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Sie haben noch nie mit einer guten Freundin eine Nilkreuzfahrt unternommen? Sind noch nie bei 38°C und mehr in flirrender Sonne und in voller Montur durch die Tempelanlagen von Karnak gerannt, im Tal der Könige vom Guide angetrieben durch die Gräber gehetzt, sind fast vor der Toilette beim Hatschepsut-Tempel in der Hitze verschmort? Haben auch noch nie das herbe "Aroma" des Nilometers am Doppel-Tempel Kom Ombo geschnuppert, die quirlige Betriebsamkeit auf dem Nil bei Assuan erlebt und sich beim Handeln auf den Bazaren mit einheimischen Händlern über den Preis gezofft? Sie haben noch nicht mal am nordafrikanischen Darminfekt gelitten und trotzdem die Lord Kitchener Insel besucht? Haben Sie denn wenigstens schon mal selbstvergessen barfuss auf Nilbooten zu Trommeln getanzt? Nein?! Dann wird es Zeit, sich DAS mal zu gönnen. Kommen Sie mit, ich begleite Sie!
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Veröffentlichungsjahr: 2015
Nilgeflüster
von
Petra Schindler
Heitere und besinnliche Eindrücke
auf einer Nilkreuzfahrt von Luxor nach Assuan
Vorwort
Als ich dieses Buch schrieb, war es meine Absicht, dem Land Ägypten eine Liebeserklärung zu machen. Seitdem hat sich dort sehr viel gewandelt, und es wird wahrscheinlich lange dauern, bis ich noch einmal dorthin fahren kann.
Lasst mich also aus der Erinnerung erzählen, wie ich diese Urlaubsreise erlebt und genossen habe! Diese Erzählung wurde keinem bestimmten Menschen gewidmet; sie ist gedacht für den Personenkreis, der eine solche Kreuzfahrt irgendwann in den nächsten Jahren einmal für sich einplant, und auch für Diejenigen unter euch, die diese Reise in der Vergangenheit bereits gemacht haben. Mein kleines Werk erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und auch nicht auf eine akribisch exakte Reihenfolge. Diese Geschichte hat sich in meiner Erinnerung so, wie es schildere, abgespielt.
Es ist eine für dieses Land in jenen vergangenen Jahren eine so typische Erzählung geworden, die teilweise nachdenklich und teilweise auch recht erheiternd stimmt. Es werden meine subjektiven Erfahrungen wiedergegeben, die ich persönlich in Ägypten gemacht habe. Des Weiteren habe ich mich darum bemüht, euch die für uns fremdartige, altägyptische Mythologie, sowie die geschichtlichen Zusammenhänge teilweise nahe zu bringen. Bei Weitem ist nicht alles dokumentiert, ich habe mich nur auf das Wesentlichste dieser Reise beschränkt.
Meine Schilderungen gelten den Mitmenschen, die sich unvoreingenommen neuen Eindrücken öffnen können, die sich interessieren für die Schönheit und die Besonderheiten eines nordafrikanischen Landes, und die insbesondere die für uns fremde Lebensart und -führung der Ägypter, welche auf Traditionen und ihrer Religion beruhen, verstehen wollen. Mein Anliegen ist es ganz besonders, den Wunsch bei uns Mitteleuropäern zu aktivieren, den Orient und seine Menschen besser kennen zu lernen. Meine Erzählung sollte als Brückenschlag zwischen zwei einander völlig gegensätzlichen Kulturen verstanden werden.
Sollte sich aber jemand in dieses Land „verirren“, der leider nur den herumliegenden Dreck und Abfall in den Hof- und Straßenecken sieht und nicht umhin kann, sich darüber aufzuregen, dass die Dinge des alltäglichen Lebens dort nicht genauso organisiert sind wie in Europa, der immer nur das bemerkt, was nicht 100% in Ordnung ist, sollte sich unbedingt ein anderes Reiseziel wählen. Ein solcher Mensch wird niemals Ägypten wirklich begreifen, geschweige denn es zu lieben lernen.
Alle anderen Menschen, die Freude an der Kommunikation mit der überaus gastfreundlichen und warmherzigen Bevölkerung haben, die interessiert und aufgeschlossen für alles „Fremde“ sind, die vielleicht sogar „die Stille der Wüste HÖREN können“, solche Menschen werden das Land und seine Bevölkerung mögen und immer wieder gern dorthin fahren wollen.
Ich wünsche euch beim Lesen informative und entspannende Stunden, wer Humor und Fantasie hat, wird sich die einzelnen Situationen gut vorstellen können oder hat ähnliche bereits selbst erlebt. Im Anschluss daran könnt ihr dann prüfen, ob ihr persönlich „ägyptentauglich“ seid!
Zwischen Mitteleuropa und Nordafrika
Ich sitze eingeklemmt im Mittelsitz. Warum, frage ich mich, werden nur die Koffer beim Check-in gewogen und nicht auch die Fluggäste? Wenigstens den Umfang derselben sollte man messen und danach den Architekten nahelegen, entsprechend breite Sessel für einen Flieger zu entwerfen. Ich bekomme keine Luft, kann mich nicht bewegen und traue mich nicht einmal zu atmen. Die beiden Damen neben mir links und rechts wiegen zusammen mit Sicherheit an die 250 kg. Meine oberbayerische Schwiegermutter würde jetzt sagen: „Mei, do konnst nix macha!“ Seufzend gebe ich ihr innerlich recht. Die nächsten vier Stunden werde ich leidend verbringen müssen.
Wir sind mitten in der Startphase, der Vogel hebt gerade ab. Mein Magen beginnt zu zittern, ich habe entsetzliche Flugangst, mir wird übel – und meine Freundin zur Linken jauchzt vor Freude: „Wir fliiieeegen!“
Ich starre in den vor mir hängenden Monitor und sehe nichts. Genau jetzt fällt mir dieser zynische Satz ein, der bei den Medien anlässlich jedes Flugzeugabsturzes als gängigster Hinweis dient: „Die größte Gefahr des Absturzes, meine Damen und Herren, besteht beim Start und bei der Landung des Fliegers.“ Meine Zähne verkrampfen sich ineinander...
