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Maddie Gray ist Kriminalreporterin in New York und vollkommen überfordert von ihrem Leben und ihrem Job bei einer Zeitung. Als wäre das nicht schon genug, schwärmt sie seit neuestem auch noch heimlich von ihrer erfolgreichen, eiskalten Chefin Elena Bartell. Als die Arbeit beide nach Australien führt, wird Maddie zu einer scheinbar harmlosen Wette mit ihrer rätselhaften Chefin angestiftet – sie dürfen einander nur die Wahrheit sagen. Ein sapphischer Liebesroman, über die Lügen, die wir uns selbst erzählen.
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Seitenzahl: 575
Veröffentlichungsjahr: 2020
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Inhaltsverzeichnis
Von Lee Winter außerdem lieferbar
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Über Lee Winter
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Von Lee Winter außerdem lieferbar
Aus der Rolle gefallen
Requiem mit tödlicher Partitur
Widmung
Für Charlotte, die enthusiastischste Liebhaberin meiner Eisköniginnen, die ich je getroffen habe. Mögen unsere unnahbaren Göttinnen lange regieren.
Kapitel 1
Die Apokalypse
Die Apokalypse traf ein, als Maddie Grey Shampoo in den Augen hatte, erst halb wach war und das Krächzen der prähistorischen Rohrleitungen auszublenden versuchte.
»Mads! Armageddon ist da!« Ihr Mitbewohner, Simon Itani, hämmerte gegen die Badezimmertür und erschreckte sie beinahe zu Tode.
»Was zur Hölle?«, rief Maddie. Ihr Kindheitsfreund hatte eine Menge charakterlicher Vorzüge, aber er war sicher nicht weise genug, das Ende der Welt voraussagen zu können.
»Dein Boss hat dir geschrieben. Sieht offiziell aus. Das ist also die einzig mögliche Schlussfolgerung.«
Ihr Boss schrieb ihr nie irgendwelche Nachrichten. Vielleicht hatte Simon recht. Maddie stellte das Wasser ab, trocknete sich schnell ab und zog ausgewaschene Shorts und ein T-Shirt an. Während sie sich die Haare mit einem Handtuch trocken rieb, betrachtete sie im Spiegel die trüben Augen mit dunklen Ringen darunter. Schon wieder kein Schlaf. Keine große Überraschung. Immer häufiger hatte sie Albträume, in denen sie sich verlief und den Weg nach Hause nicht mehr fand. Ihr Unterbewusstsein war nicht gerade subtil. Gewöhnlich war es entweder dieser Albtraum oder ein unbehaglicher Sex-Traum von der Ex-Freundin, die sie seit drei Jahre nicht gesehen hatte. Jedes Mal wachte sie verunsichert, erregt und genervt auf. Es war irgendwie erbärmlich, sich nach Rachel zu sehnen, nur weil ihre Ex-Freundin jetzt wieder in Sydney war.
Erneut wurde gegen die Tür geschlagen, doch dieses Mal klang es lauter. »Hast du was Anständiges an?«
Maddie warf ein letztes Mal einen Blick auf ihr Spiegelbild und verzog das Gesicht. »Schwer zu sagen.«
Die Tür schwang auf und ließ viel zu viel Tageslicht herein.
Urgh. »Du stehst besser in Flammen.« Maddie funkelte Simon finster an. Kein verkohltes Haar.
»Nein, etwas viel Aufregenderes.« Er strich sich mit den Fingern durch den getrimmten drei-Tage-Bart an seinem Kiefer.
»Was, aufregender als ein Feuer?« Sie griff nach ihrer Trainingshose, schob ein Bein hinein und zog sie über ihre Shorts. Das klang nach einer Krise, für die sie sich ruhig angemessen anziehen konnte.
»Jap!« Simon warf Maddie ihr Handy zu. »Sehr. Was du wissen würdest, wenn du nicht den ganzen Morgen verschlafen hättest. Es ist schon elf und es hört sich an, als würde dein Boss nicht warten können.«
Maddie fing das Telefon auf. »Jetzt halt mal die Luft an«, grummelte sie. »Ich arbeite die Nachtschicht. Irgendwann muss ich auch schlafen.« Sie las die SMS und ihr Magen zog sich angstvoll zusammen. »Sie bestellen alle für ein Nachmittags-Meeting ein. Vermutlich sind die Gerüchte wahr. Diese Firma, die uns letztes Jahr aufgekauft hat? Die Besitzerin hat unsere Existenz bemerkt und kommt heute wahrscheinlich vorbei, um uns auszuweiden.«
Simon nickte mit einem wenig überraschten Gesichtsausdruck.
Sie kniff die Augen zusammen. »Du Schlange. Du hast die Nachricht gelesen?«
Simon hob unschuldig die Hände. »Nur, weil der Name deines Chefs angezeigt wurde. Ich musste doch nachsehen, ob es wichtig genug ist, den Zombie aus der Dusche zu zerren.« Er kratzte seinen Bauch. »Also sie ist wirklich auf dem Weg? Die Elena Bartell? Diejenige, die kleine Zeitungen schreddert, um ihr Imperium zu füttern? Und dabei verdammt heiß aussieht?«
»Sieht so aus.« Maddie warf der Nachricht einen letzten, mürrischen Blick zu. »War ja klar, dass du dich mehr für ihr Aussehen interessierst als für ihre Vorgehensweisen.«
»Au contraire, Mads, ich interessiere mich für beides. Diese Frau ist ein verdammtes Medien-Genie. Wir haben auf der Wirtschaftsschule eine Fallstudie über sie durchgeführt. Lass mich dir erklären, wie sie ihre erste Million zusammen −«
»Kann es gar nicht erwarten, diese Geschichte zu hören. In der Zwischenzeit bin ich mir nicht mal sicher, ob ich heute Abend noch einen Job habe. Und da du bald wieder nach Sydney ziehst, ist das eine totale Katastrophe. Wie soll ich die Miete für diesen Schuhkarton allein und ohne einen Job zusammenbekommen?«
»Könnte schlimmer sein. Du könntest den beschissenen Job tatsächlich mögen, den du verlierst. Ich habe gesehen, dass du dich dafür wappnen musst, zur Arbeit zu gehen. Aber jetzt …« Er grinste sie an.
Maddie schnaubte. »Erstens könntest du wenigstens so tun, als hättest du Mitleid mit mir. Zweitens werde ich nicht wieder kellnern.«
»Aber deine Arbeitszeiten wären erträglich. Und du würdest tatsächlich wieder mit Menschen reden. Das kann nur von Vorteil sein.«
»Na schön, es ist vielleicht nicht perfekt, für die Hudson Metro News zu arbeiten. Aber es ist ein Job im Journalismus – endlich. Ich bin gut darin. Wenn ich kellnere, werden dagegen Menschen verletzt.« Maddies Gedanken schweiften zu ein paar bedauerlichen Vorfällen. Zumindest waren die Haare des Kochs nachgewachsen. Na ja, abgesehen von den Augenbrauen.
»Komm schon, Mads, bist du nicht nach New York gekommen, um Den Traum zu leben? Und nicht, um das Leben hier nur zu ertragen?«
An ihrem Kiefer zuckte ein Muskel. Sie hasste es, wenn Leute über Den Traum sprachen. New York war niemals ihr Traum gewesen, obwohl es sozialer Selbstmord wäre, so etwas zuzugeben. In Wahrheit wachte sie jeden Morgen mit einem schweren Herzen auf. Die Helligkeit, der Geräuschpegel und die andauernde Hektik gaben ihr das Gefühl, nicht mehr als ein toter Pixel auf einer Anzeigetafel am Times Square zu sein. Ihre Freunde Zuhause in Australien wollten stellvertretend durch Maddie die große Welt erleben. Was sollte sie also sagen? Es ist toll. So toll. Ja. Einfach. Wow. Jeden Tag litt sie mehr und mehr darunter, die Erwartungen aller anderen nicht erfüllen zu können. Warum passte sie nicht in diese Stadt, in die jeder passte?
Simon redete noch immer. »Du hängst in der beschissenen Nachtschicht fest, verbringst deine Tage nur mit schlafen und siehst kaum die Sehenswürdigkeiten um dich herum. Worauf ich also hinaus will: Hurra, verdammt nochmal, hurra! Du wirst aus einem Job entlassen, den du hasst. Wir feiern das heute Abend gebührend. Okay?« Er hielt inne und ließ seinen Blick über ihre Klamotten gleiten. »Und zieh dich nicht um. Dieses Outfit schreit förmlich werft meinen Arsch hier raus.«
Maddie sah an sich hinab. Er hatte nicht ganz unrecht. Sie musste müder gewesen sein als sie gedacht hatte. Die Verhaftung im Drogenmilieu, an der sie die ganze Nacht gearbeitet hatte, hatte sie ausgelaugt. »Ich arbeite heute nicht mal.« Sie gähnte. »Ich muss mich nicht aufhübschen, wenn ich frei habe. Das ist die australische Art.«
»Berühmte letzte Worte. Ernsthaft, willst du meinen Rat?«
»Scheiße, nein. Du könntest dich nicht mal anständig anziehen, wenn dein Leben davon abhinge und mein Tag ist auch so schon katastrophal genug. Also hau ab und lass mich in Ruhe in Fahrt kommen.«
Sein Lachen drang durch die Tür, während Maddie sie mit einem Tritt hinter ihm zuschmiss. Simon hatte allerdings ein gutes Argument angebracht. Nur was trug man bitte zur Apokalypse?
Maddie schleppte sich zur Arbeit. Eine dunkle Sonnenbrille sollte die einsetzenden, der Müdigkeit geschuldeten Kopfschmerzen abwehren. Ihre vollständig in schwarz gehaltene Kleidung passte eher zu einer Gothic-Rock-Band als zu einem Geschäfts-Meeting.
