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Alexandra Ivy

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Beschreibung

Darcy Smith hat ihr Leben lang das Gefühl, anders zu sein — wie anders sie ist, ahnt sie jedoch nicht einmal: Von ihr allein hängt das Überleben einer Rasse von Dämonen ab. So wird sie zum Faustpfand im Krieg zwischen den Herrschern der Nacht: Styx, Oberhaupt der Vampire, und Salvatore, Herr der Werwölfe. An der Seite des einen wartet ein unsterbliches Leben voller Freuden, an der des anderen Versklavung bis in die Ewigkeit — wenn Darcy nur wüsste, wem sie trauen kann…

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Inhaltsverzeichnis
Die Guardians of Eternity stellen sich vor:
KAPITEL 1
KAPITEL 2
Copyright
Die Guardians of Eternity stellen sich vor:
Dante (Protagonist in »Der Nacht ergeben«)
»In den schmierigen Docks von London begann mein Vampirdasein, doch ich ließ diese erbärmlichen Anfänge rasch hinter mir. Frei wie ein Pirat durchstreifte ich das Land, verführte die Frauen, die mir gefielen, und nahm mir, was ich sonst noch brauchte. Doch das alles endete in jener Nacht, in der ich einem Hexenzirkel in die Hände fiel. Drei Jahrhunderte lang war ich ihr Gefangener, gefesselt an den Phönix, die Göttin des Lichts, gezwungen, sie zu schützen. Ein Schicksal, das ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen würde - bis der Phoenix auf die eine Frau überging, die den Mann in dem Monster erwecken konnte.«
Viper (Protagonist in »Der Kuss des Blutes«)
»Obwohl besser bekannt für meine Liebe zum Luxus und für meine Nachtclubs, in denen für die passende Summe alles käuflich ist, bin ich ein leidenschaftlicher Kämpfer und stellte mich den Gladiatorenkämpfen von Durotriges, um Clan-Chef zu werden. Man sagt mir nach, ich sähe aus wie ein gefallener Engel mit meinem langen silbernen Haar und meinen mitternachtsschwarzen Augen - aber an meiner unerschütterlichen Loyalität zu meinem Clan und meinem Verlangen nach der Frau meiner Träume ist nichts Himmlisches.Von dem Moment an, als ich der Shalott-Dämonin zum ersten Mal begegnete, wurde sie für mich zur Besessenheit. Ich werde alles tun, jeden opfern, um sie mein Eigen zu nennen.«
Styx (Protagonist in »Nur ein einziger Biss«)
»Mein Leben als Vampir dreht sich um Ehre und Pflichterfüllung. Über Jahrhunderte hinweg stand ich an der Seite des Anasso, des großen Meisters, der alle Vampirclans eint und die Gesetze schafft, die uns leiten. Nun bin ich selbst der Anasso und besitze genug Macht und Autorität, um über unsere gesamte Rasse zu herrschen. Kein Dämon würde es wagen, mit mir die Schwerter zu kreuzen, außer jenem arroganten Werwolf-Rudelführer, der mir den Fehdehandschuh hingeworfen hat, indem er seine Jagdgründe verließ und seine Unabhängigkeit erklärte. Um ihn unter Kontrolle zu bringen, habe ich jene mysteriöse Frau in meine Gewalt gebracht, die der Herr der Werwölfe so verzweifelt sucht - eine Frau, die es vermag, den mächtigsten, den gefürchtetsten Vampir auf die Knie zu zwingen - mit nur einem einzigen Kuss.«
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Darkness Everlasting (Guardians of Eternity, Book III)bei ZEBRA Books, New York
KAPITEL 1
Was Nachtclubs betraf, war das Viper Pit der weitaus teuerste, eleganteste und exklusivste in ganz Chicago.
Seltsamerweise war er auch der unbekannteste.
Im Telefonbuch war er nicht aufgeführt und es gab weder knallige Anzeigen auf Plakatwänden noch blinkende Neonlichter, die verraten hätten, wo er zu finden war. Tatsächlich lag das ganze Gebäude unter einem raffinierten Zauber verborgen.
Aber alle, die etwas auf sich hielten, wussten, wie der Club zu finden war. Und unter diesen gab es nicht einen einzigen Menschen.
Zwischen den Marmorsäulen und den glitzernden Brunnen bewegten sich diverse Dämonen, die sich alle verschiedenen schändlichen Aktivitäten hingaben, den Glücksspielen, dem Trinken, exotischen Tänzen und diskreten (sowie weniger diskreten) Orgien. All das kostete ein kleines Vermögen.
Ohne Zweifel waren es köstliche Zeitvertreibe, aber in dieser kalten Dezembernacht war der als Styx bekannte Vampir nicht an den Aktivitäten interessiert, die unterhalb seiner privaten Loge zur Verfügung standen. Oder an den diversen Dämonen, die innehielten, um sich tief in seine Richtung zu verbeugen.
Heute betrachtete er seine Kameraden mit deutlicher Resignation. Auf den ersten Blick hätten die beiden nicht unterschiedlicher sein können. Nun ja, das war nicht ganz korrekt, schließlich waren sie beide groß und mit den muskulösen Körpern aller Vampire gesegnet. Und beide besaßen dunkle Augen und natürlich Fangzähne. Aber damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf.
Der jüngere Vampir, Viper, stammte aus einem der nordslawischen Länder und verfügte über das hellsilberne Haar sowie die noch hellere Haut seiner Vorfahren.
Styx indes kam aus dem heißen Südamerika und hatte sich auch nach seiner Verwandlung die bronzefarbene Haut und die stolzen kantigen Gesichtszüge der Azteken bewahrt.
Heute Nacht hatte er seine traditionelle Robe verworfen und sich für eine schwarze Lederhose, hohe Stiefel und ein schwarzes Seidenhemd entschieden. Er war davon ausgegangen, dass er mit dieser Kleidung auf seinem Weg durch die Straßen von Chicago weniger auffallen würde. Unglücklicherweise gab es für einen fast zwei Meter großen Vampir mit rabenschwarzem Haar, das ihm in einem geflochtenen Zopf bis zu den Knien herunterhing, kaum eine Möglichkeit, nicht aufzufallen. Gerade sterbliche Frauen konnten sich der nahezu magischen Anziehungskraft der Vampire einfach nicht entziehen. Auf seinem Weg durch die dunklen Straßen hatte sich fast ein halbes Dutzend bewundernder Frauen an seine Fersen geheftet. Schließlich war er auf die Dächer geflüchtet, um ihrem hartnäckigen Interesse zu entgehen.
Bei den Göttern, er wünschte, er hätte in seinen Höhlen bleiben können, vor den Blicken der Menschheit verborgen.
Jahrhundertelang hatte er das Leben eines Mönches gelebt, während er den Anasso beschützt hatte, den Anführer aller Vampire. Er war Vollstrecker und Wächter gewesen und war dem uralten Vampir kaum jemals von der Seite gewichen.
Da der Anasso jetzt tot war, war er gezwungen gewesen, die Rolle des Anführers zu übernehmen, und er entdeckte allmählich, dass er sich nicht länger verstecken konnte.
»Ich bin stets entzückt, dich zu Gast zu haben, Styx, aber ich muss dich warnen. Mein Clan ist schon nervös genug, da du in unserer Mitte weilst«, sagte Viper gedehnt. »Wenn du nicht aufhörst, mich so finster anzublicken, werden sie zwangsläufig befürchten, dass sie bald ohne mich als ihren Clanchef dastehen werden.«
Styx wurde klar, dass er seine Aufmerksamkeit hatte abschweifen lassen, und setzte sich abrupt in dem exklusiven Ledersessel auf. Instinktiv hob er die Hand, um den Anhänger zu berühren, den er um den Hals trug. Es war ein Symbol seines Volkes. Ein Amulett, dazu erschaffen, Geister von einer Generation an die nächste weiterzugeben. Natürlich besaß Styx als Vampir keine fassbaren Erinnerungen an das Leben, das er geführt hatte, bevor er als Dämon auferstanden war. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, wenigstens an einigen seiner heiligen Traditionen festzuhalten.
»Ich blicke dich nicht finster an.«
Viper lächelte ironisch. »Styx, du vergisst, dass ich eine Gefährtin habe, was bedeutet, dass ich finstere Blicke bestens kenne. Und du, mein Freund, schaust ohne jeden Zweifel finster.« Sein Lächeln verblasste, als der andere Vampir ihn mit einem scharfen Blick bedachte. »Weshalb erzählst du mir nicht, was dich beunruhigt?«
Styx hielt inne, bevor er schwer aufseufzte. Er musste es tun. Selbst wenn er sich lieber auspeitschen, häuten und die Fangzähne ziehen lassen würde, als zuzugeben, dass er Hilfe brauchte. Als Clanchef dieser Gegend kannte sich Viper besser in Chicago aus als jeder andere Dämon. Es wäre mehr als töricht, seine Hilfe abzulehnen.
