Niemand schaut in mich rein - Steffen Kabela - E-Book

Niemand schaut in mich rein E-Book

Steffen Kabela

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Beschreibung

Zwei Gesellschaftssysteme, zwei Länder, Sozialismus und Kapitalismus; ich bin ein Kind der DDR, im untergegangenen Staat geboren und aufgewachsen, den Umbruch durchlebt und heute bereite ich mich auf das Alter in der BRD vor. In mir fließt das Blut eines Ostdeutschen mit ostpreußischen und sudetendeutschen Wurzeln. Und von diesem Leben berichte ich. Was ist geschehen nach dem 29. Januar 2020, dem Sterbetag meiner geliebten Mama. Darüber berichte ich, ein Jahr lang über jeden Tag in meinem Schicksalsjahr 2020. Ich erzähle nicht nur über mein Leben, über meinen Alltag in dieser schweren Zeit. Ich lasse jeden teilhaben an meinen Gedanken, meinen Erinnerungen und an meinen Gefühlen. Ich möchte in diesem Buch vermitteln, warum Gefühle wichtig sind und wie diese auch enttäuscht werden. Wie ist es mir ergangen und wie wird es weiter gehen. Mit dieser Frage beschäftige ich mich auf eindrucksvollste Art und Weise, denn das was Geschehen ist, ist wohl nicht einmalig, aber desaströs.

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Seitenzahl: 329

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Niemand schaut in mich rein

VorwortDie große LeereHerbst wird, was bringt erDie Nächte werden längerGestern am Abgrund heute ein Schritt weiterDavid gegen GoliathAlle Jahre wieder Stille Nacht heilige NachtAbschied ist ein leises WortTränen, Schmerz und tiefe TrauerEin letztes Wort

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

„Warum hat das Glück mich vergessen – (M)ein erzähltes Leben … alle meine Kraft habe ich zusammengenommen und versucht mein Leben zu erzählen. Sicherlich fragt man sich jetzt, warum tut man das. Das habe ich mich auch gefragt, ich habe es getan, um eine Erinnerung an meine Familie zu schaffen, ein Denkmal zu setzen. Meine Familie war und ist etwas ganz Besonderes für mich, für Verwandte, Bekannte und Freunde. Wie in vielen anderen Familien durchlebten wir viel Elend, Leid, Verzweiflung und harte Schicksalsschläge, aber vor allem auch Freude, Glück und Zufriedenheit. Besonders der 2. Weltkrieg hat sehr viel Leid über meine Familie gebracht. Ich habe versucht, mir viel von der Seele zu schreiben. Gelungen ist es mir nicht, Last von meiner Seele zu schreiben. Stolz bin ich sehr auf meine Erzählung. Und genau aus diesem Grund möchte ich weiterschreiben. Ich möchte einfach weiter über mein Leben erzählen und über meine Gefühle, mich mit mir selbst austauschen und Einblicke in mein Seelenleben geben, immer in der Hoffnung mir selbst zu helfen.

Titel

Die große Leere

Spätsommer 2020 , die Zeit verging schnell. Es sind immer noch hohe Temperaturen, der August war sehr heiß und trocken. Mehrmals am Tag bin ich auf den Friedhof, am Grab meiner kleinen Familie. Nachdem meine Mama mich für immer verlassen hat stecke ich tief in einem Loch. Ich finde keine Ruhe, bin rastlos und sehr unruhig. Unter Leute gehe ich gar nicht, ich bin in unserer Wohnung, erledige den kompletten Haushalt für mich. Am liebsten würde ich im Bett bleiben und mich unter der Bettdecke verstecken. Aber das tue ich nicht. Bin ich nicht zu Hause, dann bin ich am Grab zu finden. Das Haus verlasse ich nur, wenn ich muss und unter Medikamente. Ich bin sehr tieftraurig, freudlos, Interessenlos und habe das Lachen verlernt. Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung, große Leere und Dunkelheit um mich herum bestimmen meine Tage und schlaflose Nächte. Ich grüble sehr viel und ständig stecken in meinen Kopf schlechte, negative Gedanken. Ich fühle mich so wertlos, habe große Selbstzweifel und Schuldgefühle. Meine Ängste, Verlust-, Zukunfts-, Existenz- und Versagensängste sind meine ständigen Begleiter. Mit meinen Wasch-, Zähl-, Ordnungs-, Zeit- und Kontrollzwängen bin ich auf Konfrontation, aber sie siegen immer wieder. Mich zu konzentrieren fällt mir sehr schwer. Ich fühle mich ausgelaugt und weggeworfen. Ich fresse alles in mich hinein. Man sieht mir meine Krankheit nicht an, meine Seele ist zerstört und kaputt. Es hat sehr lange gedauert, bis ich das begriffen habe. Verstehen kann ich es selbst immer noch nicht. Wie soll das alles weitergehen, ich weiß es nicht. Ich verkrieche mich immer mehr, aus Enttäuschung. Wieder einmal habe ich Gefühle gezeigt und Menschen an mich herangelassen. Wieder einmal habe ich darüber gesprochen, was mich bewegt und was mich sorgt … wieder einmal bin ich einfach nur enttäuscht. Es tut sehr weh, aber wer das nicht selbst durchlebt oder durchlebt hat, kann es nicht nachvollziehen.

