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Nervensägen, Nörgler, Quasselstrippen: Es gibt Menschen, die machen einem den (Berufs-)Alltag zur Qual – als Kollege, Kunde oder Geschäftspartner. Die schlechte Nachricht lautet, dass Sie andere Menschen nicht ändern können. Die gute: Dieser Ratgeber hilft Ihnen, mit schwierigen Zeitgenossen konstruktiv umzugehen und die eigenen Nerven zu schonen. Die Kommunikationsexpertin Meike Müller zeigt Ihnen, wie Sie Nervensägen zu einem Verhalten ermuntern, das eine stressfreie Zusammenarbeit möglich macht. Zahlreiche Übungen helfen Ihnen, die vorgestellten Ansätze und Methoden gleich auszuprobieren und zu trainieren. Vom Umgang mit Emotionen über die eigene Selbstbehauptung und Abgrenzung bis hin zu Deeskalationsstrategien und Vorbeugen von Konflikten – hier lernen Sie, mit Nervensägen erfolgreich umzugehen.
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Seitenzahl: 200
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Copyright: © 2016 Meike Müller Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
In der Kantine, mittags 12.30 Uhr. Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben sich das Mittagessen an der Selbstbedienungstheke schon geholt und lassen es sich schmecken. Die einen haben sich für Eintopf entschieden, die anderen für Gyros oder überbackenes Gemüseschnitzel mit Kartoffelgratin. Seitdem der neue Betreiber die Kantine übernommnen hat, ist die Belegschaft mit dem Speiseangebot ganz zufrieden. Die Laune ist gut, es wird gescherzt, man erzählt sich, was die Kunden heute so wollten. Und dann kommt Kollegin Zeisner. Zielstrebig steuert sie das Salatbuffet an, lädt ein paar Gurkenscheiben, Tomatenstücke, Karottenspalten, Salatblätter und Zwiebeln auf den Teller und kommt zurück an den Tisch. Sie starrt auf die Gerichte der anderen und legt los:„Ist das nicht ein bisschen schwer, bei diesem Wetter?“ „Nö, schmeckt gut“,antwortet die Runde.„Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, so Elke Zeisner.„Man sollte wirklich darauf achten, was man isst. Gerade, wo man heutzutage ja auch so viel über gesunde Ernährung weiß.“Rainer Kessler erzählt, dass er schon seit Stunden einen knurrenden Magen hat und es ihm nach etwas Herzhaftem gelüstete.„Also mir schmeckt’s wunderbar“, sagt Kollege Schmitt. Seine Vorgesetzte Yvonne Schneider stimmt ihm zu und meint, dass doch wohl jeder selber entscheiden kann, was er essen möchte.„Ja, essen möchte. Das ist ein gutes Stichwort“, schaltet sich wieder Elke Zeisner ein.„Das ist doch schlimm, dass man so etwas überhaupt essen möchte. Alle, denen es so geht, haben echt ein Problem. Die haben ihr Essverhalten nicht unter Kontrolle.“Die Kollegen werden langsam sauer:„Moment mal, was willst uns damit unterstellen?“,fragt Günter Schmitt nach. Elke Zeisner lässt sich nicht beirren:„Überhaupt ist mir aufgefallen, wie viele Leute zu Süchten neigen, auch bei uns im Haus, Leute, die völlig unkontrolliert leben.“Es folgt ein minutenlanger Vortrag über Disziplin, Gesundheit, bewusste Ernährung, Krankenkassenbeiträge, mangelnde Bewegung, Alkoholkonsum. Das ursprünglich nette Gespräch am Tisch verstummt, die einen schalten auf Durchzug, die anderen ereifern sich. Von wegen entspannte Mittagspause ...
Kennen Sie solche oder ähnliche Situationen, in denen Ihr Gegenüber Sie zur Weißglut treibt, unerträglich ist, immer und immer wieder die gleichen nervigen Eigenschaften an den Tag legt? Sie müssen an sich halten, um nicht loszubrüllen oder gar handgreiflich zu werden? Und sich fragen, wie Sie diese Nervensäge bloß in den Griffkriegen. Ja, wie nur?