»Es geht um die Werwölfe«, antwortete er abrupt.
»Werwölfe?« Viper fauchte leise. Wie rivalisierende Fußballvereine konnten sich auch Vampire und Werwölfe gegenseitig nicht ausstehen. »Welche Art von Scherereien machen sie dir?«
»Es geht inzwischen über reine Scherereien hinaus. Sie haben ihre anerkannten Jagdgründe verlassen, und ich habe zumindest einen Teil des Rudels nach Chicago verfolgt.« Styx ballte die Hände im Schoß zu Fäusten. »Sie haben bereits mehrere Menschen getötet und die Leichen liegengelassen, damit die Behörden sie finden.«
Viper zuckte nicht mal mit der Wimper. Es war mehr als ein Rudel Werwölfe nötig, um den mächtigen Vampir aus dem Konzept zu bringen. »Ja, es gibt Gerüchte von wilden Hunden, die angeblich in den Gassen von Chicago umherstreunen. Ich hatte mich bereits gefragt, ob es sich dabei um Werwölfe handelt.«
»Sie haben einen neuen Anführer, einen jungen Werwolf namens Salvatore Giuliani, aus Rom. Er ist reinrassig und ehrgeiziger, als ihm guttut.«
»Hast du schon versucht, vernünftig mit ihm zu reden?«
Styx kniff die Augen zusammen. Ob er es mochte oder nicht, er war nun mal der Anführer der Vampire. Und das bedeutete, dass sich die Welt der Dämonen seinen Befehlen zu beugen hatte. Einschließlich der Werwölfe.
Bisher war der neueste Rudelführer seiner Verpflichtung gegenüber Styx allerdings nicht nachgekommen und hatte ihn nur mit Verachtung gestraft. Das war ein Fehler, den er sehr bald bedauern würde.
»Er weigert sich, sich mit mir zu treffen.« Styx’ Tonfall war so kalt wie seine Miene. »Er sagt, die Werwölfe würden anderen Dämonen nicht länger dienen und alle Abkommen, die in der Vergangenheit getroffen wurden, seien fortan null und nichtig.«
Viper zog die Augenbrauen hoch. Ohne Zweifel fragte er sich, aus welchem Grund Styx die Bestie noch nicht getötet hatte.
»Er ist entweder sehr mutig oder sehr dumm.«
»Sehr dumm. Ich habe ein Treffen der Kommission anberaumt, aber es kann Tage, wenn nicht Wochen dauern, bis sie sich an einem Ort versammelt haben.«
Styx sprach von dem Rat, der Streitigkeiten zwischen den diversen Dämonenrassen beilegte. Er bestand aus uralten Autoritäten, die ihre verborgenen Verstecke nur selten verließen. Unglücklicherweise handelte es sich dabei um das einzige legale Mittel, ein Urteil über den König oder Anführer einer anderen Rasse zu verhängen, ohne dass dafür Vergeltung geübt wurde.
»Bis dahin stellen die rücksichtslosen Taten der Werwölfe eine Bedrohung für uns alle dar.«
»Mein Clan steht bereit, um seine Hilfe anzubieten.« Ein Lächeln der Vorfreude erschien auf Vipers Lippen. »Wenn du möchtest, dass dieser Salvatore stirbt, so bin ich sicher, dass das arrangiert werden kann.«
Styx konnte sich nur wenige Dinge vorstellen, die befriedigender wären als der Befehl, Salvatore Giuliani zu töten. Außer die Vorstellung seine eigenen Zähne in die Kehle des räudigen Hundes zu graben. Es gab Zeiten, in denen es eine nervtötende Angelegenheit war, ein verantwortungsvoller Anführer zu sein.
»Das ist ein verlockendes Angebot, aber leider sind die Werwölfe diesem Mann ungewöhnlich treu ergeben. Ich zweifle nicht daran, dass den Vampiren die Schuld zugeschoben werden würde, wenn er plötzlich stürbe. Ich hoffe, einen ernsthaften Krieg vorerst vermeiden zu können.«
Viper neigte leicht den Kopf. Wie auch immer seine eigenen Wünsche aussahen, er würde sich Styx’ Autorität beugen. »Hast du einen Plan?«
»Es ist schwerlich ein Plan, aber ich hoffe, eine Möglichkeit entdeckt zu haben, Druck auf Salvatore auszuüben.« Er zog ein kleines Foto aus der Tasche und reichte es seinem Kameraden.
Viper studierte für einen Augenblick die kleine, zierliche Frau auf dem Bild. Mit ihrem kurzen blonden Stachelhaar und ihren grünen Augen, die zu groß für ihr herzförmiges Gesicht schienen, sah sie wie ein wunderschöner Kobold aus.
»Nicht mein Typ, aber ganz sicher ein Blickfang.« Er schaute auf. »Ist sie seine Geliebte?«
»Nein, aber Salvatore hat eine beträchtliche Menge an Geld und Energie aufgewendet, um diese Frau aufzuspüren. Ich glaube, dass er sie hier in Chicago endlich entdeckt hat.«
»Was hat er mit ihr vor?«
Styx zuckte mit den Schultern. Die Vampire, denen er befohlen hatte, den unberechenbaren Werwolf im Auge zu behalten, hatten es geschafft, diese Fotografie in die Finger zu bekommen, und es war ihnen auch gelungen, Salvatore bis nach Chicago zu verfolgen. Allerdings kamen sie nicht nahe genug an ihn heran, um herauszufinden, warum er von dieser Frau besessen war.
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, aber sie ist ihm offensichtlich sehr wichtig. So wichtig, dass er vielleicht willens sein könnte, über ihre Unversehrtheit zu verhandeln … falls ich imstande wäre, ihm zuvorzukommen und sie in meine Gewalt zu bringen.«
Ein Ausdruck der Überraschung zeigte sich auf dem blassen Gesicht. »Du hegst die Absicht, sie zu entführen?«
»Ich hege die Absicht, sie als meinen Gast aufzunehmen, bis die Werwölfe zur Vernunft kommen«, korrigierte Styx. Sein ganzer Körper versteifte sich, als Viper den Kopf in den Nacken legte, um herzhaft zu lachen. »Was ist daran so amüsant?«
Viper deutete auf das Bild in seiner Hand. »Hast du dir diese Frau genau angesehen?«
»Natürlich.« Styx runzelte die Stirn. »Das war notwendig, um sich ihre Gesichtszüge einzuprägen, für den Fall, dass das Bild verloren geht oder zerstört wird.«
»Und du willst sie dennoch freiwillig bei dir aufnehmen?«
»Weshalb sollte ich das nicht tun?«, verlangte Styx zu wissen.
»Der Grund ist doch offensichtlich.«
Styx unterdrückte seine aufflackernde Ungeduld. Wenn Viper Informationen über diese Frau besaß, warum teilte er sie dann nicht mit ihm, anstatt sich dermaßen geheimnisvoll aufzuführen?
»Du sprichst in Rätseln, alter Freund. Glaubst du, dass die Frau irgendeine Art von Gefahr darstellt?«
Viper hob die Hände. »Nur auf die Weise, wie jede schöne Frau eine Gefahr darstellt.«
Styx’ Augen verengten sich. Bei den Göttern, glaubte Viper tatsächlich, er sei empfänglich für die Reize einer Frau? Und dann auch noch einer sterblichen?
Wenn er eine Frau haben wollte, musste er nur einen Blick aus der Loge werfen. Der Nachtclub war voller Frauen, und es gab sogar mehr als nur ein paar Männer, die ihr Interesse bekundet hatten, seit er heute Abend durch die Tür getreten war.
»Die Frau wird meine Geisel sein, nichts weiter«, erwiderte er kalt.
»Natürlich.«
Styx, der Vipers anhaltende Belustigung spürte, zeigte ungeduldig auf das Foto. Schließlich war das der Grund, weshalb er überhaupt hergekommen war. »Kennst du das Etablissement, vor dem sie steht?«
»Es kommt mir bekannt vor.« Viper nahm sich einen Augenblick Zeit und nickte dann. »Ja. Das ist eine Gothic-Bar. Ich würde sagen, sie liegt vier, nein, warte … fünf Blocks südlich von hier.«
»Ich danke dir, alter Freund.« Styx stand schnell auf. Er streckte die Hand aus, um das Foto an sich zu nehmen, und steckte es wieder in die Tasche.
