Niederlande - Dik Linthout - E-Book

Niederlande E-Book

Dik Linthout

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Neidvoll stellen Deutsche fest, daß Niederländer offensichtlich lockerer und mehr »aus dem Bauch heraus« zu leben verstehen. Sie gelten als unkompliziert, kreativ und sehr pragmatisch, mitunter auch als etwas geizig. Deutsche sind in den Augen der Niederländer dagegen eher pflichtbewußt, hierarchisch und perfektionistisch, aber auch gemütlich, gastfreundlich und romantisch.
Wie es zu diesen Bildern kommen konnte und was an ihnen tatsächlich wahr ist, beschreibt Dik Linthout in diesem Buch auf ebenso lehrreiche wie unterhaltsame Weise. Er geht Witzen nach und hört den Leuten beim Fußball zu, analysiert Umfrageergebnisse und blickt in die Geschichte. Das gesellschaftliche Leben der Niederlande wird so in seiner Vielfalt und Unterschiedlichkeit für Deutsche verständlich.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 373

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dik Linthout

Niederlande

Dik Linthout

Niederlande

Ein Länderporträt

Aus dem Niederländischen und mit einem Nachwort von Gerd Busse

Das Buch erschien unter dem Titel »Onbekende buren« (Unbekannte Nachbarn) im Jahr 2000 im Amsterdamer Atlas-Verlag. Es wurde für die deutsche Ausgabe überarbeitet, aktualisiert und ergänzt. Die deutsche Ausgabe entstand mit freundlicher Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Nederlands Letterenfonds. Die ersten sechs Auflagen erschienen unter dem Titel »Frau Antje und Herr Mustermann – Niederlande für Deutsche«.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, Januar 2017

entspricht der 7., aktualisierten Druckauflage vom Juni 2012

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0

www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Cover: KahaneDesign, Berlin,

unter Verwendung eines Fotos von der Elf-Städte-Tour, 1997

(Ton Koene / Lineair / Das Fotoarchiv)

eISBN 978-3-86284-375-6

Inhalt

Deutschlandbilder

Die deutsche Sandburg ist keine Grube, sondern ein Deich

Moffen, Krauts, Boches, Piefkes

Die Angst vor den Deutschen

Der antideutsche Reflex nach 1945

Clingendael: der antideutsche Reflex in der Diskussion (1993)

Kleiner-Nachbar-Komplex

Deutsche in den Niederlanden

Der Untergang des antideutschen Reflexes

»Typisch deutsch« aus niederländischer Perspektive

»Typisch deutsch« aus deutscher Perspektive

Niederlandebilder

Das Selbstbild der Niederländer

Niederlandebilder bei Deutschen

Die niederländisch-deutsche Grenze – eine erotische Grenze

Das Niederlandebild unter gebildeten Deutschen in den Niederlanden

1980: Das positive Bild überwiegt

1990: Das Bild wandelt sich

1994: Holland-bashing im »Spiegel«

Nach 2000: Differenzierte Wahrnehmungen

Unterschiedliche Bilder

Interkulturelle Unterschiede – wie in Butter gemeißelt

Witze über Deutsche und Niederländer

Die Normalisierung der niederländisch-deutschen Beziehungen am Beispiel des Fußballs

Das Trauma von 1974

Die Europameisterschaft 1988 und die Euphorie

Die Weltmeisterschaft 2002 in Seoul und Tokio

Die Europameisterschaft 2004 in Portugal

Historische Entwicklungen in den Niederlanden und Deutschland

Überraschende Kontraste

Holland ist nur ein Teil der Niederlande

Landgewinnung durch freie Bauern

Frühe Blüte der freien Städte

Der Aufstand Wilhelms von Oranien (1568)

Religionsfreiheit seit dem 16. Jahrhundert

Die Republik der Vereinigten Niederlande

Das »goldene« 17. Jahrhundert

Übersicht der Statthalter (1572 –1795) und Könige (seit 1815)

Das städtische Regententum

Das Haus Oranien

Der »Bibelgürtel«

Katholische Emanzipation

Das 19. Jahrhundert und die »Versäulung«

Die »holländische Krankheit« im 20. Jahrhundert

Das Poldermodell und seine Grenzen

Deutschland und seine feudale Prägung

Der Dreißigjährige Krieg (1618 –1648)

Das deutsche Kaiserreich

Der Zweite Weltkrieg

Die Bundesrepublik Deutschland

Die Deutsche Demokratische Republik

Die Sprache

Die Herkunft des Wortes »deutsch«

Hochdeutsch und Niederdeutsch

Niederländisch als eigene Kultursprache

Deutsche Einflüsse auf das Niederländische

Niederländische Einflüsse auf das Deutsche

Gemeinsamkeiten der beiden Sprachen

Unterschiede in der Aussprache: Allegro-legato und Stakkato

Bildsprache und grammatikalische Sprache

Schimpfwörter

Understatement und Overstatement

Wie einem der Schnabel gewachsen ist und Wissenschaftsjargon

Gebärdensprache

Rechtschreibreform

Literaturaustausch

Sprachkenntnisse: »Können wir hier vonnacht kämpfen?«

Gesellschaft

Diskutieren und streiten

»Da hast du recht, aber …« und »Nein, denn …«

Pragmatismus und Idealismus

Dilettanten und Wirrköpfe

Grundsatzdiskussionen und Grundsatzentscheidungen

Teamarbeit und Hierarchien

Niederländisches Sicheinmischen und deutsche Fügsamkeit

Duzen und Siezen

Unsicherheit und Sicherheit

Umgangsformen

Grüße und Küsse

Unterschiede in der Rechtskultur

Fahrradfahrer und das Gesetz

Opportunitäts- und Legalitätsprinzip

Euthanasie und die Reaktionen in Deutschland

Das Hausarzt-Prinzip

Krank sein und krankfeiern

Overspannen und Kreislaufstörung

Essen: Manschen und Stechen

Thee en een koekje – Kaffee und Kuchen

Erziehung und Bildung

Deutscher Humor?

Zeitenwende?

Ein Nachwort von Gerd Busse

Anhang

Verwendete Literatur

Abbildungsnachweis

Kontaktadressen

Über den Autor

Nachruf

Deutschlandbilder

Die deutsche Sandburg ist keine Grube, sondern ein Deich

Typisch deutsch finden es Niederländer, wenn deutsche Touristen am Strand Löcher ausheben – eine Beschäftigung, die ihnen von den Bewohnern nahezu all ihrer Nachbarländer negativ angekreidet wird. Man assoziiert es mit Besatzung und Territorialtrieb: die deutsche Grube wird von Niederländern hin und wieder auch als »Mini-Atlantikwall« bezeichnet. Die Erklärung hierfür ist jedoch eine andere und hat mit der Erfindung des Strandkorbs zu tun. Der erste Strandkorb wurde im Jahre 1877 vom kaiserlichen Hoftischler Wilhelm Bartelmann für einen Rheumapatienten entworfen und stand in Warnemünde, einem Badeort an der Ostsee. Der neue Strandkorb ließ sich relativ leicht transportieren und stellte somit eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu den bis dahin üblichen Badekabinen dar: schwere Ungetüme auf Rädern, die von Pferden zu ihrem Stellplatz nahe am Meer oder sogar im Wasser geschleppt werden mußten. Um den Strandkorb gegen Wasser und Wind zu schützen, warf der deutsche Badegast eine Art Strandbefestigung rund um seinen Korb auf. Er grub sein Loch also nicht aus einem angeborenen, zwanghaften Trieb heraus, sondern schuf eine äußerst funktionale Strand- oder Sandburg.