Die schlechte Nachricht gleich vorweg: Sie können andere Menschen nicht ändern.„Na toll“, denken Sie jetzt womöglich,„heißt das etwa, dass ich mein Leben lang die Launen, unangenehmen Angewohnheiten oder gar bewussten Bosheiten meines Gegenübers ertragen muss?“Nein, ich kann Sie beruhigen: Sie können die Nervensäge zwar nicht umerziehen oder umkrempeln, aus einem introvertierten, muffeligen Einzelgänger werden Sie keinen offenen, unterhaltsamen Teamplayer machen. Eine erbenszählende Nörglerin werden auch Sie nicht ein eine schwärmerische „Ich-könnte-die ganze Welt-umarmen“-Anhängerin verwandeln. Aber - und das ist die gute Nachricht - Sie können ihn oder sie durch entsprechendes Verhalten Ihrerseits dazu anregen, sich für ein anderes Verhalten zu entscheiden und damit Schritt für Schritt die Zusammenarbeit für beide erträglich oder sogar gut gestalten.
Der Unterschied zur „Umerziehung“ liegt darin, dass der oder die andere selber entscheidet, ob er bzw. sie sich auch ändern möchte und vor allem wann. Wenn Sie es Ihrem Gegenüber durch Ihr Verhalten so schmackhaft wie möglich machen, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sich auch auf der anderen Seite eine deutliche Veränderung in Gang setzt.
Wenn ich später zu Empfehlungen für ein gutes Miteinander komme, könnte bei dem einen oder der anderen der Eindruck entstehen, als müsse man gaaaaaanz viel Verständnis für den anderen zeigen und eigene Gefühle von Frust, Ärger, Wut, Traurigkeit, Empörung etc. unterdrücken. Aber genau darum geht es nicht, oder um es mit dem Kommunikationspsychologen Friedemann Schulz von Thun auf eine sehr eingängige Formel zu bringen: „Gib dich nach außen hin nicht toleranter als du innerlich bist.“1
Die Grundsätze im Umgang miteinander zu beachten meint nicht, alles hinzunehmen, den Ärger herunterzuschlucken und womöglich das nervige Verhalten noch gutzuheißen, obwohl es einem total gegen den Strich geht. Es bedeutet vielmehr, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen und Worte zu finden, die auf Gehör stoßen. Worte, die es dem Gesprächspartner und der Gesprächspartnerin erleichtern, Sie überhaupt zu verstehen und mögliche Kritik anzunehmen – ohne Gesichtsverlust. Nur wenn das gelingt, gibt es Aussicht auf Erfolg, dass das Gegenüber bereit ist, das eigene Verhalten zu überdenken und sich künftig für ein anderes zu entscheiden. Wohlgemerkt – die Entscheidung liegt bei Ihrem Gegenüber. Nicht Sie krempeln ihn oder sie um, Sie helfen diesem Menschen im besten Falle, selbst einen neuen Weg zu wählen.
Apropos wählen: Je mehr Wahlmöglichkeiten Menschen haben, desto flexibler sind sie, desto freier auch – weil sie nicht nur reflexartig reagieren (müssen), sondern entscheiden können, welche Reaktion für welche Situation wohl am angemessensten wäre. Damit Ihre Wahlmöglichkeiten wachsen im Umgang mit schwierigen Menschen, biete ich Ihnen an, von verschiedenen Seiten die Herausforderung Nervensäge anzunehmen.
Nach ein paar grundsätzlichen Überlegungen zu der Frage, was schwierige Menschen überhaupt schwierig macht und warum Umerziehungsversuche sinnlos sind, habe ich folgendes Angebot für Sie: Richten Sie zunächst den Blick auf sich selbst. Im Kapitel „Der Blick nach innen – oder bei sich selbst beginnen“ gehe ich der Frage nach: Warum regt mich ein bestimmtes Verhalten eigentlich so auf? Ich beschreibe psychologische Phänomene wie Übertragung, Projektion und die Rolle unterdrückter Bedürfnisse. In den Ärger über andere mischt sich häufig ein Bedürfnis, das nicht erfüllt wurde: Immer dann, wenn wir uns über andere ärgern und wir das Gegenüber abstempeln als z. B. besserwisserisch, nörglerisch oder arrogant, sagen wir damit indirekt etwas über unsere Bedürfnisse aus.
