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Mit ihrem Wohnmobil fahren Wolf und Gabriele Leichsenring 60.000 Kilometer über den australischen Kontinent. Sie bereisen dabei die Küstenregion, begeben sich aber auch tief in das Outback hinein. Auf diese Weise lernen sie alle Gesichter des Landes kennen und lieben. Aus dem Inhalt: Der Kontinent, fast so groß wie die Vereinigten Staaten von Amerika, hat es den beiden „hoteluntauglichen Wohnmobilisten“ angetan. Quicklebendige Metropolen wie Sydney, Melbourne und Perth kontrastieren mit der Einsamkeit im fast menschenleeren Landesinnern. Immer an der Küste entlang, umrunden sie Down Under zuerst, durchqueren aber danach auch das rote Zentrum. Sie berichten von ihrer abenteuerlichen Fahrt und liefern in Zusatztexten Hintergrundinformationen. Australien richtig zu verstehen, bedeutet auch die Denkweise seiner Ureinwohner zu erfahren. In Form von anschaulich verfassten Legenden lässt der Autor die Aborigines lebendig werden. Nach neun aufregenden Monaten heißt es für Wolf und Gabriele Abschied nehmen von „Kangaroo-Country“. Was bleibt, sind ihre Erinnerungen in Herz und Kopf - zum Glück auch auf dem Papier.
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Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Bildnachweis:
Die Bilder des Textteils: Gabriele Leichsenring
Coverfoto: Gabriele Leichsenring
Karte: © Cartomedia, Karlsruhe
Kartenicon: © Stepmap GmbH, Berlin
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Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im
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traveldiary Verlag, Mady Host und Cornelia Reinhold GbR
Brauereistraße 4, 39104 Magdeburg
Umschlagentwurf und Layout: Jürgen Bold, Jens Freyler
Hintergrundfoto: © Carola Vahldiek / Fotolia
Satz: traveldiary Verlag, Mady Host und Cornelia Reinhold GbR
Druck: „Standartu Spaustuve” www.standart.lt, Tel. 37052167527
ISBN 978-3-942617-17-8
eISBN 978-3-942617-28-4
Wolf Leichsenring
Obenauf in Down Under
Mit dem Wohnmobil 60.000 Kilometer durch Australien
Inhalt
Vorwort
Südosten
Es begann als Gefängnis - Sydney
Boating Bays und Beaches - Sydney
Es hauptstädtert sehr
Victorias Buschwald
Der süße Duft des Geldes
Tasmanien
Regenwald contra Buschfeuer
Teufels Küche ist ganz nah
So soft, So scenic
Süden
The Great Ocean Road
Wälder Felder Feuermelder
Drillinge mit Schwester
Auf der Nullarbor-Piste
Südliches Outback
Leben im Untergrund
Zurück ins Grün
Native Bush meets The Sea
Mittlere Ostküste
Im Koala Country
Von Sechs bis Sechs
Brisneyland und mehr
Wo der Dingo auf dem Highway läuft
Östliches Outback
Viele Wege führen nach Roma … und darüber hinaus!
Im Herzen des Outback
Kontraste
Nördliche Ostküste
Gooranga Gooranga
Gefrostet und Gefrustet in tropischer Hitze
Grün nach oben - Der ewige Kampf um Sonne und Licht
Anker werfen
Tjapukai und Pamagirri im anderen Cairns
Anchor Away ins Great Barrier Reef
Kaffee oder Tee auf dem Atherton Tableland
Zentrales Outback
Stromland
Schichtwechsel
Von UFOs und Meteoriten
Im Herzen des Kontinents
Mit dem Postman im Outback
Norden
Top End
Top End getoppt
In die Westkurve
Nördlicher Westen
Im Westen manch Neues
Schneeweiße Perlen aus dem tiefblauen Meer
Durchlöcherte Einsamkeit
Mittlerer Westen
Das Reef von gegenüber
Dem Staub den Rücken kehren
Bunter Blumenteppich auf zweieinhalb Millionen Quadratkilometern
Mondlandschaft trifft auf Ozean
Südwesten
Go Rotto and Freo
Lovely Spot on Earth - That’s Perth!
Steinhart oder Schmunzelweich
ParkParade Perth
Eine Umrundung wird vollendet
Orte voller Hoffnung
Unter Kathedralenkuppeln
Juwelen zum Finale
Karte
Über die Reisenden ... Wolf und Gabriele Leichsenring
Muntermacher-Sprüche
Hilfreiche Webseiten
Zum Schluß
Vorwort
Eineinhalb Mal um die Erde, also rund 60.000 Kilometer, legen wir bei der Umrundung um den Fünften Kontinent in neun Monaten zurück. Das ließe sich sicherlich auch kürzer gestalten, indem man ausschließlich dem Highway 1 auf seinen 13.500 Kilometern folgt. Meistens verläuft diese transkontinentale Fernstraße aber lediglich an der Küste. Wir wollen mehr! Nicht unbedingt an Kilometern, aber an Impressionen. Dies ist uns auch gelungen. Die mit hohen Erwartungen gespickte und heitere Reisestimmung hat zu keinem Zeitpunkt nachgelassen. So beschreiben wir unser Feeling eben ganz einfach mit „Obenauf in Down Under”. Das Ergebnis unserer Reise ist dieses spannende Buch.
Unterwegs schließt sich der Umrundungskreis im kleinen westaustralischen Städtchen Norseman an der Grenze zur Nullarbor Plain. Die zentrale Durchquerung Australiens auf dem Stuart Highway erfolgt einerseits vom Süden her bis zu Stadt Coober Pedy, später dann auch noch aus Norden kommend, ebenfalls bis Coober Pedy.
Unterwegs verlassen wir immer wieder die Küste und dringen aus allen vier Himmelsrichtungen ins Outback ein. Die großen Metropolen wie Sydney, Melbourne, Brisbane, Darwin oder Perth erkunden wir genauso wie die kleinen, typisch australischen Städte und Dörfer. Weltbekannte Attraktionen wie zum Beispiel das Great Barrier Reef oder der Ayers Rock liegen gleichfalls auf unserer Wegstrecke, genau wie weniger Berühmtes oder gar Unbekanntes.
In diesem Wechsel von Küstenabschnitten und Binnenlandwegstrecken erleben wir Australien auf völlig unterschiedliche Weise: Außen Australien - Innen Outback. Die Welten könnten unterschiedlicher nicht sein!
Wir belassen es bei unserem Reisebericht nicht bei einer bloßen Beschreibung von Landschaften, Städten oder Sehenswürdigkeiten. In unseren Exkursen beleuchten wir das Erlebte aus verschiedenen Perspektiven oder geben Hintergrundinformationen. Ein Reisebericht über Australien ohne Hinführung an die Kultur der Ureinwohner, der Aborigines, erscheint uns unvorstellbar. Sie hat uns auf Schritt und Tritt begleitet und findet oftmals in Form von Legenden Erwähnung in diesem Buch.
Die Kapitelüberschriften geben nur selten den geographischen Bezug wieder. Sie konzentrieren sich vielmehr auf einen inhaltlichen Schwerpunkt während des betreffenden Tourenabschnitts. Zur besseren regionalen Orientierung haben wir deshalb eine Grobeinteilung vorgenommen, auch gerade für die Leserinnen und Leser, die spezielle Reiseregionen auf dem riesigen Kontinent ausgewählt haben. Die nicht streng strukturierten Anhänge mögen als ergänzende Informationen willkommen sein.
Für unsere Australienreise haben wir unser Wohnmobil von Deutschland aus verschiffen lassen. Das klingt zunächst recht abenteuerlich, ist aber gut zu bewältigen. Und vor allen Dingen: Für einen so langen Zeitraum rechnet sich der Transport immens im Vergleich zu den australischen Mietpreisen eines solchen Gefährts.
Das vorliegende Buch entstand in Arbeitsteilung:Fotos: Gabriele LeichsenringTexte: Wolf Leichsenring
SüdostenEs begann als Gefängnis - Sydney
Das ist schon ein eigenartiger Einstieg in unseren Reisebericht, in dem wir über Freiheit, Schönheit und Attraktives erzählen wollen. Doch keine Angst, es wird sich alles klären. Über den Hintergrund dieser düsteren Kapitelüberschrift berichten wir später.
Zunächst zählen nur die angenehmen Seiten dieser Metropole, in der unsere Australienrundreise beginnt. 4,6 Millionen Einwohner tummeln sich in der größten Stadt Australiens, gleichzeitig Hauptstadt des süd-östlichen Bundesstaates New South Wales (NSW). Dabei sind die Millionen von Touristen aus allen Himmelsrichtungen der Welt noch gar nicht mitgezählt. Die Metropolregion (Sydney Metropolitan Area) umfasst eine Fläche von 12.138 Quadratkilometern. Sie reicht vom Hawkesbury River im Norden bis jenseits der Botany Bay im Süden und von den Blue Mountains im Westen bis zum Pazifischen Ozean im Osten.
Egal in welche Himmelsrichtung das Auge schaut, stets bleibt der Blick an einer Wolkenkratzer Skyline hängen. Dabei kommt jedoch selten ein Gefühl von unendlichen, nie enden wollenden Straßenschluchten auf. Warum? Die City und angrenzende Stadtteile sind durchsetzt mit großen und kleinen Parkanlagen, von denen der Royal Botanic Garden der größte ist. Historisches taucht im Centennial Park auf, Britisches im Hyde Park. Der Sydneyer Namensvetter gleicht in seiner Anlage dem Londoner, allerdings wurde die „Speakers Corner” an den Rand des Botanischen Gartens verpflanzt, gegenüber der Kunstgalerie (Art Gallery of New South Wales). Dabei hat die Munterkeit der Redner, ihre Überzeugungsbemühungen wie auch ihre gestikulierende und emotionale Anteilnahme an „ihrem” Thema Londoner Format. Nicht einmal die Trittleiter als Rednerpult fehlt. Vor der Kunstgalerie stoßen wir auf einen alten Bekannten von unserer Schottlandreise (2014), nämlich auf den schottisch-romantischen Verseschmied Robert Burns (1759-1796). Wir werden ihm öfter begegnen hier in Australien, zum Beispiel in Adelaide, Brisbane, Canberra oder auch in Melbourne. Mit seinen wundervollen Gedichten hat dieser „Poet des Zarten” demnach nicht nur sein Heimatland, sondern die ganze Welt entzückt. Denn warum sollte man sonst in Kanada, USA und Neuseeland seiner durch Statuen gedenken? Bei den Aussies geht man noch einen Schritt weiter. Wie in Schottland findet jedes Jahr am 25. Januar ein sogenanntes „Burns Supper” statt.
