Nahrung für Körper und Seele - Fabienne Berg - E-Book

Nahrung für Körper und Seele E-Book

Fabienne Berg

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Beschreibung

Magersucht: Was Körper, Geist und Seele brauchen Immer mehr Menschen erkranken heute an Magersucht. Die gesundheitlichen Folgen sind für die Betroffenen oft verheerend, denn kann man aus tiefer liegenden Gründen nicht mehr essen, leidet der gesamte Mensch. Der Körper leidet Hunger und wird krank. Die Seele leidet qualvoll, bis sie zu schweigen beginnt, denn ihr werden Aufmerksamkeit, Zuwendung und Wertschätzung verwehrt. Der Geist wird unerbittlich und hart, weil er in destruktiven Gedankenmustern festgehalten wird, und auch das soziale Wesen trauert, da von Magersucht Betroffene sich aus Furcht vor Nähe in sich selbst zurückziehen. Um von Magersucht heilen zu können, ist es notwendig, sich mit dem zu nähren, was Körper und Seele brauchen: Ausreichend zu essen und zu trinken für den Körper und für die Seele all das, was es braucht, um sich als glücklicher und zufriedener Mensch zu empfinden. Mithilfe gezielter Übungen, Reflexionen, Geschichten und Beispiele können Betroffene in diesem Buch lernen, sich selbst und ihre Krankheit besser zu verstehen, ihrem Körper und ihrer Seele die für eine Genesung notwendige Nahrung zu schenken und langfristig zu einem gesünderen Selbstverständnis zu kommen.

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Seitenzahl: 145

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Fabienne BergNahrung für Körper und Seele Magersucht überwinden

Über dieses Buch

Magersucht: Was Körper, Geist und Seele brauchen 

Immer mehr Menschen erkranken heute an Magersucht. Die gesundheitlichen Folgen sind für die Betroffenen oft verheerend, denn wenn man aus tiefer liegenden Gründen nicht mehr essen kann, leidet der gesamte Mensch. Der Körper leidet Hunger und wird krank. Die Seele leidet ­qualvoll, bis sie zu schweigen beginnt, denn ihr werden Aufmerksamkeit, Zuwendung und Wertschätzung verwehrt. Der Geist wird unerbittlich und hart, weil er in destruktiven Gedankenmustern festgehalten wird, und auch das soziale Wesen trauert, da von Magersucht Betroffene sich aus Furch vor Nähe in sich selbst zurückziehen. 

Um von Magersucht heilen zu können, ist es notwendig, sich mit dem zu nähren, was Körper und Seele brauchen: Ausreichend zu Essen und zu Trinken für den Körper und für die Seele all das, was es braucht, um sich als glücklicher und zufriedener Mensch zu empfinden. Mithilfe gezielter Übungen, Reflexionen, Geschichten und Beispiele können Betroffene in diesem Buch lernen, sich selbst und ihre Krankheit besser zu verstehen, ihrem Körper und ihrer Seele die für eine Genesung notwendige Nahrung zu schenken und langfristig zu einem gesünderen Selbstverständnis zu kommen.

Fabienne Berg ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt außeruniversitäre Erwachsenenbildung. Sie selbst war mehrere Jahre in ihrem Leben magersüchtig und weiß daher, wie wichtig das Erlernen eines nährenden und wertschätzenden Umgangs mit sich selbst für die Heilung ist. Sie lebt und arbeitet in Süddeutschland.

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2017

Coverfoto: © subodhsathe – iStock

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz: Peter Marwitz, Kiel (etherial.de)

Layout & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-629-5

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-641-7 (EPUB), 978-3-95571-643-1 (PDF), 978-3-95571-642-4 (MOBI).

All denen, deren Körper und Seelen hungern

Vorwort

Vor einigen Jahren lernte ich in einer Psychosomatischen Fachklinik, in der ich zu dieser Zeit beruflich zu tun hatte, Nina kennen. Nina hatte sich damals selbst dafür entschieden, in dieser Klinik eine Therapie zu machen. Dafür hatte sie ernst zu nehmende Gründe: Nina war seelisch und körperlich krank. Sie litt an Magersucht.