Die Deutschen sind ihrer Tradition treu geblieben und graben bis heute Löcher für ihre Strandkörbe und Liegestühle, die sie für die Dauer ihres Urlaubs mieten. So wirken in der Hochsaison manche deutsche Strände aus der Luft wie eine farbenfrohe Mondlandschaft. Doch die Strandbesucher selbst sehen nur jede Menge Sandburgen und sorgen mit Fähnchen, Muscheln und anderen, am Strand gefundenen Verzierungen dafür, daß sie ihren Strandkorb wiederfinden, wenn sie aus dem Wasser kommen. An den norddeutschen Stränden stehen ungefähr 70 000 solcher Körbe, wobei der Nordseetyp eckig und grob aussieht, während der Ostseetyp Rundungen aufweist.

Karikatur von Heiko Sakurai aus dem Jahr 1998 zum Thema »Die Deutschen und ihre Kuhlen«.

Auf der deutschen Nordseeinsel Langeoog führte der Massentourismus bereits zu strengen Vorschriften für den Bau von Strandburgen: Sie dürfen eine Höhe von 50 Zentimetern und einen Durchmesser von fünf Metern nicht überschreiten. Auf der Nordseeinsel Sylt und im Ostseebad Sierksdorf dürfen überhaupt keine Strandburgen mehr gebaut werden, da dadurch zuviel Sand ins Meer gespült zu werden droht und so ein Mangel an diesem wichtigen Rohstoff der Tourismusindustrie entstehen könnte.

Der deutsche Kunsthistoriker Harald Kimpel deutet den Hang der Deutschen zum Bau von Strandburgen folgendermaßen: Man kann auf Abstand bleiben und, genau wie zu Hause, über den Zaun hinweg ein Schwätzchen halten. Gleichzeitig läßt sich die Langeweile damit vertreiben und selbst im Urlaub noch dem eigenen Arbeitsethos huldigen. Wind, Wellen und eifersüchtige Nachbarn sorgen dafür, daß man niemals fertig wird, denn ständig ist man mit Reparatur- und Ausbauarbeiten beschäftigt.

Eigentlich hätte die Strandburg, da sie die Funktion eines Deiches erfüllt, eine typisch niederländische Erfindung sein können. Doch die Niederländer sind sparsam und würden sich hüten, für die Dauer ihres gesamten Urlaubs einen Strandkorb zu mieten. Denn es könnte ja regnen, und dann hätte man all das viele Geld umsonst ausgegeben. Deshalb werden die niederländischen Strände auch nicht durch Krater verunstaltet, sondern durch unzählige, entweder selbst mitgebrachte oder in einem Anfall von Verschwendungssucht gemietete, riesige Sonnenschirme. Außerdem würden Niederländer an ihren eigenen Stränden niemals ein Loch graben, um sich anschließend hineinzusetzen, da die Gefahr, dann von ihren Landsleuten für Deutsche gehalten zu werden, viel zu groß wäre.

Im Sommer 2000 kam ein 18jähriger Deutscher ums Leben, als er am Strand des seeländischen Dorfes Oostkapelle beim Ausheben einer Grube unter dem Sand verschüttet wurde. Für niederländische Zeitungen war dies ein Aufmacher für ihre Titelseiten. Doch hier war ein Mißverständnis mit im Spiel: Niederländer denken bei der Wortkombination »Deutscher«, »Strand« und »Grube« sofort an eine Strandburg. Tatsächlich hatte der junge Mann jedoch versucht, einen Schacht auszuheben, d. h. ein möglichst tiefes Loch zu graben, um seinen Namen im »Guiness-Buch der Rekorde« verewigt zu sehen.

Moffen, Krauts, Boches, Piefkes

Bereits vor dem Aufstand gegen die Spanier im 16. Jahrhundert zogen die Niederlande aufgrund ihres wirtschaftlichen Wohlstands zahllose Fremde an. Im sogenannten Gouden Eeuw, dem »Goldenen Jahrhundert«, übte die in der Republik der Vereinigten Niederlande geltende Glaubens- und Gewissensfreiheit eine zusätzliche Anziehungskraft aus. Mitte des 17. Jahrhunderts bestand die Hälfte der Bevölkerung Amsterdams aus Ausländern, und mehr als die Hälfte der Ehen in der Stadt wurde zwischen Partnern geschlossen, die nicht in Amsterdam geboren waren. In der Republik herrschte großer Mangel an Arbeitskräften, und die Löhne lagen höher als sonstwo in Europa (ein Arbeiter in Amsterdam verdiente im Jahre 1650 dreimal soviel wie sein Kollege in Köln). Aufgrund der katastrophalen Folgen des Dreißigjährigen Kriegs und des wirtschaftlichen Niedergangs im 17. und 18. Jahrhundert suchten viele Deutsche Arbeit in den benachbarten Niederlanden. Sie fanden sie auf den Schiffswerften, im Walfischfang, in der Binnenschiffahrt, in der Landwirtschaft, im Heer und nicht zuletzt bei der VOC, der Vereinigten Ostindischen Compagnie – eines der weltweit größten, international operierenden Handelsunternehmen seiner Zeit, das bis zu seiner Auflösung 1798 etwa eine Million Menschen beschäftigt hatte, von denen ungefähr die Hälfe deutschsprachig war. Die Historikerin Marlou Schrover hat ausgerechnet, daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts 60 Prozent der außerhalb der Niederlande geborenen Ausländer deutscher Abstammung waren.

Die Niederländer haben sich den deutschen Hungerleidern jenseits der Grenze stets überlegen gefühlt. Damit war es jedoch vorbei, als sich Deutschland 1871 zum Kaiserreich vereinigte. Der Spottname mof für einen Deutschen datiert aus dem 16. Jahrhundert und kommt vom niederdeutschen Wort »Muffe«, das soviel wie »Griesgram« bedeutet. Auch in der Gegend um Basel, in der nördlichen Schweiz, werden die Deutschen als »Möffe« bezeichnet. Moffelen (hochdeutsch: »muffeln«) bedeutete im Mittelniederländischen auch »meckern«, »knurren«, »brummen« oder »unverständlich reden«. Moffen galten als plump, ungehobelt, steif und ungelenk. In der am Meer gelegenen Provinz Holland wurde der Begriff mof anfänglich auf Arbeitsvolk angewendet, das östlich der Ijssel wohnte. Die Bewohner dieser Gegend – Gelderländer und Overijsselaarer – waren an ihrer Sprache zu erkennen, einer Spielart des Niederdeutschen, die stark mit dem in Norddeutschland gesprochenen Nordniederdeutsch verwandt war. Nach dem Zusammenschluß zur Republik im 17. Jahrhundert ging der Begriff mof auch dort allmählich auf die Nichteinheimischen, auf Westfalen sowie andere Deutsche, über.

