Neuropsychologische Therapie - Jascha Rüsseler - E-Book

Neuropsychologische Therapie E-Book

Jascha Rüsseler

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Beschreibung

Neuropsychologische Therapie befasst sich mit der Behandlung von kognitiven, emotionalen und sozialen Problemen infolge erworbener Schädigungen des Gehirns. Nach einer Einführung in die Grundlagen der neuropsychologischen Therapie werden die wichtigsten für Neuropsychologen relevanten neurologischen Erkrankungen, die neuropsychologische Diagnostik und Grundlagen der Therapieevaluation behandelt. Im Mittelpunkt des Buches steht die Beschreibung und Bewertung der Therapie von motorischen Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisproblemen, Demenzen, exekutiven Funktionsstörungen, Sprachstörungen, Wahrnehmungsstörungen, emotionalen Störungen und Verhaltensproblemen nach Hirnverletzungen. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende und am Anfang ihrer klinischen Tätigkeit stehende Psychologen und Mediziner.

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Neuropsychologische Therapie befasst sich mit der Behandlung von kognitiven, emotionalen und sozialen Problemen infolge erworbener Schädigungen des Gehirns. Nach einer Einführung in die Grundlagen der neuropsychologischen Therapie werden die wichtigsten für Neuropsychologen relevanten neurologischen Erkrankungen, die neuropsychologische Diagnostik und Grundlagen der Therapieevaluation behandelt. Im Mittelpunkt des Buches steht die Beschreibung und Bewertung der Therapie von motorischen Störungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Gedächtnisproblemen, Demenzen, exekutiven Funktionsstörungen, Sprachstörungen, Wahrnehmungsstörungen, emotionalen Störungen und Verhaltensproblemen nach Hirnverletzungen. Das Buch richtet sich gleichermaßen an Studierende und am Anfang ihrer klinischen Tätigkeit stehende Psychologen und Mediziner.

PD Dr. Jascha Rüsseler lehrt Neuropsychologie, Allgemeine Psychologie und Kognitive Neurowissenschaft am psychologischen Institut der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg und arbeitet in der neuropsychologischen Ambulanz des Instituts.

Kohlhammer Standards Psychologie

Begründet von Theo W. Herrmann Werner H. Tack Franz E. Weinert (†)

Herausgegeben von Marcus Hasselhorn Herbert Heuer Frank Rösler

Jascha Rüsseler

Neuropsychologische Therapie

Grundlagen und Praxis der Behandlung kognitiver Störungen bei neurologischen Erkrankungen

unter Mitarbeit von Sabine Schneider und Sandra V. Müller mit Grafiken von Florianne Wohlfahrt

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrofilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © 2009 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-020111-8

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-022762-0

epub:

978-3-17-028108-0

mobi:

978-3-17-028109-7

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Neurologische Erkrankungen mit assoziierten kognitiven Defiziten