Manchmal sind es auch die ein Leben lang „gepflegten“ Überzeugungen und Glaubenssätze, die den Ärger über das nervige Gegenüber anstacheln. Ich stelle Ihnen eine Methode vor, mit der Sie herausfinden können, ob der Ärger über die Nervensäge so etwas wie der Wink mit dem Zaunpfahl an Sie selbst ist, ja, eine Art Botschaft, doch mal die eigenen Überzeugungen und Glaubenssätze zu überdenken und ggf. durch neue, hilfreichere zu ersetzen.
Immer wieder stelle ich Ihnen in diesem Buch Übungen vor, mit Hilfe derer Sie an eigenen Beispielen die vorgestellten Ansätze ausprobieren bzw. vertiefen können.
Ich bin mir sicher, dass Sie auf diese Weise tiefer gehende Erfahrungen machen und nachhaltig von dem Wissen profitieren können.
Im Kapitel „Sich auf die Welt anderer einlassen oder: Die Landkarte ist nicht das Gebiet“ richtet sich der Blick auf das Gegenüber. Hier geht es darum zu erkennen, was ihn oder sie treibt – man könnte auch sagen, wie er oder sie „tickt“. Was steckt hinter den Aussagen, hinter dem nervenden Verhalten? Was ist die eigentliche Absicht? Will er oder sie mir damit möglicherweise etwas ganz anderes sagen? Dreh- und Angelpunkt ist es zu erkennen und zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt.
Konflikte sind immer dann vorprogrammiert, wenn wir anfangen, unsere Sichtweise für die einzig wahre zu halten. Die Basis für den gelungenen Umgang ist also die wertschätzende Haltung und der Respekt. Den erweisen Sie, indem Sie die Individualität und damit auch die Unterschiedlichkeit Ihres Gegenübers akzeptieren und sich die Mühe machen, genau hinzuhören, was er oder sie mit der nervigen Verhaltensweise über sich aussagt. Es gilt, das so genannte Selbstoffenbarungsohr zu spitzen.
Im Kapitel „Reden und zuhören oder: Die wichtigsten Kommunikationsregeln“ dreht sich alles darum, die richtigen Worte zu finden. Welche Reaktionen sind empfehlenswert? Womit mache ich die Sache womöglich noch schlimmer, als sie vorher war? Was sind Kommunikationsförderer? Welche Macht Sprache hat, ist vielen Menschen nicht klar. Man kann mit Wörtern motivieren, Kraft spenden, Mut machen, ein Wohlgefühl erzeugen. Man kann aber auch Menschen herunterziehen, demotivieren, in einen schlechten Zustand versetzen. Mit Sprache lässt sich die Welt in der von Ihnen gewünschten Richtung in Bewegung bringen. Daher gilt es, sich wohl zu überlegen, welche Worte Sie wählen, wenn Sie mit der Nervensäge das Gespräch suchen.
Um eine Typologie der häufigsten Nervensägen geht es im darauffolgenden Kapitel. Das Einordnen von Menschen in Schubladen ist problematisch, da Etikettierungen einem Menschen in seiner Gesamtheit nicht gerecht werden. Warum trotzdem diese Darstellung? Mein Ziel liegt nicht darin, Personen zu stereotypisieren, sondern das Zuordnen zu einem bestimmten Typus soll helfen, die Neigung des Gegenübers zu der einen oder anderen Verhaltensweise besser zu verstehen und daraus Schlüsse für die eigene Reaktion zu ziehen. Neben den auffälligsten Verhaltensmerkmalen beleuchte ich mögliche Hintergründe der störenden Verhaltensweisen. Ich beschreibe übliche und empfehlenswerte Reaktionen und biete Ihnen als „Bonustrack“ die Möglichkeit, am Ende jeder Beschreibung in einer 4-Schritte-Intervention zu prüfen, welche eigenen Anteile möglicherweise eine Rolle spielen, dass gerade Sie auf einen bestimmten Nervensägentyp so „anspringen“.
