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Geschichten vom Ankommen in einer gelasseneren Welt Renommee und Unkonventionalität: Der Psychiater Giovanni Fava steht für beides! Wohlfühlen: Beim Lesen dieses Buchs und im Leben entdecken Sie das alte Konzept der Euthymie wieder für sich Giovanni Fava, einer der renommiertesten und unkonventionellsten Psychiater unserer Zeit und Begründer der "Well Being Therapie" (WBT), gibt sich nicht damit zufrieden, Symptome abzuschaffen und "Normalzustände" wiederherzustellen. Psychische Störungen sind für ihn eine Gelegenheit, auf einen Zustand abzuzielen, den die Griechen Euthymie nannten: ein inneres Gleichgewicht in Verbindung mit einer ausgeglichen Stimmungslage. Und da Fava für sein Leben gern Geschichten erzählt, finden Sie in diesem Buch keine theoretischen Diskurse und akademischen Reflektionen, sondern lebendige Fälle aus seiner Sprechstunde. Dort handelt er mit seinen PatientInnen die Wege aus, die sie in Richtung eines stabileren, ausgeglicheneren Lebens leiten sollen. Dabei geht er mit seinen Vorschlägen oft deutlich über die Bearbeitung der Störungen hinaus, wegen derer sie ihn aufgesucht hatten. Das Ziel? Ein stabiles, nachhaltiges Wohlbefinden!
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Seitenzahl: 131
Giovanni A. Fava
Nicht krank ist nicht gesund genug
Anleitung zum Wohlbefinden
Mit einer Einführung von Wulf Bertram
Übersetzung aus dem Italienischen von Wulf Bertram
WISSEN&LEBEN
herausgegeben von Wulf Bertram
Wulf Bertram, Dipl.-Psych. Dr. med, geb. in Soest/Westfalen, Studium der Psychologie, Medizin und Soziologie in Hamburg. Zunächst Klinischer Psychologe im Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf, nach Staatsexamen und Promotion in Medizin Assistenzarzt in einem Sozialpsychiatrischen Dienst in der Provinz Arezzo/Toskana, danach psychiatrische Ausbildung in Kaufbeuren/Allgäu. 1986 wechselte er als Lektor für medizinische Lehrbücher ins Verlagswesen und wurde 1988 wissenschaftlicher Leiter des Schattauer Verlags, 1992 dessen verlegerischer Geschäftsführer. Aus seiner Überzeugung heraus, dass Lernen Spaß machen muss und solides Wissen auch unterhaltsam vermittelt werden kann, konzipierte er 2009 die Taschenbuchreihe »Wissen & Leben«, in der mittlerweile mehr als 50 Bände erschienen sind. Bertram hat eine Ausbildung in Gesprächs- und Verhaltenstherapie sowie in Psychodynamischer Psychotherapie und arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis.
Für seine »wissenschaftlich fundierte Verlagstätigkeit«, mit der er im Sinne des Stiftungsgedankens einen Beitrag zu einer humaneren Medizin geleistet hat, in der der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt steht, wurde Bertram 2018 der renommierte Schweizer Wissenschaftspreis der Margrit-Egnér-Stiftung verliehen.
Prof. Giovanni A. Fava
Università di Bologna
Departimento di Psicologia
viale Berti Pichat 5
IT – 40127 Bologna (Italy)
Besonderer Hinweis:
Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.
In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.
Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe
Schattauer
www.schattauer.de
© 2022 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart
unter Verwendung einer Abbildung von © adobe stock/Modella
Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Altusried-Krugzell
Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg
Lektorat: Marion Drachsel
Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani
ISBN 978-3-608-40142-4
E-Book ISBN 978-3-608-11886-5
PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20568-8
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Favas Federn
Eine Einführung von Wulf Bertram
Noch ein neues Psychotherapieverfahren? Nein danke!
Nun doch: Die Well-Being Therapie
Euthymie
Das Unbehagen in der Psychiatrie-Kultur
Zwei Pilgerschaften
Wider den Strom
Unkonventionelle Töne für eine etablierte wissenschaftliche Fachzeitschrift
Plädoyer für eine neue Gesundheitskultur
Literatur
Favas Federn
Die Dankbarkeit des Fischers
Literatur
Wer kann mir helfen?