1.1 Schädel-Hirn-Trauma

1.2 Schlaganfall

1.3 Tumoren des Gehirns und seiner Häute

1.4 Entzündliche Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute

1.5 Multiple Sklerose

1.6 Hypoxische Hirnschädigungen

1.7 Morbus Parkinson

2 Neuropsychologische Diagnostik

2.1 Klassifikationssysteme: ICD, ICIDH und ICF

2.2 Ablauf einer neuropsychologischen Untersuchung

2.2.1 Anamnese und Fremdanamnese

2.2.2 Die testpsychologische Untersuchung

2.2.3 Neuropsychologische Tests

2.2.4 Fragebögen und Ratingskalen

2.2.5 Die Verhaltensbeobachtung

2.3 Neuere Ansätze in der neuropsychologischen Diagnostik

3 Grundlagen der neuropsychologischen Therapie

3.1 Restitutionstherapie (Funktionstherapie)

3.2 Kompensation

3.3 Integrierte Verfahren

3.4 Spezielle Verfahren

3.5 Neurologische Rehabilitation als interdisziplinäres Unterfangen

4 Neuronale Plastizität

4.1 Synaptische Plastizität

4.2 Kortikale Plastizität

4.2.1 Gebrauchsabhängige kortikale Plastizität

4.2.2 Transmodale oder kreuzmodale Plastizität

4.3 Nutzung der neuronalen Plastizität für die Neurorehabilitation

4.4 Postläsionale Plastizität

4.5 Prinzipien neuronaler Plastizität und ihre Konsequenzen für die Neurorehabilitation

4.6 Möglichkeiten zur Förderung neuronaler Plastizität

5 Rahmenbedingungen neurologischer Rehabilitation und neuropsychologischer Therapie

5.1 Das Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation

5.2 Berufsrechtliche Regelungen

5.2.1 Rechtlicher Status der neuropsychologischen Therapie

5.2.2 Ausbildung zum Klinischen Neuropsychologen

6 Evaluation neuropsychologischer Therapieverfahren

6.1 Komponenten von Therapieevaluationsstudien

6.1.1 Kontrollgruppe

6.1.2 Randomisierung

6.1.3 Verblindung

6.1.4 Auswahl und Beschreibung der Studienteilnehmer

6.1.5 Auswahl der zur Wirksamkeitsprüfung eingesetzten Messmethoden

6.1.6 Zeitpunkt der Messung der Therapieeffektivität

6.1.7 Behandlungscompliance

6.2 Untersuchungsdesigns für Therapieevaluationsstudien

6.2.1 Randomized Controlled Trial (RCT)

6.2.2 Quasi-experimentelle Untersuchungen

6.2.3 Einzelfallstudien

6.3 Formen zusammenfassender Arbeiten zur Therapieevaluationsforschung

6.4 Evidenzbasierte Medizin (EBM) in der klinischen Neuropsychologie

7 Therapie von BewegungsstörungenSabine Schneider

7.1 Motorische Funktionsstörungen nach Schlaganfall

7.2 Neurophysiologische Grundlagen der motorischen Rehabilitation

7.3 Traditionelle Methoden der motorischen Rehabilitation

7.3.1 Physikalische Therapie

7.3.2 Pharmakotherapie

7.3.3 Physiotherapie

7.3.4 Ergotherapie

7.3.5 Evaluation der traditionellen therapeutischen Konzepte

7.4 Evidenzbasierte therapeutische Interventionen

7.4.1 Bewegungsinduktionstherapie

7.4.2 Armfähigkeitstraining

7.4.3 Roboterassistierte Therapie

7.4.4 EMG-getriggerte elektrische Muskelstimulation

7.4.5 Mentales Training

7.4.6 Repetitives Training einfacher Handbewegungen

7.4.7 Laufbandtraining

7.4.8 Funktionelle elektrische Stimulation

7.5 Musikunterstützte motorische Rehabilitation

8 Therapie zentraler Sehstörungen

8.1 Formen und Häufigkeit zentraler Sehstörungen

8.2 Behandlung zentraler Sehstörungen

8.3 Beeinträchtigung der Sehschärfe durch zentrale Schädigung des visuellen Systems

8.4 Homonyme Gesichtsfeldstörungen

8.4.1 Diagnostik

8.4.2 Therapie

8.5 Störungen der visuell-räumlichen Wahrnehmung

8.5.1 Diagnostik

8.5.2 Therapie

8.6 Störungen des visuellen Erkennens: visuelle Agnosien

8.6.1 Objektagnosie

8.6.2 Prosopagnosie

8.6.3 Alexie

8.7 Bewertung der Therapieverfahren nach den EBM-Kriterien

9 Therapie von Störungen der Aufmerksamkeit

9.1 Komponenten der Aufmerksamkeit – ein klinisches Modell

9.2 Erscheinungsbild, Häufigkeit und Verlauf von Aufmerksamkeitsstörungen

9.3 Diagnostik

9.4 Therapie von Aufmerksamkeitsstörungen

9.4.1 Funktionstraining der Aufmerksamkeit

9.4.2 Strategietraining

9.4.3 Ziel- und verhaltensorientierter Ansatz

9.4.4 Veränderungen der Umwelt

9.4.5 Psychosoziale Unterstützung

9.5 Bewertung der Verfahren zur Aufmerksamkeitstherapie nach den EBM-Kriterien

10 Therapie des unilateralen Neglekts

10.1 Erscheinungsbild und Häufigkeit der Störung

10.1.1 Visueller Neglekt

10.1.2 Andere Neglektformen

10.1.3 Assoziierte Beeinträchtigungen und Differentialdiagnostik

10.2 Diagnostik

10.3 Erklärungsmodelle des unilateralen Neglekts

10.4 Phasen der Neglektbehandlung

10.5 Therapie des unilateralen visuellen Neglekts

10.5.1 Methoden, die auf eine Anhebung des Aktivationsniveaus abzielen

10.5.2 Training von Aufmerksamkeitsfunktionen

10.5.3 Training zur Verbesserung der Raumrepräsentation

10.5.4 Andere Behandlungsmethoden

10.6 Umgang mit Neglekt in Pflege, Physio- und Ergotherapie

10.7 Bewertung der Verfahren zur Neglekttherapie nach den EBM-Kriterien

11 Therapie von Störungen des Gedächtnisses

11.1 Einteilung des Gedächtnisses

11.1.1 Gedächtnisprozesse

11.1.2 Verweildauer von Informationen im Gedächtnis

11.1.3 Gedächtnisinhalt

11.2 Diagnostik von Gedächtnisstörungen

11.3 Hinweise zum Umgang mit Patienten mit Gedächtnisstörungen

11.4 Behandlung von Gedächtnisstörungen

11.4.1 Modelle der Gedächtnisrehabilitation

11.4.2 Restaurationstraining

11.4.3 Optimierung residualer Funktionen (Strategietraining)

11.4.4 Kompensationstraining durch Nutzung (noch) vorhandener kognitiver Funktionen

11.4.5 Kompensation durch externe Hilfsmittel

11.5 Bewertung der Methoden nach den EBM-Kriterien

12 Neuropsychologische Therapie der Demenzen

12.1 Ursachen und Pathogenese der Alzheimer-Demenz

12.2 Früherkennung der Alzheimer-Demenz

12.3 Verlauf der AK

12.4 Ursachen und Pathogenese der frontotemporalen Demenz

12.5 Ursachen und Pathogenese der Lewy-Körperchen-Demenz

12.6 Demenzdiagnostik

12.7 Pharmakologische Behandlung der Demenzen

12.8 Neuropsychologische Behandlung der Demenzen

12.8.1 Kognitive Gedächtnistherapie bei Demenzen

12.8.2 Realitätsorientierungstraining (ROT)

12.8.3 Selbsterhaltungstherapie (SET)

13 Neuropsychologische Therapie des dysexekutiven Syndromsunter Mitarbeit von Sandra V. Müller

13.1 Exekutive Hirnfunktionen

13.2 Modelle exekutiver Hirnfunktionen

13.2.1 Supervisory Attentional System (SAS)

13.2.2 Zielvernachlässigung (Goal Neglect)

13.2.3 Arbeitsgedächtnismodell

13.2.4 Handlungstheorie

13.3 Diagnostik

13.4 Therapiemodelle des dysexekutiven Syndroms

13.4.1 Kognitiv-übende Verfahren

13.4.2 Manipulationen der Umwelt

13.4.3 Verhaltensmanagement

13.4.4 Aktivierung

13.5 Bewertung der Therapieverfahren nach den EBM-Kriterien

14 Therapie von Störungen der Sprache

14.1 Erscheinungsbild und Häufigkeit von Sprachstörungen

14.2 Syndromorientierter Ansatz

14.2.1 Standardsyndrome

14.2.2 Nicht-Standardsyndrome

14.2.3 Untersuchung der Sprachfunktionen nach dem Syndromansatz

14.3 Symptomorientierter Ansatz

14.3.1 Das Logogen-Modell

14.3.2 Diagnostik im symptomorientierten Ansatz: Lexikon Modellorientiert (LEMO)

14.4 Pragmatik

14.5 Therapie

14.5.1 MODAK (Modalitätenaktivierung)

14.5.2 PACE (Promoting Aphasics Communicative Effectiveness)

14.5.3 REST (Reduzierte Syntax Therapie)

14.5.4 MIT (Melodische Intonationstherapie)

14.5.5 CIAT (Constraint-Induced Aphasia Therapy)

14.5.6 Computerunterstütztes Training

14.6 Evaluation der Aphasietherapie

15 Neuropsychologische Therapie bei Epilepsie

15.1 Ursachen und Einteilung der Epilepsien

15.2 Medizinische Epilepsiediagnostik und Behandlung

15.3 Neuropsychologische Diagnostik bei Epilepsie

15.4 Neuropsychologische Behandlung der Epilepsie

15.4.1 Psychoedukation

15.4.2 EEG-Biofeedback

15.4.3 Neuropsychologisches Funktions- und Kompensationstraining

16 Therapie emotionaler Störungen nach Hirnverletzungen

16.1 Vier-Komponenten-Modell emotionaler Störungen nach Hirnschädigungen

16.2 Symptomatik, Prävalenz und neuroanatomische Grundlagen emotionaler Störungen nach Verletzungen des Gehirns

16.3 Prinzipien psychotherapeutischer Interventionen bei emotionalen Störungen nach Hirnverletzungen

16.3.1 Beziehungsaufbau

16.3.2 Verhaltenstherapie

16.3.3 Kognitive Verhaltenstherapie

17 Diagnostik und Therapie von mangelnder Krankheitseinsicht

17.1 Ursachen der mangelnden Krankheitseinsicht

17.1.1 Psychodynamische Theorien

17.1.2 Neuropsychologische Theorien

17.2 Klinische Modelle der mangelnden Krankheitseinsicht

17.3 Erfassung von Krankheitsbewusstheit

17.4 Therapie der mangelnden Krankheitseinsicht

17.4.1 Psychoedukativer Ansatz

17.4.2 Übungen zum Erleben eigener Defizite

17.4.3 Emotionale Aspekte der Behandlung mangelnder Krankheitseinsicht

17.4.4 Angehörigenberatung

17.5 Evaluation der Therapie von Anosognosie

18 Management von Verhaltensproblemen

18.1 Ursachen für Verhaltensprobleme nach Hirnschädigungen

18.2 Grundlegende Überlegungen zum Management von Verhaltensproblemen nach Hirnschädigungen

18.3 Therapeutische Ansätze zur Arbeit mit Verhaltensproblemen

18.3.1 Veränderungen der Umgebung

18.3.2 Modifikation des Verhaltens der Angehörigen im Umgang mit dem Patienten

18.3.3 Verhaltenstherapie

19 Neuropsychologische Therapie in der neurologischen Frührehabilitation

19.1 Definition der neurologischen Frührehabilitation

19.2 Störungsbilder

19.3 Aufgabe der Neuropsychologie in der neurologischen Frührehabilitation

19.4 Diagnostik

19.5 Therapie

19.5.1 Hinweise zum Umgang mit apallischen Patienten

19.5.2 Sensorische Stimulation

19.5.3 Kommunikationsaufbau (Dialogaufbau)

19.5.4 Angehörigenbetreuung

20 Biofeedback und Brain-Computer Interfaces

20.1 Biofeedback

20.1.1 Biofeedback-Behandlung bei Migräne

20.1.2 Biofeedback-Behandlung bei SHT

20.1.3 Biofeedback-Behandlung bei ADHS

20.2 Brain-Computer Interfaces

20.2.1 Nicht-Invasive BCIs

20.2.2 Invasive BCIs

Literatur

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Neuropsychologische Therapie beschäftigt sich mit der Behandlung kognitiver, emotionaler und behavioraler Probleme von Menschen nach einer Hirnschädigung. In den letzten 15 bis 20 Jahren sind viele Therapieansätze entwickelt worden, die dieser Patientengruppe effektiv helfen können. Diese Entwicklung hat (mit) dazu geführt, dass klinische Neuropsychologen in neurologischen Akut- und Rehabilitationkliniken eine wichtige Rolle spielen.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. In den ersten sechs Kapiteln wird Hintergrundwissen präsentiert, das das Verständnis und die kritische Betrachtung neuropsychologischer Therapieverfahren erleichtert. Dabei wird auf neurologische Erkrankungen mit assoziierten kognitiven Defiziten genauso eingegangen wie auf neuropsychologische Diagnostik, Klassifikationssysteme von Krankheit und Behinderung, neuronale Plastizität und Therapieevaluationsforschung.

In den folgenden neun Kapiteln wird die Behandlung einzelner Störungsbilder beschrieben. Dabei wird jeweils zunächst kurz auf die Symptomatik, Ätiologie und die Häufigkeit der entsprechenden Störung eingegangen, bevor die vorliegenden Therapiemethoden ausführlich dargestellt werden.

Für die Akzeptanz der klinischen Neuropsychologie als Therapiemethode hat es sich als wegweisend erwiesen, dass große Anstrengungen unternommen wurden, die Wirksamkeit in kontrollierten Studien empirisch zu überprüfen. Solche Effektivitätsnachweise spielen insbesondere für Fragen der Finanzierung von Behandlungsmaßnahmen eine immer größere Rolle. Daher wird in diesem Buch besonderer Wert auf die Darstellung von Studien zur Therapieevaluation gelegt.

Es folgen Kapitel zur Therapie von Verhaltensproblemen und von emotionalen Problemen, die bei fast allen Patienten nach einer schweren Hirnverletzung auftreten. Den Abschluß bilden ein Kapitel zur Rolle der Neuropsychologie in der neurologischen Frührehabilitation und ein Kapitel zu Biofeedback und Brain-Computer Interfaces.

Alle Kapitel sind so aufgebaut, dass sie auch einzeln gelesen werden können.

Bedanken möchte ich mich bei Thomas Münte, Ivonne Gerth, Sabine Schneider und Sandra V. Müller für die kritische Durchsicht einiger Kapitel sowie bei Florianne Wohlfahrt für die Erstellung der Abbildungen.

Köln und Magdeburg, Mai 2009

Jascha Rüsseler

1 Neurologische Erkrankungen mit assoziierten kognitiven Defiziten

1.1

Schädel-Hirn-Trauma

1.2

Schlaganfall

1.3

Tumoren des Gehirns und seiner Häute

1.4

Entzündliche Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute

1.5

Multiple Sklerose

1.6

Hypoxische Hirnschädigung

1.7

Morbus Parkinson

Dieses Kapitel beschreibt die Pathophysiologie, häufige funktionelle Beeinträchtigungen und den natürlichen Verlauf von neurologischen Störungen, die die meisten der Patienten betreffen, die mit kognitiven Beeinträchtigungen zur neuropsychologischen Diagnostik und Therapie kommen. Es werden Schädel-Hirn-Trauma, Schlaganfall, Tumoren, entzündliche Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute, hypoxische Schädigungen des Gehirns, Multiple Sklerose sowie die Parkinson’sche Krankheit besprochen. Informationen zu anderen relevanten Erkrankungen (Epilepsien, Demenzen) finden sich in den entsprechenden störungsspezifischen Kapiteln.

Bei den meisten der besprochenen Erkrankungen bzw. Schädigungen können zwei Phasen unterschieden werden, die zu der Hirnverletzung beitragen: die unmittelbare Schädigung des Hirngewebes als direkte Folge der auf das Gehirn einwirkenden mechanischen Kräfte oder entzündlichen Prozesse sowie sekundäre Schädigungen, die infolge metabolischer Unregelmäßigkeiten oder aufgrund der ursprünglichen neuronalen Verletzungen auftreten.

Eine weitere, für das Verständnis der kognitiven Beeinträchtigungen hilfreiche Unterscheidung betrifft die Verteilung des von der Verletzung betroffenen Hirngewebes. Man unterscheidet hier zwischen fokalen, multifokalen und diffusen Verletzungen (Läsionen). Fokale Läsionen sind örtlich begrenzt. Der Effekt einer fokalen Läsion hängt ab von der Größe, dem Läsionsort und dem pathologischen Prozess, der zu der Läsion geführt hat. So kann ein Tumor häufig recht groß werden, bevor neurologische Ausfälle zu beobachten sind, während eine plötzlich auftretende Läsion gleicher Größe aufgrund eines Schlaganfalls bereits zu starken und klinisch beobachtbaren Ausfällen führt. Bei einem langsam wachsenden Tumor hat das Gehirn Zeit zur neuronalen Reorganisation und Kompensation. Fokale Läsionen sind häufig die Folge von zerebrovaskulären Erkrankungen (Schlaganfall), Tumoren, Gehirnabszessen oder Schussverletzungen.

Multifokale Läsionen liegen vor, wenn Gewebsschädigungen an mehr als einem umschriebenen Ort im Gehirn vorliegen. Schwere zerebrovaskuläre Erkrankungen, die Multiple Sklerose und vor allem Schädel-Hirn-Traumata sind hier als Ursachen zu nennen. Die funktionale Behinderung ist üblicherweise bei bilateralen Läsionen größer als bei unilateralen Läsionen.

Memo

Man unterscheidet zwischen fokalen, multifokalen und diffusen Verletzungen des Gehirns. Fokale Läsionen sind örtlich begrenzt. Die Folgen einer fokalen Läsion sind abhängig von der Größe, dem Läsionsort und dem pathologischen Prozess, der zu der Läsion geführt hat. Häufige Ursachen fokaler Läsionen sind Tumore und zerebrovaskuläre Erkrankungen (z. B. Schlaganfall).

Multifokale Läsionen sind Gewebsschädigungen an mehr als einer umschriebenen Stelle im Gehirn. Schwere zerebrovaskuläre Erkrankungen und vor allem Schädel-Hirn-Traumata sind hier als Ursachen zu nennen.

Diffuse Hirnverletzungen sind durch weit verteilte Verletzungen von Gehirngewebe gekennzeichnet. Schädel-Hirn-Traumata, Hypoxie und entzündliche bzw. metabolische Erkrankungen des Gehirns sind die häufigsten Ursachen.

Diffuse Verletzungen sind durch weit verteilte Verletzungen von Gehirngewebe gekennzeichnet. Ursache sind hier vor allem Schädel-Hirn-Traumata, die durch Akzelerations-Dezelerations-Kräfte verursacht sind, Hypoxie (Sauerstoffmangel, z. B. infolge eines Herzstillstandes) sowie eine Reihe entzündlicher und metabolischer Erkrankungen des Gehirns. Die kognitiven Folgen bei diffusen Hirnverletzungen sind von der Dichte der Verletzungen und von den betroffenen Strukturen abhängig.

1.1 Schädel-Hirn-Trauma

Epidemiologie

Schätzungen zufolge erleiden jährlich ca. 200 000 bis 300 000 Menschen in Deutschland ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT). Möllmann (2006) berichtet in einer multizentrischen Studie in Norddeutschland von einer Inzidenz von 332 pro 100 000 Einwohner, wobei 90,9 % leichte, 3,9 % mittlere und 5,2 % schwere SHT aufwiesen. Männer waren in dieser Studie etwas häufiger betroffen als Frauen (58,4 % vs. 41,6 %) und der Anteil von Personen unter 16 Jahren war mit 28 % ungewöhnlich hoch. Ähnliche Daten werden von Tagliaferri et al. (2006) in einer Zusammenschau epidemiologischer Studien europäischer Länder aus den Jahren 1980 bis 2003 berichtet: Inzidenz 235/100 000, Mortalität 15/100 000, Schweregrad bei hospitalisierten Patienten 22:1,5:1 (leicht:mittel:schwer). Die häufigsten Ursachen für SHT sind Verkehrsunfälle, Haushaltsunfälle, Stürze und Sportverletzungen. Verkehrsunfälle kommen dabei besonders häufig in der Altersgruppe der 18-bis 30-Jährigen vor, während bei älteren Patienten und Kindern Stürze die vorherrschende Ursache darstellen.

Man unterscheidet zwischen einem penetrierenden (offenen) und einem gedeckten (geschlossenen) SHT. Beim offenen SHT ist die Dura mater zerrissen.