Der Flieger steigt hoch und höher, ich hänge schief nach hinten in meinem Sitz, den Kopf fest gegen die Nackenstütze gepresst, die Augen geschlossen und beide Hände um die Lehnen gekrallt. Ein Bild sicherlich des Jammers. Alles in mir ist angespannt. Jessica, meine Begleiterin, macht dieser Beinahe-Senkrecht-Start offenbar überhaupt nichts aus. Sie schaut aus dem Fenster nach unten und stößt spitze, und vor allem sehr hohe Begeisterungsschreie aus:
„Ich kann schon die Alpen unter mir sehen, da schau mal raus, diese Wolken und die mit Schnee bedeckten Bergkuppen. Da schau doch hin.“ Unbarmherzig stößt sie mich fortwährend in meine Rippengegend, was ich überhaupt nicht leiden kann.
Ich will nicht rausschauen und ich kann es auch gar nicht, sonst würde mir meine Angst aus dem Gesicht fallen. Ich wende nicht mal den Kopf! Sie rutscht auf ihrem Sitz herum, als ob diese Schieflage gar nichts wäre und bejubelt, was sie alles sehen kann. Ich kann nichts sehen, denn ich halte meine Augen fest geschlossen! Das ist eben meine Methode, einen Absturz verhindern zu wollen. Als wir endlich wieder in die Horizontale kommen, wird mir besser, offensichtlich sind wir jetzt hoch genug. Nachdem ich mich zurechtgerückt habe, blättere ich im Bordmagazin, was alles so Schönes angeboten wird, klappe es aber bald wieder zu, denn mich reizt das alles noch nicht sonderlich. Ich bin müde und versuche nun, es mir in dem engen Mittelsitz „bequem“ zu machen. Meine Nerven sind überreizt und ich brauche dringend Ruhe. Das Fluggeräusch wird immer leiser und meine Gedanken wandern träge ein paar Stunden zurück.
Was war das doch wieder für eine Aufregung, bevor es endlich losgehen konnte! Wie habe ich mich wie immer selbst verrückt gemacht! Ich muss grinsen, als ich an die lange Nacht zurückdenke, in der ich auf Jessica und ihren Mann gewartet hatte, der uns zum Flughafen brachte. Ich hockte in unserem „unteren Zimmer“ und starrte auf die tickende Uhr vor mir und bildete mir ein, dass die Zeit bis zur Abfahrt zum Flughafen dadurch schneller verginge. Nur wir zwei Frauen unternehmen diese Reise; unsere bayerischen Ehemänner bleiben lieber daheim.
Der Zeiger war in jener Nacht wie festgenagelt auf 0:30 Uhr gestanden. Meine kleinen Koffer hatte ich schon am Tag zuvor vor meinem Schemel aufgebaut. Gepackt war schnell, die Gewichte aber überschritten die Norm. Das Haarshampoo, der Hairconditioner, der Haarlack, der Florentinerhut mit dem sonderbaren Blumenarrangement obenauf (ich habe keinen Tropenhut mehr bekommen), die Medikamente, der Fön, die Schuhe, das Sonnenspray, die Après Lotion und überhaupt den ganzen Trödel, den eine Frau natürlich braucht - all das war nun in diesen winzigen zwei Koffern verkeilt. Hoffentlich hatte ich nichts vergessen! Wie gut, dass wir zu zweit fliegen würden, was die Eine vermisst, hat hoffentlich die Andere eingepackt.
Irgendwann war mir bei der Warterei auf dem niedrigen Hocker das rechte Bein eingeschlafen. Stöhnend und mit zusammengebissenen Zähnen hüpfte ich im Zimmer umher, leise, damit mein Mann oben nicht aufwachte. Eine halbe Stunde später hatte ich einen Wadenkrampf! Ich wälzte alte Fotoalben aus der Zeit, als meine Kinder noch klein waren und ich noch mit ihrem Vater verheiratet war. Schnell ließ ich das sein und legte sie weg. Das alles schmerzt mich noch viel zu sehr.
Sehr pünktlich kamen endlich meine Freunde und es konnte losgehen. Ein letzter liebevoller Blick auf meinen schlafenden Ehemann und flüsternd gingen wir aus der Wohnung. Heiner gab Gas und wir rauschten durch die Nacht. Jessica und ich plapperten die Fahrt über ausgelassen und unser Fahrer meinte nur dazu:
„Was wird das wohl für mich für eine angenehm ruhige Woche werden!“
Das Brummen des Fliegers dringt wieder in mein Bewusstsein. Ich habe genug gedöst und wende mich wieder der aktuellen Situation zu. Nach drei Stunden Sitzen tut mir mein Hinterteil weh und Jessica das rechte Bein. Es wird halt Zeit, dass wir endlich ankommen.
Meine jüngere Freundin ist begeistert beim Anblick der afrikanischen Küste, die wir gerade unter uns auftauchen sehen. Ich war es damals auch, als ich das erste Mal diesen Kontinent von oben sah: Das türkisfarbene Mittelmeer, die weißen Schaumkronen und wie gemalt mit kleinen Buchten und Biegungen die ockerfarbenen Sandhügel, die eine wellenartige Oberfläche bilden. Links am Horizont erscheint die Skyline von Alexandria und die weißen Häuser schimmern in der späten Vormittagssonne.
Herrgott, ist das schön!