Literatur
Eine Zukunft, an die man glauben kann
Literatur
Unser Rucksack
Literatur
Die Well-Being Therapie (WBT): eine neue Kurztherapie
Literatur
Ist hier noch jemand, der Patienten sieht?
Literatur
Die Ingenieurstudentin und der Tunnel
Literatur
Die Schlaflosigkeit der Großmutter
Literatur
CAVE CANEM!
Literatur
Wenn Medikamente zum Problem werden: Die Bedeutung der iatrogenen Komorbidität
Literatur
Mentaler Schmerz
Literatur
Weggefährten auf der Reise
Literatur
Der Kult der Mittelmäßigkeit
Literatur
Die Sehnsucht nach dem Brot
Literatur
Ein rastloser Junge
Literatur
Selbsttherapie – Therapeutische und kontratherapeutische Effekte in der Psychotherapie
Literatur
Psychotherapie als angeleitete Selbstbehandlung – Wie kurz ist eine kurze Psychotherapie?
Literatur
Psychotherapie und wissenschaftliche Methodik – die klinische Unzulänglichkeit der evidenzbasierten Medizin in der Psychotherapie
Literatur
Die Demut des Radiologen
Literatur
Sachverzeichnis
Eine Einführung von Wulf Bertram
Da sei so ein Herr am Telefon, sagte meine Sekretärin, der uns auf Englisch ein Buch über ein neues Therapieverfahren anbieten wolle.
Mindestens zwei Gründe, ihr zu sagen, sie möge ihm antworten, ich sei nicht im Hause und sie wisse auch nicht, ob ich jemals wiederkäme. – Neue Therapieverfahren wurden uns alle paar Monate angeboten und wenn es dann auch noch darum gegangen wäre, das aus dem Englischen zu übersetzen: Nein danke!
Es gibt bei den Psychotherapien(1) eine Verfahrensinflation(1). Kaum ein Monat verging, in dem ich als Programmchef von Schattauer nicht das Angebot bekam, ein Buch über eine gänzlich neue Psychotherapie oder ein Manual zu veröffentlichen.
Ein Blick ins Internet genügt. Sucht man danach, wie viele Psychotherapien es derzeit gibt, so werden auf verschiedenen Webseiten jeweils auf Anhieb mindestens so um die 30 aufgelistet. Und ein Ende ist nicht abzusehen.
Viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten »schmieden« im Verlauf ihrer Karriere ihr eigenes Vorgehen und Therapiemodell, das aus Elementen der verschiedensten Verfahren zusammengesetzt ist. Das ist nicht unbedingt von Nachteil; Studien haben gezeigt, dass die Art der Interventionen im Laufe der Berufserfahrung von Therapeutinnen und Therapeuten einander deutlich ähnlicher werden, unabhängig, aus welcher Schule sie ursprünglich kommen. Es gibt offensichtlich Ähnlichkeiten in den großen Themen der Psychotherapie und der Art und Weise, wie man damit erfolgreich und zum Wohle der Patientinnen und Patienten umgehen kann. Des Weiteren bringt man aus den großen Psychotherapietagungen wie in Lindau, Langeoog, Lübeck usw. neue Erfahrungen und Anregungen mit, die in das eigene Vorgehen eingebaut werden. Versuch und Irrtum mögen dabei eine weitere, nicht geringe Rolle spielen. Eine Therapeutin oder ein Therapeut erlebt, dass eine bestimmte neue Intervention, eine ungewöhnliche Frage oder eine Änderung im eigenen Verhalten etwas in Bewegung bringt, was vorher nicht so recht zur Geltung gekommen war, aber eine positive Wirkung zeigte. Dann neigt man dazu, diesen Versuch zu wiederholen, und so werden wohl jede Therapeutin und jeder Therapeut unabhängig von ihrer ursprünglichen therapeutischen »Schule« früher oder später ihren eigenen Stil finden, mit dem sie die Behandlungen als erfolgreich ansehen können und für den sie auch von ihren Patientinnen und Patienten ein entsprechendes Feedback bekommen. Erfolgreich sind, abgesehen von einer seriösen und professionellen Ausbildung selbstverständlich, die Therapien, in denen eine Passung von Persönlichkeitsmerkmalen, kulturellem und Bildungshintergrund und wohl auch so etwas wie die Ähnlichkeit der »Weltsicht« von Therapeutinnen und Therapeuten mit der ihrer Patientinnen und Patienten vorliegen.