Lange Zeit stand ich unter Schock und kann mich nicht mehr an alles erinnern. Ich bin froh darüber und auch dankbar, dass ich mich mit Hilfe richtig entschieden habe, in unserer Wohnung zu bleiben. Ostersamstag vor 55 Jahren zogen wir in diese Wohnung ein. Der Wohnungsverwaltung bin ich unendlich dankbar, dass es keine Probleme gab in der Wohnung zu bleiben. Meine Wohnung gab ich auf. Und wie alles in meinem bisherigen Leben so verlief, hatte ich auch jetzt wieder Ärger und Stress mit Ämtern, Behörden und Institutionen. Egal ob Einwohnermeldeamt, Geldinstitut oder Krankenkasse, irgendetwas war immer mit außergewöhnlichen Problemen behaftet. Ich weiß nicht warum, aber bei uns lief nie etwas ohne Ärger und Probleme ab! Und wenn ich dachte, jetzt wird es etwas ruhiger, dann irrte ich gewaltig. Zwei Tage nach Papis Geburtstag wurde die Grabstätte neu gemacht, dass Grab indem Omi, Papi und Mami beerdigt wurden, wurde jetzt teilweise abgedeckt und Mami bekam einen Grabstein, zwei Herzen. Ostern, Pfingsten und auch die Geburtstage waren voller schmerzlicher Erinnerungen. Zu Mamis Geburtstag stellte ich einen schönen Blumenstrauß auf ihrem Grab auf und auch zu Hause an ihrem Bild. Auch Menschen die Mami sehr lieb hatten, stellten Blumen auf ihr Grab. Wie geht alles nur weiter, ich weiß es nicht. Der Gedanke frisst mich regelrecht auf. Mein Geburtstag steht vor der Tür, ich will ihn allein verbringen. Meine größte Sorge ist, was wird am Jahresende werden. Ich, gerade ich, der Weihnachten in Familie über alles liebte, die Traditionen pflegte – Advent und Weihnachten wird für mich ausfallen. Wie zu Ostern, werde ich auch zu Weihnachten nichts schmücken. Allerdings unsere zwei LED-Kissen werde ich auf Mamis Platz, dem Sofa, stellen. Pflege macht einsam, krank und arm, das wusste ich. Dem habe ich mich aber gestellt. Mit war wichtiger, für meine Familie da zu sein, ich brachte kein Opfer, ich pflegte aus Liebe. Das ich eines Tages einmal niemanden mehr um mich haben werde, war klar. Bekannte und Freunde machten sich aus dem Staub nachdem mein Büro geschlossen wurde und ich von der Touristik Abschied nehmen musste. Die mir nahestehenden Menschen meldeten sich nicht mehr seit dem Beginn der Pflege meiner Eltern. Natürlich war meine Zeit dadurch sehr begrenzt. Mein bester Freund und wenige Bekannte blieben mir treu. Bei der Familie ist es nicht anders, sehr viele liebe Menschen habe ich durch den Tod verloren und weine heute an ihren Gräbern. Meine Großcousine Sieglinde und ihr Mann, sie wohnen weit entfernt von mir, sind meine übrig gebliebene Verwandtschaft und wir haben Kontakt. Ein wenig Verwandtschaft lebt in der Tschechei, auch diese Kontakte erhalte ich und stehe in Verbindung. Ina, meine Großcousine, hat sich für den Alkohol entschieden und sämtliche Kontakte abgebrochen, ihre Schwester meinte zwar, Mami, ihre Tante Hanna, wäre die einzige Verwandte, die sie noch hätte. Zur Beisetzung stand sie mit am Grab, am Abend telefonierte ich auch noch mit ihr und dankte ihr, danach riss der Kontakt ab. Genauso mein ehemaliges Mündel – sie hat zu niemanden aus der Familie Kontakt, weder zu ihrer Tante, der Schwester ihrer Mutti, kaum besteht Kontakt zu ihrer Mutti im Heim. Auch zu den anderen Familienangehörigen hat sie den Kontakt abgebrochen. Auch sie war mit am Grab zur Beisetzung Ende Februar und von da an ist der Kontakt abgebrochen. Unseren kleinen Liebling Vincent, ihren Sohn, habe ich jetzt seit 13 Monaten nicht mehr gesehen, er wurde in diesem Jahr 6 Jahre alt. Erklären kann ich es mir nicht, trotzdem weiß ich, wie sie tickt. Es hat mich sehr beschäftigt. Jetzt habe ich damit abgeschlossen. Es tut sehr weh, es gab nie Streit oder Zank, die Familie hielt immer zusammen. Sie hat sich so entschieden … das Kapitel ist für immer erledigt.

Ich kann es nicht mehr hören, es ist schon wieder da: Corona – Virus. Seit Mitte März geht das nun schon so. Wegen dem Corona Virus wurde alles dicht gemacht, Lockdown nannten sie das in unserer schönen deutschen Sprache. Stören tut es mich nicht. Ich verlasse nicht die Wohnung. Was kann und soll man noch glauben. Unserer Politik kann man keinen Glauben schenken, sie sind nur auf sich bedacht. Ganz egal wo, auf kommunaler Ebene, auf Länderebene und den Bund gleich gar nicht. Diese verlogene Politik interessiert mich nicht, denn ich habe diese ewigen Lügen und Bevormundung satt.

Ich bin ganz in mich gekehrt. Im christlichen Glauben habe ich Halt gefunden.

Und schon wieder muss ich mich fragen, warum ist das Schicksal so hart. Warum schlägt das Schicksal schon wieder zu. Mich erreichte die Nachricht aus Böhmen, dass der kleine Enkel meiner Cousine Ilona am sehr heißen Freitag, 21. August, mittags im Pool auf dem Hof in Haan bei Dux, ertrunken ist. Am Morgen des 24. August hat der kleine Milan mit 4 Jahren seine Augen für immer geschlossen. Und die traurigen Nachrichten nehmen kein Ende. Ein guter Freund von mir und ständiger Begleiter ist mein Tinnitus. Ich würde mich gerne trennen von ihm, er verlässt mich aber nur selten. Ich weiß gar nicht mehr wie es sich anfühlt ohne das lästige Pfeifen in den Ohren. Vor längerer Zeit war das Pfeifen mal stärker und dann mal wieder schwächer. Jetzt pfeift es immer bei mir – ich höre es immer pfeifen. Um das einigermaßen zu ertragen spreche ich auch von meinem Tinnitus im Auge, ich höre es nicht nur pfeifen, ich sehe auch Pfeifen, vor allem die im weißen Kittel. Es gibt leider viele davon, ich kann es nicht ändern. Ich kann denen nicht mehr vertrauen, es beweist sich immer wieder.

Und es geht immer weiter. Noch immer verfolgen mich solche Sprüche wie: „Wo eine Tür zu geht, geht eine andere Tür auf“ oder „Die Zeit heilt alle Wunden“ - nur offensichtlich nicht bei mir. Es tut alles so weh, ich bin rastlos, entweder bin ich in unserem Zuhause oder mich zieht es auf den Friedhof an die Gräber meiner Lieben. Unaufhaltsam fließen meine Tränen, aber nur wenn ich allein bin. Ich will keine Gefühle mehr zeigen und zulassen, es versteht kein Mensch. Ja, ich fühle mich sehr unverstanden. Und genau aus diesem Grund lasse ich keinen Menschen mehr an mich heran und zeige wie es mir geht. Ich weiß, ich belüge mich damit selbst, aber ich will nur Schaden abwenden. Jeder Mensch geht anders mit seiner Trauer um, ich bin sehr traurig. Weder den Tod meiner Omi noch meines Papas habe ich verarbeitet. Das Loch, in dem ich sitze, wird immer tiefer. Habe ich mich ein wenig nach oben gearbeitet, dann kommt der nächste Schicksalsschlag. Warum immer wir, warum immer bei uns, warum immer ich? Diese Fragen stelle ich mir schon lange, aber eine Antwort finde ich nicht. Selbst die Seelenklempner wissen nicht weiter. Im Gegenteil. Auch der Gefahr hin, ich wiederhole mich: Hier darf man nicht krank, pflegebedürftig, Pflegender sein. Das ist der gewollte Abstieg. Pflege macht einsam, krank und arm!