Auf der Fahrt zur Arbeit hatte sie den Lebenslauf von Elena Bartell studiert, den sie heruntergeladen hatte, bevor sie in die U-Bahn gestiegen war. Geschäftsführerin und Verlegerin von einem Dutzend Zeitungen und Magazinen. Sie hatte kurze, stilvoll geschnittene und rabenschwarze Haare, blasse Gesichtszüge und trug maßgeschneiderte Designer-Klamotten. Ihr haftete eine gewisse Präsenz an und in ihren kühlen Augen lag ein gefährlicher Ausdruck, als wäre sie eine schlanke Sci-Fi-Action-Heldin.
Den Angaben nach war sie vierzig, aber sie sah Jahre jünger aus. Sie war offensichtlich medienscheu – ironisch, wenn man ihren Beruf bedachte und wie sehr die Kameras sie liebten. Bartell war als Mode-Journalistin für das CQ-Magazin rasend schnell aufgestiegen und schon als zukünftige Chef-Redakteurin angesehen worden. Stattdessen war sie damals von der Bildfläche verschwunden.
Ein Jahr später trat sie als neue Besitzerin einer Gruppe erfolgloser, örtlicher Zeitungen wieder in die Öffentlichkeit. Innerhalb eines Jahres hatte sie dafür gesorgt, dass diese Zeitungen Profit abwarfen; nach zwei Jahren hatte sie ihre erste Million verdient. Mit gerade einmal fünfunddreißig Jahren hatte sie das erste Mal eine halbe Milliarde Dollar erreicht.
Es gab nur eine Publikation, die der Medien-Mogul aus dem Nichts erschaffen hatte – Style International, ein Mode-Magazin, das es weltweit in fünf verschiedenen Ausgaben gab: Style NY, Sydney, Tokyo, London und Paris. Diese persönliche Investition verriet Maddie, dass Mode für Bartell wichtig und ihr Job bei CQ nicht nur ein Sprungbrett gewesen war. Sie hatte eine Leidenschaft dafür – oder es zumindest irgendwann mal gehabt.
Maddie sah an sich hinab und betrachtete ihr Outfit. Sie zuckte zusammen. Ihre gewagte Entscheidung aus Erschöpfung und einem Hauch von Rebellion heraus, erschien ihr jetzt nicht mehr so klug.
Sie las weiter und fand eine kurze Erwähnung eines Ehemanns im Jahr 1999. Der Reporter, der später Autor geworden war, war jedoch zwei Jahre später schon wieder Geschichte. Jetzt gab es einen zweiten Ehemann. Richard Barclay. Anwalt. Sie warf einen Blick auf sein Foto und unterdrückte ein Schaudern. Er mochte vielleicht das perfekte Aussehen für eine Zahnpasta-Werbung haben, aber sein Gesichtsausdruck war der eines selbstgefälligen Mistkerls.
Zwei Haie waren also einander verfallen? Das passte. Nach allem, was sie gelesen hatte, schien Bartell nichts mehr zu lieben, als eine Firma bis auf die Grundmauern einzureißen, wenn sie noch ein paar Dollar herausquetschen konnte. Man hatte ihr sogar einen Spitznamen gegeben, der zu ihrer Art mit Unternehmen umzugehen passte: Tigerhai. Maddie steckte ihr Handy ein und starrte aus dem Fenster in die unterirdische Dunkelheit. Würde Hudson Metro News das nächste Opfer der rasiermesserscharfen Zähne des Medien-Moguls werden?
Während sie sich der Union Station näherten, dachte Maddie über die Aussicht nach, gefeuert zu werden. Simon hatte recht, obwohl sie es niemals zugeben würde. Acht Monate arbeitete sie bei der Zeitung und sie hasste ihren Job. Abgesehen von einer Sache – sie tat endlich das, was sie ihren Freunden und ihrer Familie immer vorhergesagt hatte. Sie war Journalistin in New York.
Der Zug fuhr in den Bahnhof ein. Maddie betrat den Bahnsteig und rümpfte die Nase, als ihr der vertraute Gestank von Urin und verfaulendem Müll entgegen schlug. Es war an der Zeit, sich der Apokalypse zu stellen.
Für einen Boten des Untergangs war Elena Bartell ausgesprochen schön und modisch im Steampunk-Look gekleidet. Breite Silberschnallen verzierten ihre ebenholzfarbenen Stiefeletten, die sich unter einer schwarzen, maßgeschneiderten Hose abzeichneten. Sie standen in starkem Kontrast zu ihrem blütenweißen Leinenhemd, das sie unter einer seidigen, schwarz und silbern bestickten Weste trug. Die Kette einer Taschenuhr verlief von einem Knopf zu der Westentasche.
Maddie war fasziniert. Wie unerwartet.
Bartells Haltung strahlte Macht und Kontrolle aus und zog jeden Blick auf sich. Obwohl sie neben dem Redakteur, dem Geschäftsführer und dem Chef der Nachrichten stand, die alle mindestens fünfzehn Zentimeter größer waren als sie, war sie mit Leichtigkeit die autoritärste Person im Raum.
Bartells Augen waren von einem klaren Blau und stechend scharf, als ihr Blick musternd durch den Raum schweifte. Sie lächelte schwach, während sie im Hintergrund vorgestellt wurde.
»… eine Freude, unsere neue Eigentümerin kennenzulernen: Elena Bartell.« Maddies Redakteur trat applaudierend zurück. Er war ein gestresst aussehender Mann mit Brille, den sie noch nie getroffen hatte – so niedrig war ihr Platz in der Firmenhierarchie.
Bartell stand vor den achtzig Mitarbeitern der Hudson Metro News und wartete, bis der höfliche Beifall abebbte. Sie hielt die daraufhin folgende Stille aufrecht, bis nur noch das Klingeln eines Handys in der Ferne und das gedämpfte Geräusch eines Druckers zu hören waren. Als sie sprach, war ihre Stimme beherrscht und tief. Trotzdem erreichte sie mit Leichtigkeit das Ende des Raums, wo Maddie halb versteckt hinter einer Säule stand.
»Ich bin sicher, dass mir mein Ruf vorauseilt«, sagte Bartell trocken. »Ich bin sicher, dass man Ihnen allerlei schreckliche Geschichten über mich erzählt hat. Ich weiß, wie man mich nennt und jede dieser Bezeichnungen ist kreativer als die vorige. Und ich bin mir sicher, dass man Ihnen erzählt hat, welche rücksichtslosen Dinge ich mit Ihrer Zeitung anstellen werde.« Sie hielt inne und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. »Und all das ist wahr.«
Ein panisches Murmeln breitete sich in der Menge aus.
Sie musterte die Anwesenden kühl. »Es ist an der Zeit, dass Hudson Metro News endlich Rückgrat zeigt oder aus dem Spiel aussteigt. Die Fakten lügen nicht. Sie arbeiten für ein unterdurchschnittliches Pendler-Schundblatt, das nur einen Reporter im gesamten Berichterstattungsteam hat, der zeitnah Neuigkeiten herausbringt, und nur einen einzigen Anzeigenvertreter, der die Umsatzziele erreicht. Die Online-Präsenz Ihrer Zeitung ist ein Witz. Ein hin und wieder aktualisierter Wetterbericht, zwei Tage zurückliegende Titelseiten und nur zwei Zeilen, die darauf hinweisen, wo man Anzeigen kaufen kann. Ganz zu schweigen davon, dass dieses Blatt es aus finanzieller Sicht verdient, eingestellt zu werden. Es wäre ein Gnadentod.«
Maddie zuckte zusammen. Na schön, das hier war vielleicht nicht die beste Zeitung der Welt, aber es war sicher nicht so schlimm, oder?
»Natürlich«, fuhr Bartell fort, »könnte ich Kapital in die Zeitung stecken, Ihren Online-Auftritt mit einer schneidigen Website aufbessern und Ihnen ein Team aus den besten Marketingspezialisten zur Seite stellen, um die Bekanntheit der Marke zu steigern. Aber wir befinden uns in einem gesättigten Markt und Sie haben nichts, was Sie von anderen Zeitungen unterscheidet. Ich würde nur Geld verschwenden.«
Maddies Herz raste. Sie betrachtete die aschfahlen Gesichter um sie herum.
»Allerdings«, sagte Bartell, »passieren die kuriosesten Dinge, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Hin und wieder sind Menschen im Todeskampf dazu fähig, mich zu überraschen. Fazit ist: Sie stehen unter Bewährung. Ich gebe Ihnen sechs Wochen, um mich zu beeindrucken.«
Erleichtertes und geschocktes Keuchen erfüllte den Raum.
Die Medien-Milliardärin hob die Hand. »Ich werde für diesen Zeitraum hier sein. Das gibt mir die Möglichkeit herauszufinden, wer Talent hat. Und ob Sie die finanzielle Investition verdienen oder es eine bessere Lösung ist, die Zeitung einzustellen. Falls Sie sich zurückgehalten haben, können Sie sich in den nächsten sechs Wochen beweisen. Aber seien Sie gewarnt – mein Ruf, inkompetente Mitarbeiter auf der Stelle zu entlassen, ist keine Lüge. In sechs Wochen, am fünfzehnten März, werde ich wissen, ob einer von Ihnen das gewisse Etwas hat. Enttäuschen Sie mich nicht. Es ist zu Ihrem eigenen Wohl.«
Fünfzehnter März? Die Iden des März? Maddie blinzelte.
Bartells Blick glitt durch den Raum und blieb an Maddie hängen. Sie musterte ihr Outfit von oben bis unten und eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn, als sie die Brauen zusammenzog. »Das wäre alles. Wir sind hier fertig.« Sie verließ den Raum ohne ein weiteres Wort.
