No Sweeter Love - Olivia Miles - E-Book

No Sweeter Love E-Book

Olivia Miles

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kann aus Freundschaft Liebe werden?

Claire Wells ist am Boden zerstört. Nachdem ihr Verlobter mit ihr Schluss gemacht hat, steht sie auch noch ohne Wohnung und ohne Job da. Zum Glück gibt es Ethan: Ihr - sehr attraktiver und als Frauenheld bekannter - bester Freund ist immer für sie da. Um sie abzulenken, lädt er sie auf die Hochzeit seiner Schwester ein. Was Claire nicht weiß: Ethan hat seiner Familie erzählt, dass er seine feste Freundin mitbringt. Um ihm zu helfen, lässt Claire sich auf das Spiel ein. Doch je länger sie vorgibt, Ethan zu lieben, desto deutlicher spürt Claire, dass sie tatsächlich mehr als nur Freundschaft für ihn empfindet. Aber kann sie es wagen, Ethan ihre Gefühle zu gestehen, oder wird sie damit ihre Freundschaft für immer zerstören?

"Ich konnte das Buch nicht weglegen!" GOODREADS

Band 3 der SWEET-Reihe


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 285

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

Epilog

Leseprobe

Die Autorin

Die Romane von Olivia Miles bei LYX

Impressum

OLIVIA MILES

No Sweeter Love

Roman

Ins Deutsche übertragen von Yvonne Eglinger

Zu diesem Buch

Claire Wells macht gerade eine schwere Zeit durch. Nachdem ihr Freund Matt sie verlassen hat, steht sie ohne Job, ohne Wohnung und mit gebrochenem Herzen da. Als sie dann auch noch erfährt, dass er seiner neuen Freundin einen Antrag machen will, ist sie endgültig am Boden zerstört. Sie kommt bei ihrer Cousine Hailey in Chicago unter und flüchtet sich zu dem einzigen Mann, auf den sie sich noch verlassen kann: Ihr – sehr attraktiver – bester Freund Ethan ist immer für sie da. Um sie abzulenken, lädt er sie auf die Hochzeit seiner Schwester ein. Was Claire nicht weiß: Ethans Familie denkt, dass der Frauenheld endlich mal eine feste Freundin mitbringt. Um ihm zu helfen, lässt Claire sich auf das Spiel ein. Doch je länger die beiden vorgeben, ein glückliches Paar zu sein, desto drängender stellt sich die Frage, was genau das zwischen ihnen eigentlich ist: Ist es noch Freundschaft oder schon Liebe? Obwohl Claire spürt, dass da so viel mehr zwischen ihnen sein könnte, zögert sie, Ethan ihre Gefühle zu gestehen. Denn dieser ist eigentlich kein Mann für eine feste Beziehung und Claire keine Frau für nur eine Nacht.

1

Die Sonne schien gleißend durch die breiten Glastüren, die auf den geschäftigen, von Tulpen gesäumten Bürgersteig der berühmten Chicagoer Michigan Avenue hinausgingen, warf Schatten auf den edlen hellgrünen Teppich und fiel genau im richtigen Winkel auf die perfekt geschliffenen Diamanten, sodass sie funkelten und in ihren Vitrinen geradezu zum Leben zu erwachen schienen. Aus dem Hintergrund drang dezente Klaviermusik in den Verkaufsraum, gut gekleidete Frauen hielten Ringe und Armbänder bewundernd eine Armeslänge von sich, und Männer runzelten beim Blick auf ihre Erwerbungen nachdenklich die Stirn. Gespräche wurden kaum lauter als im Flüsterton geführt, das Personal war in geduldiger, sanfter Überredungskunst geschult, und die Kunden sinnierten nur zu gern ausführlich über ihre Entscheidungen. Es war eine angenehme, elegante Atmosphäre, mit viel Sorgfalt erschaffen; ein Ort, an dem Wünsche geweckt und Träume wahr wurden.

So hatte man es ihr jedenfalls gesagt, als sie vergangene Woche zum Bewerbungsgespräch erschienen war.

Claire Wells strich sich den grauen, leicht ausgestellten Rock glatt und bemühte sich um einen entspannten Gesichtsausdruck. Sie brauchte gar nicht in einen der vielen Ladenspiegel mit Silberrahmen zu schauen, um zu wissen, dass sich schon wieder diese Falte zwischen ihren Brauen gebildet hatte und dass sie, bekäme sie ihre Mimik nicht bald in den Griff, wohl in irgendeine teure Anti-Falten-Creme investieren müsste – und das bei ihrem immer weiter schrumpfenden Sparkonto.

Sie dachte zu viel nach. Machte sich zu viele Sorgen. In Wahrheit tat sie sich schon wieder selbst leid, dabei hatte sie sich geschworen, damit aufzuhören. Immerhin ging es wieder aufwärts: Sie hatte einen neuen Job, auch wenn er deutlich uninteressanter war als ihre vorige Stelle im Auktionshaus. Dennoch sah sie ihn als einen Schritt in die richtige Richtung. Schon bald würde sie sich wieder eine eigene Wohnung leisten können, mit einem richtigen Bett. Sie lächelte, wenn sie an einen endgültigen Abschied von dem unbequemen, alten Sofa ihrer Cousine dachte.