Daß die Deutschen kein sonderlich hohes Ansehen genossen, zeigt sich auch an den zahllosen »Moffenschwänken«, die zu jener Zeit entstanden und meist in Amsterdam spielen, sowie an Bezeichnungen wie turfmoffen für Deutsche, die als Torfstecher in Drenthe arbeiteten. Doch man verband hin und wieder auch andere Assoziationen mit den Mitbürgern aus dem Nachbarland. Viele deutsche Einwanderer arbeiteten als Bäcker, und man sagte über ihr Brot: »’t Lekkerst roggebrood wat je eet is gekneed met moffenzweet« (Das leckerste Roggenbrot, das man ißt, wurde geknetet mit Moffenschweiß). In den Memoiren des deutschen Schriftstellers August Heinrich Hoffmann von Fallersleben heißt es, daß sein niederländischer Kollege Willem Bilderdijk zu ihm gesagt habe: »Auch wenn du ein mof bist, bist du doch ein netter Kerl.« Deutsche werden in den Niederlanden noch immer als moffen bezeichnet. Ein Deutscher, der sein Auto falsch parkt oder sonstwie negativ auffällt, wird gern als rotmof, also als »Scheißdeutscher«, beschimpft.

Über die Jahrhunderte hinweg hat es in den Niederlanden noch weitere herabsetzende Bezeichnungen für Deutsche gegeben. Die deutschen Erntearbeiter, die vom 17. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein zur Ernte in die Niederlande zogen, hießen hannekemaaiers. Ein hannes (vom deutschen Johannes) ist im Niederländischen noch immer ein Tolpatsch oder Trottel. Deutsche wurden in dieser Zeit auch als knoet (rücksichtsloser Flegel) oder poep (vielleicht von »Bube«, im Sinne von »Schurke«) bezeichnet. Man hielt sie für unkultiviert und fand, daß sie stanken.

In Süddeutschland, d. h. in Bayern und Baden-Württemberg, benutzt man den Begriff Saupreis für Preußen und Norddeutsche allgemein, und zwar in etwa so, wie heute die Niederländer den mof für die Deutschen verwenden.

Als das Rheinland im Jahre 1814 von Preußen geschluckt wurde, nannte man die katholischen Rheinländer spöttisch »Beutepreußen«. Seitdem spricht man in der angrenzenden niederländischen Provinz Limburg, in Belgien und in Luxemburg auch über die Prusen, wenn es um die Bewohner des deutschen Grenzgebiets geht. Im Polnischen lautet das Wort für »Deutscher« Niemiec. Es leitet sich vom russischen njemoj her, was soviel wie »nicht redend, stumm« bzw. »unkundig« bedeutet.

Die Angst vor den Deutschen

Im Jahre 1864 eroberte Preußen mit Unterstützung Österreichs die nördlich gelegenen dänischen Herzogtümer Schleswig und Holstein, womit die Landfläche Dänemarks mehr oder weniger halbiert worden war. Und als Preußen 1866 den Krieg gegen Österreich gewann, befürchteten die Niederländer, deren König – als Herzog von Luxemburg und Limburg – Mitglied des Deutschen Bundes war, das Schicksal einer Teilannexion erleiden zu müssen. Die Angst vor Preußen war jedoch älteren Datums. Im Jahre 1787 hatte Friedrich Wilhelm II., König von Preußen, 18 000 preußische Soldaten in die Republik entsandt, um dort die Herrschaft seines Schwagers, des Statthalters Wilhelms V., wiederherzustellen. Zur Erinnerung an diesen glorreichen Sieg in einem unblutigen kleinen Wochenendkrieg mit den Niederländern und der friedensstiftenden Funktion Preußens wurde vier Jahre später, im Jahre 1791, das Brandenburger Tor in Berlin gebaut – finanziert übrigens aus den Strafzahlungen, die die Niederlande an Preußen zu leisten hatten. Die Furcht der Niederländer vor Deutschland wurde noch größer, als der preußische König nach dem Sieg über Frankreich im Jahre 1871 in Paris zum Oberhaupt des neuen deutschen Kaiserreichs gekrönt wurde.

In Deutschland waren zuvor bereits Stimmen lautgeworden, die die Niederlande als eine Art verlorenes Stammesgebiet betrachteten, das es sich wieder einzuverleiben gelte – was den niederländischen Staatsmann Thorbecke im Briefwechsel mit einem deutschen Historiker zu dem Ausspruch veranlaßte, es handele sich um »ein Volk, das noch auf dem Land arbeitete, als die Niederländische Republik im Gouden Eeuw bereits eine ökonomische, kulturelle und politische Kraft entfaltete, die in der ganzen Welt sowohl Mißgunst als auch Bewunderung weckte«.

Das niederländische Königshaus war zu jener Zeit antipreußisch eingestellt, was auch nahe lag, da der Adel Französisch sprach und den Blick nach Frankreich richtete. Außerdem stammte die erste Frau König Wilhelms III., Sophia, aus Württemberg in Süddeutschland. Dieser Staat war 1866 von den Preußen besiegt worden, und man haßte alles, was preußisch war. Daß das niederländische Volk dagegen antifranzösisch eingestellt war, hatte einerseits mit der Besatzung durch die Franzosen während der napoleonischen Zeit sowie andererseits mit der historisch gewachsenen Erbfeindschaft zu tun, die sich tief in die niederländische Sprache gegraben hat. Koffie verkeerd ist noch heute die Bezeichnung für den in Frankreich getrunkenen Milchkaffee mit viel Milch und wenig Kaffee; iets met de Franse slag doen, also wörtlich übersetzt: »etwas mit dem französischen Schlag tun«, bedeutet soviel wie »Pfuschkram abliefern«; die »französische Krankheit« ist die Syphilis. Noch Anfang 2000 sagte die liberale Politikerin Annemarie Jorritsma, daß »Frankreich ein schönes Land [sei], wenn dort nur keine Franzosen leben würden«.

Für die Kaufleute verlor der Handel mit den Hansestädten und dem Ostseeraum im Laufe der Zeit an Bedeutung; man orientierte sich mehr und mehr auf das England der industriellen Revolution und den Überseehandel mit den Kolonien. Als jedoch die industrielle Revolution auch in Deutschland mit voller Macht einsetzte, wurden die Niederlande in ihrem Kielwasser mitgezogen. In Deutschland konnte keine neue Mine eröffnet und kein Stahlwerk gebaut werden, ohne daß im Rotterdamer Hafen nicht gleichzeitig ein zusätzlicher Kai angelegt wurde. Außerdem kam es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Art kultureller Dominanz Deutschlands in den Niederlanden. So wie heutzutage die amerikanische Kultur nahezu alle Lebensbereiche durchdringt, standen bis 1940 Handel, Wissenschaft, Technik, Sprache, Kultur, Musik, Literatur und Philosophie stark unter deutschem Einfluß. Der Italiener Edmondo de Amicis schrieb nach seinem Hollandbesuch 1873: »Dennoch sind die Sympathien verteilt. Die eleganten Klassen fühlen mehr für Frankreich, die gelehrten für Deutschland und der Kaufmannsstand für England. Die Sympathie für Frankreich hat sich jedoch seit der Pariser Commune etwas abgekühlt, und gegenüber Deutschland ist in letzter Zeit eine gewisse Abneigung entstanden, die einerseits durch die Furcht genährt wird, daß seine Eroberungsgelüste sich gegen die Niederlande richten könnten, andererseits jedoch durch die gemeinsamen Interessen gegenüber dem klerikalen Katholizismus einen Dämpfer erfährt.«

Die kleinen Leute unter den Protestanten waren in der Tat mehr oder weniger prodeutsch. Sie betrachteten den Sieg der Preußen über die Österreicher 1866 und über die Franzosen im Jahre 1871 als einen Triumph des Protestantismus über den Katholizismus, als Fingerzeig Gottes. Doch als die Engländer, im übrigen ein protestantisches Brudervolk, in den Jahren 1877 und 1899 die Buren in Südafrika ihrer Freiheit beraubten, wuchs in protestantischen Kreisen die antienglische Haltung. Und diese Haltung änderte sich auch im Ersten Weltkrieg nicht, als die niederländische Küste von der britischen Marine blockiert wurde, um den Schmuggel von Waren nach Deutschland – an dem die Niederlande viel verdienten – zu verhindern. Nach dem Krieg hatten die Niederlande großes Interesse an einem möglichst raschen wirtschaftlichen Wiederaufbau Deutschlands; andererseits hatte die gigantische Inflation dort auch seine Vorteile für die Niederlande. Der niederländische Gulden war stabil, und für relativ wenig Geld ließ sich in Deutschland buchstäblich alles kaufen.