Der Geschäftsführer richtete seine rote Seidenkrawatte, murmelte etwas Vages und Beschwichtigendes darüber, dass sie ihren neuen Boss beeindrucken sollten und beendete das Meeting.
Maddie sah Bartell hinterher. Wir sind hier fertig? Wie sozial inkompetent war die denn?
»Heilige Scheiße«, sagte Terry, der Reporter für Gerichtsprozesse. »Ich muss meine Frau anrufen. Der Hai wird uns ausweiden. Ich konnte es in ihren Augen sehen.« Er warf einen kurzen Blick auf Maddies Outfit. »Ihr hat nicht gefallen, was du anhast, hm? Hast du die Info nicht bekommen, dass sie heute kommt?«
»Heute ist mein freier Tag«, wehrte sich Maddie. »Ist ja nicht so, als würde ich einen Mantel aus frisch getöteten Baby-Robben tragen.«
Terry lachte bitter auf. »Wenn ja, würde sie wahrscheinlich auch so einen haben wollen.«
»Ja.« Maddie seufzte. In sechs Wochen würde sie sicher keinen Job mehr haben. Eine Sache, die sie über alle Zeitungen wusste, war, dass niemand der Totengräber-Schicht irgendeinen Wert zusprach. Mitarbeiter wie sie wurden nicht gesehen oder gehört und ihre Jobs waren niemals sicher. Mit diesem ernüchternden Gedanken ging sie den kleinen Grüppchen aus dem Weg, die über Bartells Rede diskutierten, und hielt auf den Fahrstuhl zu. Es gab ein Bett, in das sie wieder kriechen musste.
Als sie den Flur erreichte, schlossen sich die Fahrstuhltüren gerade. Sie erkannte einen Schatten dahinter und sie rief ihm zu, dass er die Türen aufhalten sollte. Die Türen schlossen sich weiter. Maddie rannte hinüber und streckte ihren Arm in die Öffnung. Die Türen hielten an und öffneten sich dann langsam wieder. Sie schlüpfte hinein und sah sich Elena Bartell von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Die Frau wirkte verärgert darüber, einen Eindringling zu haben. Offensichtlich widersprach es Bartells Religion, mit Lakaien im selben Aufzug zu fahren.
Maddie konnte Bartells Parfüm riechen − eine sanfte, leicht würzige Note, die in ihr den Drang auslöste, sich vorzubeugen, um mehr davon zu erhaschen. Sie stach auf den bereits leuchtenden Knopf für das Erdgeschoss ein, weil sie von diesem willkürlichen Gedanken irritiert war, und lehnte sich an die Wand – so weit wie möglich von Elena Bartell entfernt. Sie richtete ihren Blick nach oben an die Zahlen, die abwärts zählten.
»Mutige Wahl«, sagte Bartell plötzlich und zerstörte damit die Hoffnung, dass Maddie diese Fahrt unbeschadet überstehen würde. »Hat Ihre Garagen-Band gleich Probe?«
»Heute ist mein freier Tag.« Maddie war überrascht, angesprochen zu werden. »Ich hab nicht erwartet, zu Ihrer besonderen Iden des März-Rede hergerufen zu werden. Ausgerechnet der Tag, an dem Cäsar erstochen wurde? Interessante Wahl.«
»Eine Vertreterin der Millenniums-Generation, die sich mit Geschichte auskennt? Sieh mal einer an.«
Maddie zuckte mit den Schultern.
»Ich schätze, es sind schon verrücktere Dinge passiert.« Bartell musterte Maddies Kleidung, als würde sie sich davon bis auf den Grund ihrer Seele beleidigt fühlen. »Also tragen Sie das … freiwillig?«
Maddie runzelte die Stirn, als sie ein Glitzern in diesen kühlen Augen sah. »Ja«, sagte sie mit möglichst neutraler Stimme. »Das tue ich. Es ist bequem.«
»Obwohl Sie wussten, dass ich heute herkomme, um Sie alle zu beurteilen.«
»Haben Sie vor, mich aufgrund meiner Kleidung zu feuern?«, fragte Maddie höflich und drehte sich um, damit sie Bartell besser ansehen konnte.
»Was, wenn ich es tun würde?« Der Ausdruck in Bartells Augen war herausfordernd. »Die Kleiderwahl drückt Professionalität aus und zeigt, ob eine Person ernst genommen werden will. Im Gegensatz zu, sagen wir, als wäre man um vier Uhr morgens aus einem Nachtclub gekrochen.«
»Das ist …« Maddie schüttelte ungläubig den Kopf. »So …«
»Sprechen Sie weiter.« Bartells Gesichtsausdruck forderte Maddie gerade zu heraus.
»Wenn Sie Menschen aufgrund ihrer Kleidung feuern, könnten Sie brillante Mitarbeiter verlieren. Was, wenn jemand unglaubliches Talent besitzt, sich aber beim besten Willen nicht anständig anziehen kann? Inwiefern ist das guter Geschäftssinn?«
Bartell sah sie scharf an. »Und sind Siedas? Ein unglaubliches Talent? Gekleidet in einen Gothic-Sack, der nur darauf wartet, dass ich mir die Mühe machen, ihn auseinanderzunehmen?«
Maddie stand der Mund offen. Sie verschränkte die Arme fest vor ihrem Körper und dem Gothic-Sack. »Das hab ich nicht gesagt«, murmelte sie.
»Was machen Sie hier?«
»Die Nachtschicht. Ich schreibe kurze Berichte darüber, was mitten in der Nacht passiert. Manchmal übernimmt die Tagesschicht meine Texte dann. Manchmal auch nicht.« Scheiße. Ich plappere. Maddie kam hastig zum Punkt. »Kriminalität. Ich schreibe über Kriminalität. Vor allem. Und, ähm, Nachrufe.«
Daraufhin zuckte Bartells Mundwinkel, was Maddies Verärgerung nur noch weiter antrieb.
»Und Sie stammen nicht aus New York. Nicht mit diesem Akzent.«
»Sydney.«
»Dann leben Sie Den Traum? Die Landmaus kommt hierher, um das Stadtvolk mit ihrem unglaublichen Talent und beklagenswertem Modebewusstsein zu verzaubern?«
»Hey, Sydney ist kein ländliches Kaff. Ich bin für einen Tapetenwechsel hierhergekommen. Und ich mache das Beste daraus.« Maddie wollte lässig klingen, zuckte aber innerlich zusammen, als ihr klar wurde wie steif sich ihre Worte angehört hatten. Wie privilegierte Gleichgültigkeit.
Bartell sah sie abwägend an. »Es hört sich so an, als wären Sie lieber wieder Zuhause. Vielleicht sollte ich Ihnen einen Gefallen tun und sie sofort feuern.« Ihre Stimme senkte sich und nahm einen sanften, aufgeladenen Tonfall an. »Sie können wieder nach Sydney zurück kriechen und erleichtert sein, dass es vorbei ist.«
»Nein! Das kann ich nicht!«
»Nein? Tja dann, Nachtschicht-Mädchen, sind Sie eine gute Journalistin?«
»Ich…« Der Fahrstuhl wurde langsamer. Maddie suchte verzweifelt nach einer Antwort. Die Professoren an der Universität waren der Meinung gewesen, dass sie Talent hatte. Andererseits gab es nichts Spektakuläres, das sie nach acht Monaten bei der Hudson Metro News vorweisen konnte. Nichts außer kurzen Polizeiberichten und berührenden Nachrufen, die wahrscheinlich niemand las.
»Wenn Sie eine einfache Frage nicht beantworten können«, sagte Bartell und sah sie dabei so durchdringend an, dass es sich wie eine Röntgenuntersuchung anfühlte, »stellt sich Ihre kleine, geheime Angst vielleicht als wahr heraus: Sie gehören nicht hierher.«
Maddie starrte sie an, als sich die Türen mit einem Klingeln öffneten. Stand ihr ertrinkt in New York ins Gesicht geschrieben?
»Oh, und upgraden Sie Ihre Garderobe. Ich will diese Neuinterpretation eines geschundenen Poeten nicht sechs Wochen lang ansehen müssen.«
Bartell glitt aus dem Fahrstuhl und ließ Maddie allein zurück, sodass sie mit den Zähnen knirschen konnte. »Tja, wir können uns nicht alle den Steampunk von gestern leisten, nicht wahr?«, murmelte sie vor sich hin. Sie stieß sich von der Rückwand ab und trat zwei Schritte aus dem Fahrstuhl heraus, bevor sie erstarrte.
Bartell stand direkt um die Ecke und sah sie an, die Hand in ihrer Tasche vergraben.
Hat sie das gehört?
Der Ausdruck auf Bartells Gesicht war hart, als sie ihr Handy hervorzog. Sie wirbelte auf dem Absatz herum und drückte den Rücken durch, die unglaublich teuer aussehende Hermés-Handtasche fest an die Schulter gepresst. Sie marschierte durch das Foyer, drückte eine Taste auf ihrem Handy und fing an, Befehle hinein zu bellen.
Eine blonde Frau, die nur aus Absatzschuhen und knochigen Ellbogen zu bestehen schien, nahm Bartell vor den riesigen Glastüren des Gebäudes eilig in Empfang und deutete auf einen schwarzen BMW, in dem der Fahrer bereits wartete.
Gute Arbeit, dachte Maddie. Du hast es bei einer einzigen Fahrt mit dem Fahrstuhl geschafft, dafür zu sorgen, dass du nie wieder einen Job bei einer Zeitung oder Zeitschrift der Bartell Corp. bekommst. Nirgendwo. Weltweit.
Und das waren eine Menge Zeitungen.
Sie hätte definitiv im Bett bleiben sollen.