Dieser eigene Stil und das daraus entwickelte, gewissermaßen standardisierte individuelle Prozedere können allerdings auch zur Fixierung auf die eigene Deutungshoheit und zu einer mehr oder weniger rigiden Systematik im Vorgehen führen, die scheinbar keiner Empirie, geschweige denn einer Evidenzbasierung bedürfen. Da liegt es dann nahe zu glauben, das Ganze könnte eine eigene, innovative, bahnbreche Methode sein, die es unbedingt zu vermitteln und zu verbreiten gilt. Man muss dann dafür nur noch einen passenden Begriff finden, aus dem man möglichst auch ein Akronym mit drei Buchstaben bilden kann, und schon ist man versucht, sich für den Gründer eines gänzlich neuen, fortschrittlichen und wirksamen Verfahrens zu halten, welches man dem Kollegenkreis über einen Fachverlag unbedingt zur Verfügung stellen müsse. Begriffe, die man zur Bezeichnung seines neuen Verfahrens braucht, stehen kombinatorisch zur Verfügung, mit Kürzeln selbstverständlich. Beliebt ist im Moment vor allem alles, was mit Aufstellung zu tun hat. Und falls noch jemand Interesse an der Entwicklung solcher Verfahrenskombinationen hat, hier ein paar Vorschläge: Die Progressive Resilienz-Entwicklung (PRE), die Psychodynamische Umbewertungs-Therapie (PUT), die Konstruktivistisch-Analytische Therapie (KAT) oder die Wertorientierte Abwehr-Umdeutung (WAU) wären noch mit Inhalten zu füllen. Über die von mir selbst entwickelte Körperpsychotherapie Transkranielle Mandelkern-Massage (TMM)1 habe ich an anderer Stelle berichtet (Bertram 2020).
Also noch ein weiteres Verfahren in unser Programm aufnehmen? Nein danke!
Kurz bevor ich auflegen wollte, fügte meine Sekretärin noch hinzu, dass der englischsprechende Herr aus Bologna anriefe und Frau Professorin Eva-Lotta Brakemeier ihm empfohlen hätte, sich an mich zu wenden.
Das änderte meine Perspektive entscheidend. Nicht nur meine Affinität zu Italien, meiner zweiten Heimat, sondern auch die Empfehlung von Eva-Lotta Brakemeier, die ich als ebenso kompetente und professionelle wie sympathische Kollegin kennengelernt hatten, ließen die Angelegenheit in einem anderen Licht erscheinen. Ich bat meine Sekretärin, das Gespräch durchzustellen.
Der Professor sprach perfekt und praktisch akzentfrei englisch, freute sich aber auch, dass wir sehr bald ins Italienische umschalten konnten. Ich hatte Professor Giovanni Fava am Telefon, von dem ich schon einiges gehört hatte, unter anderem, dass er der Herausgeber der psychosomatisch/psychotherapeutischen Fachzeitschrift mit dem höchsten Impact-Faktor (IF)2 der einschlägigen internationalen Journals ist, was man als Verleger aus dem »Psycho«-Fach natürlich immer neidvoll sieht, wenn man auf die mageren IF-Zahlen unserer deutschsprachigen Zeitschriften in diesem Bereich schaut.
Selbst Fachgespräche, Verhandlungen und Tagungsdiskussionen haben auf Italienisch meist ihren besonderen, eigenen Stil und Charme. Das muss wohl irgendwie auch am Wesen dieser Sprache oder der Italianität selbst liegen. Man geht formeller, konzilianter, höflicher und respektvoller miteinander um, verpackt unvermeidbare Konfrontationen eher in vorsichtige Rückfragen und versichert sich zwischendurch immer mal wieder, wie erfreulich es doch ist, dass man nun gerade überhaupt miteinander spricht. Man ist einfach gentile.