Claire wusste, dass sie sich beschäftigt zeigen musste, wenn sie gerade keine Kunden betreute, zog ein Schlüsselchen hervor und öffnete die Vitrine mit den Verlobungsringen, um eine Auslage zu richten. Sie bemühte sich, den Blick nicht zu lange auf einem ganz bestimmten erlesenen Solitär mit Brillantschliff ruhen zu lassen, der in einer Pavé-Fassung saß – aber zu spät. Ein kurzes Blinzeln auf den Ring war genug, und sie verspürte diesen scharfen Stich, wie so oft völlig unerwartet, mitten ins Herz und erinnerte sich an all das, was sie beinahe besessen und auf unerklärliche Weise verloren hatte.

Schnell schloss sie die Vitrine wieder ab und richtete sich auf, straffte die Schultern und blickte durch die Glastüren auf den geschäftigen Gehsteig, wo das Gedränge immer dichter wurde. Der Feierabend rückte näher, und Einkäufer eilten mit schwingenden Papiertüten vorbei, die Augen hinter dunklen Sonnenbrillen verborgen. Claires Füße schmerzten vom stundenlangen Stehen in ihren hochhackigen Schuhen – sie hatte es nicht einmal gewagt, eine Mittagspause einzulegen. Jetzt, noch ganz zu Anfang ihres neuen Jobs, hätte es sich unpassend und allzu anmaßend angefühlt. Doch nun begann ihr Magen immer lauter zu knurren, ihr Mund war ziemlich trocken, und sie hatte Kreuzschmerzen von den vielen Nächten auf diesem Schlafsofa – und ihre Füße erst! Claire warf einen schnellen Blick zu ihrem Chef hinüber, einem tadellos gekleideten, mittelalten Mann namens Louis, der soeben eine weißhaarige Frau mit einem ebenso weißhaarigen, wuscheligen, kleinen Hund in einer Designer-Handtasche beriet, bückte sich rasch und schob den steifen Pumps von ihrer Ferse. Sie schloss die Augen und seufzte angesichts der kurzfristigen Entlastung, doch dann zuckte sie auch schon zusammen, als sie hörte, wie ihr Name sanft und mit starkem französischen Akzent gerufen wurde.

»Claire? Könnten Sie bitte diesem Herrn hier behilflich sein?« Louis’ Kiefer mahlten, und er sah sie aus dunklen Augen unverwandt an. Es war weniger eine Bitte als ein Befehl.

Claire setzte ihr freundlichstes Lächeln auf, während sie den Fuß rasch zurück in den unbequemen Schuh gleiten ließ, verzog vor Schmerz das Gesicht und sah sich dann im Geschäft um, auf der Suche nach ihrem nächsten Kunden. Endlich entdeckte sie den Mann, der bereits auf sie zukam und dessen Lächeln mit jedem Schritt schwand.

Claire sah ihm ungläubig entgegen, ihr stockte der Atem, und sie sagte sich, dass er es unmöglich sein konnte – er hatte gesagt, er sei weggezogen –, dass er gar keinen Grund habe, so bald wieder zurückzukommen, es sei denn …

Der Schreck in seinen Augen stand dem ihren in nichts nach, und sie bemerkte, wie er schluckte, während er auf die Ladentheke zuschritt. Für einen kurzen, erbärmlichen Moment bildete sie sich ein, dass er eventuell nach ihr gesucht hatte, dass er sich vielleicht bei ihr entschuldigen wollte, aber dann erinnerte sie sich daran, dass dies erst ihr dritter Tag im Laden war, und von Matt hatte sie nichts mehr gehört, seit er ihr vor drei Monaten das Herz gebrochen hatte.

Oder besser gesagt: vor exakt drei Monaten, vierzehn Tagen und etwa sieben Stunden.

»Tja, das ist ja eine Überraschung«, sagte er angespannt.

Claire zog eine Braue hoch und sah ihm geradewegs in die Augen. »Allerdings. Ich dachte, du seist nach Kalifornien gezogen.« Sie beide hatten sich dort eine wunderschöne Wohnung ausgesucht, nur wenige Minuten Fahrt vom Strand entfernt. Sie hatte die Wände in einem hellen Blaugrau streichen wollen, passend zum Meer. Sie wären dort so glücklich geworden … Hatte sie zumindest geglaubt.

Claire legte den Kopf schief und bemühte sich um eine kühle Miene, auch wenn ihr das Herz bis zum Hals schlug, die Luft sich warm und zäh anfühlte und sie sich der Schweißperlen bewusst war, die sich gerade auf ihrer Stirn bildeten.

»Planänderung.« Er zuckte die Achseln, sonst nichts.

Claire klammerte sich an der Ladentheke fest. »Planänderung?«, wiederholte sie und funkelte ihn an. Sie hatte für diesen Plan ihr Leben aufgegeben: ihren fantastischen Job geschmissen, kurz bevor sie endlich befördert worden wäre, ihr sonniges Apartment untervermietet, ihre Möbel verkauft. Und dabei hatte er anscheinend niemals beabsichtigt, den Plan auch wirklich durchzuziehen. Nicht mit ihr. Offenbar überhaupt nicht.

»Ich habe mich entschlossen, doch in Chicago zu bleiben.« Sein Grinsen wirkte eine Spur verlegen, was Claire unter anderen Umständen entweder liebenswert oder nervenaufreibend gefunden hätte, aber daran durfte sie jetzt gar nicht denken. Im Grunde konnte sie sowieso nur an eines denken: dass er tatsächlich die ganze Zeit in der Stadt gewesen war, all die Monate über. Und er hatte sich nie bei ihr gemeldet. Niemals angerufen. Nie geschrieben. Nie versucht, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen.