Viper erhob sich ebenfalls und legte Styx eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. »Warte, Styx.«
Dieser unterdrückte die Ungeduld, die in ihm aufstieg. Er hatte nicht die Zeit, noch länger zu verweilen. Je eher er sich die Frau schnappte, desto eher würde er wissen, ob sie für die Werwölfe tatsächlich von Bedeutung war.
»Was gibt es?«
»Was wirst du tun?«
»Das habe ich dir doch bereits gesagt. Ich hege die Absicht, die Frau zu meiner Gefangenen zu machen.«
»Einfach so?«, fragte Viper.
Styx sah ihn verwirrt an. »Ja.«
»Du kannst nicht allein gehen. Wenn die Werwölfe über sie wachen, werden sie versuchen, dich aufzuhalten.«
»Ich fürchte kein Rudel Hunde«, gab Styx verächtlich zurück.
Viper weigerte sich nachzugeben. »Styx!«
Styx seufzte. »Meine Raben werden in der Nähe sein«, versprach er und deutete auf die fünf Vampire, die seit Jahrhunderten seine Begleiter waren und so sehr Teil von ihm wie sein eigener Schatten.
Der silberhaarige Vampir war jedoch noch immer nicht zufrieden. »Und wohin wirst du sie bringen?«
»In mein Versteck.«
»Großer Gott!« Viper lachte unüberhörbar auf. »Du kannst die arme Frau doch nicht in diese feuchtkalten, widerwärtigen Höhlen bringen.«
Styx runzelte die Stirn. Er hatte noch nie über den Komfort seiner Behausung nachgedacht. Für ihn waren seine Höhlen einfach ein Ort, an dem er sich in Sicherheit vor der Sonne befand. »Die meisten der Höhlen sind recht komfortabel.«
»Es ist schlimm genug, dass du die Frau als Geisel nimmst. Aber dann solltest du sie wenigstens an einen Ort bringen, der über ein anständiges Bett und einige Annehmlichkeiten verfügt.«
»Was für eine Rolle spielt das? Sie ist doch nichts weiter als ein Mensch.«
»Es spielt eine Rolle, weil sie ein Mensch ist. Meine Güte, Menschen sind empfindlicher als Tauelfen!« Mit fließenden Bewegungen schritt Viper rasch auf den Schreibtisch zu, der den Großteil seines an die Loge angrenzenden Büros einnahm. Er griff in eine Schublade und zog ein Blatt Papier heraus. Nachdem er einige Zeilen hingekritzelt hatte, steckte er die Hand in die Tasche und zog einen kleinen Schlüssel hervor. Er kehrte zu Styx zurück und legte ihm beides in die Hände. »Hier.«
»Was ist das?«, wollte Styx wissen.
»Der Schlüssel zu meinem Anwesen nördlich der Stadt. Es ist ruhig und abgelegen genug für deine Zwecke, aber weitaus angenehmer als dein Versteck.« Er zeigte auf das Papier. »Das ist die Wegbeschreibung. Ich werde Santiago und dem Rest meines Personals Bescheid geben, damit sie dich erwarten.«
Styx öffnete den Mund, um zu protestieren. Vielleicht war sein Versteck nicht elegant oder luxuriös, aber es lag gut geschützt. Und noch wichtiger war die Tatsache, dass er die Umgebung gut kannte. Doch wie Viper bereits betont hatte, waren Menschen unangenehm empfindlich, und Styx wusste, dass sie zu einer ganzen Reihe überraschender Krankheiten und Verletzungen neigten. Und er brauchte die Frau lebendig, wenn sie ihm von irgendeinem Nutzen sein sollte.
»Es wäre gut, in der Nähe der Stadt zu bleiben, um mit den Werwölfen verhandeln zu können«, gab er zu.
»Und um Hilfe herbeirufen zu können, falls du sie benötigst«, ergänzte Viper.
»Ja.« Styx steckte den Schlüssel in die Tasche. »Jetzt muss ich gehen.«
»Gib auf dich acht, alter Freund.«
Styx nickte düster. »Das kann ich dir versprechen.«
Gina, eine rothaarige Kellnerin mit Sommersprossen, lehnte lässig am Tresen, als drei Männer den Gothic-Nachtclub betraten. »Ach du Scheiße, geile Typen im Anmarsch!«, brüllte sie, um den ohrenbetäubenden Lärm der Band in ihrer Nähe zu übertönen. »Na, das ist ja mal Frischfleisch allererster Güte!«
Darcy Smith wandte die Augen von dem Drink ab, den sie gerade mixte, und warf einen Blick auf die neuen Gäste. Sie hob überrascht die Brauen.
Normalerweise war Gina nicht übermäßig anspruchsvoll. Sie betrachtete alles, was auch nur entfernt männlich schien und auf zwei Beinen stand, als Frischfleisch allererster Güte. Aber diese Typen verdienten wirklich die Bestnote.
Darcy pfiff leise durch die Zähne, während sie die beiden studierte, die ihr am nächsten standen.
Der Inbegriff der Steroidgeneration, stellte sie fest, als sie die hervortretenden Muskeln beäugte, die unter den engen T-Shirts und maßgeschneiderten Jeans wie aus Marmor gemeißelt wirkten. Merkwürdigerweise hatten sich beide die Köpfe rasiert.Vielleicht, um die gefährlich finsteren Augen hervorzuheben, die ihre attraktiven Gesichter beherrschten, oder um die Ausstrahlung von Aggression zu betonen, die sie umgab.
Es funktionierte jedenfalls.
Im Gegensatz dazu war der Mann, der hinter ihnen stand, geradezu feingliedrig gebaut. Natürlich konnte der elegante Seidenanzug nicht ganz die geschmeidigen Muskeln verbergen, genauso wenig, wie die langen schwarzen Locken die dunklen, adlerartigen Gesichtszüge kaschierten. Doch Darcy wusste sofort mit absoluter Gewissheit, dass er der gefährlichste des Trios war.
Eine unnatürliche Wildheit umgab ihn, als er seine Handlanger durch die dichte Menschenmenge führte.
»Der mit dem Anzug sieht wie ein Gangster aus«, bemerkte sie kritisch.
»Ein Gangster in einem Armani-Anzug.« Gina ließ ein Lächeln aufblitzen. »Ich hatte schon immer eine Schwäche für Armani.«
Darcy rollte mit den Augen. Sie selbst hatte nie Interesse an Designerkleidung gehabt und ebenso wenig an der Art von Männern, die es für nötig hielten, sie zu tragen.
»Was will der bloß hier?«, murmelte sie.
Die Menschenmenge in der Bar bestand vorwiegend aus der üblichen Mischung: Gothics, Metalheads, Stonies und den wirklich Bizarren. Die meisten Leute kamen her, um sich die Heavy-Metal-Bands anzuhören und sich auf der beengten Tanzfläche auszutoben. Einige wenige bevorzugten die Hinterzimmer, in denen eine breite Auswahl illegaler Beschäftigungen angeboten wurde. Es war kein Ort, der eine niveauvolle Kundschaft anzog.
Gina schüttelte ihr Haar ordentlich durch, bevor sie nach ihrem Tablett griff. »Ist wahrscheinlich hier, um die Einheimischen anzugaffen. Leute mit Kohle genießen es dann und wann in Kontakt mit dem Pöbel zu kommen.« Sie schnitt eine Grimasse, wobei ihre Miene ihr ein deutlich älteres Aussehen verlieh, als es ihren Jahren entsprach. »Solange sie sich dabei nicht schmutzig machen.«
Darcy beobachtete mit einem kleinen Lächeln, wie die Kellnerin sich zügig ihren Weg durch die wilde Menge bahnte. Sie konnte Gina ihre zynische Art nicht verübeln. Wie sie selbst war sie ganz allein auf der Welt und hatte weder die Ausbildung noch die Mittel, um auf eine große Karriere zu spekulieren.
Darcy selbst weigerte sich allerdings, Bitterkeit in ihrem Herzen aufkeimen zu lassen. Was für eine Rolle spielte es schon, dass sie gezwungen war, jeden Job anzunehmen, der sich ihr bot?
Barkeeperin, Pizzabotin, Yogalehrerin und gelegentlich auch Aktmodell für die örtliche Kunstschule - nichts war unter ihrer Würde. Stolz konnte man sich nicht leisten, wenn man die täglichen Brötchen selbst verdienen musste.
