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Zu den Kernsymptomen der Depression – eine der häufigsten psychischen Störungen – gehören neben der veränderten Stimmung, den Verhaltensauffälligkeiten und den körperlichen Symptomen auch Beeinträchtigungen geistiger Funktionen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Diese neuropsychologischen Störungen beeinträchtigen das soziale und berufliche Leben der Betroffenen, steigern das Suizidrisiko und gefährden insgesamt den Behandlungserfolg, weshalb der Diagnose und Therapie dieser Leistungseinbußen eine wichtige Bedeutung zukommt. Für die 2. Auflage wurde das Buch komplett überarbeitet. Insbesondere zur Therapie neuropsychologischer Beeinträchtigungen bei Depression, aber auch zu wichtigen Einflussfaktoren und den neuronalen Korrelaten liegen inzwischen neue Erkenntnisse vor, die in die zweite Auflage Eingang gefunden haben. Ebenfalls findet sich ein deutlich erweitertes Kapitel zur Depression nach Schlaganfall, womit depressive Störungen im Rahmen neurologischer Erkrankungen nun noch anschaulicher dargestellt werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Thomas Beblo
Lorenz B. Dehn
Neuropsychologie der Depression
2., überarbeitete Auflage
Fortschritte der Neuropsychologie
Band 6
Neuropsychologie der Depression
Prof. Dr. Thomas Beblo, Dr. Lorenz B. Dehn
Die Reihe wird herausgegeben von:
Dr. Angelika Thöne-Otto, apl. Prof. Dr. Jutta Billino, Prof. Dr. Dr. Hans-Otto Karnath, Dr. Hendrik Niemann, PD Dr. Jennifer Randerath, Prof. Dr. Boris Suchan
Die Reihe wurde begründet von:
Dr. Angelika Thöne-Otto, Prof. Dr. Herta Flor, Prof. Dr. Siegfried Gauggel, Prof. Dr. Stefan Lautenbacher, Dr. Hendrik Niemann
Prof. Dr. Thomas Beblo, geb. 1966. 1988–1994 Studium der Psychologie in Freiburg, 1992–1993 Forschungsaufenthalt in London, Ontario. 1994–1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter und klinischer Neuropsychologe an den Universitäten Freiburg (Psychologie und Neurologie) und Magdeburg (Neurologie). 1999 Promotion, 2006 Habilitation, seit 1999 Leitung der Forschungsabteilung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am EvKB Bielefeld. 2014 Ernennung zum apl.-Professor an der Universität Bielefeld. Arbeitsschwerpunkte: Neuropsychologie psychischer Störungen, Achtsamkeit und Emotionsregulation.
Dr. Lorenz B. Dehn, geb. 1986. 2007–2014 Studium der Psychologie in Erfurt und Bielefeld. 2020 Promotion. Seit 2013 Mitarbeiter der Forschungsabteilung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am EvKB Bielefeld. Seit 2020 Leitung der Arbeitsgruppe „Psychosoziale Versorgungs- und Teilhabeforschung“. Diverse Lehraufträge zu den Themen Neuropsychologie, Sozialpsychiatrie und Forschungsmethoden an der Universität Bielefeld, Fachhochschulen und Weiterbildungsinstituten. Arbeitsschwerpunkte: Psychosoziale Versorgungsforschung und Neuropsychologie psychischer Erkrankungen.
Die erste Auflage dieses Buches erschien unter der Autorenschaft von Thomas Beblo und Stefan Lautenbacher.