Die Niederlande sahen sich nach der deutschen Reichsgründung im Jahre 1871 einer beispiellos selbstbewußt auftretenden Macht an ihrer Ostgrenze gegenüber, einer Macht, die eine Phase rasanter industrieller und politischer Expansion durchmachte. Die Niederländer verwendeten auch weiterhin den Begriff mof für Deutsch, doch jetzt nicht mehr aus dem früheren Gefühl der Überlegenheit heraus. Durch die Kriege von 1866 und 1870 / 71 hatte das Deutschlandbild in ganz Europa einen neuen Akzent bekommen. Deutsche galten nicht länger als plumpe, grobschlächtige und unkultivierte, wenn auch tapfere und gemütliche Biertrinker; jetzt, da preußische Staat die Grundlage des deutschen Kaiserreichs bildete, wurde dessen aggressiv-militaristische Seite auf dessen Untertanen übertragen und entsprechend betont.

Alte preußische Charaktermerkmale wie blinde Autoritätsgläubigkeit, Disziplin und Kadavergehorsam – die Deutschen als Speichellecker und Jasager – gewannen im damaligen Deutschlandbild die Oberhand. Der portugiesische Schriftsteller Ramalho Ortigão, der 1883 die Niederlande besuchte, schrieb dazu:

»Doch ich denke mit Genugtuung an den großen Unterschied, der innerhalb ein und derselben germanischen Rasse den holländischen vom preußischen Städter unterscheidet. In Deutschland habe ich wiederholt einer Zurschaustellung von Servilität und hierarchischem Hochmut beigewohnt, die in Europa vielleicht einzig in ihrer Art ist: zwei Individuen desselben Alters und offensichtlich derselben Bildung, die auf der Straße stehen und miteinander reden, während der eine seine Zigarre im Mund und seinen Hut auf dem Kopf behält, und der andere ihm stramm in der Haltung antwortet, mit dem Hut in der Hand und der Zigarre hinter dem Rücken verborgen. Die demokratische Respektlosigkeit des ›Amsterdamer Pöbels‹ ist mir eine Labsal nach der Wut, die ich in Koblenz und Frankfurt hatte aufsteigen fühlen, als ich der Regimenter strammer Kerle ansichtig wurde, über die ihr Landsmann Heinrich Heine einmal gesagt hat, daß jeder Rekrut bereit sei, den Stock, mit dem er verprügelt worden sei, zu verschlucken.«

Der antideutsche Reflex nach 1945

Die Deutschlandbilder der verschiedenen Generationen Niederländer unterscheiden sich stark voneinander. Die Älteren unter ihnen, d. h. solche, die zwischen 1915 und 1930 geboren wurden, haben die Besatzung und den Krieg als junge Erwachsene erlebt, die etwas jüngeren Alten, d. h. die Jahrgänge zwischen 1930 und 1945, als Kinder. In den Jahren zwischen 1945 und 1960 kam es in den Niederlanden zu einer enormen Geburtenwelle, die zur Herausbildung der sogenannten Babyboom-Generation führte.

Niederländische Kinder, die Mitte der 50er Jahre die Schulen bevölkerten – die sogenannten Kriegskinder –, wuchsen mit Gedenkritualen und den Erzählungen ihrer Eltern, Nachbarn und Lehrer auf, die den Krieg als junge Erwachsene erlebt hatten. Ihr Denken über Deutschland und die Deutschen wurde durch die Geschehnisse des Zweiten Weltkriegs geprägt. Nora Oomen-Capteyn faßt das Gefühl dieser Generation über Deutsche in den folgenden Worten zusammen: »Wir kannten Deutsche aus Hörspielen, Filmen, Erzählungen und aus den Kinderbüchern. Sie hatten einen düsteren Blick […], sie trugen stets einen Helm, schrien fortwährend, ihre tägliche Arbeit bestand im Marschieren, und aus dem geringsten Anlaß schossen sie unschuldige Bürger nieder. Dies bereitete ihnen ein sadistisches Vergnügen. Sie beschlagnahmten Fahrräder, ließen sich einquartieren. Doch weil sie solche Bürokraten waren, konnten sie vom Widerstand leicht in die Irre geführt werden.«

Nach 1945 lautete das Motto: »Hüte dich vor den Deutschen!«, und niederländische Kinder wurden im Geiste eines »Auf daß wir niemals vergessen« erzogen – ebenso wie übrigens während des Achtzigjährigen Krieges, als Willem Baudartius gegen Ende des zwölfjährigen Waffenstillstands 1621 über die spanischen Unterdrücker schrieb, die Mütter sollten ihren Kindern »täglich einschärfen, was ihren Vorfahren geschehen ist und was sie selbst noch von diesen grausamen Wölfen und Tyrannen zu erwarten haben, wenn sie sich nicht vorsehen!« Der Zweite Weltkrieg und die Besatzung wurden das verbindende Element und bildeten das Referenzmuster für die Beurteilung der Deutschen. Dies galt für fast alle Niederländer, nicht nur für die Senioren und die Babyboomer, sondern auch noch für einen beträchtlichen Teil der zwischen 1960 und 1975 geborenen »Generation X«. Der Chefredakteur der »NRC Next«, Hans Nijenhuis (1962), schreibt: »Selbst wenn wir es bezahlen könnten, würden wir keinen Mercedes kaufen. Dutzende von Kinderbüchern habe ich verschlungen, in denen Deutsche Grausamkeiten begingen. Ich trug 1974 als Zwölfjähriger meinen eigenen Krieg mit ihnen aus. (Er dauerte nur anderthalb Stunden, und wir verloren 2 zu 1). Als Student hatte ich einen Freund, der 1973 mit seinen Eltern aus Chile in die Niederlande gekommen war. Er hatte sich so sehr an sein neues Vaterland angepaßt, daß er sich weigerte, über deutsche Autobahnen zu fahren.«

Anfang der 1960er Jahre wurde, unter dem Einfluß der Werke Lou de Jongs und Jacques Pressers sowie des Eichmann-Prozesses, der Zweite Weltkrieg wiederentdeckt. In diesen Jahren kamen die Angehörigen der inzwischen erwachsen gewordenen Babyboom-Generation zu dem Schluß, daß es zu den Kriegserinnerungen der Elterngeneration doch das eine oder andere anzumerken gäbe und begannen zu protestieren. Sie demaskierten die hehren Wahrheiten ihrer Eltern und ließen zugleich den Ballon des Verzets-Mythos, wonach ein Großteil der Niederländer im Widerstand gegen die deutschen Besatzer gestanden hatte, platzen. Sie wiesen auf das Versagen der Kriegsgeneration hin und kreierten zugleich einen neuen Mythos: sie würden anstelle ihrer Eltern anders gehandelt haben, und stellvertretend für diese nahmen sie nachträglich den antifaschistischen Widerstand auf. Der antideutsche Reflex war bis Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts auch deutlich in den Medien spürbar, die Deutschland gern aus dem eingeengten Blickwinkel des (wiederauflebenden) Nationalsozialismus betrachteten.