Mit dem letzten Kapitel können Sie sich verwöhnen. Hier dreht sich alles um Ihr „Zustandsmanagement oder: Die Reise zur eigenen Mitte“. Je ausgeglichener man selber ist, desto weniger können einem Störungen, schwierige Situationen oder Menschen anhaben. Lesen Sie und probieren Sie aus, was Sie für sich tun können, um gelassen in Ihrer Mitte anzukommen und vor allem dort zu bleiben.
Sind Sie neugierig auf die Lektüre geworden? Ich freue mich, wenn Sie meiner Einladung folgen, und wünsche Ihnen viel Spaß und größtmöglichen Nutzen.
Meike Müller
„Die Hölle, das sind die anderen.“Jean-Paul Sartre, Schriftsteller, Bühnenautor, Philosoph
„Wenn der nur ein bisschen weniger reden würde, könnte die Arbeit richtig Spaß machen“ - „Wäre die nicht immer so nörgelig, die Zusammenarbeit würde Hand in Hand laufen.“ - „Die Aufgabe macht richtig Spaß, wäre da nicht mein cholerischer Chef ...“Kennen Sie solche Gedanken auch? Wenn das Wörtchen wenn nicht wär’, könnte alles so schön, gut und unproblematisch sein.
47 Prozent der deutschen Angestellten haben schon einmal wegen eines Vorgesetzten gekündigt, fand die Unternehmensberatung Information Factory heraus. Und fast 70 Prozent der 1000 Befragten fühlten sich schon mal von ihrem Chef unter Druck gesetzt oder kontrolliert.2 Eine Gallup-Studie von 2015 zeigte, dass Mitarbeitende, die von Vorgesetzten keine Anerkennung erhalten, sich doppelt so häufig ausgebrannt fühlen wie Kolleginnen und Kollegen, die sich regelmäßiger Wertschätzung erfreuen. Das zeigte sich auch am Krankenstand: „Beschäftigte mit hoher Bindung ans Unternehmen geben 3,8 Fehltage pro Jahr an, jene ohne Bindung 8,8 Tage. Sogar die Zahl der Arbeitsunfälle korreliert mit der Zufriedenheit mit der Leitung.“3
Und die schlechten Gefühle beschränken sich nicht nur auf den Chef oder die Chefin. Auch die lieben Kolleginnen und Kollegen auf gleicher Hierarchiestufe werden oft als schwierig empfunden. „Büro ist Krieg“ sagt Bernd Stromberg, der Horror-Chef aus der gleichnamigen Fernsehserie. Es ist eine Binsenweisheit, dass es da, wo Menschen zusammentreffen, zu Meinungsverschiedenheiten, Reibungen, Konflikten oder Streitereien kommen kann. Erst recht in Zeiten, wo Ängste z. B. vor dem Verlust des Arbeitsplatzes wachsen und demzufolge auch der Konkurrenzdruck. Das Klima wird rauer, und gleichzeitig wachsen die Empfindlichkeiten. Schulz von Thun dazu: „Die Mitarbeiter eines Unternehmens stehen vor einem unlösbaren Dilemma: Einerseits unterliegen Sie dem offiziellen Appell zur Zusammenarbeit (Und müssen daher aufnahmefreudig sein für alles, was die Kooperation fördert – z. B. Fehler zugeben, keine Energieverschwendung zur Wahrung des Gesichts); andererseits unterliegen sie dem inoffiziellen Appell zur ,Gegeneinander-Arbeit‘: Wem es gelingt, sich selbst herauszustellen und womöglich den anderen schlecht aussehen zu lassen, erhöht die Chance auf eine Karriereprämie.“4