Ich kann jetzt ohne Panik hinunterschauen und ergötze mich an diesem Bild. Ich glaube, schon bei meinem ersten Trip nach Ägypten vor 22 Jahren wurde ich wüstensüchtig. Man muss die Wüste einfach lieben und man liebt sie, wenn man die Stille hören kann. So jedenfalls hatte es mir einmal ein alter Beduine erklärt. Und heute bin ich imstande, diese Stille zu hören. Diese Weite, diese Ruhe - das ist Erhabenheit, da überkommt mich eine Ahnung von der Schöpfung. Ich bekomme eine Gänsehaut vor Ergriffenheit, dass ich wieder die Wüste erleben darf. Immer, wenn ich den Orient besuchte, verweilte ich in der Wüste. In meiner Fantasie lebte ich schon einmal hier im alten Ägypten. Ich glaube an die Reinkarnation. Ein einmaliges Leben wäre zu trostlos, es gibt sie sicherlich – die Seelenwanderung. Warum sonst erlebe ich es immer wieder: Ich stehe in der Wüste und alles in mir wird ruhig, ich verschmelze mit der Natur, werde eins mit ihr. Es gibt keine Probleme mehr für mich in diesen Momenten, alles Weltliche fällt von mir ab, ich ruhe in mir und schöpfe Kraft. Was für ein Wunder, dass es mich immer wieder hierherzieht?
Der Flieger verändert seine Lage, es beginnt der Sinkflug und irgendwann landen wir.
Ankunft in Luxor
Luxor – wie habe ich mich danach gesehnt!
Wie lange habe ich mich darauf gefreut, das alte Waset bzw. Theben kennen zu lernen. Alles, was ich in die Finger bekommen konnte, habe ich darüber gelesen, regelrecht verschlungen. Schon der Name Luxor übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf mich aus.
Dieser Magnetismus schwächt sich jedoch akut ab in dem Moment, als ich die Gangway hinabsteige. Die Hitze nimmt mir förmlich die Luft, der Wind ist so heiß und trocken, und das Sonnenlicht blendet mich durch meine dunkle Brille, so dass erst mal meine Entzückung im Ansatz erstickt. Ich habe das Gefühl, ich schrumpfe in der Hitze. Meine Haare steigen hoch in die Luft, sie vibrieren richtig und stetig zunehmend perlt mir der Schweiß unangenehm unter der dünnen Bluse herab.
Der Rollfeldbus, in den wir einsteigen wollen, riecht ekelhaft nach Abgasen, dass sich mein Magen unangenehm meldet. Der Motor läuft, während wir einsteigen, es stört aber offenbar niemanden, außer mich Dieser Mief und die Hitze ergeben ein fatales Gemisch. Im Moment ist meine Ergriffenheit ob der Ankunft in Luxor etwas von der Banalität und Zweckmäßigkeit eines orientalischen Flughafens verdrängt worden. Die am Rande des Rollfeldes sichtbaren ehemals grünen und nunmehr verstaubten Palmen können daran auch nichts ändern.
Die Abfertigung des Zolls und die gesamte bekannte Einreiseprozedur verläuft - außer dem typischen Gerangel und Schubsen vor der Passabfertigung - dem üblichen Run nach den eigenen Koffern an den Fließbändern und gelegentlichen Knüffen und Püffen zur Seite zur Platzgewinnung, ohne nennenswerte Vorkommnisse. Es erwartet uns vor dem Flughafengebäude das Reiseleiterteam, und es wird uns der Bus gezeigt, der uns zu unserem Luxusschiff und dem Nil transportieren soll. Natürlich ist der Zubringerbus voll klimatisiert, aber auch er riecht stark nach Benzin, weil der Fahrer, genau wie der andere auf dem Rollfeld, bei laufendem Motor auf die restlichen Touristen wartet. Ich befinde mich noch in der Phase, in der mich so etwas stört.
Nach gut einer Stunde, die wir auf den Reiseleiter wartend bei laufendem Motor verbringen, verkürze ich mir die Zeit in der vergasten Luft mit Husten- und Erstickungsanfällen und tränenden Augen. Viermal minütlich muss ich mir den Schweiß aus dem in der Nacht vorher so sorgfältig geschminkten Gesicht wischen und dann erscheint er endlich strahlend der Herr Reiseleiter in schneeweißer Uniform. Er stellt sich vor, sein Name sei Kalil, und er begrüßt uns herzlich. Er macht uns mit allen Formalitäten schon mal vorab bekannt und wir alle sind beeindruckt von dessen überwältigendem Charme. Wir vergessen die Qualen der Nacht, das lange Sitzen im Flieger und benehmen uns plötzlich ganz anders als in Europa nach einer durchwachten Nacht. Keine Spur mehr von Müdigkeit, kein Anflug von Missbehagen, diese Mentalität steckt einfach an und weckt die positiven Seiten in uns. Die zwei alten Damen, die über dem Gang neben Jessica und mir sitzen, verziehen ihre 80jährigen kleinen Gesichter mit den unnatürlich zu stark gepuderten Rouge behandelten Hängebäckchen und legen ihre zahlreichen tiefen Falten landkartenähnlich in 1000 freundliche Muster. Meine Husten- und Tränenattacken sind akut verschwunden und auch ich strahle mit entzündeten rot umränderten Augen unseren jungen Herrn Reiseleiter, namens Kalil, erwartungsvoll an.
Inzwischen rast dieser Bus mit abartiger Geschwindigkeit durch die Neustadt von Luxor, vorbei an Geschäften, Garagen, Wohnhäusern, Bistros, Grünanlagen und Moscheen. Ich kann gar nicht schnell genug den Kopf drehen, weil es immerzu Neues zum Schauen gibt. Während wir gerade eine gut asphaltierte Fahrstraße hinunter schießen - wobei es mir ein ewiges Rätsel bleiben wird, mit welcher Geschwindigkeit der Busfahrer die stets auf der Fahrbahn laufenden Einheimischen wahrnimmt, umkurvt und sie niemals touchiert - vorbei an hupenden Mofas und Eselskarren, Müttern mit johlenden Kindern auf den Armen oder an deren Röcken festgekrallt, oder Fahrrad fahrenden Hotelangestellten im englischen Maßanzug mit bunten Wäscheklammern an den Hosenbeinen. Mir wird übel, während ich mir vorstelle, dass ich hier fahren müsste – stößt mich Jessica unsanft in die Seite:
„Da schau mal, da ist ein Tempel!“
Ich schaue hin und erstarre: Inmitten dieses modernen Gewimmels dieser quirligen Stadt ragt wie ein Mahnmal aus grauer Vorzeit eine riesige Ramsesstatue empor und darum herum der Tempel von Luxor – mitten in der Stadt, gegenüber vom Polizeipräsidium und dem 3-Sterne-Hotel „Mercury Inn“!