Wie so viele Betroffene hatte sie lange Zeit versucht, ihre Krankheit zu verleugnen und allein mit allem klarzukommen. Mit ihren Ängsten, mit ihrer Traurigkeit, mit ihrer Wut, mit den Verletzungen ihrer Vergangenheit und mit dem Hungern samt seinen seelischen und körperlichen Folgen. Immer allein. Immer stark. Bis irgendwann nichts mehr ging.

Nina war kein Teenager mehr, als wir damals mehr oder weniger zufällig in der Klinik miteinander ins Gespräch kamen. Sie war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt. Eine gestandene Frau. Beruflich erfolgreich, zielstrebig und unabhängig. Das war die eine Nina. Die andere Nina war verletzlich, emotional leicht zu verunsichern, sensibel und seelisch tief verwundet. Vor genau diesen Wunden hatte sie ihr ganzes Leben zu fliehen versucht; indem sie arbeitete bis zur totalen Erschöpfung, anfing, Tabletten zu nehmen, und indem sie irgendwann damit aufhörte zu essen.

Nina erzählte mir ihre Geschichte. Von ihrer Kindheit, ihren Eltern und von ihrem Leben als erwachsene Frau. Sie hatte eine ganz andere Vergangenheit als ich, und dennoch kam mir vieles, was sie bewegte und erzählte, sehr vertraut vor. Der Grund dafür war recht schnell offensichtlich: Auch ich war lange Zeit sehr krank gewesen. Auch ich litt früher an Magersucht.1

Magersucht ist eine schwere psychosomatische Erkrankung mit einem sehr komplexen und individuellen Ursachenbündel. Die gesundheitlichen Folgen sind oft verheerend: Schwächung des gesamten Körpers, Schäden an Herz und Nieren, bis hin zur völligen Entgleisung des Elektrolythaushalts durch langsames Verhungern. Untersuchungen haben ergeben, dass etwa 1 bis 2 % der jungen Frauen und Mädchen in Deutschland und in den anderen Industrienationen an Magersucht erkranken. Die meisten Magersüchtigen sind zwischen 14 und 25 Jahre alt. Es ist jedoch zu beobachten, dass es sowohl eine Zunahme der Betroffenen gibt, die bereits vor dem 14. Lebensjahr magersüchtig werden, als auch bei jenen, die deutlich älter als 25 Jahre sind. Männer sind weniger betroffen als Frauen. Auf zwölf magersüchtige Frauen kommt ein magersüchtiger Mann.2 Jedoch ist auch bei den Männern in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg an Erkrankungen zu verzeichnen.

Die Frage, die sich hier stellt, ist: Was bringt diese große Anzahl von Menschen in unseren reichen Ländern dazu, vor vollen Schüsseln zu hungern? Die Antwort auf diese Frage kann sehr komplex ausfallen, immer abhängig davon, mit welcher Geschichte, welchem Schicksal man es zu tun hat. Betrachtet man das Thema insgesamt, so ist die Antwort recht einfach: Es geht in den meisten Fällen von Magersucht nicht wirklich ums Essen. Anita Johnston schreibt in ihrem wunderschönen Buch „Die Frau, die im Mondlicht aß“ zum Thema Essstörungen die folgenden weisen Worte:3

„Stellen wir uns vor, wir alle tragen auf unserem Lebensweg zwei Gefäße mit uns: Das eine ist eine Schale für Speise und Wasser, das andere ein herzförmiger Korb für all die Dinge, die wir brauchen, damit unser Leben sinnvoll und erfüllt ist. Die Schale müssen wir füllen, wenn wir körperliche Nahrung brauchen, da hinein kommt unser Essen. In den Korb hingegen legen wir das, was wir emotionale Nahrung nennen: Wir füllen ihn mit Aufmerksamkeit, Zuwendung, Wertschätzung und anderer ‚Nahrung’ für Herz und Seele.

Eine Frau mit einer Essstörung kann die beiden Gefäße nicht auseinanderhalten.“

Und genau dies gilt es wieder zu lernen. Es gilt sich auseinanderzusetzen mit der fürchterlichen Leere in unseren Herzen und mit unseren Ängsten und Schmerzen, die wir tief in unserer Seele vergraben haben, weil wir keinen anderen Weg dafür finden konnten.