Außerdem sparte sie auf etwas Besseres: Eines Tages würde sie ihren eigenen Naturkostladen haben, und sie würde nicht zulassen, dass sich ihr irgendjemand in den Weg stellte.
So beschäftigt wie Darcy mit dem Einschenken von Drinks und dem Abwaschen von Gläsern war, bemerkte sie nicht, dass sich die Neuankömmlinge an der Bar niederließen. Erst als ihre wütenden Blicke und ihr Muskelspiel es geschafft hatten, den Rest der Stammgäste am Tresen zu vertreiben, stellte sie fest, dass sie praktisch allein mit ihnen war.
Darcy verspürte ein seltsames Aufflackern von Unbehagen, zwang aber ihre Füße, sie in Richtung der wartenden Männer zu tragen. Sie sagte sich selbst, dass ihr Verhalten lächerlich war. Es befanden sich über hundert Menschen in der Bar. Da konnten diese Männer keine Bedrohung darstellen.
Sie blieb instinktiv vor dem Mann im Anzug stehen und unterdrückte ein leises Keuchen, als sie der Blick aus seinen goldbraunen Augen traf. In ihnen loderte eine Hitze, die fast greifbar war. Himmel. Ein Wolf in Seidenkleidern.
Sie war sich nicht sicher, woher dieser alberne Gedanke kam, und sie verdrängte ihn schnell wieder. Der Mann war ein Gast und sie war hier, um ihn zu bedienen. Nicht mehr und nicht weniger.
Sie setzte ein Lächeln auf und legte einen kleinen Papieruntersetzer vor ihm auf den Tisch. »Kann ich Ihnen helfen?«
Langsam kräuselte ein Lächeln seine Lippen und enthüllte überraschend weiße Zähne. »Das will ich doch hoffen, cara«, antwortete er gedehnt. Ein schwacher Akzent war aus seinen Worten herauszuhören.
Die Härchen in Darcys Nacken richteten sich auf, als sein goldener Blick träge über ihr schwarzes T-Shirt und ihren zu kurzen Minirock glitt. In seinen Augen lag ein Hunger, von dem sie sich nicht sicher war, ob er ausschließlich sexuell gedeutet werden konnte. Es wirkte eher so, als ob er sie als ein leckeres Kotelett betrachtete.
»Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?« Sie zwang sich, einen energischen Ton anzuschlagen, der aus hundert Schritten Entfernung eine Erektion zum Erschlaffen hätte bringen können.
Der Fremde lächelte nur. »Eine Bloody Mary.«
»Pikant?«
»Und wie.«
Sie widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen. »Und Ihre Freunde?«
»Die sind im Dienst.«
Darcys Blick schoss zu den Männern, die mit verschränkten Armen hinter ihrem Anführer aufragten wie hirnlose Zwillinge.
»Sie sind der Boss.« Darcy trat von der Bar zurück und mixte den Drink. Sie fügte eine Selleriestange und eine Olive hinzu, bevor sie zurückkehrte. »Eine Bloody Mary.«
Sie wandte sich bereits ab, als der Mann die Hand ausstreckte, um sie am Arm festzuhalten. »Warten Sie.«
Sie blickte missbilligend auf die dunklen, schlanken Finger auf ihrem Arm herunter. »Was wollen Sie?«
»Leisten Sie mir Gesellschaft. Ich hasse es, allein zu trinken.«
Offensichtlich zählten die hirnlosen Zwillinge nicht. »Ich bin auch im Dienst.«
Er warf einen nachdrücklichen Blick auf die verlassene Bar. »Niemand scheint Ihre Dienste sonderlich dringend zu brauchen. Niemand außer mir.«
Darcy seufzte. Sie war nicht gern unhöflich. Das war schlecht für ihr Karma. Aber dieser Mann verstand ganz eindeutig keine Zwischentöne. »Wenn Sie Gesellschaft suchen, bin ich mir sicher, dass sich hier jede Menge Frauen freuen würden, etwas mit Ihnen zu trinken.«
»Ich will nicht jede Menge Frauen.« Die goldenen Augen brannten sich in ihre. »Nur Sie.«
»Ich arbeite.«
»Sie können nicht die ganze Nacht arbeiten.«
»Nein, aber wenn ich fertig bin, gehe ich nach Hause.« Sie entzog sich seinem Griff. »Allein.«
Etwas, das vielleicht Verärgerung sein mochte, huschte über das ausgesprochen attraktive Gesicht. »Alles, was ich will, ist, mit Ihnen zu reden. Sicherlich können Sie mir ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern.«
»Mit mir reden? Worüber?«
Er warf einen ungeduldigen Blick auf die Menschenmenge, die jede Minute ausgelassener wurde. Offenbar wusste er die Begeisterung der in Leder gehüllten Teenager mit den zahlreichen Piercings nicht zu schätzen, die sich in vollem Tempo gegenseitig rammten.
»Ich würde es vorziehen, wenn wir an einen etwas privateren Ort gingen.«
»Auf keinen Fall.«
Seine Miene verfinsterte sich. Noch befremdlicher war allerdings die Tatsache, dass in den goldenen Augen plötzlich ein inneres Licht zu glühen schien. Als habe jemand dahinter eine Kerze angezündet.
»Ich muss mit Ihnen sprechen, Darcy. Ich würde es vorziehen, wenn unsere Beziehung zueinander freundlich bliebe - schließlich sind Sie eine attraktive junge Frau -, aber wenn Sie diese Situation erschweren, bin ich darauf vorbereitet, alles zu tun, was notwendig ist, um meinen Willen zu bekommen.«
In Darcys Herz flackerte plötzlich Angst auf. »Woher kennen Sie meinen Namen?«
Er beugte sich vor. »Ich weiß sehr vieles über Sie.«
Diese Unterhaltung verwandelte sich von seltsam in ausgesprochen gruselig. Hinreißend aussehende Herren in tausend Dollar teuren Anzügen und mit persönlichem Gefolge belästigten normalerweise keine armen Barkeeperinnen. Es sei denn, sie beabsichtigten sie zu töten und zu verstümmeln.
Darcy machte einen abrupten Schritt nach hinten. »Ich denke, Sie sollten besser Ihren Drink austrinken, sich Ihre Schlägertypen schnappen und verschwinden.«
»Darcy …« Der Mann streckte die Hand aus, als ob er sie mit physischer Gewalt zwingen wollte, ihm Gesellschaft zu leisten.
Glücklicherweise schien seine Aufmerksamkeit plötzlich nachzulassen. Er wandte den Kopf zur Tür. »Wir haben Gesellschaft bekommen«, knurrte er in Richtung der Zwillingstypen. »Kümmert Euch darum.«
Augenblicklich rannten die beiden Schläger in erstaunlichem Tempo auf die Tür zu. Der Mann erhob sich von seinem Barhocker und sah ihnen nach, als ob er erwartete, dass eine Armee in den Club gestürmt käme.
Das genügte Darcy. Sie mochte vielleicht nicht zu den klügsten Köpfen der Welt gehören, aber sie erkannte eine Gelegenheit, wenn sie sich bot. Was auch immer der Mann von ihr wollte, es konnte nichts Gutes sein. Je mehr Abstand sie zwischen ihn und sich selbst bringen konnte, desto besser.
Darcy raste auf das andere Ende der Bar zu und ignorierte den plötzlichen Aufschrei des Mannes hinter ihr. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, einen Blick auf die Menge zu werfen, um dort jemanden um Hilfe zu bitten. Eine schreiende Frau wäre hier bloß ein weiterer Teil der Show.
Stattdessen wandte sie sich dem hinteren Teil des Clubs zu. Am Ende des Flurs befand sich ein Vorratsraum, dessen Türschloss sehr stabil wirkte. Da konnte sie sich verstecken, bis einer der Rausschmeißer sie hinter der Bar vermisste. Sollten die sich mit dem wahnsinnigen Stalker herumschlagen, schließlich gehörte das zu ihrer Stellenbeschreibung.
Da sie sich so sehr auf die Verfolgungsgeräusche von hinten konzentrierte, bemerkte Darcy nicht die dichten Schatten, die sich ihr von vorne näherten. Bis sich einer von ihnen direkt in ihren Weg stellte. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf ein bildschönes bronzefarbenes Gesicht und kalte schwarze Augen, bevor der fremde Mann ein einziges Wort sagte, sie zu Boden fiel und die Dunkelheit sie verschlang.
KAPITEL 2
Styx stand stumm und unbeweglich neben dem Bett. In genau dieser Position verharrte er schon seit siebzehn Stunden, um über die Frau zu wachen, die wie hingegossen auf der Matratze lag.