An diesem Abend nahm Maddie an Simons Vorstellung von Spaß teil – und die beinhaltete Alkohol. Eine Menge Alkohol. Besonders Flaschen in seltsamen Farben, deren Inhalt ihr Mitbewohner miteinander mischte und exotische, hausgemachte Cocktails damit herstellte.
Nachdem sie Simons dritte Kreation ausgetrunken hatte – von ihm ›Autositzbezug‹ genannt – gestand Maddie, was im Fahrstuhl passiert war.
Anstatt jedoch Mitleid mit ihr zu haben, lachte er aus voller Kehle. »Was hab ich dir gesagt!«, sagte er schnaubend. »Das war es, du bist erledigt. Du bist tot! Ich meine, du bist ja schon wie ein Todesser rumgelaufen.« Er kippte etwas hinunter, das widerlich grün aussah.
»Nein, das liegt nur an ihren absonderlich hohen Mode-Idealen. Ich meine, ich hab ein bisschen nach Goth ausgesehen, aber nicht so schlimm. Ich … das ist Straßenkleidung. Ich hab normal ausgesehen!«
»Du hast wie ein Mitglied eines satanischen Kults ausgesehen. Aber das ist in Ordnung, Mads. Nun, gehen wir deinen Tag nochmal durch: Elena Bartell, weltbekannte Medien-Milliardärin, hat dir die Meinung gesagt, weil du unprofessionell ausgesehen hast. Dann hast du wieder wenig Begeisterung für deinen Job, New York und das Leben allgemein aufgebracht. Anschließend konntest du ihr nicht mal sagen, dass du eine gute Journalistin bist. Und schließlich … Die perfekte Kirsche oben drauf … Hast du sie beleidigt und gesagt, sie hätte sich mit der Mode von gestern aufgebrezelt.«
»Steampunk von gestern kann heiß aussehen. Es ist nicht meine Schuld, dass sie es falsch verstanden hat. Wenn du es genau wissen willst, sah sie ziemlich nach H. G. Wells aus. Die aus dieser Serie, Warehouse 13?« Maddie schlürfte ihren Drink.
Er hob die Hände. »Die schon wieder – du und deine vornehmen britischen Schauspielerinnen.«
»Außer, dass Bartell nicht vornehm ist, sondern nur kalt.«
»So kalt, dass sie einfach in ihren Wagen gesprungen und weggefahren ist, anstatt dich auf der Stelle zu feuern?«
»Ähm. Ja.«
»Dann hör auf, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn sie so dünnhäutig wäre wie du denkst, hättest du bereits deinen Marschbefehl erhalten.«
»Es ist immer noch Zeit. Wahrscheinlich finde ich ihn auf meinem Tisch, wenn ich mich morgen Abend einstemple.« Maddie starrte ihn an und hielt ihm ihr Glas entgegen, damit er nachschenkte. »Dieses Mal will ich das gelbe Zeug.«
Während sich Simon ihrem Cocktail widmete, fragte er: »Meinst du nicht, dass eine Milliardärin andere Sorgen hat als ein Mädchen von der Nachtschicht einer zweitklassigen Zeitung, die sie ausweiden will?«
»Vermutlich schon.« Sie leerte ihr Glas mit einem Schluck.
»Du vermutest es? Ich wette, dass Madam-Schwingende-Sense dich mittlerweile vergessen hat.«
»Gutes Argument.« Maddies Gesichtsausdruck hellte sich auf. »Eigentlich sogar ein tolles Argument! In Elena Bartells Weltvorstellung bin ich doch nur eine Amöbe, richtig?« Sie spürte, wie Hoffnung in ihr aufwallte und reichte Simon erneut ihr Glas. »Grün mit etwas Gelb. Bei dem blauen Zeug sieht meine Zunge danach aus wie eine Echse aus dem Outback.«
»Du bist vielleicht noch unbedeutender als eine Amöbe«, stimmte Simon liebenswürdig zu, während er einschenkte. »Einzellige Organismen werden vielleicht sogar noch vor dir wahrgenommen. Keine Angst. Prost.«
»Prost.« Sie stieß mit ihm an. »Moment mal, sind Amöben nicht schon einzellige Organismen?«
»Das fragst du den BWL-Absolventen?« Simon sah sie aus zusammengekniffenen Augen an, bevor er seinen Drink hinunterstürzte.
Sie lachte und hatte zum ersten Mal seit Stunden wieder ein positives Gefühl.
BlogSpot: Aliens von New York
Von Maddie as Hell
Heute saß eine alte Frau auf der Mülltonne vor meinem Wohngebäude in Williamsburg neben einer Autowerkstatt. Sie hat ihren Müllsäcken und einem chaotischen Haufen aus Decken, Kleidung, Zeitungen und Essensverpackungen sanft vorgesungen. Schief singend und mit ein paar fehlenden Zähnen hat sie sich sanft im Rhythmus gewiegt. Eine zottelige, weiße Pusteblume, an ein paar Stellen haarlos, aber nichts destotrotz unbeugsam. In dem umgedrehten Hut vor ihr glänzten ein paar Münzen. Als ich an ihr vorbeigegangen bin, ist mir aufgefallen, dass einer der Säcke in Wahrheit ein kleines Kind war. Das Mädchen, sie war ungefähr zehn Jahre alt, hatte alte, alte Augen. Sie hat mich oder die Frau neben sich nicht angelächelt. Sie hat in die Ferne gestarrt.
Ich habe den Takt des Liedes für einen Augenblick auf mich wirken lassen, bevor ich ein paar Geldscheine in den Hut geschmissen habe. Das hat mir ein breites, zahnloses Lächeln eingebracht.
Pass auf sie auf, dachte ich.
Als ich gegangen bin, war ich mir nicht sicher, wen von beiden ich gemeint habe.
Kapitel 2
Geschichten von der Dunklen Seite
Elena Bartell schürzte die Lippen, als sie am Telefon dem einfältigen Geplapper der angeblich herausragenden Chefredakteurin ihrer australischen Modezeitschrift lauschte. In Sydney mochte es zwar gerade erst kurz nach vier Uhr morgens sein, aber sie hatte Fragen, die beantwortet werden mussten. Sie war in ihrem Auto von dem Pendler-Schundblatt verschwunden, dem sie einen Vollstreckungsaufschub gegeben hatte. Obwohl sich Elena wahrscheinlich nicht die Mühe machen sollte, wenn die katastrophal gekleidete Berichterstatterin im Fahrstuhl das Niveau der Mitarbeiter wiederspiegelte.
Ihr Blick glitt aus dem Fenster, als sie die seltsame Begegnung gedanklich Revue passieren ließ. Die Journalistin hatte unter ihrem goldroten Kurzhaarschnitt ein ausdrucksstarkes Gesicht. Elena war die Intelligenz in ihren intensiven, grünen Augen aufgefallen. Es waren die einzigen Augen gewesen, die erkennend aufgeleuchtet hatten, als sie das Datum genannt hatte, an dem sie das Schicksal der Zeitung verkünden würde.
Allerdings schien ihr geschichtliches Wissen der einzige Lichtblick zu sein. Eigentlich konnte sich das Nachtschicht-Mädchen glücklich schätzen, dass sie noch nicht gefeuert war. Aber Elena war so verblüfft darüber gewesen, dass man sie beleidigt hatte, dass sie einfach nur weggehen konnte. Nicht, dass es wichtig war. Die anmaßende Australierin würde den Schnitt ebenso wenig überleben wie ihre unterdurchschnittlichen Kollegen.
Da sie gerade von verfluchten Australiern sprach … Elena presste die Lippen zusammen und hielt sich das Handy ein Stück vom Ohr weg. Jana Macy plapperte noch immer vor sich hin und versuchte, ihren Arsch zu retten.
»Genug!«, fauchte Elena ins Handy. »Deine Ausreden sind absurd. Es gibt keinen Grund, warum sich die Auflage der Style Sydney in einer Abwärtsspirale befinden sollte. Steigere die Absatzzahlen, und zwar schnell. Versuch dich daran zu erinnern, dass ihr ein Imprint des weltweit führenden Mode-Magazins sein sollt. Druck ein paar tatsächlich tiefgründige Mode-Artikel. Mit den Geschichten, die du rausgebracht hast, würde ich nicht mal das Angestelltenbadezimmer tapezieren. Und triff ein paar harte Etat-Entscheidungen, oder ich komme runter und mache das selbst – und ich fange mit deinem Vertrag an. Wir sind hier fertig.« Sie beendete das Gespräch mit einer heftigen Bewegung ihres Daumens.
»Felicity«, sagte sie, ohne ihre Stabschefin anzusehen, die auf der anderen Seite der großzügigen Rückbank saß. »Ich glaube, dass ich dir gesagt habe, dass ich eine neue Assistentin haben will, wenn ich bei Hudson Metro News ankomme. Und trotzdem sehe ich nur dich in diesem Fahrzeug. Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Hattest du das Gefühl, dass es optional ist, mir eine Vollbesetzung zu verschaffen?«
»Nein, Elena. Es ist nur so, dass sie sich verfahren hat.« Felicity fing an, auf ihrem Handy herum zu tippen. »Oder so etwas. Ich habe ihr gesagt wann«, ihre Stimme nahm eine verzweifelt hohe Tonlage an, »ich habe ihr gesagt wo. Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht zu spät kommen soll. Und sie beschreibt mir immer weiter ihre Versuche, hierher zu finden. Aber sie ist immer noch kilometerweit entfernt.«
»Feuer sie. Besorg mir eine Assistentin, die nicht geografisch unfähig ist. Wir sind ein internationales Unternehmen, man könnte also annehmen, dass es eine Voraussetzung zur Anstellung ist, eine Karte lesen zu können.
Felicity zeigte keine Reaktion auf den Befehl. Warum sollte sie auch? Persönliche Assistenten ließen sich wie Schuhe austauschen, wenn sie Ansprüchen nicht genügten.