Verständlich, dass in einer solchen Gemengelage nicht nur eitel Sonnenschein herrscht. Auf der Arbeit ist es ähnlich wie im Privatleben: So wenig, wie man sich die eigene Verwandtschaft aussuchen kann, hat man die Wahl, mit wem man das Büro teilt. Einen Unterschied gibt es doch: Verwandtenbesuche lassen sich reduzieren, Kollegenkontakte oft nicht. Wir sind unter Umständen gezwungen, tagtäglich mit Leuten auszukommen, die uns ärgern oder richtig auf die Nerven gehen. Woran liegt es eigentlich, dass man Menschen als schwierig empfindet – oft sogar immer wieder den gleichen Typus? Da sitzt man zum dritten Mal zusammen, um die letzten Schritte vor dem Projektstart zu besprechen. Alles ist geklärt, alle Fragen sind beantwortet – dachten Sie. Da erhebt sich Bedenkenträger Meier und stellt grundsätzlich den Ansatz in Frage: Ob man nicht doch mal überlegen sollte, ganz anders an die Sache ranzugehen ... Sie hatten erwartet, dass endlich der Startschuss fällt. Schließlich gilt es, den Zeitplan einzuhalten. Und nun das: Wieder eine Zeitverzögerung. Sie sehen Ihr Ziel bedroht. Sie sind der festen Überzeugung, dass es wichtig ist, sofort zu beginnen, um der Konkurrenz nicht noch mehr Vorsprung zu lassen. Und nun bahnt sich eine Endlosdiskussion an.„Nur das nicht“, denken Sie. Verständlich, dass Sie von Kollege Meier genervt sind.
„Wenn ich den nur sehe ...“- „Wenn ich nur an die denke, geht’s mir schon schlecht ...“Es gibt Menschen, die uns an den Rand der Verzweiflung bringen können.„Die Chemie zwischen uns stimmt einfach nicht“, ist eine Aussage, die oft getroffen wird, wenn man nicht genau sagen kann, wieso man nicht miteinander zurechtkommt. Oder es heißt:„Der Mensch ist mir einfach nicht sympathisch.“Menschen lassen sich nicht sympathischer machen, aber Sie können versuchen, besser zu verstehen, warum Sie bei bestimmten Typen so ärgerlich werden und Sie sich andererseits über die Macken anderer nicht weiter aufregen. Was könnte die Ursache sein?
Ganz generell lässt sich sagen: Immer dann, wenn es eine Diskrepanz gibt zwischen unserer Erwartung (wie sich der bzw. die andere verhalten sollte) und dem, was er oder sie tatsächlich macht, empfinden wir andere als schwierig oder sind zumindest verärgert, wütend oder entrüstet:„Wie kann man sich nur so verhalten ...?“
Dem Ganzen zugrunde liegt unser persönliches Wertesystem, also das, was wir als wichtig empfinden. Jedem Menschen können andere Werte wichtig sein (mehr dazu im Kapitel „Sich auf die Welt anderer einlassen“). Sind es für den einen Unabhängigkeit, Freiheit und Wahrhaftigkeit, stehen für einen anderen möglicherweise Tradition, Geborgenheit und Bescheidenheit an erster Stelle. Welche Werte für uns Bedeutung haben, hängt zum Teil ab von familiären Prägungen oder anderen, im Laufe des Lebens gemachten Erfahrungen.
Menschen tun sehr viel, um die eigenen Werte zu leben. Haben sie den Eindruck, diese Werte werden von anderen missachtet, werden sie versuchen, sie zu beschützen, zu verteidigen. Die Werte bestimmen darüber hinaus unsere Gefühle. Verstößt ein Zeitgenosse gegen meine Werte bzw. verhindert er, dass ich meine Werte leben kann, oder missachte ich andererseits die Werte eines Mitmenschen, liegt es auf der Hand, dass es zu Kollisionen zwischen uns kommen kann.
