Ökoliberal - Philipp - E-Book

Ökoliberal E-Book

Philipp

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Beschreibung

Naturwissenschaften haben keine Parteifarbe, Symbolpolitik ändert die Märkte nicht, Handlungsfreiheit auf einem toten Planeten ist nicht viel wert. Philipp Krohn zeigt, warum es so viel Sinn macht, Denkschablonen zu hinterfragen und dabei Gemeinsamkeiten für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft zu entdecken: Danke! — Maja Göpel, Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung Was für ein wichtiges Buch für die ökologische Transformation! Philipp Krohn denkt Freiheit und Verzicht, Liberalismus und Maßnahmen fürs Klima, Kapitalismus und ökologische Lebensweise zusammen, also Konzepte, die meistens ideologisch in jeweils anderen Welten verortet werden – eine Spaltung, die bisher wesentlich dazu beiträgt, den Klimaschutz zu verhindern. — Hedwig Richter, Professorin Neuere und Neueste Geschichte, Universität der Bundeswehr München 'Ökoliberal' ist ein schönes Plädoyer für die Marktwirtschaft – und für den Klimaschutz. Krohn legt theoretisch sehr fundiert dar, warum dies keine Gegensätze sind und verstaubte politische Lager-Schubladen endlich entrümpelt werden sollten. Lesetipp! — Johannes Vogel, MdB, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten

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Seitenzahl: 315

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Naturwissenschaften haben keine Parteifarbe, Symbolpolitik ändert die Märkte nicht, Handlungsfreiheit auf einem toten Planeten ist nicht viel wert. Philipp Krohn zeigt, warum es so viel Sinn macht, Denkschablonen zu hinterfragen und dabei Gemeinsamkeiten für die Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft zu entdecken: Danke!

Maja Göpel, Politökonomin, Expertin für Nachhaltigkeitspolitik und Transformationsforschung

Was für ein wichtiges Buch für die ökologische Transformation! Philipp Krohn denkt Freiheit und Verzicht, Liberalismus und Maßnahmen fürs Klima, Kapitalismus und ökologische Lebensweise zusammen, also Konzepte, die meistens ideologisch in jeweils anderen Welten verortet werden – eine Spaltung, die bisher wesentlich dazu beiträgt, den Klimaschutz zu verhindern.

Hedwig Richter, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte, Universität der Bundeswehr München

‚Ökoliberal‘ ist ein schönes Plädoyer für die Marktwirtschaft – und für den Klimaschutz. Krohn legt theoretisch sehr fundiert dar, warum dies keine Gegensätze sind und verstaubte politische Lager-Schubladen endlich entrümpelt werden sollten. Lesetipp!

Johannes Vogel, MdB, Stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion der Freien Demokraten

Degrowth oder Green Growth. Das ist der bisweilen ermüdende Gegensatz, der in der Klimadebatte immer wieder polarisierend ins Schaufenster gestellt wird. Dabei sind die Zwischenräume durch viele Ökonomen und Akteure doch ganz hervorragend herausgearbeitet. Philipp Krohn hat genau dort hingeschaut und mit viel Sachverstand aufgezeigt, was ins Zentrum der Debatte rücken muss, wenn wir erfolgreich sein wollen. Unbedingte Leseempfehlung!

Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur GmbH

Viele überzeugende Gründe dafür, Liberalismus als politische Praxis zu verstehen, die bei der Lösung der Klimakrise hilft, und diese nicht behindert.

Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie, Humboldt-Universität zu Berlin

Philipp Krohn

Ökoliberal

Warum Nachhaltigkeit die Freiheit braucht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Fazit Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Pariser Straße 1

60486 Frankfurt am Main

Umschlag: Anabell Krebs

Satz: Ruwen Kopp

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage

Frankfurt am Main 2023

ISBN 978-3-96251-150-0eISBN 978-3-96251-200-2

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Frankfurter Allgemeine Buch hat sich zu einer nachhaltigen Buchproduktion verpflichtet und erwirbt gemeinsam mit den Lieferanten Emissionsminderungszertifikate zur Kompensation des CO2-Ausstoßes.

Inhalt

Vorwort

Einführung

1Die Ökologie und wir

2Ein klimaneutrales Leben

3Freiheit und Nachhaltigkeit

4Ambivalenz und Lagerdenken

5Plastik und Biodiversität

6Sprache in einer begrenzten Welt

7#Wassermelone

8Verbote, Freiheit und Innovation

9Emissionshandel – ein ökoliberales Instrument

10Ökoliberalismus im Alltag

11Ein Besuch in Heidelberg

12Die ökoliberale Wende

Vorwort

2002 erschien in der Wissenschaftszeitschrift Nature ein Artikel unter der Überschrift „The Geology of Mankind“. Der Autor: Paul Crutzen, Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz. Die zentrale Aussage dieses Aufsatzes, der zu einem der meist zitierten wissenschaftlichen Beiträge geworden ist: Der Mensch ist immer tiefer in die Natur und das Leben eingedrungen, hat mit diesen Kenntnissen das letzte Naturzeitalter, das Holozän, als Auslaufmodell identifiziert, hat das erste Menschenzeitalter, das Anthropozän, eingeläutet. Der Mensch wurde zu einer „quasi geologischen Kraft“. „Nature is over“, so wurde und wird in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen herausgestellt und zur alltäglichen Erkenntnis.

In diese Epochenwende hinein und dadurch entscheidend beeinflusst, hat eine Reihe von Zeitenwenden den Umbruch erzwungen. Die Corona-Pandemie gehört ebenso dazu wie der Klimawandel, auch die massiven Flüchtlingsströme als Konsequenz von wachsenden Wohlstandsunterschieden zwischen den Nationen und innerhalb der Gesellschaft.

Crutzen folgert in seinem Aufsatz: „A daunting task lies ahead of scientists and engineers to guide the society through the area of the Anthropocene. That will require appropriate human behaviour!” Ein angemessenes menschliches Verhalten ist für Paul Crutzen erforderlich, um diese Zeitenwende zum Anthropozän von Wissenschaftlern und Ingenieuren zu gestalten, vor denen eine gewaltige Aufgabe liege. Wie und durch wen das „appropriate human behavior“ entwickelt und durchgesetzt wird, lässt Crutzen offen.

Seine zentrale Herausforderung verbindet sich mit der Feststellung, dass Wissenschaft in der Bemühung zur Falsifizierung bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse besteht. Die Verpflichtung zu falsifizieren resultiert aus der Erkenntnis, dass jede menschliche Entschlüsselung von Natur und Leben bei unvollkommener Information getroffen wird. Daher ist stets eine Wahrscheinlichkeit zu vermuten, dass bisheriges Wissen und die darauf aufgebauten Entscheidungen fehlerhaft sein könnten.