Der Rekord für die am längsten durchhaltende Assistentin lag bei einem Jahr, neun Monaten und zwei Wochen. Zumindest hörte sie ständig, wie Felicity das ihren neuen Assistenten erzählte. Die Titelverteidigerin war Colleen, ein plumpes, schottisches Mädchen mit einem süßen Gesicht, unverständlichem Akzent, leuchtend roten Haaren und einem fotografischen Gedächtnis. Elena hatte dem Mädchen persönlich eine Empfehlung geschrieben, als sie weitergezogen war. Dieses Ereignis war so selten, dass die verblüffte Frau heftig geweint und so alarmierend geschluchzt hatte, dass Elena ihre Großzügigkeit sofort wieder bereute.
Elena scrollte durch ihre Text-Nachrichten und blieb bei einer hängen. Ihr Ehemann wollte ihre Anwesenheit bei einer weiteren Party. Die Krankenversicherungsfirma, für die Richard arbeitete, veranstaltete mehr Partys als Strafverfahren gegen sie liefen. Sie seufzte, als sie die Einladung musterte. War ja klar.
Sie schrieb ihm zurück.
Ich würde lieber zusehen, wie Schlaghosen ein weiteres Comeback feiern. Außerdem dachte ich, dass du da eine Tagung hast? Miami? Was hat sich geändert?
Sie kannte die Antwort bereits. Er war damit beschäftigt, sich beim neuen Vizepräsidenten einzuschleimen − einem Mann, der noch keine Lieblinge in der Firma hatte, weswegen alle karrieresüchtigen Menschen damit beschäftigt waren, sich bei ihm einzuschleimen. Richard war unersättlich in seiner Jagd nach Status und Macht. Auf keinen Fall würde er sich diese Möglichkeit entgehen lassen. Es war ironisch, dass die Leute dachten, er wäre der charmante, weniger ehrgeizige Teil ihrer Partnerschaft.
Elena hatte nicht das Bedürfnis verspürt zu erwähnen, dass sie die Ehefrau des Vizepräsidenten kannte. Richard hätte sonst darauf bestanden, dass sie diese Verbindung ausnutzte. Sie und Richard betrachteten Macht sehr unterschiedlich. Für ihren Ehmann ging es darum, sein Ego zu stärken, Aufmerksamkeit zu bekommen und dafür zu sorgen, dass die Menschen ihn bewunderten. Für Elena bedeutete Macht, eine Firma zu finden, die am Boden lag und die alle anderen für einen hoffnungslosen Fall oder für wertlos hielten und sie dann wiederauferstehen zu lassen. Einer Leiche Leben einhauchen? Einen Herzschlag nach dem absoluten Tod hervorzurufen? Das war Macht.
Ihre Fähigkeit war es, in dem Wald aus medialem, totem Holz noch Möglichkeiten und Talente zu finden. Aber die meisten Leute konzentrierten sich nur auf die Zerstörung und die Abstriche, die sie dafür machen musste. Niemand sah die zurechtgestutzten Unternehmen, die nach ihrem Eingriff neu wachsen konnten. Nur wenige konnten verstehen, mit welchem Geschick sie wirklich vorging.
Elena ließ das Handy in ihre Handtasche fallen. Ihre Gedanken wanderten in die übliche Richtung: ihre unterschätzten Fähigkeiten in einer lang vergangenen Zeit. Eine Zeit, über die sie sich besser nicht weiter den Kopf zerbrach.
»Ich werde mich vorübergehend bei Hudson Metro News einquartieren«, sagte sie zu Felicity. »Ich habe sie darüber informiert, dass ich ihnen sechs Wochen Zeit gebe, um sich zu beweisen. Du wirst auch von dort aus arbeiten.«
Felicity konnte ihre Verwirrung nicht verbergen. »Ernsthaft? Oh, richtig, tut mir leid. Ich meine, natürlich meinst du es ernst. Wann tust du das schon nicht?« Ihre Stabschefin warf Elena einen gequälten Blick zu.
Der Gesichtsausdruck konnte nur wenig verbergen – im Moment strahlte er Bestürzung, Schrecken und einen Hauch von Widerwillen aus.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Elena warnend. Sie musste sich bei niemandem rechtfertigen. Wobei Felicity lange genug bei ihr war, um hin und wieder eine Frage stellen zu dürfen. Aber nicht heute.
»Nein«, sagte Felicity hastig. »Es ist nichts.«
»Bist du dir auch ganz sicher? Ich würde nicht wollen, dass du deine aufschlussreichen Gedanken zurückhältst«, sagte Elena mit sanfter Stimme. Nur ein Idiot würde ihre Worte für bare Münze nehmen. Und Felicity war kein Idiot.
Ihre Augen weiteten sich. »N-nein. Es wäre mir eine Ehre, mit dir in einem Gebäude zu arbeiten, dass so groß ist wie ein Fischglas und entsprechend duftet«, antwortete sie höflich und mit abgehackter Stimme.
Überraschung schoss durch Elena. »Du warst drin?«
Felicity nickte. »Es riecht wie der Hudson, nach dem es benannt wurde. Ich meine die unteren Etagen – die Werbungs- und Finanzabteilungen. Die Mitarbeiter unseres Buchhaltungsteams waren ganz grün um die Nase, als ich sie letztes Jahr besuchen musste. Es war zu der Zeit, als du sie aufgekauft hast. Ich musste ein paar Dokumente zur Sorgfaltspflicht einsammeln, die gerade fällig waren.«
»Instandhaltungskosten …«, murmelte Elena leise. »Setz sie auf die Liste der ausstehenden Probleme für das kleine Schundblatt.«
»Ja, Elena.« Felicitys Kopf wippte auf und ab. »Darf ich dich fragen … Du hast gesagt, du hättest sie darüber informiert, dass du sie sechs Wochen lang beurteilen würdest. Was wirst du wirklich dort machen?«
Elena musterte sie und war beeindruckt, wie flink der Verstand ihrer Stabschefin manchmal sein konnte.
»Warum fragst du?«, wollte sie wissen.
»Bei den meisten neuen Übernahmen weißt du nach ein paar Tagen oder einer Woche schon, wie die Zukunft für das Unternehmen aussieht. Und normalerweise reicht es, wenn du die Bücher durchgehst. Ich meine, ich weiß, dass du die Hudson zusammen mit einer Reihe anderer Pendler-Zeitungen bekommen hast, also weißt du vielleicht nicht genug über sie, aber trotzdem … Sechs Wochen?« Unter Elenas intensiver Musterung verlor sie sich langsam. »Es ist nur, ähm, interessant …«
»Ja, es ist interessant, nicht wahr? Irgendwelche weiteren Fragen?« Sie verlieh ihrer Stimme einen stählernen Ton.
Felicity schrak daraufhin zurück und schüttelte den Kopf.
»Gut. Du musst einen unserer Anwälte in London anrufen. Er soll meinem nichtsnutzigen Ex-Ehemann klarmachen, dass er meinen Namen nicht in Interviews erwähnen darf, um sich besser zu verkaufen.« Ihre Stimme wurde eiskalt. »Erinnere den lieben Spencer daran, dass die Verschwiegenheitsklausel, die er bei unserer Scheidung unterschrieben hat, Zähne hat. Teure Zähne. Oh, und wenn er sich noch einmal den Erfolg meiner Karriere anrechnet, werde ich ihn auf die schwarze Liste setzen. Er wird sein nächstes Buch bei einem Verlag unterbringen müssen, der nicht zur Bartell Corp. gehört. Und wie viele gibt es davon heutzutage noch auf beiden Seiten des Atlantiks?«
»Ja, Elena.« Felicity schrieb sich eine Notiz. »Und ich bin nicht sicher. Nicht viele.«
»Mhm. Kontaktiere das australische Führungsteam, den staatlichen Bilanzbuchhalter, die Anwälte und Don McKay vom Gremium und sag ihnen, dass sie sich die Tabellen ansehen sollen, die ich ihnen per Mail schicke. Irgendetwas läuft beim Style Sydney falsch und es muss an der Wurzel aufgehalten werden, bevor es schlimmer wird. Ich brauche Erklärungen. Ich will, dass Don dabei ist, falls wir etwas Drastisches tun müssen … und etwas Teures.«
Elena wartete einen Augenblick ab. »Anschließend buchst du meinen Lexus für eine Tour. Ich will zu Martha’s Vineyard fahren und Stan davon überzeugen, zu verkaufen. Vielleicht ist er auf heimatlichem Boden eher zu einem Kompromiss bereit. Und sag Perry nein, ich werde auf dem Publisher Ball kein Pink tragen; ich bin keine sechzehnjährige Abschlussballkönigin oder ein Teewärmer. Es ist mir egal, wie auserlesen der Schnitt oder brillant der Designer ist, den er fördern will. Er ist der Art Director eines weltweiten Mode-Magazin-Imperiums – sag ihm, dass er auch so denken soll. Ich will gewagt, nicht trostlos auftreten. Und ich bin sehr gut in der Lage, mir mein eigenes Kleid zu suchen, wenn er das nicht versteht …«
Sie hielt inne, als sie sich an die bizarre Fahrstuhlfahrt mit der grünäugigen Mode-Tragödie erinnerte. Elena konnte noch immer nicht glauben, dass sie von der Nachtschicht-Journalistin beleidigt worden war. Wie … enttäuschend. Sie würde herausfinden müssen, wer sie war. Es war sehr lange her, seit ihr jemand eine Beleidigung direkt ins Gesicht gespuckt hatte. Und es war nie ein Untergebener gewesen, den sie noch immer bezahlte.
»Wir sind hier fertig«, presste sie hervor.