Ein Teil von ihm wusste, dass seine Wache unnötig war. Vipers Anwesen lag nicht nur abgelegen, sondern es verfügte außerdem über ein Sicherheitssystem, das selbst Fort Knox in den Schatten gestellt hätte. Seine Gefangene konnte nicht einmal niesen, ohne dass er davon wusste.
Seltsamerweise stellte er fest, dass er trotzdem blieb. Es konnte nicht an dem schlanken, beinahe fragilen weiblichen Körper liegen, der sich auf dem goldenen Deckbett zusammengerollt hatte. Oder an dem herzförmigen Gesicht, das im Schlaf unerträglich unschuldig wirkte. Auch nicht an dem lächerlich stachligen Haar, das die hübsche Wölbung ihres Ohres und den verführerisch geschwungenen Hals entblößte. Er war nicht so verzweifelt, dass er es nötig hatte, eine Frau anzustarren, während sie ohnmächtig dalag.
Es geht einfach darum, dass ich in der Nähe sein will, wenn sie aufwacht, redete er sich selbst ein. Zweifellos würde sie schreien und weinen und durcheinander sein. Schließlich war sie ein Mensch.
Er befand, dass das eine akzeptablere Erklärung war, und zog sorgsam eine Decke über die schlanke Gestalt der Frau.
Als er gerade ein Stück zurückgetreten war, spürte er, dass sie gegen den Zauber ankämpfte, mit dem er sie belegt hatte.
Sie bewegte sich unter der Decke und versteifte sich, als sie bemerkte, dass er ihr das Hemd und den Minirock ausgezogen hatte, um es ihr bequemer zu machen. Natürlich hatte er ihr ihren schwarzen Spitzenslip und ihren Büstenhalter gelassen. Menschen waren eigenartig, was solche Dinge betraf.
Styx wartete geduldig darauf, dass die Frau aus ihrer Ohnmacht erwachte. Schließlich runzelte er die Stirn, denn sie blieb mit geschlossenen Augen auf dem Kissen liegen. Ihm wurde klar, dass sie zwar wach war, aber weiterhin vorgab zu schlafen. Was für eine Dummheit.
Er trat vor und beugte sich hinunter, bis er ihr direkt ins Ohr flüstern konnte. »Ich weiß, dass Ihr wach seid. Dieses Täuschungsmanöver ist reine Zeitverschwendung.«
Sie drückte sich tiefer in das Kissen und zog die Decke bis zum Kinn hoch. Aber sie hielt die Augen fest geschlossen.
»Wo bin ich? Wer sind Sie?«
»Ich kann auf diese Art und Weise nicht mit Euch sprechen«, sagte er. Ihr Duft erfüllte seine Sinne. Sie roch nach frischen Blumen. Und nach heißem Blut. Eine verblüffend erotische Kombination. Er unterdrückte ein Stöhnen, als seine Muskeln sich heftig zusammenzogen.
»Wenn ich meine Augen geschlossen halte, kann ich so tun, als ob all das ein Albtraum wäre, der irgendwann vorbei ist«, murmelte sie.
»Ich mag ja ein Albtraum sein, aber ich befürchte, ich werde nicht verschwinden.«
Er wartete noch einen Moment. Doch schließlich beugte sich Styx zu ihr und drückte seine Lippen auf ihre.
Ihre großen grünen Augen öffneten sich abrupt, und in ihnen schimmerte ein Ausdruck von Überraschung. »He«, keuchte sie, »Aufhören!«
Styx machte abrupt einen Schritt nach hinten. Nicht wegen ihres Protests. Er war der Anasso. Sein Wille war es, der zählte. Nein, er wich deshalb zurück, weil die Anziehung zu groß war. Er wollte spüren, wie ihre Hitze und ihr Duft ihn einhüllten. Er wollte ihre Lippen kosten und seine Fangzähne tief in ihr Fleisch graben. Das war nicht nur erregend, sondern kam verdammt ungelegen.
»Ich habe Euch Nahrung gebracht.« Er zeigte auf das Tablett auf dem Nachttisch.
Sie betrachtete den großen Teller mit frischem Schinken, Rührei und Toast und sagte verächtlich: »Sie haben vor, mich zu füttern, bevor Sie mich vergewaltigen und verstümmeln? Wie aufmerksam!«
»Ihr habt eine sehr lebhafte Fantasie«, meinte er gedehnt. »Esst, dann werden wir reden.«
»Nein.«
Styx zog die Brauen zusammen. Nein war ein Wort, das in seiner Gegenwart nicht verwendet wurde.Von niemandem.
Und ganz gewiss nicht von einer verwahrlosten jungen Frau, die er mit einer Hand zerquetschen konnte. »Eure Halsstarrigkeit schadet Euch nur selbst. Ihr müsst hungrig sein.«
Sie erschauderte leicht. »Ich verhungere fast, aber das esse ich nicht!«
»Es gibt nichts daran auszusetzen.«
»Da ist Fleisch dabei.«
Styx blickte sie mit einem Anflug von Verwirrung an. Er hatte noch nicht viel Zeit mit Sterblichen verbracht. Sie boten ihm Blut und gelegentlich auch Sex. Aber nichts davon hatte ihm einen ausreichenden Einblick in ihre recht eigentümliche Lebensweise verschafft. »Ich dachte, die meisten Menschen äßen Fleisch.«
Sie blinzelte, als ob seine Worte sie überraschen würden. »Nicht dieser Mensch hier. Ich bin Vegetarierin.«
»Nun gut.« Jahrhundertelange Übung ermöglichte es ihm, nicht die Geduld zu verlieren. Er hatte erwartet, dass diese Frau nur Ärger machen würde, und es sah so aus, als würde er sich nicht irren. Styx hob das Tablett auf, durchquerte den Raum und öffnete die Tür, um es einem wartenden Raben in die Hände zu drücken. »Holt Ms. Smith etwas Vegetarisches!«, befahl er.
Er schloss die Tür wieder und drehte sich um. Die Frau setzte sich im Bett auf, fest in die Decke gewickelt. Schade. In den vergangenen Stunden hatte er herausgefunden, dass es ihm gefiel, ihren Körper zu betrachten.
»Wo bin ich?«, stieß sie rau hervor.
»Auf einem kleinen Anwesen nördlich der Stadt.« Er trat wieder zu ihr ans Bett.
Sie kniff die schönen Lippen zusammen. »Das sagt mir überhaupt nichts. Warum bin ich hier?«
Styx verschränkte die Arme vor der Brust. Die Frau schien zu vergessen, dass sie seine Gefangene war. Er war derjenige, der etwaige Verhöre leitete. »Habt Ihr irgendwelche Erinnerungen an den gestrigen Abend?«, fragte er.
Sie wunderte sich über seinen schroffen Tonfall und hob unbestimmt die schlanken Schultern. »Ich habe in der Bar gearbeitet, und irgendein Mann, begleitet von zwei Schlägertypen, hat angefangen, mich zu belästigen.« Ihre Augen verengten sich. »Ich war auf dem Weg zum Vorratsraum, als sie … taten, was auch immer sie mir angetan haben.«
»Es wird kein Schaden zurückbleiben.«
»Sie haben leicht reden.«
Er ignorierte ihre Zurechtweisung. »Was wollten die Männer von Euch?«
Sie schwieg, aber dann wurde ihr klar, dass sie keine andere Wahl hatte, als zu antworten. »Reden.«
»Worüber?«
»Keine Ahnung. Was wollen Sie denn?«
Er fauchte leise angesichts ihrer ausweichenden Antworten. Normalerweise eilte ihm sein Ruf voraus. Die meisten intelligenten Wesen taten alles, um ihn zufriedenzustellen. Kaum einer hegte den Wunsch, herauszufinden, ob die Gerüchte bezüglich seiner kalten Rücksichtslosigkeit wahr oder erfunden waren. »Kanntet Ihr sie? Hatten sie sich Euch schon einmal genähert?«
»Ich habe sie noch nie zuvor in meinem Leben gesehen.«
»Und Ihr habt keine Ahnung, aus welchem Grunde sie an Euch interessert waren?«
»Nein.«
Styx forschte eine ganze Weile in ihrem Gesicht. Er glaubte nicht, dass sie log. Schließlich hatte Salvatore Wochen damit verbracht, sie in Chicago aufzuspüren. Das wäre eine unnötige Anstrengung gewesen, wenn sie miteinander bekannt gewesen wären. Aber es musste eine Erklärung dafür geben, dass der Werwolf so begierig darauf war, sie in seine Gewalt zu bekommen. Es gab sicher irgendeine Verbindung zwischen ihnen.