Die Offenheit, Wissen zu revidieren oder zumindest weiterzuentwickeln, ist daher verpflichtend – die Forschung nach Verifizierung trägt die gefährliche Tendenz in sich zu ideologisieren. Dies verpflichtet, Entscheidungen so zu entwickeln und umzusetzen, dass sie offen und zwingend auf Veränderungen ausgerichtet sein müssen für Revision, fehlerfreundlich sind und auf die Dynamik der Veränderungen in einer Welt mit über acht Milliarden Menschen zwingend geeignet sein müssen.

Der Leser mag diese Anmerkungen zum kritischen Rationalismus in diesen Zeitenwenden überraschend finden. Sie hat für die Gestaltung der Zukunft jedoch eine zentrale Bedeutung. Von entscheidender Bedeutung bleibt festzustellen, dass „Nachhaltigkeit“ nicht ein allein „grünes“ Konzept ist, der Verpflichtung also gerecht werden muss, die bisher in die Wohlstandsrechnung der Menschheit nicht eingepreisten Abschreibungen und Reinvestitionen in das Naturkapital erhält.

„Nachhaltigkeit“ verpflichtet zur Optimierung von drei herausfordernden Zielsetzungen: der ökonomischen Stabilität, der sozialen Gerechtigkeit und der ökologischen Zukunftsfähigkeit. Es ist daran zu erinnern, dass die marktwirtschaftliche Ordnung zunächst allein aus der ökonomischen Leistungsfähigkeit heraus gedacht wurde. Die Einbindung des Sozialkapitals, die Kosten, die den arbeitenden Menschen aufgebürdet wurden, ist durch Gewerkschaften in oft dramatischen Kämpfen um Arbeitszeit und Löhne, um Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung erkämpft worden. Ordnungsrechtliche Verpflichtungen begründeten die Soziale Marktwirtschaft.

Die christliche Soziallehre wurde zur wissenschaftlichen Absicherung. Sie war sich stets bewusst, dass die soziale Komponente des Marktes nie abschließend fixiert werden darf, dass sie vielmehr offen sein muss für die Anpassung an Veränderungen und Umbrüche mitgestalten muss – dass sie einen entscheidenden Beitrag dazu liefert, das von Paul Crutzen geforderte „appropiate human behavior“ immer wieder auf den Prüfstand und damit zur Weiterentwicklung qualifizieren muss. Dies wird bestätigt durch den parallel zu den Zeitenwenden weltweit höchst aktuellen Kampf um soziale Gerechtigkeit mit Streiks, Protesten bis hin zu den Gelbwesten in Frankreich. Dieser Kampf bleibt in unterschiedlicher Ausprägung weltweite Realität.

Das Bewusstsein dafür, dass „Nachhaltigkeit“ erst relativ spät als Herausforderung für ökologische Gestaltung und soziale Stabilität erkannt wurde, wird durch die aktuellen Zeitenwenden unterstrichen. Immer wieder schafft sich Natur in brutaler Direktheit die herausfordernden gesellschaftspolitischen Ausrufezeichen. Die Dynamik der Erdplattenverschiebungen lässt den „Wohlstand des Menschen“ unter den Trümmern der Erdbeben verschwinden. Dramatische Überschwemmungen schaffen sich in immer kürzerer Folge durch „Jahrhunderthochwasser“ einerseits, die Begradigung von Flüssen und die Ausräumung von Landschaft andererseits gebieterisch Gehör.

Jede Naturkatastrophe ist Beleg dafür, dass der Mensch seinen „materiellen Wohlstand“ durch die Ausklammerung dieser Naturleistungen hoch subventioniert „genießt“. Die Externalisierung von Kosten wird zur Hypothek, die von den kommenden Generationen oder von den Menschen, die von diesen Subventionen keinerlei Vorteile haben, zu tragen sein wird.

Die Verringerung dieser externalisierten Kosten stand am Anfang dessen, was als „Umweltpolitik“ zunehmend an verpflichtenden Handlungsauftrag in Anspruch nahm. Herausfordernde Aufgabe der Politik wurde es, Grenzen für diese Abwälzung von Kosten durchzusetzen. Dies geschah vornehmlich durch ordnungspolitische Rahmensetzung und konkretisierte sich technologisch von der besseren Verteilung der Schadstoffe in der „High Chimney Policy“. Sie entwickelte sich weiter über die „end of the pipe strategy“.

Die Strategiediskussion darüber, wie dieser Subventionsabbau ökologischer Kosten bestmöglich erreicht werden konnte, war innerhalb dieses ordnungspolitischen Rahmens dem Markt mehr oder weniger überlassen. Der entscheidende Weg zum Abbau der ökologischen Kosten wurde dadurch an Forschung und Entwicklung delegiert. Die Transformation von „Invention“ zu „Innovation“ wurde durch diese Marktkräfte vorangetrieben. Für diesen Prozess ist angesichts der tiefgreifenden Eingriffe in Natur und Leben durch Forschung und Entwicklung Verantwortung zu übernehmen, das macht Freiheit zu einer entscheidenden Bedingung. Dafür, dass auch neun oder zehn Milliarden Menschen auf dieser Erde Zukunftsverantwortung tragen und subventionierten Egoismus abbauen.

Offenheit ist für Veränderungen erforderlich. Der kritische Rationalismus findet in einer offenen Gesellschaft mit der Bereitschaft zur zukunftsfähigen Entwicklung der bisher als gültig angesehenen wissenschaftlichen Grundlagen seine Entsprechung.

Die Anfang 2023 erschienene Titelgeschichte des Spiegel (1/2023) stand unter der Überschrift: „Hatte Marx doch recht?“. Es ist zu empfehlen, dass dieser Artikel parallel zum Buch von Philipp Krohn gelesen wird. Freiheit bedarf der Grenzen dort, wo die Freiheit anderer jetzt oder in Zukunft belastet wird. Das Verhältnis zwischen Markt und Staat ist erneut auszutarieren. Dabei gilt mehr denn je die Feststellung, die Emil Heinrich du Bois-Reymond bereits 1872 zu einer umstrittenen Feststellung brachte: „ignoramus et ignorabimus“. Wir wissen es nicht und werden es niemals wissen.

Diesem Buch von Philipp Krohn sind viele diskussionsfreudige, sogar Streit nicht scheuende Leser zu wünschen. Dafür ist es keineswegs erforderlich, dieses Buch wie einen Gesetzestext zu lesen, ganz im Gegenteil. Dieses Buch sollte sein Ziel darin sehen, die zunehmende Verwirrung zwischen Fakten und Fake zu sortieren in einer Zeit, in der Freiheit als Verpflichtung zum Mitdenken und zur Bereitschaft zu Veränderungen in Verantwortung ihre Bestätigung finden muss.