Sydney
Exkurs: Burns Supper
Das sogenannte Burns Supper (auch Burns Night genannt), welches natürlich nicht ausschließlich hier in Sydney zelebriert wird, sondern überall dort, wo der große schottische Romantiker verehrt wird, läuft überall jedes Jahr am Geburtstag des Dichters, am 25. Januar, nach einem festgelegten Ritus ab.
Burns Werke, die unter anderem die Schönheit Schottlands zelebrieren, sind beliebt wie eh und je und natürlich stellen sie einen festen Bestandteil der Burns Night dar. Aber nicht nur Gedichte und Lieder spielen an diesem Abend eine Rolle, sondern auch der Ablauf und das Menü sind von Bedeutung. Zur Einstimmung auf die Feier gibt es reichlich Dudelsackmusik. Vorgetragen wird dann ein Gedicht von Burns, vorzugsweise sein „Selkirk Grace”, meistens in der damaligen schottischen Originalsprache:
Some hae meat and canna eat,And some wad eat that want it,But we hae meat and we can eat,Sae let the Lord be thankit.
Das Menü beginnt in der Regel mit einer Suppe. Danach wird es handfester, denn als Hauptgericht wird die schottische Nationalspeise, der Haggis, serviert. Haggis ist eine Art Wurst, die aus Magen, Herz, Leber und Lunge eines Schafes besteht, dazu reichlich Zwiebeln, Nierenfett vom Schaf und eine Portion Hafermehl.
Begleitet wird die Zeremonie vom Gedicht „Adress to a Haggis”. Dabei sollte der Vortragende auf jeden Fall sein Messer bereithalten, denn auf das Stichwort „His knife see rustic labour dight”, wird die Haut des Haggis aufgeschnitten, so dass sich die Innereien über den ganzen Teller verteilen. Es wird empfohlen, den heißen Haggis vor der Prozedur einzuritzen, sonst kann es vorkommen, dass sein Inneres nicht nur auf dem Teller, sondern auch auf der Kleidung anderer Teilnehmer landet. Bei manchen Burns Suppers soll die Spritzerei sogar zur Zeremonie gehören, sozusagen als Spaßfaktor.
Bevor dann die Schlemmerei beginnt, wird noch der Toast „The Haggis” ausgerufen. Schließlich beginnt der Verzehr der schottischen Nationalspeise, garniert von Steckrüben und Kartoffeln (neeps and tatties). Natürlich darf auch eine Nachspeise nicht fehlen, meist ein „Trifle”. Das Festmahl wird immer wieder durch das Rezitieren von Burns Gedichten unterbrochen. Besonders nach dem Schmaus folgen noch zahlreiche Wort- und Gesangsbeiträge. Nicht selten endet die Burns Night feucht fröhlich. Zum Ausklang ertönt schließlich das „Aud Lang Syne”, eine Hymne, in welcher Heimat, Freundschaft und ein Stück schottischer Historie besungen werden. Ein Stück urschottische Tradition hinübergerettet in die australische Moderne!
Kehren wir kurz zurück zum Sydneyer Hyde Park. Durchschnitten wird er durch die Park Street, an der wir das geräumige Australian Museum finden. Außer vielen einzelnen Themen wie „Australian Wildlife”, „Planet of Minerals” oder „Pacific Spirit” rückt dieses außerordentliche Museum in mehreren Abteilungen die Aborigines in den Mittelpunkt. Sicherlich versucht man über diesen Weg, ein besseres Verständnis für deren Geschichte und Problematik zu erzeugen. Es scheint gelungen zu sein.
Exkurs Traumzeit
Die Bezeichnung „Traumzeit” bildet den Begriff der Mythologie aller australischen Aborigines ab. Die Legenden der „Traumzeit” handeln meist von einer universellen, raum- und zeitlosen Welt, aus der die reale Gegenwart in einem unablässigen Schöpfungsprozess hervorgeht. So erklärt sich auch die nachfolgende Legende:
Beginn der Traumzeit
Die Traumzeit begann, als die Erde noch ein öder, leerer Klumpen war. Die Ahnen schliefen noch unter der Oberfläche und durchbrachen dann aus dem Schlaf erwachend die Erdkruste.
Eines Tages erwachte die Regenbogenschlange und wühlte sich durch das Land. Sie schob Steine beiseite, warf Hügel auf und hinterließ tiefe Gruben, in denen sich das Wasser sammeln sollte. So schlängelte sie sich um die ganze Erde und kehrte wieder an den Ursprungsort zurück. Dort rief sie die Frösche, die allerdings sehr lange brauchten, um an die Oberfläche zu gelangen, denn ihre Bäuche waren voll mit Wasser. Sie kitzelte die Frösche, die daraufhin lachten und das Wasser ausspuckten. Das Wasser verteilte sich und füllte die von der Schlange erzeugten Gruben. Es entstanden die Seen und Flüsse. Nun begannen auch das Gras und die Bäume zu wachsen. Das Leben begann.
Die Regenbogenschlange erließ Gesetze, die alle befolgten. Doch einige der Tiere waren streitsüchtig und so sprach die Schlange: „Diejenigen, die meine Gesetze befolgen, werden belohnt und erhalten einen menschlichen Körper. Die anderen aber, verwandle ich in Stein, auf dass sie nie mehr über die Erde wandern können”.
Die nun zu Menschen gewordenen Tiere erhielten ein Totem, nämlich jenes, aus welchem sie waren. Und um immer reichlich Nahrung zu haben, durfte kein Stamm die Tiere seines eigenen Totems essen, immer nur das der anderen Totems.
Nur so konnten die Stämme nebeneinander leben und Frieden halten.
Im Park selbst ragt das ANZAC-Memorial markant hervor. Ein pompöser Bau erinnert an die Soldaten des australisch-neuseeländischen Armee-Corps, besonders an die vom Ersten Weltkrieg. Da mag es kein Zufall sein, dass sich in Sichtweite St. Mary’s Cathedral erhebt. Dieser prachtvolle Sandsteinbau, dessen letzter Turm erst im Jahr 2000 vollendet wurde, zählt zu den größten und wichtigsten katholischen Kirchen Australiens.
Mit preiswerten öffentlichen Verkehrsmitteln durchkreuzen wir die Stadt wie einst die Schiffe der Entdecker die Meere. Wir merken schnell, dass ein großer Unterschied besteht zwischen einem Wissen von beziehungsweise Lesen über eine der großen Attraktionen Sydneys oder der direkten Begegnung: Weltkulturerbe Sydney Opera House, Harbour Bridge oder auch Sydney Tower Eye, sie alle übertreffen im unmittelbaren Anblick jegliche Beschreibung. Den finalen Kick gibt es dann schließlich beim Betreten, Überqueren oder Erklimmen dieser touristischen Institutionen.
Wer an ein Opernhaus herkömmlicher Art denkt, liegt bei Sydneys Wahrzeichen absolut falsch. Es beherbergt ein gigantisches Kulturzentrum. Das Gebäude ist einhundertvierundachtzig Meter lang, einhundertachtzehn Meter breit und bedeckt eine Fläche von etwa 1,8 Hektar. Sein unverwechselbares Dach ragt siebenundsechzig Meter hoch hinauf und ist mit 1.100.000 glasierten, weißen Keramikfliesen verkleidet, die aus Schweden importiert wurden. Fünfhundertachtzig Pfähle, die fünfundzwanzig Meter tief im Boden verankert wurden, tragen das etwa einhundertsechzigtausend Tonnen schwere Bauwerk. Auf einer Halbinsel am Circular Quay gelegen, bietet es von innen und von außen unbeschreibliche Aus- und Anblicke. An fünf hauseigenen Spielstätten wird bei jährlich tausendfünfhundert Veranstaltungen Kunst engagiert präsentiert. Rund fünftausendfünfhundert Zuschauer dürfen gleichzeitig Platz nehmen in der Konzerthalle, dem Joan Sutherland Theatre (Oper), dem Drama Theatre (Sprechtheater), dem Playhouse und dem Studio Theatre (gemischte Programme). Und dabei diente bis in die 1940er Jahre hinein die Halbinsel namens „Bennelong Point”, auf der das heutige Weltkulturerbe glänzt, zu nichts anderem als zu einem langweiligen Eisenbahndepot. Ab 1959 begannen die eigentlichen Bauarbeiten. Queen Elizabeth II. musste dann immerhin noch vierzehn Jahre warten, bis sie es offiziell einweihen konnte. Die Zahl „vierzehn” spielt im Zusammenhang mit der Sydney Oper noch eine andere Rolle. Wer glaubt, Kostenüberschreitungen solcher gigantischer Bauvorhaben seien ein Zeichen der Moderne, schaue auf Sydney. Der Bau wurde letztendlich vierzehnmal so teuer als ursprünglich geplant.
Doch man muss sie auch wirklich „von innen” erleben, nicht nur während einer offiziellen Opernhausführung. Puccinis „La Bohème” gibt sich während unseres Aufenthaltes die Ehre - und wir ihr! Die Szenen spielen in dieser Inszenierung im plüschig dekadenten Berlin zu Beginn der 1930er Jahre kurz vor Hitlers Machtergreifung. Der wahre Puccini als Komponist für „großen Kummer in kleinen Seelen” kommt bestechend zum Tragen. Zu überraschend moderaten Preisen (circa siebzig Euro pro Karte) bei gleichzeitig unübertrefflichem Parkettplatz (elfte Reihe) fließen die einschmeichelnden Arien und Szenen nur so dahin - drei Stunden Operngenuss auf höchstem Niveau. Offensichtlich weiß man, was man der weltberühmten, ehemaligen Operndiva Joan Sutherland schuldet!
