Notfallpsychiatrie und psychotherapeutische Krisenintervention - Wolfgang Jordan - E-Book

Notfallpsychiatrie und psychotherapeutische Krisenintervention E-Book

Wolfgang Jordan

0,0
25,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Richtig handeln in seelischen Notfallsituationen! Dieses Buch ist ein Leitfaden zum Umgang mit Menschen in seelischer Not: von der Orientierung im Notfallgeschehen, über eine Zusammenstellung der häufigsten Krankheitsbilder, die Vorstellung spezieller Techniken zur Krisenintervention bis hin zu rechtlichen Aspekten. Gegliedert nach dem zeitlichen Ablauf einer Notfallintervention: - Grundlagen – Wissenswertes VOR dem ersten Kontakt - Erstkontakt – mögliche Krisensituationen - Akute Krisenintervention – Techniken in verschiedenen Krisensituationen - Zusatzwissen – ausgewählte psychotherapeutische Techniken Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 291

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Notfallpsychiatrie und psychotherapeutische Krisenintervention

Wolfgang Jordan, Arndt Heinemann, Alexandra Marx, George Downing

3 Abbildungen

Vorwort

Notfall- und Krisensituationen erfordern ein schnelles und pragmatisches Handeln unter Einsatz aller verfügbaren Ressourcen. Ein zu ängstlich-dogmatisches Festhalten an therapeutische Schulen wird den Nothilfesuchenden meist nicht gerecht werden. Menschen in seelischer Not haben bereits Grenzen überschritten. Der Behandler muss ihnen folgen können, will er sie nicht verlieren. Seine kommunikative Kompetenz wird dabei wesentlich den guten Ausgang bestimmen.

Die Gestaltung einer tragfähigen Beziehung beansprucht Zeit und Geduld. Psychotherapeutische Interventionen sollten vor allem lösungsorientiert sein und sich nach den jeweiligen Bedürfnissen richten. Mit einem integrativen Ansatz können unterschiedliche Techniken gezielt angewendet werden. Entsprechend der wörtlichen Übersetzung aus dem Lateinischen versteht sich die Techna Psychiatrica als „listiger Streich“ für die Ausbildung aller am psychiatrisch-psychotherapeutischen Not- und Krisendienst beteiligten Berufsgruppen.

Die Menschen, denen wir in einer schweren Stunde begegnet sind und die wir ein Stück ihres Weges begleiten durften, verdienen unsere Achtung. Unser Dank gebührt unseren Lehrern, die in ihrer Klinik einen Geist im Jasperschen Sinn aus menschlichem Ethos, Naturwissenschaftlichkeit und Freude am Lernen geschaffen haben, insbesondere meinen Kolleginnen und Kollegen der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Georg-August-Universität Göttingen.

Magdeburg, im September 2015

Wolfgang Jordan

Abkürzungen

AvD 

Arzt vom Dienst

BAK 

Blutalkoholwert

CBT 

Cognitive Behavioral Therapy, Kognitiv-behaviorale Therapie

CCT 

craniale Computertomographie

Tag

DBT 

Dialektisch-behaviorale Therapie

EEG 

Elektroenzephalogramm

EKG 

Elektrokardiogramm

EMDR 

Eye Movement Desensitization and Reprocessing, Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung

EPMS 

extrapyramidalmotorische Störungen

Stunden

ICD 

International Classification of Disease

i.m. 

intramuskulär

i.v. 

intravenös

Kps. 

Kapsel

kg 

Kilogramm

KG 

Körpergewicht

MCV 

mittleres Erythrozytenvolumen

mg 

Milligramm

min 

Minuten

PIA 

Psychiatrische Institutsambulanz

p.o. 

per os, orale Einnahme eines Medikaments

PsychKG 

Psychisch-Kranken-Gesetz

PTBS 

Posttraumatische Belastungsstörung

REM 

Rapid Eye Movement

SBT 

Strategisch-behaviorale Therapie

SSRI 

Serotoninwiederaufnahmehemmer

Tbl. 

Tablette

TZA 

trizyklische Antidepressiva

UBG 

Unterbringungsgesetz

ZNS 

zentrales Nervensystem

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungen

1 Allgemeiner Teil – Vor dem ersten Kontakt

1.1 Rahmenbedingungen

1.2 Psychodynamik akuter seelischer Not

1.3 Grundlagen der Beziehungsgestaltung

1.4 Explorationstechniken und Schlüsselfragen

1.4.1 Holen Sie den Patienten dort ab, wo er ist

1.4.2 Versuchen Sie, wirklich zu verstehen.

1.4.3 Vom Gesunden (Physiologische) ins Krankhafte (Pathologische) explorieren

1.4.4 Zirkuläre und suggestive Techniken bewusst einsetzen

1.4.5 Bedeutungszusammenhänge aus Betroffenensicht erfragen

1.4.6 Keine Interpretation oder Deutung

1.4.7 Beachtung der Körpersprache

1.4.8 Beachtung und Bearbeitung des Affekts

1.4.9 Auf Verständlichkeit achten

1.4.10 Wie ist der Betroffene zu mir gekommen?

1.4.11 Wie geht es mir mit dem Betroffenen, was empfinde ich, wie sehen meine Aufzeichnungen aus?

1.5 Methodik der ambulanten und stationären Notfall- und Krisenintervention

1.6 Besonderheit Telefonkontakt

1.7 Fallstricke

1.8 Selbsthilfe bei Überforderung

1.8.1 Äußere Distanzierung, Veränderung der Situation

1.8.2 Innere, emotionale Distanzierung oder Fokussierung, Perspektivenwechsel

1.8.3 Einbezug Dritter, Aktivierung neutraler Angehöriger, Einholung einer Zweitmeinung

1.9 Medikamentöse Notfall- und Konsiliarpharmakotherapie

1.9.1 Auswahlkriterien

1.9.2 Empfehlung und Begründung

1.9.3 Häufig eingesetzte, nicht empfohlene Substanzen

1.10 Rechtliche Aspekte für Nothelfer im Gesundheitswesen

1.10.1 Patientenwille

1.10.2 Einwilligungsfähigkeit

1.10.3 Behandlung gegen den Willen eines Patienten

1.10.4 Blutentnahmen

1.10.5 Unterbringungsgesetze

1.10.6 Fixierung

1.10.7 Gesetze aus dem Strafgesetzbuch (StGB)

2 Notfallintervention – Der Erstkontakt

2.1 Syndromlehre – Der diagnostische Blick

2.1.1 Diagnosestellung

2.1.2 Pathognomische Psychopathologie

2.1.3 Pathognomische Neurologie

2.1.4 Pathognomische Laboranalytik

2.1.5 Schwierige Differenzialdiagnostik

2.1.6 Notfälle aus psychiatrischer Sicht

2.2 Psychomotorische Erregungszustände

2.3 Delirante Syndrome

2.4 Akute Suizidalität

2.5 Stuporöse Zustände

2.6 Störungen des Bewusstseins

2.6.1 Quantitative Bewusstseinsstörungen

2.6.2 Qualitative Bewusstseinsstörungen

2.7 Psychopharmaka als Ursache psychiatrischer Akutsituationen

2.7.1 Malignes neuroleptisches Syndrom

2.7.2 Zentrales Serotoninsyndrom

2.7.3 Zentrales anticholinerges Syndrom

3 Krisenintervention – Weiterführende Kontakte

3.1 Einleitung

3.2 Techniklehre

3.3 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei paranoid-halluzinatorischem und schizophrenem Erleben