Hirnverletzungen nach SHT

Nach einem SHT können folgende Hirnverletzungen auftreten: Schädelfraktur, intrakranielle Hämatome, Kontusionen (Gehirnerschütterung, Gehirnprellung, Gehirnquetschung), andere fokale Schädigungen, diffuses axonales Trauma.

Schädelfrakturen werden nach ihrer Lokalisation, dem Typ (Biegungsfraktur, Berstungsfraktur) und der Form klassifiziert. Weiterhin wird zwischen offener und geschlossener Fraktur unterschieden. Generell entsteht beim Auftreten von Schädelfrakturen ein erhöhtes Risiko für intrakranielle Blutungen, das mit abnehmendem Glasgow Coma Scale Score ansteigt (GCS; s. u.).

Intrakranielle Hämatome. Man unterscheidet Epiduralhämatome (zwischen Schädelknochen und Dura gelegen), Subduralhämatome (zwischen Dura und Arachnoidea/Spinnwebhaut gelegen) und Subarachnoidalblutungen (SAB; unter der Spinnwebhaut, d. h. im Liquorraum gelegen). Epiduralhämatome treten bei 5 % bis 15 % der mittelschweren bis schweren SHT auf. Sie sind zumeist temporal lokalisiert und resultieren oft aus Blutungen aus der Arteria meningea media, die bei Frakturen der Schädelkalotte einreißt. In bis zu 50 % der Fälle nehmen Epiduralhämatome während des Krankheitsverlaufes an Größe zu.

Subduralhämatome werden in der Regel durch das Zerreißen der Brückenvenen verursacht. Sie kommen bei 5 % bis 22 % der mittelschweren bis schweren SHT vor. Traumatische SAB treten bei bis zu 50 % der von einem schweren SHT betroffenen Patienten auf. Mittels Computertomographie (CT) werden vier Schweregrade unterschieden, wobei der schwerste Grad Einblutungen ins Ventrikelsystem umfasst. Bei ca. 30 % der Patienten mit traumatischer SAB kommt es zwischen dem 4. und 14. Tag nach dem SHT zum Auftreten eines Vasospasmus (plötzliche, krampfartige Verengung eines blutführenden Gefäßes). Ein Drittel dieser Patienten entwickelt dann auch eine zerebrale Ischämie (s. u.).

Kontusionen. Prellungen des Gehirns und daraus resultierende Schwellungen finden sich bei 60 % bis 100 % der SHT-Patienten. Zumeist sind Kontusionsherde frontotemporal lokalisiert. Man unterscheidet zwischen coup und contre-coup, d. h. zwischen der Läsion des Hirngewebes unmittelbar unter dem Aufprallort (coup) und der Gewebeschädigung an der dem Aufprallort gegenüberliegenden Seite (contre-coup), die aus der Rebound-Bewegung des Gehirns im Liquor nach dem Aufprall an der Schädeldecke resultiert. Das Zerreißen der Kapillargefäße, Ödeme und die sekundäre Hirndrucksteigerung sind die Ursachen der durch eine Gehirnprellung hervorgerufenen Hirnschädigung.

Das SHT wird in drei Schweregrade eingeteilt, die sich an der Dauer der Bewusstlosigkeit, der Rückbildung der Symptome und den Spätfolgen orientieren.

SHT 1. Grades (

Commotio cerebri

oder

Gehirnerschütterung

): leichte, gedeckte Hirnverletzung ohne Bewusstlosigkeit bzw. mit Bewusstlosigkeit bis zu 15 Minuten. Sie heilt in ca. fünf Tagen vollständig aus. Die Patienten haben in der Regel lediglich eine retrograde Amnesie und Übelkeit zu beklagen.

SHT 2. Grades (

Contusio cerebri

oder

Gehirnprellung

): Bewusstlosigkeit länger als 15 Minuten. Spätfolgen sind von der Lokalisation der Hirnschädigung abhängig. Keine Perforation der Dura.

SHT 3. Grades (

Compressio cerebri

oder

Gehirnquetschung

): Bewusstlosigkeit länger als 30 Minuten, verursacht durch Einklemmung des Gehirns durch Blutungen, Ödeme oder ähnliche Vorgänge. Hierbei sollte man bedenken, dass das Gehirn der einzige große Körperteil des Menschen ist, der fast vollständig von Knochen umgeben ist. Dieser besondere Schutz kann jedoch bei raumfordernden Prozessen zur Gefahr werden, da das gesamte Gehirn unter dem Druckanstieg und der folgenden Einklemmung leiden kann. Folgen sind oftmals ein lang andauerndes (oftmals künstliches) Koma, ein komaähnlicher Zustand, die temporäre Entfernung eines Teils der Schädeldecke (einige Monate) oder gar der Tod. Dauerhafte Schäden sind zu erwarten, aber nicht zwangsläufig.

Diese Einteilung ist sehr schematisch, sie orientiert sich an rein klinischen Kriterien und datiert aus einer Zeit, in der bildgebende Untersuchungsverfahren noch nicht zur Verfügung standen. So tritt beispielsweise bei einer traumatischen Verletzung des Frontalhirns nicht unbedingt eine Bewusstlosigkeit auf, es kann aber zu einer dauerhaften Schädigung kommen. Meist wird heute nur noch zwischen leichtem, mittelschwerem und schwerem SHT differenziert.

Aktuell erfolgt die Einteilung über die Glasgow Coma Scale (GCS; s. Tab. 1.1)

leichtes SHT: GCS 13–15

mittelschweres SHT: GCS 9–12

schweres SHT: GCS 3–8

Diffuse axonale Verletzung (Scherverletzung). Die diffuse axonale Verletzung wird in drei Schweregrade unterteilt.

Grad I: nur mikroskopisch nachweisbare Verletzung

Grad II: makroskopisch sichtbare Verletzung des Corpus callosum

Grad III: makroskopisch sichtbare Verletzung im dorsolateralen oberen Hirnstamm

Diffuse axonale Verletzungen treten insbesondere dann auf, wenn der Kopf gegen weiche Gegenstände prallt (z. B. Innenverkleidung im Auto). Dabei treten Rotations- und Akzelerationskräfte auf, die bei entsprechender Intensität bewirken, dass Großhirn- und Kleinhirn-Hemisphären gegeneinander zu rotieren beginnen. In weiterer Folge resultieren dann Zerreißungsverletzungen im Bereich der zentralen Konnektionspunkte (z. B. Corpus callosum und dorsolateraler oberer Hirnstamm). Häufig treten bei Patienten mit diffuser axonaler Verletzung auch erhöhte intrakranielle Druckwerte auf, seltener intrakranielle Hämatome, Kontusionen und Schädelbasisfrakturen.

Tab. 1.1: Glasgow Coma Scale (Teasdale & Jennett, 1974).

Punkte

Augenöffnung

spontan

4

auf Ansprechen

3

auf Schmerzreize

2

keine

1

Beste verbale Reaktion

orientiert

5

verwirrt

4

unangemessen

3

unverständlich

2

keine

1

Beste motorische Reaktion

befolgt Aufforderungen

6

gezielte Schmerzabwehr

5

ungezielte Schmerzabwehr

4

Beugesynergismen

3

Strecksynergismen

2

keine

1

Memo

Jährlich erleiden in Deutschland 200 000 bis 300 000 Menschen ein Schädel-Hirn-Trauma (SHT), von denen etwa 10 % als mittelschwer bis schwer klassifiziert werden. Man unterscheidet zwischen offenen und geschlossenen SHT.

Folgende funktionale Hirnverletzungen können bei einem SHT auftreten: Schädelfraktur, intrakranielle Hämatome, Kontusionen, andere fokale Schädigungen, diffuses axonales Trauma. Kontusionen sind Prellungen des Gehirns. Sie treten bei 60 % bis 100 % der SHT-Patienten auf.

Diffuse axonale Verletzungen resultieren vor allem aus einem Aufprall des Kopfes gegen relativ weiche Gegenstände. Die dabei auftretenden Rotations- und Akzelerationskräfte bewirken, dass die Groß- und Kleinhirnhemisphären gegeneinander rotieren, was zu Zerreißungsverletzungen führen kann.

Pathophysiologische Mechanismen des SHT

Auf zellulärer Ebene laufen nach einer Gewalteinwirkung auf das Gehirn eine Vielzahl miteinander interagierende pathologische Prozesse ab, die an der Entwicklung irreversibler Hirnschäden nach schwerem SHT beteiligt sind und deren morphologisches Substrat die Entwicklung eines posttraumatischen Hirnödems ist (ausführlich bei Giza & Hovda, 2004). Die Gewalteinwirkung führt am Neuron zu einer Deformation des Zytoskeletts und zu einer Distorsion (Verstauchung) von membranständigen aktiven Transportkanälen. Aufgrund der Schädigung kommt es zu einer Unterbrechung des axonalen Transports von Vorstufen verschiedener Neurotransmitter. Diese stauen sich in den geschädigten Neuronen. Die Folge ist eine Störung des transmembranösen Transports am Neuron, die schließlich zum Absterben der Zelle führt.

Beschwerdekomplexe nach SHT

Für die Dauer der Bewusstlosigkeit nach einem SHT besteht eine Amnesie (Erinnerungs- oder Gedächtnislücke). Der Erinnerungsverlust für bewusst vor dem Unfall erlebte Zeitabschnitte wird als retrograde Amnesie bezeichnet, die Erinnerungslücke für die Komaphase als Amnesie. Unter anterograder Amnesie wird die mangelnde Erinnerung an Vorkommnisse verstanden, die nach dem Erwachen aus dem primären Koma stattgefunden haben. Üblicherweise ist die retrograde Amnesie wesentlich kürzer als die anterograde Amnesie nach dem Erwachen aus dem Koma.

Unter Posttraumatischer Amnesie (PTA) wird die Unfähigkeit des Patienten verstanden, sich Informationen von einem Augenblick zum nächsten zu merken. Sie ist ein wesentlicher Indikator für den Schweregrad eines SHT. Bei einer PTA unter zwei Wochen ist nicht mit einer bleibenden wesentlichen kognitiven Beeinträchtigung zu rechnen. Die Betroffenen können ihre berufliche Tätigkeit fast immer wieder aufnehmen. Eine PTA von über zwei Monaten geht üblicherweise mit einer schweren bleibenden psychoorganischen und motorischen Behinderung einher.

Kognitive Defizite nach einem SHT umfassen Störungen der Aufmerksamkeit, der kognitiven Belastbarkeit, des Gedächtnisses und des Lernens. Die Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit ist generell verlangsamt, die Urteilsfähigkeit ist eingeschränkt und zielgerichtetes Planen häufig nur noch begrenzt möglich. Auch Kommunikation und Wahrnehmung sind oft betroffen. Insbesondere nach Verletzungen des Frontalhirns sind häufig die Selbstkontrolle und die soziale Wahrnehmung der Patienten beeinträchtigt. Daraus resultiert dann auch eine Veränderung des Sozialverhaltens, die entweder durch mangelnde Impulskontrolle und impulsives, oft aggressives Verhalten oder durch sozialen Rückzug gekennzeichnet sein kann.

Das neuropsychologische Störungsmuster nach SHT ist abhängig von der Lokalisation und der Größe der fokalen Hirnschädigung bzw. der Schwere der diffusen Hirnverletzung. Es wird aber auch durch die prätraumatische Persönlichkeit des Patienten und von der Reaktion der Umwelt beeinflusst. Weiterhin spielt das Gelingen einer positiven Krankheitsverarbeitung eine wichtige Rolle.

Zu den häufigsten neurologischen Störungen nach einem SHT zählen solche der Motorik. Lähmungen (spastische Hemi- bis Tetraparesen), Störungen der Bewegungskoordination, unwillkürliche Bewegungen und eine Minderung der Gefühlsempfindung in Teilen des Körpers können auftreten. Auch Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen treten häufig auf. Schluckstörungen sind bei bis zu 78 % der Schädelhirnverletzten im Akutstadium auf der Intensivstation zu beobachten, zu Beginn der stationären Rehabilitation noch bei 67 % und bei der Entlassung immerhin noch bei 13 %. Mit zunehmender Schwere der Hirnverletzung ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Sprechstörung (Dysarthrie) erhöht. Aphasien können ebenfalls auftreten.