»Wieso hast du deine Meinung geändert?«, fragte sie und schluckte. Sie selbst war nicht der Grund dafür, so viel war klar.

Matt schob energisch die Hände in die Hosentaschen, schielte zu einer der Schmuckvitrinen hinüber und lief rot an. Claire spürte einen Stich im Herzen. Natürlich, begriff sie mit einem Mal: Er hatte eine andere kennengelernt. Eine Frau, mit der er zusammen sein wollte. Eine Frau, für die sich das Bleiben lohnte. Für sich selbst hatte er neue Pläne geschmiedet, indem er ihre gemeinsamen über Bord warf.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Louis sie finster ansah. Sie hob das Kinn und atmete einmal tief ein, doch beim Ausatmen zitterte sie.

»Gut, was kann ich für dich tun?«, brachte sie hervor.

Matt zögerte einen Augenblick und fragte dann: »Warum arbeitest du hier?«

Claire schenkte ihm ein eisiges Lächeln. Er hatte keine Ahnung, wusste nicht, wie viel Schmerz er ihr zugefügt, wie viel Schaden er verursacht, wie viele Träume er zerstört hatte. »Ich hab gekündigt, um nach San Diego zu ziehen«, erinnerte sie ihn.

Tränen brannten ihr in den Augen, und sie blinzelte rasch. Das hier sollte die erste Woche vom Rest ihres Lebens sein – zumindest hatte es ihre Cousine Hailey so ausgedrückt, als Claire ohne große Begeisterung die neue Stelle angenommen hatte, mit hängenden Schultern. Und dann hatten sie und Hailey in dem vergeblichen Versuch, Feierlaune herzustellen, eine gekühlte Flasche Chardonnay geköpft.

Die erste Woche vom Rest ihres Lebens. Ihres neuen Lebens. Dem Leben ohne Matt.

Und nun stand er hier, trotz allem.

»Ich dachte irgendwie, du könntest dorthin zurück …« Er legte die Stirn in Falten.

Sie zwang sich, ihn nicht allzu böse anzustarren, nur für den Fall, dass Louis sie weiterhin beobachtete. »Was kann ich für dich tun?«, fragte sie noch einmal und räusperte sich, um anzuzeigen, dass ihre Privatunterhaltung hiermit beendet war.

»Ich will nur was abholen. Ich habe einen Anruf bekommen, dass es heute fertig ist.«

Claire nickte. Nichts leichter als das. Alle Bestellungen wurden verpackt und beschriftet im untersten Regalfach der Bestelltheke aufbewahrt. Wortlos ging sie hinüber, doch auf dem weichen Teppichboden zitterten ihr die Knie. Es waren bloß drei Schachteln zur Abholung da. Sie fragte sich, was sie wohl getan hätte, wäre Matts Schachtel ihr durch Zufall schon früher in die Hände gefallen. Sein Name stand auf dem Deckel, ein klarer Schriftzug auf strahlend weißem Grund. Sie blickte kurz die vertraute Buchstabenfolge an, dann umklammerte sie die Schachtel fester. Je früher sie ihm seinen Einkauf übergab, desto früher würde er den Laden wieder verlassen. Und dann konnte sie zu ihrem neuen Leben zurückkehren, daran arbeiten, ihn wieder zu vergessen.

Allerdings hatte sie den leisen Verdacht, dass ihr das auch diesmal nicht leichtfallen würde.

»Bitte sehr«, sagte sie und schob ihm die Schachtel über die Glastheke.

Er griff in die Tasche und zog sein Portemonnaie hervor, doch sie stoppte ihn. Für solche Situationen gab es im Laden klare Vorschriften, und sie würde den Vorgang nicht beschleunigen, nur um sich eine weitere Kränkung zu ersparen.

»Sieh dir den Artikel bitte erst an, um sicherzugehen, dass er deinen Vorstellungen entspricht.«

Er zögerte und legte das Portemonnaie auf die Theke. Es war ihr Weihnachtsgeschenk an ihn aus dem Vorjahr, und sie war zugleich gerührt und irritiert, dass er es immer noch benutzte. Bis ihr aufging, dass er einfach pragmatisch war und nicht etwa sentimental. Schließlich war sie diejenige, die über die Trennung nicht hinwegkam. Er dagegen hatte das alles längst hinter sich gelassen.

Das Portemonnaie war aus feinem italienischem Leder. Claire hatte vier verschiedene Kaufhäuser abgeklappert, um genau das richtige für ihn zu finden. Sie verspürte den kindischen Drang, es von ihm zurückzufordern.

Doch dann riss sie ihre Gedanken von diesen letzten gemeinsamen Feiertagen los und musterte stattdessen die Schachtel auf der Theke. Nächsten Monat hatte Matts Mutter Geburtstag. Es sah ihm zwar nicht ähnlich, sich so früh um Geschenke zu kümmern, aber was wusste sie schon? Der Mann war ein einziges Rätsel, so kam es ihr zumindest mittlerweile vor.

Die Schachtel hatte die kleinste Standardgröße. Höchstwahrscheinlich Ohrringe, überlegte sie. Ihr fiel wieder ein, dass Matts Mutter in diesem Jahr sechzig wurde. Sie hatten darüber gesprochen, für die Feier zurück nach Chicago zu fahren …

Claire biss die Zähne zusammen und hoffte, eine kurze, höfliche Bemerkung zu seiner Wahl machen und den Kaufvorgang schnell abschließen zu können, doch als sie den diamantbesetzten Verlobungsring erblickte, der mustergültig auf seinem Satinpolster thronte, spürte sie, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich.