3.3.1 Beziehungsaufbau

3.3.2 Gesprächsführung

3.3.3 Psychotherapeutische Techniken

3.4 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei depressivem Erleben

3.4.1 Erstkontakt

3.4.2 Therapeutische Ansätze in der Depressionsbehandlung

3.4.3 Ablauf einer Psychotherapie

3.4.4 Aufbau von Veränderungsmotivation

3.4.5 Aufbau positiver Aktivitäten

3.4.6 Umgang mit irrationalen Kognitionen

3.4.7 Verbesserung sozialer Fertigkeiten

3.4.8 Wirkfaktoren der Psychotherapie

3.5 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei suizidalem Erleben

3.5.1 Psychodynamische Modellvorstellung zu Kränkung, Aggressionshemmung und Suizidalität

3.5.2 Einschätzung der Suizidalität

3.5.3 Beziehungsaufbau

3.5.4 Fördern von Rapport

3.5.5 Erschwernisse auf Seiten des Patienten

3.5.6 Gesprächsführung

3.5.7 Allgemeine Regeln

3.5.8 Psychotherapeutische Techniken

3.6 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei ängstlichem Erleben

3.6.1 Beziehungsaufbau

3.6.2 Gesprächstechniken

3.6.3 Psychotherapeutische Techniken

3.7 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei emotional-instabilem Erleben

3.7.1 Aufbau einer stabilen, vertrauensvollen therapeutischen Beziehung

3.7.2 Therapeutische Techniken

3.8 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei dissoziiertem Erleben

3.8.1 Beziehungsaufbau

3.8.2 Gesprächsführung

3.8.3 Psychotherapeutische Techniken

3.9 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei narzisstischem Erleben

3.9.1 Beziehungsaufbau und Gesprächsführung

3.9.2 Psychotherapeutische Techniken

3.10 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei zwanghaftem Erleben

3.10.1 Beziehungsaufbau

3.10.2 Gesprächsführung

3.10.3 Psychotherapeutische Techniken

3.11 Beziehungsaufbau, Gesprächsführung und psychotherapeutische Techniken bei traumatisierten Patienten

3.11.1 Beziehungsaufbau

3.11.2 Gesprächsführung

3.11.3 Psychotherapeutische Techniken

4 Ausgewählte psychotherapeutische Techniken der Notfall- und Krisenintervention

4.1 Zirkuläres Fragen

4.2 Sokratischer Dialog

4.3 Motivierende Gesprächsführung

4.4 Körperfokussierte Psychotherapie nach Downing

4.5 Körperorientierte Techniken – Grounding, Atemübung, Bodyscan, Haltekontakte und Körperressource

4.5.1 Grounding

4.5.2 Atemübung

4.5.3 Bodyscan

4.5.4 Haltekontakte

4.5.5 Körperressource

4.5.6 Umgang mit körperlichen Gegenreaktionen

4.6 Stühle-Technik (Ein-Personen-Rollenspiel)

4.7 Rollenspiel

4.8 Imaginative Verfahren: Sicherer Ort, Tresor-Übung, Innerer Beobachter, Bildschirmtechnik, Lichtstromübung, Innerer Helfer und Kraftquelle

4.8.1 Imaginative Techniken

4.9 Illustrative Techniken

4.10 Kognitive Techniken – Arbeit mit Glaubenssätzen und somatischen Markern

4.11 Umgang mit Alpträumen

4.11.1 Klassisch verhaltenstherapeutischer Ansatz

4.11.2 Integrativer Ansatz

4.12 Abschiednehmen

5 Literatur

5.1 Verwendete Literatur

5.2 Weiterführende Literatur

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Allgemeiner Teil – Vor dem ersten Kontakt

W. Jordan

1.1 Rahmenbedingungen

Ein psychiatrisch-psychotherapeutischer Notfall erfordert unmittelbar ein professionelles Eingreifen, um der Gefahr einer gegenwärtigen Selbst- und/oder Fremdgefährdung zu begegnen. Er ist eine Sonderform einer seelischen Krise.

Seelische Krisen können in besonderen Entwicklungsphasen (z.B. Adoleszentenkrise, Krise während einer Psychotherapie), durch extreme Belastungen (z.B. Akute Belastungsreaktion, Posttraumatische Belastungsstörung) oder Veränderungen (z.B. Geburt, Verlust eines Angehörigen, neue berufliche Position) entstehen und verlaufen mitunter chronisch (z.B. Patienten mit emotional instabiler Persönlichkeitsstörung oder Suchterkrankung) (s.a. Kap. ▶ 3).

Eine Krisenintervention sollte sich einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Notfallbehandlung anschließen. Je nach Anlass und Ursache kann sie wenige Tage bis mehrere Wochen dauern.

Ambulante Notfall- und (Krisen-)interventionen können außerhalb der Klinik bei der Tätigkeit in sozialpsychiatrischen (Krisen-)Diensten, als Notfallbegleiter, in der Notfallseelsorge, als Rettungssanitäter oder Notarzt auftreten. Innerhalb der Klinik sind interdisziplinäre Notfall- und Psychiatrische Institutsambulanzen (PIAs) zu nennen.

Stationäre Notfall- und Kriseninterventionen können auf einer psychiatrischen, aber auch einer somatischen Station, z.B. im Konsiliardienst, stattfinden.

Eine Besonderheit stellen Telefonkontakte dar, welche direkt zwischen dem Behandler und dem Hilfesuchenden bestehen oder sich indirekt über die Beteiligung Dritter vollziehen. Der Hilfesuchende muss dabei nicht der eigentlich Betroffene, der Patient, sein: In das Krisengeschehen können auch Angehörige, vertragsärztliche und -psychotherapeutische Kollegen, zufällig beteiligte Personen oder Mitglieder der Rettungskette involviert sein, z.B. auch Pforte, Anmeldung oder Sekretariat.

Die unterschiedlichen Rahmenbedingungen sind bei jedem Notfall- oder Krisenkontakt zu berücksichtigen, weil sie diagnostisch nutzbar sind (s.a. Schlüsselfragen, Kap. ▶ 1.4) und über die Bereitstellung von Ressourcen das weitere therapeutische Vorgehen beeinflussen.