Es gilt unsere Seele mit dem zu nähren, was wir wirklich brauchen, um uns als glücklicher und zufriedener Mensch zu fühlen. Und es gilt vor allem, den zerstörerischen Suchtkreislauf der Krankheit zu durchbrechen und damit zu beginnen, wieder mehr zu essen. Es ist so, wie Johnston es gesagt hat: Wir müssen unsere Herzen füllen und unsere Teller. Denn man braucht beides, um von Magersucht zu heilen: Nahrung für den Körper und Nahrung für die Seele.

Darum geht es in diesem Buch.

Für wen ich dieses Buch geschrieben habe

Dieses Buch richtet sich vor allem an betroffene Frauen und Männer, die nach praktischen Möglichkeiten suchen, einen Weg aus der Magersucht zu finden und zu einem gesünderen Selbstverständnis zu kommen. Gleichermaßen habe ich dieses Buch auch für Angehörige, Partner und Freunde der Betroffenen geschrieben. Ihnen kann es dabei helfen, ihre Verwandte oder Freundin besser zu verstehen und sie gegebenenfalls auf dem Heilungsweg zu unterstützen. Außerdem wendet sich dieses Buch natürlich an alle professionellen Helferinnen und Helfer, die beruflich mit magersüchtigen Patientinnen und Klientinnen zu tun haben und diesen durch ihre professionelle Begleitung dabei helfen möchten, aus dem gefährlichen Kreislauf der Magersucht auszusteigen.

Was Sie von diesem Buch erwarten dürfen

Dieses Buch kann keine Therapie ersetzen; etwas anderes zu behaupten wäre verantwortungslos. Für die meisten Menschen, die an Magersucht erkranken, ist eine ambulante oder eine stationäre Therapie bzw. eine Kombination aus beidem notwendig und sinnvoll. Auf Ihrem Heilungsweg kann dieses Buch jedoch eine wichtige Ergänzung sein. Sie finden hier Informationen über Ihr Krankheitsbild und außerdem Überlegungen und Übungen, die Ihnen ganz praktisch helfen können. Helfen, wieder gesund zu werden, liebevoller und wertschätzender mit sich selbst umzugehen – und vielleicht sogar Ihr eigenes Leben sowie Ihre Zukunft in einem ganz neuen Licht zu sehen.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

Dieses Buch ist in fünf thematische Blöcke unterteilt. Der erste informiert über das Krankheitsbild der Magersucht; über gesundheitliche und soziale Folgen, mögliche Ursachen sowie über Prognosen und allgemeine Therapieansätze. Der zweite Themenblock, „Nahrung für die Seele“, beschäftigt sich mit der heilsamen Auseinandersetzung von magersuchtstypischen Persönlichkeitsmerkmalen. Dazu gehören das Streben nach Autonomie, Selbstkontrolle und Perfektionismus. Außerdem befasst sich dieser Block mit den Themen Selbstwert und Selbstliebe sowie mit Schwierigkeiten der Betroffenen in Bezug auf Nähe und Konfliktverhalten. Der dritte Block, „Nahrung für den Körper“, möchte Betroffene bei der Aussöhnung mit ihrer eigenen Körperlichkeit und Sexualität unterstützen. Außerdem geht es um Wege zu einem gesünderen Essverhalten im Rahmen ihrer Heilung. Der vierte Block besteht aus einem konventionellen Zehn-Schritte-Programm, welches das Ziel hat, Betroffene bei der Überwindung des Suchtkreislaufes zu unterstützen. Im fünften und letzten Block finden Sie fünf Entspannungsübungen, die der Beruhigung und der Körpersensibilisierung dienen. Diese Übungen finden Sie auch als Audiodaten in der Mediathek zum Buch unter www.junfermann.de. Diese Übungen können also im Rahmen einer Therapie vorgelesen oder gehört werden, aber auch jede Betroffene kann sie für sich allein durchführen.

Im Anhang finden Sie abschließend eine Auswahl hilfreicher Adressen, welche als Anlaufpunkt für eine mögliche Suche nach Therapie- und Beratungsangeboten dienen können.