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2., überarbeitete Auflage 2024
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ISBN 978-3-8017-3188-5
https://doi.org/10.1026/03188-000
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1 Kurzbeschreibung der Depression
1.1 Symptomatik und Klassifikation
1.2 Epidemiologie
1.3 Ätiologie
1.4 Krankheitsverlauf
2 Kognitive Beeinträchtigungen
2.1 Beeinträchtigte neuropsychologische Funktionen: Testbefunde
2.1.1 Ausmaß der Beeinträchtigungen
2.1.2 Profil der Beeinträchtigungen
2.1.2.1 Psychomotorisches Tempo
2.1.2.2 Aufmerksamkeit
2.1.2.3 Kurzzeit- und Arbeitsgedächtnis
2.1.2.4 Lernen und Gedächtnis
2.1.2.5 Exekutivfunktionen
2.1.2.6 Weitere neuropsychologische Beeinträchtigungen
2.2 Beeinträchtigte neuropsychologische Funktionen: Subjektive Defizite
2.3 Einflussfaktoren
2.3.1 Subtypen und Schweregrad affektiver Störungen
2.3.2 Symptome affektiver Störungen
2.3.2.1 Psychologische Faktoren
2.3.2.2 Weitere Einflussfaktoren der depressiven Symptomatik
2.3.3 Komorbidität
2.3.4 Alter und Erkrankungsbeginn
2.4 Neuropsychologische Defizite im Verlauf der depressiven Erkrankung
3 Neurobiologie der Depression
3.1 Strukturelle Auffälligkeiten des Gehirns
3.2 Funktionelle Auffälligkeiten des Gehirns
3.3 Integrierende Modelle
4 Klinische Implikationen neuropsychologischer Beeinträchtigungen
5 Neuropsychologische Diagnostik bei Depression
5.1 Diagnostisch relevante Fragestellungen
5.1.1 Indikation neuropsychologischer Therapie
5.1.2 Differentialdiagnostische Bedeutung
5.1.3 Wahl der Medikation
5.1.4 Psychotherapeutisches Vorgehen
5.1.5 Therapieverlaufskontrolle und Prädiktorfunktion
5.2 Diagnostisches Vorgehen
5.2.1 Anamnese und Exploration
5.2.2 Fremdanamnese und weitere Informationsquellen
5.2.3 Verhaltensbeobachtung
5.2.4 Depressionsdiagnostik
5.2.4.1 Interviewverfahren
5.2.4.2 Selbst- und Fremdratingverfahren
5.2.5 Neuropsychologische Testuntersuchung
5.2.5.1 Screeningverfahren
5.2.5.2 Ausführliche Testdiagnostik
5.2.5.3 Subjektive kognitive Defizite
6 Therapie kognitiver Beeinträchtigungen bei Depression
6.1 Klassische neuropsychologische Therapie/kognitive Remediation
6.2 Achtsamkeit
6.3 Neurobiologie: Medikation, EKT, Neurostimulation, Neurofeedback
7 Depression als Komorbidität bei neurologischen Erkrankungen
7.1 Depression bei neurologischen Erkrankungen
7.2 Depression nach Schlaganfall: Poststroke Depression (PSD)
7.2.1 Risikofaktoren und Ätiologie
7.2.2 Symptomatik und Diagnose
7.2.3 Therapie und Prävention
8 Literatur
9 Glossar
Karten
Neuropsychologische und weitere relevante Merkmale zur Unterscheidung von Depression und seniler Demenz vom Alzheimertyp
Hinweise zu den Karten
Die als Depression bezeichneten Erkrankungen gehören weltweit zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt. Der zu Grunde liegende Begriff „deprimere“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „herunter-“ oder „niederdrücken“. Als „depressiv“ wird dabei auch im allgemeinen Sprachgebrauch häufig ein Zustand beschrieben, der durch eine gedrückte Stimmung gekennzeichnet ist. Unter der klinischen Diagnose „Depression“ versteht man ein Störungsbild, welches v. a. durch Niedergeschlagenheit, Freud- und Interessenverlust, mangelnden Antrieb und Energielosigkeit kennzeichnet ist. Neben weiteren Erkrankungssymptomen geht eine Depression häufig auch mit weitreichenden psychosozialen Beeinträchtigungen einher. Hierbei kann es unter anderem zu Schwierigkeiten in der alltäglichen Lebensführung, in den sozialen Beziehungen sowie zu oftmals gravierenden Einbußen bei der beruflichen Leistungsfähigkeit kommen.
Je nach Anzahl und dem zeitlichen Verlauf bestimmter Symptome werden unterschiedliche Formen depressiver Störungen unterschieden. Während depressive Symptombilder unter anderem im Rahmen bipolarer affektiver Störungen auftreten können, welche auch als manisch-depressive Erkrankungen bezeichnet werden, grenzen sich die unipolaren depressiven Störungen dadurch ab, dass bei ihnen keine Phasen gehobener, euphorischer oder gereizter Stimmungslage vorkommen.