„Die Eiserne Lunge”, die zweite Tourismus-Ikone Sydneys überstrahlt das gesamte Stadtbild sicherlich ebenso wie das Opernhaus. Die Rede ist von der Harbour Bridge, die den Port Jackson überspannt und somit Sydneys Nord- und Südküste miteinander verbindet. 1932 eingeweiht, erlaubt sie Verkehr auf sechs Autofahrspuren und zwei Bahngleisen. Entsprechend ist das Verkehrsaufkommen. Auf ihren 1.149 Meter Länge erreicht sie eine Höhe von einhundertvierunddreißig Meter. Fußgänger können ebenfalls auf ihr spazieren gehen. Der Bürgersteig führt in neunundsechzig Meter Höhe über das Wasser. Zu ihrer Pflege benötigt sie dreißigtausend Liter Farbe pro Anstrich. Somit liefert sie der entsprechenden Firma einen jährlichen Fulltime-Job in der Endlosschleife, wie auch dem zuständigen TÜV. Ihren Spitznamen erhielt sie während des Brückenbaus. Zur damaligen Zeit herrschte in Australien eine der größten Wirtschaftskrisen des Landes. Der Brückenbau sicherte jedoch rund dreitausend Arbeitskräften neun Jahre lang Lohn und Brot. Das ist Geschichte. Heute betitelt der Sydneysider sie eher liebevoll als „coat hanger/Kleiderbügel”. Dem sieht die Brücke eigentlich auch ähnlich.
Die Höhenangaben müssen als relativ betrachtet werden, denn an den zahlreichen heißen Sommertagen in Sydney hebt und senkt sie sich Hitze bedingt auch gern einmal um bis zu achtzehn Meter. So beträgt denn auch die lichte Höhe des höchsten Brückenbogens einhundertdreiundsechzig Meter, an sonnigen Tagen bis zu einhunderteinundachtzig Meter. Das ist ein gefundenes Fressen für die Tourismusindustrie, besonders für den Anbieter des sogenannten Bridge Climb. Gegen Bares können Waghalsige rund tausend Stufen auf einem eisernen Brückenbogen an eine Kette geklickt emporklettern und auf dem anderen wieder hinab. Das ganze Unternehmen dauert dann etwa dreieinhalb Stunden. Erstaunlich viele Brückenfreaks stürzen sich in dieses Abenteuer.
Wer noch höher hinaus möchte, klettere auf den Sydney Tower. Mitten im Stadtzentrum gelegen, überragt das Wahrzeichen mit seinen dreihundertfünf Metern Höhe sämtliche Hochhäuser der City. In fünfundvierzig Sekunden liften Fahrstühle den Gast empor zur Aussichtsplattform. Die Treppe mit ihren 1.504 Stufen darf nur im Notfall benutzt werden. Der Turm soll erdbebensicher sein und Windstärken standhalten, die „nur alle fünfhundert Jahre vorkommen”. Wenn man die sechsundfünfzig Spann- oder Halteseile von je sieben Tonnen Gewicht aneinanderreihen würde, ergäbe das eine Strecke von Sydney bis nach Neuseeland, oder - europäischer - von London nach Sizilien. Das Kuriosum des Turmes befindet sich oberhalb der Plattformen. Dort wurde ein 162.000 Liter fassender Wassertank aufgepfropft. Er soll der Stabilisierung der Konstruktion dienen.
Bei so vielen beruhigenden Informationen steht dem Rundumblick von der zweihundertsechzig Meter hohen Aussichtsplattform also nichts mehr im Wege. „Tower Eye” wird diese dreifach verglaste Aussichtskuppel genannt. Sie ist eine von fünf für Besucher zugänglichen Ebenen. Die anderen dienen als Café beziehungsweise Restaurant. Bis zu tausend Gäste können gleichzeitig auf den immer etwas schwankenden Plattformen einen fantastischen Fernblick genießen. Im Drehrestaurant darf man dabei auch genüsslich speisen. Bei guter Sicht und noch besseren Augen kann der Blick bis zu achtzig Kilometer in die Ferne gehen, also weit über die Stadtgrenzen Sydneys hinaus, entweder auf den Pazifik im Osten oder zu den Blue Mountains im Westen. Mit den zweihundertsechzig Metern der Aussichtsplattform geben wir uns dieses Mal allerdings nicht zufrieden. Wir klettern noch zehn höher zum sogenannten Skywalk. Dafür verlassen wir dann die gesicherte Glaskanzel und begeben uns auf einer schmale Brüstung ins Freie. Doch so einfach geht es natürlich nicht. Nicht ganz kostenfrei erfolgt zunächst eine ausführliche Sicherheitsbelehrung. Wie bei einer Verkehrskontrolle darfst du anschließend ins „Röhrchen” pusten. Der geringste Atemalkoholgehalt schließt dich von der Unternehmung aus. Wegen der starken Außenwinde bleiben sämtliche „lockeren” Gegenstände im Turminnern, also Taschen, Rucksäcke etc. Ein blauer Overall soll gegen Kälte schützen (ungewollter Nebengedanke: Man könnte dich dann schneller finden, solltest du abstürzen). Eine dicke Regenjacke wird noch darüber gezogen. Durch diese Maßnahmen bist du schon einmal rund eine Stunde beschäftigt, denn du sollst ja auch noch die „Risikobelehrung mit Haftungsausschluss” durchlesen und unterschreiben. Bevor sich nun endgültig die schwere Stahltür ins Freie öffnet, wirst du noch wie beim Fallschirmspringen in der Absprungzone eingeklinkt.
Und dann geht es hinaus in das Gefühl des Unendlichen. Der Blick schweift zunächst nicht gen Horizont. Beklommen und ängstlich richtet er sich in die Tiefe. Durch das Eisengitter des Laufstegs wird dir die wirkliche Höhe erst einmal richtig bewusst. Ganz unten, kleinen Käfern ähnlich, machst du Menschen und Autos ausfindig. Der Verstand sagt, du bist ja durch ein Seil abgesichert, doch das Gefühl will noch nicht so recht nachziehen. Aber schließlich gewinnst du Sicherheit, tastest dich vorsichtig bis mutig voran auf der Eisengitterplanke. Dein Auge riskiert einen Blick in quasi unendliche Ferne. Am Stadtrand wird der Grüngürtel sichtbar, von dem Sydney umgeben ist. Das riesige Gelände des der Welt größten Naturhafens breitet sich vor dir aus, durchsetzt mit weißen Punkten, den Schiffen. Die ansonsten sehr hoch wirkende Harbour Bridge krümelt sich unter dir zusammen. Und natürlich sucht und findet das Auge Sydneys Ikone, die Sydney Opera, etwas versteckt hinter einer Häuserflucht. Die faszinierenden Ausblicke lenken ab vom anfänglichen Fracksausen. Den heftigen Wind nimmst du nur noch am Rande wahr. So sehr bist du gefangen von dem abenteuerlichen Erlebnis. Knapp eine Stunde dauert der Höhenrundgang. Schließlich stehst du wieder vor der schweren Eisentür, die sich wie von Geisterhand öffnet. Ein letzter Blick nach unten, dann schlüpfst du hinein in das sichere Turminnere, schnallst dich ab, schüttelst dich innerlich und äußerlich und fragst dich, ob das Erlebte ein Traum oder Realität war. Skywalk - eine Schlüsselerfahrung der besonderen Art.
Sydney, diese lebensfrohe, weltoffene, immer aktive und meist sonnendurchflutete Metropole muss recht spendabel sein. Denn welche Stadt kann sich einen Stadtteil leisten, in dessen Namen acht Mal der Buchstabe „O” und drei Mal das „L” vorkommen: Woolloomooloo, ein bezauberndes Viertel an der Woolloomoolloo Bay unweit des Botanischen Gartens. Auch die Hundertschaften von Ibissen, die sämtliche innerund außerstädtischen Parkanlagen mit ihren pompösen Springbrunnen bevölkern, tragen zu dieser Einschätzung bei. Eine Etage höher in den Bäumen produzieren Myriaden von Zikaden einen ohrenbetäubenden Lärm - und plötzlich, wie auf Kommando, herrscht absolute Stille, um einige Minuten später dann in noch heftigerer Lautstärke wieder aufzuflammen.
Doch dieser „Urbane Springbrunnen”, wie die Stadt von Einheimischen gern genannt wird, hat andere Zeiten gesehen. Wie gesagt: ES BEGANN ALS GEFÄNGNIS! Bei unserer Stadtbesichtigung stehen wir schnell auf historischem Boden.
Wir schreiben den 26. Januar 1788. Eine stolze englische Flotte aus elf Schiffen unter der Führung von Captain Arthur Philipp erreicht die Sydney Cove, den heutigen Circular Quay. Es ist kein gewöhnlicher Handels- oder Emigrantenkonvoi, denn sechs Schiffe transportieren ausschließlich Strafgefangene, siebenhundert insgesamt. Die Platznot in englischen Gefängnissen veranlassen deshalb die Strafbehörden zum längsten Gefangenentransport der damaligen Welt. Die männlich wie weiblichen Gefangenen, alle samt und sonders zu langjähriger Zwangsarbeit verurteilt, sollen helfen, die erste englische Kolonie auf australischem Boden aufzubauen. In kurzen Abständen folgen weitere Gefangenentransporter, so dass die Anzahl der Häftlinge bald Zehntausend überschreitet, mithin gut vierzig Prozent der seinerzeitigen englischen-australischen Gesamtbevölkerung.
Zwangsarbeit bedeutet hauptsächlich Bau von Festigungsanlagen, Straßen und Regierungsgebäuden. So mancher spätere Gouverneur bedient sich ihrer aber auch für private Dienste. So ließ Gouverneur Laclan Macquerie (1762-1824) auf einer der wunderschönen Landzungen am Sydney Harbour einen „Stuhl” aus dem Sandsteinfelsen herausschlagen, so dass Mrs Macquerie an ihrem Lieblingsplatz stets eine wunderschöne Aussicht genießen konnte. Heute erinnern insbesondere das Sydney Museum und das Hyde Park Barracks Museum an diese Epoche. Ersteres wurde auf den Überresten des „First Government House” errichtet. Und auch dieses erste Regierungsgebäude wäre ohne Sträflingsarbeit nicht denkbar. Im Untergeschoss des Museums können die ausgegrabenen, altertümlichen Gebäudereste besichtigt werden.
Eindringlicher zeigt sich damaliges Gefangenenleben im zweiten Museum, den „Barracks”, als UNESCO Weltkulturerbe anerkannt. Auf dem Areal am Nordende des Hyde Parks steht immer noch das ehemalige Aufnahme- und Gefängnislager. Der von Mauern umsäumte Gefängnishof diente damals als Wartezone, bevor die Gefangenen zu ihrer täglichen Arbeit geführt wurden. Das Gebäudeensemble war jedoch nicht nur Gefängnis, sondern eben auch erste Anlaufstelle für Aussiedler, die in Australien Fuß fassen wollten - eine eigenartige Mischung! Das dreistöckige Gebäude beherbergte im Erdgeschoss die Gefangenen- und Aussiedlerverwaltung. Im ersten Stock befand sich ein Schlafsaal für Immigrantenfrauen. Und eine Etage höher schließlich wurden männliche Strafgefangene untergebracht. Ein großer, mit Hängematten vollgestopfter Raum diente als Schlafzelle.