Einen verrückten Augenblick lang dachte sie, es sei alles ein abgekartetes Spiel, ein dramatisch-romantischer Auftritt, bei dem er gleich auf die Knie fallen und ihr gestehen würde, dass er sie vermisst hatte, dass er sich keinen weiteren Tag ohne sie vorstellen konnte. Dass er seine Meinung geändert hatte …

Doch dann erinnerte sie sich daran, dass er seine Meinung ja bereits zuvor geändert hatte und es sicher nicht noch einmal tun würde. Das hatte er mehr als deutlich gemacht, an dem Tag, als die Umzugswagen gekommen waren, um die paar Habseligkeiten abzuholen, die sie noch nicht für ihr neues Leben verkauft hatte – ihr Leben mit ihm, in Kalifornien.

»Du heiratest?«, rief sie aus und zerriss die wohlkalkulierte Stille im Juweliergeschäft.

Aus dem Augenwinkel fing sie Louis’ grimmigen Blick auf, aber es war ihr egal. Ihre Wangen waren feuerrot, ihr Herz raste, und einen seltsamen Moment lang fühlte sie sich, als müsste sie sich gleich übergeben oder umkippen.

»Ich kann das erklären«, sagte er vorsichtig.

»Wir haben uns erst vor drei Monaten getrennt!«

Jetzt murmelte Louis der Dame mit dem Pudel etwas zu und kam mit bedrohlichem Stirnrunzeln geradewegs zu ihnen herüber.

»Bei Ihnen alles in Ordnung?«, fragte er und schenkte Matt einen sanftmütigen Blick.

»Es ist alles gut«, meinte Claire rasch und schluckte. Panisch spürte sie, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.

Louis beugte sich vor, um den Ring zu bewundern. »Eine hervorragende Wahl, Sir. Und herzlichen Glückwunsch.« Dann wandte er sich mit eiskaltem Blick Claire zu. »Miss Wells«, sagte er bloß, nickte und eilte an ihr vorüber.

Claire griff nach dem Zettelchen, das in der Schachtel steckte, und ging zur Kasse am anderen Ende der Theke.

Matt folgte ihr an der gläsernen Auslage entlang und beteuerte aufgeregt: »Claire, ich kann das erklären. Du weißt doch, dass ich in einer festen Beziehung war, bevor wir uns kennengelernt haben, und … also, die Wahrheit ist, dass ich immer noch in sie verliebt war.«

Immer noch in sie verliebt? Claires Umgebung verschwamm vor ihren Augen. Sie presste die Finger gegen die Schläfen und blinzelte auf den Bildschirm des Computers hinunter, von dem sie nicht einmal mehr sicher war, ob sie ihn noch bedienen konnte.

»Claire?« Matts Stimme war leise, drängend, aber ihre Aufmerksamkeit galt jetzt der Kasse, der Zahlungsinformation und dem glasklaren Beweis, wie sehr er diese Frau liebte, für die er sie verlassen hatte. Der Kaufbetrag war astronomisch hoch. Aus irgendeinem Grund erschütterte sie das, obwohl sie den Wert der Waren im Geschäft eigentlich sehr genau kannte. Sie dachte daran, wie Matt sich beim Preis des mit weißem Stoff bezogenen Sofas angestellt hatte, das sie für ihr neues Leben an der kalifornischen Küste ausgesucht hatte.

»Ich glaube, zwischen uns gibt es nichts mehr zu besprechen«, sagte sie, ohne ihm in die Augen zu sehen. Sie starrte seine Hände an, dieselben Hände, die sie einst gehalten hatte, ihre Finger mit seinen verschränkt. Sie waren zugleich rau und glatt. Warm. Vertraut. Jetzt hielt sie jemand anderes.

Endlich schob er ihr seine Kreditkarte zu. Sie druckte die Rechnung aus und legte sie mit einem der schweren, edlen Kugelschreiber vor ihn hin, bat wortlos um seine Unterschrift. Der Kloß in ihrem Hals machte ihr das Sprechen unmöglich. Außerdem: Was blieb ihr noch groß zu sagen?

Matt steckte die kleine Schachtel seufzend ein. »Dann hoffe ich mal, dass die Dinge für dich wieder in Ordnung kommen, Claire.«

Sie presste die Lippen zusammen und warf ihm einen kühlen Blick zu. »Wie sie für dich wieder in Ordnung gekommen sind, meinst du?«

Er lächelte traurig und wandte sich dann zum allerletzten Mal von ihr ab. Sie blickte ihm nach, wie er den Laden verließ, bis er draußen auf dem Bürgersteig in der Menge verschwand. Er trug das blaue Nadelstreifenhemd, das er letzten Dezember mit ihr zusammen beim Winterschlussverkauf ausgesucht hatte. Daran erinnerte er sich wahrscheinlich gar nicht mehr. Wahrscheinlich war es ihm auch egal.

Aber ihr war das alles nicht egal gewesen. Und als sie die Tränen nicht länger zurückhalten konnte und ein Schluchzer aus ihr hervorbrach, wusste sie mit schrecklicher Gewissheit, dass es ihr auch jetzt noch nicht egal war.

