Natürlich altern! - Dietrich Grönemeyer - E-Book

Natürlich altern! E-Book

Dietrich Grönemeyer

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Beschreibung

Richtig gut älter werden!

Für den renommierten Arzt und Beststellerautor Prof. Dietrich Grönemeyer bedeutet das Streben nach einem langen Leben nicht Anti Aging mit Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, sondern:
ein natürliches Altern mit einem bewussten Lebensstil, mit angemessener Bewegung, gesundem Essen, guten sozialen Kontakten und einer aktiven Geisteshaltung, die immer neugierig bleibt.

„60 Prozent können wir beim Thema Longevity mit unserem Verhalten beeinflussen“, so Prof. Dietrich Grönemeyer.

Wie auch neueste Studien zum Alter zeigen: Schon kleine Änderungen im Lebensstil reichen aus, um gesund zu altern und länger zu leben. Bei 50-jährigen Frauen verlängert sich demnach die Lebenserwartung um 18,9 Jahre, bei gleichaltrigen Männern sogar um 21,3 Jahre.

Und weiter: Nur zu etwa 10 Prozent trägt die Medizin zur Erhaltung unserer Gesundheit bei. Zu 30 Prozent ist die Genetik mit verantwortlich. Dietrich Grönemeyer ist es ein besonderes Anliegen den Menschen Wege zu zeigen, wie sie lebensverlängernde Maßnahmen ganz einfach selbst durchführen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 315

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer

Natürlich altern!

Fit bis 100 mit der Grönemeyer-Formel

Impressum

1. Auflage, 2025

by Südwest Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Hinweis

Die Ratschläge/Informationen in diesem Buch sind von Autor und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft, dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Bei medizinischen Fragen sollte immer eine Ärztin oder ein Arzt konsultiert werden.

Projektleitung: Dr. Harald Kämmerer

Konzeption und Redaktion: Anne Jacoby, Frankfurt a. M.

Umschlaggestaltung: OH, JA, München

Layout, Satz, Illustration: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling/Kim Winzen

Herstellung: Timo Wenda

Bildnachweis:

Porträtfotos und Coverbild von Prof. Grönemeyer: Christian Martin Weiss, München

ISBN: 978-3-641-33798-8V001

Inhalt

Mehr Leben in die Jahre bringen!

TEIL I Wie alt wir werden, ist offen. Wie wir alt werden, ist Haltung.

Was heißt »natürlich altern«?

Biologie des Alterns: Warum altern wir überhaupt?

Psychologie des Alterns: Kann man Lebensjahre fühlen?

Soziales Umfeld: Ohne Freunde und Familie taugt das Alter nicht

Longevity: lange leben um jeden Preis?

TEIL II Natürlich altern von Kopf bis Fuß. Eine kleine Baustellenbesichtigung.

Hier knirscht was. Na und?

Knochen und Gelenke

Muskeln

Herz-Kreislauf

Gehirn und Nerven

Magen und Darm

Sexualität und Fruchtbarkeit

Schönheit

Von allen Sinnen

Wie wir altern, liegt (fast) nicht an den Genen. Es liegt am Leben.

TEIL III Gesund? Natürlich! Die Formel für ein fittes Alter

Turne bis zur Urne! Bewegung ist der erste Schlüssel zur Langlebigkeit

Schwimmen: Wasser macht Glücksgefühle!

Kraft und Kardiotraining halten fit bis 100

Tai Chi: Training kann auch langsam sein

Genuss muss! Gesund und lecker essen und trinken – der zweite Schlüssel zur Langlebigkeit

Von wegen »dick« – was sich wirklich verändert

Kohlenhydrate: Die Evolution lief ohne Gummibärchen

Fette in der richtigen Balance

Aminosäuren: Ohne Eiweiß läuft gar nichts

Fastenzeiten und Flüssigkeiten: was wir sonst noch wissen sollten

Gemeinschaft! Zusammensein – der dritte Schlüssel zur Langlebigkeit

Entscheidend ist das Gemeinschaftsgefühl (nicht die Zahl der Gäste)

Gemeinsam Sachen machen

Immer mit der Ruhe! Entspannung – der vierte Schlüssel zur Langlebigkeit

Wohltemperierte Entspannung

Genuss mit Haken

Unter freiem Himmel klart die Seele auf

Schlaf gut! – Heilschlaf – der fünfte Schlüssel zur Langlebigkeit

Einfach besser schlafen (ist leicht gesagt …)

Das Lebenselixier? Liebe!

ANHANG Frisch und knackig von A bis Z

Dankeschön!

Register

Quellen

Solange ich atme, hoffe ich,

solange ich hoffe, liebe ich,

solange ich liebe, lebe ich.

Cicero

Mehr Leben in die Jahre bringen!

Fit bis 100 – das bedeutet für mich, fit und guter Dinge zu sein vom ersten bis zum letzten Lebenstag. So wie die alte Dame, die mich kurz vor ihrem 111. Geburtstag anrief und fröhlich rief: »Jüngchen, beeil dich mal mit dem Interview-Termin! Wer weiß, wie lange ich noch lebe!« Kurz nach unserem Gespräch ist sie gestorben. Ja, natürlich war ich darüber traurig. Aber diese Lebensfreude, diese Verschmitztheit, diese leise Bissigkeit, die man einer Hundertzehnjährigen liebend gern verzeiht – das alles hat sie für mich zum Vorbild gemacht. 100 Jahre oder älter werden? Am liebsten genau so …

Wenn ich über »natürlich altern« nachdenke, wenn ich dazu forsche, dann geht es mir ausdrücklich nicht um das Modewort »Longevity«. Die neuesten technischen Möglichkeiten, das Leben mit Infusionen und Nahrungsergänzungsmitteln, mit Apps, Biohacks und Was-es-nicht-alles-gibt zu verlängern, das mag beeindruckend sein – aber mich selbst beeindruckt das nicht sehr. Ich habe nicht das Ziel, dem Leben auf Biegen und Brechen mehr Tage abzuringen. Es geht mir darum, möglichst viel Leben in unsere Tage zu bringen. Mit 60, 80 und auch mit 100. Natürlich!