Als Giovanni Fava mir erklärte, dass er mit seinen Mitarbeitern eine ganz neue, sogenannte Well-being Therapy (WBT) entwickelt hätte, die in Italien bereits erprobt sei und von der es jetzt Übersetzungen in mehrere Sprachen geben werde, unterdrückte ich zunächst einen Seufzer und äußerte meine Meinung zu der inflationären Therapiegenese allgemein und meine Vorbehalte gegen die Publikation eines weiteren neuen Therapieverfahrens im Besonderen dementsprechend vorsichtig und behutsam. Natürlich verstand Giovanni Fava meine Skepsis und Bedenken sofort, erklärte mir aber, dass es sich nicht um eine Methode handle, die in Konkurrenz zu den bereits ausreichend zur Verfügung stehenden Verfahren oder als eine Alternative dazu entwickelt worden sei. Die Well-BeingTherapie sei als manualisiertes Verfahren dazu gedacht, in vorangegangenen Therapien erzielte Erfolge nicht nur zu sichern, sondern sie zu festigen und gewissermaßen zu bereichern. Er würde mir sein Buch schicken, ich könne mir dann ein eigenes Bild machen und eine Entscheidung treffen.
Als ich das Buch gelesen hatte, war es für mich keine Frage mehr, dass wir es in unser Verlagsprogramm aufnehmen sollten und ich konnte Giovanni Fava nach Rücksprache mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die an einer solchen Entscheidung beteiligt sind, mitteilen, dass wir sein Publikationsangebot gerne angenommen hatten. Nach Übersetzung und Lektorat erschien dann 2018 das Buch »Well-Beeing Therapie (WBT) – Eine Kurzzeittherapie zur psychischen Stabilisierung« bei Schattauer.
Es handelt sich in der Tat nicht lediglich um eine weitere, aus verschiedenen anderen Therapien zusammengebastelte oder aufgrund eigener Geistesblitze und Eingebungen gewonnene Methode. Giovanni Fava betont zwar, dass die WBT auch auf wesentlichen, bewährten Elementen aus der Kognitiven Verhaltenstherapie(1)(1) (KVT) aufbaut und eine vorangegangene KVT eine gute Voraussetzung für das Ansprechen auf seinen Ansatz sei. Die Well-Being Therapie eignet sich aber ebenso gut zur Sicherung von Therapieeffekten, die mit medikamentösen oder etwa psychodynamischen Methoden erzielt wurden.
Besonders hervorzuheben ist die Tatsache, dass es bei der WBT nicht primär um die Beseitigung dysfunktionaler Symptome, schädlicher Verhaltensweisen oder Funktionsstörungen geht. Es liegt in unserem traditionellen medizinischen Modell tief verankert, dass es in der Regel auf das Verhindern, Entfernen, Beseitigen, Ausmerzen, »Eradizieren« von Beeinträchtigungen und schädlichen Einflüssen abzielt, allgemein »Noxen« genannt. Es ist im übertragenen Sinne also ein »dekonstruierendes« Modell und diese Orientierung ist letztlich auch in der traditionellen Psychotherapie immanent.
Für die WBT beruft sich Giovanni Fava auf ein ganz anderes Ziel, nämlich den Zustand der Euthymie(1) (Fava & Guidi 2020). Der Begriff wurde von Demokrit(1) (460–371 v. Chr.) geprägt und bedeutet wörtlich »gute Stimmung«. Der griechische Philosoph betrachtete ihn als den erstrebenswerten Zustand eines ausgeglichenen inneren Gleichgewichts und Wohlbefindens. Damit ließe sich auch ein allgemeines Ziel für eine Psychotherapie(1) definieren, die nicht nur als eine Beseitigung belastender, unzweckmäßiger und das Leben beeinträchtigender Verhaltensweisen und Einstellungen verstanden wird, sondern als eine Bereicherung, als das Bestreben, die gelassene Homöostase zwischen positiven und negativen Stimmungen zu erreichen. Deren Schwankungen wären als sinnhafte und notwendige Zustände eines gelebten Lebens zu begreifen und ebenso zu genießen wie zu ertragen, so wie es jeweils möglich oder erforderlich ist. Man könnte diesen Zustand der Euthymie auch mit dem Wort »vergnügt« umschreiben (wenn dieses Wort bzw. der damit bezeichnete Zustand des »Vergnügens« nicht inzwischen von der Spaßgesellschaft gekapert worden wäre, den es unter allen Umständen zu erreichen und möglichst zu optimieren gelte). Eigentlich steckt in dem Adjektiv das Verb »genügen« und »genug« geht wiederum zurück auf eine alte Wortwurzel, die so viel wie »erreicht« und »erhalten« bedeutet.