Die häufigste Form unipolarer Depressionen ist die depressive Episode bzw. Major Depression. Charakterisierend hierfür ist ein (mindestens 2 Wochen) anhaltender Zustand mit deutlich gedrückter, niedergeschlagener bzw. trauriger Stimmung sowie ausgeprägter Freud- und Interessenlosigkeit. Neben solchen Beeinträchtigungen des Affekts und der Motivation sind außerdem verschiedene somatische, psychosoziale und verhaltensbezogene Störungen häufig (siehe Tabelle 1). Wichtige Symptome stellen zudem kognitive Veränderungen dar, die sich sowohl auf kognitive Inhalte („Gedanken an den Tod“) als auch auf kognitive Leistungen (Gedächtnisfunktionen) sowie kognitve Verarbeitungsprozesse (Grübeln) beziehen. Psychotische Symptome, die meist stimmungssynton sind und beispielsweise Verschuldungs-, |2|Verarmungs- bzw. hypochondrischen Wahn umfassen, können bei schweren Depressionsformen ebenfalls vorkommen.
Tabelle 1: Symptome depressiver Störungen
Affekt
Niedergeschlagenheit
Traurigkeit
Hoffnungslosigkeit
Verzweiflung
Gefühllosigkeit
Angst
Überforderungsgefühle
Freudlosigkeit
Schuldgefühle
Gereiztheit
Motivation
Interessenlosigkeit
Antriebslosigkeit
Misserfolgsorientierung
(Erlernte) Hilflosigkeit
Rigides Anspruchsniveau
Sozialverhalten
Sozialer Rückzug
Verlust an sozialer Verstärkung
Klaghaftes Verhalten
Erhöhte Abhängigkeit
Geringe Bandbreite sozialer Kontakte
Motorik
Psychomotorische Gehemmtheit und Aktivitätsminderung (bis zum depressiven Stupor)
Oft eingeschränkter Bewegungsradius und kraftlose Körperhaltung
Psychomotorische Agitiertheit, nervöse Unruhe
Gesichtsausdruck: traurig, erstarrt, nervös
Leise, verlangsamte Sprache
Körperliche Prozesse
Appetitmangel
Gewichtsverlust
Schlafstörungen (meist Insomnie, selten Hypersomnie)
Chronische Müdigkeit, Schwäche
Diffuse Schmerzzustände oder Kopfschmerzen
Obstipation
Herzbeschwerden
Ohrgeräusche
Übelkeit und Magenbeschwerden
Schwindel und Kreislaufbeschwerden
Libidoverlust, Impotenz
Kognition
Leistung
Denkhemmung
Konzentrationsstörung
Gedächtnisprobleme
Schlechtes Auffassungsvermögen
Entscheidungsschwierigkeiten
Inhalt
Selbstzweifel, übertriebene Selbstkritik
Gedanken an Tod/Suizid
Pessimismus
Katastrophisieren
„Negativ-Bias“
Prozess
Zirkuläres Grübeln
Die zur Diagnosefindung gebräuchlichen und verbindlichen Klassifikationssysteme sind das Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „International Classification of Diseases“ in seiner 11. Fassung ([ICD-11], WHO, 2021) sowie das Klassifikationssystem der American Psychiatric Association (APA), das „Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen“ in der 5. Auflage ([DSM-5], Falkai & Wittchen, 2015).
|3|In der ICD-11 wird eine einzelne depressive Episode1 durch das Vorhandensein von mindestens fünf aus einer Liste von zehn Diagnosekriterien definiert (Stein et al. 2020; WHO, 2021). Eines dieser Kriterien muss entweder eine depressiv-gedrückte Stimmung oder vermindertes Interesse bzw. Freudverlust sein, die jeweils über einen Zeitraum von mindestens 2 Wochen fast jeden Tag auftreten. Hinzu kommen weitere affektive, kognitive, verhaltensbezogene oder physiologische Symptome (siehe Tabelle 2), was insgesamt mit deutlichen Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit auf Seiten der Betroffenen einhergeht. Eine depressive Störung sollte nicht bei Personen diagnostiziert werden, die jemals eine manische, gemischte oder hypomanische Episode erlebt haben, was vielmehr auf das Vorliegen einer bipolaren Störung hinweisen würde.