Mir geht es um ein wohlbefindliches, ein gesundes Leben, das man auch zum Ende hin noch positiv gestalten kann. Seien es die Beziehungen zu Freunden, in der Partnerschaft, zu den Kindern und Enkeln. Sei es, dass wir lange das tun, was uns wichtig ist – ja, dass wir weiterarbeiten, so wie es uns möglich ist. Wie der Saxophonist Marshall Allen, der mit 100 Jahren sein erstes Debütalbum eingespielt hat: »New Dawn« heißt es – »neuer Morgen«. Wie Thi Ba Nguyen, einer vietnamesische Köchin aus dem österreichischen Graz, die mit 83 Jahren vom Restaurantführer Gault & Millau 2025 mit einer Haube ausgezeichnet worden ist. Wie die »Turn-Oma« Johanna Quaas, die ihren letzten Wettkampf mit 92 Jahren bestritt. Wie das? »Immer bewegen und dabei Spaß haben. Alles essen, aber in Maßen.«[1] Klingt machbar. Oder?

Was mich fasziniert, sind weniger die Ausnahmetalente, weniger die Medaillen. Es geht mir vielmehr um die lebenslustigen Alten, die auf der japanischen Insel Okinawa Gemüse verkaufen. Es geht mir um diejenigen, die mit Anfang 100 immer noch Beiträge schreiben, die immer noch Kinder hüten und Domino spielen. Voller Lebensfreude. Das fasziniert mich.

Wohlbefindlich zu sein ist ein Seinszustand, wie Jungsein ein Geisteszustand ist. Sich gut und wohl in »seiner Haut« zu fühlen, hat wenig mit Faltenfreiheit oder Fitnessrekorden zu tun. Sondern das steht für die großartige menschliche Fähigkeit, sich in seinem Körper, in seinem Leben wohlzufühlen, in sich selbst zu Hause zu fühlen – unabhängig vom biologischen Alter. Deshalb heißt natürlich altern für mich:

Nicht gegen das Leben zu arbeiten, sondern mit ihm zu gehen. Es genießen und auch schwere Zeiten als Teil eines erfüllten Lebens zu begreifen.Wandel zulassen – ohne sich selbst zu verlieren.

Ein Baum ist ein Baum und bleibt ein einzigartiger Baum. Im Herbst verliert er zwar seine Blätter, bleibt aber trotzdem derselbe Baum. Auf diese Art und Weise ist auch jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch in jeder Zelle immer in Veränderung, immer wieder neu und auf lange Sicht immer älter. Tag für Tag altern wir eben, Schicht um Schicht. Mit immer mehr Erinnerungen, Erfahrungen und auch Narben. Mit einer Tiefe und Einzigartigkeit, die weder ein Arzt noch ein »Jugendserum« verhindern kann. Zum Glück.

Das bedeutet für jeden von uns, Veränderungen an Körper und Seele als natürlichen Lauf des Lebens zu verstehen und anzunehmen, nicht passiv zu ertragen. Nein, wir müssen sie aktiv gestalten! Weitermachen! Das lässt uns mental jung bleiben und im besten Sinne altern.

Natürlich altern ist eine Geisteshaltung. Sie bedeutet, nicht so viel Wert auf die Zahl zu legen, die auf der Geburtstagstorte prangt (bei mir aktuell 73, ich wundere mich genauso wie Sie …). Sie bedeutet, nicht zu fragen: »Wie lange noch?« Sondern versuchen, mit Zuversicht im Jetzt zu leben. Selbst in den schwersten Momenten, von denen es bei mir und sicher auch bei Ihnen viele gab und gibt.

Natürlich altern heißt für mich: immer mehr gewinnen. Immer mehr Tiefe an Bewusstsein, Verbundenheit und Gelassenheit, immer mehr Wissen, beschwingte Fröhlichkeit und Dankbarkeit. Sich nicht mit dem bloßen Da-Sein und Durchhalten begnügen, sondern bewusst und intensiv leben, ohne Angst; das Leben bis in die versteckteste Zelle fühlen, bis hinein in die letzte Lebenssekunde.

Natürlich altern steht für einen sanften, wertschätzenden und liebevollen Umgang mit sich selbst. Es heißt, auf den eigenen Körper zu hören, ihn zu pflegen und ihm die Check-ups zu gönnen, die ihn beim natürlichen Altern unterstützen. Und es heißt, ihm einen Bund mit fünf Schlüsseln zu gönnen, die ihn fit halten können bis 100:

Turne bis zur Urne! Bewegung hält Körper und Kopf in SchwungGenuss muss! Lecker und gesund kochen, essen und trinkenGemeinschaft! Zusammensein stärkt, tröstet und belebtImmer mit der Ruhe! Wer entspannt und lacht, lebt leichterSchlaf gut! Besser schlafen und viel länger gesund bleiben

Das ist meine vorläufige Lebensessenz mit 73 Jahren. Ich freue mich sehr, sie jetzt mit Ihnen zu teilen – und bin gespannt, was mir bis 111 noch einfällt.

Mit herzlichem GLÜCK AUF!

Ihr

Prof. Dr. med. Dietrich Grönemeyer

Weitere Informationen zu meinen Themen, Terminen und zu mir

dietrich-groenemeyer.com

www.groenemeyerinstitut.de

TEIL I Wie alt wir werden, ist offen. Wie wir alt werden, ist Haltung.

© Shutterstock (Michal Tomes)

Was heißt »natürlich altern«?

Wir hatten den Tipp von Freunden bekommen: Irgendwo tief in Norwegens Wäldern sollte jemand leben, der mit bloßen Händen Boote baut. Wikingerboote. Aus einem einzigen Stamm. Wie vor tausend Jahren. Nach Stunden auf Schotterwegen zwischen Fichten, Kiefern und Moos fanden wir eine kleine Werft, kaum mehr als eine Hütte. Und da stand er: groß wie ein Hüne, graues Haar, breites Grinsen, wettergegerbte Haut. Mit der einen Hand schwang er einen alten Hammer, mit der anderen hielt er einen Meißel. Schlag um Schlag legte er ein Boot aus dem riesigen Holzstamm frei. So, als hätte es schon immer in diesem Stamm geschlummert, versteckt unter der Rinde. Überall lagen Späne, es roch intensiv nach frischem Holz.