Hirnnervenverletzungen sind ebenfalls häufig. So finden sich bei etwa 20 % der Patienten Einschränkungen des Geruchssinnes. Doppelbilder können als Folge von Verletzungen des II., III., IV. und VI. Hirnnervs auftreten. Funktionsstörungen des VIII. Hirnnervs äußern sich in einem Verlust des Hörvermögens, in Tinnitus und Schwindel. Etwa 10 % bis 50 % der schwer Hirnverletzten leiden an posttraumatischen epileptischen Anfällen. Diese können sich zu einer anhaltenden posttraumatischen Epilepsie entwickeln. Das Risiko dafür ist erhöht, wenn bereits in der ersten Woche nach dem Trauma Anfälle auftreten.

Die Entwicklung eines Hydrocephalus occlusus, eines Hirnabszesses oder einer posttraumatischen Meningitis ist auch in späteren Stadien der Rehabilitation noch möglich und muss rechtzeitig erkannt und behandelt werden (Tribl & Oder, 2000).

Verlauf und Remission des SHT

Überlebende eines schweren SHT zeigen ein typisches Verlaufsmuster. Unmittelbar nach dem Unfall leiden sie üblicherweise an Bewusstlosigkeit. Die Behandlung in dieser Phase ist medizinisch, chirurgisch und/oder pharmakologisch. Gegebenenfalls muss der Patient beatmet und ernährt werden.

Innerhalb von vier Wochen nach dem Trauma öffnen die meisten Überlebenden spontan ihre Augen und entwickeln einen Schlaf-Wach-Rhythmus. Allerdings zeigen sie noch keine verlässliche, d. h. reproduzierbare Reaktion auf Reize. Etwa 2 % der Patienten bleiben in diesem, auch als Wachkoma oder apallisches Syndrom bezeichneten Zustand. Die Mehrzahl der Patienten zeigt allerdings eine sukzessive Verbesserung ihres Antwortverhaltens. Erstes Zeichen hierfür ist häufig das Verfolgen von Objekten oder sich im Raum bewegenden Personen mit den Augen. Ziel der Therapie in dieser Phase ist der Aufbau einer verlässlichen, d. h. reproduzierbaren Kommunikation mit dem Patienten (s. Kap. 19). Das Ende dieser Phase fällt mit dem Ende der PTA zusammen, d. h. der Patient zeigt wieder ein verlässliches Tag-zu-Tag Gedächtnis. Nun beginnt eine Phase, in der zunehmend die neuropsychologische Rehabilitation in den Vordergrund der Therapie rückt. Insbesondere Sprachfunktionen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit und exekutive Hirnfunktionen werden hier, je nach vorliegendem Störungsprofil, behandelt.

Memo

Das SHT wird in drei Schweregrade eingeteilt:

SHT 1. Grades (Commotio cerebri, Gehirnerschütterung),SHT 2. Grades (Contusio cerebri, Gehirnprellung),SHT 3. Grades (Compressio cerebri, Gehirnquetschung).

Die Einteilung erfolgt aufgrund der Dauer der Bewusstlosigkeit, der Rückbildung der Symptome und der Spätfolgen.

Kognitive Symptome des SHT sind posttraumatische Amnesie (PTA), Lern-, Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen, eine Verminderung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Wahrnehmungs- und Kommunikationsstörungen. Die genaue Symptomatik hängt von der Lokalisation der Läsion ab. Es können eine Reihe von neurologischen Störungen auftreten, wobei motorische Störungen herausragen.

Das leichte SHT (Gehirnerschütterung) bleibt zumeist folgenlos. In seltenen Fällen kann es jedoch einige Monate dauern, bis die letzten Symptome verschwinden (Kopfschmerzen, Schwindel, Sehstörungen, Müdigkeit, verstärkte Licht- und Geräuschempfindlichkeit, Konzentrationsprobleme).

1.2 Schlaganfall

Epidemiologie

Der Schlaganfall ist in Industrieländern die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache bleibender Behinderungen. In Deutschland erleiden jährlich etwa 182 pro 100 000 Einwohner einen Schlaganfall, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind (Männer: 200 pro 100 000 Ew., Frauen: 170 pro 100 000 Ew.; Kolominsky-Rabas & Heuschmann, 2002). Absolut gesehen sind dies etwa 150 000 Neuerkrankungen und etwa 15 000 Rezidive jährlich. Die Mortalität nach 28 Tagen liegt bei 19,4 %, nach drei Monaten bei 28,5 % und nach einem Jahr bei 37,3 %. Der Schlaganfall ist tendenziell eine Erkrankung des höheren Lebensalters. So sind nur etwa 25 % der Patienten jünger als 60 Jahre und etwa 15 % jünger als 45 Jahre.

Formen des Schlaganfalls

Allgemein wird unter einem Schlaganfall ein plötzlich auftretendes neurologisches Defizit zerebrovaskulärer Genese verstanden. Synonyme sind zerebraler Insult und zerebraler Apoplex, im Englischen wird von »stroke« oder »cerebrovascular accident« (CVA) gesprochen.

Man unterscheidet drei Formen des Schlaganfalls: den ischämischen Insult (Hirninfarkt), die intrazerebrale Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall) und die spontane Subarachnoidalblutung (SAB). Etwa 80 % aller Schlaganfälle sind ischämische Insulte, 15 % intrazerebrale Blutungen und ca. 5 % SAB.

Beim ischämischen Insult kommt es aufgrund von einengenden oder verschließenden Prozessen der Hirngefäße zu einem Durchblutungsmangel in einem Teil des Gehirns. Dadurch sterben Neuronen und andere Hirnzellen in dem betroffenen Bereich ab (Infarkt). Ursächlich sind Embolien (teilweiser oder vollständiger Verschluss eines Blutgefäßes durch mit dem Blut angeschwemmtes Material), lokale Thrombosen (Bildung eines Blutgerinnsels in einem Blutgefäß), oder degenerative Wandveränderungen der Gefäße. Die Symptome sind davon abhängig, welches Hirnareal betroffen ist. Tabelle 1.2 listet häufig betroffene Arterien und die Hirnstrukturen auf, die durch diese mit Blut versorgt werden. Typisch sind plötzlich auftretende halbseitige Lähmungserscheinungen (inkomplett: Hemiparese, komplett: Hemiplegie), die auch die Gesichtsmuskulatur betreffen können, halbseitige Sensibilitätsstörungen (Hemihypästhesie), halbseitige Gesichtsfeldstörungen (Hemianopsie) sowie verschiedene Aphasieformen. Bei rechtshemisphärischen Läsionen kann es zu einer kontralateralen Wahrnehmungsstörung (Neglekt) kommen. Schlaganfälle im Hirnstammbereich haben neben Lähmungserscheinungen und sensorischen Empfindungsstörungen häufig Schwindel, Doppelbilder, Schluck- und Sprechstörungen zur Folge. Allgemeinsymptome des Schlaganfalls sind Kopfschmerzen und Bewusstseinsstörungen unterschiedlichen Ausmaßes.

Die transiente ischämische Attacke (TIA) ist die leichteste Form des Schlaganfalls. Die Symptome bilden sich hierbei definitionsgemäß innerhalb von 24 Stunden zurück.

Risikofaktoren für den ischämischen Insult sind das Geschlecht (Männer sind häufiger betroffen als Frauen), das Alter (mit steigendem Alter größeres Risiko) sowie eine Reihe von beeinflussbaren Faktoren. Hier sind die arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Erhöhung des LDL- oder Erniedrigung des HDL-Cholesterinspiegels, Rauchen, überhöhter Alkoholkonsum und Herzrhythmusstörungen zu nennen. Weiterhin weisen Personen mit einer Stenose der A. carotis (Verengung der Halsschlagader) und übergewichtige Personen ein erhöhtes Schlaganfallrisiko auf. Darüber hinaus werden weitere Risikofaktoren diskutiert.

Tab. 1.2: Häufig von einem Verschluss oder einer Verengung betroffene Arterien und von ihnen versorgte Hirnregionen.

Arterie

Beeinträchtigte Hirngebiete

A. cerebri anterior

Hemisphären

Corpus callosum

Mediales Lentikulostriatum

Kopf des Ncl. caudatus

Anteriorer Abschnitt der Capsula interna

Septum pellucidum

A. cerebri media

Hemisphären

Laterales Lentikulostriatum

Ncl. lentiformis

Ncl. caudatus

Capsula interna

A. cerebri posterior

Hemisphäre

Corpus callosum

Thalamus

Mittelhirn

A. cerebellaris superior

Superiores Zerebellum

A. cerebellaris inferior anterior

Infralaterale Pons

Pedunculus cerebellaris medius

Anteriores Zerebellum

A. cerebellaris inferior posterior

Medulla

Posteriores und inferiores Zerebellum

Intrazerebrale Blutungen kommen durch Platzen eines Blutgefäßes im Gehirn zustande. Die entstehende Blutung schädigt die angrenzenden Gebiete des Gehirns. Zumeist kommt es zu dieser Form des Schlaganfalls bei Personen mit lange vorbestehendem erhöhtem Blutdruck, seltener aufgrund von Gefäßmissbildungen oder anderen Erkrankungen. Symptomatisch ähnelt die intrazerebrale Blutung dem ischämischen Schlaganfall; eine eindeutige Unterscheidung ist nur mittels CT oder MRT möglich (s. Abb. 1.1).

Ursache einer SAB ist typischerweise das Platzen einer Aussackung eines Blutgefäßes (Aneurysma) an der Schädelbasis oder (selten) innerhalb des Rückenmarkkanals. Die Folge ist eine Blutung in den Subarachnoidalraum (Raum zwischen Gehirn und Arachnoidea/Spinnwebhaut). Akutsymptome sind heftigster Kopfschmerz, Nackensteifigkeit und Bewusstseinseintrübung. Außerdem treten vegetative Begleiterscheinungen wie Schwitzen, Übelkeit/Erbrechen und Blutdruckstörungen auf. Die Behandlung besteht aus einer schnellstmöglichen neuroradiologischen (Einbringen einer Platinspirale über einen Gefäßkatheter) oder neurochirurgischen (»Clipping« des Aneurysmastiels) Ausschaltung des Aneurysmas. Von der SAB sind auch jüngere Personen ohne wesentliche Risikofaktoren für Schlaganfall betroffen.

Abb. 1.1: CT-Bild einer intrazerebralen Blutung.

Memo

Der Schlaganfall ist die häufigste Ursache bleibender Behinderungen. Etwa 182 pro 100 000

Einwohner erleiden in Deutschland jährlich einen Schlaganfall.

Es werden drei Formen des Schlaganfalls unterschieden:

ischämischer Insult (Hirninfarkt; etwa 80 %),intrazerebrale Blutung (hämorrhagischer Schlaganfall; etwa 15 %),Subarachnoidalblutung (SAB; etwa 5 %).

Beim ischämischen Insult kommt es aufgrund von einengenden oder verschließenden Prozessen der Hirngefäße zu einem Durchblutungsmangel in einem Teil des Gehirns, wodurch Neurone und andere Hirnzellen in dem betroffenen Bereich absterben (Infarkt). Die Symptome sind davon abhängig, welche Teile des Gehirns betroffen sind.

Intrazerebrale Blutungen werden durch das Platzen eines Blutgefäßes im Gehirn verursacht, bei einer Subarachnoidalblutung sind Blutgefäße im Subarachnoidalraum betroffen.

1.3 Tumoren des Gehirns und seiner Häute

Epidemiologie und Klassifikation

Hirntumoren kommen in allen Altersstufen vor und repräsentieren etwa 2 % aller menschlichen Tumoren. Besonders häufig sind jedoch Kinder betroffen. Die Inzidenz intrakranieller Tumoren liegt in Europa bei sieben bis zehn Neuerkrankungen jährlich pro 100 000 Einwohner (Kleihues & Caranee, 2000).