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Klaus Töpfer, Februar 2023

Einführung

Noch ein Buch übers Klima? Buchhandlungen sind voll davon. Und von jemandem, der kein Experte ist? Ja, das stimmt. Seit einem Vierteljahrhundert nehme ich am Klimadiskurs teil. Nicht als jemand, den man zu Details des Gasmarkts befragen oder Fahrpläne zur Klimaneutralität aufstellen lassen kann. Dafür habe ich mich mit den fundamentalen Wertfragen des Diskurses beschäftigt, für die in der Debatte selten Zeit ist. Daraus ist ein konsequenter roter Faden in meiner Erzählung entstanden.

Als die Ampel-Parteien im Herbst 2021 Koalitionsverhandlungen aufnahmen, habe ich im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Hoffnungen aus einer ökoliberalen Perspektive formuliert. Die drei Ökonomen John Stuart Mill (1806–1873), Friedrich August von Hayek (1899–1992) und Amartya Sen (geboren 1933) habe ich als Vorbilder empfohlen. Liest man sie zusammen, lässt sich ein Konzept des Ökoliberalismus ableiten, um das es hier geht.

Die ermutigenden Reaktionen auf den Artikel haben mich bestärkt, Bedingungen für eine marktwirtschaftliche Position zu untersuchen, die wirtschaftliche Entfaltung nur innerhalb zum Teil schon überschrittener biophysikalischer Grenzen zulässt. Der Markt als Ordnungsprinzip hat sich als überlegen erwiesen, allerdings war er blind gegenüber dem Raubbau, der uns eine Ökokrise von lebensbedrohendem Ausmaß beschert hat.

Eine Umfrage des Instituts Allensbach im Sommer 2021 ergab, dass die Zustimmung zur Sozialen Marktwirtschaft größer denn je war. 60 Prozent der Befragten gaben an, dass Anreize sinnvoller seien als Verbote, um etwas für die Nachhaltigkeit zu tun. Es gibt große gesellschaftliche Gruppen, denen die Zerstörung der Umwelt und die ungebremste Erderwärmung Sorgen bereiten, die aber nicht sofort eine Fahne mit der Aufschrift „System Change, not Climate Change“ hissen würden. Die mit der FDP nicht um Fleisch, Porsche und Fliegen kämpfen würden, aber auch nicht die grüne Position zum Verbrennerverbot teilen.

Dieses Buch ist eklektizistisch. Verschiedene Perspektiven kommen zusammen: Ökonomik, Alltag, Philosophie, Naturwissenschaft, politische Praxis, Sprachwissenschaft. Es gibt gute Bücher, in denen experimentiert wird, wie sich klimaneutral leben lässt, oder in denen Instrumente vorgeführt werden, die auf einen Pfad der Klimaneutralität führen. Doch wir scheitern gerade alle gemeinsam. Deshalb möchte ich Dinge zusammendenken, die bislang getrennt sind. Mit einem Fußabdruck von unter 4 Tonnen CO2 im Jahr weiß ich, wie es sich anfühlt, Klimaneutralität anzustreben, ohne sie zu erreichen.

Technokraten sehen nicht, welche Wertvorstellungen jemand wie Amartya Sen anbietet, Wirtschaft anders zu gestalten. Politiker erkennen nicht, wie sie seit sechs Jahrzehnten die von Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen entwickelte Sicht ökologischer Grenzen durch Sprache aus der Welt zu schaffen versuchen. Und wer nur über seinen eigenen Fußabdruck nachdenkt, nimmt nicht das Potenzial bewährter Instrumente wie des Emissionshandels wahr, einen Pfad nachhaltigeren Lebens und Wirtschaftens zu determinieren.

Ich hatte das Privileg, dass ich Wachstumsgrenzen, das Leidenschaftsthema meiner zwei Abschlussarbeiten, als Redakteur der F.A.Z. weiter verfolgen konnte, ohne dass es in mein Berichterstattungsgebiet fiel. Von der ökologischen Wachstumskritik Herman Dalys kam ich zur konservativen Meinhard Miegels. Ich durfte Dennis Meadows, den Autor von „Die Grenzen des Wachstums“, Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Partha Dasgupta interviewen. In Totnes, Bielefeld und Witzenhausen beobachtete ich, wie die Utopie der Transition Towns umgesetzt wurde. Ich stand mit Höhenangst auf dem Kohlekraftwerk Datteln 4, um mir erklären zu lassen, warum der Emissionshandel schon bald das Ende der Kohleverstromung bewirkt, und schrieb in dem Ausmaß häufiger über Nachhaltigkeit, in dem dieses Thema begann, den Diskurs zu beherrschen.

Wenn ich in der Folge über Ökoliberalismus nachdachte, fiel mir auf, dass Konzepte der Wachstumskritik unbekannt waren. Dass eine Entkopplung von Wohlstand und Durchsatz von Energie und Materie in der Ökokrise eine Menschheitsaufgabe und Kern der Nachhaltigkeitsdebatte ist, lese ich zu selten.

Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist deutlich geworden, dass unser fossiler Wohlstand im 21. Jahrhundert ein Auslaufmodell ist. Bis 2050 müssen wir klimaneutral wirtschaften, wenn die Erderwärmung im vertretbaren Rahmen bleiben soll. Ich selbst bin ein Kind des fossilen Wohlstands: Durch den Beruf meines Vaters ist mein Studium fossil finanziert, genauso wie seine Betriebspension und der Pflegeheimplatz meiner Mutter.

Das alles muss komplett ersetzt werden. Öl-, Erdgas- und Fracking-Infrastruktur werden in zwei Jahrzehnten zu wertlosen Stranded Assets wie die Zeche Zollverein. Wir pflegen seit Beginn der Industrialisierung einen Lebensstil, der Ressourcen und Senken in einem Ausmaß voraussetzte, die wir nicht haben – oder zumindest nicht zu dem Preis, den wir zahlen müssten.

Die dreimalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hat den Begriff der Nachhaltigkeit Ende der 1980er Jahre durch den UN-Bericht „Our Common Future“ popularisiert. Er meinte eine Entwicklung, die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen das nicht können. Im akuter werdenden Klimawandel wackelt diese Definition. Heute geht es darum, die Lebensgrundlagen der Menschheit zu sichern.