Und genau das macht mich sehr traurig und wütend. „Bist Du Gottes Sohn, so hilf Dir selbst“ – sagte immer meine Omi und sie hat damit recht. Vertrauen, was ist das? Das funktioniert bei mir schon lange nicht mehr. Vertrauen kann ich nicht mehr, zu oft bin ich enttäuscht wurden. Vor allem aber von den „Weißkitteln“, denn diese Erlebnisse liegen schwer im Magen. Ein aktuelles Thema dabei sind die Seelenklempner. Facharzt, wie man sich nennt. Und genau diese Fachrichtung ist wenig bis sehr wenig vertreten, Termine sind begehrt und rar. Auch ein Versagen der Politik, wie so oft. Mein Seelenklempner ging in den wohlverdienten Ruhestand mit Nachfolger im Schlepp. Ich war froh darüber. Nach meinem zweiten Aufenthalt in der Tagesklinik bin ich entlassen wurden mit dem Hinweis vom Arzt, mündlich und schriftlich im Bericht, dass ich auf die Medikation achten sollte, diese muss angepasst werden. So teilte ich das auch dem Seelendoktor mit, die Antwort ließ nicht auf sich warten, „Den Teufel werde ich tun“. Mir verschlug es die Sprache, aber ich musste es so hinnehmen. Meine Unruhe und Angst wurden stärker und sie verschrieb mir ein Medikament auf Rezept mit dem wohlklingenden Namen Promethazin und den liebevollen Worten „Das Mittel verschreibe ich gerne, es wird gerne genommen von Schülern und Studenten vor Prüfungen, es macht schön gelassen und ruhig. Es sind sogenannte Hosentaschentabletten“. Das sind sie auch, sie machen die richtige Stimmung, auch genanntLmaA. Ich nehme diese Tabletten als Notfallmittel, wenn ich das Haus verlassen muss. Sie unterstützen mich dabei. In der Zwischenzeit wurde diese Ärztin ersetzt durch eine „Suchtexpertin“, die nun seelisch kranken Menschen helfen soll. Sie mag eventuell eine gute Suchtexpertin sein, aber menschlich unbeschreiblich. Eines Tages teilte sie mir mit, dass die Promethazin-Tabletten nicht lieferbar sind und verschrieb mir ein anderes Präparat, Chlorprothazin. So freundlich es auch klingt, half es aber nicht. Ich bekam Magenschmerzen und Brechreiz als harmloseste Nebenwirkungen und setzte es daraufhin sofort ab. Unabhängig davon sollte ich mich in weiteren Apotheken nach dem alten Medikament erkundigen. Das tat ich auch. Von drei Apotheken konnte keine diese Aussage bestätigen. Lediglich 48 Stunden war das Medikament nicht lieferbar.

Das verordnete EKG zeigte Auffälligkeiten bei mir, vor allem eine sehr hohe QT - Verlängerung. Was das ist, wusste ich nicht. Meine Hausärztin übernimmt dafür keine Verantwortung und schob es der „werten Kollegin Fachärztin“ zu. Die drehte nun komplett frei und sprach von großen Problemen mit dem Herz. Meine Tabletten, welche ich schon aus der Tagesklinik bekam und die angepasst werden sollten, waren Schuld an der Misere und wurden sofort abgesetzt. Andere Tabletten suchte sie rauf und runter in einem kleinen Katalog, wo die Mittel auf einer Seite aufgeführt waren. Fündig wurde sie längere Zeit später. Sollte es ein Treffer werden? Wir veranstalteten ein Medikamenten Quiz! Heute weiß ich, dass auch dieser angebliche Treffer falsch war.

Beim nächsten Termin teilte ich es ihr mit. Das war ein Fehler. Unverzüglich wurde ich gerügt. Das beste Verhältnis hatten wir beide nicht, da es schon Missverständigungen gab. Der Grund dafür, sie hat die unendliche Gabe nicht zuzuhören und den kranken Menschen nicht Ausreden zu lassen, aber auch das ständige Notieren in die Krankenakte. Sie verschrieb das Medikament, sie notierte es mit Hand in meiner Krankenakte und ich bekam das Medikament auch ohne Probleme in der Apotheke. Der erste Termin im Januar 2020 verlief in der gleichen Art und Weise. Sie fragte mich nach fehlenden Medikamenten und ich nannte ihr das Promethazin. Sie schaute in den Computer und unterstellte mir, dass ich sie anlügen würde. Sie hat mir noch nie das Medikament verschrieben. Von ihr bekäme ich das Chlorprothazin. Nun machte ich den Fehler und wiederholte die Sachlage, was mir die drei Apotheken berichteten. Auch das war wieder falsch. Ohne mich ausreden zu lassen fauchte sie mich an „Ich verschreibe Ihnen das nicht, das haben Sie nicht von mir. Vorsicht, legen Sie sich nicht mit mir an“. Der Ton macht die Musik, das war jetzt Heavy Metal … schwer verdaulich. Aber auch, so wie es in den Wald hineinruft, schallt es zurück – das ließ ich mir nicht gefallen. Ich konterte und sie blätterte in meiner Krankenakte nach. Kurze Zeit und wenige Seiten eher erkannte sie ihren eigenen Eintrag und brummte vor sich hin, dass der Eintrag im Computer fehlt. Das hatte ich aber nicht zu verantworten. Eine Entschuldigung mir gegenüber gab es nicht., nur ein Rezept flog mir über den Tisch entgegen. So eine Art mag ich nicht und teilte es ihr auch so mit. Nun kam auch noch Corona dazu und der Lockdown. Aber das interessierte meine Tabletten überhaupt nicht, sie gingen zur Neige. Da ich in unserer Wohnung verblieben bin und auch meine Adresse bereits überall geändert hatte, stand ich nun vor einem Problem bei genau diesem Seelenklempner. Orthopäde, Hautarzt, Hausarzt – überall gab es kein Problem, meine Adresse wurde im Computer geändert, dass Rezept ausgestellt und mir per Post zugeschickt, oder an der Praxistür persönlich übergeben. Das Einlesen der Krankenkassenkarte war in dieser Pandemie – Zeit nicht notwendig. Durch meine tiefe Trauer und das viele Weinen war ich Heiser. Ich rief in der Praxis meines Seelendoktors an und erkundigte mich nach einem Rezept. Die Sprechstundenhilfe war überfordert und konnte mir meine Frage, nach der der Handhabe nicht beantworten. Das Rezept bekomme ich an der Praxistür. Da ich hörbare Symptome aufweise, durfte ich das Ärztehaus aber nicht betreten. Sie bestand darauf, dass die Krankenkassenkarte einzulesen ist, erkundigte sich aber bei einer anderen Schwester. Nun sollte ich das Rezept ausnahmsweise per Post zugeschickt bekommen. Ich teilte ihr meine neue Anschrift mit, sie wurde ungehalten und schnauzte mich am Telefon förmlich an, dass dies nicht geht und legte einfach auf. Jetzt stand ich vor einem Problem. Ich rief das zuständige Gesundheitsamt in der „Faultierfarm“ an, um mich zu erkundigen. Die Dame verwies mich unfreundlich und überfordert an meine Krankenkasse. Das nennt man auch auf der „Faultierfarm“ Bürgernähe …, wenn ich mich nicht irre.