Notfälle auf psychiatrischen Stationen entstehen zumeist, wenn im Vorfeld diagnostische Anzeichen bei dem Betreffenden und allgemeine Sicherheitsaspekte nicht ausreichend beachtet wurden. Zur Lösung kann auf ein gut ausgebildetes und im Umgang mit Notfallsituationen erfahrenes Team zugegriffen werden. Je ferner der Notfallbehandler von seinem eigenen Team tätig sein muss, umso wichtiger ist es, sich vor dem Erstkontakt zusätzliche Informationen zu sichern. Im Konsiliardienst können z.B. neben dem Gespräch mit der betreuenden Pflege und dem behandelnden Arzt auch Fremdinformationen aus der Patientenakte wie alte und aktuelle Arztberichte, aktuelle Pflegeberichte, Laborparameter oder aktuelle Medikation genutzt werden. Mit dem Betreten des Patientenzimmers sollten dann Umfeldinformationen aus der Sichtung des Zimmers, insbesondere eigener Platz, Bett, Nachttisch, persönliche Bilder, Bücher, Fotos usw., Berücksichtigung finden. Ggf. können auch der Mitpatient oder zufällig beiwohnende Angehörige fremdanamnestisch befragt werden.

Merke

Die Rahmenbedingungen bestimmen das Vorgehen im Notfall.

1.2 Psychodynamik akuter seelischer Not

Obwohl seelische Notzustände oder Krisen aus einer individuellen Lebensgeschichte resultieren und auf eine individuelle Persönlichkeit treffen, finden sich häufig einheitliche Reaktionsformen oder Muster:

Einengung der Wahrnehmung auf die Themen Kränkung und Verlust

Schwarz-Weiß-Denken

Depressive oder missmutig-aggressive Stimmung

Affektlabilität mit anlassbedingtem schnellem Stimmungswechsel

Starres Rollenverhalten, Einnahme einer Patientenrolle

Unflexibles Problemlöseverhalten

Psychomotorisches und vegetatives Hyperarousal

Interne Kommunikationsstörung mit nachfolgender Missdeutung der beteiligten Kommunikationspartner

Sozialer Rückzug und/oder Rückzug des sozialen Umfeldes.

Abhängig von der Belastungsstärke, der eigenen psychischen Anfälligkeit (Vulnerabilität) und seelischen Widerstandskraft (Resilienz) geht der Krise ein unterschiedlich langer Zeitverlauf mit abgeschwächter Symptomatik voraus. Erst wenn die üblichen Bewältigungsstrategien (Coping) nicht mehr funktionieren und die Ressourcen verbraucht sind, eine wichtige Bezugsperson sich z.B. zurückgezogen hat oder nicht erreichbar ist, verwandelt ein auslösendes Ereignis (Anlass) die Krise zum Notfall. Das Hinzuziehen Professioneller ist somit ein Zeichen einer Eskalation, bei der die stützenden Maßnahmen im sozialen Umfeld nicht mehr greifen.

Merke

Obwohl seelische Not viele Ursachen kennt, mündet sie oft in ein gemeinsames Zustandsbild.

1.3 Grundlagen der Beziehungsgestaltung

Die Beziehungsgestaltung muss sich den individuellen Erfordernissen einer krisen- und ggf. auch erkrankungsbedingten Beeinträchtigung der Kommunikation und des Erlebens anpassen. Die Bewusstseinslage kann qualitativ verändert, quantitativ vermindert, die Orientierung auf den unterschiedlichen Ebenen – zeitlich, örtlich, situativ, zur Person – gestört, Aufmerksamkeit, Konzentrations- und Merkfähigkeit können vermindert, das formale und inhaltliche Denken gestört, die Betroffenen im paranoid-halluzinatorischen Erleben befangen, Affekt und Psychomotorik verändert und die Ablenkbarkeit erhöht sein.

Die Örtlichkeit der Krisenintervention wie Sprech-, Behandlungszimmer, Behandlungsflur einer Notaufnahmestation oder zu Hause ist entsprechend der ersichtlichen, vorbekannten oder zu erwartenden Beeinträchtigung auszuwählen und gezielt zur Förderung des Beziehungsaufbaus einzusetzen. Durch die Anordnung der Stühle und Ausrichtung der Blickrichtung kann eine Privatsphäre geschaffen, eine Fokussierung auf den Behandler vereinfacht und eine Reizabschirmung vorgenommen werden. Behandlungszimmer sind immer auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen. Gibt es eine Fluchtmöglichkeit, einen zweiten Fluchtweg, kann schnell Hilfe gerufen werden, befinden sich gefährliche Gegenstände im Raum oder in unmittelbarer Nähe des Betroffenen (Schere, Brieföffner, Glasflasche, Telefon, Stuhl, Infusionsständer usw.), die als Waffe verwendet werden können?

Ein ausreichendes Zeitmanagement sichert dem Behandler die innere Gelassenheit und trägt zur Beruhigung der Krisensituation bei. Seine primäre Aufgabe im Erstkontakt ist es, den Hilfesuchenden sicher über den Tag, durch die Nacht oder zur weiterführenden Therapie zu bringen. Es ist nicht Aufgabe im Erstkontakt, die Probleme eines ganzen fehlgelaufenen Lebens zu lösen. Das Vorgehen sollte somit lösungsorientiert auf den primären Ansatz hin sein.

Mit Sprache, Mimik und Gestik ist ein Setting zu schaffen, in dem sich der Betroffene mit seinen Sorgen angenommen, vorurteils- und angstfrei äußern kann. Die Grundhaltung des Behandlers ist anlehnend an die Gesprächstherapie nach Rogers ▶ [68] von Empathie (einfühlendem Verständnis), positiver Wertschätzung (Akzeptanz, emotionaler Wärme) und Authentizität (Echtheit) geprägt, im weiteren Vorgehen aber deutlich direktiver. Der Gesprächsverlauf wird zu Beginn von dem Betroffenen bestimmt, um einen unverfälschten diagnostischen Eindruck zu bekommen und eine erste Entlastung zu erreichen. In der Folge wird der Behandler aktiv intervenieren und den weiteren Ablauf steuern. Das Gespräch verfolgt einen diagnostischen, situationsklärenden und einen therapeutischen, problemlösenden Zweck. Je nach psychischem Befund kann im diagnostischen Ansatz über eine kurzzeitige, wenn möglich körpersprachlich unterlegte Intervention des Behandlers das Erregungs- und Aggressionspotenzial des Betroffenen ausgetestet werden. Diese sollte aber unmittelbar danach zurückgenommen werden, um den weiteren Beziehungsaufbau nicht zu gefährden und zur Eskalation der Situation beizutragen. Die eigene verbale und nonverbale Kommunikationsfähigkeit (Körpersprache) stellen das wichtigste Interventionsinstrument dar. Die gewählte Sprache sollte klar, einfach und verständlich sein sowie ausreichend Wiederholungen und Zusammenfassungen beinhalten. Die über die Körpersprache vermittelten Signale sollten mit der geäußerten Botschaft übereinstimmen und sie ggf. noch bekräftigen.

Ein Netzwerk mit zuverlässigen, erreichbaren, wertschätzenden und hilfsbereiten Personen ist der beste psychische Schutzfaktor. Falls solche Menschen im sozialen Umfeld des Betroffenen zu finden sind, sollte ihre Kompetenz durch frühzeitige Einbindung genutzt werden. Mitunter kann es hilfreich sein, wichtige Bezugspersonen bereits beim Erstgespräch dabeizuhaben, vor allem, wenn sie zur Situationsklärung, Beruhigung und Entängstigung des Betroffenen beitragen. Zuvor sollte der Behandler sich jedoch vergewissern, ob die möglichen Gesprächspartner nicht direkt in die auslösende Situation involviert sind, um die Gefahr einer Kollusion zu vermeiden. Weiterhin ist eine ausreichende Motivation, Belastbarkeit und Kommunikationsfähigkeit der Gesprächspartner zu prüfen.

