Neglect und assoziierte Störungen - Georg Kerkhoff - E-Book

Neglect und assoziierte Störungen E-Book

Georg Kerkhoff

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Beschreibung

Bei einem Neglect scheint für den Patienten die der Hirnschädigung gegenüberliegende Raum- und Körperhälfte plötzlich nicht mehr zu existieren. Er sieht, hört und fühlt auf dieser Seite nichts mehr, obwohl seine Sinnesorgane intakt sind. Eine Behandlung ist dringend notwendig, wird aber dadurch erschwert, dass die Patienten ihre eigene Krankheit nicht wahrnehmen. In der vorliegenden Neuauflage sind zahlreiche neue Erkenntnisse zu den Grundlagen des Neglects und der assoziierten "Satellitensymptome" (Extinktion, Posturale Störungen, mangelnde Krankheitseinsicht) verständlich und praxisnah dargestellt. Die diagnostischen Verfahren werden anschaulich beschrieben – zahlreiche neue Assessments wurden hinzugefügt. Ebenso werden zahlreiche neue Therapieverfahren dargestellt. Fotos der konkreten Behandlungssettings erleichtern die Durchführung der Therapien in der Klinik, Praxis oder ambulant in anderen Settings. Angaben zur Wirksamkeit der Behandlungen entsprechend den Leitlinien erleichtern die Auswahl geeigneter Verfahren.

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Georg Kerkhoff

Lena Schmidt

Neglect und assoziierte Störungen

2., überarbeitete Auflage

Fortschritte der Neuropsychologie

Band 1

Neglect und assoziierte Störungen

Prof. Dr. Georg Kerkhoff, Dr. Lena Schmidt

Herausgeber der Reihe:

Dr. Angelika Thöne-Otto, Prof. Dr. Herta Flor, Prof. Dr. Siegfried Gauggel, Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Dr. Hendrik Niemann

Prof. Dr. Georg Kerkhoff, geb. 1960. 1979–1985 Studium der Psychologie in Bielefeld. 1989 Promotion. 1999 Habilitation. 1987–2003 klinische Tätigkeit als Neuropsychologe in München-Bogenhausen, ab 1993 in der Entwicklungsgruppe Klinische Neuropsychologie (EKN). 2003–2006 Lehrstuhl für Klinische Psychologie, Biologische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seit 2006 Professur für Klinische Neuropsychologie an der Universität des Saarlandes und Leiter der neuropsychologischen Universitätsambulanz. 2008–2010 Geschäftsführender Professor der Fachrichtung Psychologie. Forschungsschwerpunkte: zerebrale Sehstörungen, neurovisuelle Therapieverfahren, evidenzbasierte Therapie.

Dr. Lena Schmidt, geb. 1986. 2006–2011 Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Klinische Neuropsychologie und Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität des Saarlandes. 2014 Promotion. Seit 2014 Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin in Verhaltenstherapie am SIAP in Saarbrücken. Arbeitsschwerpunkte: Neurorehabilitation, Neglect.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

2., überarbeitete Auflage 2018

© 2004 und 2018 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2854-3; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2854-4)

ISBN 978-3-8017-2854-0

http://doi.org/10.1026/02854-000

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Anmerkung:

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Danksagung zur 2. Auflage

1 Beschreibung der Störung

1.1 Erscheinungsbild

1.1.1 Visueller Neglect

1.1.2 Akustischer Neglect

1.1.3 Olfaktorischer Neglect

1.1.4 Body-Neglect

1.1.5 Körperbezogene und motorische Neglectformen

1.1.6 Neglect in der Vorstellung

1.1.7 Neglectdyslexie

1.1.8 Raumsektoren und entsprechende Alltagsprobleme

1.1.9 Extinktion

1.1.10 Assoziierte Beeinträchtigungen

1.1.11 Posturale Imbalance und Pushersymptomatik

1.1.12 Unawareness (Anosognosie)

1.2 Inzidenz, Ätiologie, Neuroanatomie, Lateralität

1.2.1 Neglect, Extinktion und Unawareness

1.2.2 Pushersymptomatik (PS) und Posturale Imbalance (PI)

1.2.3 Körperbezogene Neglectsymptome

1.2.4 Unawareness für Hemiparese und Hemianopsie

2 Erklärungsmodelle

2.1 Neglect

2.2 Extinktion

2.3 Posturale Störungen

2.3.1 Posturale Imbalance (PI)

2.3.2 Pushersymptomatik (PS)

2.4 Körperbezogene Neglectsymptome

2.5 (Un)Awareness

3 Diagnostik

3.1 Testverfahren

3.1.1 Testbatterien

3.1.2 Screeningtests

3.1.3 Tests für körperbezogene Neglectstörungen

3.2 Fremdbeurteilungsverfahren

3.3 Differenzialdiagnostik zu elementaren Störungen

3.3.1 Hemianopsie versus visueller Hemineglect

3.3.2 Hemianästhesie versus somatosensibler Neglect

3.3.3 Unilaterale Hörstörung versus akustischer Neglect

3.3.4 Hemiparese versus motorischer Neglect

3.4 Posturale Imbalance vs. Pushersymptomatik

3.4.1 Beurteilungsskalen

3.4.2 Screeningverfahren

3.4.3 Quantitative Verfahren

3.5 Körperbezogene Neglectstörungen

3.6 Unawareness

3.6.1 Unawareness der Hemiparese

3.6.2 Unawareness des Gesichtsfeldausfalles

3.6.3 Unawareness räumlicher Störungen

3.7 Restneglect und Restextinktion

3.8 Fahrtauglichkeit

4 Behandlung von Neglect und assoziierten Störungen

4.1 Grundlagen der Behandlung

4.1.1 Kurzzeitige Modulation

4.1.2 Ziel der Therapie

4.1.3 Auswahl des Behandlungsverfahrens

4.1.4 Wirksamkeit

4.1.5 Tipps für Pflegepersonal und Angehörige in der Akut- und Frühphase

4.2 Beschreibung der einzelnen Therapieverfahren

4.2.1 Optokinetische Stimulationstherapie mit aktiven Blickfolgebewegungen (OKS)

4.2.2 Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS) und Thetaburst-Stimulation

4.2.3 Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS)

4.2.4 Galvanisch Vestibuläre Stimulation (GVS)

4.2.5 Nackenmuskelvibration, Vibration vernachlässigter Körperteile

4.2.6 Visuomotorische Prismenadaptation

4.2.7 Visuelles Explorationstraining

4.2.8 Spiegeltherapie

4.2.9 Hemibrillen

4.2.10 Medikamente

4.2.11 Extinktionsbehandlung

4.2.12 Behandlung räumlicher Störungen

4.2.13 Behandlung der Neglectdyslexie

4.2.14 Behandlung der körperbezogenen Störungen

4.2.15 Verbesserung der Awareness

4.2.16 Posturale Störungen

4.2.17 Kombinationstherapien

4.2.18 Alltagsnahe Therapieelemente

4.3 Fazit

5 Weiterführende Literatur

6 Literatur

7 Anhang

Dokumentation von Herstellern, Geräten, Software, Tests, Fragebögen

Catherine Bergego Skala (CBS)

Motor Neglect Alltags-Rating (Kerkhoff, 2017)

Postural Assessment Scale for Stroke Patients

Standardisierte Pusher Skala

Untersuchungsbogen zur Erfassung der Unawareness für den vernachlässigten Arm (Schmidt et al., 2013a)

Glossar

Karte

Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen

|1|Vorwort und Danksagung zur 2. Auflage

Etwa ein Drittel aller Menschen, die einen Schlaganfall der rechten Gehirnhälfte erleiden, kämpfen mit den Folgen eines Neglects und den vielfältigen assoziierten Störungen. Die Häufigkeit entsprechender Beeinträchtigungen steigt aufgrund der höheren Lebenserwartung und dadurch höheren Schlaganfallinzidenz über 65 Jahre weiter an. Diese Zahlen verdeutlichen die klinische und praktische Relevanz dieser Krankheit. In die vorliegende Neuauflage des Neglectbuches aus dem Jahre 2004 haben wir deshalb zahlreiche neue Therapiemethoden, hilfreiche und praktikable neue Assessments und Wissenswertes aus der klinischen Forschung einfließen lassen, um die Behandlungsmöglichkeiten für Therapeuten und Patienten noch wirksamer und vielfältiger zu gestalten.