„Typisch für die menschliche Kommunikation im Konfliktfall ist, dass jeder Kontrahent sich in ,seinem‘ Wertehimmel sonnt und den anderen im Keller der Entartung verortet: (So wirft ein Mann, der sich über seine auf einer Party mit anderen Männern flirtende Freundin ärgert, ihr vor:) ,Ich stehe für Zusammengehörigkeit, du verharrst in treuloser Unverbundenheit!‘ – (während sie es ganz anders sieht:) ,O nein, ich bin für Offenheit und Freiheit, während du eine Klammer-Symbiose anstrebst, worin man nur noch in Verschmelzung und nicht mehr als Individuen existiert‘.“5
Kennen Sie Ihre wichtigsten Werte? Worauf kommt es Ihnen an im Leben? Wenn Sie Antworten darauf suchen, widmen Sie sich für ein paar Minuten folgender Übung:
Sie können die folgende Übung allein machen, noch besser geht es zu zweit. Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin stellt Ihnen die Fragen und notiert die Antworten.
Notieren Sie:Was ist Ihnen in Ihren Beziehungen (Freunde, Familie, Umfeld) wichtig?Was ist Ihnen in der Partnerschaft wichtig?Was ist Ihnen bei der Arbeit wichtig?Was ist für Sie allein wichtig?Nennen Sie alles, was Ihnen einfällt und wofür es sich Ihrer Ansicht nach lohnt, aktiv zu werden.
Erinnern Sie sich an eine Zeit, in der Sie Ihren Arbeitsplatz aus eigener Initiative gewechselt haben. Vergegenwärtigen Sie, was Ihnen dort gefehlt hat. Was war nicht da, so dass Sie zu der Entscheidung gelangt sind, zu gehen? Gab es etwas, was Sie vergeblich versucht haben herzustellen?Jetzt geht es um Ihre Beziehungen. Erinnern Sie sich an eine Partnerschaft, aus der Sie weggegangen sind, weil Sie etwas Wesentliches vermisst haben. Nennen Sie alles, was Ihnen einfällt: Was fehlte in dieser Beziehung?Und nun denken Sie an eine Freundschaft, die Sie aus eigener Initiative beendet haben. Erinnern Sie sich daran, was gefehlt hat. Was haben Sie vermisst, so dass Sie den Schlussstrich gezogen haben?Erinnern Sie sich an eine Situation in Ihrem Leben, in der etwas ganz Entscheidendes gefehlt hat. Etwas, was Ihnen wichtig gewesen wäre. Was war das, als Sie das Gefühl hatten, hier fehlt etwas Entscheidendes, hier fühle ich mich nicht wohl? Was genau hat Ihnen gefehlt?Und nun schließen Sie diese Phase ab, stehen vielleicht einmal auf, gehen ein paar Schritte und setzen dann den Prozess fort:
Lassen Sie vor Ihrem geistigen Auge eine Arbeitssituation entstehen, bei der Sie die Arbeit gern gemacht, Sie sich wirklich wohlgefühlt haben. Was war da? Was war entscheidend für den Eindruck, dort genau richtig zu sein? Nennen Sie wieder alles, was Ihnen einfällt.Denken Sie an eine Situation in Ihrer Partnerschaft, in der Sie sich ganz wohlgefühlt haben, wo es Ihnen richtig gut ging. Was war da? Was war wichtig, so dass es zu diesem Wohlgefühl gekommen ist? Spüren Sie in die Situation hinein, was sehen Sie? Was entwickelt sich vor Ihrem geistigen Auge? Vielleicht hören Sie auch etwas? Erinnern Sie sich an ein Gespräch, Stimmen, Geräusche? Vielleicht verbinden Sie die Situation auch mit einem bestimmten Geruch oder Geschmack? Welches Gefühl verknüpfen Sie mit der Situation? Lassen Sie sich Zeit, dem noch einmal nachzuspüren. Was war da, dass Sie sich so gut gefühlt haben? Was macht das Wesentliche aus?Und nun erinnern Sie sich an Situationen mit Freundinnen und Freunden, die Sie sehr genossen haben. Vielleicht entsteht ein Bild vor Ihrem geistigen Auge, möglicherweise hören Sie noch