Der Mann begrüßte uns erfreut, er bekam selten Besuch. Begeistert zeigte er uns sein Boot, sprach über die alte Kultur der Wikinger, wie sie aufgebrochen waren aus den Urwäldern Norwegens, um übers Meer zu fahren. »Ich baue diese Boote, weil ich zu dieser alten Kultur gehöre«, sagte er. »Und ich baue sie immer weiter, damit diese Kultur eine Zukunft hat.« Er schaute mich lange an. Seine stechend blauen Augen faszinierten mich, flößten mir aber auch Respekt ein. »Was glaubst du, wie alt ich bin?«, wollte er von mir wissen. »Ende fünfzig?«, schätzte ich. »Vielleicht Anfang sechzig?« Er schmunzelte, wischte sich die Späne von der Stirn und schaute mich wieder lange an. »Zweiundneunzig bin ich.«

Zweiundneunzig – und so lebendig, so kraftvoll, wie ich es selten bei einem Menschen erlebt habe. Vielleicht war es die frische Luft und die viele körperliche Arbeit. Vielleicht die alten Geschichten, die er mit seinen Booten verband. Vielleicht auch die Gelassenheit, mit der er die unwichtigen Dinge des Lebens fallen ließ wie seine Sägespäne.

Ich war damals erst vierundzwanzig.

Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl:

wie wunderbar, dass ich lebe!

Ich fühlte eine tiefe Dankbarkeit. Aber ich staunte auch: Was für ein Zufall, das ausgerechnet ich hier und heute lebe! Und in diesem Moment verstand ich außerdem etwas, das in meinem Medizinstudium gar nicht vorgekommen war: dass Gesundheit viel mehr ist als Blutwerte im Normbereich, funktionierende Organe und keine Rückenschmerzen. Dass es eine Würde gibt, eine tiefe Lebensfreude, die nichts mit Alter zu tun haben – sondern mit Hingabe.

Ich kam verändert aus Norwegen zurück und mit einer Idee: Ich will so lange wie möglich leben, so intensiv wie möglich und dabei so gesund wie möglich. Gern bis 100 oder mehr! Und ich will mit allen meinen Möglichkeiten anderen Menschen helfen, dass auch sie wohlbefindlich leben, aktiv, ohne Schmerzen, vielleicht sogar mit diesem tiefen Leuchten in den Augen, das ich mitten im norwegischen Wald zum ersten Mal gesehen habe. Und das ich nie vergessen werde.

© Shutterstock (Ljupco Smokovski)

»Jugend ist kein Lebensabschnitt, sondern ein Geisteszustand« …

… diesen Satz habe ich von Albert Schweitzer gelernt. Das Lebensalter, das wir erreichen, ist immer auch eine Frage des Zufalls. Glückssache. Was wir aus unserer Lebenszeit machen – das ist eine Frage der inneren Haltung. So gern wäre ich einmal nach Lambaréné gereist, um Fragen wie diese mit dem Friedensnobelpreisträger persönlich zu diskutieren. Aber dafür wurde ich zu spät geboren. Dennoch war Albert Schweitzer für mich schon als Schüler eine Leitfigur: Arzt, Musiker, Denker, jemand, der die Welt verändert hat. Sein Begriff der »Ehrfurcht vor dem Leben« hat mich immer begleitet. Seine Haltung, die den Menschen ernst nimmt. Jeden Menschen, ob krank oder gesund, ob jung oder alt.

Vielleicht ist es diese »Ehrfurcht«, die mich das Altern nicht als Verfall sehen lässt, sondern als wichtigen Teil und Ausdruck des Lebens. Natürlich alt werden heißt deshalb für mich: jede Lebensphase als das Geschenk nehmen, was sie ist. Jede Falte, ob sie nun vom Lachen kommt oder von den Sorgen. Jede Erfahrung, ob sie nun freudig war oder bitter. Wach bleiben. Das Leben feiern, wie es eben kommt. Nicht aufhören zu staunen. Nicht aufhören, dankbar zu sein.

Wir wollen alt werden, aber nicht alt sein

»Natürlich altern« klingt wie das Natürlichste, das Normalste der Welt. Es stimmt ja auch: Es ist eine ganz natürliche Sache, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, die im Prinzip alle aus den gleichen Bauteilen bestehen – Zellen –, dass bei diesen hochkomplexen Organismen irgendwann der Zeitpunkt kommt, an dem die Zellen nicht mehr mit der Aufgabe hinterherkommen, sich selbst aufzuräumen. Und dann passiert es eben: Das viele Lachen hat kleine Linien ins Gesicht gegraben, die nicht mehr weggehen. Das viele Tragen hat die Knie verschleißt oder den Rücken. Und dort, wo vielleicht einmal eine dichte Lockenmähne prangte, sitzt ein Hut, und unter dem ist nichts. Das alles ist Altern. Das alles ist ganz natürlich. Das alles finden wir beeindruckend und fast schon exotisch, wenn es um neunzigjährige Wikinger geht oder hundertjährige Marktfrauen im japanischen Okinawa. Aber wenn es um uns selbst geht? Nein, dann denken wir doch lieber nicht ans Alter.

Die meisten Menschen wollen sehr alt werden – aber stellen sich die hochbetagte Version ihrer selbst genauso vor, wie sie jetzt sind, nur mit mehr Kerzen auf der Geburtstagstorte. Immer noch faltenfrei, immer noch fit und sportlich. Machen es uns die Promis nicht vor? Castingshow-Moderatorin Heidi Klum prangt als Bademoden-Model auf den Litfaßsäulen – mit Anfang fünfzig. Sängerin Mariah Carey sagte 56-jährig in einem Interview, dass sie den Lauf der Zeit nicht anerkenne. »Ich glaube einfach nicht daran.«[2] Altern? Kennt sie nicht. Wirklich nicht?

Altern ist keine Krankheit …

Die Idee, dass man nicht nur schön, sondern auch unbedingt jung aussehen will – höchstens dreißig und das für immer –, ist eine Idee unserer Zeit. Und dass es beim alt Aussehen gar nicht mehr ums Alter geht, sondern um die falsche Beauty-Routine, zu wenig Training oder mangelnde Disziplin – also: selbst schuld –, ist ebenfalls ein neuer Gedanke. Paradoxerweise wirken Botox-Gesichter, aufgepolsterte Wangen und übertrainierte Körper am Ende selten »natürlich«, sondern bestenfalls »gemacht«. Manchmal auch gruselig. Wie sind wir zu diesem schiefen Blick auf das Alter gekommen?