Während in der ICD-10 der Schwellenwert für die Anzahl an notwendigen Kriterien noch bei mindestens vier lag (für eine leichte depressive Episode), werden in der ICD-11 wenigstens fünf Symptome gefordert. Damit werden in Übereinstimmung zum DSM-5 nun strengere Diagnosekriterien umgesetzt (Reed et al., 2019; Stein et al., 2020). In enger Anlehnung an das DSM-5 gibt es im ICD-11 außerdem zusätzliche Codierungsoptionen für Subtypen und Merkmalsspezifikationen, z. B. „mit Angstsymptomen“, „mit melancholischen Merkmalen“, „mit psychotischen Symptomen“ oder „mit saisonalem Muster“ (Gaebel et al., 2020).
Tabelle 2: Gegenüberstellung der zentralen Symptome der Depression nach DSM-5 und ICD-11
DSM-5 (Major Depression)
ICD-11 (Depressive Episode)
Depressive Verstimmung
Depressive Stimmung
Deutlich vermindertes Interesse oder Freude an (fast) allen Aktivitäten
Deutlich vermindertes Interesse oder Freudverlust für normalerweise angenehme Aktivitäten
Müdigkeit oder Energieverlust
Verminderte Energie oder gesteigerte Ermüdbarkeit
Deutliche Gewichtszu- oder -abnahme oder verminderter oder gesteigerter Appetit
Appetitverlust oder -steigerung mit entsprechender Gewichtsveränderung
Insomnie oder Hypersomnie
Deutlich gestörter oder übermäßiger Schlaf
|4|Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung
Psychomotorische Unruhe oder Hemmung
Gefühle der Wertlosigkeit oder übermäßige oder unangemessene Schuldgefühle
Gefühle der Wertlosigkeit oder übermäßige bzw. unangemessene Schuldgefühle
Verminderte Fähigkeit zu denken oder sich zu konzentrieren oder verringerte Entscheidungsfähigkeit
Verminderte Fähigkeit, sich zu konzentrieren, die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten oder ausgeprägte Unentschlossenheit
Wiederkehrende Gedanken an Tod oder Suizid, Selbstmordversuch oder genaue Planung eines Suizids
Wiederkehrende Gedanken an den Tod oder Suizid oder Hinweise auf suizidales Verhalten
Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Zukunft
In Abhängigkeit von der Anzahl der im bisherigen Lebensverlauf möglicherweise bereits aufgetretenen Episoden lassen sich diagnostisch außerdem einzelne von wiederkehrenden (rezidivierenden) Depressionen unterscheiden. Wenn eine depressive Episode mindestens zwei Jahre oder längere Zeit andauert, dann spricht man üblicherweise auch von einer „chronischen Depression“. Insofern depressive Stimmungen über mehr als zwei Jahre fort bestehen, ohne dass dabei jedoch jemals die Kriterien einer vollen Major Depression erfüllt werden, bezeichnet man dies als Dysthymie (Klein et al., 2010).
Je nach epidemiologischer Studie sind weltweit etwa 10 bis 20 % aller Menschen mindestens einmal im Leben von einer Depression betroffen (Kessler & Bromet, 2013). In Deutschland beträgt diese Lebenszeitprävalenz für eine selbstberichtete diagnostizierte Depression 11,6 % (Busch et al., 2013) und die 12-Monats-Prävalenz für eine Major Depression beläuft sich auf 6,8 % (Jacobi et al., 2016). Depressive Episoden treten zwar in jedem Lebensalter auf, haben jedoch einen Erkrankungsgipfel zwischen dem 18. bis 30. Lebensjahr (vgl. Beesdo-Baum et al., 2018; Hapke et al., 2017). Im Rahmen von epidemiologischen Umfragen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigte sich, dass in Deutschland 50 % aller Patient:innen bereits vor ihrem 28. Lebensjahr erstmalig an einer Depression erkranken (Kessler & Bromet, 2013). Obwohl vielfach über eine stetige Zunahme administrativ erfasster Depressionsdiagno|5|sen und steigende Gesundheitsausgaben berichtet wird, zeigen repräsentative Daten aus großen deutschen Umfragestudien, dass dies nicht auf einen allgemeinen Prävalenz-Anstieg von Depressionen in der Bevölkerung zurückzuführen ist (Bretschneider et al., 2018).