BlogSpot: Aliens von New York
Von Maddie as Hell
Sie haben versprochen, mich zu besuchen. Sie haben es nicht getan. Die Gründe türmen sich auf wie unbezahlte Rechnungen. Ich verstehe es. Sie sind beschäftigt. Das Leben kann verrücktspielen. Aber ich sehne mich nach einer Prise Heimat und wünschte, ich könnte mir ein Ticket nach Hause leisten.
Ich will das Summen der Zikaden im Sommer und das sanfte Klick-Klick-Klick der Sprinkleranlage im Garten hören.Ich will den Geruch aufnehmen, der mich an die salzige Luft des Bondi Beach und den Duft von Essig auf Fish and Chips erinnert, der sich auf Papierresten über den Sand verteilt. Ich will das Aroma von frisch gemähtem Gras und Eukalyptusbäumen und den schwachen Geruch von Desinfektionsmittel im Zug an der Bondi Junction, der immer den Anfang des Wochenendes einleitet, in der Nase haben.
Ich will sie schmecken. In den Willkommens-Küssen und auf ihren gebräunten Wangen will ich den einzigartigen, beinahe staubigen Geschmack der Luft von Zuhause wiederfinden.
Als sie versprochen haben, mich zu besuchen, haben sie da bereits bewusst gelogen? Glauben sie, dass ich sie nicht brauche, weil mein bester Freund hier ist? Selbst wenn wir nicht in inkompatiblen Schichten arbeiten würden, hat mein Mitbewohner New York bereits in sich aufgenommen. Er ist zu einem Teil der Stadt geworden, vor der ich zurückschrecke.
Ich vermisse sie.
Kapitel 3
New York-Syndrom
Maddie ließ sich auf ihre Couch fallen und dachte über ihre Optionen nach. Es war fast Mittag und sie war nun offiziell wach. Sie hatte sich sogar angezogen und war bereit, sich dem Tag zu stellen. Den Kater ihres lustigen Abends hatte sie weggeschlafen, aber Simon war ganz schön am Ende gewesen, als er sich zu seinem Praktikum geschleppt hatte. So ein Weichei, dachte sie liebevoll. Sie gähnte. Andererseits …
Sie fühlte sich kaum mehr wirklich wach. Anfangs hatte sie angenommen, dass ihr System durch die Nachtschicht durcheinandergebracht wurde. Sie kam für gewöhnlich um viertel vor zwei Uhr morgens nach Hause, lief in ihrer Wohnung auf und ab oder kochte sich etwas Kleines, bis sie müde wurde oder ein zerknitterter Simon aus dem Bett kroch und etwas nach ihr warf. Dann fiel sie ins Bett und schlief bis Mittag.
Aber es war schlimmer geworden. Vielleicht lag es an den schlechten Träumen. Sie schlief immer später und später ein. Maddie seufzte und wünschte sich, sie könnte einfach an den Strand fahren und sich von der Sonne wieder Leben einhauchen lassen. Aber sie näherten sich dem Ende des bissigen New Yorker Winters. Sie vermisste es definitiv, Simon dabei zuzusehen, wie er sich beim Surfen halb ertränkte. Er trainierte seit Jahren und konnte noch immer keine Welle über stehen bleiben. Er war der reinste Hai-Snack. Sie gähnte erneut.
Vielleicht sollte sie ein wenig Hausarbeit erledigen, oder halbherzig versuchen, sich von einer Work-Out-DVD inspirieren zu lassen. Maddie starrte den stummen Fernseher an. Dann den Boden. Vielleicht auch nicht.
Sie stand auf und ging in die Küche, um ihre Vorräte zu überprüfen. Der mühselige Marsch zum Supermarkt, um weitere Backzutaten zu kaufen, würde ihr guttun. Das war doch fast schon wie New York zu erleben, oder? Wenn man die Augen zudrückte?
Als sie allmählich auch das Interesse an dieser Idee verlor, dachte sie über ihre letzte Möglichkeit nach. Sie konnte ihre Website updaten. Maddies geheimer Blog über ihre Erfahrungen hier füllte die Stunden zwischen Wachsein, sich schuldig fühlen, weil sie sich nicht wie eine echte New Yorkerin verhielt, und zur Arbeit gehen. Nicht einmal Simon wusste, dass sie diesen Blog hatte. Ihre Arbeitszeit machte es schwer, auf der Arbeit Kontakte zu knüpfen. Durch diese Plattform fühlte sie sich weniger einsam, nicht wie ein Alien. Und es tat gut, von Leuten zu hören, die sich ebenso fehl am Platz fühlten wie sie.
Maddie beschloss, dass sie nicht länger darüber nachdenken wollte, wie schlecht sie mit dieser New York-Erfahrung umging. Es gab wichtigere Dinge, um die sie sich Sorgen machen musste. Zum Beispiel nicht arbeitslos zu werden. Und heute Abend würde sie ihre erste Schicht seit dem unglücklichen Zusammentreffen mit Elena Bartell antreten müssen.
Vielleicht sollte sie einfach noch ein Nickerchen machen und das alles ausblenden. Sie ging wieder zur Couch, ließ sich darauf fallen und zog sich die Decke bis zum Kinn. Das würde nicht schaden.
Um kurz vor fünf kam Maddie an ihren Schreibtisch und fuhr sich mit den Fingern durch ihre frisch geschnittenen, roten Haare. Nachdem sie ihren großen Rucksack auf dem Tisch abgestellt hatte, wühlte sie darin nach dem Behälter mit ihrem Abendessen. Sie brachte ihn zum Bürokühlschrank und kam mit einer dampfenden Tasse Kaffee zurück.
Die Nachtschicht war nicht so aufregend, wie sie anfangs geglaubt hatte, als sie den Job angeboten bekam. Das war ein Schock gewesen – ein Anruf aus heiterem Himmel. Jemand hatte den Lebenslauf gesehen, den sie überall verteilt hatte, als sie in New York angekommen war. Sie war so aufgeregt gewesen. Das war endlich ihre Chance, sich zu beweisen.
Ihre Freunde hatten es mit ihren Glückwünschen auf Facebook und ihren E-Mails gut gemeint. Sie kündigten an, dass Maddie schon bald Pulitzer-Preis-verdächtige Artikel schreiben würde. Aber all das war nur Druck. Sie hatte ihr Bestes gegeben, sich in die Artikel gestürzt und versucht, von den Chefs der Zeitung bemerkt zu werden.
Stattdessen wurde alles, was sie in der Nacht ausgrub, von den Kriminalreportern der Tagesschicht aufgenommen und weiterentwickelt. Sie hatten den Luxus, dass tagsüber Menschen um sie herum waren, die sie interviewen konnten. Sie konnten ihre Jobs sogar innerhalb des New York Police Department erledigen, weil es dort ein Büro für alle Medienkanäle gab.
Aber Maddie? Tja, wer war um Mitternacht noch wach und wollte mit ihr über Einbruchsstatistiken oder kriminelle Trends sprechen?
Maddie rief die Seite der Nachrichtenagentur auf ihrem Computer auf. Es waren Zusammenfassungen von Eilmeldungen verschiedener Presseagenturen wie AP, Reuters und AFP, für die ihre Zeitung angemeldet war. Diese Zusammenfassungen glitten in Hülle und Fülle über ihren Bildschirm. Während die Worte ihren Bildschirm ausfüllten, überflog sie sie mit leidenschaftslosem Blick und suchte nach einer Geschichte, die sie ausweiten konnte. Sie mussten zu ihrem Gebiet passen. Kriminalität. Sofern die Person nicht tot, nahezu tot oder kurz vor einer Verhaftung war, las sie weiter.
Nachdem sie nichts gefunden hatte, was die Leser der Hudson Metro News interessieren würde, nahm sie ihr Handy. An der Trennwand ihres Schreibtisches hing eine laminierte Liste von siebenundsiebzig Polizeirevieren aus allen fünf Stadtteilen. Theoretisch durfte sie keines davon direkt anrufen. Deshalb galt ihr erster Anruf des Abends immer dem stellvertretenden Leiter für öffentliche Informationen – dem DCPI, wie es in der Jobbezeichnung hieß. Bruce Radley hatte jetzt normalerweise Dienst.
»Hi, hier ist Maddie von Hudson Metro News«, sagte sie, nachdem Radley ihren Anruf angenommen hatte. »Irgendwas passiert?«
»Das Übliche, Miss Grey. Ich habe Ihnen und allen anderen bereits per E-Mail die täglichen Pressemeldungen geschickt.«
Radley hörte sich immer so leidend an, als würde sie ihn belästigten. Allerdings war es sein Job, die ganze Nacht von den Medien angerufen zu werden. Er nannte sie aus Prinzip beim Nachnamen und zog den Titel ‚Miss‘ in die Länge, weil es niemals Ms. war. Wahrscheinlich irgendein passiv aggressiver Mist.
»Ja, das sehe ich«, sagte Maddie höflich und legte sich auf eine kleine Information fest, die ihr ins Auge gefallen war. »Der Serien-Juwelendieb der Longley Avenue – wovon reden wir hier? Kronjuwelen, die Weihnachtsbaumkugeln alter Damen, oder…?«
»Es gab eine Einbruchsserie in den Wohnungen von Pensionären. Ich glaube nicht, dass die gestohlenen Waren viel wert sind.«
Sie malte auf ihren Notizblock. »Okay. Ich hoffe, Sie fassen die Diebe. Hey, diese Drogenrazzia vor zwei Tagen war ziemlich beeindruckend«, sagte sie so gelassen wie möglich. »Vierzehn Verhaftungen.«
Der Trick, Informationen aus einem diensteifrigen Felsen wie Radley herauszubekommen war es, über etwas vollkommen Uninteressantes zu reden und dann nebenbei zu erwähnen, was man wirklich wissen wollte. Manchmal wurde der Kerl unachtsam und bemerkte es gar nicht, sodass er ein paar Informationen preisgab. Aber nicht oft.