Auch diesmal haben viele „Helferinnen“ zum Gelingen des Werkes beigetragen! Wir möchten hier insbesondere Frau Mara Schultens danken, die sich für zahlreiche Fotos zur Verfügung gestellt hat. Frau Lara Borúnda Vacquez und Frau Mara Schultens haben Vorversionen des endgültigen Manuskriptes kritisch korrekturgelesen und viele Verbesserungsvorschläge beigesteuert. Ebenso haben zwei Herausgeber hilfreiches Feedback zur Neuauflage gegeben.

Wir wünschen allen Lesern, dass sie die gleiche Faszination bei der Beschäftigung mit diesem spannenden Gebiet erleben und hoffentlich möglichst viel von diesem Buch profitieren und diese Erkenntnisse den Betroffenen zugutekommen.

Saarbrücken, im Juli 2017

Georg Kerkhoff und Lena Schmidt

|3|1 Beschreibung der Störung

1.1 Erscheinungsbild

Neglect, Hemineglect oder halbseitige Aufmerksamkeitsstörung bezeichnet die Nichtbeachtung von Reizen in der der geschädigten Gehirnhälfte gegenüberliegenden (= kontraläsionalen) Raum- oder Körperhälfte, sowie den verminderten Einsatz der Extremitäten dieser Körperhälfte. Ein Neglect kann in allen Sinneskanälen wie etwa dem Sehen, Hören, Fühlen und Riechen auftreten, sich in der räumlichen Vorstellung (repräsentational) oder bei Bewegungen des Armes oder Beines auswirken (motorischer Neglect; s. Kasten 1). Voraussetzung für die Diagnose Neglect ist, dass eine primäre sensorische Beeinträchtigung (Hemianopsie, Hemianästhesie, periphere Hörstörung) oder ein motorisches Defizit (Hemiparese) als alleinige Erklärung für das festgestellte Defizit ausgeschlossen werden kann, wobei diese Beeinträchtigungen häufig komorbid auftreten. Der Neglect ist eine gravierende neurologische Erkrankung, die mit einer fehlenden Krankheitseinsicht (Unawareness) der Patienten assoziiert ist, sowie mit vielfältigen Begleitstörungen, wie etwa nicht sichtbare körperbezogene Defizite. Patienten mit Neglect zeigen deutlich größere Läsionen (Kerkhoff, 2001) als solche ohne Neglect, und sie haben ein schlechteres Rehabilitationsergebnis als andere Patientengruppen. Sie bedürfen daher intensiver stationärer und anschließender ambulanter Rehabilitation (Katz, Hartman-Maeir, Ring & Soroker, 1999; Kerkhoff & Schenk, 2012).

1.1.1 Visueller Neglect

Patienten mit visuellem Neglect suchen überwiegend mit Augen- und Kopfbewegungen die intakte (ipsiläsionale) Seite ab, haben anfangs eine nach ipsiläsional verlagerte, subjektive Geradeausrichtung im Raum und lassen beim Lesen viele Worte auf der vernachlässigten Seite aus (Reinhart et al., 2011). Sie teilen Objekte häufig zu weit rechts, wenn die Aufgabe darin besteht sie zu halbieren (s. Abb. 1). Sie übersehen Objekte, Personen und Hindernisse auf der kontraläsionalen Seite oder reagieren zu spät auf sie. Ihr visueller Überblick ist deutlich reduziert, und sie beginnen ihre Suche nach einer Person oder einem Gegenstand spontan fast immer auf der ipsiläsionalen Seite. Hier suchen sie wiederholt die gleichen Raumbereiche perseveratorisch ab.

|4|

Abbildung 1: Visuelle Neglectsymptome. Ipsiläsional verschobene subjektive visuelle Mitte (beim Linienhalbieren) und auditive Mitte. Linksseitige Auslassungen beim visuellen Absuchen einer Szene mit 8 Menschen (der Patient beachtet nur die 2 Personen rechts), linksseitige Auslassungen und wortbezogene Fehler beim Textlesen (Neglectdyslexie) und Defizite beim Zeichnen eines Uhrenziffernblattes aus dem Gedächtnis.