Für Frauen ist das Risiko, an einer Depression zu erkranken, etwa doppelt so hoch wie für Männer (siehe Tabelle 3). Als Erklärung dafür werden diverse Gründe diskutiert, z. B. eine stärkere Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung, ein verschiedenartiger Ausdruck von Symptomen oder eine höhere Rezidivneigung bei Frauen (DGPPN et al., 2015; Salk et al., 2017). Zu den weiteren soziodemografischen Faktoren, die mit einem erhöhten Auftreten von Depressionen assoziiert sind, zählen unter anderem: niedriger sozioökonomischer Status, geringe soziale Unterstützung, Arbeitslosigkeit sowie Alleinleben (Müters et al., 2013).
Tabelle 3: Prävalenzangaben zu depressiven Erkrankungen in Deutschland
Frauen
Männer
Gesamt
12-Monats-Prävalenz
Unipolare Depressionen1
11,3 %
5,1 %
8,2 %
Major Depression1
9,5 %
4,0 %
6,8 %
Selbstangabe einer diagnostizierten Depression2
8,1 %
3,8 %
6,0 %
Dysthyme Störung1
2,1 %
1,2 %
1,7 %
Bipolare Störung (I und II)1
1,7 %
1,3 %
1,5 %
Lebenszeitprävalenz
Selbstangabe einer diagnostizierten Depression2
15,4 %
7,8 %
11,6 %
2-Wochen-Prävalenz
Selbstberichtete depressive Symptomatik3
11,6 %
8,6 %
10,1 %
1 Jacobi et al. 2016 (erfasst mittels CIDI-Interview)
2 Busch et al. 2013 („Wurde jemals von einem Arzt oder Psychotherapeuten eine Depression festgestellt?“ und „Ist die Depression auch in den letzten 12 Monaten aufgetreten?“)
3 Bretschneider et al. 2017 (Fragebogen PHQ-8 ≥ 10)
Hinsichtlich der Entstehungsbedingungen für eine Depression geht man von einem multifaktoriellen Geschehen aus, bei dem es zu einer Interaktion von verschiedenen genetischen und psychosozialen Faktoren kommt. Es gilt als weitgehend gesichert, dass genetische Veranlagungen eine Rolle bei der Entstehung von Depressionen spielen, obwohl die genauen Prozesse noch weiter erforscht werden (McIntosh et al., 2019). Weiterhin scheinen auch vorbestehende psychische und somatische Erkrankungen das Risiko für eine Depression zu erhöhen, unter anderem auf Grund von gemeinsamen neurobiologischen Pathomechanismen (siehe Abschnitt 7).
Unter den psychosozialen Ursachenfaktoren gibt es zahlreiche Evidenz dafür, dass körperliche, sexuelle und/oder emotionale Missbrauchserfahrungen in der Kindheit mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Depression einhergehen und außerdem einen Prädiktor für einen negativen Behandlungsverlauf darstellen (Nanni et al., 2012). Des Weiteren kommt auch negativen Lebensereignissen oder dauerhaft auftretenden Belastungen eine besondere Rolle in der Auslösung depressiver Erkrankungen zu, z. B. der Verlust von nahen Bezugspersonen oder Arbeitslosigkeit (Laux, 2017).
Im Hinblick auf eine multifaktorielle Wechselwirkung konnte in epidemiologischen Studien gezeigt werden, dass das Depressionsrisiko mit zunehmender Anzahl an vorherigen belastenden Lebensereignissen ansteigt, dieser Zusammenhang aber für Personen mit bestimmten genetischen Merkmalskombinationen sogar noch viel ausgeprägter war. Diese Gen-Umwelt-Interaktion wirkte sich ebenfalls auf die Stärke der selbst- und fremdberichteten Depressionssymptome aus und konnte auch für das Ausmaß an Missbrauchserfahrungen in der Kindheit aufgezeigt werden (Caspi et al., 2003; Uher et al., 2011).