Die Strafmaßnahmen jener Zeit waren drastisch. Für den Diebstahl eines Schafes, einer Kuh oder auch eines Käses gab es sieben Jahre Zwangsarbeit. Wer beim Lügen ertappt wurde, Taschentücher stahl oder in ein Haus einbrach, wurde dafür vierzehn Jahre ins Arbeitslager geschickt, für Bettelei gar ein Leben lang. Die achtmonatige Seereise von England nach Australien wurde auf das Strafmaß selbstredend nicht angerechnet. Wer diese langen Haftzeiten einigermaßen heil überstand, manchmal auch wegen guter Führung verkürzt bekam, war oftmals so gut akklimatisiert, dass er gleich in Australien blieb und sich eine neue Existenz aufbaute. So wird heute nicht ohne Stolz darauf hingewiesen, dass „Australien aus einem Gefängnis” - oder wie sagte es uns ein Historiker - in den „Barracks” entstand: „Diese historischen Begegnungsstätten verbinden uns mit dem wirklichen Beginn unseres heutigen, modernen Australiens.” Hierzu passt, dass der 26. Januar, also der Ankunftstag der ersten englischen Flotte an Australiens Gestaden, zum Nationalfeiertag erkoren wurde, dem Australia Day.
Ein kleines Augenzwinkern soll diesen Abschnitt über Sydney beenden. Unweit der Tafel mit den Informationen, für welche (Straf-)Tat man lebenslänglich erhielt, wirbt das moderne Café/Restaurant auf dem ehemaligen Gefängnishof für sich als Location für Hochzeitsfeiern: „Booking Required - You’ll Be In For Life!”.
Boating Bays & Beaches - Sydney
Die Stadt mit dem größten Naturhafen der Welt stellt schon etwas Besonderes dar. Port Jackson wird er am häufigsten genannt oder eben auch einfach Sydney Harbour. Eine relativ schmale Durchfahrt führt vom Pazifik in die inneren Gewässer. Dort eröffnet sich dann ein Gewirr von Inseln und Inselchen, Nebenarmen und Buchten. Über neunzehn Kilometer Länge erstreckt sich der Hauptarm. Hier entlang werden die wuchtigen Frachter und noch wuchtigeren Kreuzfahrtschiffe zur ihren Anlege- oder Ankerplätzen gelotst. Von diesem Hauptschifffahrtweg zweigen weitere Meeresarme wie der Middle Harbour ab. Der Umkreis der Hafenmündung beträgt dreihundertsiebzehn Kilometer. Geologisch ist Port Jackson eine sogenannte RIA, das heißt ein Küstentyp mit einer schmalen und langen, tief in das Land eindringenden Meeresbucht. In diese fließt der Parramatta River.
Aus der unübersehbaren Schar der Inseln im Sydney Harbour seien hier nur einige erwähnt: Shark Island, Clark Island, Fot Denison Island, Goat Island, Cockatoo Island, Spectacle Island, Snapper Island oder auch Rodd Island. Frühere Landgewinnungsmaßnahmen haben hingegen andere, wie Bennelong Island, Garden Island oder Berry Island, zu Festland beziehungsweise Halbinseln umgestaltet. Die meisten dieser Eilande sind bewohnt, nicht so Fort Denison. Winzig aber robust, in Sichtweite von Oper und Botanischem Garten, machte es seinem Namen alle Ehre. Denn wer in den Hafen wollte, musste an ihm vorbei. Und damit waren dickleibige Kanonen zu überwinden. Aus damaliger Sicht, also aus der Perspektive der europäischen Einwanderer, ein perfekter Schutz für die neugegründete Kolonie. Zeitweilig diente der Inselfelsen auch als „Strafanstalt” und Hinrichtungsstätte. So ist auch der Spitzname „pinchgut” (frei übersetzt: Bauchkneifer) zu erklären. Heute wird dort nur noch mit Messer und Gabel hantiert.
Die Gegend um den Naturhafen soll bereits seit vierzigtausend Jahren von den Aborigines besiedelt gewesen sein, bis dann 1788 der erste englische Schiffskonvoi hier an Land ging. Dass die neuen, europäischen Mitbewohner (besser: Konkurrenten) der leicht hügeligen, fruchtbaren Plains und fischreichen Gewässer nicht nur freundlich jubelnd empfangen wurden, kann sicherlich schnell nachvollzogen werden.
Bei so viel Küste, Wasser und fast ganzjährig herrlichem Wetter steht Boating natürlich hoch im Kurs. Sind es zwanzig oder gar dreißig Yachthäfen? Gefühlt sind es bestimmt mehr, denn hinter jeder Kurve der endlosen städtischen Uferpromenade tut sich eine weitere Marina auf. Samt und sonders vollgestopft mit Booten, von der bescheidenen Jolle bis zum Milliardär-Cruiser. Egal an welchem (Aussichts-)Punkt man auf den Hafen hinabblickt, ein riesiges, weißes oder buntes Heer an Segelbooten bevölkert die Gewässer. Zwischen ihnen wuseln Unmengen von Fähren aller Größen und Farben. Ein hervorragend verknüpftes Netz von Sightseeing-Booten sowie Fahrplanschiffen bringt dich in jede Ecke dieser Hafenperle. Wie beim Bus kann auch hier für wenig Geld ein Vierundzwanzig-Stunden-Ticket/Hopp-On-Hopp-Off erstanden werden. Sydney aus der Wasserperspektive hat seinen besonderen Reiz. Außerdem gelangst du auf diese Art und Weise zu den wunderschönen Inseln, Bays und Traumstränden, ohne lange Anfahrten mit dem Auto: Rose Bay, Watson Bay, Quarantine Station oder wie sie alle heißen mögen. Als Badewanne der Sydneysider geriert sich die nördliche Manly Bay. Die Fähre legt an der Wharf in der geschützten Innenbucht an. Menschenmassen wälzen sich an Land. Ein kurzer Weg durch die quirlige Fußgängerzone des Stadtteils - „El Corso” genannt -, und schon stehst du am Pazifikstrand.
Was dem einen sein Pazifikbad, ist dem anderen sein Surf. Weltruf hierfür genießt der Bondi Beach, südöstlich von Sydney, bereits wieder an der Tasman Sea gelegen. Die Fähren wagen sich wegen der stets rauen See zwar nicht um den South Head, dafür geht es problemlos mit dem Bus in circa dreißig Minuten von der Innenstadt. Und es ist ja gerade die ewig raue See, welche diese Bucht mit goldgelbem Strand für Surfer so attraktiv macht. Eine solche Ansammlung von begeisterten Wassersportlern findet man sicherlich nur selten. Und das Beste: Alle Bays und Beaches sind frei zugänglich, ohne Eintritt oder Kurtaxe, und doch stets von Rettungsschwimmern überwacht. Beispielhaft!
An dieser Stelle bietet sich ein Wort über einen ganz besonderen Club an. Bekanntlich ist das Clubwesen in Australien stark ausgeprägt, ein britisches Erbstück. Hier in Bondi regiert ein elitärer Schwimmclub die Clublandschaft. Um Mitglied werden zu dürfen, müssen die Kandidaten vier Jahre lang jeden Sonntag in den Club zum Schwimmen kommen - im Sommer wie im Winter. Nicht ein beheizter Pool lockt, sondern ein Außenbecken, welches das Meer mit Wasser speist. Fehlen beim Sonntagsschwimmen wird mit dem Entzug des Kandidatenstatus bestraft. Und als ob es nicht genügt, dass sich das Badevergnügen im Winter zwar frostfrei aber doch recht frostig gestaltet, müssen die Kandidaten an einem Sonntag mit einem großen Eisblock in den Armen ihr Schwimmtraining absolvieren. Das wärmt dann das Wasser auch nicht gerade auf. Wenn das nicht elitär genannt werden darf! Die Liste der Aufnahmeanträge sowie die Wartezeiten sollen sehr lang sein.
Doch auch für Nichtsurfer und Nichtschwimmer ist an diesem prachtvollen Küstenabschnitt gesorgt. Rund drei Kilometer kann man dem Panoramawanderweg folgen bis nach Bronte Beach. Entlang der steilen Felsenküste verläuft der Pfad immer direkt am Meer. Mal führt er dich unmittelbar auf der Höhe des Meeresspiegels entlang mit hohem Risiko, eine Wellendusche abzubekommen, mal klettert er hinauf zu einem der Aussichtspunkte, von wo der Wind dich fast wieder hinunterpustet. Von Einsamkeit ist dort natürlich keine Spur. Zusätzlich zu den Heerscharen von Badegästen kommen noch die Anwohner, denn diese Küstenlinien sind fast durchgängig intensiv bebaut. Die Küstensiedlungen tragen denn auch hin und wieder hübsche Spitznamen. Das Stadtviertel an der Rose Bay hat man „Häuser mit Millionenblick” getauft, die Double Bay mutiert zu Double Pay. Preiswertes ist hier offensichtlich wirklich nicht zu erstehen. Ein Verkaufsangebot für eine Eigentumswohnung mit drei „bedrooms” ist denn auch für nur vierundvierzig Millionen Australische Dollar (knapp dreißig Millionen Euro) zu haben.
Verlassen wir einmal kurz diese Bay- & Beach-Idylle und wenden uns dem nördlichen und westlichen Hinterland zu. Noch auf äußerem nördlichem Stadtgebiet lädt der Ku-Ring-Gai Chase National Park zu einem Ausflug ein. Am Bobbin Head gleich hinter dem Information Center führt ein Rundweg durch australischen Buschwald. Und mit etwas Glück läuft dir auch eine Goanna Echse über den Weg. Daneben gibt es herrliche Aussichtspunkte auf die verzweigte Flusslandschaft - Wasserwege, die alle Zugang zum Sydney Harbour und damit zum Ozean bieten.
