin noch kurze Liste an Verhaltensweisen, die nötig schienen, um der Umwelt nicht zu schaden, mit jedem Bericht von Tag zu Tag länger und unübersichtlicher. Ich erkannte, dass vor allem durch die Entwicklung der Wirtschaft und unseres Wohlstands überall auf dieser Welt Menschen, Umwelt und Tiere leiden mussten, und ich wusste nicht, was ich dagegen tun konnte. Das große Finale meiner damaligen Enttäuschung erlebte ich an jenem Tag, als ich den richtigen Raum für die Einführung in meinen rechtlichen Schwerpunkt suchte. Vorbei an riesigen überfüllten Hörsälen, in denen Studierende für Steuer- und Wirtschaftsrecht sogar schon am Boden sitzen mussten, fand ich endlich im letzten Eck den kleinen Raum für Umweltrecht. Bei freier Platzwahl mit nur zwei Kolleginnen begrüßte uns der Professor mit den Worten: „Wenn ihr irgendwann in eurem Leben ein Haus und zwei Autos haben wollt, dann sitzt ihr jetzt im falschen Zimmer.“

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