Fabienne Berg im September 2016

1    Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes habe ich sämtliche im Buch auftauchenden Namen der Personen, von denen ich näher berichte, geändert.

2    Aus diesem Grund benutze ich hauptsächlich die weibliche Form, indem ich z.B. von „der Betroffenen“ bzw. „der Magersüchtigen“ spreche. Selbstverständlich möchte ich hiermit gleichermaßen Frauen undMänner ansprechen.

3    Anita Johnston: Die Frau, die im Mondlicht aß. Ess-Störungen überwinden durch die Weisheit uralter Märchen und Mythen. Copyright ©2007: Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München.

„Das Ziel im Leben ist, all unser Lachen zu lachen und all unsere Tränen zu weinen. Was auch immer sich uns offenbart, es ist das Leben, das sich darin zeigt, und immer ist es ein Geschenk, sich mit ihm zu verbinden.“

(Marshall B. Rosenberg)

TEIL I: EINFÜHRUNG

1. Magersucht – das Krankheitsbild

Magersucht ist eine sehr komplexe psychosomatische Erkrankung.

Um dieses vielschichtige Krankheitsbild fassbarer zu machen, möchte ich zunächst versuchen, ein sprachliches Bild der Magersucht zu zeichnen und erst im Anschluss daran die Symptomatik, mögliche Ursachen und Heilungsmethoden beschreiben. Bei diesem sprachlichen Bild geht es nicht um Vollständigkeit oder Wissenschaftlichkeit; vielmehr soll es dazu dienen, die Krankheit in ihrer Komplexität besser nachfühlen und verstehen zu können.

1.1 Das Bild der Magersucht

Stellen Sie sich vor, dass an einer weißen Wand ein großes Bild angebracht ist. Unter dem Rahmen gibt es ein kleines Schild, auf dem der Titel des Bildes steht. Er lautet „Das einsame Mädchen“.

In der Mitte des Bildes sitzt eine junge Frau auf dem Boden. Sie hat ihre Knie bis zu den Schultern angezogen und die Arme um ihre Beine geschlungen. Ihr Kopf berührt mit der Stirn die Knie, sodass man das Gesicht nicht erkennen kann. Als einziges Kleidungsstück trägt die Frau ein dunkles, weites Hemd, das ihr bis zu den Unterschenkeln reicht.

Ihre Unterarme, Hände und Füße sind sehr zartgliedrig. Die ganze Gestalt wirkt zerbrechlich, obwohl sie sich unter dem Hemd versteckt. Das Haar der jungen Frau wirkt stumpf und leblos, so als hätte es keine wirkliche Farbe.

Wenn man Hände und Unterarme genauer betrachtet, stellt man fest, dass die Haut der Frau schlecht durchblutet ist und dass die ganze Gestalt friert, obgleich im oberen Bereich des Bildes die Sonne scheint.

Doch von der Sonne ist die Frau wie abgeschnitten. Um ihre Person herum gibt es einen grauen Schleier, der sie wie eine Glasglocke von der Außenwelt isoliert.

Unter dem grauen Dunst bewegen sich kreisförmig spitze schwarze Pfeile. Das sind die Gedanken der Frau, die stets um dasselbe Thema kreisen und sie nicht loslassen.

Außerhalb des grauen Schleiers ist das Bild hell. Die Sonne scheint aus dem oberen Drittel herunter. Einige Schäfchenwolken betupfen den blauen Himmel, unter dem das Leben stattfindet. Menschen lachen miteinander. Essen zusammen. Umarmen sich. Streiten sich. Freuen sich. Arbeiten, tanzen und faulenzen.

Doch die junge Frau unter dem Schleier kann die anderen Menschen nicht vollständig wahrnehmen. Das Zischen der schwarzen Pfeile um sie herum ist so dominant, dass sie kaum registriert, was sie verpasst. Früher hatte sie sehr wohl den Wunsch in sich verspürt, ebenso zu lachen, sich zu freuen und zu lieben. Doch jetzt ist er in weite Ferne gerückt, ist kaum noch spürbar. Die schwarzen Gedankenspeere vertreiben erfolgreich jeden Eindringling.