***

Geduldig lauschte Ethan Parker der Frauenstimme, die unablässig Vorwürfe direkt in sein Ohr brüllte und die Lautstärke immer weiter erhöhte, je mehr Emotionen hochkochten. Im Stillen flehte er, dass Marla, anders als die Frau, die er letzte Woche enttäuscht hatte, nicht ebenfalls in Tränen ausbrechen oder mit der Forderung »Wir müssen reden« unangekündigt in seinem Büro auftauchen würde. Für die Jungs von der Sportredaktion war das ein wahres Fest gewesen, und ihre schon etwas ältere Empfangsdame würdigte ihn seither keines Blickes mehr.

»Du weißt selbst, was du bist, oder?«, zischte Marla durch den Telefonhörer. Ohne eine Antwort abzuwarten, sagte sie: »Ein Playboy.«

Er wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte oder ob sie überhaupt wollte, dass er es tat. Wenn die Erfahrung ihn etwas gelehrt hatte, dann, dass Marla vor allem Dampf ablassen, das letzte Wort haben, ihn so sehr verletzen wollte, wie er sie – unabsichtlich – verletzt hatte.

Er schwieg. Es gab nichts, was er Marla hätte sagen können, damit sie sich besser fühlte, außer er log sie an, und das tat er bei Frauen nie. Es war eine seiner Regeln.

Der Anruf endete in wirrem Gezeter, gefolgt vom regelmäßigen Tuten des Freizeichens. Ethan seufzte und legte den Hörer auf. Während des Telefonats hatte er sechzehn E-Mails erhalten, und die neueste war von seiner Mutter, die sicher schon wieder mit ihm über die Hochzeitsfeier im Kreis der Familie am kommenden Wochenende sprechen wollte.

Statt dieser öffnete er die Mail ganz unten in der Liste und hoffte, die Wörter abschütteln zu können, die immer noch in seinem Kopf widerhallten. Playboy. So wurde er nicht zum ersten Mal genannt und sicher auch nicht zum letzten Mal, aber so richtig fair kam es ihm trotzdem nicht vor. Er hatte nie irgendetwas versprochen, machte Frauen niemals Hoffnung auf etwas Langfristiges oder Tiefergehendes. Er spielte ihnen nichts vor; er machte jedes Mal sehr deutlich, was er anzubieten hatte, und das war ein bisschen Spaß. Mehr nicht. Und sicher nicht weniger.

Dennoch endete es allzu oft auf diese Weise: Tränen, Vorwürfe, hässliche Szenen.

Er schüttelte den Kopf. Er war offen und ehrlich zu Marla gewesen; das hier war nicht sein Problem. Die E-Mail von seiner Mutter dagegen … die war sehr wohl sein Problem.

Erneut klickte er eine der anderen Mails an, diesmal von seinem Chef, der nach dem Stand seines aktuellen Artikels fragte, eine Beurteilung des neuesten Gastro-Pubs am West Loop, den Ethan letztes Wochenende zusammen mit Marla besucht hatte. Das Essen war gut gewesen, aber das hoffnungsvolle Glitzern in den Augen seiner Begleiterin und die endlosen Kommentare über die Babyparty ihrer besten Freundin hatten ein unangenehmes Gefühl bei ihm hinterlassen, und er musste sich zwingen, dem Lokal deswegen nicht Unrecht zu tun. Er musterte die handschriftlichen Notizen, die er sich auf seiner morgendlichen Fahrt zur Arbeit in der Hochbahn gemacht hatte, und tippte eine rasche Antwort an Jud, seinen Chef: »Es fehlt nur noch der letzte Schliff.«

Na, wohl eher ein zweiter Besuch im Pub. Er würde morgen noch einmal dort vorbeischauen, diesmal allein oder vielleicht mit einem Arbeitskollegen. Donnerstage waren quasi der Beginn des Wochenendes für die hiesige Partyszene, da würde er einen frischen Eindruck bekommen, konnte sich für den nächsten Tag den Wecker früh stellen und einen schnellen Entwurf anfertigen.

Der Artikel musste nicht vor Freitag fertig sein, aber Jud wusste, dass Ethan normalerweise nicht auf den letzten Drücker ablieferte. Dass er dieses Mal so spät dran war, lag bloß an all dem vieldeutigen Gerede über Babys und das Sesshaftwerden. Und an dem Stress wegen dieser verdammten Hochzeit. An der E-Mail von seiner Mutter. Seit gestern war es schon die dritte. Er würde ihr antworten müssen … später.

Ethans Handy piepte, und seine Hand auf der Computermaus erstarrte. Noch mehr Beleidigungen von Marla? Vielleicht hatte auch Celeste letzte Woche noch nicht ihr letztes Wort gesprochen? Oder es war seine Mutter, die sichergehen wollte, dass bei seinem anstehenden Besuch alles ein wenig glatter lief als beim letzten Mal, und ihm eine Standpauke über Takt und gutes Benehmen und all die anderen Dinge halten würde, von denen er in seinem Alter nichts mehr hören wollte.

Irgendwann würde er ihr antworten müssen. Sonst konnte er der Hochzeit gleich ganz fernbleiben, was er liebend gern getan hätte, wenn es ihn nicht zum schlechtesten Sohn, Bruder und Cousin gemacht hätte, den man sich nur vorstellen konnte. Und in der Kleinstadt Grey Harbor, Wisconsin, in der er aufgewachsen war, gab es schließlich schon genug Gerede über ihn – weshalb er Besuche dort normalerweise tunlichst vermied.