Ich glaube es nicht, ich kann es nicht fassen! Die haben die Stadt direkt um die heilige Tempelanlage gebaut!
Da aber der Fahrer gerade eben das Letzte aus diesem Bus herauszuholen scheint und wir mit affenartiger Geschwindigkeit unter gefährlichem Schwanken nach vorn und zur Seite und aufheulendem Motor um die Ecke schießen, allesamt nach links hängend, ist die Tempelanlage schneller vorbei, als ich mir das gewünscht hätte. Jedoch ich werde entschädigt. Wir erreichen soeben das Nilufer und der Bus kommt abrupt zum Stehen. Als ich mich wieder vom Fußboden des Busses erhoben habe und erneut Platz auf meinem Sitz nehme, kann ich auch wieder meine Umgebung wahrnehmen. Jessica bemüht sich indessen um die beiden alten Damen, die es doch glatt von ihren Sitzen bei dieser gröberen Bremsaktion des Fahrers geweht hatte.
Und wie auf einer Postkarte ankern - eines hinter dem anderen - bis zur Flußmitte die herrlichen Kreuzfahrtschiffe! Der Nil glitzert in der Mittagssonne und kleine Wellen schlagen an die Schiffe. Mein Herz klopft, jetzt kann’s losgehen, wir sind genau in der Stimmung, unseren Frauenurlaub in Angriff zu nehmen. Jessica zwickt mich vor Freude in die Seite, auch sie ist vollkommen begeistert!
Ich schreite, wie einst Cleopatra zu ihrer königlichen Barke, mit erhobenem stolzen Kopf die legendären Niltreppen hinunter. Zeit zum Umschauen habe ich nicht, denn es wird uns eben vom Herrn Kalil erklärt, dass wir quer durch alle Kreuzfahrtschiffe laufen müssten, denn unseres sei das Letzte hinten. Wir versuchen über vier aufeinander gelegte Steine, die als Treppe dienen – wobei der krummste und kleinste Stein unbegreiflicher Weise zuunterst liegt – uns auf den ersten Steg hinauf zu hieven. Unsere Koffer werden von Trägern befördert. Und ich fühle schon mal in meiner Hosentasche nach dem nächsten fälligen Bakschisch.
Es wird durch das erste Schiff gerannt, ein kurzer Blick zur Seite links und rechts, komfortabel eingerichtet mit Marmorfliesen und Teakholz, wenn’s denn wirklich welches ist, herrliche Pflanzenkübel in den Ecken, die Eingangshalle hindurch über den nächsten Steg zum zweiten Schiff. Auch dieser schwankende Holzsteg wird bezwungen und wieder ein schneller Blick ins Innere des Schiffsfoyers geworfen, aber wir stürzen schnell auch hier wieder durch die weiter hinten befindliche Tür auf das dritte Trittbrett zum dritten Schiff. Am Ende weiß ich nicht mehr, durch wie viele Schiffe wir gerannt sind. Ich habe nur noch registriert, dass die Zwischenstege sich gefährlich bogen und dass ich um ein Haar beinahe noch auf den nassen glitschigen Holzbohlen mit meinen High Heels in den Nil gerutscht wäre. Breit grinsend entblößte ein freundlicher Ägypter sein stark sanierungsbedürftiges Gebiss, indes er mich wie einen Köter an meinem Blusenkragen vom Bretterboden hochzog. Es gelang mir auch, mich bei ihm zu bedanken.
Am Ende dieser angedockten Schiffe die Erlösung: Ich sehe zwar keinen Reiseleiter, keine weiteren Touristen, aber meinen Koffer mitten in der Empfangshalle des letzten Schiffs! Die dienstbaren Geister sind verschwunden.
Allah sei Dank, wir sind angekommen, und erschöpft falle ich in einen herrlich altmodischen Samtsessel mit Brokatborte und Goldkordel im klimatisierten Bordrestaurant. Als mir dann nach unserem Kurzstreckenlauf durch mehrere Schiffe ein wunderschöner Ägypter mit umwerfendem Lächeln ein Glas Karkadeh-Tee kredenzt, bin ich einfach nur noch froh, dass ich endlich angekommen bin, alle Strapazen der Reise sind vergessen und ich lächle ihn dankbar an.
Die „MEDEA“ – das 5* Sterneschiff!
Ich halte unseren Zimmerschlüssel mit der Nummer 106 in der Hand und Jessica und ich folgen dem freundlichen Kofferboy auf dem Weg in unser Zimmer. Sein breites Lächeln entblößt zwei riesige Zahnlücken in dem braunen Gesicht, und wir trotten hinter ihm her. Als er gleich beim Empfang durch eine Glastür verschwinden will, protestieren wir. Wir erinnern uns an frühere Englischstunden und flöten ihm zu:
„Nein, nein! 106! Das ist sicherlich im 1. Stock, wie in jedem Hotel der Welt! Wir laufen die Treppe hinauf und verzichten auf den Lift.“
Das Blendaxlächeln verschwindet, und es macht sich eine große Leere in dem verständnislosen Gesicht des Trägers breit. Offensichtlich begreift er nicht, was wir meinen. Wir versuchen es mit anderen Worten, aber er legt nur den Kopf schief und versteht weniger als nichts, dann verschwindet er gleichmütig hinter der Glastür neben dem Foyer, natürlich mit unseren Koffern.