Das Konzept der biophysikalischen Grenzen wurde entwickelt, als sich zeigte, dass in einer vollen Welt (Herman Daly) wirtschaftliche Aktivitäten ein Ausmaß an Energie- und Materialdurchsatz erreichten, das nicht dauerhaft tragfähig ist. Liberalismus stützt sich auf die Freiheit des Individuums. Wenn Ökoliberalismus eine Kombination aus ihr und der Grenzen-Sicht ist, muss er sicherstellen, dass individuelle Freiheit die Grenzen respektiert. Wie das geht, diskutiert dieses Buch.

Ökoliberalismus ist etwas anderes als die ökologischsoziale Marktwirtschaft der CDU. Diese hält um jeden Preis am Wachstumsdogma fest. Ökoliberalismus setzt sich zum Ziel, Wachstum und Naturverbrauch zu entkoppeln. Gelingt das nicht, liegt die Priorität auf dem ökologischen Ziel. Denn es geht um das gute Überleben der Menschheit.

In Kapitel 1 werde ich die ökologisch-ökonomischen Grundlagen meines Konzepts legen. Dennis Meadows, Kenneth Boulding und Nicholas Georgescu-Roegen werden zu Wort kommen. Was bedeuten Ökogrenzen für den individuellen Fußabdruck, ist Verzicht notwendig oder reicht der technische Fortschritt? Diese Fragen beantwortet Kapitel 2. Im Anschluss wird Kapitel 3 eine ökoliberale Traditionslinie von John Stuart Mill über Friedrich August von Hayek bis zu John Rawls und Amartya Sen legen. Nach diesen theoretischen Kapiteln wird es praktischer: Kapitel 4 problematisiert den Ökomoralismus, der in einem Vakuum politischen Handelns entsteht. Dass über den Klimawandel hinaus gravierende Ökokrisen – allen voran das Artensterben – zu lösen sind, ist Thema von Kapitel 5. In Kapitel 6 folgt das aktualisierte Ergebnis meiner älteren linguistischen Analysen: Tief liegende Metaphern hindern uns bis heute, die Grenz-Sicht in unsere Denkmuster zu integrieren.

In Kapitel 7 wird es lustig: Es zeigt, wie Ökomoralismus mich für zwei Tage zur Witzfigur auf Twitter gemacht hat. Kapitel 8 dringt in unsere Lebenswelten ein und zeigt den Unterschied zwischen einer Nachhaltigkeitspolitik durch Verbote und einer durch Anreize, was zu Kapitel 9 überleitet, das den Emissionshandel als Verkörperung einer ökoliberalen Herangehensweise vorstellt. Warum Ökoutopien für eine Mehrheit keinen positiven Impuls gesetzt haben, erörtert Kapitel 10. In Kapitel 11 erweitere ich das ökoliberale Konzept um ökologisch-ökonomische Überlegungen meines Professors Malte Faber aus Heidelberg, um in Kapitel 12 zu fragen: Wie bekommen wir die ökoliberale Wende hin?

Mein Beruf hat es mir erlaubt, wunderbare Vordenker dieses Buchs zu treffen. Zweimal sprach ich mit Amartya Sen und Herman Daly, ich begleitete Nachhaltigkeitsforscher Uwe Schneidewind in seinem ersten Jahr als Oberbürgermeister von Wuppertal. Mit Maja Göpel, Angelika Zahrnt, Dennis Meadows, Ralf Fücks, dem Unternehmer Eduardo Gordillo, Joseph Stiglitz, Veronika Grimm, Brigitte Knopf, Meinhard Miegel und Fred Luks habe ich fruchtbare Gespräche geführt. Malte Faber und seine Schüler aus Heidelberg sind mehr als das: Inspiration zu allem, was hier steht: Andreas Kuhlmann, Reiner Manstetten, Stefan Baumgärtner, Andreas Löschel, Christian Becker. Was für eine ergiebige Schule!

In diesem Buch verwende ich abwechselnd das generische Femininum und generische Maskulinum, was ich am praktikabelsten finde, um Geschlechter fair zu erfassen. Nicht nachzählen bitte. Nicht-binäre Personen sind auch ohne Sternchen mitgedacht. Dies ist ein Buch für alle, die die Klimaziele von Fridays for Future teilen und mitdemonstrieren könnten, wenn nicht das beste Instrument das wir haben, als untauglich beschrieben würde: der Markt. Und für diejenigen, die es ganz anders sehen. Und ein offenes Angebot, die Lager zu verlassen und gemeinsam eine klimaneutrale Gesellschaft zu bauen.

1Die Ökologie und wir

Woo mercy, mercy me

Ah, things ain't what they used to be, no no

Oil wasted on the ocean and upon our seas

Fish full of mercury

Marvin Gaye — Mercy Mercy Me (The Ecology)

Wir sind zu spät. Eigentlich kein schlechter erster Satz eines Buchs über die ökologischen Krisen und ihre mögliche Bewältigung. Hier ist er aber absolut wörtlich gemeint. Wir kommen zu spät zu einem Termin. Das ist für uns als fünfköpfige Familie an solchen Tagen fast unvermeidlich. In den sechs Wochen vor Weihnachten häufen sich die Feste, und die drei Einrichtungen unserer Kinder stimmen natürlich ihre Termine nicht aufeinander ab. Es nieselt. Fünf Grad Kälte. An der Grundschule unserer Ältesten feiern wir das St. Martinsfest, mit Umzug und anschließendem Umtrunk.

Wir haben Übung im Laternelaufen – bei Regen, Frost und manchmal auch bei Mai-Wetter in diesem November 2018. Fast sitzt der Text der Lieder auswendig („Ich geh mit meiner Laterne“ könnte ein paar Strophen weniger haben). Viertklässler schenken Glühwein aus und reichen Weckmänner aus Hefeteig. Viel Gelegenheit zum Quatschen mit anderen Eltern, die Kinder toben über den Schulhof. Doch irgendwann müssen mein Mittlerer und ich aufbrechen, denn sein Kindergarten feiert gleichzeitig mit der Schule – auf dem Lohrberg, einem beliebten Ausflugsziel im Frankfurter Nordosten.

Wir fahren etwa eine Viertelstunde mit dem Fahrrad, so wie wir es wahrscheinlich 325 Tage im Jahr tun. Doch als wir den Parkplatz erreichen, strömen uns Kinder, Erzieher und Eltern entgegen. Der Nieselregen hat die Freude an der Geselligkeit zunichte gemacht. Ein paar Gesprächsfetzen hier, ein paar Scherze da, wir sind irgendwie dabei gewesen. Dann machen sich die Autos auf den Weg – die sieben Kilometer zurück ins Frankfurter Nordend.