Etwas weiter entfernt in westlicher Richtung lohnt sich ein Ausflug in den Blue Mountains National Park. Als Teil der Great Diving Range erhebt sich dieses zerfurchte Sandsteinplateau auf bis zu tausendeinhundert Meter. Als Hauptanziehungspunkt gilt die Stadt Katoomba mit ihrem Echo Point und den Felsnadeln Three Sisters, zusätzlich zu den beiden Gondelbahnen Scenic Skyway und Scenic Cableway. Ergänzt wird das Triumvirat durch die Scenic Railway, dem mit zweiundfünfzig Grad Gefälle steilsten Personenzug der Welt (nach einer Broschüre). Wanderer und Kletterer fühlen sich im El Dorado dort unten in den Eukalyptuswaldtälern oder auf der Giant Stairway, das heißt einer Steintreppe mit rund tausend Stufen hinab zum Jamison Valley.
Exkurs: Die Geburt der „Drei Schwestern”
Aus dem dichten Regenwald der Blue Mountains ragt eine Felsformation besonders hervor: „Die Drei Schwestern”. Ihre Entstehung spiegelt sich wider in einer Legende der Aborigines:
Vor langer, langer Zeit existierte das mystische Land Gondwana, wunderschön, friedfertig und unberührt. In ihm lebte Taywan, der weise Alte des Stammes der Gundugurra. Er hatte drei Töchter, Meenhi, Wimlah and Gunnedoo, die er beschützte wie seinen eigenen Augapfel.
In einer tiefen Höhle hauste Bunyip. Er labte sich an menschlichem Fleisch, besonders an dem von jungen Mädchen und Frauen. Deshalb fürchtete ihn jeder. Wer an seiner Höhle vorbei kam, musste mucksmäuschenstill an ihr vorbeikriechen, um das Ungeheuer nicht zu stören. Jedes Mal, wenn Taywan daran vorbei musste, verbarg er seine Töchter hinter einem hohen Felswall - für alle Fälle.
So geschah es eines Tages wieder. Taywan schlich an der Höhle vorbei, während sein Töchter verborgen hinter dem Felswall auf seine Rückkehr warteten. Plötzlich kroch ein riesiger Tausendfüßler auf die jungen Mädchen zu, die anfingen zu schreien. Die älteste von ihnen, Meenhi, nahm einen Felsbrocken und warf ihn nach dem Tier. Doch der Stein verfehlte den Tausendfüßler und rollte den Berg hinunter, direkt in die Höhle Bunyips. Dieser erwachte umgehend vom Lärm und Stoß des Felsen. Bitterböse über die Störung suchte er nach dem Übeltäter. Schließlich entdeckte er die drei Schwestern auf ihrem Felsen. Seine Augenlider formten sich zu Schlitzen. In Vorfreude auf das festliche Mahl stieß er einen teuflischen Schrei aus, der in den gesamten Blue Mountains zu hören war. Auch Taywan vernahm ihn und ahnte nichts Gutes.
Als es sich dem Felsen seiner Töchter näherte, sah er das Ungeheuer, wie es bereits die Felswand hinaufkletterte. Rasch verwandelte Taywan daraufhin mit Hilfe seines Zauberknochens die Töchter in drei Felsnadeln. Dann machte er sich wieder an seine Arbeit. Die Zauberei blieb dem teuflischen Bunyip natürlich nicht verborgen, ebenso wenig die Ursache. Sofort nahm er die Verfolgung von Taywan auf. Der unglückliche Vater merkte alsbald, dass er durch Laufen dem Ungeheuer nicht entfliehen konnte. Also betätigte er seinen Zauberknochen ein zweites Mal, verwandelte sich selbst in einen Lyre Bird und flog einfach davon.
Blue Mountains - Die Drei Schwestern
Alles schien gut und gerettet, bis Taywan bemerkte, dass er im Fliegen seinen Zauberknochen verloren hatte. Somit konnte er weder seine Töchter noch sich selbst zurückverwandeln in menschliche Wesen. Als Vogel scharrt und sucht er noch heute den verschwundenen Zauberknochen. Und seine drei Töchter warten seitdem starr und steinern darauf, dass er sie wird zurückverwandelt in junge Aborigines-Mädchen.
Blue Mountains - aus der Ferne schimmern sie tatsächlich blau. Warum? Ursache hierfür sind die bläulich schimmernden ätherischen Öle, die aus den Eukalyptusbäumen emporsteigen. Kein Wunder, dass bei so viel Sehenswertem der National Park als UNESCO Weltnaturerbe geadelt wurde. Eng verbunden mit dem Eukalyptusbaum sind seine häufigsten Bewohner, die Koalas. Im National Park selbst sind sie zwar nur äußerst selten sichtbar. Dafür aber werden sie gehegt und gepflegt im Featherdale Wildlife Park, auf halbem Weg zwischen Sydney und dem National Park. Dabei handelt es sich in erster Linie nicht um einen herkömmlichen Tierpark. In diesem Sanctuary wird wissenschaftlich versucht, das Überleben dieses selten geworden Tieres zu sichern. Wombats, Kakadus, Wallabys und viele andere Spezies in dem Wildlife Park ergänzen die Palette der „Heimbewohner”.
Auf dem Rückweg dieses an Ereignissen reichen Abstechers legen wir noch einen Zwischenstopp am Olympic-Center in Sydney ein. Nicht um diese ehemaligen Sportstätten von der Sommerolympiade 2000 zu besuchen, sondern - und damit kommen wir zum eigentlichen Thema zurück - um per Katamaran in rund neunzig Minuten zum Sydney Harbour zurückzukehren. Das geschilderte Leben am, im und auf dem Wasser präsentiert sich in der Abendsonne ein weiteres Mal. Endstation ist der vor Lebenssaft überquellende Darling Harbour im Stadtzentrum. Es lohnt das Warten bis zur Dunkelheit. Denn immer samstags 21.00 Uhr wird dort während des Sommers vom Wasser aus ein farbenfrohes Feuerwerk gezündet. Sydney, wie wir es erleben: Eine Stadt voller Lebenskraft, Lebenslockerheit und Lebensfreude.
Es hauptstädtert sehr
Nach so vielen Tagen in Sydneys Stadtgewühl zieht es uns in grüne Einsamkeit. Was liegt näher, auch geographisch, als dem südwestlich gelegenen Morton National Park einen Besuch abzustatten. Bevor wir ins Landesinnere abdriften, werfen wir noch einen kurzen Blick auf den Blowhole Point im Küstenort Kiama. Bei rauer See spritz das Wasser meterhoch durch eine Felskluft. Bei ruhigem Wellengang gibt es keine Meerwasserdusche, aber immerhin eine gut zwei Meter hohe Fontänengischt. Allein der Ausblick auf die Tasman Sea lohnt den kleinen Umweg.
Ruhig und beschaulich dösen die kleinen Orte im vor uns liegenden Nationalpark dahin. Berry, Bowral, Berimma, allesamt Tore für die kilometerlangen Wanderwege im Naturschutzgebiet. Die Straße führt durch das Kangaroo Valley. Australiens Wappentier wird hier zwar nicht gesichtet, dafür erfreuen wir uns am dichten, schattigkühlenden Regenwald, der die Berghänge (bis achthundert Meter hoch) begrünt. Bezaubernde Blicke auf die Küstenebene verlocken immer wieder zum Zwischenstopp.
Weit ist es allerdings nicht mehr bis zur Hauptstadt - also gleich wiederum in überschäumendes Stadtleben eingetaucht? Weit gefehlt! Denn zunächst zieht es uns in die sogenannte Capital of Cherries, in die Kleinstadt Young, in einem der wichtigsten Anbaugebiete für diese Köstlichkeit gelegen. Obwohl jetzt Haupterntezeit sein soll, bleiben die Stände am Straßenrand oder bei den Obstbauern direkt leer. Selbst der wichtigste Obst- und Gemüsemarkt in der Stadt bot keine Kirschen zum Verkauf an. Wir vergewissern uns, ob die Saison Mitte Januar als Erntezeit stimmt. Sie geht in Ordnung, versichert man uns in der Touristeninformation. Und warum gibt es dann keine Kirschen im Angebot? Das meiste geht in den Export, Direktvermarktung genießt hier keinen hohen Stellenwert, obwohl die Verkaufsschilder an der Straße es anders ausweisen. Doch in einem örtlichen Supermarkt entdecken wir schließlich Kirschen, nicht mehr ganz frisch, dafür mit schweißtreibendem Preis: zwanzig Australische Dollar pro Kilogramm (circa vierzehn Euro).
Versehen mit einem Foto des Wahrzeichens der Stadt und der Kirschengeschichte (Anbau seit 1847) verlassen wir das „Rote Zentrum” Richtung Canberra. Dafür kehren wir dem Bundesstaat New South Wales den Rücken, um nach ACT (Australian Capital Territory) einzufahren. Hier wird das amerikanische System von Washington D.C. (District Columbia) übernommen. Für die Hauptstadt wird ein eigener kleiner Verwaltungsbereich ausgewiesen, der zwar mit allen Rechten eines Bundesstaates ausgestattet ist, aber eigentlich kein eigenständiges Gebilde darstellt. Was den Gaumen im „Kirschenzentrum” nicht erfreuen konnte, wird für das Auge ausgeglichen. Unterwegs flattern immer wieder Kakadus um uns herum, sowohl die rosa Schnatterkakadus, wie auch die eigentlich schneeweißen Gelbhaubenkakadus. Sie tummeln sich lautstark auf den verdorrten, braunen Feldern oder den Bäumen. Oftmals tauchen sie als Pärchen oder in größeren Gruppen auf, wobei man sie meistens erst hört und dann sieht.
In der Sommerhitze von fünfunddreißig bis vierzig Grad Celsius nähern wir uns nunmehr der wirklichen Hauptstadt Australiens, Canberra. Als Zusatz trägt sie die Bezeichnung „custom-built city”, das bedeutet „auf Kundenwünsche zugeschnitten”. Wer war der Kunde? Die australische Regierung, die mit dem Neubau einer ganzen Stadt (Fertigstellung 1927) dem ewigen Hauptstadtstreit zwischen Melbourne und Sydney ein Ende setzte. Und der Anbieter? Geplant und realisiert wurde sie von dem visionären, amerikanischen Architekten Walter Burley Griffin. Wie kam er auf den Städtenamen? Die Aborigines nannten und nennen diesen Platz in ihrer Sprache seit Urzeiten „Kanberra”, was in etwa „Treffpunkt” bedeuten soll. Sind alle Probleme beseitigt?