Mit dem Aufstieg der klassischen Schulmedizin änderte sich das Bild des alternden Menschen. Altern galt nicht mehr als Teil einer natürlichen, einer normalen Entwicklung, sondern bekam klinische Etiketten: Muskelschwund, Herzschwäche, Alzheimer-Demenz. Man sah nicht mehr den Menschen, der 80, 90 oder 100 Jahre Leben gemeistert hatte, sondern Organe im Rückbau. Einen Sanierungsfall. Jedenfalls reparaturbedürftig. Im 19. und 20. Jahrhundert wurde Alter umdefiniert zur Krankheit. Und so ist es bis heute: Als Papst Franziskus am Ostermorgen 2025 starb, meldeten die Nachrichten, er sei »an den Folgen eines Schlaganfalls« gestorben. Mit 88 Jahren. Die Meldung »Er war alt und ist gestorben« scheint uns nicht präzise genug. Oder macht uns dieser Umstand Angst?

… und vor allem keine »Schuld«

Ab Mitte des 20. Jahrhunderts veränderte sich die Medizin. Risikofaktoren rückten in den Fokus, und es wurde immer deutlicher, dass chronische Erkrankungen häufig auf unsere eigenen Verhaltensweisen zurückzuführen sind: Rauchen, zu viel ungesundes Essen, zu wenig Bewegung. Prävention wurde zum neuen Schlagwort, Rehabilitation und Lebensstilmedizin zur Hoffnung. Passend zum Pop-Hit des Jahres 1984, »Forever Young« von Alphaville, folgte ein neues Idealbild, das nicht weniger starr war als das frühere Defizitmodell – nur eben jetzt in die entgegengesetzte Richtung wies: nie mehr krank sein, nicht mehr altern. Die eigene Gesundheit wurde zum Ergebnis des richtigen Lebensstils erklärt, letztendlich also zu einer Frage der Disziplin. Wer trotzdem krank wurde, wer trotzdem alt aussah, hatte sich nicht genug angestrengt, hatte nicht genug in sich selbst investiert. Kurz: selbst schuld.

Verstehen Sie mich bitte richtig: Es ist unbestritten, dass Sie länger gesund und fit bleiben, wenn Sie gesund essen, sich mit Bewegung fit halten, wenn Sie genug schlafen. Prävention hilft. Ganz klar. Aber: Wer Gesundheit, wer Altern, wer Leben nur unter dem Aspekt der Machbarkeit sieht, der verliert vielleicht den Blick für die Einzigartigkeit jedes Menschen – jenseits medizinischer Messdaten. Er verliert den Blick für die Vielfalt dessen, was Altern bedeuten kann – und für seine Schönheit.

Für eine humane Medizin, die den ganzen Menschen sieht

Während auf TikTok, Instagram und Co. der Hashtag #antiaging über vier Milliarden Aufrufe verzeichnet und sich junge Menschen ganz aufgeregt über »Beauty-Routines« austauschen, mit denen man mit zwanzig schon verhindern will, mit dreißig (!) alt auszusehen, hat sich das Fach Medizin (von der Longevity-Szene weitgehend unbemerkt) in eine humanere Richtung weiterentwickelt: Jedes Lebensalter, so hat man erkannt, verfügt über eigene Kompetenzen, eigene Ressourcen, darf den eigenen Anforderungen genügen – und nur diesen. Ein Siebzigjähriger muss seine Fitness nicht mit einem Teenie messen und der Teenie seine Weisheit auch nicht mit der von Alten. Die biopsychosozialeMedizin ist eine humane Medizin. Sie schaut den Menschen ganz an. Es sind drei Perspektiven, die für die Gesundheit und das Altern des Menschen entscheidend sind:

Biologie: Sie schaut auf den Körper als komplexes biologisches System: seine Gene, Hormone, Zellen und Organe, seine Fitness und Nährstoffversorgung, seine Schmerzen und Selbstheilungskräfte.Psychologie: Sie fragt nach inneren Zuständen: Gefühle und Gedanken, Sinnerleben und Freude, Stress und Ängste, Traumata und Depression, Erwartungen und Energie.Soziales Umfeld: Jeder Mensch ist eingebettet in Familien- oder Freundeskreise, in Arbeitswelten und Nachbarschaften. Sind die Menschen im Umfeld feindselig oder sind alle Kontakte abgebrochen, kann das krank machen. Ist ein Mensch eingebettet in ein gutes soziales Umfeld, kann es sehr heilsam sein.

© Shutterstock (GPPets)

Sehr alt werden? So »natürlich« ist das gar nicht

Was wir uns oft nicht bewusst machen: Die Phase des Alterns beginnt bereits im Mutterleib. Bereits mit Anfang zwanzig nimmt die Fruchtbarkeit langsam ab. Erste Falten, graue Haare und knirschende Knie machen sich spätestens zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr bemerkbar, oft sogar schon früher. Mit 50 versteckt sich der Sixpack gerne unter Speckpölsterchen. Zwischen 60 und 70 fällt es der Leber zunehmend schwer, Glukose zu verstoffwechseln, und es werden weniger Geschlechtshormone ausgeschüttet. Beides führt dazu, dass wir uns schlapper fühlen. »Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hochkommt, so sind’s achtzig Jahre.« So steht es schon in der Bibel. Dass wir 90 oder sogar 100 Jahre alt werden, ist nicht »natürlich«. Heute leben fast 27 000 Hundertjährige allein in Deutschland – so viele wie noch nie.[3]

Über weite Strecken der Menschheitsgeschichte und bis heute in weniger wohlhabenden Ländern bringt nicht das Alter den Tod – sondern Viren wie die Pest, Corona, Ebola oder HIV, Parasiten wie Malaria, Bakterien wie Tuberkulose oder Salmonellen, Würmer oder Pilze fordern bis heute Millionen von Leben, oft schon im Baby- oder Kindesalter. Erst seitdem Menschen so alt werden, leiden überhaupt so viele an Krankheiten, die keine Infektionen sind: Bluthochdruck, Diabetes, Demenz, Krebs. Hauptursache dieser Krankheiten sind ein ungesunder Lebensstil mit zu viel Essen, Nikotin, Alkohol und zu wenig Bewegung, eine ungesunde Welt mit zu viel Hitze, Staub, Gift und zu wenig Grün. Und eben: das Alter.

Wir werden immer älter

Die Lebenserwartung in Deutschland ist enorm gestiegen:

Zwischen dem späten 19. Jahrhundert und der Mitte des 20. Jahrhunderts gewannen Männer im Durchschnitt 29 Jahre dazu, Frauen sogar 30.Seit 1950 stieg die Lebenserwartung weiter: um rund 14 Jahre bei Männern und 15 Jahre bei Frauen.Im Jahr 2020 konnten Männer davon ausgehen, 78,5 Jahre alt zu werden, Frauen 83,4 Jahre.