Er wappnete sich, gab sein Passwort ein und aktivierte den Handybildschirm, doch als er die Nachricht seiner besten Freundin sah, musste er grinsen: »Heute schon was vor?«

Er blickte auf die Uhr. Es war halb sechs, und der Artikel war erst in zwei Tagen fällig.

Außerdem war Claire Wells eine Frau, der er nichts abschlagen konnte. Und die einzige Frau in seinem Leben, der er niemals aus dem Weg gehen wollte.

2

Claire stieg aus dem Taxi und eilte über die Straße. Bis sie die Eingangstür ihrer Lieblingsbar erreicht hatte, huschten ihre Augen immer wieder ängstlich hin und her. Matt und sie waren hier niemals zusammen gewesen, rief sie sich streng in Erinnerung, während sie einem Pärchen ins angenehm klimatisierte Innere folgte. Sie konnte aufhören, sich derart nervös und schreckhaft zu benehmen und nach jemandem Ausschau zu halten, der gar nicht da war.

Das hier war für sie ein sicherer Ort. Der Ort von ihr und Ethan. Wo sie schon gemeinsam gelacht und geweint hatten – meistens gelacht. Das erste Mal waren sie vor zwei Jahren hierhergekommen, als Ethan gerade einen Artikel über das Nachtleben in River North schrieb. Mit den von Kerzen beschienenen Tischen und warmen Holztönen wirkte die Bar gemütlich und einladend. Es war ein besonderer Ort, vor allem wenn man bedachte, dass Claire bisher immer nur mit ihrem besten Freund hier gewesen war.

Ethan hatte versprochen, früh da zu sein und ihnen möglichst einen der begehrten Tische auf der Dachterrasse zu sichern, die von Mai bis September geöffnet war. Da Claire ihn an der langen, lauten Bar nicht entdecken konnte, schlängelte sie sich zwischen den Tischen zum hinteren Ende des Raumes durch und eilte die Treppe hinauf. Der warme Sonnenschein am oberen Absatz versprach einen angenehmen Sommerabend. Doch nicht einmal der Gedanke an eine Margarita mit Blutorange vermochte ihre Stimmung so richtig zu heben. Als sie die oberste Stufe erreichte und im Schatten der rundum aufragenden Chicagoer Skyline am Rande der Betonterrasse stehen blieb, wurde ihr das Herz schwer.

Ihr Blick schweifte nach rechts, dann nach links, und wie aus Reflex hielt sie nach Matt Ausschau. Er ist nicht hier, schalt sie sich streng, mit etwas Glück siehst du ihn nie wieder.

Sie stapfte weiter und suchte nach einem wuscheligen braunen Haarschopf, von feinen Falten umgebenen haselnussbraunen Augen und einem Lächeln, das ihr das Gefühl gab, zu Hause zu sein, obwohl sie von dieser Empfindung momentan weit entfernt war und nicht einmal wusste, wo sich dieses Zuhause überhaupt befinden sollte.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung; Ethan hatte den Arm gehoben und winkte ihr zu, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen – ihre Schultern lösten sich erleichtert, als sich ihre Blicke trafen. Na also, jetzt würde alles besser werden. Sie würde ihm erzählen, was vorgefallen war. Würde ein paar Tränen vergießen. Am Ende des Abends würden sie zusammen Witze darüber reißen. All der Herzschmerz wäre vergessen oder zumindest kurzzeitig beiseitegeschoben.

»Wartest du schon lange?«, fragte sie, als er aufstand, um sie zu begrüßen und kurz zu umarmen, wie sie es immer taten.

»Lange genug für einen weiteren Anruf von Marla«, sagte er trocken und ließ sich zurück auf seinen Stuhl fallen. Seine Hemdsärmel waren lässig hochgekrempelt, und die Sonnenbrille lag säuberlich zusammengeklappt auf dem Tisch. Sie musterte sein Bierglas – schon halb leer. Möglicherweise nicht sein erstes.

Claire überlegte angestrengt. »Sag mir noch mal, wer Marla ist.« Doch im Grunde wusste sie es. Marla war eine der vielen Frauen, die sich bei Ethan die Klinke in die Hand gaben.

»Marla ist die, die ich letztes Wochenende bei diesem Wohltätigkeitsdings kennengelernt habe«, sagte er und griff nach seinem Bier.

»Ach, richtig. Die Kindergärtnerin, die ihr Profil im Onlinedating-Portal deaktiviert hat, kaum dass du sie zum Abendessen eingeladen hattest.« Claire verdrehte die Augen. Dass diese Frauen sich regelmäßig in Ethan verknallten, erstaunte sie immer wieder. Sicher, er war süß mit seinen glitzernden Augen und dem breiten Grinsen, und er war definitiv ein Charmeur, aber in den drei Jahren, die sie ihn nun schon kannte, hatte er keine Frau je wirklich an sich herangelassen. Na ja, sie selbst vielleicht ausgenommen.

»Jetzt mal ehrlich«, meinte Ethan und beugte sich gespannt vor, sodass Claire die blassen Sommersprossen auf seiner Nase erkennen konnte, »wie viel deutlicher muss ich denn noch werden? Die tun alle so, als hätte ich ihnen was vorgemacht. Ich mache Frauen nie was vor.«

Claire nahm die Getränkekarte zur Hand und legte sie gleich wieder weg. Sie war oft genug hier gewesen, um zu wissen, was drin stand, und sie wusste, was sie mochte, was sie glücklich machte. An einem warmen Juniabend wie diesem war eine Margarita genau das Richtige. Wenn sie bedachte, was für ein Tag hinter ihr lag, würde sie vielleicht sogar zwei oder drei trinken.