Worte? Oder es stellt sich ein bestimmtes Gefühl ein? Was hat dazu beigetragen, dass Sie sagen: Ich fühle mich wohl? Welcher Wert gehört für Sie dazu?Und schließlich versuchen Sie sich an eine Situation zu erinnern, in der Sie sich mit sich allein äußerst wohlgefühlt haben. Wie war das, was war da, dass es Ihnen so gut ging? Was war Ihnen wichtig?Tauchen Sie noch einmal ein in die Erinnerungen. Genießen Sie die Situationen, in denen es in Ihrem Leben wirklich gut gelaufen ist, ganz besonders, einmalig, unvergleichbar. Was ist es, wofür es sich lohnt, zu leben, aktiv zu werden, sich zu motivieren?Schließen Sie den Prozess jetzt ab und schauen Sie sich die Liste an. Tauschen Sie sich – soweit möglich – mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin aus. Gab es Mehrfachnennungen? Was scheint Ihnen besonders wichtig zu sein? Gibt es einen obersten Wert? Was fällt überhaupt auf?Solange wir unser persönliches Wertesystem zum Maßstab für alle erklären, müssen wir uns nicht wundern, dass wir ganz vielen schwierigen Menschen begegnen. Kurzum: Wir können die Welt nicht ändern, aber wir können unsere Erwartungen zu verändern.
Schließlich ist es durchaus möglich, dass Ihr Gegenüber ähnliche Stoßseufzer gen Himmel schickt, wie ich Sie eingangs mit dem Wörtchen „Wenn…“ eingeleitet habe, nur mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass in diesem Fall Sie die Ursache des Ärgers sind. Vielleicht stört sich der Kollege an Ihrer einen oder anderen Gewohnheit ...? Denn so manche Eigenart wirkt auf andere wortwörtlich eben eigenartig. Merke: Es sind nicht immer nur die anderen, die als schwierig empfunden werden.
Man könnte jetzt einwenden: „Das mit der eigenen Wahrnehmung, das kann schon sein. Aber ist es nicht auffallend, dass es auch Menschen gibt, mit denen ganz viele ihre Probleme haben? Z. B. die Kollegin Angela Zober. Kaum einer lässt ein gutes Haar an ihr. Mit kaum jemandem hat sie Kontakt, gerade dass sie mal grüßt. Selbst beim Mittag bleibt sie meist für sich. Viele haben den Eindruck, dass sie sich für jemand Besseres hält ...“
Sicher gibt es Menschen, die bei vielen auf Abwehr stoßen, weil ein markanter Wesenszug oder auffällige Verhaltensweisen nicht gerade Sympathien auf sich ziehen. Menschen, die es scheinbar geradezu herausfordern, dass man sich ihnen gegenüber distanziert, seinerseits unfreundlich oder vielleicht sogar aggressiv wird. Hilfreicher wäre es zu wissen, was hinter dem Verhalten steckt.
Gar nicht selten stellt man bei vielen Nervensägen eine Parallele fest: Sie leiden unter einer geringen Selbstachtung. Möglicherweise leidet die Person selber darunter, Außenseiterin zu sein, kann aber nicht oder hat nicht gelernt, mit anderen auf positive Weise in Kontakt zu treten. Wie wäre es, wenn Sie einen Schritt auf den Menschen zugehen und ihn z. B. ermuntern: „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen? Das wäre doch schön.“ Oder Sie fragen im weiteren Verlauf vorsichtig: „Ich habe das Gefühl, dass es Ihnen nicht so gut geht oder täusche ich mich da?“
Haben Sie den Kontakt gut aufgebaut, könnten Sie ihm in einer ruhigen Minute auch ein Gespräch unter vier Augen anbieten und sagen, was Sie beschäftigt: „Ich habe den Eindruck, dass die Beziehung zwischen uns belastet ist. Geht es Ihnen ähnlich?“ Manchmal gelingt ist, mit Fragen wie diesen ins Gespräch zu kommen oder ganz einfach zu erfahren, was Ihr Gegenüber bewegt.