Biologie des Alterns: Warum altern wir überhaupt?

Schauen Sie sich Ihre Hand an. Ganz nah. Was Sie sehen, ist Haut – vielleicht ein paar Altersflecken, feine Adern unter der Oberfläche, Sehnen und auf jedem Fingergelenk ein kleines Archiv aus Falten. Könnten Sie immer weiter heranzoomen, würden Sie schließlich bei Ihren Zellen landen, wo alles beginnt.

Stellen Sie sich diese Zellen vor wie winzige Räume, dicht an dicht gebaut. Ein ausgewachsener Mann besteht aus rund 40 Billionen dieser Zellen, eine Frau aus etwa 30 Billionen. Das ist etwa 400 Mal mehr, als unsere Milchstraße Sterne hat. Schwer vorstellbar – und das sind nur die körpereigenen Zellen. Hinzu kommen 30 bis 40 Billionen Mikroben, die ebenfalls unseren Organismus bevölkern. Aber um die geht es hier nicht. Zellen sind erstaunlich unterschiedlich: Hautzellen haben andere Aufgaben und eine andere Form als Gehirnzellen, und Nervenzellen funktionieren wieder ganz anders. Doch der Grundaufbau ist bei allen gleich.

Wenn die Zellen müde werden

Eine Zellmembran schützt den Innenraum wie eine flexible Außenwand. In diesem befindet sich das Zytoplasma, die Arbeitsfläche mit all den kleinen Maschinen, Transportwegen und Energiekraftwerken. Und mittendrin: der Zellkern. Hier liegt der Bauplan, der Code für alle Proteine, die der Körper in seinen Zellen bildet, um zu wachsen, zu leben und sich selbst zu reparieren. Es sind die Gene, die DNA, eng aufgerollt, sicher verpackt und mit »epigenetischen« An- und Ausschaltern gespickt. Wer das Altern verstehen will, muss genau hierhin schauen. Denn Altern beginnt nicht mit grauen Haaren, Falten und Rückenschmerzen, sondern in den Billionen winziger Zellen. Bei jedem Lebewesen.

Zellen altern wie Zimmer in alten Häusern. Mit der Zeit werden sie baufällig. Das Aufräumen funktioniert nicht mehr so gut, die kleinen Kraftwerke im Inneren beginnen zu stottern. Bei der Zellteilung schleichen sich Fehler ein. Die Reparaturmechanismen lassen nach und die Selbstverjüngung stockt. Die Zellen werden müde. Und wir auch.

© Shutterstock (Pavlo Loushkin)

Altern ist Entropie

Es ist ein physikalisches Grundprinzip: Jede Ordnung zerfällt mit der Zeit in Unordnung. Dass auch der menschliche Körper irgendwann verfällt, ist demnach kein Wunder, denn seine Zellen geraten allmählich in Chaos. So will es das Gesetz der Entropie.

Erstaunlich ist vielmehr, wie lange lebende Organismen diesem Zerfall trotzen können. Mithilfe ihres Stoffwechsels stellen sie immer wieder Ordnung her und halten ihre Strukturen stabil – zumindest eine Zeit lang. Der Physiker Erwin Schrödinger schrieb voller Staunen, dass es Lebewesen gegen das Gesetz der Physik gelingt, »aus Ordnung wiederum Ordnung zu schaffen«. Und doch steuern auch Lebewesen unweigerlich auf jenen Zustand maximaler Unordnung zu, den wir Tod nennen.[4]

© Shutterstock (PY-HY)

Zellen von langlebigen Menschen sind Super-Aufräumer

Wie schnell das geht, ist sehr unterschiedlich. Eine Eintagsfliege lebt nur wenige Stunden – gerade lang genug, um sich fortzupflanzen. Der Grönlandhai wird erst mit 150 Jahren geschlechtsreif und kann vermutlich 400, vielleicht sogar 500 Jahre alt werden. Auch beim Menschen zeigen sich Unterschiede: In manchen Familien sterben die Menschen nach einer kurzen Lebensspanne, andere gelten als »langlebig«. Wie lang diese Lebensspanne ist, das ist nicht nur, aber auch eine Frage der Gene.

Ausflug nach Köln: Hier arbeitet Eline Slagboom, Professorin für Molekulare Epidemiologie am Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns. Seit dem Jahr 2002 untersucht sie Geschwister, die 89 Jahre oder älter sind, sowie deren Kinder, Enkel, Urenkel – und Kontrollpersonen. Ihr Ziel: herauszufinden, was Menschen biologisch langlebig macht. Zu diesem Zweck untersucht sie Blutwerte, Genetik (also die DNA) und Epigenetik (die An- und Ausschalter, die auf der DNA sitzen), Stoffwechseldaten wie den Blutzucker, außerdem Hautzellen, Blutzellen und Stammzellen. Und dabei hat sie eine spannende Beobachtung gemacht:

»Wenn man Zellen von Menschen aus diesen langlebigen Familien im Labor mit schädlichen Substanzen behandelt«, erklärt Slagboom, »beseitigen sie diese Schäden an der Erbsubstanz und an Proteinen viel schneller als Zellen von Menschen aus anderen Familien. Zellen von langlebigen Personen sind demnach gut im Aufräumen.«[5]

Das bedeutet: Die Zellen erkennen beschädigte DNA-Stränge oder verklumpte, fehlerhafte Eiweiße und starten gezielte Reparaturprozesse. Spezielle Enzyme flicken die defekte DNA, während andere Proteine dafür sorgen, dass verklumpte Eiweiße oder beschädigte Zellorganellen – zum Beispiel ganze Zellkraftwerke (die Mitochondrien) – in recycelbare Einzelteile zerlegt und aus der Zelle abtransportiert werden. Das schützt die Zelle vor Krankheiten. Manche Menschen profitieren also von Genen, in denen der Bauplan für einen »Putzdienst« der Extraklasse hinterlegt ist – und das ist der Grund, warum sie besonders alt werden. Ungerecht? Ja!

Aber: Der Mensch ist ein Produkt der Evolution – also Biologie. Und anders als Mathematik oder Teile der Physik ist Biologie sehr komplex und dabei ziemlich unordentlich. Was unsere Gene also nicht mitbringen, können wir über Umwege trotzdem bekommen. Wir können unsere Zellputztruppen selbst anfeuern – mit gesundem Essen, viel Bewegung und gutem Schlaf, mit ausreichend Erholung, Lachen und Lebensfreude.