Karikatur Kaiser Wilhelms II. von Albert Hahn, veröffentlicht am 2. 3. 1907 in »De Notenkraker« (Der Nußknacker).

Die Nachkriegsgeneration beurteilte ihre deutschen Generationsgenossen daraufhin, was Deutsche im Krieg angerichtet hatten, und die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg spielte auf allerhand Gebieten eine entscheidende Rolle. Das Lied von Reinhard Mey, »Gute Nacht, Freunde. Es ist Zeit für mich zu geh’n«, erklingt bereits seit 1976 an jedem Werktag zweimal abends als Erkennungsmelodie des Radioprogramms Met het oog op morgen (Mit dem Blick auf morgen). Doch die Redaktion der Nachrichtensendung läßt Mey am Abend der Dodenherdenking am 4. Mai (Gedenktag für die Toten des Zweiten Weltkriegs) und dem Bevrijdingsdag am 5. Mai (Befreiungstag von der deutschen Besatzung) schweigen, da sie es nicht für ein Zeichen guten Geschmacks hält, einen deutschen Text hören zu lassen. Niederländische Schriftsteller und Publizisten der ersten und zweiten Nachkriegsgeneration beteiligten sich nach Kräften an der Meinungsbildung. Viele von Ihnen äußern vor allem ästhetische Einwände gegen Deutsche: sie haben, in ihren Augen, kein Taktgefühl, sind dick, fett und aufgebläht.

Walter van de Kooi schreibt 1987 in »De Groene Amsterdammer« über einen Mann, der in Frankreich in seiner Badehose eine Kirche besichtigt. Er empfindet dies als Ausdruck schlechten Geschmacks: »Zum Glück: draußen erweist sich der Mann als deutscher Tourist.«

Rik Zaal stöhnt in der Reiserubrik der »Volkskrant« vom 18. Januar 1989 über eine Busladung deutscher Touristen in Spanien: »Was ist das bloß, daß mir beim Sehen und Hören deutscher Touristen immer drei Fragen durch den Kopf schießen: Warum seid ihr in Gottesnamen hier, ist es hier wirklich so schlimm und alles bei euch zu Hause viel besser? Schon als ich als kleiner Junge auf einem italienischen Campingplatz war, mied ich, so gut es eben ging, das kleine deutsche Ekelpaket, das mich in einem viel zu guten Deutsch und mit einer viel zu großen Brille auf seinem viel zu dicken Kopf mit Geschichten über ›zu Hause‹ dies und ›zu Hause‹ das, und daß ›zu Hause‹ sowieso alles besser sei, langweilte.«

Der selbst auch nicht gerade schlanke Theodor Holman hat es ebenfalls nicht so mit deutschen Urlaubern. Unter dem Pseudonym »Opheffer« schreibt er am 4. März 1987 in seiner Kolumne in »De Groene Amsterdammer«: »Wenn ich den fetten Deutschen aus der Dusche kommen sehe, springe ich in den Flur, aber seine fette Frau ist schneller. Die deutsche Familie siegt an allen Fronten.«

Marjan Berk schreibt 1999 in »Wereldverhalen« über einen enorm dicken Deutschen, der neben ihr im Flugzeug von Frankfurt nach Kenia sitzt.

Des weiteren läßt sich regelmäßig eine Haltung moralischer Überlegenheit und hinterhereilenden Widerstands entdecken.

So schrieb Jan Blokker am 6. Mai 1989 in »de Volkskrant«: »Die Fahrt durch Deutschland, darüber braucht man mir nichts zu erzählen. Wieder und wieder, und fast blindlings, bin ich von Arnheim über Frankfurt, das Nürnberger Kreuz und München nach Salzburg gerast, wie auf einem Fließband. Jetzt will ich endlich einmal von der Autobahn runter.« Blokker offenbart sich damit als Anhänger der bis in die 1980er Jahre gängigen österreichischen Opfertheorie, wonach Deutschland die alleinige Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg, auch in den Niederlanden, trug. Es gibt eine bekannte Anekdote, wonach es den Österreichern gelungen ist, aus Mozart (seine Eltern stammen aus Augsburg) und (dem zwar in Wien verstorbenen, aber in Bonn geborenen) Beethoven Österreicher sowie aus Hitler einen Deutschen zu machen. Den Österreichern zufolge konnten sie selbst überhaupt kein Tätervolk sein, da sie 1938, dem Jahr des »Anschlusses«, das erste Opfer des nationalsozialistischen Expansionstriebs gewesen seien. Ihr Land sei bis 1945 besetztes Gebiet gewesen und mehrfach bombardiert worden. In der ersten Ausgabe des »Staatsgesetzblatts für die Republik Österreich« heißt es, daß sie zu einem sinnlosen Eroberungskrieg gezwungen worden seien. Das Land wies jede Verantwortung dafür von sich, was österreichische Nationalsozialisten, Beamte, Soldaten und SS-Angehörige in anderen Ländern unter der deutschen Fahne angerichtet hatten. Erst nachdem 1986 die Beteiligung des ehemaligen UNO-Generalsekretärs und seinerzeitigen Präsidenten Kurt Waldheim an Erschießungen jugoslawischer Partisanen zur Diskussion gestellt wurde, akzeptierte man in den Niederlanden, daß die vermeintlich »falschen«, d. h. mit dem Nationalsozialismus in Zusammenhang stehenden Autobahnen sich ähnlich »falsch« in Österreich fortsetzen.

Auf der 5. Deutsch-Niederländischen Konferenz in Amsterdam im Jahre 2000 enthüllte Jacques Wallage, Bürgermeister von Groningen und ehemaliger Staatssekretär im Bildungsministerium, daß er als kleiner Junge noch gegen Autos mit einem deutschen Nummernschild getreten habe. »Das sollst du nicht machen, er kann auch einem guten Deutschen gehören«, habe ihn sein Vater ermahnt. »Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering«, hätte seine Mutter darauf erwidert.

Im Jahre 2000 stellte ein Mitglied einer lokalen Amsterdamer Partei fest, daß aus Kapazitätsgründen deutsche Straßenbahnen im öffentlichen Nahverkehr der Stadt eingesetzt würden. Er empfand das deutsche Wappen vorne an der Bahn und die deutschen Texte im Innern der Waggons als unangebracht, da es noch immer Überlebende des Zweiten Weltkriegs gäbe, die Erinnerungen an Straßenbahnen mit deutschem Wappen hätten, die Amsterdamer Bürger abgeführt hätten.