Ein Anruf bei der Krankenkasse brachte Klarheit und Verwunderung über die Art und Weise der Praxis. Seitens der Kassenärztlichen Vereinigung sei jede Arztpraxis über das Vorgehen in einem solchen Fall via Fax informiert wurden. Da haben wir wieder das Problem mit dem Lesen – es ist ganz einfach, man verbindet die Buchstaben. Nur selbst das muss man Verstehen! Die Krankenkasse sendete ein Fax an den Seelenklempner und bat mich um Kontaktaufnahme am nächsten Tag. Das tat ich auch. Die Schwester am Telefon, sonst nicht gerade freundlich, war jetzt übertrieben freundliche, betätigte mir den Faxeingang und teilte mir mit „die Doktorin sitzt gerade drüber, wir melden uns“. Das taten sie dann auch am Mittag. Mir wurde wieder übertrieben freundlich von der Schwester mitgeteilt, dass sie mir das Rezept per Post zuschickt und die Doktorin mich nicht weiter behandeln wird. Jetzt war ich fassungslos und das Gespräch beendet. Der Grund wäre für mich noch interessant gewesen … mein Vertrauen zu diesem Seelendoktor hielt sich in Grenzen, es gab keine Alternative in der Nähe, ich konnte nicht den Arzt wechseln. Ich rief die Krankenkasse an und bat um Rat und Hilfe. Am nächsten Tag informierte ich wie abgesprochen mit der Krankenkasse den sozial psychiatrischen Dienst, ein Ableger der „Faultierfarm“. Die Dame war sehr nett und nahm sich dem Problem an. Kurze Zeit später rief sie mich zurück und teilte mir mit, dass sie sich in der Praxis persönlich erkundigt habe. Die Ärztin ließ nur über die Schwester ausrichten, dass sie die Behandlung verweigert, die Mitarbeiterin des Dienstes wurde auch stehengelassen. Zwei Tage später hatte ich einen Termin bei einem anderen Seelendoktor., nicht in Wohnortnähe. So lange es mir möglich ist ihn fahrtechnisch zu erreichen wird es gut sein. Der Eid des Hippokrates ist für Frau Doktor nicht von Bedeutung, auch keine Höflichkeitsformel, wenn man so mit Patienten umgeht. Leider bin ich kein Einzelfall, wie man weiß.

Das Ergebnis aus dieser Geschichte: Ich leide nicht nur an den Folgen meines rheumatischen Fiebers, bin seelisch krank, jetzt auch noch zusätzlich aus Unachtsamkeit eines Weißkittels am Herz geschädigt., wobei diese Person auch wusste, dass ich genetisch vorbelastet bin, was den menschlichen Motor angeht. Ich mache das Beste daraus. „Weißkittel“ und Vertrauen, das passt bei mir überhaupt nicht mehr. Und es wird sich nie etwas ändern, denn eine Krähe hackt der anderen Krähe kein Auge aus.

Die Leere macht mich nur noch fertig. Die Farben und das Licht um mich herum sind schon lange weg, ich kann mich nicht mehr richtig erinnern, wie es um mich herum hell, farbig und freundlich aussah. Viele Jahre nahm ich meine Umwelt nur noch grau wahr, Mami ließ die Welt für mich erstrahlen und machte mein Herz warm und glücklich, diese Wärme für mein Herz und meine Seele ist für immer gegangen und jetzt ist es nur kalt und dunkel um mich herum. Die Unruhe gönnt mir nur wenig Schlaf, ich bin erschöpft, erschöpft vom Grübeln und von den Sorgen und der tiefen Trauer. Ich versuche Erleichterung durch das Schreiben zu finden, aber es tut nur weh, es ist sehr schmerzhaft. Dennoch mache ich mit dem Schreiben weiter. Immer wieder stelle ich mir die Frage nach dem Sinn des Lebens. Welchen Sinn macht mein Leben noch. Hat es noch einen Sinn? Wie soll das alles weitergehen! Ich weiß es nicht, ich finde keine Erklärung. Ich bin weder geboren wurden, um aufzugeben, noch wurde ich zum Aufgeben erzogen. Stets musste ichkämpfen, stets habe ich gekämpft. Geschenkt wurde mir nie etwas, ich habe mir alles erkämpft oder erarbeitet. Und verloren habe ich, sehr viel verloren habe ich, nie aber meine Würde und meinen Anstand. Die Liebe galt immer meiner kleinen Familie, meinen Eltern, meiner Omi. Ich werde auch jetzt nicht aufgeben und weitermachen, ganz im Sinne meiner Mama, Papa und Oma. Mein Hirn wird mich immer wieder fragen nach dem Sinn des Lebens und ich werde mich immer wieder damit auseinandersetzen müssen an vielen Tagen und Nächten. Wenn mein Leben zu Ende geht, dann ist es so. Ich habe keine Angst davor, Angst vor dem Tod. Ich habe Angst davor, mir etwas an zu tun, Angst vor Schmerzen und dem danach. Selbst mir das Leben nehmen, der Gedanke macht mich wütend. Die Kraft habe ich nicht und auch nicht den Willen. Es sind die bösen, schlechten und negativen Gedanken, ich will sie verdrängen, sie sind aber stärker als ich. Warum sind sie so stark? Warum bin ich nicht mehr so stark? Meinen Willen konnte man mir nie nehmen und brechen, das habe ich nicht durch meinen Kampf zugelassen. Mich hat man zerstört, innerlich seelisch kaputt gemacht, der Ärger und die Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den Ämtern, Behörden, Ärzten, Krankenkasse, Krankenhaus und anderen Institutionen. Es ist viel in mir zerstört wurden, das weiß ich schon lange. Wurde ich jetzt doch gebrochen? Hat man es geschafft? Auf diese Frage habe ich keine Antwort, also macht an dieser Stelle mein Kopf weiter. Grübelgedanken übernehmt!