Merke

Das Setting hängt von den krisen- und krankheitsbedingten Erfordernissen ab.

1.4 Explorationstechniken und Schlüsselfragen

1.4.1 Holen Sie den Patienten dort ab, wo er ist

Die Betreffenden fühlen sich nur angenommen und verstanden, wenn sie ihre Sicht der Dinge und die damit verbundenen Beschwerden und Gefühle darstellen können. Eine zu direktive Gesprächsführung, die dem verständlichen Abfragen von wichtigen Symptomen dient, wird den Betreffenden nicht ernstnehmen, wertschätzen, sie wird ihn stattdessen irritieren, eventuell brüskieren und der therapeutischen Beziehungsarbeit schaden. Daher sollte die Gesprächsführung zunächst entlang der geschilderten Hauptbeschwerden erfolgen. Im weiteren Verlauf können für die Diagnosestellung wichtige Zielsymptome exploriert werden, wobei sich ein kontextabhängiges Vorgehen empfiehlt. Symptome, die aus dem Kontext heraus nicht erfragt oder erschlossen werden konnten, werden zum Schluss gezielt nachexploriert. Der Behandler sollte am Ende des Gesprächs einen diagnostischen Eindruck haben und in der Lage sein, zumindest ein Syndrom als weiterführende Arbeitshypothese, als Diagnose zu benennen. Der Intellekt des Betreffenden ist bei der Wortwahl und Ausdrucksweise zu berücksichtigen. Mit verschiedenen Techniken kann ein besserer Beziehungsaufbau erreicht werden (s. Fördern von Rapport, Kap. ▶ 3.5.4).

1.4.2 Versuchen Sie, wirklich zu verstehen.

Der Behandler gibt sich nicht mit einer einfachen, vordergründigen Erklärung zufrieden. Durch gezieltes Nachfragen versucht er, die äußeren und inneren Zusammenhänge wirklich zu verstehen. Dabei kann er sich als Vergleichsobjekt nehmen und die Vorgänge und Reaktionen des Betreffenden auf ihre Plausibilität hin prüfen.

1.4.3 Vom Gesunden (Physiologische) ins Krankhafte (Pathologische) explorieren

Nahezu alle psychiatrischen Störungen oder seelische Notzustände gehen mit Schlafstörungen einher. Schlafstörungen empfehlen sich somit als „trojanisches Pferd“, schwierige Psychopathologien wie halluzinatorisches oder wahnhaftes Erleben zu explorieren. Die Explorationsrichtung geht vom Gesunden ins Krankhafte, also z.B. von Schlafstörungen zu Träumen, weiter zu Tagträumen und darüber zu Halluzinationen. Der Behandler kann sich selbst als gesundes Vergleichsobjekt anbieten, was die Angstbesetzung vermindert und die Thematik für den Betreffenden enttabuisiert.

Fallbeispiel

Exploration

„Herr Mustermann, bei dem, was Ihnen in der letzten Zeit passiert ist, entwickeln die meisten Menschen Schlafstörungen. Wie ist es bei Ihnen? Mögen Sie mir Ihre Schlafstörungen näher beschreiben?“

Herr Mustermann beschreibt seinen gestörten Schlaf.

„Mh, mh, verstehe. Haben die belastenden Ereignisse auch in Ihren Träumen eine Rolle gespielt?“

Herr Mustermann spricht über seine Trauminhalte.

„Haben Sie auch tagsüber solche Träume gehabt?“

Herr Mustermann antwortet.

„Ja, manchmal ist es so, wenn man ganz wichtige Personen verloren hat, dass es sich anfühlt, als ob sie zu einem sprechen würden. Kennen Sie das auch?“

Erläuterung:

Der Therapeut gibt mit seiner Formulierung vor, dass Halluzinationen zum normalen Erleben gehören. Das Thema wird darüber enttabuisiert, das Angstniveau sinkt, und ein offenes Gespräch über Halluzinationen wird erlaubt.

1.4.4 Zirkuläre und suggestive Techniken bewusst einsetzen

Eine zirkuläre Fragetechnik geht von den Hauptbeschwerden des Betroffenen aus, und in immer weiteren Kreisen werden andere Lebensbereiche wie persönliche Entwicklung, Partnerschaft, Beruf, soziales Umfeld, psychiatrische Vorerkrankungen, Vorbehandlungen, Familienanamnese usw. exploriert. Der eigentliche Fokus liegt auf den Wechselwirkungen der äußeren Lebensbezüge zur Symptomatik bzw. Situation des Betroffenen. Das Vorgehen ist zielsicher, aber sehr zeitintensiv (Kap. ▶ 4.1).

Bei der suggestiven Technik wird, ausgehend von zusätzlichen Informationen, die sich auch aus dem Kontext ergeben können, suggestiv eine Behauptung aufgestellt, die der Hypothese zur Ätiogenese der zugrundeliegenden Problematik möglichst nahekommen soll. Die Reaktion des Betroffenen, vor allem hinsichtlich seiner Körpersprache (z.B. Mimik, Pupillen-, Mundweite, Puls-, Atemfrequenz, Flush, Magen-, Darmgeräusche, psychomotorische Unruhe, Erstarren, Ausrichtung der Füße, Beine und Fluchtreaktionen) wird sekundenschnell analysiert und bestimmt das weitere Vorgehen. Ggf. muss die Behauptung sofort zurückgenommen werden, um die therapeutische Beziehung nicht zu gefährden. Das Vorgehen ist schnell, dafür mit der Gefahr verbunden, die therapeutische Beziehung zu belasten.

Fallbeispiel

Suggestive Technik

Aus der Beobachtung des Betroffenen in der Notfallambulanz ergeben sich Hinweise auf einen Partnerschaftskonflikt zur jüngeren, attraktiven Lebensgefährtin.

Intervention des Therapeuten: „Sie haben Potenzprobleme.“

Reaktionsmöglichkeiten auf Seiten des Betroffenen:

Der Angesprochene reagiert erstaunt: „Woher wissen Sie das?“ Ggf. mit Anerkennung: „Toller Therapeut!“

Der Angesprochene reagiert ablehnend: „Was fällt Ihnen ein!“ Seine körpersprachliche Reaktion zeigt aber Fluchttendenzen und Zustimmung zur Aussage.

Die verbalen und nonverbalen Äußerungen des Angesprochenen stimmen in der Ablehnung überein.

1.4.5 Bedeutungszusammenhänge aus Betroffenensicht erfragen

Fallbeispiel

„Herr Mustermann, was denken Sie, ist die Ursache Ihrer Probleme?“

Oder alternativ, wenn der Betroffene aus der eigenen Perspektive nicht antworten möchte oder kann:

„Herr Mustermann, was sagt Ihre Frau, Ihr … zu dem Vorfall?“

1.4.6 Keine Interpretation oder Deutung

Die psychische Stabilität eines Hilfesuchenden lässt sich aus der Notfallsituation und der Vorgeschichte nur schwer erschließen. Die therapeutische Beziehung ist noch im Aufbau und kann keine besondere Tragfähigkeit aufweisen. Bei unzureichender Belastbarkeit und fehlendem innerem Zusammenhalt sollten deswegen keine Bewertungen, Interpretationen oder Deutungen vorgenommen werden. Allenfalls positive Muster können vorsichtig zurückgespiegelt werden. Gewünschte Verhaltensweisen sind positiv zu verstärken.