Unter einem Gehirntumor versteht man das abnormale Wachstum von Gewebe innerhalb des Schädels. Man unterscheidet zwischen gutartigen und malignen Tumoren. Gutartige Tumoren bestehen aus Zellen, die den normalen Zellen des Gehirns relativ ähnlich sind, langsam wachsen und auf eine Region beschränkt bleiben. Von einem malignen Tumor spricht man, wenn die Tumorzellen sich sehr von normalen Zellen unterscheiden, der Tumor relativ schnell wächst und sich leicht in andere Regionen ausbreiten kann.

Abb. 1.2: MRT-Aufnahmen von unterschiedlichen Tumoren. (A): Glioblastom, (B) Kleinhirnmedulloblastom, (C) Akustikusneurinom.

Da das Gehirn innerhalb des harten Schädels liegt, kann jedes starke Tumorwachstum zu einer Volumenerhöhung und somit zu einem Druckaufbau führen. Tumoren, auch gutartige, können so durch den Druck auf intakte Hirnregionen neurologische und kognitive Beeinträchtigungen hervorrufen. Tumoren, die Druck auf wichtige Blutgefäße im Gehirn ausüben, können zu einer Unterversorgung der empfangenden Hirngebiete mit Blut führen. Nahe der Hirnoberfläche liegende Tumoren können zumeist gut entfernt werden; eine operative Entfernung von Tumoren, die tief im Inneren des Gehirns lokalisiert sind, ist häufig nicht ohne die Beschädigung vitaler Hirnstrukturen möglich.

Tumoren werden nach dem Zelltyp benannt, aus dem sie entstehen (s. Tab. 1.3). Der Schweregrad eines Tumors wird nach einer Klassifikation der WHO in einer vierstufigen histologischen Gradierung angegeben, die insbesondere eine Aussagekraft für die Wachstumsgeschwindigkeit beinhaltet und somit für die klinische Prognose des Tumors relevant ist. Ab Grad III besteht in der Regel eine Indikation zur Bestrahlung. Besonders häufig sind Astrozytome (30 % der intrakraniellen Tumoren, außer Metastasen), Glioblastome (30 %), Meningeome (22 %). Im Kindesalter treten am häufigsten Ependymome und Medulloblastome auf.

Kognitive Folgen von Tumoren

Gehirntumoren können zu einer Vielzahl an kognitiven Beeinträchtigungen führen. Neben der Größe des Tumors ist dabei auch seine Lokalisation von großer Bedeutung für die klinischen Folgen. Dabei ist zwischen Symptomen zu unterscheiden, die spezifisch für die Schädigung bestimmter Hirngebiete sind und allgemeinen Symptomen, die durch die Druckerhöhung oder Blutflusseinschränkungen bedingt sind. Die häufigsten Symptome sind Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Übelkeit und Erbrechen, motorische Probleme, Gleichgewichtsstörungen, Seh- und Hörstörungen, kognitive Probleme verschiedenster Art sowie Verhaltensauffälligkeiten.

Behandlung von Tumoren

Bestrahlung, Chemotherapie und neurochirurgische Entfernung des Tumors sind die häufigsten Behandlungen.

Tab. 1.3: Intrakranielle Strukturen und die von ihnen ausgehenden Tumoren mit Schweregrad nach der WHO-Klassifikation.

Intrakranielle Struktur

Tumorart (WHO-Schweregrad)

Glia

Astrozytom (I–III), Oligodendrogliom (II–III), Glioblastom (IV), Gangliogliom (I–II)

Ependym (Auskleidung der Liquorräume)

Ependymom (II–III)

Plexus chorioideus

Plexuspapillom (I), Plexuskarzinom (III–IV)

Epiphyse

Pinealom (II–III), Pineoblastom (IV)

Meningen

Meningeome (I–III)

Hypophyse

Adenome (I), Karzinome (III-IV)

Hirnnerven

Neurinom (I) Bsp.: Akustikusneurinom (gutartige Geschwulst, die sich am Hör- und Gleichgewichtsnerven bilden kann. Drückt mit der Zeit auf den Nerv, wodurch es zu einer langsam zunehmenden Verminderung des Hörvermögens kommen kann.)

Embryonales Gewebe

Medulloblastom (IV)

Embryonale Strukturen

Kraniopharyngeom (I)

Blutzellen

Lymphome (eigene Klassifikation)

Absiedelungen anderer Gewebe

Metastasen

Memo

Die Inzidenz intrakranieller Tumoren liegt in Europa bei sieben bis zehn Neuerkrankungen jährlich pro 100 000 Einwohner, wobei besonders häufig Kinder betroffen sind.

Ein Gehirntumor bezeichnet abnormales Wachstum von Gewebe innerhalb des Schädels. Es wird zwischen gutartigen und malignen Tumoren unterschieden, wobei gutartige Tumoren aus Zellen bestehen, die den normalen Zellen des Gehirns relativ ähnlich sind, langsam wachsen und auf eine Region beschränkt bleiben. Maligne Tumorzellen unterscheiden sich sehr von normalen Zellen, der Tumor wächst relativ schnell und breitet sich leicht in andere Regionen aus.

Gehirntumoren können zu einer Vielzahl an kognitiven Beeinträchtigungen führen, die zum einen durch die Gewebsschädigung der betroffenen Struktur, zum anderen durch die Druckerhöhung durch das raumfordernde Tumorwachstum verursacht werden. Kopfschmerzen, Krampfanfälle, Übelkeit und Erbrechen, motorische Probleme, Gleichgewichtsstörungen, Seh- und Hörstörungen, kognitive Probleme verschiedenster Art sowie Verhaltensauffälligkeiten sind die häufigsten Symptome.

Die Behandlung erfolgt durch Bestrahlung, Chemotherapie und neurochirurgische Entfernung des Tumors.

1.4 Entzündliche Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute

Verschiedene infektiöse Erkrankungen sind eine weitere Ursache für Schädigungen des Gehirns. Dabei können die Hirnhäute (Meningitis), das Hirngewebe (Enzephalitis) oder beide (Meningoenzephalitis) betroffen sein.

Die Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis (HSVE) ist mit einer Inzidenz von 1/250 000 pro Jahr die häufigste Virusenzephalitis in Deutschland. Daneben gibt es weitere, vor allem durch Insekten übertragene Viren, die eine Enzephalitis verursachen können. Ihr Auftreten ist häufig auf bestimmte geographische Regionen beschränkt; auch lässt sich oft eine jahreszeitliche Häufung beobachten. Gelegentlich treten Epidemien dieser Erkrankungen auf.

Die Folgen von Infektionserkrankungen des Gehirns sind – außer bei der HSVE – schwer vorherzusagen. Es können fokale oder diffuse Hirnschädigungen auftreten. HSVE führt meist zu Schädigungen der basalen und orbitofrontalen Bereiche der Frontallappen, des Temporallappens und zur Schädigung des insulären Kortex. In der Akutphase ist die HSVE durch Fieber, Kopfschmerzen und Nackensteife sowie generelle (Krampfanfälle, Verwirrung, Delirium oder Koma) und spezifische (Aphasie, Mutismus, Nystagmus, motorische Störungen) neurologische Zeichen charakterisiert. Kognitiv lassen sich Konfabulation, exekutive Hirnfunktionsstörungen und Gedächtnisstörungen beobachten. Etwa die Hälfte der Patienten leiden unter affektiven Problemen wie Euphorie, Manie, Aggression und allgemeiner Irritabilität.

Eine Meningitis oder Hirnhautentzündung kann viral (nichteitrig) oder bakteriell (eitrig) verursacht werden. Die Patienten haben hohes Fieber, klagen über Kopfschmerzen, Übelkeit mit Erbrechen und eine erhöhte Lichtempfindlichkeit. Typisch ist der steife Nacken (Meningismus). Weiterhin treten ein positives Brudzinski-Zeichen (Patient liegt entspannt auf dem Rücken. Bei passivem Vorbeugen des Kopfes werden reflektorisch die Beine in den Kniegelenken angewinkelt) und ein positives Kernig-Zeichen auf (bei 90° Hüftbeugung kann der Unterschenkel im Kniegelenk nicht vollständig gestreckt werden). Ursache für die Entzündung sind zumeist Viren (Varizella-Zoster-Virus, Coxsackie- und Enteroviren, Epstein-Barr-Virus, Mumps-Virus, Masern-Virus, FSME-Virus u. a.). Die bakterielle Meningitis tritt seltener auf, ist aber schwerer als die virale und zieht häufiger Folgeschäden nach sich. Sie kann verursacht werden durch Enterobakterien (bei Neugeborenen; Bsp.: E. coli), Streptokokken, Meningokokken, Pneumokokken, aber auch durch Pilze oder Parasiten. Auch der Erreger der Borreliose, das Bakterium Borrelia burgdorferi, kann im Verlauf der Erkrankung zu einer Meningitis führen. Eindringwege für Bakterien sind der Nasen-Rachen-Raum, das Mittelohr, die Lungen oder Schädelfrakturen. Es ist sehr wichtig, den Erreger zu identifizieren, da die Behandlung von der Art des Erregers abhängt.

Mit drei bis zehn Fällen pro 100 000 Personen ist die bakterielle Meningitis bei Erwachsenen relativ selten. Kinder sind jedoch wesentlich häufiger betroffen (erstes Lebensjahr: 80 Fälle, 15. Lebensjahr: 52 Fälle pro 100 000 Einwohner). Virale Meningitiden sind weitaus häufiger. Da sie in der Mehrzahl der Fälle ohne Komplikationen wieder abklingen, werden sie häufig nicht diagnostiziert, sodass genaue Zahlen über ihre Häufigkeit nicht vorliegen.

Memo

Infektiöse Erkrankungen können die Hirnhäute (Meningitis), das Hirngewebe (Enzephalitis) oder beides (Meningoenzephalitis) betreffen. Infektiöse Erkrankungen des Gehirns und seiner Häute können viral oder bakteriell verursacht sein.

Die Folgen von Infektionserkrankungen des Gehirns sind – außer bei der Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis (HSVE) – schwer vorherzusagen. Es können fokale oder diffuse Hirnschädigungen auftreten. HSVE führt meist zu Schädigungen der basalen und orbitofrontalen Bereiche der Frontallappen und zu Schädigung des insulären Kortex.

Bakterielle Meningitiden sind schwerer als virale und führen häufiger zu dauerhaften kognitiven Beeinträchtigungen.

1.5 Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems, bei der es zu einer Schädigung der die Axone umgebenden Myelinscheiden kommt. Ihre Ursache ist noch nicht vollständig aufgeklärt.

Im Marklager von Gehirn und Rückenmark treten vielfache (multiple) entzündliche Entmarkungsherde auf. Diese sind vermutlich durch den Angriff körpereigener Abwehrzellen auf die Myelinscheiden der Axone verursacht. Die Zerstörung der Myelinscheiden führt zu einer Unterbrechung der Impulsweiterleitung in den Nerven, wodurch es zu den klinisch beobachtbaren Funktionsausfällen kommt. Da die Entmarkungsherde im gesamten Gehirn und im Rückenmark zu finden sein können, sind die bei MS beobachtbaren Symptome sehr vielgestaltig. Häufige Symptome sind Spastik/Parese, Sensibilitätsstörungen, Hirnstamm- und zerebelläre Symptome, Miktionsstörung (Probleme bei der Blasenentleerung), chronische Müdigkeit, Augenmotilitätsstörungen und neuropsychologische Störungen (v. a. Aufmerksamkeitsintensität und -selektivität, Lern- und Merkfähigkeit, verlangsamte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit). Typische, aber selten auftretende Symptome sind tonische Hirnstammanfälle, eine Trigeminusneuralgie bei jüngeren Patienten, Lhermitte-Zeichen (schmerzhaftes, oft als elektrisierend geschildertes Gefühl in Armen, Rumpf oder Beinen bei passiver Bewegung des Kopfes mit dem Kinn auf die Brust).