»Vergnügt« wäre demnach jemand, der etwas erreicht hat, was er erstrebte, und damit zufriedengestellt ist. Ein erstrebenswerter Zustand, der im Sinne einer Maximierung von Ansprüchen und Bedürfnissen in einer kapitalistischen Warengesellschaft allerdings eher kontraproduktiv und damit wenig populär ist.
Im Folgenden ein etwas gewagter Vergleich vielleicht, der den Unterschied zwischen traditioneller Therapie – die es auf das »seelische Aufräumen« und die Beseitigung störender und dysfunktionaler Elemente abgesehen hat – und WBT beschreibt und verdeutlichen soll, worum es in dieser Therapie geht.
Nehmen wir an, in Ihrem Kühlschrank beginnt es verdächtig zu riechen, einige Speisen zeigen Alterserscheinungen, es fehlen auch Inhalte, die eigentlich für den täglichen Gebrauch erforderlich wären, die Verfallsdaten auf den Verpackungen sind zum Teil überschritten. Es wäre dringend erforderlich, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, Unnötiges oder Verdorbenes zu entsorgen und den Inhalt so zu ergänzen, dass der Kühlschrank seine Funktion erfüllt, nämlich für eine Weile zuverlässig frischen und gesunden Proviant anzubieten. Jetzt können Sie so vorgehen, dass Sie zunächst einmal allen unnützen, schädlichen und verdorbenen Ballast entfernen, den Schrank reinigen und dann nach und nach wieder auffüllen. Dabei achten Sie darauf, dass die unbedingt notwendigen Lebensmittel nicht nur in ausreichendem Maße vorhanden sind, sondern dass Ihre Vorräte auch ausgewogen und natürlich unschädlich sind, lange vorhalten und Ihren Bedarf zuverlässig decken.
Ob Ihnen die frisch eingeräumten Inhalte darüber hinaus auch schmecken würden, war nicht Gegenstand Ihrer Aufräumungsaktion. Es ging um Funktionalität, Sicherheit und Ausgewogenheit, und die sind jetzt wieder gewährleistet. Ob auch etwas dabei ist, das Ihnen richtig gut schmeckt, was Sie sich schmackhaft zubereiten können, ob auch ein paar Leckerbissen dabei sind, die Sie sich als Belohnung für irgendetwas leisten können, mit dem Sie zufrieden sind, war nicht Sinn der Übung. Sie haben einen funktionalen, nach allen hygienischen und logistischen Aspekten perfekt ausgestatteten Kühlschrank. Damit soll es dann auch gut sein.
So ähnlich wäre auch das herkömmliche Vorgehen bei einer traditionellen Psychotherapie(1): ungeeignetes Verhalten beseitigen, schädliche Gewohnheiten aufgeben, einen möglichst klaren Überblick über seinen »seelischen Haushalt« haben und rechtzeitig geeignete Maßnahmen treffen, das psychische Gleichgewicht zu erhalten. Alles richtig und nützlich.
Und hier kommt der etwas kühne Vergleich mit der Well-Being Therapie: Wo bleibt denn dabei die Freude am Genuss? Und bei der Zubereitung der Speisen? Wo bleibt die Kreativität bei ihrer Auswahl, die Lust auf die Entdeckung neuer Geschmackserlebnisse? Was ist mit dem Spaß am Kombinieren? Kurz: Wo bleibt all das, was über den Zweck der Haltbarkeit und einer ausgewogenen Nahrungsaufnahme mit all den erforderlichen Ballaststoffen, Spurenelementen, Mineralstoffen, Säure-Basen-Gleichgewichten, Vitaminen, ungesättigten und gesättigten Fettsäuren und essenziellen Aminosäuren hinausgeht? Wie steht es um Ihr zukünftiges kulinarisches Wohlbefinden?
Selbstverständlich sind auch für die WBT zunächst eine sorgfältige Bestandsaufnahme der Störungen und vielfach eine vorausgehende Kognitive Verhaltenstherapie(2)(2)