Patienten mit Neglect werden von Reizen in ihrer ipsiläsionalen Raumhälfte scheinbar „magnetisch“ angezogen, so dass es ihnen schwerfällt, ihren Blick relevanten Dingen in der anderen Raumhälfte zuzuwenden. Beim Lesen von Schildern, Plänen oder großen Hinweistafeln übersehen sie oft den kontraläsionalen Teil. Hinweispfeile oder Zahlen werden besonders leicht übersehen, da hier die semantische Plausibilitätskontrolle fehlt. Neben den raumbezogenen Neglectphänomenen, die bestimmte Raumsektoren betreffen, gibt es auch objekt- oder wortbezogene Neglectphänomene, die jeweils die kontraläsionale Hälfte einzelner perzeptueller Objekte betreffen (ein Gesicht, eine Pflanze, ein Wort), und zwar unabhängig von deren Position im Raum. Dieser objekt- oder wortzentrierte Neglect ist seltener als der raumbezogene Neglect, beide Phänomene kommen aber oft gemeinsam vor (etwa beim Lesen, s. Abb. 1, rechts unten). Der Neglect betrifft jedoch nicht nur das Sehen, sondern auch alle anderen Sinnesmodalitäten (s. Kasten 1).

|5|Visuell:

Patient (Pt.) exploriert vorwiegend ipsiläsionalen Halbraum oder ipsiläsionale Körperhälfte. Verschobene Mitte beim Geradeausgehen/-fahren; kontraläsionale Auslassungen bei allen Alltagsleistungen. Probleme bei Blickkontakt.

Auditorisch:

Ipsiläsionale Abweichung der akustischen Geradeausrichtung. Fehlende Reaktion auf Ansprache oder Umgebungsgeräusche aus der kontraläsionalen Raumhälfte. Probleme in der Ortung bewegter Schallquellen.

Somatosensibel:

Pt. reagiert nicht auf Berührungs- oder Schmerzreize (kalt/heiß); eingeklemmte Finger im Rollstuhl oder in den Speichen des Rollstuhls.

Körperbezogen:

Pt. weiß nicht wo seine kontraläsionalen Gliedmaßen im Raum und zueinander stehen. Gestörter Lage-/Positionssinn („wo ist mein linker Arm/Fuß?“). Pt. vernachlässigt Körperpflege links (Rasieren, Schminken, Kämmen, Reinigen). Nichtbeachtung körpernaher Gegenstände (Schlüssel in Jacke, Feuerzeug, Smartphone, Münzen). Vernachlässigung von Essensresten im kontraläsionalen Mundraum.

Olfaktorisch:

Gerüche, die ausschließlich dem kontraläsionalen Nasenloch angeboten werden, werden ignoriert. Im Alltag kaum relevant, da sich Gerüche rasch in beiden Raumhälften verteilen und dann vom ipsiläsionalen Nasenloch wahrgenommen werden.

Motorisch:

Verminderter Gebrauch des kontraläsionalen Armes/Beines (nicht allein durch Parese verursacht). Arm schwingt beim Gehen nicht mit und wird bei beidhändigen Aktivitäten (Tablett halten) weniger eingesetzt. Kontraläsionaler Fuß steht oft falsch beim Aufstehen.

Repräsentational:

Pt. beschreibt kaum kontraläsionale Details aus einer vorgestellten Szene (eigenes Krankenzimmer, Zimmer in der eigenen Wohnung, Städte auf Landkarte).

Kasten 1:Zusammenfassung sensorischer, motorischer und repräsentationaler Neglectphänomene