»Sie müssen doch einen Grund gehabt haben.« Er durchbohrte sie mit einem warnenden Blick. »Ihr müsst Salvatore einiges wert sein, wenn er so viel riskiert.«
Erstaunlicherweise duckte die Frau sich nicht, und sie begann auch nicht unter seinem strengen Blick zu wimmern. Vielmehr reckte sie ihr winziges Kinn und funkelte ihn ihrerseits an. »Hören Sie, ich versuche ja, mich nicht in eine dieser hysterischen Frauen zu verwandeln, die in jeder Situation sofort mit den Händen wedeln und ohnmächtig werden, aber wenn Sie mir nicht langsam mal sagen, wer Sie sind und warum ich hier bin, fange ich an zu schreien!«, warnte sie ihn.
Styx blinzelte.Vielleicht sollte er sein Verhalten gegenüber der Frau noch einmal überdenken. Zugegeben, sie verhielt sich durchaus verwirrend. Und sie hatte zweifelsohne Angst. Aber sie verfügte auch über eine eiserne Entschlossenheit, die er nicht erwartet hatte.
»Möchtet Ihr die Wahrheit hören?«, fragte er.
»Oh, bitte.« Sie presste die Lippen zusammen und holte tief Luft. »Aber wenn Sie mir jetzt mit dem Klischee kommen, dass ich nicht in der Lage wäre, sie zu ertragen, schreie ich wirklich!«
Er wusste nicht, worüber zum Teufel sie sprach, aber wenn sie die Wahrheit wirklich hören wollte, war er willens, sie ihr zu offenbaren.
»Also gut. Der Mann, der sich Euch am gestrigen Abend näherte, war Salvatore Giuliani.«
Sie zog die Brauen in die Höhe. »Sollte ich den Namen kennen?«
»Er ist der Rudelführer.«
»Rudelführer? Sie meinen, er ist irgendeine Art von Bandenboss?«
»Ich meine, dass er der König der Werwölfe ist. Die beiden Schlägertypen, wie Ihr sie nennt, sind Angehörige seines Rudels.«
Die Miene der Frau wurde ausdruckslos, und ihre Finger umklammerten die Decke so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. »Okay, ich bin froh, dass wir das geklärt haben«, meinte sie vorsichtig. »Wenn Sie mir jetzt meine Klamotten wiedergeben könnten …«
»Ihr sagtet, Ihr wolltet die Wahrheit hören.«
»Das wollte ich auch.«
Styx seufzte ungeduldig. »Menschen sind schwierig. Sie glauben selbst dann nichts, wenn sie fast über Beweise stolpern.«
Sie zog sich ans Kopfende des Bettes zurück und zwang sich zu einem steifen Lächeln. »Was ist jetzt mit meinen Klamotten?«
Er glitt ebenfalls auf die Matratze. Nicht so nahe, dass sie sich bedroht fühlen würde, aber nahe genug, um ihr zu zeigen, dass sie nicht darauf hoffen dürfte, fliehen zu können.
»Diese Männer waren Werwölfe, und ich bin ein Vampir«, erklärte er ernst.
»Und ich nehme an, Frankenstein wartet draußen vor der Tür?«
Styx fauchte leise. Diese lächerlichen Hollywood-Mythen! Menschen waren doch so schon töricht genug, auch ohne dass ihr Verstand durch solchen Schmutz verdorben wurde.
»Ich sehe, dass Ihr ohne Beweise nicht zufrieden sein werdet.« Styx spürte, dass eine Sondervorstellung notwendig war. Er zog die Lippen nach hinten und ließ seine Fangzähne wachsen.
Es folgte kein Schrei. Sie wurde nicht bewusstlos. Sie keuchte nicht einmal. Stattdessen sah ihn diese nervenaufreibende Frau weiterhin an, als sei er schwachsinnig.
»Ich habe schon jede Menge Vampirzähne gesehen. Ich arbeite in einer Gothic-Bar. Die Hälfte unserer Gäste hat so was.«
»Ich könnte Euch aussaugen, um zu beweisen, dass ich recht habe, aber ich glaube nicht, dass Euch das gefallen würde, mein Engel.« Er streckte sich über ihren angespannten Körper hinweg, um nach dem Messer zu greifen, das vom Tablett gefallen war. Es war lang genug, um die Aufgabe zu erfüllen, für die er es benötigte. »Vielleicht wird das reichen.«
Sie zuckte zusammen, und Angst flackerte in ihren Augen auf. »Was zur Hölle machen Sie da?«, fragte sie, als er sich das Seidenhemd aufriss, um seine Brust und damit die auffällige Drachentätowierung zu enthüllen, die im Kerzenlicht aufblitzte.
Ohne zu zögern, schlitzte Styx die glatte Haut seiner Brust auf. Dieses Mal war tatsächlich ein kleiner Schrei von ihr zu hören, bis sie sich entsetzt die Hand vor den Mund schlug.
»O Gott, nein! Sie sind ja total verrückt!«, keuchte sie.
»Seht einfach nur hin!«, befahl er und senkte den Blick, um selbst dabei zuzusehen, wie die bronzefarbene Haut sofort wieder verheilte, ohne dass mehr als ein dünner Blutrand zurückgeblieben wäre.
Er hielt den Kopf noch gesenkt, als er spürte, wie sie sich bewegte, und bevor er über ihre Absichten nachdenken konnte, hatte sie ihm leicht ihre Hand auf die Brust gelegt.
Und plötzlich wurde er sich ihrer wieder bewusst, und sein Körper versteifte sich auf unwillkommene Art. Sie berührte ihn kaum, aber die Hitze ihrer Haut löste blitzartig Begierde in ihm aus. Styx wollte diese Hand nehmen und sie über seine Haut gleiten lassen. Die Entfernung zwischen ihnen überbrücken und sie so fest in seine Arme ziehen, dass sie keine Möglichkeit mehr hatte zu entkommen. Er wusste nicht, woher diese gefährliche Anziehungskraft auf einmal gekommen war, aber er begann zu fürchten, dass sie sich nicht so einfach verdrängen lassen würde.
»Erstaunlich …«, murmelte sie schließlich. Er musste sich anstrengen, seine Gedanken im Zaum zu halten. »Ich bin ein Vampir! Ein echter Vampir. Keiner dieser kommerziellen Mitläufer, die Gothic-Bars und jährliche Conventions besuchen.«
Die Frau schien ihn kaum zu hören. Ihre Finger fuhren fort, seine Brust zu quälen. »Ihre Wunde ist geheilt.«
»Ja.«
Sie hob den Kopf und ließ einen besorgten Ausdruck in den grünen Augen erkennen. »Und das liegt daran, dass Sie ein Vampir sind?«
»Viele Dämonen verfügen über die Fähigkeit, heilen zu können.«
»Und dazu muss man ein Dämon sein?«
Er sah sie überrascht an. »Ihr glaubt mir?«
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, was Styx ein Stöhnen entlockte. »Ich glaube, dass Sie etwas … Übernatürliches sind. Ist das der politisch korrekte Ausdruck?«
Politisch korrekt? Styx schüttelte den Kopf. Diese Frau war das sonderbarste Wesen, das er je getroffen hatte.
»Ich ziehe ›Vampir‹ vor oder ›Dämon‹, wenn es unbedingt sein muss.« Er beäugte sie misstrauisch. »Ihr … nehmt das besser auf, als ich dachte.«
Sie senkte die Lider. »Nun ja, ich war selbst nie so ganz normal …«
»Nicht ganz normal? Was soll das bedeuten?«, verlangte er zu wissen.
»Ich … nichts.«
»Sagt es mir!« Als sie hartnäckig schwieg, streckte er die Hand aus und umfasste ihr Kinn. Eigentlich war es seine Absicht gewesen, streng zu sein. Immerhin war sie hier, um seine Fragen zu beantworten. Unglücklicherweise war ihre Haut so weich und glatt wie Seide. Er konnte den Wunsch nicht vollkommen unterdrücken, sich zu ihr zu beugen, um ihren blumigen Duft einzuatmen. »Sagt es mir, mein Engel.«
»Also gut.« Sie seufzte, bevor sie den Blick hob. »Es ist wohl einfacher, wenn ich es Ihnen zeige. Geben Sie mir mal das Messer.«
Er stutzte. Dachte sie wirklich, dass er sich von ihrer fragilen Schönheit so sehr erregen ließ, dass er ihr gestatten würde, ihm die Kehle aufzuschlitzen?