„Dass die so gar kein Englisch sprechen, ist eigentlich allerhand!“
Jessica wundert sich, genau wie ich. Nichtsdestotrotz verfolgen wir zielstrebig unser Ziel und steigen ganz locker sportlich, leicht wie Federn, mit dem Handgepäck die wunderschöne geschwungene Freitreppe zum ersten Stock hinauf. Dabei bewundern wir den übergroßen Lüster, der – wie es scheint – vom obersten Stockwerk des Kreuzers bis hinunter in die Eingangshalle reicht. So einen großen Kronleuchter habe ich noch nie gesehen - er blinkt und glitzert wie aus puren Diamanten - mit Sicherheit ist ein Boy den ganzen Tag über damit beschäftigt, ihn zu putzen! An den Wänden um den Treppenaufgang herum sind geschmackvolle Ölzeichnungen angebracht. Dass einige davon schief hängen, macht uns wirklich nichts aus. Toll gemacht ist das hier, denke ich, und fühle mich ausgesprochen wohl. Der Teppichläufer auf der Treppe verschluckt unsere Schritte und ganz ohne Atemnot kommen wir in der ersten Etage an.
„Das gibt’s doch nicht, hier beginnen die Zimmernummern mit 200 und so.“ Jessica sieht die Bescherung vor mir.
„Mensch, fangen die denn von oben an zu zählen, oder wie geht das hier?“
Wir steigen weiter in den zweiten und dritten Stock, je höher wir kommen, umso heißer wird es, nur unsere Zimmernummer 106 lässt sich nicht finden! Kurz vor dem Sonnendeck entdecken wir den Fitnessraum und natürlich – mein Revier – den Juwelier des Kreuzers! Hier bleiben wir erst mal stehen und kleben wie die Fliegen an der Vitrine vor dem Geschäft.
„Schau doch mal diese Ringe, einfach königlich!“
„Und hier die Armreifen mit dem Nilschlüssel, und dort die herrlichen Kartuschen mit den Hieroglyphen!“
„Hier ist ein Diadem, darauf sind sicher nur Brillis verarbeitet und bestimmt unerschwinglich!“
Ich sehe durch die Scheibe, wie sich der Inhaber der Boutique rasch erhebt und seinen dicken Bauch vor sich herschiebend mit größter Freude auf uns zuwalzt. Wir lachen ihn umwerfend charmant an und erklären ihm, dass wir eben erst an Bord gekommen wären und nach dem Abendessen bei ihm vorbeischauen würden.
Bevor wir uns jetzt in ein mittleres Kaufgespräch verwickelt lassen, das sicherlich Stunden dauern würde, kehren wir erst mal lieber wieder um, weil ja – wie gesagt – unser Zimmer offensichtlich nicht hier, sondern sonst wo liegt. Mit ist aber aufgefallen trotz des Juwelenglitzerns, dass es auf diesem Schiff offenbar keinen Lift und demzufolge auch keine Glastür zu einem Lift gibt, also durch was für eine Glastür und vor allem wohin ist dann der Bursche unten hinter dem Empfang mit unseren Koffern verschwunden? Es gibt nur eines: Eie teppichbelegte Freitreppe wieder runter, diesmal nicht mehr ganz so graziös, sondern etwas rascher. Und weil es eine Wendeltreppe ist, wird mir schwindlig, vorbei an dem Kristallkronleuchter, zum zweiten Stock und von da weiter in die erste Etage und von dort in die Ebene Null direkt zum Empfangschef, der uns hinter dem Marmortresen durch seine blank geputzte Brille aufmerksam und verwundert beobachtet. Wir galoppieren wie Pferde die herrliche Treppe herunter und ich verwerfe gerade den Gedanken, mich oben auf das Geländer zu setzen und hinunterzurutschen.
„Sorry, wo bitte ist das Zimmer Nummer 106?“.
„Madame, bitte hier entlang“.
Er grinst und geht uns voraus ebenfalls durch die bewusste Glastür im Erdgeschoß.
„Das gibt’s doch nicht, das ist doch Ebene Null, das kann doch nicht sein!“
Ich schnaufe und habe sicherlich einen hochroten Kopf wie vorm zweiten Schlaganfall, einen trockenen Faden am Leib habe ich auch nicht mehr, und von der Attraktivität einer blonden Europäerin ist sicherlich überhaupt nichts mehr übrig.
„Na klar doch, schau, da vorn steht der Boy mit unseren Koffern und er hat die ganze Zeit auf uns gewartet.“
Jessica hat es vor mir begriffen, tatsächlich unser Zimmer ist in Ebene Null und beginnt mit Einhundert!
„Das ist überhaupt nicht logisch“, fauche ich.
Jedoch ich beherrsche mich und freundlich laufen wir auf den Kofferträger zu. Der Mitarbeiter vom Empfang erhält von uns beiden dankbare Blicke für seine Hilfe. Jessica und ich sehnen uns nach einer frischen Dusche.
„Die denken jetzt sicher, dass wir beide spinnen: Erst laufen wir die Treppen hoch, dann rasen wir wieder runter und müssen noch mal fragen, wo unsere Zimmer sind!“
Genau das werden sie denken, mir ist das auch vollkommen klar. Aber das macht hier wirklich nichts, die Hauptsache, man ist blond. Zur Not genügt eine einzige blonde Strähne im Haar, und es kann einem überhaupt nichts mehr passieren in diesem Land. Es ist eine Freude, wie zuvorkommend man in Blond hier behandelt wird. Zumindest war das vor einigen Jahren noch so.