Fallbeispiel

Positive Verstärkung

„Herr Mustermann, vielen Dank, dass Sie den Vorgang so detailliert geschildert haben. Das war jetzt sehr hilfreich für mich, um die Situation richtig zu verstehen.“

1.4.7 Beachtung der Körpersprache

Der Behandler sollte die Körpersprache des Betroffenen lesen und seine eigene Körpersprache gezielt einsetzen können. Informationen, vor allem im interaktionellen Kontext, werden größtenteils über Mimik, Gestik und Körpersprache weitergegeben. Da üblicherweise Mimik und Gestik im Bereich des Oberkörpers besser kontrolliert werden können, sollte besonderes Augenmerk auf den Unterkörper und das Vegetativum gelegt werden. Je sicherer der Behandler in der Wahrnehmung der nonverbalen Botschaft ist, umso besser kann er den Betroffenen verstehen und im therapeutischen Setting unter Einsatz seiner eigenen Körpersprache führen (Kap. ▶ 3.5.4). Menschen mit einer psychiatrischen Störung verfügen oft über eine reduzierte Fähigkeit, eigene oder die Gefühle anderer wahrzunehmen. Dies kann zu Missverständnissen und Konflikten führen (s. Theory-of-Mind-Defizit bei schizophrenen Patienten, Kap. ▶ 3.3.3.1).

Körperlich gebundene Affekte können auch direkt angesprochen (Kap. ▶ 1.4.8) und im weiteren Verlauf zur Darstellung gebracht werden. Körperübungen können hilfreich sein, seelisches Erleben greifbar, spürbar und den Fortschritt einer therapeutischen Krisenintervention für den Betroffenen anschaulich zu machen.

1.4.8 Beachtung und Bearbeitung des Affekts

Da kognitive Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit, Konzentration und Merkfähigkeit in seelischen Notsituationen oft stark beeinträchtig und der Behandlung nicht zugänglich sind, kommt der Beachtung und Bearbeitung des Affekts eine besondere Bedeutung zu. Eine wichtige Aufgabe des Behandlers ist es, den Betroffenen zu entängstigen, hierbei sind Empathie zeigen und Hoffnung vermitteln zentrale Elemente. Widersprüchliche Gefühlszustände sollten angesprochen und daraus resultierende Ambivalenzkonflikte gelöst werden.

Fallbeispiel

Ambivalenz ansprechen

„Herr Mustermann, ich sehe an Ihrer Körperhaltung, wie Sie sich sorgen und nicht auf Station wollen. Das geht jetzt leider nicht anders. Ich nehme Sie mit auf Station. Kommen Sie bitte.“

1.4.9 Auf Verständlichkeit achten

Eine einfache klare Sprache mit kurzen Sätzen ohne Fachterminologie erleichtert dem Betroffenen, die Situation zu erfassen und dem Behandler zu folgen. Wichtige Informationen sollten am Ende der Sitzung nochmals – ggf. auch gemeinsam schriftlich – zusammengefasst werden, besondere Aufträge können „hypnotisch“ verstärkt mitgegeben werden.

Fallbeispiel

„Hypnotisch eingebetteter Auftrag“

Der Betroffene wird von dem Behandler mit kräftigem Händedruck und direktem, interaktivem Augenkontakt verabschiedet: „Herr Mustermann, ich rechne mit Ihnen. Bis morgen um 12 Uhr.“

Die Beantwortung zweier zentraler Schlüsselfragen trägt zum weiteren Verständnis der zugrundeliegenden Psychodynamik bei und gibt dadurch zusätzliche diagnostische Informationen:

1.4.10 Wie ist der Betroffene zu mir gekommen?

Die Kenntnis, wie jemand in die Notfallambulanz gekommen ist, ist hilfreich, die Dynamik im sozialen Umfeld des Betroffenen zu erahnen.

Fallbeispiel

Stimmung im sozialen Umfeld beachten

Ein ärztlicher Kollege, der dem Behandler als ruhig und ausgeglichen bekannt ist, kündigt ihm im Telefonkontakt gereizt einen Patienten an.

Der Behandler geht davon aus, dass der ärztliche Kollege ungefiltert die gereizte Stimmung aus dem Umfeld des Patienten aufgenommen und weitergeleitet hat. Er bereitet sich und sein Behandlungsteam auf einen entsprechenden Kontakt vor.

1.4.11 Wie geht es mir mit dem Betroffenen, was empfinde ich, wie sehen meine Aufzeichnungen aus?

Die Wahrnehmung von Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomen, ggf. auch mittels der eigenen Aufzeichnungen, ist ein ergänzendes diagnostisches Instrument. Es erweitert die Betrachtung um einen interaktiven Aspekt, der auch zur Identifikation versteckter Aggressionen und damit eines Gefährdungspotenzials genutzt werden kann. Darüber hinaus lassen sich mögliche Störfaktoren der Behandlung vorzeitig erkennen.

1.5 Methodik der ambulanten und stationären Notfall- und Krisenintervention

Der Ablauf einer ambulanten oder stationären Notfall- und Krisenintervention wird stark von den aktuellen Umständen und den Gegebenheiten vor Ort geprägt. Trotzdem gibt es ein gemeinsames Vorgehen und einheitliche Regeln, deren Beachtung für die Lösung der Situation förderlich sein kann:

Sich selbst vorstellen!

Betroffene mit berichtetem, ersichtlichem oder spürbarem Aggressionspotenzial nie allein sprechen oder untersuchen!

Setting herstellen und gestalten (Kap. ▶ 1.3).

Zuhören und offene W-Fragen ohne vorgegebene Antworten zu Beginn, im Verlauf direktiveres Vorgehen mit Übernahme der Gesprächsführung (Kap. ▶ 1.4).

Fallbeispiel

W-Fragen zu Beginn

Wer hat wann, wo, was, wie, mit wem womit getan?

Ansprechen von Gefühlen und Ambivalenz (Kap. ▶ 1.4.8), ggf. auch Ansprechen von eigenen Gefühlen.

Fallbeispiel

„Herr Mustermann, Sie machen mir Angst! Wie können Sie sich das erklären?“

Versuchen Sie, zu verstehen (Kap. ▶ 1.4.2).

Keine Wertungen vornehmen (außer Anerkennung) (Kap. ▶ 1.4.6).

Motivation und Veränderungsbereitschaft bei dem Betroffenen und den Angehörigen klären, dabei auch eine mögliche intrapsychische und interpersonelle Funktion einer psychischen Störung oder Notlage beachten (z.B. Aufmerksamkeit, Bedeutung für Andere zu erlangen, Zuwendung zu bekommen, den Partner an sich zu binden, zu kontrollieren, den eigenen Selbstwert zu stabilisieren, den Partner zu destabilisieren usw.). Weiterhin überprüfen, ob der Hilfesuchende der eigentlich Behandlungsbedürftige ist, und ebenso, ob eine Verstärkung der Symptomatik durch wesentliche Bezugspersonen vorliegt (Kollusion).