Ein Radiospot der Stadt Amsterdam vom Juni 2000, in dem auf »spielerische« Weise erzählt wird, daß der IJ-Tunnel gesperrt ist, nutzte antideutsche Sentiments aus: Ein deutscher Tourist fragt, wie er fahren muß, um zum Keukenhof zu kommen, jetzt, wo der Tunnel zu sei. Die Antwort lautete: »Die A10, Abfahrt Beverwijk, Richtung Leeuwarden und dann immer geradeaus.« Jeder Niederländer weiß, daß dies die entgegengesetzte Richtung ist, und das ist auch der Witz. Erst nach Protesten wurde der Spot aus dem Programm genommen.

Zur Zeit findet ein Generationenwechsel statt. Für die »Generation Next« (1975–1990) ist der Zweite Weltkrieg bereits Geschichte und spielt in ihrem Denken eine immer geringere Rolle. Die Globalisierung, die Realität der Europäischen Union, die Einführung des Euro und die selbstverständlichen Kontakte im eigenen Wohn- und Arbeitsumfeld zu Ausländern aus allen Teilen der Welt haben das deutsche Feindbild bei ihnen in Vergessenheit geraten lassen. Dennoch beschreibt die 13jährige Schülerin Rebecca Maart in ihrer Kolumne »Aus dem Schulleben« in de Volkskrant vom 31. Mai 2003 ihre Unsicherheit und Zweifel über die Möglichkeiten eines positiven Blicks auf Deutschland. Sie fährt mit ihren Eltern auf dem Weg in die Ferien nach Schweden ein Stück durch Deutschland und stellt fest: »Zu meiner großen Überraschung waren die Wälder und Hügel ziemlich schön, aber ich wußte nicht genau, ob man als Niederländerin deutsche Bäume überhaupt schön finden darf.« Eine antideutsche Sozialisierung ist heutzutage nicht mehr schick, doch bis in die 80er Jahre hinein ließ sich ihr offenbar kaum entkommen.

Ich selbst bin Jahrgang 1943, und das »Auf daß wir nie vergessen« wurde uns bereits in unserer frühesten Jugend eingebleut. Im Jahre 1956 beschloß Direktor Horstmeier vom Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium an der Keizersgracht in Amsterdam, etwas gegen die wuchernde antideutsche Einstellung seiner Schüler zu tun. Er hatte einen konkreten Grund dafür. Ein Jahr zuvor war aus Mangel an niederländischen Deutschlehrern ein Germanist aus Deutschland eingestellt worden. Er sprach Niederländisch mit einem breiten deutschen Akzent, und weil er kiep statt kip (Huhn) sagte, hatten seine Klassen oft selbst etwas von einem Hühnerhof; ständig wurde er durch Krähen und Gegacker zur Weißglut getrieben. Der arme Mann war der Deutsche, der verhaßte ehemalige Besatzer, und seine Schüler ließen es ihn deutlich spüren, nicht nur durch Krakeelen, sondern auch durch Desinteresse und minimale Leistungsbereitschaft. (Übrigens war seine Rache süß: Sie bestand in der gemeinschaftlichen Lektüre des »Schimmelreiters« von Theodor Storm – in gotischer Schrift.) Der Direktor meinte daher, es sei höchste Zeit, seine niederländischen Schüler mit dem neuen Deutschland in Kontakt zu bringen. Er organisierte in den Sommerferien eine zweiwöchige Reise in das Land des östlichen Nachbarn und fuhr selbst ebenfalls mit. Dreißig Schüler der zweiten, dritten und vierten Jahrgangsstufe meldeten sich an. Ich war einer von ihnen.

Wir waren in einer fröhlichen, aufgekratzten Stimmung. Für die meisten von uns war es der erste Auslandsbesuch. Als wir im Grenzbahnhof Emmerich in den deutschen Zug umsteigen mußten, wartete dort eine Dampflok auf uns. Unsere moralische Überlegenheit wurde noch durch das Bewußtsein verstärkt, daß wir auch in technologischer Hinsicht vorn lagen, denn wir fuhren mit einer Diesellok ein. Kaum im Abteil, entdeckten wir, daß das deutsche Bahnpersonal »SS-Mützen« trug – im Volksmund auch »Hurra-Kappen«, »Protz-Mützen« oder »Taubenanflugbretter« genannt –, und unsere antideutsche Stimmung fand endlich ihr Ventil. Wir kannten die »Hurra-Kappen« aus den populären Kriegsfilmen und von den Fotos über den Zweiten Weltkrieg und die Besatzung der Niederlande. Elf Jahre nach dem Ende des Krieges liefen auf diesem Bahnhof nun nicht nur die Bahnhofsvorsteher, sondern auch die Rangierer und Gepäckträger damit herum! Wie konnten sie es nur wagen, sich dieses Symbol allen Übels auf den Kopf zu setzen! Es gab nur eine mögliche Reaktion: aus den Fenstern hängend, streckten wir spontan eine Hand in die Luft und skandierten ein höhnisch-triumphierendes »Heil Hitler« in Richtung der verblüfften Mützenträger. Unser Direktor brachte uns entsetzt zum Schweigen. Er wolle so etwas nie wieder hören, und er erklärte uns, daß das »Taubenanflugbrett« keine spezifisch militärische Kopfbedeckung sei, sondern eine der vielen traditionellen Mützenformen bei deutschen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. (Die heutige Mütze des Zugpersonals der Deutschen Bahn ist übrigens eine Art implodierter »Protz-Mütze«, eine ungewöhnlich flache Kopfbedeckung mit einem sehr kleinen Schirm.)

Die Bekanntschaft mit dem neuen Deutschland erstreckte sich nicht nur auf die Bevölkerung (viele Kriegsversehrte), sondern auch und vor allem auf die für niederländische Jugendliche völlig exotischen geschmacklichen Eindrücke: hartes, körniges, saures Brot, vollkommen »normal« aussehende Wurst mit einem unbekannten, widerwärtigen Geschmack – Knoblauch, wie einige zu wissen glaubten und auf die winzigen grünen Sprenkel in der Wurst zeigten. Wir warfen unsere Wurststullen weg und balgten uns um die Käsebrote. Der Jugendherbergsvater verstand die ganze Aufregung nicht, doch nach zwei Tagen des »Hungerns« bekamen wir eine andere Sorte Brot und Wurst ohne Knoblauch, denn die gab es auch. Die Ferien verliefen im übrigen reibungslos, wir hatten herrlichstes Sommerwetter, wanderten viel, besuchten alte Städte und Burgen, tranken köstlichen Naturapfelsaft und entdeckten ansonsten wenig, was unsere Vorurteile bestätigen konnte.

Clingendael: der antideutsche Reflex in der Diskussion (1993)

Als das Niederländische Institut für Internationale Beziehungen Clingendael in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Politikwissenschaft der Rijksuniversiteit Leiden im Jahre 1993 den Bericht »Bekend en onbemind« (Bekannt und unbeliebt) von Lútzen B. Jansen veröffentlichte, geriet der antideutsche Reflex der Niederländer plötzlich in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Befragung von 15- bis 19jährige Schüler hatte nämlich ergeben, daß diese Altersgruppe Deutschland gegenüber äußerst negativ eingestellt war. Eine große Mehrheit von ihnen betrachtete Deutsche als dominant und arrogant, und fast die Hälfte sah in Deutschland eine kriegslüsterne Nation, die die Vorherrschaft in der Welt anstrebe.