Die Stadt wirkt wegweisend als architektonisches Symbol, aber flau, was ihre Spontaneität angeht, behaupten Lästerzungen. Modern begegnet sie uns. Verblüffend harmonisch greifen bebaute und begrünte Flächen ineinander. Wirkliche Hochhäuser findet der Besucher hier nicht, ebenso wenig Verkehrsstaus. Als ob die Stadt vorrangig für den Autoverkehr geplant wurde. Wegen der Weitläufigkeit haben es Fußgänger schwer von „A” nach „B” zu kommen. Dafür geht es den Radfahrern umso besser. Farbig markierte Radwege durchziehen die gesamte Stadt. Halb Canberra scheint im Fahrradsattel zu sitzen. Das geht auch bestimmt flüssiger als mit dem dürftigen öffentlichen Nahverkehr. Mancher Reiseführer behauptet sogar, es gäbe ihn überhaupt nicht. Nun, das stimmt nicht so ganz. Einige Linienbusse sind uns schon begegnet.
Herzstück dieser Parkanlagenstadt ist der erst 1964 künstlich erschaffene Lake Burley Griffin, um den sich alles herum gruppiert. Er wird aus dem Molonglo River aufgestaut. Seine Länge beträgt rund elf Kilometer bei fünfunddreißig Kilometer Uferlänge - ein einziges Naherholungsgebiet. Von hier aus sind Canberras Sehenswürdigkeiten gut zu erreichen, manchmal zu Fuß wie das National Carillon/Glokkenspiel, mit dem Fahrrad zum National Museum of Australia beziehungsweise dem Australian War Memorial, oder im Auto zum Old Parliament House beziehungsweise zum aktuellen Parliament.
Das Australische Nationalmuseum (freier Eintritt) gibt sich selbst den Titel „Geschichten im Herzen unserer Geschichte”. Von den vermuteten Siedlungsanfängen der Aborigines & Torres Strait Islander über die europäische Kolonialisierung und die Industrialisierung bis zum heutigen Computerzeitalter entfaltet sich ein bewundernswertes, multivisionales Kaleidoskop australischer Geschichte. Über zwei Kilometer erstreckt sich die ANZAC-Parade schnurgerade vom See bis hin zum War Memorial. Gesäumt wird diese Allee von einem dutzend Denkmälern verschiedener Nationen. Der mittlere Fußweg aus rotem Schotter, gewonnen aus alten Ziegelsteinen, erzeugt den knirschenden Widerhall von marschierenden Soldatenstiefeln, der dann allmählich im Innenhof mit gigantischer Gedenkhalle erlischt.
Das aktuelle Parlamentsgebäude wurde erst 1988 bezogen, pünktlich zum zweihundertsten Jahrestag der Ankunft des ersten Europäers. Ohne gute Ausschilderung wäre der Bau kaum zu finden, denn er ist in einen Hügel integriert. Der einundachtzig Meter hohe Flaggenmast auf der Hügelspitze weist darauf hin, dass „darunter” noch mehr Sehenswertes zu finden ist. Englischer Stil im Inneren regiert Anblick und Aufteilung. In Anlehnung an das britische House of Commons ist das Mobiliar grün gehalten, im House of Lords dominiert aus gleichem Grund die Farbe Rot. Nur nennen sich die Kammern hier Repräsentantenhaus und Senat. Und wo wurde vorher regiert? Von 1927 bis 1988 gab es ein provisorisches Regierungsgebäude, das heutige Old Parliament House. Man findet es leichter unter dem Namen Museum of Australian Democracy. Die ehemaligen Sitzungssäle und Kabinettsräume sind bei geringem Eintritt zugänglich. Filmausschnitte präsentieren Wege der Entscheidungsfindung zur „großen, australischen Politik”.
Gleich gegenüber auf dem Parlamentsrasen residiert seit 1972 die Aboriginal Tent Embassy, das heißt ein kleines Zeltdorf gruppiert sich um die „Heilige, ewig brennende Aborigines-Flamme”. Die „Botschaft” in Form einer kleinen Hütte versteht sich als permanente Protestbewegung gegen die Diskriminierung der Urbevölkerung durch die „europäischen Weißen”. Nicht Anerkennung wird gefordert, sondern Souveränität. Angeklagt wird der Landdiebstahl durch die europäischen Kolonialherren. Zugespitzt wird auch mit Völkermord argumentiert. Sind alle Probleme beseitigt?
Exkurs: Die „gestohlenen” Generationen
Dieser Begriff stammt aus dem zeitweiligen Umgang von Teilen Australiens „weißer” Bevölkerung mit den Aborigines. Aus einer Informationstafel im Australian National Museum in Canberra geht hervor, dass ungefähr zwischen 1890 und 1970 junge Aborigines gewaltsam von ihren Familien getrennt wurden. Viele der Jugendlichen haben ihre Eltern, Geschwister und Verwandten niemals wiedergesehen. Da diese unrühmliche Ära mehrere Jahrzehnte umfasste, wird heute von Generationen gesprochen.
Warum gingen Teile der weißen Bevölkerung so vor?
Dies ist und bleibt die brennende Frage von Mitgliedern der „gestohlenen Generationen”. Durch die zwangsweisen Entführungen haben Teile der weißen Bevölkerung den Aborigines ihre eigene Zukunft verwehrt. Sprache, Tradition, Kenntnisse, Tänze und Spiritualität der Aborigines können aber nur fortleben, wenn sie von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Es heißt, dass die weiße Bevölkerung gehofft hat, der Aborigines-Kultur in kurzer Zeit den Garaus zu machen, indem der traditionelle Generationenkreislauf unterbrochen wurde. So wollte man das „Aborigines Problem” loswerden.
Im frühen 20. Jahrhundert, zu Zeiten der australischen „Assimilationspolitik”, dachten Teile der weißen Bevölkerung, dass die Aborigines dadurch schließlich aussterben würden. Nach drei Generationen ununterbrochener Unterbrechung der „traditionellen Generationenkette” sei das Ziel erreicht, unter anderem auch dadurch, dass Aborigines Kinder mit der weißen Bevölkerung zeugten.
Wir kehren zurück zu Canberras typischer Parklandschaft. Die schönsten Blicke auf See und Stadt bieten die Aussichtspunkte der umliegenden Berge, ob nun vom Stromlo Forest mit Observatorium (rund sechshundertvierzig Meter), vom Black Mountain (achthundert Meter) oder vom Hausberg Mount Ainslie (achthundertvierzig Meter). Wenn man nicht wüsste, dass sich eine Landeshauptstadt mit gut vierhunderttausend Einwohnern in diese „Gartenstadt” duckt, der ausschließliche Blick von oben würde es nicht verraten.
„Hauptstadt” Nr. 3: Cooma, rund einhundertachtzig Kilometer südlich von Canberra. Sie bezeichnet sich als „The Capital of the Snowy Mountains”. Somit tauchen wir wieder ein in das teilweise undurchdringliche Grün des Mount Kosciuszko National Park. Ein knapp dreihundert Kilometer langer Rundweg auf dem Alpine Highway sowie dem Snowy Mountains Highway geleitet uns mitten hinein in diesen Park und führt uns in das einzige australische alpine Skigebiet, wobei der Mount Kosciuszko mit 2.228 Metern Australiens höchster Berg ist. Man sollte die Bezeichnung Skigebiet nicht mit europäischen Alpenmaßstäben messen. Die Saison für Wintersport bleibt immens kurz, was zur (positiven) Folge hat, dass die Hänge der zahlreichen Berge nicht zu stark von Skipisten zugepflastert und belastet sind. Als stärker ausgeprägt erweist sich vielmehr der Wander- und Mountainbike-Tourismus, ersichtlich an den zahlreich ausgewiesen Wander- und Fahrstrecken. Sanfter Tourismus mit sanftem Andrang, jetzt in der Sommerzeit. Der Wanderaspekt wird noch verdeutlicht durch das „Wanderlust Festival” (australischer Originaltitel), welches im aufkommenden Herbst stattfindet.
Einige wenige Orte liegen verstreut im und um den Nationalpark herum: Jindabyne als „lebendiger” Tourismusort, Thredbo, der malerischste in einem einsamen Talkessel, und Cabramurra, mit 1.488 Meter Australiens höchste Stadt. Auch sie wurde in den 1950er Jahren sozusagen „kundengerecht” erstellt, denn es war damals die Zeit des Baus der großen Wasserkraftwerke in dieser Bergwelt. Dreieckige futuristisch anmutende „Haushütten” prägen das Ortsbild, gruppiert um ein Gemeinde- und Einkaufszentrum. Ein Reiseführer nennt die Ortschaft sogar „eigenartig seelenlos”. Na endlich mal ehrliche Tourismuswerbung! Die Beschreibung passt. Weiter geht es mit Khancoban, ein Ort mit geschätzten fünfzig Häusern und weniger als dreihundert Einwohnern. In gesegneter Einsamkeit, mucksmäuschenstill taucht es nach vielen Kilometern menschenloser Strecke auf wie eine Zivilisationsoase im Sommer. Und schließlich Adaminaby, ein Dorf, welches es eigentlich nicht mehr gibt, zumindest das ehemalige Dorf. Dieses wurde nämlich beim Bau eines der Wasserkraftwerke ertränkt. Einige der historischen Gebäude konnten jedoch durch „Komplettumzug” in der Siedlung Old Adaminaby der Nachwelt erhalten werden.
Die Snowy Mountains, sie gelten als das Juwel von NSW Nationalparks. Die Panoramastraße windet sich zwischen achthundert und tausendfünfhundert Meter durch die gottverlassene Landschaft, gespickt mit ungezählten Aussichts- und Rastplätzen. Als Teil der Great Dividing Range überquert man bei Thredbo auf dem Rundweg den höchsten Straßenpass Australiens (1.580 Meter). Die Region hat aber wohl nicht immer so friedlich vor sich hingedämmert. In der Zwölf-Häuser-Siedlung Kandra führt dich ein Wegweiser zu einem historischen Friedhof. Auf ihm wird nicht etwa besonders berühmter Persönlichkeiten gedacht - mitnichten! Die Hinweistafel weist aus, dass hier in den Jahren 1891 bis 1912, das heißt während der Ära des Goldrushs, insgesamt siebenundvierzig Personen bestattet worden sind. Davon sollen lediglich sechs Personen „aus Altersgründen” verstorben sein.
