Olli und das Wunder von Müngersdorf - Jochen Nagel - E-Book

Olli und das Wunder von Müngersdorf E-Book

Jochen Nagel

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Beschreibung

Fußball ist ein einfaches Spiel. Elf gegen Elf. Also meistens. Ein Spiel dauert neunzig Minuten. Also heute plus angezeigter Nachspielzeit. Geld schießt Tore. Oder manchmal doch nicht. Es bleibt die Sehnsucht nach dem einfachen Spiel, dem schönen Spiel. Hand ist da Hand. Drei Ecken ergeben einen Elfer. Und wenn zehn Tore gefallen sind, ist Schluss. Oder wenn Mutti ruft. Fußball ist ein einfaches Spiel, in dem gelegentlich Wunder geschehen. Darauf hoffen alle. Aufm Platz. Und im richtigen Leben. Diese Geschichte erzählt davon.

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Seitenzahl: 91

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Olli

„Schaun mer mal.“

Franz Beckenbauer

Inhaltsverzeichnis

I. Vor dem Spiel

II. Mannschaftsaufstellung

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III. Erste Halbzeit „Geht’s raus und spielts Fußball“

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IV. Nachspielzeit „Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift“

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V. Pause (Halbzeit) „Schaun mer mal“

13 - Ein trauriges Kapitel.

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VI. Zweite Halbzeit „Ein Spiel dauert 90 Minuten“

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VII. Nachspielzeit „Die schönste Nebensache der Welt“

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VIII. Videoassistent „Kölner Keller“

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IX. Verlängerung „Elf Freunde sollt ihr sein“

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X. Elfmeterschießen „Drei Ecken ein Elfer“

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XI. Nach dem Spiel „… ist vor dem Spiel“

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I. Vor dem Spiel

Fußball ist ein einfaches Spiel. Elf gegen Elf. Zwei Tore. Ein Ball. Ein Spiel dauert 90 Minuten.

„Möge der Bessere gewinnen.“

„Fairplay.“

„Elf Freunde sollt ihr sein.“

„Der Ball ist rund.“

„Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

Es gibt zahlreiche Weisheiten. Nicht immer treffen diese Weisheiten oder diese einfachen Regeln zu.

So wie die Welt, ist auch der Fußball komplexer, schneller und komplizierter geworden. Videoassistenten. Torlinientechnik. Vierter Offizieller. Nachspielzeit auf Anzeigetafeln.

Auch das mit den elf Freunden ist angesichts der gezahlten Millionengehälter und Ablösesummen so eine Sache. Oder die Investoren, die ganze Clubs einfach so kaufen. Weil sie es können. Oder diejenigen, die sich anderweitig den Einfluss auf einen Verein sichern.

„Geld regiert die Welt,“ heißt es in Politik und Wirtschaft.

„Geld schießt Tore,“ soll es im Fußball richten.

„Geld regiert den Fußball,“ trifft den Kern.

Und dennoch geschieht es immer wieder, dass die Gesetze des Geldes, des Marktes, nicht greifen. Einsatz, Zusammenhalt und unbedingter Wille können Berge versetzen.

Gelegentlich geschieht das Unfassbare. Die vermeintlich Kleinen gewinnen gegen die mutmaßlich Großen.

Dann sprechen viele von einem Fußballwunder. Manche bemühen sogar den Herrgott, der just an diesem Tage ein … gewesen sein muss.

Meist hat es jedoch mit dem Ursprung des einfachen Spiels zu tun. Elf Freunde sollt ihr sein. Einer für den anderen eintreten. Jede und jeder sein Bestes geben. Und dann noch das Quäntchen Glück haben, das stets mit dazu gehört.

Dann erinnern wir uns wieder an das schöne Spiel. „O Jogo Bonito“ sagen die Brasilianer. So, wie wir als Kinder gespielt haben. Mit Herzblut. Mit Leidenschaft. Mit purer Freude. Da war Hand einfach Hand. Bei drei Ecken gabs einen Elfer. Da brauchte es eine Wiese, vier Shirts als Torpfosten und eine virtuelle Torlatte.

Ein Schiedsrichter war überflüssig. Man diskutierte die strittigen Szenen aus und weiter gings.