Wie sich unsere Zellen selbst recyceln

Wenn die Selbstheilungs- und Selbstreinigungsprogramme nicht mehr funktionieren, haben unsere Zellen die Fähigkeit, sich selbst zu zerstören.

Apoptose ist so etwas wie der kontrollierte und freiwillige Rücktritt einer Zelle. Wenn sie merkt, dass sie nicht mehr richtig funktioniert oder alt geworden ist, schrumpft sie zusammen, verpackt ihre Bestandteile in kleine Bläschen. Diese apoptotischen Körperchen werden dann sauber von anderen Zellen eingesammelt und recycelt.Die Nekrose ist ein Notfallprogramm, etwa nach einer Verletzung, Vergiftung oder extremen Belastung. Die Zelle schwillt an, sie platzt – und ihr Inhalt ergießt sich ins umliegende Gewebe. Das ist, als würde ein kleines Haus explodieren: Überall liegt Sperrmüll, das Immunsystem schlägt Alarm, und weil es für diese Art von Zelltrümmern kein Mehrwegsystem im Körper gibt, kommt es zu Entzündungen.

Wenn die Abwehr schwächelt

Im Alter wird die Immunabwehr langsamer, ein bisschen unkoordiniert. Alte oder geschädigte Zellen, die früher direkt entsorgt und recycelt wurden, bleiben liegen, gammeln vor sich hin.

So kommt es zu einer chronischen, unterschwelligen Entzündung, genannt »Inflammaging«. Ein Kofferwort aus Entzündung (Inflammation) und Alter (age), erfunden von einem italienischen Immunologen namens Claudio Franceschi.[6] Der konnte zeigen, dass bestimmte Entzündungsstoffe – wie Interleukin-6 oder CRP – bei älteren Menschen dauerhaft leicht erhöht sind. Nicht so hoch wie bei einem gefährlichen Infekt. Aber permanent aktiv, was für den Körper heißt: Dauerstress. Die Folge:

Die Blutgefäße stehen unter Dauerbeschuss. Ihre Innenwand wird rauer, es bilden sich kleine Verletzungen. Es lagern sich Fette ein, es kommt leichter zu Verkalkungen – das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall steigt.

Die Leber hat zu kämpfen. Es gelingt ihr nicht mehr, die Fetttropfen aus Avocado oder Currywurst zu verstoffwechseln. Schon melden die Zellen: Energie fehlt! Also sucht sich der Körper eine Ersatzquelle. Und die findet er – leider – oft in den Muskeln. Die werden nach und nach abgebaut. Das ist einer der Gründe, warum ältere Menschen an Muskelmasse verlieren und irgendwann wacklig auf den Beinen stehen.

Der Zuckerstoffwechsel wird träger. Normalerweise sorgt der Körper dafür, dass der Blutzuckerspiegel in einem engen Rahmen bleibt. Dafür braucht es Insulin – das wird zwar noch produziert, wirkt aber nicht mehr so gut. Die Zuckerwerte schwanken stärker, was auf Dauer die Blutgefäße schädigt und das Risiko für Diabetes erhöht.

All das gehört zum Inflammaging-Komplex und spielt eine Rolle bei vielen Krankheiten, die man im Alter lieber nicht hätte: Herzprobleme, Diabetes, Alzheimer, Osteoporose, Krebs. Kann man da gar nichts tun? Doch!

Bitte mehr spazieren, mehr Fisch und mehr ausschlafen

Bewegung hilft. Schon regelmäßiges Gehen, Dehnen und leichtes Krafttraining. Dazu: viel Gemüse essen, Olivenöl, Fisch, wenig Zucker, wenig Fleisch, das senkt die Entzündungswerte. Und, keine Überraschung: weniger Stress, mehr Schlaf, ein moderates Körpergewicht. Das alles ist bekannt, was aber oft unterschätzt wird: Jedes Quäntchen, was Sie für sich tun, auch das kleinste, wirkt. (Wir kommen in Teil III darauf zurück).

Und noch ein interessanter Befund aus dem Labor von Eline Slagboom, der niederländischen Altersforscherin, der wir schon begegnet sind: Menschen aus langlebigen Familien haben ein Immunsystem, das nur tut, was unbedingt nötig ist – nicht mehr. Keine überschießende Reaktion.

Das scheint ein Vorteil für ein langes Leben zu sein. Warum? »Starke Immunreaktionen führen dazu, dass Zellen, in denen fremde Erbsubstanz auftaucht, abgetötet werden«, erklärt Slagboom.[7]

So verlieren wir immer mehr Zellen, die Regenerationsfähigkeit wird immer schwächer. Während der Corona-Epidemie war das überschießende Immunsystem bei älteren Menschen ein Riesenproblem – es war ein Grund dafür, dass diejenigen von ihnen verstorben sind, die vorher nicht genug für ihre Gesundheit getan hatten. Oder einfach leider nicht das Glück hatten, Spross einer Langlebigkeits-Familie zu sein.

Warum alte Gene kürzer werden

Zoomen wir gemeinsam noch ein Stückchen tiefer – hinein in das Herz der Zelle, dorthin, wo unser Erbgut liegt. Stellen Sie sich eine aufgewickelte Strickleiter vor, bei der jede Sprosse eine Code-Zeile darstellt. Diese Strickleiter heißt DNA (Desoxyribonukleinsäure). Sie enthält die Bauanleitung für den gesamten menschlichen Körper. Weil diese Strickleiter sehr lang ist und sich leicht verheddert, muss sie ordentlich aufgewickelt und verpackt werden – dabei hat sich eine X-Form bewährt. Diese perfekt zu einem X aufgewickelten Strickleitern heißen Chromosomen. Jede menschliche Zelle enthält 46 solcher Chromosomen, die jeweils aus vielen Tausend Strickleitersprossen, also kleinen Abschnitten, bestehen. Diese sagen dem Körper, wie er Proteine bauen und sich entwickeln soll.