Eine weitere Besonderheit zeigt sich bei der Berghütte „Braddleey’s & O’Briens Hut”. Die mit Bäumen bewachsenen Berge nehmen in der Fernsicht eine kreideweiße, wie mit Puderschnee bestäubte Färbung an. In der Nahaufnahme zeigt sich, dass dort flächendeckend kahle, rindenlose, tote Bäume stehen, die wie silberne Speerspitzen in den Himmel ragen. Der Grund für diesen „toten Urwald” liegt in der verheerenden Feuersbrunst von 2003, bei der rund achtzig Quadratkilometer Wald zerstört wurden. Die Überreste sind heute noch sichtbar. Doch die Natur erobert sich vielerorts ihr Terrain zurück. Bis zu zwei Meter hoch sind Bäume und Büsche bereits wieder nachgewachsen. Schätzungsweise muss noch ein Jahrhundert vergehen, bis die Natur ihren ursprünglichen Zustand wieder erreicht hat - Langzeitschaden eines Feuers, vermutlich durch Brandstiftung!
Zwei markante australische Feiertage werden gefeiert: Zum einen der ANZAC DAY (jährlich am 25. Januar) sowie der Australia Day (immer am 26. Januar). Der erste Feiertag ehrt die Militärgemeinschaft Australien-Neuseeland, denn die Abkürzung bedeutet „Australia New Zealand Army Corps”. Die eigentliche Ehrung gilt insbesondere natürlich den Opfern in den zahlreichen Militärkonflikten, an denen die beiden Länder mit einer gemeinsamen Militäreinheit seit dem Ersten Weltkrieg teilnahmen und teilnehmen. Gedenkfeiern und Paraden finden besonders in größeren Städten statt.
Erheblich gelöster wird der Nationalfeiertag begangen, ebenfalls ein staatlicher Feiertag. Die Städte und Gemeinden sprudeln über vor Stadtfesten, Kirmes und ähnlichen Attraktionen. Wir dürfen den Festtag in der bereits erwähnten achttausend Einwohner starken Stadt Cooma miterleben. Im zentralen Centennial Park trifft man sich zur privaten und offiziellen Feier. Die Vereine der Stadt präsentieren sich, die Stadtoberen und diverse Parlamentsabgeordnete ebenfalls. Es mangelt nicht an buntem Treiben. Alles dreht sich letztendlich um das Motto „Celebrating Aussie Icons”. Am sichtbarsten ist die australische Ikone „Bumerang”, denn ein überdimensionales, bunt verziertes Exemplar ist über der Eventbühne befestigt. Der zweite Blick macht die weiteren Identität stiftenden Aussie-Symbole sichtbar, immerhin neun an der Zahl. Dargestellt sind (in loser Reihenfolge): Koala, Cork Hat, Vegemite, Sydney Opera House, Dame Edna, Uluru, Thongs, Meat Pie, Cathy Freeman. Nachgefragt haben wir bei den uns nicht so geläufigen, denn die Oper, den Uluru/Ayers Rock, den Cork Hat/typische Kopfbedeckung für Männer und der Koala sind weltberühmt. Doch wer sind Cathy Freeman und Dame Edna? Die erste Dame gilt als wegweisend für die australische Leichtathletik, denn 1981 gewann sie bei Olympischen Spielen mehrere Goldmedaillen in Staffelläufen. Außerdem gehört sie einem Stamm der Aborigines an. Dame Edna hingegen gilt als TV-Ikone. Sie stellt eine fiktive Figur des australischen Komikers Barry Humphries dar. Markenzeichen sind ihre lila Haare und die übergroße Brille. Der Meat Pie gilt als Erinnerung an die angestammte englische Heimat vor der Kolonialisierung. Sie sind aber auch wirklich lecker, diese Fleischpasten. Bleibt noch „Thongs” als Ikone. Das sind ganz einfach Badeschlappen oder Flip Flops. Nun, bei fünfunddreißigtausend Kilometer Küstenlinie erweisen sie sich als sehr nützlich. Zu guter Letzt: Wie ist Vegemite als Australiensymbol auf diese Liste gelangt? Zu kaufen gibt es den konzentrierten Hefeextrakt mit vielen Vitaminen der B-Reihe in jedem Supermarkt als Brotaufstrich. Europa, besonders Schottland, kennt die Paste eher als „Marmite”. Soll es den Verkauf ankurbeln? Beweist es eine gesunde Ernährungseinstellung? Oder gilt es als Apell für eine solche? Eine erschöpfende Antwort darauf ist nicht zu erhalten, weder im Visitor Center, von Festorganisatoren oder Festbesuchern.
Canberra mit ANZAC Parade
Victorias Buschwald
Der Name sagt es bereits: Wir verlassen New South Wales und rollen hinein nach Victoria, wieder zurück an die Küste der Tasman Sea. Auf dem Princes Highway (Highway 1) erschließen wir uns Australiens Südostecke. Um an die eigentliche Küste zu gelangen, muss man immer wieder Stichstraßen nehmen, denn der Highway verläuft meistens rund zwanzig Kilometer vom Meer entfernt. Doch die Abstecher lohnen, einer wie der andere.
Man hat uns geraten, diese Hauptverbindungsader wegen des starken LKW-Verkehrs so oft wie möglich zu meiden. Umso überraschter sind wir, dass wir an einem normalen Werktag zu normaler Verkehrszeit so gut wie allein auf der Straße sind. Es ist zwar nicht gerade einsam auf dem Highway, aber mehr als drei LKWs und ein knappes Dutzend PKWs innerhalb einer Stunde sind uns weder entgegengekommen noch hinter uns gefahren. Alles ist sehr geruhsam und angenehm. Als geographisch kleinster State Australiens (knapp zweihundertvierzigtausend Quadratkilometer) wohnen hier doch immerhin 5,3 Millionen Einwohner. Das bedeutet Australiens zweitgrößte Einwohnerzahl eines States nach New South Wales. Auf unserer Route merken wir von Bevölkerungsdichte allerdings recht wenig. Diese ballt sich hauptsächlich im Zentrum des States in und um Melbourne.
Uns begleitet vielmehr undurchdringlicher Buschwald, in den kleine, oftmals nicht geteerte Stichstraßen zu den Küstenorten geschlagen wurden. Der Urwald reicht meistens übergangslos bis an die Strände heran. Ein tolles Bild: Hier das tiefe Grün, in der Mitte ein kleiner goldgelber Strandstreifen und sofort das blaue, unruhige Meer. Auch Victoria rühmt sich einem Ninety Mile Beach in seiner Südostecke. Allerdings besteht der „Beach” dabei lediglich in einem ununterbrochenen dünnen Strandstreifen zwischen Meer und Urwald. Das Tierleben zeigt sich dafür umso reichhaltiger. Im Ort Merimbula / Pambula Beach (noch Ostküste) kommen die Kängurus bis an den Strand. Die Tiere, nicht nur hier, scheinen sich an menschliche Besiedlung angepasst zu haben. Viele Kängurugruppen können wir auf häusernahen Wiesen, in Gärten und auf Campingplätzen ausmachen.
Dieser Küstenstreifen ist weiterhin geprägt von Lagunen und Inlets, so dass es hier auch häufig Mangrovenwälder gibt. Merimbula bietet zu diesem Punkt einen wunderschönen Holzplankenweg durch einen dieser Wälder. Ansprechende Beobachtungsmöglichkeiten von Wasservögeln sind garantiert. Die nächste Schleife führt uns in das Fischerdorf Mallacoota mit seiner ausgedehnten Marschlandschaft und dem weit verzweigten Seensystem. Sich selbst bezeichnet der Ort als DER Mittelpunkt von Australiens urwaldmäßiger Wildnisküste. Natur gibt es überreichlich, Küsten- und Seeuferlinien ebenso, das Besucheraufkommen fällt eher bescheiden aus. Mit dem Croajingolong National Park wacht der Ort jedoch über ein UNESCO zertifiziertes Welt-Biosphären Reservat. Der Natur kann der geringe Besucherstrom nur gut tun.
Mit der nächsten Station an der westlichen Grenze des eben genannten National-parks mit dem Ort Marlo erreichen wir bereits die Südküste. Auch hier finden wir einen hübsch anzusehenden, nicht von Touristen überlaufenen Ort vor. Die lokale Attraktion, der Raddampfer PS Curlip, mit dem man den Snowy River hätte flussaufwärts schippern können, hat seinen Saisonbetrieb wohl bereits eingestellt. Etwas näher in Augenschein genommen hat er ihn vermutlich auch gar nicht erst begonnen. Dafür entschädigt das nahe gelegene Cape Conran mit unbeschreiblichem Ausblick und wohltuender Strandwanderung. Anhänger des „Freedom Camping” finden direkt am Kap einen idyllischen Übernachtungsplatz mitten in der „grünen Hölle”.
Nicht umsonst nennt sich etwas weiter westlich dann ein Ort Lakes Entrance. Er gilt als Eingangstor in das dortige Seenparadies. Wie auch bereits an der Ostküste ist der Landstrich durchsetzt von Inlets mit Meereszugang. Wassersport steht hier natürlich hoch im Kurs. Ohne Boot bist du hier ein Niemand, besonders in der Hauptstadt des Boating, Paynesville. Dieser auffallend top gepflegte Ort lockt mit einer weiteren Besonderheit. Auf der fünf Fährminuten weit vorgelagerten Insel Raymond können auf dem Koala Track die Vorbilder der Teddybären in ihrer natürlichen, freien Umgebung beobachtet werden. Ein Eukalyptuswald sichert den Tieren Unterkunft und Verpflegung, dem Wanderer die ersehnte Beobachtungsmöglichkeit. Abgesehen von wohlklingendem Vogelgezwitscher und weniger harmonischem Papageiengekrächze herrscht im Wald fast absolute Stille. Die Koalas schlafen meist. Der menschliche Besucher wird bei ihrem Anblick von selbst ruhig. So herrscht Frieden ringsumher. Niemand stört den anderen. Hin und wieder lugt dann so ein Schlafbär aber doch neugierig aus seiner Astgabel herunter. Alle gedanklichen Voreinstellungen von „Knuddeligkeit” werden Gewissheit.
Wo so viel Wildnis herrscht, ist es kein Wunder, dass sich ein National Park an den anderen reiht. Insgesamt hat das kleine Victoria einhundertzweiunddreißig solcher Parks in seiner Obhut. Also besuchen wir nur rund achtzig Kilometer weiter westlich wiederum ein wunderbares Naturschutzgebiet, den Wilsons Promontory National Park. Auf der südlichsten Halbinsel des Festlands von Australien gelegen, gilt sein südliches Kap auch als südlichster Punkt des Kontinents. Der Park bezeichnet sich als der „populärste Naturpark” von Victoria, verständlich bei dem grün-dichten, bergigen Buschwald mit aktiv sichtbarem Wildlife. Nicht umsonst wird in seinem Herzen der „Wildlife Walk” ausgewiesen. Von den Hügeln schweift der Blick auf die malerischen und gut besuchten Surfstrände, eingebettet in raue, dicht bewachsene Felslandschaft.