Das ist einer dieser linksökologischen Stadtteile deutscher Großstädte. Bei der jüngsten Kommunalwahl steigerten die Grünen hier ihren Stimmenanteil um 7,5 Prozentpunkte auf 35,4 Prozent. Gemeinsam mit der Partei Ökolinx und den Linken bilden sie im Nordend die Mehrheit. Ihren Widerstand gegen ein Wohnprojekt auf derzeit unbebauten Flächen begründen sie mit der Frischluftzufuhr für die Stadt, dem Stadtklima und der wertvollen Fauna in den zahllosen Schrebergärten.

Diese konnten errichtet werden, weil das Areal lange für ein Verkehrsprojekt vorgesehen war, das dann doch nicht umgesetzt wurde. Ein Gutachten der Uni Frankfurt sagt, dass die Artenvielfalt in den Gärten überschaubar ist. In den Kitas und Kindergärten des Nordends streiten Eltern über einen höheren Bioanteil im Essen der Kinder. Die Frage, ob man auf Festen wie unserem an diesem Abend Einwegbecher benutzen darf, hat zu Zerwürfnissen geführt. Doch wenn man mit dem Fahrrad durch den Stadtteil fährt, ist der Platz rar, weil Straßen von zwölf Metern Breite locker zu zehn Metern von Autos besetzt sind.

Wer allerdings jetzt eine Predigt erwartet, die sich aus Ökomoral speist, sieht sich getäuscht. Das moralische Verurteilen von Verhaltensweisen ist eine der anstrengendsten Erscheinungen des Nachhaltigkeitsdiskurses – und führt zu nichts. Die Jugendbewegung Fridays for Future hat die Politik zu Recht aufgefordert, effektive Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen, um Individuen zu entlasten. Im besten Fall würde das auch moralisches Missionieren überflüssig machen. Doch das darf umgekehrt nicht dazu führen, dass die Bedeutung des Verhaltens für den Klimaschutz ausgeklammert wird. Vorbilder, die sich einen nachhaltigen Lebensstil aneignen, sind wichtig. Klimaschutz muss bottom-up und top-down sein, von unten befürwortet, von oben unterstützt. Vom Staat und vom Bürger getragen.

Eine ressourcenschonendere Fortbewegung insbesondere im innerstädtischen Verkehr sollte Teil jeder positiven Zukunftsvision sein. In diesem Buch wird es um Positiventwürfe gehen. Was dient der Nachhaltigkeit als politischem Ziel? Was ist nur ideologische Pose? Im Freundeskreis unterhalten wir uns oft über Bio-Ernährung, aber selten über Wärmedämmung – und mehr über Plastikvermeidung als darüber, in den Herbsturlaub mit der Bahn zu fahren. Etwas mehr Gespräche darüber gab es seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022, aber immer noch nicht in dem Ausmaß, wie er zum nötigen Umbau unseres fossilen Wohlstands passen würde.

Unser Lebensstil wird sich verändern müssen, wenn wir das Ziel des Pariser Abkommens erreichen wollen, die Erderwärmung im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung auf möglichst nicht mehr als 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Denn bis dahin werden wir gar keine Treibhausgase mehr ausstoßen können. Also gar (!) keine (!). Wir werden anders wohnen, uns anders fortbewegen, andere Energie beziehen, uns anders ernähren, anders konsumieren. Mal hilft Technik, mal ein anderes Verhalten.

Innovationen gedeihen besser in freiheitlichen Marktwirtschaften als unter geplanter Politik. Ingenieure können besser einschätzen, welche Technik weiterführt, als Abgeordnete. Auf der anderen Seite werden technische Sprünge nicht ausreichen. Wem das Konzept der Suffizienz als Verzichtslogik nicht schmeckt (warum eigentlich?), der kann sich vielleicht in der mehr als 2000 Jahre alten Idee des rechten Maßes des Philosophen Aristoteles wiederfinden. Unser Wirtschaften, also das Leben jedes einzelnen, muss biophysikalischen Grenzen gerecht werden. Muss! Es sollte aber Freiheit höher wertschätzen, als es eine ökologische Avantgarde tut. Eine strenge Ökopolitik, die Grenzen der Freiheit übersieht, bringt uns genauso wenig weiter wie eine Marktpolitik, die planetare Grenzen ignoriert. Anders gesagt: Es fehlt an einer Synthese aus ökologischem Bewusstsein und Leidenschaft für die Freiheit – also einem Konzept des Ökoliberalismus. Oder: Einer Idee von Nachhaltigkeit aus der Freiheit.

Mein Weg zur Ökologie war von Ambivalenz geprägt. Und ich glaube, das hat mir gut getan. Weil es verhindert hat, dass ich es mir im Lager der Ökologisch-Progressiven gemütlich mache. Mein Vater fuhr Tag für Tag mit einem alle zwei Jahre wechselnden Opel vom nördlichen Hamburger Speckgürtel in die Bürostadt City Nord. Dort hat der Mineralölkonzern Shell seine Deutschlandzentrale. Während seiner häufigen Reisen, die ihn nach Niedersachsen, ins Ruhrgebiet und ins Rheinland führten, freute sich mein Vater über jeden Schornstein. Sie waren ein Symbol dafür, dass Wohlstand geschaffen wurde. Er verkaufte Propan aus den Tiefen der Erde. Millionen Jahre alt. Hochgradig verpresster Kohlenwasserstoff. Reichtum aus der Natur.

Ob Schornstein oder Flüssiggastank – alles war fossil. Mein Wohlstand beruht auf fossiler Ausbeutung, mein Studium ist so finanziert, der Ruhestand meiner Eltern, das Pflegeheim meiner Mutter. Auf der Heckscheibe ihres eisbärgelben VW Käfer aber prangte in den 1980er Jahren der Greenpeace-Spruch: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Durch das Knattern des Motors und seine ungewöhnliche Farbe war der kleine sympathische Spritschlucker stadtbekannt.

In unserem Bücherregal standen „Die Grenzen des Wachstums“ oder „Leitmotiv vernetztes Denken“ von Frederic Vester. Die vielen Fahrten in den heimeligen Opels meines Vaters und im knatternden VW-Käfer meiner Mutter haben eines nicht verhindern können: Ein eigenes Auto habe ich nie besessen. Als sich unser drittes Kind ankündigte, wurden wir häufig gefragt, ob wir nun wohl ein neues Auto brauchten. Ich musste immer grinsen. Ein Kind der Ambivalenz, ernährt von fossilen Brennstoffen, bekehrt durch Ökoliteratur.