»Mmm, ja, ich habe Ihren kleinen Artikel genossen, Miss Grey«, sagte Radley, aber Maddie erkannte seine Vorsicht. Verdammt. »Warum wollen Sie das nochmal aufwärmen?«
»Oh, ich frage mich nur, warum bei dreizehn der Betroffenen die Anklage fallen gelassen wurde. In den Nachrichten wurde doch ein riesen Rummel darum gemacht. Vierzehn Verhaftungen! Großer Durchbruch gegen den Drogenhandel! Und jetzt, nichts. Alle von ihnen frei, bis auf einen.«
»Das steht alles in der Meldung. Die ist gestern rausgegangen – an Ihrem freien Tag, nehme ich an.«
»Es steht aber nicht in der Pressemitteilung.« Maddie runzelte die Stirn und rief die besagte E-Mail auf. »Hier steht nur, dass gegen einen von denen ein Verfahren eingeleitet wird. Ich habe nachgesehen und –«
»Was soll ich sagen, Miss Grey? Das sind alte Nachrichten. Die Anklage blieb an einem hängen; für die anderen kann ich nicht sprechen.«
»Aber –«
»Sonst noch etwas? Irgendetwas, das nicht von gestern ist?«, fragte er jetzt übertrieben schnippisch.
Maddie fragte sich, wo sie da hineingestolpert war. Waren die Verhaftungen von Anfang an Müll gewesen? Ein Vorwand, um es in die nächtlichen Nachrichten zu schaffen? Und als alle mit dem Rücken zur Wand standen, haben sie die unsinnigen Anklagepunkte fallen gelassen und es nur bei der schuldigen Person durchgezogen? War der verbliebene Beschuldigte überhaupt schuldig? Das klang alles sehr verdächtig. Maddie wusste, dass sie der Sache nachgehen musste, wenn sie nicht vor Neugier sterben wollte.
»Welches Revier kümmert sich um das Gebiet, in dem die Razzia stattfand?« Sie blätterte durch ihre Notizen von vorgestern. »Das 101te?«
»Miss Grey, es ist sehr ratsam, sich mit allen Fragen an mein Büro zu wenden, anstatt die einzelnen Reviere zu belästigen. Außerdem werden Ihre Anfragen ohnehin an mich weitergeleitet. Wie Sie sehr genau wissen.«
»Ich verstehe.« Sie unterstrich das Revier auf ihrem Notizblock. »Sie schicken mir also eine Presseerklärung, warum dreizehn Verhaftungen fallen gelassen wurden? Andernfalls rufe ich einfach beim 101ten an und frage direkt.«
»Das können Sie nicht. Es wird dringend angeraten …«
Er konnte ihr anraten, was er wollte, aber er konnte sie nicht wirklich davon abhalten, das Telefon zu nehmen und anzurufen. Sie fragte sich, ob sein Gepolter bei den restlichen Medienvertretern wirkte. Waren die anderen Journalisten folgsam und hielten sich an seine willkürliche Regel? Das hatte man ihr so nicht beigebracht. Maddie tippte mit dem Kugelschreiber auf ihrem Notizblock und unterbrach seine Rede über die Regeln des NYPD. Sie hatte es schon dutzende Male gehört.
»In Ordnung, wann kann ich also mit Ihrer Stellungnahme rechnen?« Sie malte einen Kreis um die 101 und schrieb Queens daneben.
»Ich melde mich später bei Ihnen, Miss Grey«, sagte er abweisend und legte auf.
Maddie verdrehte die Augen. Sicher. Sie würde weder heute Nacht noch sonst irgendwann eine Stellungnahme von ihm bekommen. Falls doch, wäre diese höchstens einen Absatz lang, würde keine Neuigkeiten enthalten und ihr in den nächsten dreißig Sekunden per E-Mail zugeschickt werden. Irgendwo herauskopiert und eingefügt. Sie könnte ihre Uhr danach stellen. Maddie suchte die Nummer des 101ten Reviers heraus und wählte.
»Hi, hier ist Maddie Grey von der Hudson Metro News, könnte ich bitte mit dem leitenden Ermittler sprechen?«
»Sie hat bereits Feierabend.«
»Was ist mit demjenigen, der gerade die Leitung hat?«
Maddie aktualisierte ihre E-Mails. Nichts.
»Er ist beschäftigt. Und sollten Sie nicht ohnehin das DCPI anrufen?«
»Ja, aber ich brauche eine kleine Erklärung, bei der mir das DCPI nicht helfen kann. Es geht nur um den Hintergrund der Drogenrazzia im Redfern House vor zwei Tagen. Könnten Sie dem Stellvertreter ausrichten, dass er mich anrufen soll, sobald er Zeit hat? Es dauert nur eine Minute.
»Ich sage ihm, dass Sie angerufen haben. Name?«
»Maddie Grey von Hudson Metro News, Kriminalabteilung. Meine Nummer is–«
Klick.
Sie seufzte angesichts der subtilen Botschaft, dass er sie nicht zurückrufen würde. Genau in diesem Moment bekam sie eine E-Mail von Radley.
Vierzig Sekunden. Er wurde langsamer.
Das NYPD kommentiert die Drogenoperation am Sonntag um 00:40 Uhr nicht weiter. Ein Verfahren läuft gegen Ramel Aiden Brooks, 18. Ihm wird der Besitz von mehrfachen Rauschmitteln, besonders große Mengen Vicodin, Ecstasy, Marihuana und Oxycodon vorgeworfen. Die Verhaftung fand in einer Wohnung der New York Wohnungsbehörde im Redfern House, Far Rockaway statt.
Also nichts Neues und kein weiterer Kommentar. Und wenn sie tatsächlich jemand aus dem Revier zurückrufen würde, würde sie sich einen Lotto-Schein kaufen. So war das Leben. Die Tagesschicht bekam eben die ganzen Informationen zu fassen. Leitende Ermittler hatten zum Beispiel geregelte Arbeitszeiten und neigten dazu, zurückzurufen.
Gott, dieser Job konnte langweilig sein.
Maddie arbeitete sich durch die restlichen Presseerklärungen des NYPD in ihrem Postfach. Ein Exhibitionist drehte seine Runden in Parks voller Kinder. Die Beschreibung war lächerlich – Trenchcoat und Armeestiefel. Sonst nichts. In der Bronx hatte es eine Schießerei gegeben, aber bis auf ein aufgemotztes, schwarzes Muscle-Car gab es keine Verluste. Die Einbruchsstatistiken ließen sie innehalten. Sie schrieb sie auf. Die Statistiken betonten die sichersten und gefährlichsten Bereiche in New York. Keine Überraschungen. Es war die gewöhnliche Ausbeute des Abends.
Maddie warf einen Blick auf ihre Uhr. So spät schon? Sie ging zur Büroküche und nahm ihre Brotbüchse. Darin befanden sich ein einfaches Schinkensandwich, ein trauriges, kleines Tim Tam (das letzte Schokoladengebäck aus Australien, bis ihre Mutter ihr mehr schickte) und eine Dose Diät-Cola. Ein Festmahl. Es war zwar nicht die appetitlichste Auswahl, aber die Mitarbeiterkantine hatte schon vor Stunden geschlossen und sie konnte sich nicht den vielen Menschen stellen, die selbst um diese Uhrzeit noch auf den Straßen unterwegs waren.
Zurück an ihrem Tisch lehnte sich Maddie auf ihrem Stuhl zurück und dachte über ihre Existenz nach. In letzter Zeit tat sie das häufig. Warum bin ich so schlecht darin, New York zu knacken – persönlich und beruflich? Wie konnte ich nur denken, dass ich es jemals schaffen werde? Sie hatte keine Ahnung und drohte, daran zu ersticken.
Sie warf ihrer Cola einen mürrischen Blick zu, öffnete den Verschluss und trank einen Schluck. Es war nicht so, dass sie nicht lang genug hier war. Das konnte sie nicht als Ausrede benutzen. Scheiße, Simon war nur halb so lang in New York wie sie. Er war mit einer geselligen Seele geboren worden und schien in kürzester Zeit fast jeden zu kennen. Alle liebten Simon.
Ihr Telefon klingelte, also stellte sie ihre Dose zurück auf den Tisch und hielt sich den Hörer ans Ohr. »Maddie Grey, Hudson Metro News.«
»Sergeant Malloy, Leitender Ermittler im 101ten Revier. Sie hatten Fragen zur Drogenrazzia im Redfern House vor zwei Tagen?«
Geschockt suchte Maddie hektisch nach einem Kugelschreiber. Die Tatsache, dass er sie zurückgerufen hatte, bedeutete, dass er aktiv nach ihrer Nummer hatte suchen müssen, da sein Mitarbeiter sie nicht aufgeschrieben hatte. Malloy schien wirklich mit ihr sprechen zu wollen. »Ja«, sagte sie mit donnerndem Herzen.
»Das ganze Ding war das Baby der Queens Drogeneinheit. Hat nix mit uns zu tun. Rufen Sie nicht wieder an. Nacht.«
Die Leitung war tot. Maddie starrte das Telefon an. Oder er wollte wirklich offiziell klar machen, dass sein Büro in nichts Zwielichtiges verwickelt ist.
»Hey, Chica.«
Sie zuckte zusammen.
Lisa Martinez, die Sekretärin des Redakteurs, war gleichzeitig die Klatsch-Spürnase des Büros. Sie schob ihr Handy in ihre Tasche und lächelte Maddie an. »Hab schon wieder mein Handy vergessen. Musste nochmal zurückkommen, um es zu holen.«
Lisa und Maddie waren nicht wirklich Freunde, aber sie gingen freundlich miteinander um. Lisa berichtete ihr häufig vom Klatsch der Tagesschicht, den Maddie als einsame Nachteule verpasste.