Die Fragestellung und die Durchführung der Studie wurden von einer Reihe niederländischer Wissenschaftler und Kommentatoren kritisiert. Viele meinten, daß es ohnehin Unsinn sei, Schüler nach ihren Meinungen zu fragen, und daß diese keine Relevanz für die niederländische Gesellschaft als Ganzer habe. Andere wiesen darauf hin, daß die Untersuchung zu einem Zeitpunkt stattfinde, an dem die niederländische Gesellschaft heftig auf die Brandanschläge auf Wohnheime und Häuser von Asylanten und anderen Ausländern reagiere. Nach einem Brandanschlag in Solingen, bei dem fünf Türken ums Leben gekommen waren, startete der Popsender »Radio 3« eine spontane Aktion: Hörer konnten gegen solcherart bestialische Vorfälle in Deutschland durch vorgedruckte Postkarten mit der Aufschrift »Ik ben woedend« (Ich bin wütend) protestieren, die sie beim Sender bestellen konnten. Die Redaktion versprach, dafür zu sorgen, daß sie bei der Bundesregierung in Bonn landeten. Die Postkartenaktion wurde ein grandioser Erfolg, mehr als anderthalb Millionen Hörer reagierten und zeigten für den Preis einer 70-Cent-Briefmarke mit dem Finger auf die rassistischen Deutschen.

Die Clingendael-Studie wurde durch andere Untersuchungen aus den Jahren 1994 und 1995, die bei erwachsenen Niederländern ein sehr viel positiveres Deutschlandbild feststellten, Lügen gestraft. In der Studie »Burengerucht« (Häusliche Ruhestörung), die Ende 1995 im Auftrag der Tageszeitung »de Volkskrant« vom Forschungsinstitut NIPO durchgeführt wurde, rangierten die Deutschen in der Gunst der befragten Niederländer ab 18 Jahren etwas höher als die Franzosen. Bei der Frage, zu welchem Staat die Niederlande zu diesem Zeitpunkt die besten Beziehungen unterhalten, lag Deutschland mit 48 Prozent weit vor allen anderen Ländern. Bei den Assoziationen zu Frankreich zeigte sich, daß man nicht nur an Baguette und Wein dachte, sondern auffallend oft auch an Atombomben und Nukleartests. Wahrscheinlich waren die aktuellen atomaren Versuche auf dem Muroroa-Atoll im Jahre 1995 ebenso prägend für das Frankreichbild der erwachsenen Niederländer wie die Serie der Brandanschläge für das Deutschlandbild der Schüler im Jahre 1993. Ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie war, daß niederländische Frauen den Deutschen gegenüber eine deutlich ablehnendere Haltung zeigten als ihre männlichen Landsleute, die wiederum einen tieferen Groll den Franzosen gegenüber hegten. Kritiker, die bei der Veröffentlichung der Zahlen aus der ersten Clingendael-Studie auf den Einfluß der aktuellen Ereignisse in Deutschland hingewiesen hatten, wurden durch die »Volkskrant« / NIPO-Befragung und die neue Clingendael-Untersuchung »Burenverdriet« (etwa: Nachbarschaftskummer) von H. Dekker aus dem Jahre 1997 bestätigt. Denn in diesem Jahr war es Frankreich, das 26 Prozent der befragten Schüler zufolge die Welt beherrschen wolle (Deutschland erhielt 18 Prozent).

In Deutschland gibt es immer noch eine gesteigerte Empfindlichkeit hinsichtlich dessen, was man in anderen Ländern über Deutschland denkt. Die »Ich bin wütend«-Aktion und die Clingendael-Studie wurden rasch von den deutschen Medien aufgegriffen, miteinander verknüpft und zum Symbol der Aversion des Niederländers gegen Deutschland stilisiert.

Die Clingendael-Untersuchungen zur Meinung niederländischer Jugendlicher über Deutschland und die Deutschen wurde in den Jahren 1995 und 1997 zwar wiederholt, doch angesichts der scharfen Kritik an der Methode und der unerwünschten Effekte in Deutschland dann in der Folge stillschweigend gestoppt. Obwohl die Autoren des Clingendael-Berichts eingestanden, daß tagesaktuelle Ereignisse die Ergebnisse beeinflußten, beharrten sie zugleich darauf, daß es sich in der Einstellung zu Deutschland, anders als bei anderen Ländern, um tiefverwurzelte, negative Gefühle handele. Die Ursache hierfür sahen sie im Zweiten Weltkrieg, den jährlichen Gedenkfeiern, der einseitigen Ausrichtung des Geschichtsunterrichts an niederländischen Schulen auf die deutsche Geschichte zwischen 1933 und 1945, der exzessiven Beschäftigung mit dem Zweiten Weltkrieg sowie in der negativen Meinung vieler Erwachsener über Deutsche.

Und in der Tat war es bis in die 90er Jahre hinein in allen gesellschaftlichen Gruppen üblich, sich sogar im Beisein von Deutschen antideutscher Stereotype zu bedienen. Deutsche waren überall moffen, gleichviel, ob im Fußballstadion oder im Konzertsaal. Auf politische Korrektheit brauchte man bei Deutschland und den Deutschen nicht zu achten. Türkenwitze wurden in der Mittel- und Oberschicht nicht erzählt, aber auf Moffen-Witzen und dem Wort mof ruhte kein Tabu. Im Wochenblatt »Haagse Post« vom 15. Januar 1986 nannte der ehemalige sozialdemokratische Verteidigungsminister Henk Vredeling Prinz Bernhard »einen typischen Moffen«. Man reagierte allgemein mit Schmunzeln auf Ausrufe wie rotmoffen (Scheißdeutsche), »Eerst mijn fiets terug« (»Gib mir erst mein Fahrrad zurück«) und »Immer geradeaus«. Es war volkstümlich, man fühlte sich gut dabei, und jede höhnische Bemerkung an die Adresse der Deutschen war von Erfolg gekrönt.

Dennoch: die Niederländer gerierten sich antideutscher als sie eigentlich waren. So gab es zu Beginn der 70er Jahre verhältnismäßig wenig Protest gegen die Gründung des Goethe-Instituts in Amsterdam. Dem historischen Soziologen Jan Rupp zufolge ließ sich dies mit der Tatsache erklären, daß die universitären Kreise und die intellektuelle Avantgarde davon ausgingen, daß das Goethe-Institut, zusammen mit dem französischen Maison Descartes, ein akademisches Gegengewicht zu den amerikanischen Einflüssen bilden könne. Und als das deutsche Institut für Demoskopie Allensbach 1989 das Deutschlandbild in sechs europäischen Ländern untersuchte, antworteten 56 Prozent der befragten Niederländer, daß sie Deutsche durchaus nett fänden. Die Frage aber, ob ihre Freunde und Nachbarn ebenso darüber dächten, wollten nur 30 Prozent mit »Ja« beantworten. Wer sich in den Niederlanden zu diesem Zeitpunkt öffentlich positiv über Deutsche äußerte, machte sich scheinbar nicht sonderlich beliebt. Dieser antideutsche Reflex war vor allem einer für die Öffentlichkeit, hinter dem sich die Sorge verbarg, man könne sonst denken, daß man Deutsche vielleicht für ganz normale Menschen halte. Für den damaligen Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Den Haag, Otto von der Gablenz, war dies eine perfekte Illustration der beiden Deutschlandbilder, die offenbar in der niederländischen Öffentlichkeit lebten: »Einerseits gibt es das Deutschlandbild der persönlichen Erfahrung, gewonnen beispielsweise während einer Geschäftsreise nach München, und andererseits herrscht eine Ablehnung des ›historischen‹ Deutschen vor. Es ist widersprüchlich.«