|6|1.1.2 Akustischer Neglect

Während Umweltgeräusche oder Stimmen bei Gesunden eine Orientierungsreaktion der Augen, des Kopfes und des Oberkörpers zur Schallquelle hin auslösen, zeigen Patienten mit Neglect keine solche Reaktion oder wenden sich fälschlicherweise der gesunden (ipsiläsionalen) Seite zu (Allästhesie), obwohl sich die Schallquelle in der vernachlässigten Raumhälfte befindet. Diese Störung ist nicht nur auf die Lokalisation statischer Schallquellen begrenzt, sondern betrifft auch bewegte Schallquellen (z. B. ein Moped fährt von links nach rechts, ein Radfahrer kommt von links und klingelt). Auch ist es für die Betroffenen oft schwierig, den jeweiligen Gesprächspartner einer Gruppe von mehreren Menschen zu identifizieren und anzuschauen. Das subjektive Geradeausempfinden für akustische Reize ist nach ipsiläsional verschoben (Kerkhoff et al., 2012, 2013, 2014). Die genaue Lokalisation des Gehörten ist schwierig, besonders im vernachlässigten Halbraum und im Rückraum, aber auch partiell im intakten Halbraum. Nach parietalen Läsionen kommt es zu einer ipsiläsionalen Verdrehung des gesamten akustischen Raumes, nach Basalganglienläsionen dagegen eher zur akustischen Extinktion (Bellmann, Meuli & Clarke, 2001). Die akustische Ällästhesie (Patient wendet sich nach rechts, wenn Schallquelle von links kommt) findet sich ausschließlich nach rechtshemisphärischen Läsionen (Spierer et al., 2009).

1.1.3 Olfaktorischer Neglect

Der olfaktorische Neglect bezeichnet die Vernachlässigung von Gerüchen in einer Raumhälfte bei intaktem primärem Riechvermögen (d. h. es liegt keine Anosmie vor). Im Alltag spielt der olfaktorische Neglect eine untergeordnete Rolle, da sich Gerüche rasch verbreiten bzw. sehr schnell eine Habituation an Gerüche erfolgt. Experimentell lässt sich aber eine Vernachlässigung von Gerüchen nachweisen, die kontranasal dargeboten werden (also am Nasenloch, das gegenüber der geschädigten Hirnhemisphäre liegt). Interessanterweise ist die Vernachlässigung von Gerüchen, die experimentell links-nasal dargeboten wurden, am häufigsten, obwohl die Projektionsbahnen im olfaktorischen System zum Cortex hin ungekreuzt verlaufen.

1.1.4 Body-Neglect

Im Unterschied zur geringen Bedeutung des olfaktorischen Neglects ist der Body-Neglect für viele Alltagsbereiche relevant. Er liegt dann vor, wenn Patienten auf kontraläsionale Berührungsreize am eigenen Körper nicht reagieren, obwohl keine primäre Hemianästhesie der betroffenen Körperhälfte vor|7|liegt. Reaktionen auf schmerzhafte Berührungen bleiben oft aus (Beispiel: Patient fährt mit dem Rollstuhl links gegen einen Türrahmen oder eine Wand und klemmt sich das Bein ein). Gelegentlich wird auch der Ort der Berührung falsch zugeordnet. Oft werden Berührungen auf der kontraläsionalen Körperhälfte fälschlicherweise auf der ipsiläsionalen Seite lokalisiert (Allästhesie). Beim taktilen Explorieren mit der intakten Hand (im Dunkeln oder bei geschlossenen Augen) wird im kontraläsionalen Halbraum wenig, unsystematisch oder gar nicht gesucht, dafür im ipsiläsionalen Raumbereich oft wiederholt an den gleichen Orten. Zusammenfassend bezeichnen wir diese Phänomene als Body-Neglect (oder auch personalen Neglect), weil sie sich auf den eigenen Körper des Patienten und den Nah-/Greifraum beziehen (Glocker, Faber & Kerkhoff, 2008).

1.1.5 Körperbezogene und motorische Neglectformen

Zu den häufig mit Neglect assoziierten Beeinträchtigungen gehören auch körperbezogene Störungen (Schmidt et al., 2013a, b). Hierunter verstehen wir Störungen des Lagesinns (Propriozeption), der Kinästetik (Gefühl für die Bewegung der Gliedmaßen), die taktile Extinktion sowie den Bodyneglect (s. o.). Diese Phänomene haben in der Vergangenheit wenig Beachtung gefunden, da sie weniger offensichtlich und daher auch schwerer zu diagnostizieren sind als etwa die visuellen und motorischen Defizite. Dem gegenüber steht, dass die Patienten überwiegend die Folgen dieser nicht sichtbaren, körperbezogenen Einschränkungen beklagen (im Gegensatz zu den offensichtlichen visuellen oder motorischen Defiziten).