Behandlungsauftrag klären (aus Sicht des Betroffenen, aus Sicht der Angehörigen, aus Sicht des Behandlers).

Behandlungsauftrag gemeinsam formulieren.

„Beschreibende Sprache“ für transparente Handlungsziele verwenden.

Fallbeispiel

„Beschreibende Sprache“

Die beschreibende Sprache kommt aus der Erziehung bzw. Psychotherapie von Kindern. Das Füttern eines kleinen Kindes, ausnahmsweise durch den Vater, könnte mit dem Einsatz von beschreibender Sprache wie folgt vorbereitet werden: „Hhmm, mein Schatz, schau mal, was für einen leckeren Brei die Mami dir gekocht hat. Das sieht toll aus. Und wie der duftet. Jetzt kommt der Löffel mit dem Brei, und meine Kleine macht Aaah. Hhmm, wie der schmeckt.“

Ereignisse, welche von kognitiv oder emotional in ihrer Aufmerksamkeit beeinträchtigten Personen als unerwartet erlebt werden und darüber verunsichern oder ängstigen können, werden sprachlich beschrieben vorweggenommen. In der Notfallambulanz könnte eine möglicherweise als bedrohlich empfundene oder zumindest irritierende Blutentnahme sprachlich vorbereitet werden: „Herr Mustermann, ich rufe jetzt die Schwester, die bei Ihnen … machen wird.“

Die beschreibende Sprache lässt sich auch gut zur Verbalisierung von Affekten nutzen.

„Manipulierende Sprache“ zur Unterstützung von Aufforderungen einsetzen.

Fallbeispiel

Manipulierende Sprache

In seltenen Fällen wird der Behandler versucht sein, einer Aufforderung den höchst möglichen Befolgungsgrad beizugeben.

Der Männern im Alltag wohlbekannte Satz „Liebling, steh auf und bring den Müll raus“ funktioniert, weil die negative Botschaft „bring den Müll raus“ an eine neutrale Aufforderung „steh auf“ geknüpft wurde und der so Aufgeforderte schon steht, d.h. sich in der Handlungsebene befindet, bevor er überhaupt die zweite – negative – Botschaft realisiert. Die positive Eingangskonnotation „Liebling“ ist dabei eher nebensächlich bzw. kann in einigen Fällen sogar den männlichen Argwohn wecken.

Wenn es im Notfall erforderlich sein sollte, dass der Betreffende das Zimmer des Behandlers verlässt, empfiehlt sich somit: „Herr Mustermann, stehen Sie auf (abwarten, dass der Patient aufsteht, dann fortfahren) und verlassen Sie das Zimmer.“

Immer auf persönliche Sicherheit achten!!!

Fallbeispiel

Persönliche Sicherheit

Der Behandler hatte seinen ersten Nachtdienst als psychiatrischer Arzt vom Dienst (AvD). Die Polizei stellte einen Patienten in Handschellen an der Pforte der psychiatrischen Klinik vor. Der Arzt erkundigte sich kurz bei den Polizisten, was vorgefallen war. Er ließ dem Patienten die Handschellen abnehmen, um den Beziehungsaufbau nicht zu stören. Zu seiner Sicherheit bat er die beiden Polizisten, vor dem AvD-Zimmer zu warten, und nahm den Patienten mit in das Zimmer. Das Zimmer war von länglicher Form, ein wenig breiter als 2 Meter, das Fenster im Rücken des Arztes konnte, wie alle Fenster in der psychiatrischen Klinik, nur auf Kipp geöffnet werden, vor dem Arzt befand sich ein Schreibtisch mit einem Telefon, davor der Patient auf einem Stuhl, die Eingangstür im Rücken. Im Gespräch zog der Patient unvermittelt eine Pistole und richtete sie auf den Arzt.

Folgende Überlegungen gingen dem Arzt durch den Kopf: Wenn ich die Polizei um Hilfe rufe, öffnet sich im Rücken des Patienten die Tür, er wird sich vielleicht erschrecken und aus Versehen abdrücken. Das Telefon kann ich nicht benutzen, er könnte die Gabel mit dem gestreckten Arm und der Waffe blockieren, der Raum ist für eine Ausweichbewegung zu schmal, das Fenster lässt sich nicht öffnen.

Der Arzt nahm eine offene Körperhaltung ein. Strahlte den Patienten an, öffnete leicht den Mund und formte eine kleine Rundung, streckte langsam den rechten Arm mit nach oben gedrehter offener Handfläche aus und sprach mit Ausdruck leichten Erstaunens und empathischer Neugier: „Oohh, eine Wumme! Zeig mal, ist die echt?“

Der Patient gab ihm einfach die Pistole, der Arzt steckte sie ein und führte das Gespräch fort. Am Ende des Gesprächs übergab er die Waffe den Polizisten, die sichtlich peinlich berührt waren und sich entschuldigten.

Bis heute weiß der Arzt nicht, ob die Waffe echt war. Er ist aber nie mehr in das Behandlungszimmer gegangen, das wie eine Mausfalle war, und hat dafür gesorgt, dass es in der Klinik künftig ein geeigneteres AvD-Zimmer gab.

Erläuterung:

Der Arzt beging den Fehler, nicht auf seine persönliche Sicherheit zu achten. Er hätte nicht in solch ein Zimmer gehen und er hätte den Patienten nicht allein explorieren dürfen. Als sich daraus für ihn eine Notfallsituation ergab, stellte er die klare Priorität, die Waffe zu bekommen – ohne Gefährdung. Dafür setzte er unmittelbar alle vorhandenen Ressourcen, seine Kommunikationskompetenz, ein. Seine nachfolgende verbale Intervention wurde körpersprachlich vorbereitet und mit einem empathischen Affekt unterlegt. Sie war lösungsorientiert, die Waffe zu bekommen, im Gegensatz zur u. g. Empfehlung durch die Verwendung des Begriffs „Wumme“ bewusst regressionsfördernd. Es wurde darüber das Bild zweier 10- bis 13-jähriger Jungen, vielleicht in einem Kornfeld sitzend, geschaffen, von denen einer eine Wumme hat und der andere sie gerne anschauen möchte. Die therapeutische Rolle des Arztes war empathisch, auf derselben Regressionsstufe mit dem Patienten angelegt.

Notfallaufgabe auf Machbarkeit beschränken! Die Beschäftigung mit nicht lösbaren Themen führt zum Verbrauch kostbarer Ressourcen wie Zeit, persönlicher Kraft, Motivation oder Personaleinsatz.