Natürlich haben wir zu Hause herrlich gestritten über ökologische Fragen. Fundamentalkritik am kapitalistischen System ging nur durch, wenn sie die Realität des Marktes einbezog. So war es auch, als die Medien über die Proteste in Nigeria gegen die Praxis der Ölgewinnung berichteten. Schon Ende der 1980er Jahre warfen wir unserem Vater vor, dass der Fossilkonzern unzureichende Pläne vorgelegt habe, um auf erneuerbare Energien umzusteigen. Die tun aber was, hieß es darauf etwas verdruckst. Wo das hinführte, zeigte im Jahr 2021 das Urteil eines Gerichts in Den Haag, das Shell dazu verdonnerte, seine Anstrengungen für einen niedrigeren CO2-Ausstoß zu verdoppeln. Späte Genugtuung für ökologisch denkende erwachsen gewordene Ex-Teenager.

Drei Jahrzehnte zuvor waren die Verhältnisse andere: Als die Umweltorganisation Greenpeace Aktionen gegen den Verteiler-Öltank Brent Spar in der Nordsee startete, ging die NGO fantasievoll mit Zahlen um. Deutsche Autofahrer mieden zeitweise Shell-Tankstellen (auch eine Form halbherzigen Verhaltens, schließlich war es ihr Konsumverhalten, das die Umwelt schädigte), eine Tankstelle wurde sogar in Brand gesetzt. Erst spät fanden Wissenschaftler Gehör, die das ursprüngliche Vorhaben von Shell als harmlos und ökologisch angemessen bewerteten. Da hatte die NGO allerdings längst ihren Sieg über die Köpfe der Menschen errungen. Mit effektiven Frames, die in diesem Buch eine wichtige Rolle spielen werden.

Die Ambivalenz solcher Ereignisse hat mir eine Erkenntnis vermittelt: Im Umweltdiskurs gibt es – wie in anderen Fragen auch – selten eine gute und eine schlechte Seite, sondern Interessen, die gegeneinander stehen. Unumstritten aber ist: Der Klimaschutz ist eine der größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte. Das kollektive Handeln aller führt dazu, dass sie ihre eigenen Lebensgrundlagen oder die ihrer Nachfahren gefährden. Gut drei Jahrhunderte lang wurden vor allem in der westlichen Welt fossile Brennstoffe für alle Zwecke des alltäglichen und industriellen Bedarfs ohne Begrenzung verbrannt.

Das ging einher mit enormem Wohlstandszuwachs seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Wachstum und der Verbrauch an Treibhausgasen waren jahrzehntelang gekoppelt. Das zeigt die Bedeutung einer Entkopplungsstrategie. Denn der über Millionen Jahre gebundene Kohlenstoff wurde in so kurzer Zeit freigesetzt, dass dies eine fatale Wirkung auf das Klima der Erde hat. Die Emissionsmöglichkeiten für Treibhausgase hat das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das wichtigste Beratungsgremium der Vereinten Nationen in Klimafragen, inzwischen budgetiert.

Zuvor noch hatten die Wissenschaftler eine 2-Tonnen-CO2-Welt pro Person pro Jahr als ausreichend für den Klimaschutz beschrieben. Diese Berechnung ist veraltet, zeigt aber trotzdem interessante Perspektiven auf. In Deutschland lagen die Emissionen zuletzt bei 7,9 (Statistisches Bundesamt) oder 10,4 Tonnen (Umweltbundesamt) pro Person pro Jahr – je nachdem, ob man Vorprodukte des hiesigen Konsums einbezieht oder nicht. Was heißt das für jeden einzelnen? Zwei Tonnen Kohlendioxid bedeuten – wiederum vereinfacht: 400 Kilogramm für die Energieversorgung, 400 Kilogramm für die Ernährung, 400 Kilogramm für den Konsum, 400 Kilogramm fürs Wohnen und 400 Kilogramm für die Mobilität. Denn Zwischenschritte kann man sich besser vorstellen als die anschließende Nullemission.

Eine Dekarbonisierung von unglaublichem Ausmaß in unglaublich kurzer Zeit ist das Projekt, das mit dem Pariser Vertrag ausgeschrieben ist. Ist dieses Ziel von zwei Tonnen in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts erreicht, wird Klimaneutralität der nächste Schritt sein. Ein Argument, mit dem Klimaskeptiker die Bedeutung der aktuellen Erderwärmung relativieren wollen, lautet: Den Klimawandel gab es schon immer auf der Welt, es sei vermessen, dass Menschen daran etwas ändern wollten. Das ist ein bequemes und sehr gefährliches Argument.

Man schaut oberflächlich in alte Klimadaten und postuliert dann, dass sich der Mensch dieser Entwicklung sowieso nicht entziehen könne. Was daran richtig ist: Der Treibhauseffekt, bei dem CO2 eine wichtige Rolle spielt, ist eine Voraussetzung für das Leben vieler Arten auf der Erde. Dabei ist die zusätzliche Menge an Kohlendioxid in der Erdatmosphäre zum ohnehin ablaufenden Treibhauseffekt die erklärende Variable – und sie steigt erheblich, vor allem durch menschliches Handeln.

Die gravierenden Folgen der Erderwärmung

Der amerikanische Wissenschaftsjournalist Peter Brannen hat in seinem Buch „The Ends of the World“ im Jahr 2017 eindrucksvoll beschrieben, wie an allen bisherigen fünf Phasen des Massensterbens in der Erdgeschichte ein Anstieg von Kohlendioxid beteiligt war. Zum Beispiel vor 445 Millionen Jahren, als das CO2 aus Vulkanausbrüchen zunächst von neu aufkommenden Tierarten im Meer aufgenommen wurde. Als die Ausbrüche ausblieben, gab es dann nichts mehr aufzunehmen, sodass es zu einer verheerenden Eiszeit kam. Für die Recherche zu seinem Buch hat Brannen führende US-amerikanische Paläontologen besucht, die ihm erklärten, wie es zu den fünf großen Massensterben auf der Erde gekommen ist.

In jedem Fall war der Stoffkreislauf von Sauerstoff und Kohlendioxid aus dem Gleichgewicht geraten. Brannen veranschaulicht, dass das Leben biologischer Arten über Jahrmillionen nur in einem schmalen Temperaturband komfortabel war. Erwärmte und kühlte sich die Erde außerhalb dieses Bandes ab, wurde es für biologische Arten auf der Welt ungemütlich. „Das ungewöhnlich freundliche Klimafenster der vergangenen 10.000 Jahre zählt zu den gleichmäßigsten und stabilen in den vergangenen Millionen Jahren“, schreibt Brannen. Diese Langzeitperspektive liefert anschauliches Material dafür, wie Klimawandel in der Vergangenheit gewirkt hat und warum Klimaforscher dazu raten, den Temperaturanstieg zu dämpfen.