Er musste einräumen, dass er tatsächlich erregt war. So lange wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber dennoch nicht so sehr, dass er sich selbst den Tod wünschte. »Damit könnt Ihr mich nicht töten«, warnte er sie.
»Das hatte ich auch nicht angenommen.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Ich dachte, dazu ist das Übliche nötig?«
»Das Übliche?«
»Sie wissen schon, Sonnenlicht oder ein Holzpflock durchs Herz.«
»Oder Enthauptung.«
Sie schnitt eine Grimasse. »Wie nett.«
»Was wollt Ihr mit dem Messer?«
»Ich habe nichts vor, was auch nur annähernd so spektakulär wäre wie das von Ihnen.« Sie streckte die Hand so lange aus, bis er ihr widerstrebend das Messer auf die Handfläche legte.
Styx war zwar darauf vorbereitet, einen sinnlosen Angriff abzuwehren, aber er wurde erneut überrascht. Sie ergriff stattdessen das Messer und brachte sich einen kleinen Schnitt in den Daumenballen bei, bevor er reagieren konnte.
»Seid Ihr …« Seine aufgebrachten Worte verklangen, als er sah, wie das süße Menschenblut herunterlief und den Blick auf die Wunde enthüllte, die sich bereits geschlossen hatte. Der Schnitt war nicht tief gewesen, aber bei keinem Menschen heilten Wunden so schnell. Er sah sie forschend und voller Neugierde an. »Ihr seid nicht durch und durch menschlich.«
Sie wirkte nicht sonderlich erfreut. Anscheinend wäre sie glücklicher gewesen, wenn sie einfach einer der Millionen von ganz normalen Menschen gewesen wäre.
»Ich weiß nicht, was ich bin. Abgesehen davon, dass ich ein ausgewiesener Freak bin.« Sie hob die Schulter. »Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Pflegefamilien ich wieder verlassen musste, nachdem man meinen kleinen Heiltrick beobachtet hatte.«
Styx nahm ihre Hand und zog sie an seine Nase. Er atmete tief ein, aber wieder entdeckte er nichts außer dem Duft von Blumen und sehr menschlichem Blut. »Besitzt Ihr noch andere ungewöhnliche Eigenschaften?«
Sie riss sich los und umklammerte die Decke, die auf eine sehr verlockende Art herunterzurutschen begonnen hatte. »Eine sehr nette Art, es auszudrücken«, murmelte sie.
Sein Blick glitt über ihr herzförmiges Gesicht. »Dass ich ein Vampir bin, gestattet es mir, das zu akzeptieren, was Menschen als eigenartig ansehen würden.«
»Ein Vampir.« Sie erschauderte leicht. Dann kniff sie abrupt die Augen zusammen. »He, Moment mal! Sie glauben, dass ich eigenartig bin?«
Er zuckte mit den Achseln. »Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet. Ich kann Euch nichts erklären, wenn ich nicht mehr weiß.«
Sie biss sich auf die Unterlippe, bevor sie sich widerwillig die Logik eingestand, die in seinen Worten lag. »Ich bin stärker und schneller als die meisten Leute.«
»Und?«
»Und … ich werde nicht älter.«
Das überraschte ihn. »Wie alt seid Ihr denn?«
»Ich bin dreißig, aber ich sehe genauso aus wie mit achtzehn. Es könnte an guten Genen liegen, aber das halte ich für unwahrscheinlich.«
Styx zweifelte nicht an ihrer Aussage. Für ihn sah sie jung und unschuldig aus, andererseits war es für einen Vampir immer schwierig, das Alter eines Menschen zu bestimmen. Das lag zweifelsohne daran, dass Zeit für Vampire keine Bedeutung besaß.
»Ihr müsst zumindest einen gewissen Anteil an Dämonenblut besitzen«, sagte er. Es war sonderbar, dass er keinen Anflug von gemischtem Blut entdecken konnte. Mischlinge besaßen selten die vollen Fähigkeiten ihrer dämonischen Vorfahren, aber ein Vampir konnte trotzdem erkennen, dass sie nicht rein menschlich waren. Es beunruhigte ihn, dass er bei ihr nicht dazu imstande war. »Was ist mit Euren Eltern?«
Das blasse Gesicht wurde ausdruckslos und undurchdringlich. »Ich habe sie nie gekannt. Ich war ein Pflegekind.«
»Ihr habt keine Familie?«
»Nein.«
Styx dachte nach. Er kannte sich mit diesem menschlichen Konzept der Pflegefamilien nicht aus, aber er ging davon aus, dass es wohl etwas mit ihrem dämonischen Blut zu tun haben musste. Außerdem hielt er dies für den Grund, weshalb Salvatore so entschlossen war, sie in seine Gewalt zu bekommen. Was er brauchte, war eine Methode, mit der er herausfinden konnte, welche Art von Dämon sie genau hervorgebracht hatte. Und warum dies den Werwölfen so wertvoll erschien.
Das verlassene Hotel in South Central Chicago war eigentlich keine geeignete Umgebung für gekrönte Häupter. Das Dach war undicht, die Fensterscheiben waren kaputt, und es lag ein intensiver Gestank nach menschlichen Exkrementen in der Luft, der stark genug war, um selbst einem äußerst abgehärteten Werwolf den Magen umzudrehen.
Das einzig Gute war, dass die mutierten Ratten nur wenige Tage nach ihrer Ankunft verschwunden waren. Und die wenigen Menschen, die verzweifelt genug waren, zwischen den Ruinen Schutz zu suchen, ließen sich leicht von den »wilden Hunden« verscheuchen, die in den schmalen Gängen herumstreunten. Wenn auch nicht mit allem Komfort - für ihre Privatsphäre war gesorgt.
Salvatore Giuliani hatte den größten Raum für sich beansprucht und den schweren Schreibtisch neben das Fenster gerückt, von dem aus er die heruntergekommene Straße überblicken konnte. Die eiskalte Luft, die durch die zerstörten Fensterscheiben hereindrang, störte ihn nicht. Er war ein Wolf, der darauf achtete, sich den Rücken freizuhalten. Niemand durfte die Möglichkeit haben, sich an ihn heranzuschleichen.
Auf der anderen Seite des Zimmers war eine große Straßenkarte von Chicago an die Wand geheftet, und in Reichweite stand ein Holzregal, das eine stattliche Reihe von Schrotflinten, Handfeuerwaffen und gefährlichen Messern enthielt. Überall auf dem Schreibtisch waren Dutzende Fotos von Darcy Smith verteilt. Er hatte eine Mission. Und diese Mission würde er erfüllen, gleichgültig, wie viele Wölfe, Menschen oder Vampire dabei sterben mussten.
Salvatore streichelte mit der Hand unbewusst über ein Foto von Darcy, auf dem sie mit einem schwachen Lächeln auf ihren vollen Lippen die Straße herunterging, hob jedoch abrupt den Kopf, als ihm der Geruch einer sich nähernden Wolfstöle in die Nase stieg.
Unter den Werwölfen waren Wolfstölen von geringerem Wert. Sie waren Gestaltwandler, die früher einmal Menschen gewesen, aber durch einen Werwolfbiss verwandelt worden waren. Rassewölfe hingegen waren Werwölfe, die von zwei Werwölfen abstammten. Sie verfügten über Fähigkeiten, die weit über die der Wolfstölen hinausgingen. Sie waren schneller, stärker und intelligenter. Und sie waren imstande, ihre Verwandlung unter Kontrolle zu halten, wenn nicht gerade Vollmond herrschte.
Leider waren Rassewölfe inzwischen selten geworden, und sogar Wolfstölen waren schwieriger zu zeugen. Das Gift, das einen Menschen in einen Werwolf verwandelte, war für die meisten Sterblichen tödlich, und nur einer Handvoll gelang es üblicherweise, dieses zu überleben. Im Lauf der vergangenen hundert Jahre hatte sich diese Handvoll allmählich noch einmal dezimiert, und seit mehr als zwanzig Jahren hatte keine einzige Wolfstöle mehr überlebt. Es musste etwas unternommen werden, damit die Werwölfe nicht völlig vom Erdboden verschwanden.
Aus diesem Grund war Salvatore von Rom nach Amerika geschickt worden. Es war seine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Werwölfe nicht ausstarben. Und ein Teil dieses Plans hing von Darcy Smith ab. Er musste sie in seine Gewalt bekommen, und zwar bald.