Titel

Herbst wird, was bringt er

Ich kann nicht darüber nachdenken, wie schnell die Zeit vergeht. Nun haben wir schon wieder Herbst. Vor einem Jahr war unser Martyrium in vollem Gange, Mami war schwerst krank und die Abstände wurden immer geringer, dass wir den Notarzt rufen mussten. Und somit wurden unsere Erlebnisse mit der Rettung und dem Krankenhaus immer krasser und schrecklicher. Mami hatte nach dem Tablettenentzug die schlimmen Albträume und die immer wiederkehrende Luftnot. Es ist eingebrannt in meinem Kopf, ich muss oft und viel daran denken. Auch immer wieder höre ich den Spruch unserer Hausärztin bei der Nachfrage nach einem Sauerstoffgerät, als sie meinte, „Machen Sie doch die Balkontüre auf, da hat sie genug Sauerstoff, das zahlt die Kasse nicht“. Immer wieder kämpfe ich mit Gänsehaut und Tränen im Gesicht. Es war furchtbar. Jetzt bleibt mir nur eines, meine Gedanken und Erinnerungen und der Besuch unserer Grabstätte. Ich werde sie neu bepflanzen für den Herbst, damit alles wieder schön aussieht.

Viele Baustellen gibt es in meinem Leben. Ich kämpfe sehr stark mit mir und meiner großen Enttäuschung. Ich habe wieder einmal Vertrauen geschenkt und auch noch daran geglaubt. Schon lag ich wieder auf der Nase und dieser Absturz tat richtig weh. Ich weiß, ich kann niemanden vertrauen und Glauben schenken, schon gar nicht den „Halbgöttern in Weiß“. Das funktioniert nicht. Es war eine herbe Enttäuschung und ist bittere Realität. Ich habe es getan, ich habe Gefühle zugelassen, ich habe über Gefühle gesprochen und schlimmer noch, ich habe Gefühle gezeigt. Damit war ich komplett allein und unverstanden. Ich wusste, dass ich es nicht machen kann, die Quittung folgte unverzüglich. Die Konsequenz steht für mich fest, ich werde nie wieder einen Menschen an mich heranlassen und Gefühle zeigen. Ich bin tieftraurig und niedergeschlagen. In diesem Tagebuch schreibe ich mir ein wenig von der Seele. Mehr geht nicht. Über viele Jahre hinweg war ich pflegender Angehöriger und habe viel erleben müssen und dürfen. Einfach wurde es uns nie gemacht, immer richtig schwer. Es sollte vielleicht so sein, ich weiß es nicht, es ist Spekulation. Einige Jahre pflegte ich meine Mama, ich war rund um die Uhr bei ihr, Tag und Nacht, wir waren immer zusammen, Mami brauchte auch meine Hilfe. Ich habe es gerne getan, nicht nur gerne, sogar sehr gerne, ich habe mit Liebe gepflegt und alles für meine Mami und vor allem mit ihr gemeinsam gemacht. Egal ob Haushalt oder Essen gekocht, egal ob Küche, Bad oder Schlafzimmer … wir waren immer zusammen und alles wurde gemeinsam erledigt. Wir haben gemeinsam die Körperpflege erledigt, die Toilettengänge, wir haben gemeinsam gelacht und auch geweint. Und das war sehr schön. Ich war immer für meine Mami da, wenn auch Mal ein „Unglück“ geschah, ich habe es bereinigt. Sie brauchte und musste sich nicht schämen, sie konnte ja nichts dafür. Hätte unsere Hausärztin reagiert, wäre es nicht so weit gekommen, der Beweis wurde erbracht. Im Krankenhaus geschah auch ein kleines Malheur in der Nacht. Mami konnte nicht reagieren, die Schwestern verabreichten ihr Schlafmittel wegen dem unruhigen Schlaf, den störenden Albträumen. Und genau diese Albträume hatte das Krankenhaus zu verantworten mit ihrem abrupten Tablettenentzug. Das wusste auch die Ärztin. Mami schämte sich sehr und hatte Angst davor, vor den Albträumen und auch dem Ruhigstellen. Mami war so unwahrscheinlich sauber. Aber es half nichts, die Schwestern wollten ihre Ruhe haben, somit wurden die Patienten mit Medikamenten ruhiggestellt und die Klingeln hoch gehangen. Eine Schwester hatte meine Mami wegen dem kleinen Malheur böse ausgeschimpft. Sie erzählte es mir und die Bettnachbarin bestätigte, wie bösartig die Schwester war. Ich suchte das Schwesternzimmer auf, fand sie und machte ihr eine dementsprechende klare Ansage vor allen Anwesenden. Feuerrot lief sie an, mich interessierte es nicht. Andere Angehörige stimmten mir auch noch zu. Natürlich fasste ich meine Mami ohne Gummihandschuhe an. Das ist doch normal für mich. Auch das passte einer Pflegekraft nicht und ich wurde an geraunt mit den Worten „Sie fassen die wohl so an“, ich antwortete „Natürlich, warum nicht, es ist doch meine Mama“. Aus der Pflegekraft dröhnte ein bösartiges „Pfui“ und sie verschwand. Ich war erschrocken, sprachlos und geschockt. Nicht nur ich, auch die Bettnachbarinnen. Ich schoss ihr unverzüglich hinterher und machte ihr auf dem Gang eine weitere Ansage. In letzter Konsequenz musste sie sich bei mir entschuldigen, tat es auch mit einem Grinsen im Gesicht. Diese Gedanken belasten mich sehr und gehen mir regelmäßig durch den Kopf. Außerdem fehlen mir die Worte wegen der Dreistigkeit. Genau vor einem Jahr war es wieder soweit und meine Mami musste in das Krankenhaus. In meinem Kopf ist das reine Wirrwarr. Den Notarzt hatte ich informiert und Mami wurde wieder in die Klinik mitgenommen. Sofort war mir klar, dass es wieder Probleme geben wird, denn kein Delitzscher Rettungswagen hatte den notwendigen Rettungsstuhl an Bord. Trotz Kenntnis der Verantwortlichen darüber, änderte sich nichts. Somit kam die Rettungsdecke zum Einsatz. Drei Rettungssanitäter und eine Notärztin waren bei meiner Mama. Ich verwies auf die Klinikberichte und den damit untersagten Transport in einer Rettungsdecke. Das interessierte die Notärztin nicht und tat es ab mit dem Argument, dass kein Personal vorhanden sei. Ein anderer Rettungssanitäter wollte von mir, dass ich Mami mit der Treppe herunter befördere und die Rettungsdecke mittrage. Das lehnte aus gesundheitlichen Gründen ab. Sehr lautstark beschimpfe er mich und betitelte mich als „Fauler Hund“. Jetzt gingen sich die Rettungssanitäter untereinander regelrecht an die Kehle. Ein anderer Sanitäter schaute mich an sagte zu mir „Das werden Sie sich doch nicht gefallen lassen“ – das lässt tief blicken. Es half nichts, 3 Männer und eine Frau trugen Mami in der Rettungsdecke 40 Stufen hinab und schlugen dabei immer wieder ihren Körper auf die Treppe auf. Mami standen Tränen in den Augen, sie stöhnte bei jedem Aufschlagen und nahm wie immer die Prozedur einfach hin. Am Ende hatte sie an den Armen Schürfwunden und am Rücken und Steißbein riesige blaue Flecke. Musste das sein? Sicherlich nicht. Ich beschwerte mich über diese unhaltbaren Zustände bei den Behörden. Ändern tat sich nie etwas. Es betraf bloß einen alten und kranken Menschen, also ohne Bedeutung für die Beamten. Wie steht es so schön in unserem Grundgesetz : Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das stimmt auch, aber im schönen nordsächsischen Delitzsch, am schönen Loberstrand, ticken die Uhren etwas anders. Hier ist die Würde des Menschen nicht unantastbar, hier tritt man sie mit Füßen. Und das belastet mich sehr, weil es noch viel mehr solcher Vorkommnisse gab. Mein Grübeln ist in der Endlosschleife. Es war einfach alles zu viel für mich. Mami ertrug immer alles so geduldig, die Hauptsache war für sie, ich war da und bei ihr. Das war ich, ich war immer bei ihr und kümmerte mich um meine Mama.