In diesem erdgeschichtlich kurzen Zeitintervall sei die gesamte aufgezeichnete Menschheitsgeschichte geschehen. Von seinen Interviewpartnern erfährt er, auf welche weitere Entwicklung die Versauerung der Meere und das Sterben der Korallen hindeuten könnten, sollten sich vergangene Zeiten wiederholen. In der Vergangenheit waren das Vorboten des Massensterbens. Als die Konzentration von Kohlendioxid in der Erdatmosphäre erstmals 400 parts per million überschritt, alarmierte das Paläontologen und Klimaforscher. Erderwärmung, Versauerung und verkleinerte Lebensräume schüfen einen „perfekten Sturm“, zitiert er den Paläontologen David Jablonski von der Universität Chicago. Raubbau, Verschmutzung und Erwärmung übten gleichzeitig Druck auf den Planeten aus. Die Menschheit schafft es in erdgeschichtlich vernachlässigbarer Zeit, CO2-Konzentrationen zu erreichen, für die früher Veränderungen über Tausende von Jahren nötig waren.

Brannen macht deutlich, was für ein Zufall es war, dass die Erde Bedingungen schuf, hier Leben entstehen zu lassen. Immer wieder breiteten sich Arten aus – bis sie vom Kohlendioxid ausgebremst wurden. Danach sei die Erde immer nahezu sterilisiert worden. Das Argument, es habe schon immer Klimawandel gegeben, deshalb solle sich der Mensch nicht anmaßen, etwas tun zu können, wirkt angesichts dieser Erkenntnis stumpf und desinformiert. Der Mensch hat es in der Hand, nicht die Ursachen entstehen zu lassen, die mehrfach Lebensbedingungen auf der Erde gravierend veränderten. Gegen äußere Impulse, die das Kohlendioxid-Sauerstoff-Gleichgewicht stören, kann er zwar weniger ausrichten. Der anthropogene Treibhauseffekt aber geschieht zusätzlich.

Als ich die ersten Impulse zum ökologischen Denken empfangen habe, waren diese Zusammenhänge zum Klimawandel noch nicht vollständig bekannt. In den frühen 1990er Jahren betrat zum ersten Mal der berüchtigte Erdkundelehrer meiner Schule unser Klassenzimmer. Vom Pausenhof kannten wir Hilmar Moche als pingeligen Erzieher, der Schüler maßregelte. Trotzdem sagen meine Freunde heute, also mehr als zwei Jahrzehnte später, von diesem Frankreichliebhaber mit Baskenmütze hätten sie mehr Stoff behalten als von jedem anderen Lehrer. Er ist E-Scooter-Pionier und Ökorealist, eher der Windkraftexperimente-im-eigenen-Garten-als der Trockentoiletten-Fraktion zuzurechnen. Und auf subtile Weise Vordenker des Ökoliberalismus.

Wenn er am Wochenende an die Ostsee fuhr, brachte er Artefakte wie Taue oder Plastikbehälter von dort mit, um sie als Ausgangspunkt von Referaten über globale Warenströme und die ökologische Bedrohung der Kieler Bucht zu nutzen. In der Mittelstufe stellte uns Moche als Hausaufgabe eine einfache Frage: Welche ist die beste Energieform? In der nächsten Stunde durften wir über Atomkraft, Erneuerbare, Braunkohle oder Kernfusion fabulieren, bis er uns langsam zu seiner Lösung führte: dem Energiesparen. In Deutschland dürfte es Tausende Hilmar Moches geben, die den Impuls der Umweltbewegung an den Bildungseinrichtungen aufgenommen und in den Köpfen ihrer Schüler ein Nachhaltigkeitsbewusstsein verankert haben. Das ist ein Fundament einer erfolgreichen Klimawende.

Kürzlich ist mir mein alter Erdkundeordner aus den Jahren 1994 bis 1997 in die Hände gefallen. Unter einer Klarsichtfolie eine Deutschlandkarte, auf der Postkarten der Loreley und der Akropolis aufgeklebt sind, dazu ein Weltraumbild der Erde. Innendrin Gedankenspiele aus drei Jahren Leistungskurs: Bergwerke des Wissens, Neg-Entropie, Gen-Erosion, geistige Landschaftsversiegelung. Wir bekamen einen Eindruck davon, dass die Gedankensprünge unseres Lehrers, die fachliche Grenzen sprengten, einem Konzept folgten. Mitschüler nervten wir mit einer Korksammelaktion, von der sich nie ermitteln ließ, ob und wie viele Korkeichen in der spanischen Extremadura sie rettete.

Vielleicht am meisten geprägt haben dürfte mich die Leseliste des Lehrers Moche, mit der er uns den Einstieg in das ökologische Denken ermöglichen wollte: „Der stumme Frühling“, „Die Grenzen des Wachstums“, „Wendezeit“, „Leitmotiv vernetztes Denken“, „Ein Planet wird geplündert“, „Schilfgras statt Atom“, „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen“. Einige Titel las ich sofort, andere liefen mir mit den Jahren über den Weg. Frederic Vester und Fritjof Capra blieben prägende Einflüsse.

Der heutige Nachhaltigkeitsdiskurs neigt dazu, technokratisch und geistig arm zu sein. Etwa so: Wie schaffen wir die Infrastruktur für grünen Wasserstoff, um uns genauso fortzubewegen wie bisher? Die beiden Professoren dagegen strebten eine ganzheitliche Perspektive auf den Menschen in Natur und Ökonomie an. Philosophie, Physik, Biologie, Ingenieurswissenschaften, Religion, Soziologie, Design und Volkswirtschaftslehre flossen zusammen. Diese Sichtweise fehlt heute. Dass Fächergrenzen zu undurchlässig geworden seien, sahen beide als gravierendes Problem, um die Rolle des Menschen in der Umwelt zu beschreiben. Ideales Futter eigentlich, um die Beschränkungen des Anthropozäns, des Zeitalters völliger Dominanz einer Spezies, zu verstehen: des Menschen.

Um eine Nachhaltigkeit aus dem Geist der Freiheit besser zu begründen, möchte ich für einen Moment bei diesen beiden Autoren bleiben. Schon 1988 schrieb der Physiker Capra von einer tiefgreifenden Energiekrise, die ihre Wurzeln in verschwenderischer Produktion und verschwenderischem Konsum habe. „Um diese Krise zu lösen, brauchen wir nicht mehr Energie, was unsere Probleme nur noch erschweren würde, sondern tiefgreifende Veränderungen in unseren Wertvorstellungen, Verhaltensweisen und Lebensstilen.“ In seinem Buch „Wendezeit“ skizziert er den Übergang ins Solarzeitalter. Die Menschen müssten den Weg zu einer sanfteren Energie wählen, diese wirksamer verwenden und fossile Energie als Brücke in die neue Welt erneuerbarer Erzeugung nutzen. Wenn man seine Szenarien nachliest, nach denen sich Kraftwagenmotoren um 30 bis 40 Prozent sparsamer gestalten ließen, kann man wütend darüber werden, dass diese Einsparung verloren gegangen ist.