Die MS beginnt bei etwa 85 % der Patienten mit Schüben, bei den Übrigen ist sie von Beginn an progredient. Unter einem Schub werden akute neurologische Verschlechterungen verstanden, die einige Wochen andauern und sich dann zumeist weitgehend bessern. Ein Schub tritt üblicherweise einmal alle ein bis zwei Jahre auf; in den Intervallen können die Patienten völlig beschwerdefrei sein. Bei vielen Patienten geht der schubförmige Verlauf nach etwa zehn Jahren in eine progrediente Erkrankungsphase über, die keine klar abgrenzbaren Schub- und Remissionsphasen mehr aufweist. Behinderungen wie Mobilitätseinschränkungen, Visusstörungen und kognitive Störungen nehmen zu. Die Lebenserwartung der Patienten ist nicht verringert.

Kognitive Probleme bei MS

Etwa 40 % der MS-Patienten leiden an neuropsychologischen Symptomen (Rao et al., 1991). Am häufigsten wird von Lernstörungen, zunehmender Vergesslichkeit, Fehlhandlungen, mangelnder Konzentration, rascher Ermüdbarkeit, reduzierter Belastbarkeit sowie von Störungen der visuellen Wahrnehmung und der räumlich-konstruktiven Funktionen berichtet.

Memo

Multiple Sklerose ist eine chronische entzündliche Entmarkungserkrankung. Da die Entzündungsherde an vielen Stellen im Gehirn und im Rückenmark auftreten können, ist ihre Symptomatik sehr vielgestaltig. Etwa 40 % der Patienten leiden an neuropsychologischen Störungen, wobei Lern- und Merkfähigkeitsprobleme, beeinträchtigte selektive Aufmerksamkeit, Verlangsamung der Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, rasche Ermüdbarkeit sowie Probleme bei der Verhaltensplanung und -überwachung im Vordergrund stehen.

Epidemiologie

In Deutschland liegt die Prävalenz der MS bei rund 150 Fällen pro 100 000 Einwohner, wobei Frauen etwa doppelt so häufig betroffen sind.

Therapie

Ein akuter Schub wird mit hochdosiertem Kortison behandelt. In den Intervallen werden Beta-Interferone, Glatiramerazetat und mit Einschränkungen Immunglobuline eingesetzt. Symptomatische medikamentöse Therapien, z. B. zur Behandlung der Miktionsstörung, erhöhen die Lebensqualität der Patienten entscheidend. Aus psychologischer Sicht spielt vor allem die Hilfe bei der Krankheitsverarbeitung eine zentrale Rolle.

Die Hauptaufgabe der Neuropsychologen liegt in der neuropsychologischen Diagnostik und in therapeutischer Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung. Daneben spielt die Kompensationstherapie bei chronischen Patienten eine wichtige Rolle.

1.6 Hypoxische Hirnschädigungen

Zerebrale Hypoxie bezeichnet einen Zustand der Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. In diesem Abschnitt wird nur die nicht ischämische Hypoxie besprochen.

Es werden vier Arten der Hypoxie unterschieden:

Anoxische Hypoxie. Inadäquate Sauerstoffversorgung des Gehirns aufgrund respiratorischer Probleme, die beispielsweise durch beinahes Ertrinken verursacht sein können.

Anämische Hypoxie. Inadäquate Sauerstoffversorgung des Gehirns aufgrund einer Unfähigkeit des Blutes, Sauerstoff zu transportieren. Diese kann durch starken Blutverlust, Anämie oder Kohlendioxidvergiftung verursacht sein.

Stagnierende Hypoxie. Inadäquate Sauerstoffversorgung des Gehirns aufgrund einer Reduktion des Blutflusses, z. B. nach Herzstillstand, Strangulation oder einem Myokardinfarkt.

Toxische Hypoxie. Inadäquate Sauerstoffversorgung des Gehirns aufgrund von Substanzen, die mit der Sauerstoffaufnahme interferieren, wie beispielsweise bei einer Zyanidvergiftung.

Hypoxien führen zu generellen, diffusen Hirnläsionen, deren Schwere vor allem durch die Dauer der Sauerstoffdeprivation determiniert ist. Allerdings sind der okzipitale Kortex, der Hippokampus und das Zerebellum besonders anfällig, was dazu führt, dass Patienten mit einer hypoxisch bedingten Schädigung häufig unter einer Agnosie, Gedächtnisstörungen und unter Problemen der motorischen Kontrolle leiden. Auch die Basalganglien und der Thalamus scheinen besonders anfällig zu sein.

Memo

Zerebrale Hypoxie bezeichnet die Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff und kommt vor allem durch beinahes Ertrinken oder Intoxikationen zustande. Hypoxien führen zu meist schweren diffusen Hirnläsionen.

Anoxie (vollständiger Stopp der Sauerstoffversorgung des Gehirns) führt nach wenigen Sekunden zu einer Bewusstlosigkeit. Bereits nach fünfminütiger vollständiger Unterbrechung der Versorgung kommt es zu Zelltod in den besonders empfindlichen Gebieten. Eine Anoxie von mehr als 10 Minuten wird nicht überlebt.

1.7 Morbus Parkinson

Die Parkinson-Krankheit bzw. Morbus Parkinson (MP) ist eine langsam fortschreitende degenerative Erkrankung des extrapyramidalmotorischen Systems. Die vier Hauptsymptome sind Rigor (Muskelstarre), Tremor (Muskelzittern) und Bradykinese (verlangsamte Bewegungen), die bis zur Akinese (Bewegungslosigkeit) führen kann. Weiterhin besteht eine posturale Instabilität (Haltungsinstabilität). Neben diesen Kardinalsymptomen kommt es im Krankheitsverlauf in individuell unterschiedlichem Ausmaß zu weiteren Symptomen. Vegetative Störungen wie Bewegungsstörungen des Magen-Darm-Trakts, Sexualfunktionsstörungen, Störungen der Temperaturregulation (vermehrtes Schwitzen), Schlafstörungen oder Blasenfunktionsstörungen stellen für die Patienten im Alltag eine erhebliche Belastung dar. Bei etwa 40 % der Patienten (21 % bis 89 % in unterschiedlichen Studien; Odin & Gies, 2008) tritt im Verlauf der Erkrankung eine behandlungsbedürftige Depression auf. Halluzinationen oder psychotische Symptome kommen als Nebenwirkung der dopaminergen Medikamente bei 3,6 % bis 60 % der Patienten vor.

Kognitive Probleme bei MP

Kognitive Probleme sind ebenfalls häufig (Caballol, Marti & Tolosa, 2007). Es überwiegen exekutive Funktionsstörungen wie verringerte verbale und non-verbale Flüssigkeit, Störungen des Arbeitsgedächtnisses und des Gedächtnisabrufs, Störungen der Strategiebildung, Handlungsplanung und -überwachung sowie eine allgemein verlangsamte Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit. Zahlreiche Autoren führen die Defizite auf eine zugrunde liegende subkortikale Demenz zurück, die durch die Störung frontostriataler Schleifen zustande kommt (Odin & Gies, 2008).

Ursachen

Auslöser des MP ist das Absterben von Dopamin produzierenden Zellen in der Substantia nigra und anderen zu den Basalganglien zählenden Strukturen und der Einschluss von Lewy-Körperchen mit Ubiquitin assoziierten zytoplasmatischen Proteinablagerungen.

Die Erkrankung beginnt meist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr (Gipfel: 58 bis 62 Jahre). Männer scheinen etwas häufiger betroffen zu sein als Frauen. Bei etwa 10 % der Patienten liegt das Erkrankungsalter vor dem 40. Lebensjahr (»young onset Parkinson’s Disease«), bei 30 % vor dem 50. Lebensjahr und 50 % erkranken zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Insgesamt wird von 300 000 bis 400 000 Betroffenen in Deutschland ausgegangen.

Man unterscheidet zwischen idiopathischem M. Parkinson (IPS; etwa 75 % aller Parkinson-Patienten), symptomatischen Parkinsonsyndromen (etwa 15 %) und atypischen Parkinsonsyndromen (etwa 10 %). Die Ursache für das IPS ist noch weitgehend ungeklärt. Diskutiert werden unter anderem oxidativer Stress, Proteinaggregation und Apoptose. Auch ein genetischer Faktor wird angenommen (Morris, 2005).

Symptomatische Parkinsonsyndrome sind Folgeerscheinungen anderer Erkrankungen (vaskuläre Erkrankungen, Normaldruckhydrozephalus, tumorbedingt, Medikamenteninduziert, posttraumatisch, entzündlich, metabolisch etc.). Atypische Parkinsonsyndrome treten z. B. bei Multisystematrophie oder bei der progressiven supranukleären Blickparese (PSP) auf.

Therapie

Es gibt bislang keine Möglichkeit der ursächlichen Behandlung des MP. Es können jedoch die Symptome behandelt werden, was den Patienten zumindest in den ersten Jahren ein nahezu unbehindertes Leben ermöglicht. Hauptsächlich wird L-Dopa (Levodopa), eine Vorstufe des Dopamins, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann, verabreicht. Eine Langzeittherapie mit L-Dopa führt jedoch häufig zu Störungen des Bewegungsablaufes (Dyskinesien) und motorischen Fluktuationen, die mit der pulsatilen Stimulation der Dopaminrezeptoren erklärt wird (L-Dopa hat nur eine Wirkzeit von wenigen Stunden). Aus diesem Grund werden vor allem jüngere MP-Patienten mit Dopaminagonisten behandelt, die direkt die Dopaminrezeptoren stimulieren. Es gilt als erwiesen, dass eine frühzeitige Monotherapie mit Dopaminagonisten, die zu einem späteren Zeitpunkt mit L-Dopa kombiniert wird, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Dyskinesien reduziert.

MAO-B-Hemmer (Selegilin, Rasagilin) verlangsamen den Abbau von Dopamin im Gehirn und werden vor allem als Monotherapie in der Frühphase der Erkrankung eingesetzt. COMT-Hemmer inhibieren den Abbau von L-Dopa und verlängern bei gemeinsamer Einnahme den Effekt der L-Dopa-Gabe um 15 % bis 25 %. Die Gabe der COMT-Hemmer hat sich vor allem bei Patienten mit starker Fluktuationssymptomatik bewährt (Odin & Gies, 2008).

Memo

Die vier Hauptsymptome des Morbus Parkinson sind Rigor, Tremor, Bradykinese und die posturale Instabilität. Neben diesen Kardinalsymptomen treten im Krankheitsverlauf in unterschiedlichem Ausmaß vegetative und psychische Störungen auf. Bei den kognitiven Störungen stehen die exekutiven Funktionsstörungen im Vordergrund.

Die Erkrankung beginnt zumeist zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr und schreitet fort. Sie ist charakterisiert durch das Absterben Dopamin produzierender Neurone in der Substantia nigra und anderen Strukturen der Basalganglien. In Deutschland sind etwa 300 000 bis 400 000 Menschen betroffen.

Die medikamentöse Behandlung erfolgt mit L-Dopa und anderen Medikamenten, die auf den Neurotransmitter Dopamin bzw. seine Rezeptoren einwirken. In den letzten Jahren haben sich neurochirurgische Therapiemethoden, insbesondere die Tiefenhirnstimulation, immer besser etablieren können.

In den letzten 15 Jahren sind die neurochirurgischen Therapiemethoden entscheidend weiterentwickelt worden (Limousin & Martinez-Torres, 2008; Remple, Sarpong & Neimat, 2008). Die tiefe Hirnstimulation hat sich dabei als wichtige Therapiemethode bei Patienten etabliert, die nicht (mehr) auf L-Dopa ansprechen. Dabei werden Elektroden stereotaktisch implantiert, die mit einem Stimulator unter dem Schlüsselbein verbunden sind. Dieser kann individuell angepasst werden und ermöglicht das An- und Abschalten der Stimulation. Hauptsächlich eingesetzt wird die beidseitige Elektrostimulation im N. subthalamicus. Die Patienten zeigen eine Reduktion des Rigors, der Hypo- bzw. Hyperkinese, des Tremors sowie der Gang- bzw. Haltungsstörungen.

Weiterführende Literatur

Poeck, K & Hacke, W (2006). Neurologie. Heidelberg: Springer.