Klare Prioritäten vornehmen! Der Behandler sollte sich auf das Wesentliche konzentrieren. Die Intervention muss zunächst der Gefahrenabwehr oder deutlichen -minderung dienen, ggf. muss eine Sicherung des Betroffenen oder seines Umfeldes vorgenommen werden. Hierfür sind alle sofort verfügbaren Mittel einzusetzen, um einer weiteren Zunahme und Chronifizierung des Notfalls entgegenzuwirken. Erst im zweiten Schritt geht es um eine Erholung der verbrauchten Ressourcen und eine psychische Gesundung. Diese kann auch von einem anderen Behandler begleitet werden.

Lösungsorientierte Interventionen! Die Interventionen sollten zu einer Stärkung des positiven Selbstbildes beitragen, Regressionen vermeiden und dem Hilfesuchenden Verantwortung im Rahmen seiner Möglichkeiten übertragen. Der konstruktive Anteil der Persönlichkeit wird gefördert, wobei das zerstörerische Potenzial unbedingt zu berücksichtigen ist. Im weiteren Verlauf können neue Sichtweisen und Bewertungen vermittelt, kognitive und emotionale Umstrukturierungen vorgenommen und mit Verhaltensänderungen neue Regeln implementiert werden.

Die Befähigung des Behandlers, eine Beziehung aufzubauen, zu gestalten und den Hilfesuchenden (und seine Angehörigen) im Gespräch zu führen, ist von zentraler Bedeutung für die Notfall- bzw. Krisenintervention. Sein kommunikatives Geschick und seine Kreativität, wechselnde Situationen frühzeitig zu erfassen und gezielt auf sie zu reagieren, ist das wichtigste Handwerkszeug.

Berücksichtigung unterschiedlicher therapeutischer Rollen, z.B. empathisch – entlastend – schützend – Ich/Selbstwert stärkend – Grenzen setzend – konfrontativ – einengend. In Abhängigkeit von der Situation muss der Behandler unterschiedliche Rollen einnehmen können. Diese können während eines Gespräches durchaus mehrfach wechseln. Um den Hilfesuchenden (und seine Angehörigen) adäquat zu führen, sollte der Behandler die gesamte Klaviatur beherrschen (Kap. ▶ 1.3).

Kommunikations- und Problemlösekompetenz im Umfeld beachten! Der Behandler sollte sich im Vorfeld vergewissern, ob die beteiligten Dritten geeignet sind, stabilisierend und entlastend auf die Situation einzuwirken oder eher zu einer weiteren Eskalation beitragen können (Kap. ▶ 1.3). Geeignete Personen können frühzeitig in die Problemlösung eingebunden werden, ggf. können klar umschriebene Aufgaben an sie delegiert werden. „Engagierte“ Angehörige, welche mit ihrem hektischen Verhalten eher zur Beunruhigung aller beitragen, sollten mit einer „wichtigen“ Aufgabe betraut werden, z.B. Tee machen, sich um das Haustier kümmern, dem Rettungsdienst den Weg weisen oder ähnliches.

Die Aktivierung von Betroffenen und Angehörigen, die Verschiebung des Fokus, z.B. durch Fragen zur Person, anerkennende Äußerungen zu Kleidung, Frisur oder Schmuck, Fragen nach Haustieren bei Alleinstehenden oder Hobbies, wenn sie aus dem Kontext erschließbar sind, und die Umlenkung des Affektes, etwa durch Humor, sind hilfreiche Maßnahmen bei Überforderung. Sie führen zu einem Wechsel der Perspektive und erhöhen die innere Distanz zum Geschehen.

Die Planung entlastender Veränderungen muss realistisch, eindeutig, auf 24 Stunden begrenzt, unter Einbindung des Hilfesuchenden erfolgen. Sofern möglich, werden er und seine Angehörigen beteiligt.

Fallbeispiel

Planung entlastender Veränderungen

Wer macht was bis wann, wozu, wie?

Da Konzentration und Aufmerksamkeit aller an einer Notfallsituation Beteiligter beeinträchtigt sein können, empfiehlt es sich, zum Abschluss jedes Gesprächs Rückfragen zur „Ergebnissicherung“ vorzunehmen.

Der Verabschiedung des Hilfesuchenden und seiner Angehörigen sollte ausreichend Zeit eingeräumt werden, so dass die im Gespräch aufgebaute Entspannung mitgenommen werden kann.

Ggf. ist die Verabschiedung auch zur Betonung bzw. zum Aufbau von Zukunftsbezügen und -beziehungen zu nutzen, falls erforderlich, ist ein „Zukunftsanker“ zu setzen (▶ siehe Fallbeispiel „Zukunftsanker“ und ▶ Fallbeispiel „Auftrag zur nächsten Sitzung“).

1.6 Besonderheit Telefonkontakt

Die Person, welche das Telefonat annimmt (z.B. Telefonzentrale, Information, Pforte), sollte instruiert sein, Name und Telefonnummer des Anrufers zu erfassen und bei fehlender Unterdrückung auch die Telefonnummer im Display zu notieren.

Die Gesprächsführung entspricht im Wesentlichen den allgemeinen Empfehlungen. Direkte Fragen sind für den Anrufer leichter. Der Telefonkontakt begrenzt den diagnostischen Blick und wegen der fehlenden visuellen Rückkopplung auch die therapeutischen Interventionen. Die Beachtung der Stimme hinsichtlich Lautstärke, Geschwindigkeit, Pausen und Intonation bekommt eine höhere Bedeutung. Rückschlüsse auf den affektiven oder psychomotorischen Erregungszustand können auch aus der Atmung gezogen werden. Weiterhin ist auf mögliche Nebengeräusche zu achten. Das Telefonat mit einem unbekannten Anrufer ist vorsichtiger zu führen.

Schwierigkeiten kann die Auflösung der passiv-aggressiven Rolle des Anrufers bereiten, dem Therapeuten die Schuld und Verantwortung an der aktuellen Krisensituation und dem gescheiterten Leben zu geben. Hier empfehlen sich Ich-stärkende Interventionen, die Eigenverantwortung des Anrufers zu fördern und sich als Therapeut auf die Rolle eines Beraters zurückzuziehen. Ziel ist es, bei dem Anrufer eine aktiv-problemlösende Rolle aufzubauen. In einem problemorientierten Vorgehen werden dann die nächsten kleinen Schritte, die „Baby-Schritte“ konkret besprochen. Falls möglich, sollte der Anrufer bewegt werden, sich direkt im Notfalldienst vorzustellen.