Gegen die Clingendael-Studie läßt sich also einiges einwenden, doch sie hat deutlich als Katalysator fungiert. Die niederländische Regierung reagierte rasch und besonnen auf die Aufregung rund um die Studie. Es wurden Gelder für ein mehrjähriges Programm bereitgestellt, um den Kenntnisstand über Deutschland zu verbessern. In Amsterdam, Nimwegen und Utrecht wurden 1995 außerdem drei Deutschland-Institute gegründet, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmen sollten. Dieser neue Ansatz in der Bearbeitung des antideutschen Reflexes war sehr erfolgreich, und obwohl die Institute in Utrecht und Nimwegen inzwischen wieder geschlossen worden sind – letzteres mangels Interesse bei niederländischen Studenten an Deutschland und der deutschen Sprache –, blüht und gedeiht immerhin das DIA, das Duitsland Instituut Amsterdam. Das wichtigste Ziel dieses Instituts besteht darin, das Interesse an sowie das Wissen über das moderne Deutschland bei einem breiten Publikum zu fördern. Und das ist ihm ausgezeichnet gelungen.

In der niederländischen Politik und im Bildungswesen hat man sich als Reaktion auf die Clingendael-Studie auf den Inhalt der eigenen Gedenkrituale besonnen. De Publizist Nico Scheepmaker nannte diese Rituale in einer Kolumne vom 7. Mai 1981 in der Tageszeitung »Het Parool« »die jährliche Haßkampagne, die Anfang Mai über uns hereinzubrechen pflegt«. In weiten Kreisen derer, die sich mit den Gedenkfeierlichkeiten zum 4. Mai (Dodenherdenking) beschäftigen, läßt sich seither ein Wandel im Denken über Deutschland und die Deutschen feststellen. Das »Clingendael«-Institut hat empfohlen, den 4. Mai in Zukunft gemeinsam mit den Deutschen zu begehen. Obwohl das Nationale Komitee zur Vorbereitung des 4. und 5. Mai dem vorläufig noch kein Gehör geschenkt hat, werden landesweit auf lokaler Ebene Deutsche zu den Gedenkfeierlichkeiten eingeladen, so etwa in Nimwegen beim Gedenken an die Operation Market Garden, der mißlungenen Schlacht um Arnheim im Jahre 1944, und im limburgischen Venray sagte der Bürgermeister: »Man kann doch nicht 364 Tage im Jahr mit den Deutschen zusammenarbeiten und ihnen an diesem einen Tag nicht freundlich begegnen.«

Die Normalisierung des Deutschlandsbildes und die Intensivierung der niederländisch-deutschen Kulturbeziehungen können zum Teil auch dem wachsenden Interesse am Nachkriegsdeutschland der 90er Jahre zugeschrieben werden. Bis dahin kam Deutschland in niederländischen Schulbüchern ausschließlich mit dem Dritten Reich, dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust vor. Erst im Jahre 1999 wurde das Thema »Deutschland nach 1945« erstmals Gegenstand der Abschlußprüfungen in Geschichte für Schüler der Mittel- und Oberstufe. Die Zahl institutionalisierter deutsch-niederländischer Austausche und Begegnungen (beispielsweise von Parlamentariern und Journalisten) nahm zu, und die seriösen Medien in den Niederlanden faßten sich an die eigene Nase, nahmen die Form ihrer Berichterstattung über Deutschland kritisch unter die Lupe und zeigten, daß sie in der Lage waren, den üblichen locker antideutschen Unterton zu vermeiden. Auch unter niederländischen Intellektuellen gehört es nicht mehr zum guten Ton, sich öffentlich als antideutsch zu outen, und geschmacklose Witze über Deutsche etwa im Fernsehen werden vom Publikum nicht mehr so ohne weiteres mit einem vollmundigen Lachen empfangen. Lediglich Sportreporter, die sich die Fußballfans nicht zum Feind machen dürfen, geben sich noch immer altmodisch antideutsch und pflegen weiterhin ihre Vorurteile. Ältere Sportjournalisten wie Mart Smeets und Kees Jansma lieben es nach wie vor, und auch ihr Ziehsohn Jan-Joost van Gangelen bezeichnete noch 2006 den deutschen Bundestrainer Jürgen Klinsmann als »sympathischen Deutschen, insofern das bei einem Deutschen überhaupt möglich ist«.

Wissenschaftler weisen darauf hin, daß in den Niederlanden bereits nach der Unterzeichnung des Schengener Abkommens im Jahre 1985 durch die Beneluxstaaten, Frankreich und die Bundesrepublik – es ging dabei um die Abschaffung der Personengrenzkontrollen – eine veränderte Haltung Deutschland gegenüber festzustellen war. Dieser Mentalitätswandel hat sich nach der Annahme des Maastrichter Vertrags und der Gründung der Europäischen Union im Jahre 1992 weiter verstärkt. Die Ergebnisse der Clingendael-Studie paßten in keiner Weise zu den festgestellten Entwicklungen. Eine gemeinsame Untersuchung der Universitäten Groningen und Oldenburg aus dem Jahre 2000 mit dem Titel »Niederlande und Deutschland. Einander kennen und verstehen« und unter Leitung von Jan Vis und Gebhard Moldenhauer ergab, daß Deutsche auf der Sympathieskala der Niederländer einen guten mittleren Platz einnehmen und die Franzosen, Italiener, Spanier und Russen hinter sich gelassen haben. Aus einer Meinungsumfrage, die das Forschungsinstitut EMNID im Jahre 2004 im Auftrag des Bundespresseamtes in elf Ländern Europas, Afrikas und Amerikas durchführte, geht hervor, daß Niederländer die positivste Einstellung zu den Deutschen haben. Nahezu die Hälfte der Niederländer findet die Deutschen »sympathisch« bis »sehr sympathisch«; außerdem gelten sie ihnen als »fleißig«, »fußballverrückt« und »gastfreundlich«.

Das positive Wissen ist also inzwischen vorhanden, und die positiven Gefühle bilden sich allmählich heraus. Dies belegen auch die Ergebnisse einer Untersuchung der »Volkskrant«, die in einer Sonderausgabe im Sommer 2005 unter dem Titel »Deutschland ist okay« veröffentlicht wurden. Gut und gerne 88 Prozent der Niederländer gaben zu erkennen, ein positives Bild von den Deutschen zu haben. Anfang 2006 machten sich die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion in Amsterdam anläßlich des Erscheinens eines Buchs von Koos van Weringh über das Deutschlandbild in der niederländischen Karikatur sogar schon, wenn auch nicht ganz ernstgemeint, Sorgen über den prodeutschen Reflex, der nun in den Niederlanden sein Haupt erhebe.

Diese positivere Einstellung liegt mehr oder weniger auf der Hand, denn Deutschland ist der bei weitem wichtigste Handelspartner der Niederlande. Und da Deutsch für das Gros niederländischer Betriebe eine wichtige Handelssprache ist, gibt es eine Vielzahl persönlicher Kontakte über die Grenze. Auch hat