Mami war so ein liebevoller, geduldiger, zufriedener und großartiger Mensch, einfach ein Schatz. Ich achte sie sehr.

Nun stellt sich wieder einmal für mich die Frage nach demWarum. Warum immer wir, warum immer ich, warum schon wieder? Wegen dem Virus verfügte die Sächsische Corona-Verordnung über das Tragen der Mund-Nasen-Maske in Öffentlichen Verkehrsmitteln und beim Einkauf. Mich betreffen nur der Einkauf, Bus und Bahn kann ich wegen meiner Krankheit nicht benutzen. Ich ging bereits im Supermarkt zu Boden und lag unter den Kartoffeln und im Discounter fiel ich einfach um und der Einkaufswagen begrub mich, weil es mir schwarz vor Augen wurde durch Atemnot und Panik. Ich sehe die Notwenigkeit ein und versuche eine Maske zu tragen, sehr oft unter der Nase. Ich bin im Besitz eines Schwerbehindertenausweises. In der Verordnung des Staatsministeriums steht geschrieben, dass mich der Schwerbehindertenausweis berechtigt, die Maske nicht zu tragen, wenn ich dazu nicht in der Lage bin. Bin ich in der Lage, dann trage ich sie auch über dem Mund, nicht über der Nase. Und weil ich den Ausweis besitze, bekomme ich keine Befreiung vom Arzt. So ist es vom Staat gewollt. Von einem Mitarbeiter des Ordnungsamtes, so stand es jedenfalls auf seiner Uniformjacke, wurde ich aufgefordert, die Maske über die Nase zu ziehen. Ich widersprach und händigte ihm meinen Schwerbehindertenausweis aus. Das interessierte ihn nicht, er wollte die Corona - Befreiung vom Arzt sehen. Dieses Attest konnte ich nicht nachweisen. Da ich der Aufforderung mit der Nasenbedeckung nicht nachkam, forderte er meinen Personalausweis und notierte sich meine Daten für die Ausfertigung einer Anzeige. Ich rief das Gesundheitsamt in der „Faultierfarm“ an, dort erhielt ich die Auskunft , der Schwerbehindertenausweis reicht für den Beweis der Maskenbefreiung. Was ist denn nun hier richtig? Was soll das wieder? Nun warte ich gespannt auf die Anzeige des Amtes. Keiner weiß was das soll, aber alle machen mit. So vergehen die Tage. Die letzten warmen Sonnenstrahlen erreichen uns und die Bäume beginnen langsam ihr Laub zu färben. Damals konnte es mich daran erfreuen. Heute funktioniert das nicht. Was ist Freude, ich weiß es nicht mehr. Ich habe es verlernt, mich zu freuen.

Ich bin sehr traurig und gestern war nichts mit mir los. Ich bekam große Angst und viele Weinattacken hintereinander. Meine Gedanken spielten verrückt … die Gefühle übermannten mich, sie mussten aus mir raus. Hilfe dabei habe ich leider keine mehr, ich bin auf mich selbst gestellt. Wir durften immer zur Hilfe bereit sein und haben es auch sehr gerne getan. Ich muss mit mir selbst klarkommen, das macht mich sehr traurig. Es muss so weitergehen … egal.

Es ist sehr schwer und tut mir auch furchtbar zusätzlich noch weh. Wenn mein Körper auch etwas anderes sagt, ich bleibe nicht einfach so liegen, ich stehe auf und mache weiter. Das bin ich meiner Familie schuldig. Einfach Aufgeben ist auch nicht meine Art, ich musste immer kämpfen, habe immer gekämpft und kämpfe auch jetzt. Ist das ein Scheiß Spiel!