Bei der bloßen Erinnerung daran wurde ihr die Brust eng.

»Du machst Frauen nichts vor«, bestätigte sie, und Ethan sank in seinen Stuhl zurück und griff erneut lässig nach seinem Bier, ganz offenbar befriedigt. »Aber du brichst ganz schön viele Herzen.«

Er zuckte die Schultern. »Aber ich mache nie irgendwelche Versprechungen. Wenn sie sich das Herz brechen lassen, ist das nicht meine Schuld.«

»Na ja, vielleicht doch. Du bist charmant. Du gibst ihnen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Du bist süß … ein bisschen jedenfalls.« Sie warf ihm ein unverschämtes Lächeln zu. »Du weißt genau, was du tust. Du weißt, worauf du dich mit diesen Frauen einlässt.«

»Auf einen lustigen Abend, eine Nacht, vielleicht mehr als eine. Aber ich verspreche nichts«, betonte Ethan und stellte sein Glas wieder hin.

Nein, das tat er nicht. Anders als gewisse andere Leute.

»Ich habe heute Matt gesehen«, platzte es aus Claire heraus. Sie sah Ethan erwartungsvoll an und wurde mit einem verwirrten Stirnrunzeln belohnt.

»Aber –«

»Du dachtest, er wohnt nicht mehr hier? Wie sich rausgestellt hat, war er all die Monate in Chicago. Er ist nie weggezogen.« Heiße Tränen brannten ihr in den Augen, und sie schnappte sich die feuchte Serviette unter Ethans beschlagenem Bierglas.

»Stopp. Du brauchst jetzt was zu trinken.« Ethan winkte die Kellnerin heran, der ein einziger Blick auf sein Lächeln genügte, um sofort an ihren Tisch geeilt zu kommen, ohne Claire überhaupt richtig zur Kenntnis zu nehmen. Er bestellte für sie eigenmächtig eine Margarita mit Blutorange und für sich noch ein Bier. »Okay«, sagte er dann, als sie wieder unter sich waren. »Was ist passiert?«

»Er ist ins Geschäft gekommen«, erzählte Claire und versuchte, sich unauffällig die Augenwinkel zu tupfen. »Er wollte einen … Verlobungsring kaufen.« Allein das Wort versetzte ihr einen Stich.

»Dieser Mistkerl«, sagte Ethan, und Claire musste unwillkürlich lachen.

»Er ist ein Mistkerl«, stimmte sie zu und grinste, während ihr zugleich eine Träne die Wange hinabkullerte. Sie wischte sie mit dem Handrücken fort, aber es fielen schon die nächsten.

Ethan rückte ein Stück vom Tisch ab und legte einen Fuß aufs Knie. »Jetzt mal im Ernst, Claire, ich weiß gar nicht, warum du so traurig bist. Der Typ ist ein Idiot. Er hat dich ohne Job sitzen lassen, ohne Wohnung –«

»Ich weiß«, sagte Claire, und sie meinte es auch so, wenn sie die Sache rational betrachtete. Doch ein nicht ganz so rationaler Teil von ihr sehnte sich noch immer nach ihm. Nach der Zeit, die sie gemeinsam verbracht hatten. Nach ihren Plänen. Nach dem Leben, das sie in ihrer Vorstellung zusammen führen wollten.

»Aber du bist traurig«, bemerkte Ethan. »Warum? Du bist jung, hübsch; du solltest rausgehen und Spaß haben. Stattdessen sitzt du an diesem wunderschönen Sommerabend hier rum und heulst. Obwohl, eigentlich ist es noch Frühling, oder?«

»Es ist noch Frühling«, bestätigte Claire. Aber in einer Woche war Sommeranfang. Sie hatte geglaubt, im Sommer schon wieder obenauf zu sein. Mit einem neuen Job, einer tollen neuen Wohnung, vielleicht sogar einem neuen Freund. Stattdessen war sie immer noch pleite, immer noch wohnungslos und immer noch Single.

Und sie heulte immer noch wegen Matt.

»Ich hab noch nicht mal eine eigene Wohnung, Ethan. Hailey war so froh, als ich diese neue Stelle bekommen habe. Sie sagt es nicht, sie ist schließlich meine Cousine, aber ich weiß, dass sie mich gerne aus ihrer Wohnung hätte. Sie hat ja auch nur zwei Zimmer.« Zwei kleine Zimmer. Im Grunde nur zwei etwas geräumigere Wandschränke.

»Du könntest jederzeit bei deinem Dad einziehen«, meinte Ethan, und wieder musste Claire lachen.

Als ihre Mom vor anderthalb Jahren gestorben war, hatte ihr Vater alle überrascht, indem er ihr Elternhaus verkaufte und sich eine Eigentumswohnung auf den Florida Keys zulegte. Als Claire ihn besucht hatte, war sie erstaunt gewesen, dass er offenbar eine Leidenschaft für Boule- und Bingoabende im Aufenthaltsraum der dortigen Seniorenanlage entwickelt hatte. Zunächst hatte sie das bekümmert, aber wenigstens wusste sie nun, dass ihr Vater nicht einsam war.

Die Einsame war sie selbst. Allerdings wollte sie ihrem Dad mit ihren Problemen keine Sorgen bereiten. »Vielleicht besuche ich ihn mal wieder«, sagte sie nachdenklich. »Wenn ich genug Geld gespart habe.« Bei diesem Gedanken stiegen ihr erneut Tränen in die Augen, und sie weinte noch heftiger, trotz Ethans missbilligenden Blicken.