Dafür tragen Hersteller genauso wie Konsumenten die Verantwortung, denn Rebound-Effekte (größere Motoren, häufigere Verwendung, schwerere Autos) verschwenden Effizienzgewinne. Ein Lebensstil des rechten Maßes wird ersetzt durch einen, der immer mehr Platz, Ressourcen und Schadstoffsenken beansprucht. Alle, die sich fossil fortbewegen, sind Teil dieses Phänomens.

Der Klimawandel ist eine der Zäsuren in der Geschichte der Menschheit. Erstmals ist Mehr nicht unbedingt besser (die ökonomische Logik seit Alfred Marshall), wird die Welt nicht größer, wenn der Wohlstand zunimmt. Politische Vorgaben müssen biophysikalischen Grenzen gerecht werden, menschliches Verhalten sollte ein freiheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit reflektieren. Das haben Marktverfechter zu wenig verdeutlicht: Nur innerhalb dieser Grenzen lässt sich frei wirtschaften.

Auch das zweite erwähnte Buch lässt sich auf diese Weise für eine Diskussion über eine ökoliberale Gesellschaft fruchtbar machen: In Frederic Vesters „Leitmotiv vernetztes Denken“ wird deutlich, warum mein Erdkundelehrer mit der Baskenmütze daran so viel Gefallen gefunden hat. Darin sucht der studierte Chemiker, habilitierte Biochemiker und Kybernetiker Vester nach Ursachen der tiefen ökologischen Krise und nach Gründen, warum wir ihr nicht gerecht werden. Er erklärt sie mit natürlichen Regelkreisläufen, die nicht an künstlichen wissenschaftlichen Fachgrenzen halt machen.

An einer Stelle findet sich der Satz: „Zunächst geht es einmal darum, statt mehr und mehr zusätzliche Energie die vorhandene effizienter zu nutzen. Da ist vor allem die größte, noch weithin ungenutzte Energiequelle: die Energieeinsparung.“ Solch einen Satz hatte man vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine in der Diskussion um die Energieversorgung lange nicht gehört (und erntet zum Dank das Argument, der Klimawandel sei ohne Atomkraft nicht zu bewältigen). In den frühen 1990er Jahren inspirierte sie einen Lehrer zu einer Hausaufgabe und ging einigen seiner Schüler danach nicht mehr aus dem Kopf.

Vesters Bücher sind ein Sammelsurium guter Ideen für eine ökologische Wende, deren Inspiration von der Medizin über das Design bis zu konkreten Beratungsprojekten für die Autoindustrie reichen. Für den Autohersteller Ford hat er in einer Studie aufgezeigt, wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte. „Warum nicht bis hin zu Tretautos mit einem Sonnendach aus Solarzellen, die einen Elektromotor antreiben, oder überdachte zweisitzige Dreiradfahrräder, Schwungradomnibusse ohne jeglichen Motor für Sonderstrecken und vieles andere, was aus einer falschen Arroganz heraus zur Zeit nur allzu gerne lächerlich gemacht wird“, schreibt Vester an einer Stelle.

Die Realität der Elektromobilität sieht so aus, dass der risikofreudige Unternehmer Elon Musk der Welt beibringt, wie man durch E-Luxusautos irgendwann den E-Kleinwagen massentauglich macht. Energiekapazitäten werden ausreichen, seine Tesla-Modelle sind sexy, sportlich und halten technisch mit. Sie sind ästhetisch, aber total konventionell. Moderne Elektromobile werden auch künftig eineinhalb Tonnen und mehr wiegen, um achtzig Kilogramm Mensch zu transportieren.

Der Ökopioniergeist der 1980er Jahre klingt heute leider selten durch. Bei Vester heißt es: „Auch in Kriterien wie ‚kleiner‘, ‚leiser‘, ‚schöner‘, ‚langsamer‘, ‚gemütlicher‘, ‚handgemacht‘, ‚einfacher‘ können wir Fortschritt sehen.“ Mich erinnert der Kontrast zwischen den Visionen der 1980er Jahre und der heutigen Energiewende-Realität an eine Passage aus Robert Musils „Mann ohne Eigenschaften“, in der der studierte Ingenieur Musil seinen Erzähler das Wesen des technischen Fortschritts literarisch beschreiben lässt: „Allerdings, es ist nicht zu leugnen, dass alle diese Urträume nach Meinung der Nichtmathematiker mit einem Mal in einer ganz anderen Weise verwirklicht waren, als man sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Münchhausens Posthorn war schöner als die fabriksmäßige Stimmkonserve, der Siebenmeilenstiefel schöner als ein Kraftwagen, Laurins Reich schöner als ein Eisenbahntunnel, die Zauberwurzel schöner als ein Bildtelegramm, vom Herz seiner Mutter zu essen und die Vögel zu verstehn, schöner als eine tierpsychologische Studie über die Ausdrucksbewegungen der Vogelstimme. Man hat Wirklichkeit gewonnen und Traum verloren.“

In einer Welt mit Siebenmeilenstiefeln würde man sich mit begrenzten Ressourcen und Schadstoffsenken des Planeten nicht beschäftigen. Es wäre ein Traum, in dem ein Nachdenken über Freiheit und Nachhaltigkeit nicht nötig wäre. Aber schade ist es schon, dass Entwürfe nachhaltiger Lebensstile kaum noch auf die Ursprungsfantasie vor einem halben Jahrhundert zurückgreifen. Mobilität wird nicht dadurch besser, dass Fahrzeuge mit Strom statt Benzin oder Diesel betrieben werden. Auch erneuerbare Energien werden nicht ohne ökologische Belastungen hergestellt.

In „Leitmotiv vernetztes Denken“ stellt Vester drei mögliche Entwicklungspfade gegenüber: ein Zurück zur Natur (Primitivität), die vollständige Unterwerfung der Umwelt durch die Wissenschaft (absolute Technokratie) und ein fundiertes Verstehen der Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur, mit dem Regelkreise ausgenutzt werden. Seine Wahl ist klar: Von der Biokybernetik lasse sich lernen, wie die Umwelt zu gestalten sei. Denn sie komme seit Milliarden Jahren ohne Rohstoff- und Abfallsorgen aus, kenne keine Energieprobleme und keine Arbeitslose. Vester war ein Vordenker der Kreislaufwirtschaft, der Energie- und der Verkehrswende. Im Konzept eines Ökoliberalismus nimmt er die Rolle eines Mahners ein, der konkrete Lösungen für planetare Grenzen erkannt hat.