Und es geht immer so weiter, die Gedanken sind frei und kreisen im Kopf herum. Vor einem Jahr kam Mama wieder aus der Klinik nach Hause. Der Arztbrief berichtete von über 12 Liter Wasser, was aus dem Körper ausgeschwemmt wurde. Mama war einfach nur glücklich wieder zu Hause zu sein, sie lebte förmlich auf. Ich war genau so glücklich und kümmerte mich nun auch wieder rund um die Uhr um sie. Dank und Lohn für meine Arbeit war ihr zufriedenes und glückliches Lächeln. Der Weg bis zu diesem erneuten Lächeln war wieder sehr steinig. Ich kann das alles nicht verstehen und verarbeiten, auch nicht nach einem Jahr. Alles wurde für die Entlassung vorbereitet und angegeben. Für Vormittag war die Entlassung geplant und bestätigt wurden vom Deutschen Roten Kreuz, alles wie immer. Wir waren erfahren und erprobt und wussten, dass wieder alles schief gehen wird. Und so kam es auch. Die Abholung im Krankenhaus erfolgte am Nachmittag, natürlich ohne den bestellten Rettungsstuhl, den Treppensteiger, von zwei Rettungssanitätern, einer Frau und einem Mann. Beide klein und zierlich, die Sanitäterin war nach eigenen Angaben nicht aus von hier. Nun standen sie im normalen Transportstuhl vor der Haustür und bekamen Mama nicht die 40 Stufen nach oben. Der Rettungsstuhl wurde nachgefordert über die Leitstelle, allerdings der befand sich auf einem Rettungswagen in Schkeuditz und genau da lag das Problem. Die junge Sanitäterin telefonierte und bekam die Antwort „Nein wir kommen nicht, da mussdie Alte schon hochlaufen oder ihr bringt sie zurück auf Station, wir haben Feierabend“ – sie war sprachlos und fragte mich ob das hier immer so sei. Von mir gab es ein klares JA als Antwort. Nun wurde auch wie schon mehrere Male die Feuerwehr zur Hilfe gerufen. Allerdings musste meine Mami nun auf die Toilette, sie hatte ja Wassermittel bekommen. Ich lief hoch und holte den Toilettenstuhl herunter. Den stellte ich vor die Treppe, zog Mami die Hosen herunter und setzte sie auf den Stuhl. Natürlich war auch Besucherverkehr im Haus. Fassungslos schüttelten die Leute den Kopf und auch der Kommentar „Armes Deutschland, was machen die nur mit den kranken Menschen!“ - und da kann ich auch wieder nur Recht geben. Nach über einer Stunde Wartezeit im Hauseingang und mehreren Toilettenstuhlbesuchen kam der Oberhäuptling der Feuerwehr vorgefahren und begutachtete unfreundlich und schlecht gelaunt die Lage. Jetzt kamen die Rettungskräfte im Löschfahrzeug angerückt, 8 Feuerwehrleute an der Zahl und der Einsatz begann. Zwei schmächtige junge Kameraden nahmen den Transportstuhl des Roten Kreuzes und trugen Mami ohne abzusetzen 40 Stufen hinauf in die Wohnung. Die anderen Feuerwehrkameraden und 2 Sanitäter liefen mit den Händen in den Taschen hinterher. Niemand von denen brachte den Toilettenstuhl mit nach oben, ich lief ihnen dann hinterher und holte den Stuhl wieder hoch. Danke Kameraden, kann man da nur sagen, aber alles Scheißegal … Mami war wieder bei mir und wir waren wieder zusammen.

Mein Buch ist veröffentlicht, als Buch und auch als elektronisches Buch. Jetzt wäre Zeit, richtig stolz darauf zu sein und sich zu freuen. Und wie ist das? Diese Frage stelle ich mir. Freude, weiß ich nicht, wie das geht und was das ist. Stolz darauf – wie fühlt sich das an? Ich verspüre nur die Leere und es tut sehr weh, alles noch einmal zu durchleben. Es sollte helfen, meinen die Spezialisten. Ich verspüre nur die Trauer und den Schmerz. Ich gebe trotzdem nicht auf und kämpfe weiter. Die schlaflosen Nächte nutze ich auch mit, einen weiteren Entschluss umzusetzen. Ich machte mich an ein weiteres Projekt, ein Kochbuch mit den schönen Rezepten aus unserer Küche. Aber auch unsere Familientraditionen durften nicht zu kurz kommen. Auch unsere Familiengeschichte schrieb ich nieder. Aus einem Projekt sind jetzt drei Projekte geworden. Das Kochbuch ist auch schon veröffentlicht und heute habe ich unsere „Familiengeschichte“ auf den Markt gebracht. Heute hat mein Onkel Fritzer Geburtstag. Er wäre heute 95 Jahr alt geworden, Mamis Bruder. Und mein letztes Projekt als Autor wird dieses Tagebuch sein. Das ziehe ich noch durch...auch für Fritzer.

Von Tag zu Tag werde ich unruhiger. Mein 58. Geburtstag steht vor der Tür. Es ist der erste Geburtstag, den ich ganz alleine verbringen werde, ohne meine kleine Familie, ohne meine Mama. Vor diesem Tag graut mir. Es ist ein Sonntag und ich werde kaum zu Hause verbringen. Es ist ein goldener Herbst, für mich nur trist und dunkelgrau. Ich werde mehrmals an unser Grab gehen und zu den anderen Gräbern auf den Friedhöfen in Wiedemar und Radefeld fahren. Ja, es quält mich sehr, ist aber nicht zu ändern. Es warten noch viel schlimmere und schrecklichere Tage auf mich. Seit Omis Tod gab es keine Geburtstagsfeiern mehr bei uns, das werden in wenigen Wochen 30 Jahre. Und seit Papis Tod tranken wir nur noch im engsten Kreis Kaffee und aßen Kuchen. Ich möchte fortan nichts mehr machen, es ist ein Tag wie jeder andere und doch anders.

Ich stehe nur mit wenigen Menschen in Kontakt. Zu einer guten Bekannten meiner Mama stehe ich im telefonischen Kontakt. Das sollte sich nun ändern. Der Gedanke daran war schon furchtbar, aber ich wagte es und machte den Termin für den nächsten Nachmittag fest. Je näher die Zeit heranrückte, wurde ich immer unruhiger und rastloser. Von den „gerne genommen“ – Pillen schoss ich mir welche ein und wagte das Unterfangen. Mit den Pillen war der Nachmittag schön, aber dieser Ausflug machte mich sehr traurig und noch unruhiger. Alles kam in mir hoch. Bald eine Woche später habe ich daran immer noch zu tun – Angst und Panik sind meine ständigen Begleiter nach wie vor. Nun weiß ich aber, dass mir solche Ausflüge nur sehr schlecht bekommen, also werden die ab sofort unterbleiben.