Auf der linken Seite des Bildes sind zwei Hände zu sehen, die sich der Frau helfend entgegenstrecken. Aber sie reagiert nicht darauf. Ihre eigenen Arme und Hände braucht sie, um sich zu wärmen und abzugrenzen.

Rechts im Bild steht ein Tablett, liebevoll zubereitet mit köstlichsten Speisen: duftendes Brot, leckerer Käse, Fisch und Fleisch, Kuchen und Eis. Auch hierauf reagiert sie nicht.

Die Gedankenspeere flüstern ihr ein, stark zu bleiben, sich nicht einzulassen auf gefährliche Versuchungen. Sich nicht auf eine Stufe zu stellen mit all den armen Schwachen um sie herum. Stärke bedeutet Widerstehen. Stärke bedeutet Disziplin. Nichts ist so wichtig, wie die Kontrolle zu behalten, Oberhand zu bewahren über den Körper mit seinen jämmerlichen Bedürfnissen. Kontrolle ist alles. Gefühle sind etwas Bedrohliches. Sie bringen selten etwas Gutes. Am besten man hungert alles weg: die Empfindungen und Bedürfnisse, jede körperliche Unförmigkeit sowieso und vor allem das Gefühl der Schwäche. Dann kann nichts passieren. Dann geht man auf Nummer sicher. Fängt man einmal mit dem Schwachwerden an, läuft alles aus dem Ruder. Also Haltung bewahren und nichts essen, spüren und fühlen!

Im Gesicht der jungen Frau sind plötzlich Tränen. Sie kullern die Wangen herunter und ihr dunkles Hemd wird ganz nass. Sie hebt den Kopf und sieht den Betrachter des Bildes an. Es ist, als weine ein kleines Kind. Ein verletztes kleines Mädchen, das die ganze Zeit darauf gewartet hat, dass jemand vor dem Bild stehen bleibt und es versteht.

Den Bann der Krankheit zu brechen ist unsagbar schwer.

Doch tief im Innern gibt es in uns allen die Verbindung zum Leben.

Das Leben ist machtvoller, heller und größer als der dunkelste Bann.

Es ist möglich zu heilen und wieder ins Leben zurückzukehren.

Daran zu glauben und zu versuchen dem Leben wieder zu vertrauen, kann der erste Schritt auf dem Weg zur Heilung sein.

1.2 Merkmale der Krankheit

Die Merkmale einer Magersucht sind ausgesprochen vielschichtig und äußern sich nicht ausschließlich körperlich, sondern umfassen auch das Denken und Fühlen sowie das Verhalten der Betroffenen. Ein gewisses Untergewicht zu haben heißt noch nicht zwingend, dass eine Person wirklich magersüchtig ist. Um von Magersucht sprechen zu können, müssen mehrere der im Folgenden genannten typischen Merkmale gleichzeitig erfüllt sein.

Körperliche Merkmale

Starkes Untergewicht; der Body-Mass-Index (BMI) liegt bei Frauen unter 17,5 und bei Männern unter 18,5.

Schlechte Durchblutung führt zu kalten Händen und Füßen und zu einer verstärk­ten Kälteempfindlichkeit insgesamt. Die Betroffenen frieren leicht.

Langsamer Puls und erniedrigter Blutdruck; zuweilen kommt es zu Ohnmachtsanfällen.

Schlafstörungen (vor allem Durchschlafschwierigkeiten)

Bei Frauen: Aussetzen der Regelblutung

Trockene Haut und trockene Kopfhaare, bis hin zu verstärktem Haarverlust

Gefühl der Reizüberflutung, verstärkte Geräusch- und Lichtempfindlichkeit

Nachlassen des sexuellen Interesses

Merkmale in Bezug auf die Gedanken- und Gefühlswelt

Angst vor Gewichtszunahme und vor Kontrollverlust über die Nahrungsaufnahme

Gewichtsabnahme vermittelt ein Gefühl der Stärke und des Sieges; verstärkte Verknüpfung von Selbstwertgefühl mit dem eigenen Körpergewicht.