Bereits in den 1970er-Jahren fiel der US-amerikanischen Molekularbiologin Elizabeth Blackburn und ihren Kollegen etwas Erstaunliches auf: Jedes Chromosom hat vier Endstücke, die Telomere genannt werden. Sie sehen aus wie die kleinen Plastikkappen an Schnürsenkeln und haben eine ähnliche Funktion: Sie schützen die DNA davor, auszufransen und beschädigt zu werden. Und, Überraschung, sie werden bei jeder Zellteilung ein bisschen kleiner. Denn jedes Mal, wenn sich eine Zelle teilt, muss sie ihr Erbgut – also ihre DNA – vollständig verdoppeln. Aber die zelleigene Kopiermaschine kann die DNA nicht ganz bis zum äußersten Rand abschreiben – es bleibt immer ein kleiner Rest übrig, der verloren geht.

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Irgendwann sind die Telomere so kurz, dass sie ihre Schutzfunktion verlieren. Die Zelle versteht die offenen Chromosomen-Enden als schweren DNA-Schaden und geht vorsichtshalber in eine Art Ruhezustand (in der Fachsprache: zelluläre Seneszenz) oder zerstört sich kontrolliert selbst (durch Apoptose). Je älter wir werden, desto weniger Zellen haben wir also, die sich selbst aufräumen, die sich teilen und die uns jung halten. Und das spüren wir ganz konkret:

Die Haut heilt langsamer.Das Immunsystem wird schwächer.Die Organe verlieren nach und nach ihre Leistungsfähigkeit.

Elizabeth Blackburn fragte sich natürlich, ob man den Chromosomen ihre Schutzkappen auch wieder zurückgeben kann. Und sie fand tatsächlich ein Enzym – Telomerase –, das Telomere verlängert.

Für die Forschung waren das wichtige Meilensteine, und Blackburn und ihre Kollegen bekamen dafür 2009 den Nobelpreis. Doch wie bei Grundlagenforschung so oft, ist der praktische Nutzen übersichtlich: Telomerlängen lassen sich nur schwer vermessen, sie können in der Hautzelle eines Menschen ganz anders aussehen als in seiner Leber, und sie verändern sich so wenig und so langsam, dass man mit ihnen kaum Studien zum Effekt von Lebensstiländerungen machen kann. Deshalb fahnden Forschungsteams nach weiteren Biomarkern, mit denen Ärztinnen und Ärzte arbeiten können – um Menschen zu helfen, gesünder alt zu werden.

Meilensteine der Alternsforschung

Wie und warum wir altern, beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrzehnten – einige Theorien gelten bis heute als wegweisend.

Freie-Radikale-Theorie (1956): Der US-amerikanische Wissenschaftler Denham Harman beobachtete, dass freie Radikale Zellschäden verursachen und Alterungsprozesse beschleunigen. Seine Theorie ist bis heute Grundlage vieler Forschungsansätze zu oxidativem Stress und Antioxidantien.Hayflick-Limit (1961): Der Zellbiologe Leonard Hayflick fand heraus, dass menschliche Zellen nur eine begrenzte Anzahl von Teilungen durchlaufen können, bevor sie in ein Stadium eintreten, in dem sie sich nicht mehr teilen können – die sogenannte zelluläre Seneszenz. Seine Arbeit gilt als wichtiges Fundament der modernen zellulären Alternsforschung.

Auf der Suche nach der Alters-Uhr

Wenn sich an den Genen selbst nicht »schrauben« lässt, um gesünder zu altern, dann vielleicht an der Epigenetik? Also an diesen winzigen chemischen Markierungen, die sich wie Post-its auf die DNA setzen und bestimmten Genen signalisieren, ob sie aktiv sein sollen oder nicht? Dieser Frage ging der Genetiker Steve Horvath schon vor mehr als zehn Jahren nach: Lässt sich biologisches Alter messen – genauer als mit dem bloßen Blick auf den Kalender?

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353 Stellen im Gen-Code sagen, wie alt du bist

Horvath analysierte 7800 Proben menschlicher Zellen. Sein Interesse galt dabei sogenannten Methylgruppen – kleinen Molekülen, die sich an die DNA heften und wie eine Art Ein- oder Ausschalter für Gene wirken. Diese Methylierung verändert nicht den genetischen Code selbst, aber sie beeinflusst, wie stark ein Gen abgelesen wird – also wie aktiv oder still es bleibt. Dann kam der entscheidende Schritt: Horvath speiste die Methylierungsdaten zusammen mit dem tatsächlichen Alter der Personen in eine KI ein, die nach Mustern suchen sollte. Heraus kam eine Art molekularer Fingerabdruck des Alterns: 353 Stellen im Erbgut, deren Methylierungsgrad direkt mit dem Lebensalter zusammenhing.

Auf dieser Basis entwickelte Horvath einen Test, der das biologische Alter eines Menschen recht präzise ermitteln konnte. Also genau das, was man den Menschen auch einfach direkt fragen könnte. Die eigentlich spannenden Fragen – Wie lange bleibt ein Mensch gesund? Wie lange wird ein Mensch voraussichtlich leben? –, diese Fragen ließen sich an Horvarths Alters-Uhr nicht ablesen. Seit Horvaths Durchbruch wurden noch viele epigenetische Uhren gesucht und gefunden. Sie gehen um bis zu neun Jahre falsch.[8] Das darf man gerne im Hinterkopf behalten, wenn TV-Star Kim Kardashian (43) in einer Show kreischend das Testergebnis ihres »biologischen Alters« enthüllt (34).[9]

14 Blutwerte sagen, wie lang wir noch leben können

Lange Zeit suchte Eline Slagboom – wie viele andere auch – nach Langlebigkeits-Genen. Sie untersuchte Tausende DNA-Proben von Hochbetagten und fand kein Altersgen. Es gab keins. Also änderte Slagboom die Suchstrategie. Statt in den Zellen zu kramen, im Erbgut, untersuchte sie Blut. Vielleicht ließen sich hier Biomarker finden, die Auskunft geben konnten über das biologische Alter des Menschen? Über seine verbleibende Lebenszeit? Unabhängig von Alter, Geschlecht oder Vorerkrankungen? Wenn sich so etwas überhaupt finden ließ, dann nur in einer sehr, sehr großen Stichprobe.