Mein Grübelzwang ist allgegenwärtig. Letztes Jahr, genau zur gleichen Zeit, bekam meine Mama rote Unterschenkel. Eines Morgens war über Nacht eine Stelle am rechten Schienbein zu sehen. Ich konnte es beobachten, da ich früh Mami die Kompressionsstrümpfe im Bett anzog und am Abend sie ihr vor dem allabendlichen Waschen wieder auszog. Innerhalb weniger Tage waren beide Unterschenkel so rot, dass ich es mit der Angst zu tun bekam. Ich verständigte unsere Hausarztpraxis und bat um einen Hausbesuch. Am frühen Nachmittag kam auch unsere Hausärztin zum Hausbesuch. Sie war übel gelaunt, das war deutlich zu spüren. Sofort wollte sie die Unterschenkel sehen, ich zog Mami die Kompressionsstrümpfe aus. Hätte ich die Kompressionsstrümpfe schon früher ausgezogen, dann hätte sie wieder gemeckert. Das Spiel kannten wir schon. Und nun auch noch das nächste Problem, die Unterschenkel befanden sich unten… Frau Doktor krabbelte auf dem Teppich herum, schaute und guckte, stand auf, setzte sich auf das Sofa, zog den Tisch an sich heran und fing an zu Schreiben. Mami schaute mich an und ich sie, Verwunderung machte sich breit. Dann klingelte ihr Handy, der Angetraute war am anderen Ende. Und genau diese Frage, die er jetzt stellte war falsch. Der Anschiss folgte unverzüglich und es wurde noch einmal nachgelegt. Zoff … passiert schon mal. Dann packte sie zusammen, legte mir die Rezepte hin und das war es. Jetzt wollte ich schon wissen, was los ist und fragte nach. Die Auskunft war kurz, präzise und knappgehalten „offene nässende Unterschenkel durch den hohen Zucker“. Der Zuckerwert war 6,1, da fehlten mir schon etwas die Worte. Ich wollte nun wissen, wie es weiter geht. Da bekam ich zur Antwort „Verbinden, das werden Sie schon schaffen.“ Schon war der Rauscheengel verschwunden, Mami und ich schauten leicht dusslig aus der Wäsche. Ich lief in die Apotheke und gab die Rezepte ab. Am nächsten Morgen ging ich wieder in die Apotheke und holte meine Ware ab. Die Apotheke fragte nach, wer die Verbände anlegen wird und ich sagte, dass ich das machen werde. Dem Apotheker blieb gleich der Mund offenstehen und ich berichtete von dem Hausbesuch. Meinen Bericht konnte er gut folgen, denn ganz ähnliche Berichte bekam er von vielen Kunden. Nun klärte er mich auf, dass ich die Kompressionsverbände nicht anlegen darf, die Wunde muss fachgerecht versorgt werden. Welche Wunde? Es gab keine Wunde. Nun schaute der Apotheker noch verwunderter aus der Wäsche. Ich rief die Schwester vom Pflegedienst an, welche die Pflegekontrolle bei uns durchführte, sie kam auch sofort und schaute sich alles an. Sie sah die roten Unterschenkel, allerdings keine offenen stark nässenden Beine. Sie wusste nicht , was sie machen sollte. Nun fuhr sie selber in die Praxis, denn sie benötigte noch eine Verordnung. Auch die Schwester hatte keine Erklärung, auch nicht die Erklärung, wie ich das machen sollte. Und ich machte bis jetzt alles für meine Mami, ohne Hilfe. Ich machte es vorsichtig und mit viel Liebe. Am Nachmittag kam die Schwester wieder zu uns und war richtig sauer. Das Praxispersonal behandelte die Schwester, wie eigentlich fast alle Schwestern, wie ein kleines dummes Mädchen. Ja, es sind offene stark nässende Unterschenkel, dass hätte sie diagnostiziert und gesehen. Kommt vom Zucker und muss verbunden werden. „Der Sohn wollte das doch machen“ – so ihre Worte und das war eine Lüge. Jetzt unterschrieb sie die Verordnung, gab sie der Pflegeschwester mit den Worten „So wie es da darauf steht ist es zu machen“. Auf die trockenen und feuerroten Unterschenkel wurden die verordneten Silikonkompressen gelegt , dann wurde mit Mullbinden verbunden und darüber wurden die Kompressionsbinden gebunden. Keine halbe Stunde hielt der Verband, er wickelte sich von innen her ab und viel einfach herunter. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel. Keine Schwester sah die offenen stark nässenden Unterschenkel, verband sie trotzdem wie verordnet mit dem teuren Verbandsmaterial und ging. Eine halbe Stunde später vielen die Verbände wie von Geisterhand wieder ab. Es war ja Herbst, da fallen auch die Blätter von den Bäumen… die Verordnung war für zehn Tage ausgestellt. Die Unterschenkel veränderten sich nicht, Frau Doktor bestand auf ihre Sichtweise. Achtzehn Augen sahen keine nässenden Beine … ohne Worte. Ich war verzweifelt, zeigte es Mami aber nicht. Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen, wie das mit den Beinen weiter gehen soll. Mami ärgerte sich auch über den Auftritt der Hausärztin, so ist sie bekannt in der Stadt.

Nun ist er vorbei, mein 58. Geburtstag. Es war ein ganz schlimmer Tag für mich. Es tat furchtbar weh. Meine Gedanken kreisten und ich grübelte in der Endlosschleife. Die größte Überraschung bereitete mir eine sehr gute Bekannte meiner Mami, eine sehr treue Seele, Frau Klein. Nach einer sehr schweren Krankheit und noch nicht genesen, lebt sie jetzt im Heim. Den Kontakt habe ich nie abreisen lassen. Und sie stand als Überraschung unten mit ihrer Tochter in der Haustür. Ich war sprachlos, es tat so gut sie zu sehen. Die Nacht zuvor hatte ich kaum geschlafen, bin von Raum zu Raum gewandert und den Tag überstand ich nur mit Beruhigungsmittel, werden ja gerne genommen laut einer absoluten Fachkraft, einem „Deppendoktor“. Die Tabletten standen mir bei, in der Folgenacht war ich ebenfalls wieder auf Wanderschaft. Ich finde keine Ruhe und auch nur sehr schlecht den notwendigen Schlaf.

Und auch jetzt bin ich nur in Gedanken, in Gedanken bei meiner Mama und einer weiteren Odyssee vor 365 Tagen.