Insgesamt ist im Sinne eines Vulnerabilitäts-Stress-Modells davon auszugehen, dass sich Depressionen vor dem Hintergrund vulnerabel machender Vorbedingungen (z. B. genetische Veranlagung), weiterer modifizierender Variablen (z. B. psychische Vorerkrankungen) sowie akuter (z. B. Jobverlust) oder chronischer Belastungen entwickeln (Laux, 2017). Das komplexe Bedingungsgefüge dieser unterschiedlichen Einflussfaktoren wird im integrativen Erklärungsmodell der Depressionen nach Hautzinger (2013) außerdem um relevante psychologische Theorieansätze ergänzt: Hierbei stehen jeweils die Erfahrung von Hilflosigkeit und Unkontrollierbarkeit (Seligman, 1972), der Verlust von positiven Verstärkern (Lewinsohn, 1974) oder verzerrte kognitive Denkmuster (Beck, 1967; Beck & Haigh, 2014) als Basis depressiver Störungen im Vordergrund.
Über den gesamten Lebenslauf betrachtet, tritt bei mindestens der Hälfte der Betroffenen, die eine erste depressive Episode erlebt haben, später wenigstens eine weitere Episode auf (Richards, 2011). Mit jeder weiteren Krankheitsepisode steigt anschließend das Rezidivrisiko weiter an und nach drei depressiven Episoden liegt es bereits bei rund 80 – 90 % (Beesdo-Baum & Wittchen, 2011). Ein früher Erkrankungsbeginn (in der Jugend) ist dabei mit einer größeren Häufigkeit von depressiven Episoden von meist kürzerer Dauer assoziiert, während im Alter dann zunehmend länger andauernde Episoden auftreten (Wittchen & Uhmann, 2010). Obwohl Depressionen mittlerweile gut behandelbar sind, entwickeln etwa 20 – 30 % aller Patient:innen einen chronischen Verlauf, wobei ein jüngeres Lebensalter bei Erkrankung, längere Episodendauer sowie eine familiäre Vorgeschichte mit affektiven Störungen hierfür als Risikofaktoren identifiziert werden konnten (Hölzel et al., 2011; Keller & Boland, 1998). Bei überwiegend wirksamen Behandlungsmaßnahmen und oftmals positiven Therapieverläufen sind nichtsdestotrotz Rückfall- bzw. Wiedererkrankungsraten von durchschnittlich etwa 30 – 40 % innerhalb eines Jahres und von ca. 40 – 50 % innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Remission bekannt (Richards, 2011; DGPPN et al., 2015). Als einer der am häufigsten berichteten und replizierten Prädiktoren für die Vorhersage von Rückfällen hat sich das Vorkommen sogenannter Residualzustände erwiesen (Buckman et al., 2018), bei denen selbst nach Besserung noch einzelne Krankheitszeichen, wie etwa kognitive Einschränkungen bestehen bleiben (vgl. Saragoussi et al., 2017).
Zur Drucklegung dieses Buches existiert noch keine offizielle deutsche Übersetzung der ICD-11-Terminologie, daher wird hier eine Rohübersetzung des bislang geläufigen englischen Ausdrucks „[single] depressive episode“ bzw. „single episode depressive disorder“ [6A70] (https://icd.who.int/browse11/l-m/en#/) verwendet (siehe auch Kühner et al. 2021).
Kognitive Beeinträchtigungen gehören zu den häufigsten und hartnäckigsten Symptomen depressiver Störungen. Conradi und Kolleg:innen (2011) berichteten, dass 90 % der Personen mit einer Major Depression über kognitive Einbußen klagen. Im Verlauf der anschließenden 3 Jahre nannten noch immer 66 % der Patient:innen entsprechende Beeinträchtigungen. Darüber hinaus blieben diese bei 44 % der sonst remittierten Patient:innen bestehen. Gemäß der fünften Ausgabe des „Diagnostics and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM-5, APA, 2013) und des „International Classification of Diseases“ (ICD-11, WHO, 2021), sind kognitive Beeinträchtigungen der Depression charakterisiert durch vermindertes Denkvermögen, Konzentrationsschwäche und eine beeinträchtigte Entscheidungsfindung (siehe Abschnitt 1.1).