Die Tür öffnete sich, und die Wolfstöle, die er gewittert hatte, schlenderte ins Zimmer. Sie war ein umwerfender Anblick: Hochgewachsen und mit geschmeidigen Muskeln ausgestattet, besaß sie glattes schwarzes Haar, das ihr bis zur Taille reichte, und leicht orientalische Gesichtszüge, die zu ihrer exotischen Schönheit beitrugen. Sie trug nicht mehr als einen dünnen Morgenmantel aus karmesinroter Seide, der bis zu ihren Oberschenkeln reichte und ihre langen, schlanken Beine enthüllte. Seit seiner Ankunft in Amerika hatte sie das Bett mit ihm geteilt, denn sie war schön, leidenschaftlich und eine wilde Bestie im Bett. Mehr als einmal war er mit tiefen Kratzern und Bissspuren aufgewacht.
Trotzdem hatte er ihre Gesellschaft allmählich satt. Trotz all ihres Charmes hatte sie kein Verständnis für die schwere Last der Verantwortung, die er trug, und er spürte zunehmend eine Besitzgier an ihr, die ihn ärgerte. Er würde zu keiner Wolfstöle gehören! Er war ein Rassewolf.
Jade warf ihr Haar nach hinten und durchquerte anmutig den Raum, bevor sie vor seinem Schreibtisch stehen blieb. Sie verbeugte sich nicht. Salvatore nahm diese Tatsache schweigend zur Kenntnis. Diese Wolfstöle fühlte sich allmählich viel zu wohl in seiner Gegenwart. Vielleicht war es an der Zeit, sie daran zu erinnern, wer genau er war.
»Fess ist zurück, Mylord«, schnurrte sie mit einer Stimme, die jeden Mann nur an das eine denken lassen würde. Ihre bloße Gegenwart reichte aus, um einen Mann nur an Sex denken zu lassen. Und diese Macht nutzte sie aus.
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Herein mit ihm.«
Sie ließ ihren Blick über sein schlankes, dunkles Gesicht und sein schwarzes Haar schweifen, das zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst war, bevor sie die Augen senkte, um seinen muskulösen Körper zu betrachten, der von einem Seidenanzug bedeckt war. Ein hungriges, lüsternes Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Du siehst angespannt aus. Vielleicht sollten wir Fess draußen warten lassen, und ich helfe dir ein wenig beim Relaxen.«
Mit einer geübten Bewegung zog sie den Morgenmantel auf und ließ ihn an ihrem nackten Körper entlang nach unten gleiten. »Ich werde schon dafür sorgen, dass sich einige dieser Verspannungen lösen.«
Salvatores Körper reagierte prompt. Zum Teufel, eine nackte Frau war eine nackte Frau. Aber seine Miene veränderte sich nicht, als er leicht mit der Schulter zuckte. »Klingt verführerisch, doch ich fürchte, ich habe keine Zeit für Zerstreuungen. Ganz egal, wie schön sie auch sein mögen.«
»Keine Zeit, keine Zeit!«, stieß sie wütend hervor. Sofort hatte sich ihre Leidenschaft in Wut verwandelt. Sie war keine Frau, die Zurückweisungen akzeptierte. Der letzte Mann, der ihre Avancen zurückgewiesen hatte, lag kurz darauf tot auf dem Grund des Mississippi.
»Das kann ich nicht mehr hören! Welcher Mann hat keine Zeit für mich?«
Salvatore kniff die Augen zusammen. »Einer, der wichtigere Angelegenheiten zu bedenken hat. Ich bin euer Anführer, und das bedeutet, dass ich das Wohl des Rudels über meine eigenen Vergnügungen stellen muss.«
Sie sah ihn bockig an. »Ist das der wahre Grund, warum du mich zurückweist?«
»Welchen Grund sollte ich sonst haben?«
Jade streckte die Hand aus, um mit einem glänzenden roten Fingernagel auf ein Bild auf seinem Schreibtisch zu tippen. »Sie.«
Salvatore stand auf. Die Luft um ihn vibrierte vor Ärger. »Zieh deine Kleider an, und verschwinde, Jade.«
»Sie ist … ein Mensch, oder?«
»Ich antworte nicht auf Fragen von Wolfstölen«, knurrte er. »Ich bin dein König, vergiss das nicht!.«
Zu aufgebracht, um vernünftig zu sein, ignorierte sie die Warnung in seiner Stimme. »Seit du ihr auf der Spur bist, hast du dich ganz schön verändert! Du bist regelrecht von ihr besessen!«
Salvatore ballte die Hände zu Fäusten. Er konnte ihr die Kehle herausreißen, bevor sie überhaupt imstande war, eine Bewegung zu machen, aber er widerstand der Versuchung. Im Gegensatz zu den Wolfstölen besaß er die vollkommene Herrschaft über seine niederen Instinkte. Er würde sich die Unannehmlichkeit ersparen, sich mitten in Chicago einer Leiche entledigen zu müssen.
»Ich sage es dir nicht noch einmal. Zieh dich an, und verschwinde.« Ein warnendes Knurren lag nun in seiner Stimme.
Das reichte aus, um Jade darauf hinzuweisen, dass sie die Angelegenheit bis zum Äußersten getrieben hatte. Sie zog einen Schmollmund und beugte sich nach unten, um ihren Morgenmantel aufzuheben und sich darin einzuhüllen.
Dann stürmte sie auf die Tür zu, wo sie ihm noch einen giftigen Blick zuwarf. »Ich mag vielleicht eine Wolfstöle sein, aber ich hechle nicht hinter Menschen her!«, warf sie ihm vor, ehe sie durch die Tür davonrauschte.
Mit einem leichten Stirnrunzeln beobachtete Salvatore ihren Abgang. Morgen würde er veranlassen, dass sie zu seinem Rudel in Missouri geschickt wurde. Sein Stellvertreter verfügte über einzigartige Fähigkeiten, wenn es um die Bestrafung ungezähmter Wolfstölen ging.
Nachdem er diese Entscheidung getroffen hatte, wandte er sich Fess zu, einer großen, massigen Wolfstöle, die den Raum betrat und sich tief verbeugte. Obwohl Fess zu Salvatores persönlicher Leibwache gehörte und eine so ungeheure Körpergröße besaß, dass er Kugeln im Flug aufhalten und über Gebäude springen konnte, näherte er sich seinem Anführer mit dem Respekt, der ihm gebührte.
Als die Wolfstöle an den Schreibtisch herantrat, war das Muskelspiel unter dem schwarzen T-Shirt und der Jeanshose zu sehen, das die Kleidung des Mannes zu sprengen drohte. Es war nicht leicht, Kleidungsstücke zu finden, die groß genug waren, um ihn einzuhüllen.
»Mylord«, grollte Fess mit gedämpfter Stimme.
»Du bist der Spur gefolgt?«, fragte Salvatore.
»Ja.« Der Mann verzog das Gesicht, und sein kahler Kopf glänzte im Kerzenlicht. »Wir haben sie direkt nördlich der Stadt verloren.«
»Im Norden.« Salvatore spielte geistesabwesend mit dem goldenen Siegelring an seinem Finger. »Also kehrt der Vampir nicht in sein Versteck zurück. Interessant.«
»Es sei denn, er beabsichtigte zurückzukehren, sobald er uns abgeschüttelt hatte«, gab Fess zu bedenken.
»Das ist möglich, aber fraglich. Styx fürchtet uns noch nicht. Wenn er zu seinem Versteck zurückkehren wollte, dann hätte er das schon längst getan und uns damit herausgefordert, die Frau zurückzuholen.«
Fess knurrte, um seine verlängerten Zähne zu enthüllen. Der Werwolf hasste Vampire zutiefst. »Warum war er in der Bar?«
»Das ist die entscheidende Frage, nicht wahr?« Salvatore ließ die Antwort offen.
»Denkt Ihr, es gibt bei uns einen Spitzel?« In Fess’ blauen Augen begann es gefährlich zu leuchten. Als Wolfstöle war er nicht in der Lage, seine Verwandlung zu kontrollieren, wenn er die Geduld verlor. »Ich mochte schon immer den Geschmack von Verräter-Tatar.«
»Beherrsche dich!«, fuhr ihn Salvatore an. »Wir haben keinen Beweis dafür, dass es unter uns einen Verräter gibt, und ich werde deshalb nicht zulassen, dass sich das Rudel wegen falscher Gerüchte und Verdächtigungen zerfleischt. Nicht, wenn wir so nahe dran sind. Wenn es einen Spion gibt, werde ich mich darum kümmern. Verstanden?«
Einen Moment lang kämpfte Fess gegen seine Instinkte
Deutsche Erstausgabe 06/2010
Copyright © 2008 by Debbie Raleigh
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eISBN : 978-3-641-04656-9
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