Unser Zimmer, das ja kein Hotelzimmer, sondern eine Bordkabine ist, wird geöffnet und entpuppt sich als etwas klein und eng, ohne Balkon natürlich, denn es ist ja in Ebene Null, also direkt über der Wasserfläche, und es ist vollkommen zweckmäßig eingerichtet. Wir haben alles, was wir brauchen, auch wenn das Wasser hinter dem Klo etwas steht und bei Schlingerbewegungen durch das gesamte Bad in den Schlafraum schwappt. Auch, wenn die Teppiche in den Ecken so verdreckt sind, das man in ihrer Nähe nicht husten darf, sonst springen die Milben quer durchs Zimmer und auch, wenn der Teppich sich wellt und an manchen Stellen durchgewetzt ist und an anderen sich wiederum wölbt. Das alles übersehe ich, nicht aber Jessica. Sie sieht das sehr wohl und kommentiert entsprechend:
„Also, so was verkaufen die als 5 Sterne-Schiff, das ist eigentlich eine Frechheit!“.
„Komm, verdirb dir jetzt nicht den Urlaub damit, da legen wir eben Handtücher aus und haben so ein trockenes Bad.“
„Was anderes bleibt uns gar nicht übrig, aber wie ich gesehen habe, gibt es noch keine Handtücher bei uns! Ich werde meinen Koffer jetzt auspacken und meine nagelneuen Handtücher im Bad ausbreiten und damit die Nässe auffangen.“
Jessica wuchtet ihren Koffer hoch und fängt an, auszupacken.
Das Erste, was ich sehe und auch erklärt bekomme, ist ein Reisebügeleisen, besser gesagt, eine Reise-Dampf-Station. Nun ist das ja nichts Ungewöhnliches, jedoch...
„Das ist ein ganz Neues, es ist nämlich kabellos.“
Und triumphierend zieht sie ihre Neuerwerbung aus dem Koffer. Mir friert das freundliche Gesicht ein und ich staune nicht schlecht: Es ist größer als ein normales Bügeleisen, hat eine Stellfläche, die auch nicht gerade klein ist, und schwupps, hat meine Kajütenmitbewohnerin dieses Ungetüm auf dem als Schreibtisch dienenden, hübsch geschnitzten Tisch, vor dem großen Spiegel aufgebaut und auch schon angeschlossen! Was soll das denn jetzt werden, denke ich mir. Ich glaub es nicht, was ich nun sehe, aber es ist so: Jessica fängt an, zu bügeln. Im Nu verwandelt sie ihr Bett in einen Bügeltisch und im Handumdrehen sind alle Blazer, Blüschen, Hemdblusen, Röcke und sonstige zu bügelnde Garderobe im Zimmer verteilt (mein Bett inklusive) und meine Jessica versinkt mit verträumtem Gesicht im Bügeln.
„Du machst jetzt nicht wirklich das, was ich sehe?“, frage ich sie.
Es ist oben auf dem Sonnendeck Hochbetrieb. Wir haben es noch nicht mal gesehen, geschweige dessen, haben wir einen einzigen Blick auf das nächste Ufer geworfen.
„Wir haben noch nicht geduscht, noch nichts weggeräumt und du b ü g e l s t jetzt?“
Mein Gesicht ist ein einziges Fragezeichen.
„Na klar!“, meint meine Freundin ganz gelassen.
„Oder glaubst du, ich hänge die ganzen Baumwollsachen ungebügelt in diesen Schrank?“
Ich fasse es nicht und räume schweigend meinen Koffer weiter aus, allerdings verkneife ich mir einen Kommentar. Kann es aber dann doch nicht lassen:
„O.k. meine Liebe, ich für meinen Teil räume jetzt ganz schnell meinen Krusch hier weg, dusche, und dann geh ich an Deck, such mir einen schönen Platz unter dem Sonnensegel und beschau mir die Gegend Kaffee trinkender Weise!“
Ich denke, das wird sie überzeugen.
Nun, ich habe mich eben geirrt, ungeachtet meiner gestressten Worte bügelt sie in Seelenruhe weiter, ihr Gesicht ist verklärt wie das einer amerikanischen Hausfrau in der Werbung für einen Bügelzusatz und sie summt leise vor sich hin.
Ich ziehe jetzt mein Programm durch und eine halbe Stunde später stehe ich erfrischt und umgekleidet in der Kabinentür und rufe meiner Jessica zu: „Bis später, ich bin an Deck!“, und verschwinde.
Ich kann es nicht fassen, ich werde es nie begreifen, aber ich bin wohl auch ein bisschen anders. Jessica ist die perfekte Hausfrau, und ich bin das eben nicht. Mein Sommerparfum zieht hinter mir die Wendeltreppe hoch und zart auftretend schwebe ich erneut die Stufen in den vierten Stock empor. Als ich die Tür zum Sonnendeck öffne, schlägt mir die Hitze wie eine Keule entgegen, dass ich stehen bleiben muss. Gewaltig, denke ich mir, aber da muss ich jetzt durch. Es ist ganz und gar wüstenheiß da oben, aber es weht ein Lüftchen, ein laues zwar, aber immerhin. Das bastbedeckte Sonnendach ist ideal, die Rattantische und –sessel wunderbar bequem und ich lasse mich aufseufzend an einem freien Tisch direkt an der Reling nieder.
Ich bin jetzt seit 11 Stunden unterwegs und habe seit 45½ Stunden nicht geschlafen. Dafür bin ich aber noch ganz fit, wie ich meine. Die Müdigkeit kommt mit Sicherheit am nächsten Tag. Gott sei Dank werden wir da Ruhe haben. Das Programm wird vom Reiseleiter ganz sicherlich so gestaltet, dass wir uns ausschlafen können und dann erst ins Tal der Könige fahren werden. Mit Sicherheit, so wird es werden.
Ich entspanne mich und trinke Wasser und Kaffee. Herrlich, wie gut es mir geht! Hier bleibe ich bis zum Abendessen und kein Mensch kriegt mich die nächsten Stunden hier wieder weg. Am Swimmingpool toben junge Leute, die Liegen sind alle belegt, Urlaubsstimmung weit und breit. Hier lässt es sich wirklich leben - ideal ist das.