Also trommelte Slagboom ihr Team zusammen und analysierte über 44 000 Blutproben von Erwachsenen zwischen 18 und 109 Jahren – aus zwölf internationalen Studien, deren Teilnehmer bis zu 16 Jahre lang beobachtet wurden. Und wurde fündig.[10] 14 Werte ermittelte sie, an denen sich die Lebenserwartung eines Menschen klar ablesen ließ, acht davon findet sie selbst besonders aufschlussreich:

»Hohe Werte der Aminosäuren Histidin, Leucin und Valin oder des sogenannten guten Cholesterins HDL verringern das Sterberisiko.Dagegen sind bei Blutzucker,Milchsäure oder den Aminosäuren Isoleucin und Phenylalaninniedrige Werte günstig für die Lebenserwartung.«[11]

Anders als die Telomer-Theorie und Horvaths Alters-Uhr lässt sich aus Slagbooms 14 Werten ein konkreter Hinweis ablesen, wo im Körper etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist – und wie sich das durch Ernährung, Bewegung oder gezielte Therapie beeinflussen lässt. Was Slagboom im Sinn hat, ist ein kleiner Stupser: »Schau her, dein Profil sieht so aus. Du könntest deine Lebensspanne verlängern, wenn du deinen Lebensstil änderst. Wenn du zum Beispiel mehr Proteine zu dir nehmen würdest, weil deine Muskeln schwach werden.«[12]

Das biologische Alter zeigt sich im Blut

Eline Slagboom hat 14 Blutwerte gefunden, die genau zeigen, wie es dem Körper geht – unabhängig vom Alter auf dem Ausweis. Die allermeisten dieser Stoffe lassen sich durch Bewegung, gute Ernährung und weniger Stress positiv beeinflussen.

Diese Werte sollten möglichst hoch sein:

GutesCholesterin (S-HDL-L): Diese Form des HDL-Cholesterins hilft, überschüssiges Fett aus dem Blut zu entfernen. Je mehr davon, desto besser für Herz und Gefäße.Histidin: Diese Aminosäure unterstützt das Immunsystem und wirkt antioxidativ. Wer genug davon hat, scheint besser gegen Zellstress gewappnet zu sein.Leucin: Leucin hilft dem Körper, Muskeln aufzubauen und zu erhalten. Das wird im Alter besonders wichtig – denn wer Muskeln verliert, verliert auch Gesundheit.Valin: Auch Valin sorgt dafür, dass unsere Zellen genug Energie haben. Ein gesunder Stoffwechsel braucht diese Aminosäure als Treibstoff.

Diese Werte sollten möglichst niedrig sein:

Blutzucker (Glukose): zu viel Zucker im Blut? Das ist oft der Anfang von Problemen wie Diabetes, Entzündungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.Milchsäure (Laktat): Normal beim Sport – aber erhöht im Ruhezustand, kann Laktat ein Warnzeichen für gestörte Energieverarbeitung sein.Isoleucin: Diese Aminosäure ist an sich nützlich – aber zu viel davon kann auf eine Insulinresistenz oder einen überlasteten Stoffwechsel hinweisen.Phenylalanin: In Maßen gesund, doch in hoher Konzentration zeigt Phenylalanin, dass der Körper beim Eiweißabbau überfordert ist. Oft ein Warnzeichen für Stoffwechselprobleme.

Moderate Werte sind bei diesen Stoffen wichtig:

GroßeFetttransporter (XXL-VLDL-L): Diese winzigen Fettpakete helfen, Energie im Körper zu verteilen. Wer sie in einem guten Maß im Blut hat, scheint einen gesunden Fettstoffwechsel zu haben.Fetttröpfchen (VLDL-D): Wie groß die Fettpartikel im Blut sind, sagt viel über den Zustand des Stoffwechsels aus. Kleinere Größen deuten oft auf ein geringeres Risiko für Krankheiten hin.Gute Fettsäuren im richtigen Verhältnis (PUFA/FA): Mehrfach ungesättigte Fettsäuren – wie sie in Nüssen, Fisch oder pflanzlichen Ölen vorkommen – wirken entzündungshemmend und schützen das Herz.Albumin: Albumin ist ein echtes Multitalent im Blut: Es transportiert Nährstoffe, bindet Wasser, wirkt antioxidativ. Ein stabiler Albuminwert steht für körperliche Robustheit.Acetoacetat: Dieser Stoff entsteht, wenn der Körper in den »Notmodus« geht – etwa bei Hunger oder gestörter Zuckeraufnahme. Dann verbrennt er Fett, was nicht immer gut ist.Entzündungsanzeiger GlycA: ein stiller Risikofaktor. Wenn GlycA im Blut erhöht ist, tobt irgendwo im Körper eine chronische Entzündung – oft unbemerkt, aber auf Dauer gefährlich.

Der Unterschied beträgt 14 Jahre

Nachdem sie die 14 entscheidenden Blutwerte gefunden hatte, wollte Eline Slagboom wissen, wie sie sich in der Praxis nutzen lassen. Also schickte sie Teilnehmer 13 Wochen lang durch ein Programm mit mehr Bewegung und weniger Kalorien. Um möglichst korrekte Werte zu bekommen, trugen die Teilnehmer Beschleunigungsmessgeräte entweder an der Hand oder am Fuß. Ergebnis: Eine Stunde Sport am Tag verbessert die Blutwerte signifikant. Und das auch bei Menschen, die ansonsten nur sitzen. Und auch bei Menschen über 60 oder 65 Jahren. Vor allem bei den Männern gingen Entzündungswerte zurück, das gute Cholesterin (HDL) stieg an. Warum nicht bei den Frauen? Weil die Studienteilnehmerinnen offenbar nicht die Zeit hatten, sich mit Sport auszupowern – sie bewegen sich eher zwischen Waschmaschine und Kinderspielplatz. Das ist zwar auch anstrengend, verlängert aber weniger das Leben. Ungerecht? Durchaus. Slagboom sagt: »Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Menschen, die gesund, und solchen, die ungesund leben, beträgt im Durchschnitt 14 Jahre.«[13]

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Psychologie des Alterns: Kann man Lebensjahre fühlen?

Wie alt wollen Sie werden, werde ich oft gefragt. Mal sage ich 100, mal sage ich 111. Für mich viel wichtiger als die Zahl: bei klarem Verstand und körperlicher Unversehrtheit. Ich habe es bei meinen beiden Eltern ja erlebt, bei meiner Großmutter und bei meiner Tante, also viermal hautnah erlebt, was Demenz bedeutet. Dass das eben auch passieren kann: schreien, Angst haben, um sich schlagen. Schmerzen, die sich kaum finden und behandeln lassen. Es war schlimm, vier Mal war es schlimm, und es hat mich demütig gemacht. Alter bedeutet eben nicht nur Weisheit und Gelassenheit. Es kann auch das genaue Gegenteil heißen: geistiger Verfall, Orientierungslosigkeit, Depression, sogar Wahn. Wie geht man damit um?