»Hast du das neue Etwas gesehen? In der Lobby?« Sie beugte sich über den Tisch und bot Maddie damit einen unerwarteten Ausblick auf ihre großzügige Ausstattung.
»Was für ein Etwas?« Maddie hob den Blick etwas höher.
»Oh, ein süßes Etwas namens Jake. In eine Uniform des Sicherheitsdiensts gequetscht. Und Muskeln bis zu den Nasenlöchern!« Ihr Blick wurde glasig. »Tu nicht so, als würdest du nicht auch ein gutes Stück davon haben wollen.«
Sowas von gar nicht.
Lisa warf ihre Haare zurück und erzählte mit faszinierter Stimme: »Ich glaube, er kommt aus Texas. Er hat diese Art zu sprechen. Du weißt schon – langgezogene Wörter, als könnte er es nicht ertragen, sich zu beeilen. Der kann mich abtasten, wann immer er will. Hab ich recht?« Sie sah Maddie nach Zustimmung suchend an, als wären sie Kumpanen.
In den acht Monaten, die Maddie bereits bei Hudson Metro arbeitete, hatte Lisa ihre vollkommene Gleichgültigkeit zu weiblicher Kameradschaft noch nicht bemerkt. Vor allem was Themen anging, an denen sie nicht das geringste Interesse hatte. Zum Beispiel Männer mit traumhaften Muskeln. Oder Männer überhaupt.
»Ich hab ihn auf dem Weg hierher getroffen. Er scheint nur fünf Wörter zu kennen«, sagte Maddie grinsend. »Und keines davon ist länger als drei Buchstaben. Worüber würdet ihr zwei überhaupt reden?«
Lisa kicherte lauthals los, was dafür sorgte, dass sich ihr gewaltiger Busen unter ihrer Bluse hob und senkte. Erneut warf sie ihre langen, dunklen Haare zurück. »Ha, chica, du scheinst zu glauben, dass ich meine Männer wegen der Konversationen aussuche.«
Maddie zwang sich zu einem Lächeln. »Ah. Also, war irgendwas los? Ich war gestern nicht da. Was hab ich verpasst?«
»Oh, Liebes, es geht sowas von los!« Lisa senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, obwohl sie die einzigen Personen in diesem Teil des Gebäudes waren. »Also, Jake wurde von der Bartell Corp. hergebracht, weil der Tigerhai glaubt, dass unser Sicherheitsdienst nachts beschissen ist.«
»Das ist er auch«, sagte Maddie. »Ich meine, Garry ist ein netter Typ, aber ein Siebzigjähriger mit schlechtem Herzen und zwei künstlichen Hüftgelenken sollte um Mitternacht nicht unsere erste Verteidigungslinie sein.«
»Tja, die Boss-Dame scheint dem offensichtlich zuzustimmen, denn zzzt …« Sie fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. »Kein Garry mehr. Hallo, Jake.« Ihre Augen leuchteten auf.
»Lisa, du bist verheiratet«, sagte Maddie leicht belustigt.
»Stimmt, aber ich bin noch nicht tot. Wie auch immer«, fuhr Lisa fort und sah sie ohne Reue im Blick an. »Die zweite große Bombe ist, dass unser großer Jefe verschwunden ist.« Sie deutete hinter Maddie.
Maddie wirbelte herum, um einen Blick auf die Glasfront des Büros ihres Geschäftsführers in der Ecke zu werfen. Ihr Kleinraumbüro war so nah, dass sie häufig Fetzen seiner Telefonate mithören konnte. Die umgekehrte Variante funktionierte auch. Kollegen warfen ihr immer mitleidige Blicke zu, wenn sie herausfanden, wo ihr Schreibtisch stand. Niemand wollte unter Barry Bourkes allsehendem Blick sitzen.
Die einzige Person, die noch näher bei Bourke saß als Maddie, war seine Sekretärin. Melissa hatte einen langen Tisch, der direkt hinter Maddie und vor dem Büro ihres Chefs stand. Seinem nun vollkommen leeren Büro.
Maddie runzelte die Stirn. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Melissa ihr heute Abend nicht das Ohr abgekaut hatte, wie sie es für gewöhnlich zwischen fünf und sechs tat, wenn die Sekretärin langsam ihren Arbeitstag beendete. Maddies Blick fiel auf Melissas Tisch. Er war genauso leer wie das Büro des Geschäftsführers. Wie zur Hölle hatte sie das übersehen können? Na gut, sie war irgendwie mit ihren eigenen Berufsaussichten beschäftigt gewesen. »Bartell hat ihn also gefeuert? Und Melissa auch?«
»Jap. Einfach so. Ich nehme an, dass Elena sein Büro wollte.« Lisa lachte. »Und Melissa ist mit ihm gegangen. Ihre Wahl. Anscheinend stimmen die Gerüchte über die beiden.«
»So viel zu Bartells toller Rede, dass sie uns sechs Wochen gibt, um uns zu beweisen.«
»Ja, aber was hat Bourke erwartet? Seine Spesen sind … waren … irrsinnig. Ich weiß es; ich hab ein paar der Rechnungen in die Buchhaltung gebracht.«
»Ich bezweifle, dass Bartells Spesen geringer sein werden. Komm schon, die Frau hat einen Privatjet, Himmel nochmal.«
»Aber der wird uns nicht in Rechnung gestellt. Weißt du, von der buchhalterischen Seite aus betrachtet spart sie der Zeitung bereits einen Haufen Geld damit, dass sie Bourkes gierigen Hintern rausgeworfen hat.«
»Das wirkt auf mich trotzdem ziemlich willkürlich.« Maddie schüttelte den Kopf. »Woher weiß sie, dass Bourke kein Genie war? Sie kennt ihn kaum.« Die Unterhaltung mit Bartell im Fahrstuhl über ihren möglichen Rauswurf nagte noch immer an ihr.
»Tja, du wirst schneller als der Rest von uns wissen, wie sie so ist«, sagte Lisa mit einem Glitzern in den Augen. »Mensch, jetzt wo sie hinter dir sitzt, wirst du so ziemlich alles hören können, was sie vorhat. Also, vergiss nicht, mir den wirklich guten Klatsch weiterzuerzählen.«
Hinter mir sitzt. Maddie sah zurück auf das gläserne Büro und ihr wurde bang ums Herz. Sie war sich verdammt sicher, dass sie der Frau nicht so nah sein wollte. »Ähm, nein. Ich glaube, dass es mich nur ruiniert, wenn ich hier die Hobby-Spionin gebe. Ich brauche diesen Job, um die Miete zu bezahlen, vor allem, da mein Mitbewohner bald auszieht.«
»Oh«, sagte Lisa und zog einen Schmollmund. »In Ordnung. Na ja, genieß es trotzdem, gewissermaßen auf ihrem Schoß zu sitzen. Ihr zwei werdet euch in den nächsten Wochen verdammt oft sehen. Sie wird dich jeden Tag von ihrem Schreibtisch aus wie el demonio beobachten!« Lisa lachte aus vollem Herzen und winkte zum Abschied.
Maddie rief sich Bartells abfällige Stichelei ins Gedächtnis. Ich will diese Neuinterpretation eines besiegten Poeten nicht sechs Wochen lang ansehen müssen. Es würde mehr als nur unbehaglich werden, wenn Bartell ihr Anblick wirklich missfiel. Allerdings hatte Maddie keine normalen Arbeitszeiten, sodass es kein Problem werden würde, dass Bartell von ihrer Garderobe wenig beeindruckt war.
Es war auch nicht so, als würde eine hoch erfolgreiche, weltberühmte Medien-Milliardärin stundenlang in einem winzigen, geborgten Büro sitzen wollen. Die Tatsache, dass sie für sechs Wochen da sein würde, war schon seltsam genug. Aber nach Feierabend hier zu sein?
Maddie war bestimmt vor ihr sicher.
BlogSpot: Aliens von New York
Von Maddie as Hell
Erwartungen gehören zu den mächtigsten, unsichtbaren Kräften des Lebens. Sie verschnüren uns die Kehle enger als jede Krawatte. Wir machen uns über sie lustig. Leugnen, dass sie existieren und tun so, als würden wir uns nicht dafür interessieren. Und doch können wir uns nie ganz von ihnen lossagen. Erwartungen bestimmen unsere Welt. Wir können Job, Partner oder Leben durch Erwartungen gewinnen, aber auch verlieren.
Wir sind süchtig nach Erwartungen. Ich bin wirklich ein Erwartungs-Junkie. Seht mich nur an, wie ich das Leben führe, das von mir erwartet wird. Ich könnte glücklich Zuhause versagen. Stattdessen sieche ich hier elendig vor mich hin.
Ich weiß, dass es eine ziemliche Verschwendung mentaler Energie ist, sich an Erwartungen zu klammern. Sie sind nicht real. Sie existieren einzig und allein in unseren Gedanken.
Und trotzdem gehe ich immer wieder für einen weiteren Schuss zurück.
Warum?
Kapitel 4
Gewohnheiten von Medienmoguln
Wie sich herausstellte, wusste Maddie nicht das Geringste über die Gewohnheiten von extrem erfolgreichen Medienmogulen. Es zeigte sich, dass Elena Bartell den Großteil ihres Tages außerhalb des Büros verbrachte – wie Lisa sie informierte – und erst gegen drei Uhr nachmittags mit einer blonden Frau im Schlepptau bei Hudson Metro auftauchte. Es war dieselbe Frau, die Maddie am ersten Tag bei ihr gesehen hatte. Nun saß sie an Melissas altem Tisch vor Bartells Büro und Maddie war genau eine hundertachtzig-Grad-Drehung ihres Stuhls von ihr entfernt.