Verständnisfragen zu Kapitel 1

Welche für Neuropsychologen relevanten neurologischen Erkrankungen sind besprochen worden?

Beschreiben Sie die Möglichkeiten der Verteilung des von einer Verletzung betroffenen Hirngewebes und nennen Sie jeweils Beispiele.

Wie häufig sind SHTs?

Beschreiben Sie die verschiedenen Formen eines SHTs.

Was wird mit der GCS eingeschätzt? Beschreiben Sie die Skala.

Beschreiben Sie die Beschwerdekomplexe nach einem SHT.

Beschreiben Sie den Verlauf eines SHTs.

Wie häufig treten Schlaganfälle auf und welche verschiedenen Formen gibt es?

Erläutern Sie die Klassifikation und die Epidemiologie der Tumore.

Nennen Sie die kognitiven Folgen von Tumoren des Gehirns.

Was versteht man unter Multipler Sklerose?

Welche Formen der Hypoxie werden unterschieden?

Was sind die typischen Folgen einer Hypoxie?

Was ist der Unterschied zwischen Hypoxie und Anoxie?

Wie häufig tritt Morbus Parkinson (MP) auf?

Wann beginnt die Erkrankung typischerweise?

Welche Ursachen werden diskutiert?

Erläutern Sie die vier Hauptsymptome des Morbus Parkinson.

Welche kognitiven Probleme sind bei MP häufig zu beobachten?

2 Neuropsychologische Diagnostik

2.1

Klassifikationssysteme: ICD, ICIDH und ICF

2.2

Ablauf einer neuropsychologischen Untersuchung

2.2.1

Anamnese und Fremdanamnese

2.2.2

Die testpsychologische Untersuchung

2.2.3

Neuropsychologische Tests

2.2.4

Fragebögen und Ratingskalen

2.2.5

Die Verhaltensbeobachtung

2.3

Neuere Ansätze in der neuropsychologischen Diagnostik

In diesem Kapitel werden zunächst die Ziele der neuropsychologischen Diagnostik vorgestellt. Es werden Klassifikationssysteme für Krankheiten und deren Folgen beschrieben, die für die neuropsychologische Diagnostik hilfreich sind. Der Ablauf einer neuropsychologischen Untersuchung mit Anamnese, Fremdanamnese, Verhaltensbeobachtung und psychometrischer Testung wird besprochen. Die Grundlagen des psychometrischen Ansatzes werden dargestellt, bevor abschließend auf die wichtigsten in der neuropsychologischen Diagnostik verwendeten Testverfahren eingegangen wird.

Die neuropsychologische Untersuchung dient der Identifikation und Beschreibung der kognitiven, emotionalen, motivationalen und behavioralen Folgen einer Schädigung oder Dysfunktion des Gehirns. Sie kann verschiedene Funktionen haben (Gauggel & Böcker, 2008). Zunächst geht es um die Erfassung und Beschreibung der aktuell vorliegenden kognitiven, emotionalen und motivationalen Störungen. Dabei interessieren die Art, die Dauer und die Ausprägung der Störungen sowie deren Auswirkungen auf den Patienten im Alltag. Ein weiteres Ziel besteht in der Klassifikation, d. h. in der Zuordnung zu diagnostischen Kategorien eines internationalen Klassifikationssystems für Erkrankungen (z. B. ICD-10 oder DSM-IV). Die gewonnen diagnostischen Informationen können auch dazu verwendet werden, die Entstehung und Aufrechterhaltung der Probleme des Patienten zu erklären. Weiterhin dienen sie der Prognosestellung, d. h. es sollen in gewissem Rahmen Vorhersagen über den Verlauf gemacht werden. Ein weiteres wichtiges Ziel ist die Hilfe beim Treffen sozialrechtlicher Entscheidungen (im Rahmen neuropsychologischer Begutachtungen). Die Planung von therapeutischen Interventionen setzt ebenfalls Wissen über die kognitiven Stärken und Schwächen des Patienten voraus. Schließlich dient die neuropsychologische Diagnostik der Evaluation, d. h. der Bewertung der Wirksamkeit therapeutischer Interventionen (Effektivitätsnachweis und Qualitätssicherung). Im Folgenden wird die neuropsychologische Diagnostik mit dem Ziel der Therapieplanung betrachtet.

Memo

Neuropsychologische Diagnostik dient der Beschreibung der kognitiven, emotionalen, motivationalen und behavioralen Folgen einer Hirnverletzung. Sie kann unterschiedliche Ziele verfolgen:

Klassifikation, d. h. Zuordnung zu einer Störung/Erkrankung,Prognosestellung,sozialrechtliche Begutachtung,Verlaufsbeurteilung,Therapieplanung,Therapieevaluation.

2.1 Klassifikationssysteme: ICD, ICIDH und ICF

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mehrere Klassifikationen verschiedener Aspekte von Gesundheit entwickelt, die für die neuropsychologische Diagnostik und Therapieplanung sehr hilfreich sind. Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10; WHO, 1993) klassifiziert Gesundheitsprobleme (Krankheiten, Gesundheitsstörungen, Verletzungen etc.) und liefert einen ätiologischen Rahmen. Das der ICD zugrunde liegende, von den Infektionskrankheiten abgeleitete Krankheitsmodell kann durch die Sequenz »Ätiologie → Pathologie → Manifestation« beschrieben werden und sieht im Wesentlichen die Konsequenzen Heilung oder Tod vor. Eine notwendige Erweiterung des Modells: »Krankheit → Schädigung → Funktionsstörung → Beeinträchtigung« wurde erstmals mit der ICIDH (International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps; WHO, 1980) vorgelegt. Hier wird auf drei getrennten Achsen die Verschlüsselung der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen vorgenommen. Die vollständige Verschlüsselung erfordert die Berücksichtigung aller drei Achsen und größtenteils auch aller Kapitel (mehrfacettige Verschlüsselung), die bis zu vier Stufen tief gegliedert sind. Weiterentwicklungen stellen die ICIDH-II und die ICF dar.

Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF; WHO, 2001) liefert einen Organisationsrahmen und eine Beschreibung von Situationen der menschlichen Funktionsfähigkeit und ihrer Beeinträchtigungen. Die wesentlichen Komponenten des Modells sind die Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe) (s. Tab. 2.1). Diese stehen in Wechselwirkung zu Umweltfaktoren und personenbezogenen Faktoren. Ein Gesundheitsproblem wie beispielsweise ein Schlaganfall hat Störungen des episodischen Gedächtnisses zur Folge (Ebene der körperlichen Funktionen/Strukturen). Daraus resultieren Konsequenzen für Alltagsaktivitäten wie das Einhalten von Verabredungen (Ebene der Aktivitäten), die nun ihrerseits zu Schwierigkeiten bei der Partizipation an Aktivitäten des Lebens führen (z. B. Probleme, neue Freunde zu finden; Probleme, Aufgaben am Arbeitsplatz auszuführen; s. Abb. 2.1 und Abb. 2.2). Die drei Ebenen Körperfunktionen/-strukturen, Aktivitäten und Partizipation werden nun ihrerseits durch Umweltfaktoren und Persönlichkeitsmerkmale des Patienten beeinflusst.

Abb. 2.1: Grundstruktur der ICF.

Umweltfaktoren könnten in unserem Beispiel die dem Patienten zur Verfügung stehenden Kompensations »technologien« sein (Gedächtnistagebuch, Kalender …), aber auch die Verfügbarkeit von neuropsychologischer Therapie. Persönlichkeitsmerkmale wie der Bewältigungsstil des Patienten beeinflussen die Folgen der Erkrankung ebenfalls. So könnte nach einem vergessenen Termin eine katastrophisierende Reaktion erfolgen, die zu völligem sozialen Rückzug führt (»Ich vergesse immer alle Termine. Die Leute warten dann vergeblich und hassen mich dafür. Ich werde nie mehr Freunde finden.«), es könnte aber auch eine positive Bewältigung stattfinden (»Aufgrund meiner Hirnverletzung kann ich mir nun mal Dinge nicht mehr gut merken. Ich werde in Zukunft versuchen, mir Hilfe zu holen, damit ich Termine nicht mehr vergesse. Ich werde auch versuchen, meine Mitmenschen auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Sie werden dann schon Verständnis dafür haben, wenn ich mal einen Termin vergesse.«).

Tab. 2.1: Wichtige Begriffe aus der ICF im Überblick.

Körperfunktionen: physiologische Funktionen von Körpersystemen einschließlich der psychologischen Systeme)

Körperstrukturen: Anatomische Teile des Körpers (Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile)

Schädigungen: Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oder Körperstruktur, z. B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust

Aktivität: Durchführung einer Handlung durch einen Menschen

Partizipation (Teilhabe): Einbezogensein in eine Lebenssituation

Beeinträchtigungen der Aktivität: Schwierigkeiten, die ein Mensch bei der Durchführung einer Aktivität haben kann

Beeinträchtigungen der Partizipation (Teilhabe): Probleme, die ein Mensch beim Einbezogensein in eine Lebenssituation erlebt

Umweltfaktoren: Materielle, soziale und einstellungsbezogene Lebensumwelt von Menschen

Abb. 2.2: Das Modell der ICF und Beispiele für den Einsatz diagnostischer Verfahren, die Informationen über die verschiedenen Ebenen liefern können (modifiziert nach Gauggel & Böcker, 2008).

Die neuropsychologische Therapie zielt vor allem darauf ab, die Partizipation der Patienten wieder zu erhöhen (berufliche Wiedereingliederung; eigenständige Lebensführung …). Dabei setzen die verschiedenen Methoden auf unterschiedlichen Ebenen an. Das Restitutionstraining versucht, die gestörte körperliche Funktion wiederherzustellen. Beim Kompensationstraining wird versucht, den Patienten durch Nutzung noch intakter Funktionen in die Lage zu versetzen, Aktivitäten wieder auszuführen. Auch die Beeinflussung von Umweltfaktoren fällt unter das Kompensationstraining. Die Orientierung am ICF-Schema in der neuropsychologischen Diagnostik kann nützliche Hinweise für die Therapieplanung erbringen, indem sie hilft, Faktoren aufzudecken, die zu Einschränkungen in der Partizipation führen. Dabei wird der Fokus von den Defiziten des Patienten verschoben auf seine gegenwärtig vorhandenen Fähigkeiten (Ressourcen), die Lebensbedingungen und Anforderungen an den Patienten. Darin liegt der eigentliche Beitrag des ICF-Schemas für die therapieorientierte neuropsychologische Diagnostik.

Die Brain Injury Interdisciplinary Special Interest Group des American Congress of Rehabilitation Medicine hat ein Schema für die Diagnostik von Patienten nach traumatischen Hirnschädigungen erarbeitet (6A-TBIAS), der die von der WHO in der ICIDH-II getroffene Unterscheidung zwischen Schädigung (impairment), Behinderung (disability) und Einschränkung (handicap) berücksichtigt (s. Tab. 2.2). Es wird zwischen sechs Bereichen unterschieden, die in den Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher, sich überlappender Berufsgruppen in der Klinik fallen. Neuropsychologische Diagnostik wird hier also als ein umfassender, interdisziplinärer Prozess angesehen. Der erste Bereich, die Ätiologie/Pathologie, wird in der Regel von Ärzten vorgenommen. Die Bereiche 2 und 3 (Status vor der Verletzung; verletzungsbezogene medizinische Zustände) fallen in den Bereich von Ärzten und Psychologen. Bei den Bereichen 4 bis 6 (Schädigungen/impairments; Behinderungen/disability; Einschränkungen/handicap) können auch Ergo-, Physiotherapeuten und das Pflegepersonal mit einbezogen werden. Das für Patienten mit traumatischen Hirnschädigungen entwickelte Schema kann leicht modifiziert auch für Patienten mit Hirnschädigungen anderer Ätiologie zur Anwendung kommen.

Tab. 2.2: 6A-TBIAS (BISG, 1998; Übersetzung vom Verfasser).

Bereich I: Ätiologie/Pathologie

A.