Noch mehr Parks gefällig? Der Weg ist nicht weit, immer Richtung Melbourne zu den Philipp Island Nature Parks, womit es dann nur noch rund hundert Kilometer bis zu Australiens zweitgrößter Metropole wären. Sicherlich hat auf der rund hundert Quadratkilometer großen Insel eine starke Bebauung Einzug gehalten, gilt das Eiland doch auch als „Melbournes Ferienvorort”, doch bleiben die Orte und Siedlungen in einem erträglichen Rahmen und stören nicht den Naturcharakter der Insel. Zwei Wildlife-Attraktionen stechen besonders hervor, die Penguin Parade und das Koala Conservation Center. Nicht vergessen wollen wir in diesem Zusammenhang auch The Nobbies Center, ein erst im Dezember 2015 eingeweihtes Antarktik-Zentrum. Am dortigen Südostkap soll die größte Seelöwenkolonie Australiens angesiedelt sein. Doch offensichtlich war an unserem Besuchstag, einem Sonntag, ein Ausflug angesagt. Denn keines der Tiere ließ sich blicken. Anders bei den beiden vorher genannten Wildlife Center. Die Penguin Parade findet allabendlich in der Dämmerung, das heißt im Sommer circa 21.00 Uhr statt. Von der umfangreichen Pinguinkolonie mit rund dreißigtausend Zwergpinguinen verlassen in etwa tausendfünfhundert Tiere das Meer und suchen ihre Höhlen und „Pinguinhütten” auf. Das touristisch durchgestylte Naturzentrum stellt für annähernd fünfhundert Besucher strandnahe Beobachtungsplätze mit absolutem Fotografieverbot zur Verfügung. So marschieren die kleinen Tierchen gruppenweise, wenn man es so lange aushält, ungefähr bis Mitternacht oft ganz dicht am Beobachter vorbei auf der Suche nach ihrem Nachtlager. Hin und wieder wagen sich dann auch die fast flüggen Jungen aus den Höhlen und rufen nach den Eltern. Das nächtliche Geschnatter in der Pinguinsiedlung endet erst spät, obwohl mit dem Morgengrauen gegen 6.00 Uhr tagaus, tagein die ganze Parade wieder gen Meer strömt.
Das genaue Gegenteil der nachtaktiven Pinguine finden wir im Inselzentrum mit den tag- und nachtfaulen Koalas. Auch hier leben sie, wie bereits über Raymond Island geschildert, in ihrer natürlichen Eukalyptuswelt. Im Koala Conservation Center können wir in Baumkronenhöhe auf hölzernen Stegen an den Schläfern vorbeiflanieren. Hin und wieder riskiert ein Koala einen Blick, meistens jedoch lassen sie sich nicht stören. Einen Vertreter dieser Spezies, die übrigens nicht zu den Bären, sondern in die Familie der Wombats gehört, haben wir ob ihrer schläfrigen Lebensweise interviewt. Seine Erläuterungen fallen kurz und logisch aus: „Wir sind nicht faul”, meint er. „Wir sparen nur Energie. Wegen unserer wenig energiereichen Nahrung - ausschließlich Eukalyptusblätter - müssen wir rund zwanzig Stunden pro Tag schlafen. Für kurze Zeit wachen wir auf, sowohl tagsüber als auch nachts, aber hauptsächlich zum Fressen und zur Vermehrung. Am aktivsten (!) sind wir häufig bei Sonnenuntergang.” Das Interview hat den armen Kerl wohl so sehr angestrengt, dass er hinterher sofort wieder in Tiefschlaf verfiel.
Kommen wir zum „süßen Abschluss” dieses Tourabschnitts. Energie tanken lässt sich gut in Pannys Amazing World of Chocolate. Seit nunmehr gut zehn Jahren versorgt diese mittelständische Fabrik die Welt mit ihren Köstlichkeiten, besonders mit Pralinen und Trüffelpasteten. Die angebotene Besichtigungstour führt nicht nur durch Shop und Café, sondern öffnet spielerisch und ernsthaft die Augen für das Produkt „Schokolade”. Besonderer Eyecatcher ist dabei der größte Schokoladenwasserfall der Welt. Von ihm ergießen sich vierhundert Kilogramm geschmolzener Schokolade alle drei Minuten in ein Becken. Ein Porträt von „Dame Edna” besteht in Wandteppichform aus zwölftausend verschiedenen Pralinés. Michelangelos zwei Meter hohe Davidstatue aus Schokolade fehlt ebenso wenig. Wer möchte, kann gegen eine geringe Summe seine eigene Tafel Schokolade herstellen. Dazu wählt er aus verschiedenen Schokosorten und Geschmacksrichtungen beziehungsweise Aromen aus. Das Ganze wird maschinell dann vor seinen Augen produziert, verpackt und jeweils aktuell beschriftet. Wer mag da noch die Stunden und Kalorien in dieser Energie spendenden und munter machenden Attraktion zählen.
Der süße Duft des Geldes
Wir reisen augenscheinlich aktuell nicht durch die ärmeren Regionen Australiens, denn je mehr wir uns der zweitgrößten Stadt des Kontinents, Melbourne, nähern, desto auffällig wohlhabender fallen die Häuser und Anwesen aus. Die Ufer der riesigen, südlich von Melbourne dümpelnden Bay Port Phillip mögen als dicht besiedelte Paradebeispiele hierfür dienen.
Zunächst steuern wir die Mornigton Halbinsel am östlichen Ufer der Bay an. Nennenswerte Ortschaften, die das oben genannte Bild prägen, heißen Mornigton, Rye, Sorrento oder Portsea, allesamt nett anzuschauende Küstendörfer und Städtchen. Meist handelt es sich um Ferien- und Wochenendhäuser von Melbourrnians. Da die Sommerurlaubszeit bereits zu Ende gegangen ist, bleiben viele Rollläden nunmehr herabgelassen. Parkplätze bieten wieder problemlos Parkraum, Strandstraßen sind nicht mehr überbevölkert. Bei aller Besiedlung - für die Natur bleibt glücklicherweise immer noch genügend Schutzraum in Form von National beziehungsweise State Parks.
Klettern wir zu Beginn hinauf auf die höchste Erhebung der Halbinsel, zum State Park Arthur's Seat. Mit seinen dreihundertvierzehn Metern Gipfelhöhe bietet er einen grandiosen Rundblick über die Bay und das sie umgebende Flach- beziehungsweise Marschland. Der Name stammt, wen wundert’s, vom schottischen Bruder in Edinburgh. An der Spitze der Halbinsel, direkt an der Bayausfahrt in die Tasman Sea wurde der Point Neapan National Park einer weiteren Besiedlung abgerungen. Das gilt auch für den individuellen Autoverkehr. Nur per Shuttlebus gelangt man an die Landspitze Point Neapan. Diese zeichnet sich zum einen durch ihre malerische Felsenküste aus. Weit Bedeutenderes jedoch verbirgt sich in der Historie. Schon zu Zeiten der ersten Aborigines hat man die strategische Bedeutung dieser schmalen Einfahrt in die Bay erkannt. Seither, besonders während der Epoche der europäischen Besiedlung, wurde die Felsspitze immer stärker in eine Festungsanlage umgewandelt und bis hin zum Zweiten Weltkrieg genutzt. Heute sind die Militäranlagen als Freiluftmuseum zugänglich. Tragisches ereignete sich dort am 17. Dezember 1967. Der damalige Ministerpräsident Harold Holt verschwand spurlos am Strand. Eine der größten Suchaktionen in der Geschichte des Landes blieb erfolglos. Der Politiker bleibt bis heute wie vom Erdboden verschluckt. Ein Mahnmal an der Küste erinnert an ihn.
Von Sorrento aus bringt uns die Autofähre in gut dreißig Minuten zum gegengüberliegenden Ufer der Bay nach Queenscliff. Diese Verbindung erspart einen rund zweihundertfünfzig Kilometer langen Umweg auf der Straße. Der Fahrpreis bleibt moderat mit sechsundsiebzig Australische Dollar (circa fünfzig Euro) für Wohnmobil und Passagiere. Auf der nunmehr westlichen Uferseite zeigt sich das gleiche Urlaubs- und Ferienterrain. Denn auch diese Region liegt nur rund neunzig Autominuten von Melbourne-City entfernt.
„Geld aus Weiß geboren”, kann man die folgende, schier unerschöpfliche Finanzquelle nennen. Wir sind in der Stadt Geelong am Ende der Port Phillip Bay, rund einhundertzwanzig Kilometer nordwestlich von Melbourne. Warum? Die Stadt beherbergt das National Wool Museum und widmet sich damit einem für Australien wichtigen Thema. Auf jeden Einwohner entfallen in etwa 3,5 Schafe, das heißt den dreiundzwanzig Millionen Australiern stehen gut achtzig Millionen Schafe gegenüber. Kein Wunder also, dass Schafzucht und damit Wollproduktion einen großen Stellenwert als „weißes Geld” einnimmt. „From Sheep to Ship into Shop” könnte die Ausstellung bezeichnet werden. Die Geschichte der australischen Wolle wird anschaulich nachgezeichnet, ebenso ihre Verarbeitungsmethoden und Vermarktungsstrategien. Eine antike, doch funktionstüchtige Webmaschine stellt auf Bestellung einen echten Wollteppich her. Die Sockenstrickanlage fehlt natürlich auch nicht. Die ersten Einwohner der Region um Geelong waren denn auch Schafe, die aus einem Boot voller tasmanischer Missionare gefallen sein sollen. Wie viele von ihnen das rettende Ufer erreicht haben, ist nicht überliefert. Schafe besiedelten hier jedoch vor den Menschen das Land. Bei so intensiver „Wollkultur” hat es das etwas außerhalb der Stadt liegende Aboriginal Kulturzentrum „Narana Creations” äußerst schwer, auf sich aufmerksam zu machen. Einen Besuch wert sind die Gemälde der Aborigines in der Galerie, der „Native Garden” sowie die regelmäßig stattfinden Tanz- und Musikvorstellungen.