Die Stunden vergehen und ich träume vor mich hin, ein bissel Farbe hab’ ich schon bekommen und in dem Moment, als ich mich erhebe und nach unten in die Kajüte will, taucht meine Jessica außer Puste auf der Treppe zum Sonnendeck auf. Sie ist erschöpft und genervt, aber sie berichtet schon beim Näherkommen:
„Ich hab jetzt alles gebügelt, Ordnung geschaffen und sauber gemacht.“
„Schön“, meine ich, „ich geh jetzt runter und mach mich fertig fürs Abendessen.“ Ich verziehe mich nach unten.
In der Kabine ist die totale Ordnung, man sieht, Jessica hat Struktur, allerdings ist jeder Platz ausgefüllt mit netten kleinen Accessoires meiner Begleiterin. Vielleicht finde ich ja doch noch ein Plätzchen für meine Kosmetika im Bad. Irgendwie scheint mir, dass die Kajüte nun noch enger und voller geworden ist. Aber das wird mich auf keinen Fall stören, denn ich will, dass es mir hier gefällt und über Kleinigkeiten sehe ich weg. Jessica ist sehr großzügig mit meiner Raucherei umgegangen, sie ist feinfühlig genug, dass sie gemerkt hat, wo meine Grenze ist. Ich darf sogar ein wenig in der Kabine rauchen, weil die Klimaanlage so wunderbar funktioniert. Das Fenster zum Fluss können wir eh nicht öffnen, weil wir sonst alle Stechmückenvölker des Nils im Zimmer hätten.
Ich richte mich her und ziehe mich wieder mal um, und ein kleines fernes Glöckchen signalisiert mir, dass es was zu essen gibt. Und eben, wie ich unseren Raum verlasse, kommt Jessica um die Ecke gefegt:
„Ich mach mich nur schnell ein bissel frisch und wir treffen uns unten im Bordrestaurant.“
Freundlich lächle ich sie an. Wir haben das perfekte timing, aber es ist Urlaub, und mich stört nichts. Als wir komplett sind, wird uns ein runder, großer Tisch mit einer Eckbank und zwei Stühlen zugewiesen, an dem noch vier andere Damen sitzen werden. Eine Mutter mit ihrer erwachsenen Tochter nimmt bei uns Platz, wobei sich die Mama schon mal über irgendwas beim Oberkellner beschwert. Das kann ja heiter werden mit ihr am Tisch, flüstern wir uns zu. Die beiden Plätze auf der hohen Bank lassen wir frei. Das ist Absicht, denn Keiner möchte dort sitzen, weil kaum ein Platz als Einstieg ist. Es stehen so viele Tische in diesem Restaurant, so dass eine gewisse Freifläche hier Mangelware ist. Und richtig, zwei jüngere Frauen so um die 30 kommen an den Tisch und interessiert verfolgen wir, wie die auf die Samt-Hoch-Sitzbank kommen wollen. Sportlich muss man sein, wenn man sie erklimmen will, und direkt davor ist das Tischbein. Beide sind eher klein und zierlich, sie müssen springen und die Beine hochheben, um das Tischbein zu umrunden, wenn sie auf die Plätze kommen wollen. Sie haben beide enge, lange Röcke an und es macht sich ausgezeichnet, mit dieser Bekleidung solche Verrenkungen auszuführen.
Des Weiteren gibt es hier ein langes Buffet mit den herrlichsten Speisen, so dass man auch noch mehrfach aufstehen muss, um sich selbst zu bedienen! Die Getränke werden an den Tisch gebracht.
Diese sportlichen Übungen der netzbestrumpften beiden Damen tragen dermaßen zur allgemeinen Erheiterung bei, so dass der Mutter an unserem Tisch sogar ein Lächeln entfleucht. Ich kann mich vor Lachen kaum noch halten, Jessica gluckst und dann geht’s los. Eine einzige Lachsalve und ein Riesengekicher übertönen alle Gespräche in dem großen Saal. Nun ist auch der Letzte der Anwesenden auf unseren Tisch aufmerksam geworden und Jeder blickt gespannt, wie sich eine von den Damen an dem Tischbein mit dem hochhackigen Schuh verhakt hat, der Rock ist inzwischen bis zur absoluten Grenze hoch gerutscht, das Bein hängt in der Luft über dem Tisch dicht neben den Gläsern und jeder zerrt an der armen Frau herum, damit wir sie um die Tischecke kriegen. Entsprechende Kommentare und Hilfsangebote von den Nachbartischen kommen bei uns an und so ergibt es sich, dass eine laute Lachsalve die andere jagt. Die Ober haben sich sprachlos in einer Reihe vor unserem Tisch aufgebaut und bestaunen fassungslos, was sich hier abspielt. So was haben sie noch nicht gesehen. Ein solch ausgelassener Frauentisch war offenbar noch nie in diesen vornehmen Hallen beisammen gewesen!
Und genauso bleibt die spaßige Runde. Wir kichern und albern Alle über die kleinste Kleinigkeit an diesem Abend. Ein guter Anfang, wie sich herausstellt, die Kellner beginnen an dem lustigen Gedöns teilzunehmen. Und wieder geht das Gelächter los. Wir sind einfach hysterisch und manisch, schlichtweg überreizt, und es wird über den kleinsten Witz gelacht. Das Essen hier ist fantastisch und wir futtern alle mehr, als wir vertragen und hängen am Ende nur noch in unseren Samtstühlen bzw. auf der Samteckbank herum. Bei den verschiedenen Gängen zum Buffet werden noch mehrfach diverse Beine sichtbar, die alle um das Tischbein müssen. Die Kellner, nebst Oberkellner, kommen hierbei eindeutig auf ihre Kosten!
Es ist nun eine ausgemachte Sache, ob wir wollen oder nicht, wir sind der Mittelpunkt des Restaurants. Spätestens jetzt kennt uns jeder und lacht mit uns und die Frotzeleien quer über die Tische nehmen ihren Lauf.