Schweregrad, spezifiziert durch (eines oder mehrere der Folgenden):

Bewusstlosigkeit

posttraumatische

Amnesie

Glasgow Coma Scale

verletzungsbezogene

intrakranielle Abnormalitäten

akute Komplikationen, die die zerebrale Funktionsfähigkeit beeinträchtigen

B.

Chronizität (Dauer seit der Verletzung)

C.

Behandlungsgeschichte/Zugang zu Behandlungen

Bereich II: Status vor der Verletzung

A.

Medizinische Diagnosen vor der Verletzung, einschließlich früherer Hirnverletzungen, psychiatrischer Erkrankungen, Substanzmissbrauch, Entwicklungsstörungen (wie ADHS).

B.

Funktioneller Status (Mobilität; Alltagsverrichtungen)

C.

Lebensstatus (alleinlebend; Spezifizierung der benötigten Unterstützung bei Alltagsverrichtungen)

D.

Ausbildungsstatus

E.

Beschäftigungsstatus

F.

Konflikte mit dem Rechtssystem

G.

Physischer und/oder sexueller Abusus

H.

Persönlichkeit; Bewältigungsstil

I.

Rolle in der Familie

J.

Soziales Unterstützungssystem

Größe des sozialen Unterstützungssystems

Zufriedenheit mit dem sozialen Unterstützungssystem

soziale Rollen

K.

Geschlecht

L.

Alter zum Verletzungszeitpunkt

Bereich III: Verletzungsbezogene medizinische Zustände

A.

Systeme

Neurologisch, einschließlich autonomes Nervensystem

Muskel- und Skelettsystem

Immunsystem

Endokrines System

Kardiovaskuläres System

andere (z. B. vestibuläres System)

B.

Effekte der Medikation (erwünschte therapeutische Effekte vs. Nebenwirkungen)

C.

Andere medizinische Zustände

Schlafstörungen

Schmerz

sexuelle Störungen

psychiatrische Störungen; inklusive Aggravation, Simulation

Bereich IV: Schädigungen (impairments)

(Schäden einer psychischen, physischen oder anatomischen Struktur)

A.

Sensorisch; Perzeption

B.

Motorik

C.

Emotional

D.

Verhalten

E.

Kognitiv, einschließlich Sprachfunktion

F.

Andere somatische Schädigungen

Bereich V: Behinderung (disability)

(Fähigkeitsstörung, die aufgrund der Behinderung entstanden ist)

Festgestellt durch:

Patient

Angehörige

medizinisches Personal

Bereich VI: Einschränkung (handicap)

(soziale Benachteiligung aufgrund der Schäden und/oder der Fähigkeitsstörung/Behinderung)

A.

Indikatoren

unabhängige Lebensführung

berufliche Aktivitäten

Freizeitaktivitäten

psychosoziale Anpassung

Lebensqualität

B.

Einflussfaktoren

physikalische und Umweltfaktoren

soziale Faktoren

finanzielle Faktoren

Faktoren des Rechtssystems

soziale Unterstützung

Stress

Memo

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat mehrere Klassifikationssysteme entwickelt, die für die neuropsychologische Diagnostik wichtig sind. Das ICD-10 ist eine Klassifikation der Krankheiten und dient der medizinischen Diagnosestellung. In der ICIDH-II und in der ICF werden Krankheit, Funktionsstörung und Beeinträchtigung unterschieden. Die ICIDH-II dient der Beschreibung von Krankheiten auf den Ebenen Schädigung, Behinderung und Einschränkung. In der ICF, die eine Weiterentwicklung der ICIDH-II darstellt, wird zwischen den Ebenen Körperfunktionen/-strukturen (z. B. Störung des episodischen Gedächtnisses), Aktivitäten (z. B. Probleme, sich Aufgaben zu merken) und Partizipation/Teilhabe (z. B. Probleme bei der Arbeit) unterschieden. Die Beschreibung von Gesundheitsproblemen auf diesen Ebenen ist hilfreich, um die Folgen der Gesundheitsstörung für den Patienten zu erfassen und entsprechende Therapieschritte zu planen.

2.2 Ablauf einer neuropsychologischen Untersuchung

In den meisten neurologischen Rehabilitationskliniken und neuropsychologischen Ambulanzen wird eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung auf mehrere, jeweils eine bis drei Stunden andauernde Termine aufgeteilt. Bestandteile der neuropsychologischen Diagnostik sind nach den Leitlinien der Gesellschaft für Neuropsychologie (GNP, 2005): das Studium der Vorbefunde, die Entwicklung einer konkreten diagnostischen Fragestellung (Bsp.: Für wie viele Stunden täglich ist ein beruflicher Wiedereinstieg möglich? Welche Tätigkeiten können von dem Patienten durchgeführt werden?), die Anamnese und Exploration (ggf. Fremdanamnese), die Planung und Durchführung der neuropsychologischen (testpsychologischen) Untersuchung, Erfassung von ggf. die Testdurchführung oder die Ergebnisse beeinflussenden Faktoren (z. B. Medikation, besonderer Stress, anhängiges Schadensersatz- oder Berentungsverfahren etc.), die Verhaltensbeobachtung, die Feststellung von Aggravation (Übertreibung) und Simulation bei der neuropsychologischen Diagnostik, die Analyse und Interpretation der Untersuchungsergebnisse sowie schließlich die Dokumentation der Ergebnisse in Befundberichten oder Gutachten.

Eine gute Arbeitsbeziehung zwischen Patient und Untersucher ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche neuropsychologische Untersuchung. Wichtige Voraussetzung für die Kooperation des Patienten ist es, ihn über die bevorstehende Untersuchung zu informieren. Folgende Aspekte sollten dabei berücksichtigt werden (nach Lezak, Howieson & Loring, 2004):

Zweck der Untersuchung,

Überblick über die zu untersuchenden Funktionsbereiche,

Zeitplanung; Pausen bei längeren Untersuchungen,

Informationen über den Empfänger und die weitere Verwendung der Untersuchungsergebnisse,

Informationen über die gesetzliche Schweigepflicht,

Rückmeldungen des Patienten über eventuelle Erwartungen und Befürchtungen und über seine Einstellung zur Untersuchung,

wenn Patient der Auftraggeber ist: Höhe und Bezahlungsmodalität des Honorars.

Die Untersuchung soll in einer freundlichen und den Patienten wertschätzenden Atmosphäre in einem möglichst störungsfreien Raum stattfinden.

2.2.1 Anamnese und Fremdanamnese

Als Anamnese bezeichnet man die Aufnahme der subjektiven Angaben der untersuchten Person durch ein exploratives Gespräch. Bei der Anamnese geht es also darum, etwas über die Entstehung der Erkrankung und über die momentanen Probleme des Patienten zu erfahren. Dabei möchte man die subjektive Sichtweise des Patienten kennenlernen. Um aber auch eine möglichst objektive Einschätzung vornehmen zu können, sollte man nach Möglichkeit nicht nur den Patienten, sondern auch dessen Angehörige als Informationsquellen nutzen (Fremdanamnese), da viele Patienten ein mangelndes Krankheits- und Problembewusstsein aufweisen.

Zunächst sollte nach grundlegenden Informationen wie Name, Geburtsdatum, Schulabschluss, Berufsausbildung, Familienstand, Wohnsituation (alleine oder mit Eltern/Lebenspartner, Kinder) sowie nach der medizinischen Diagnose und Medikation gefragt werden. Die zeitliche, örtliche und die Orientierung zur Person müssen überprüft werden. Weiterhin interessiert die subjektive Einschätzung des Patienten über seine Probleme. Dabei ist es sinnvoll, sich an einem Leitfaden zu orientieren, damit alle wichtigen Funktionsbereiche angesprochen werden. Probleme mit Aufmerksamkeit und Konzentration, Gedächtnis, Sprache und Sprechen, Lesen, Schreiben, Visuokonstruktion, Handlungsplanung und -überwachung, Belastbarkeit, Stimmungsschwankungen und somatische Beschwerden sollten auf jeden Fall abgefragt werden. Tabelle 2.3 stellt Funktionsbereiche und mögliche Fragen bzw. kurze Testaufgaben zur Erfassung von Defiziten zusammen.

Tab. 2.3: Funktionsbereiche, die im Anamnesegespräch erfragt werden sollten und Beispielfragen.

Funktionsbereich

Beispielfragen

Zeitliche und örtliche Orientierung

»Wo befinden Sie sich gerade?«

»Warum sind Sie hier?«

»In welcher Etage sind Sie hier?«

»Welchen Wochentag/Monat, welche Jahreszeit, welches Jahr haben wir?«

»Wie viel Uhr ist es ungefähr?« (beantworten, ohne auf die Uhr zu sehen)

Orientierung zur Person

»Wie heißen Sie?«

Selektive Aufmerksamkeit

Nach Problemen in Situationen fragen, in denen man sich nur auf eine Tätigkeit konzentriert, z. B. fernsehen, Kreuzworträtsel lösen.

Geteilte Aufmerksamkeit

Nach Problemen fragen, die in Situationen auftreten, in denen man sich auf mehrere Dinge gleichzeitig konzentrieren muss, wie beispielsweise beim Auto fahren.

Dauerauf- merksamkeit

Nach Problemen fragen, die in Situationen auftreten, die Konzentration über einen langen Zeitraum hinweg erfordern. »Wenn Sie einen Film im Fernsehen anschauen, können Sie dann die gesamte Handlung verfolgen?«

Altgedächtnis

Fragen nach wichtigen Ereignissen oder Persönlichkeiten aus der Vergangenheit. »Wer war Bundeskanzler bei der Wiedervereinigung Deutschlands?« Fragen nach wichtigen Ereignissen aus der Biographie des Patienten. »Können Sie sich noch an Ihren Hochzeitstag erinnern? Wie war das Wetter damals?«

Tag-zu-Tag Gedächtnis

»Können Sie sich noch daran erinnern, was Sie heute zu Mittag gegessen haben?«

»…was Sie heute Morgen in der Zeitung gelesen haben?«

Sprache

»Kommt es vor, dass Sie das richtige Wort oder die richtige Formulierung nicht finden?«

Sprechen

Beobachten, ob die Sprache dysartrisch ist.

Lesen, Schreiben, Rechnen

Sollte jeweils mit einigen einfachen Items geprüft werden. Aufschreiben der Adresse; Schreiben eines kurzen, vom Patienten selbst gewählten Satzes; Lösen einfacher Rechenaufgaben.

Visuokonstruktion

Zeichnen einer Uhr, eines Baumes, einer Blume, eines Hauses.

Sehen

»Haben Sie Doppelbilder?«

»Sehen Sie manchmal verschwommen?«

Augenmotorik

Patient wird gebeten, einen Bleistift, dessen Spitze in seinem Gesichtsfeld bewegt wird, mit den Augen zu verfolgen.

Handlungs- planung

Patient wird gefragt, ob er beim Einkaufen immer alles kauft, was er kaufen wollte.

Handlungsüber- wachung

Beobachten, ob der Patient Fehler bei der Ausführung von Testaufgaben bemerkt und wie er darauf reagiert.

Belastbarkeit

»Fühlen Sie sich nach kleineren Tätigkeiten erschöpft?«

Antrieb

»Kommen Sie morgens gut aus dem Bett? Haben Sie Lust, den Tag in Angriff zu nehmen?«

Stimmungs- schwankungen

»Hat sich Ihre Stimmung im Vergleich zu früher verändert?«

Unkontrolliertes Weinen/Lachen

»Kommt es vor, dass Sie bei ganz geringen Anlässen Weinen/Lachen müssen?«

Schlaf

»Können Sie gut einschlafen?« (durchschlafen; frühmorgendliches Erwachen)

»Wie lange schlafen Sie durchschnittlich in einer Nacht?«

»Empfinden Sie Ihren Schlaf als erholsam?«

Grübeln

»Drehen sich manchmal Ihre Gedanken im Kreis? Haben Sie dann Probleme, sich von den Gedanken zu lösen?«

Schwindel

»Ist Ihnen manchmal schwindelig?«

Kopfschmerz