Fallbeispiel

Eigenverantwortung fördernde Reaktionen

Der Arzt vom Dienst, Dr. Schmidt, wird von einem Unbekannten angerufen:

„Herr Schmidt, ich stehe mit dem Messer an der Kehle am Rand einer Klippe und wollte mich noch von jemandem verabschieden.“

Dr. Schmidt antwortet: „Herr Unbekannt, was meinen Sie, was ich jetzt tun soll?“

Oder weniger konfrontativ:

„Es ehrt Sie, dass Sie sich von mir verabschieden wollen. Da Sie mich angerufen haben, nehme ich an, Sie möchten mit mir sprechen. Worüber möchten Sie mit mir sprechen?“

Als weitere Antwortmöglichkeiten:

„Was würden Sie mir raten, wenn ich in Ihrer Position wäre?“

„Herr Unbekannt, Sie machen mich ratlos. Wie kann ich Ihnen konkret helfen?“

1.7 Fallstricke

Die psychotherapeutische Notfall- oder Krisenintervention kann mit Komplikationen einhergehen. Bei Nichtbeachtung können sie für den Therapeuten zu Fallstricken werden. Hierzu gehört die Projektion des seelischen Konfliktes oder früherer Bezugspersonen auf den Therapeuten, was zu einer Reinszenierung des erlittenen Traumas führen kann. Der Selbstwert- und Beziehungsmangel des Patienten kann den Helfer zu einem kompensatorischen Überengagement verleiten. Es besteht die Gefahr, dass sich hieraus eine Überidealisierung des Helfers mit nachfolgend negativer Reaktion entwickelt oder eine Sucht nach mehr Beziehung (auch auf Seiten des Helfers!) entsteht. Der Helfer erlebt durch sein Engagement eine narzisstische Aufwertung. Er sieht, dass der Patient von ihm abhängig ist und ihn braucht. Dies verschafft ihm Bestätigung, Bewunderung und darüber auch Wohlbefinden. Der Patient benötigt den Therapeuten, um seine innere und äußere Leere zu füllen. Er wird geneigt sein, die Kontakte auszuweiten, um sein zunehmendes Bedürfnis zu befriedigen. Wenn die gegenseitigen Erwartungen nicht mehr erfüllbar sind, kommt es zu Rückzug, Entwertungen und Kränkungen, die auch in eine suizidale Reaktion münden können.

Weitere Fallstricke können die narzisstische Abwertung bereits zu Beginn, Unsicherheiten oder Überidealisierung sein (s. auch Kap. ▶ 3.5.5, Kap. ▶ 3.5.8).

1.8 Selbsthilfe bei Überforderung

Die Achtsamkeit den eigenen Grenzen gegenüber, die klare Begrenzung einer Aufgabe auf ihre Machbarkeit mit paralleler Kommunikation nach außen und die rechtzeitige Hinzuziehung professioneller Unterstützung (z.B. Wachschutz, Polizei, Notarzt, andere Kollegen, eigene Supervision) helfen, eine Überforderung zu vermeiden. In einer für sich selbst belastend empfundenen Situation können Techniken zur Anwendung kommen, die die therapeutische Distanz vergrößern:

1.8.1 Äußere Distanzierung, Veränderung der Situation

Eine Änderung der Situation lässt sich räumlich über einen Wechsel der Sitzposition, des Stuhls mit einer neuen Blickausrichtung oder auch den Wechsel in ein anderes (Besprechungs-)Zimmer erreichen. Situativ kann ein anderes Thema eingeführt werden (z.B. Urlaub, Haustiere), der Behandler kann sich die Küche, das Wohnzimmer, die Bibliothek zeigen oder bei dem Patienten eine Blutentnahme oder Blutdruckmessung durchführen lassen.

1.8.2 Innere, emotionale Distanzierung oder Fokussierung, Perspektivenwechsel

Mithilfe einer beschreibenden Nüchternheit, der Einnahme einer beobachtenden Rolle oder der Fokussierung der Wahrnehmung auf belanglose Details, Aussehen, Kleidung, auf Veränderungen oder angenehme Persönlichkeitszüge kann eine innere Distanzierung erzielt werden. Eine Distanzierung zum Geschehen ist auch durch einen Perspektivenwechsel möglich, der Blick auf die Situation kann gezoomt werden von der Einzelheit auf das Gesamte oder umgekehrt (s. u.: (1), bei (2) schafft der Einsatz des nichtssagenden Unerwarteten eine Pause, verbunden mit einem Neustart, bei (3) trägt die gedankliche Befragung imaginärer Dritter zur eigenen Beruhigung bei). Weitere Techniken können den imaginativen Verfahren entnommen werden, der Behandler kann sich eine Glaswand zwischen sich und dem Patienten vorstellen oder sich gedanklich an einen angenehmen Ort bringen.

Fallbeispiel

Beruhigende Distanzierung durch Perspektivenwechsel

(1) Gedanke: „Jetzt sitze ich hier Herrn Mustermann gegenüber, in seiner Wohnung, die Wohnung ist in der … Straße, da wohnen mindestens 200 Familien, in der Stadt gibt es 200 000 Einwohner, in dem Bundesland sind es schon 20 Millionen, in Deutschland 80, und wieviel Menschen leben in Europa?“

(2) Frage: „Herr Mustermann, was haben Sie denn da für eine Krawatte um? Die sieht ja interessant aus. Wo haben Sie sie gekauft?“

(3) Gedanke: „Was würde wohl jetzt mein erfahrener Kollege Klaus machen? Der würde erstmal cool bleiben und eine rauchen. Und dann schauen, was der Patient Interessantes zu berichten hat.“

1.8.3 Einbezug Dritter, Aktivierung neutraler Angehöriger, Einholung einer Zweitmeinung

Die direkte Einbindung und Beteiligung neutraler Angehöriger oder Dritter („Was sagen Sie dazu?“, „Welche Meinung vertreten Sie?“) ist geeignet, die Entwicklung einer Konfrontationsstellung zwischen Hilfesuchenden und Helfer zu vermeiden und kann zur emotionalen und tatsächlichen Entlastung des Helfers beitragen.

1.9 Medikamentöse Notfall- und Konsiliarpharmakotherapie

1.9.1 Auswahlkriterien

Die Auswahl eines geeigneten Medikamentes zur Notfallbehandlung hängt von den äußeren Umständen, der aktuellen klinischen Symptomatik sowie möglichen Begleiterkrankungen und -medikation ab (▶ Tab. 1.1). Es macht keinen Sinn, in der Häuslichkeit oder auf der somatischen Station ein Medikament zu empfehlen, welches erst zeitaufwendig besorgt werden muss und womit der Weiterbehandler keine Erfahrung hat. Multimorbide Patienten bekommen häufig bereits eine größere Anzahl an Medikamenten. 10 Medikamente können z.B. 45 Wechselwirkungen bedingen. Das neue Medikament sollte somit zu den bisherigen passen und keine zusätzliche Gefährdung bedeuten. Patienten, bei denen aus der Vorgeschichte Suizidversuche bekannt sind, sollten kein Medikament bekommen, mit dem sie sich suizidieren können, d.h., es ist auf eine ausreichende therapeutische Breite zu achten. In der Notfallsituation soll ein Medikament möglichst schnell wirken. Es soll aber auch gut steuerbar sein, damit es nicht zu Überdosierungen und einer Überwachungspflicht kommt. Die Nebenwirkungen sollten gering sein und ebenfalls keine besondere Überwachung erfordern. Die Dosierung muss einfach sein, und die Therapiedauer ist zu beachten, so dass die Notfallmedikation nicht unkontrolliert als Dauermedikation fortgeführt wird.

Tab. 1.1

 Auswahlkriterien bei der Notfallmedikation.

Aspekt der Medikation

Augenmerk bzw. Auswahlkriterium

Notarztwagen, somatische Station?

Verfügbarkeit?

Multimorbidität?

Interaktionsprofil?

Suizidalität?

therapeutische Breite?

Pharmakokinetik

schneller Wirkeintritt

gute Steuerbarkeit