Alle Restaurantmitarbeiter haben an diesem Abend nur um unseren Tisch herum zu tun. Ständig werden neben uns die Krümel mit Servietten weggeputzt, die Gläser gefüllt, Teller abgeräumt und Stühle zurechtgerückt. Dabei erhofften sich die Kellner mit Sicherheit nur weitere Blicke auf Netzstrümpfe. So was kriegen sie zu Hause sicher selten zu sehen!
Am Ende dieses herrlichen Mahls wird mir höchstpersönlich vom Oberkellner ein Teller mit erlesenen Früchten und Gebäck kredenzt. Er hält eine charmante Rede an die „fröhlichen Damen“ und er hoffe auch im Namen seiner Mitarbeiter, dass wir uns weiter so wohl fühlen werden wie an diesem ersten Abend. Beim Gehen läuft er wie „zufällig“ neben mir und fragt nach meinem Namen, meinem Wohnort und nach der Zimmernummer. In meiner manischen Stimmung teile ich ihm ernsthaft mit:
„Ich heiße Laura-Berta und komme aus Wurzelhausen.“
Die Zimmernummer lasse ich selbstverständlich weg. Er bedankt sich und wünscht mir einen schönen Abend. Mein Gesicht ist nun dunkelblau-violett und es ist kein Wunder, wenn wieder vor Lachen gebrüllt wird!
Nachdem wir - begleitet von unseren neuen Fans - uns endlich aus dem Speiserestaurant hinaus gedreht haben, gelangen wir in das Foyer, wo unser Reiseleiter auf uns wartet. Er hockt gemütlich in einem der tiefen, braunen Ledersessel unmittelbar vor der Klimaanlage und pafft genüsslich eine Zigarre. Neben ihm sitzt ein anderer Ägypter, der Tee schlürft. Wir gruppieren uns um die Herren und warten auf die Infos für den morgigen Tag.
Zunächst einmal lässt uns Kalil, der Bus-Reiseleiter, wissen, dass wir nun in kleine Gruppen á 10-12 Personen aufgeteilt werden, die ab morgen zu den Sehenswürdigkeiten auf unserer Kreuzfahrt zwar gemeinsam, jedoch mit eigenem separatem Reiseleiter, geführt werden. Unser Tisch erfährt, dass der neue Reiseleiter eben jener Tee trinkende Ägypter ist. Ich nehme ihn näher in Augenschein und konstatiere schnell: Sympathisch, sieht intelligent aus, untersetzte, aber durchtrainierte Figur, Alter um die 40 Jahre, wenn man zugrunde legt, dass die Araber schneller altern als die Europäer. Ich lasse mich überraschen. Als die Rede des „alten“ Reiseleiters und die Übergabe an den „Neuen“ beendet ist, übernimmt dieser die Konversation. Er spricht ein beinahe perfektes Deutsch mit den ganz typischen Dialekteigenheiten eines Ägypters.
Ich erinnere mich an die Aussprache meines Ex-Schwagers, der ja auch Ägypter ist, der in Deutschland studiert hat, meine kleine Schwester im zarten Alter von 18 Jahren mit nach Kairo nahm, dort 19 Jahre mit ihr lebte, anschließend gemeinsam mit der Familie wieder nach Deutschland ging, nur wenige Monate blieb, um meine Schwester mit den beiden kleinen Jungs urplötzlich zu verlassen und in seiner Heimat auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Das ist die Kurzfassung einer Tragödie, nämlich die meiner jüngeren Schwester.
Aber zurück zur Kreuzfahrt: Indes erklärt uns der neue Guide mit dem unaussprechlichen Namen, dass der morgige Tag für unsere Gruppe sehr früh beginnen würde. Man würde um 5:00 Uhr geweckt werden (ich habe kurzzeitig das Gefühl, als trete mir jemand von hinten in die Knie), unbedingt solle man heute Abend nach der Besichtigung des Tempels von Luxor nicht in der Bar versacken (er sagt es tatsächlich fehlerfrei), sondern früh zu Bett gehen (wenn man 23:00 Uhr als „früh“ bezeichnen möchte). Das ist nun allerdings nicht die Form des Ausschlafens, wie ich sie mir am Nachmittag auf dem Sonnendeck vor mich hindösend vorgestellt hatte! Ich erfahre nun auch sehr schnell, dass ich nicht zur Erholung hier bin, sondern um exakt nach Zeitplan meine Termine hinsichtlich der Besichtigung aller Sehenswürdigkeiten am Nil zu absolvieren! Niemals im Leben bin ich davon ausgegangen, dass in Ägypten von Einhalten eines Zeitplans die Rede sein könnte!
Wie provozierte mich mein Ex-Schwager immer, indem er listig lächelnd auf der bequemen Couch in seinem Wohnzimmer lag, mich von unten musterte und unschuldig fragte:
„Was ist eigentlich Zeit, Petra?“
Ich werde nun eines Besseren belehrt, die Orientalen haben unbedingt hinzugelernt, Zeit ist dazu da, um sie einzuhalten. Das gibt es nicht, ich bin in einem anderen Ägypten gelandet, als ich es bisher kannte! Minutiös wird vom „unaussprechlichen Namen“ die zeitliche Abfolge des morgigen Programms bekanntgegeben. Da wir in Luxor unsere Kreuzfahrt beginnen, werden uns also morgen das „Tal der Könige“, der Hatschepsut-Tempel im Tal der Königinnen, Karnak sowie das Ramesseum und auch noch Medinet Habu, der Totentempel Ramses II., geboten.
Ein Programm, das mich umwirft.
Das werde ich nicht überleben, ganz gewiss nicht, nie im Leben schaffe ich das alles an einem einzigen Tag.
Der Veranstalter ist verrückt geworden!
Ich fange an, mich innerlich aufzuregen.