Körperschemastörung: Betroffene haben eine gestörte Wahrnehmung ihres Körpers; empfinden sich als zu dick, selbst wenn sie vollkommen abgemagert sind; schätzen ihren Körperumfang falsch ein.

Stimmungsschwankungen, Gereiztheit und / oder depressive Verstimmungen

Zwanghafte Fixierung auf das Essen und auf das Gewicht; ständiges Kalorienzählen, Vermeiden von fetthaltigen Nahrungsmitteln, Lesen von Diätratgebern u.Ä., permanente gedankliche Beschäftigung mit den Themen Essen und Gewicht

Schuldgefühle z.B. nach Heißhungerattacken

Merkmale in Bezug auf das Verhalten und auf das Verhältnis zur Umwelt

Zwanghafte Ritualisierung der Nahrungsaufnahme. Beispielsweise wird nur zu bestimmten Uhrzeiten bzw. Tageszeiten gegessen oder nur bestimmte Lebensmittel, nur bestimmte Lebensmittelkombinationen usw.

Permanente Gewichtskontrolle (tägliches Wiegen)

Sozialer Rückzug; soziale Kontakte beschränken sich auf das Notwendigste

Vermeiden von Situationen, in denen man essen „muss“, wie z.B. Einladungen, Restaurantbesuche usw.

Vermeiden gemeinsamer Nahrungsaufnahme. Betroffene können nicht gut im Beisein anderer Menschen essen.

Soweit das noch möglich ist: Ständige Betriebsamkeit, indem man z.B. über Sport bzw. körperliche Aktivitäten (z.B. sinnloses Treppensteigen) versucht, an Gewicht zu verlieren.

Paralleles Auftreten anderer Zwangshandlungen, z.B. übertriebener Ordnungssinn und andere Kontrollzwänge

1.3 Mögliche Ursachen von Magersucht

Magersucht ist, wie eingangs erwähnt, eine sehr komplexe Erkrankung, die sich sowohl auf körperlicher Ebene als auch im seelischen Bereich manifestiert und auswirkt. Ebenso vielfältig wie das Krankheitsbild sind auch die Theorien, die über die Ursachen aufgestellt und diskutiert wurden und werden. Manche Theorien gehen von medizinischen Ursachen aus, wie z.B. von einer genetischen Prädisposition oder biochemischen Fehlsteuerungsprozessen im Gehirn. Andere hingegen halten eher soziokulturelle Faktoren als ausschlaggebend, wie z.B. das Streben nach den gängigen gesellschaftlichen Schönheitsidealen, den Erziehungsstil der Eltern oder traumatische Erfahrungen, wie beispielsweise sexuellen Missbrauch. Die eine und eindeutige Ursache für das Ausbilden einer Magersucht gibt es aber anscheinend nicht. Wahrscheinlicher ist bei einer so komplexen psychosomatischen Erkrankung ein jeweils sehr individuelles und vielschichtiges Bündel von Ursachen. Nicht jedes sexuell missbrauchte Mädchen wird zwangsläufig magersüchtig. Nicht jede Frau, deren Mutter oder Schwester an Essstörungen leidet, bildet ebenfalls eine Essstörung aus.

Ich bin während meiner Recherche über die Erkrankung auf eine sehr interessante Definition gestoßen. Das folgende Zitat stammt aus einer Informationsbroschüre der Parkland-Klinik in Bad Wildungen-Reinhardshausen. Diese Klinik ist eine Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie und hat u.a. eine Fachabteilung für Ess­störungen.

„Nach unserem Verständnis ist eine Essstörung Ausdruck und Lösungsversuch seelischer Konflikte, die aus früheren Erfahrungen herrühren und durch Lebensveränderungen aktualisiert werden. Oft kommt es durch diese Veränderungen zu nachhaltigen und tief gehenden Erschütterungen des Selbstwertgefühls. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten lässt nach und der Wunsch nach Hilfe und Beistand wächst. Nicht selten hat sich ein Gefühl der Ohnmacht und des Versagens entwickelt, weshalb Hilfsangebote anzunehmen auch schwerfallen kann. Ziel unseres störungsspezifischen Ansatzes ist es, den Patientinnen zu einem besseren Verständnis ihrer selbst zu verhelfen.“