»Matt hat diese Tränen nicht verdient«, sagte er sachlich.

Sie wusste, dass er recht hatte, natürlich hatte er recht, aber wann hatte die Vernunft je etwas zu melden, wenn es um Herzensangelegenheiten ging?

»Du verstehst das nicht«, beharrte sie. So viel sie auch gemeinsam hatten, bei ihren Vorstellungen von Beziehungen hörten die Gemeinsamkeiten auf. Während Claire sich nach einer Beziehung sehnte, mied Ethan sie um jeden Preis. »Ich habe ihn wirklich geliebt, Eth. Wir hatten Pläne, wir hatten uns ein neues Zuhause ausgesucht, sogar Möbel.« Sie schnäuzte sich geräuschvoll.

»Ihr habt also zusammen Möbel ausgesucht.« Ethan schüttelte den Kopf. »Hör dich doch mal reden, Claire. So was macht man mit vierzig. Oder von mir aus mit Ende dreißig.«

»Du bist schon über dreißig«, erinnerte sie ihn an ihren Altersunterschied von drei Jahren.

»Und sieh mich an: Ich trinke mein zweites Bier, ich habe einen tollen Job, eine super Wohnung, und ich habe mich nicht mehr in den Schlaf geweint, seit ich elf war und mein Goldfisch gestorben ist. Damit ziehen mich meine Schwestern heute noch auf. Wozu also der ganze Ärger? Wieso tust du dir das an?«

»Weil es im Leben mehr gibt als Spaß«, antwortete Claire und hörte endlich auf zu weinen, weil ihre Verärgerung wuchs. Eine solche Unterhaltung führten sie nicht zum ersten Mal, und seit der letzten Diskussion hatte sich wenig verändert. Damals hatte sie ihm erzählt, dass sie nach San Diego ziehen würde, und Ethan hatte sich nicht so sehr für sie gefreut, wie sie erwartet hatte. »Fühlst du dich nicht leer bei all den Frauen, die ständig wie nebenbei in deinem Leben ein- und ausgehen? Würdest du dich nicht gern wirklich an jemanden binden, Wichtiges mit dieser Person teilen?«

Ethan zuckte die Schultern. »Ich hab doch dich. Mehr brauche ich nicht, Babe.«

Claire legte den Kopf schief und sah ihn lange und durchdringend an. »Du weißt, wie ich das meine.«

Die Kellnerin kam mit ihren Getränken und blieb erneut länger als nötig neben ihnen stehen, um Ethan ein bedeutungsvolles heimliches Lächeln zuzuwerfen und Claire dabei äußerst flüchtig ihren Cocktail zu reichen, ohne sie eines Blickes zu würdigen.

Ethan goss sein Bier in ein gekühltes Glas. »Der Unterschied zwischen dir und mir ist der, Claire: Du nimmst das Leben zu ernst.«

Mit dem Strohhalm schob sie die Eiswürfel in ihrem Glas hin und her und sah zu, wie sie umeinanderwirbelten. Vielleicht nahm sie das Leben wirklich sehr ernst. Aber was war so verkehrt daran?

»Ich wurde heute gefeuert«, verkündete sie, und obwohl sie sich selbst gesagt hatte, dass sie den Job hasste, und obwohl sie genau wusste, dass er nur eine Übergangslösung gewesen war, begann ihr Kinn schon wieder leicht zu zittern.

Ethans Gesichtsausdruck verriet augenblicklich Besorgnis. »Was? Warum? Moment, sag mir nicht, es war wegen –«

Claire schloss die Augen. »Ich konnte nichts dagegen tun. Das hat mich total mitgenommen. Ich hab versucht, es Louis zu erklären, aber weil es erst mein dritter Arbeitstag war, war ich noch in der Probezeit.« Sie schüttelte betrübt den Kopf. »Jetzt hab ich diesen Kerl zweimal mein Leben ruinieren lassen.«

Ethan zog eine Augenbraue hoch. »Ich wollte es nicht so direkt sagen, aber ja, hast du.«

Hätten sie nebeneinandergesessen, hätte sie ihm für diese Bemerkung eine verpasst, doch stattdessen vergrub sie das Gesicht in den Händen. Für einen Augenblick wurde die Welt dunkel, und es gab nur noch Geräusche, die aus Stimmengewirr, dem Verkehr zwei Stockwerke tiefer und dem Gelächter vom Tisch hinter ihnen bestanden. Sie ließ die Hände wieder sinken, griff nach ihrem Cocktail und sog ausgiebig am Strohhalm. Sie musste eine neue Arbeit finden. Bald. Aber heute Abend wollte sie sich darüber nicht den Kopf zerbrechen, das würde den Sinn ihres Treffens zunichtemachen. Sie würde morgen darüber nachdenken, sie hatte ja jetzt weiß Gott genug Zeit.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll«, murmelte sie.

»Ich schon.« Ethans Augen begannen zu leuchten. »Komm mit mir zur Hochzeit meiner Cousine. Nächstes Wochenende. Ich brauche noch eine Begleitung, und du brauchst Abwechslung.«

Claires Miene hellte sich ein wenig auf. Abwechslung klang gut … und sie liebte Hochzeiten. Sie besaß dieses lavendelfarbene Seidenkleid, für das ihr immer der passende Anlass fehlte. »Wo findet sie statt?«