Bis eine Mannschaft zehn Tore geschossen hatte oder Mutti zum Essen rief.

Das einfache Spiel.

In dem manchmal Wunder geschehen.

II. Mannschaftsaufstellung „Der Ball ist rund“

Es war einmal. So fangen viele Märchen an. Und so soll auch diese märchenhafte Geschichte beginnen, die wahrhaftig und zugleich fabelhaft klingt. Es war einmal …

1

Es war einmal, da lebte in einem kleinen Dorf hinter den Vogelbergen ein Mann. Er war von hohem Wuchs, schlank und sein dunkler Schopf erinnerte an frühe südländische Vorfahren. Von denen hatte er offensichtlich auch seinen emotionalen Charakter geerbt.

Von Berufs wegen war er Bergmann. Wie es seine Schicht verlangte, arbeitete er fleißig über und manchmal unter der Erde. Unter Tage, wie es unter den Bergleuten heißt.

Auf seine Tätigkeit war er sehr stolz. Ebenso auf seine Firma, denn die war weltbekannt. Sie lieferte unter anderem Dünger, mit dem die Früchte auf den Feldern und Äckern besser wachsen konnten. Eine wichtige Firma. Eine wichtige Arbeit. Darauf durfte er als Bergmann zu Recht stolz sein.

Mit seiner Hände Arbeit trug er ein klein wenig dazu bei, dem Hunger in der Welt zu begegnen. Der Dünger half, damit dort, wo bislang nur ein Halm wuchs vielleicht ein zweiter wachsen konnte. Oder dass auch im Folgejahr gute Ernten möglich waren.

Wenn unser Bergmann dann seinen Blick über die goldgelben Felder voller Hafer, Roggen, Weizen oder Mais schweifen ließ, ahnte er, wozu seine Arbeit, neben der Bauern fleißiger Hände tagtäglich beitrug.

Ein gutes Gefühl.

Sanft fielen die Hügel vor seinem geistigen Auge oder vom Fenster seiner Wohnung hinab ins Tal der Kemmete, durchsetzt von Wiesen und Weiden voller Kühe und Rhönschafe, unterbrochen von feinen Hainen und ausgedehnten Rücken voller Forst. Dahinter vermutete er die ertragreichen Fischteiche. Kaum vernehmbar und dennoch vorhanden rauschte im Hintergrund das Dröhnen der Kraftfahrzeuge auf der Autobahn. Windräder taten ihre Dienste und lieferten sauberen Strom.

Seine Arbeit und seine Heimat gefielen ihm. Hier fühlte er sich wohl. Hinter den Vogelbergen.

Rommerz (Hessen, Landkreis Fulda) - Jochen Nagel

Und natürlich erhob sich inmitten der ländlichen Idylle zwischen den Vogelbergen und den weiten, offenen Fernen der Rhön die Abraumhalde. Hier sammelte sich seit Jahrzehnten all das, was die Bergleute, seine Kumpel, jeden Tag aus den Tiefen der Stollen ans Tageslicht förderten, aber keine Verwendung in der Produktion finden konnte. Abraum eben. Was für ein Wort.

Schließlich gehörte dieser Teil ebenfalls zu der Arbeit dazu. Der Berg türmte sich inzwischen zu mehr als einem Hügel in der Ebene. Liebevoll wurde er auch Monte Kali genannt.

Schien die Sonne, schien der Berg wie weißes Gold zu glänzen und von den ertragreichen Jahren zu künden. Kamen Regen oder Schnee, sorgte die Feuchtigkeit für eine grau-braune Tristesse und erzählte von den schweren Zeiten unter Tage.

Aber allzu häufig regnete es nicht. Für manche im Dorf war der Monte Kali ein Bote des Klimawandels, weil die Wolken sich heute an ihm teilten und mit ihrer feuchten Fracht vorbeiflogen. Oftmals blieb es staubtrocken. Der Monte Kali stellte zwar ein natürliches Hindernis zwischen den Vogelbergen und der Rhön dar, markant und weithin prägend, erreichte allerdings keine Mittelgebirgsausmaße, an denen sich die Wolken stauen und ausregnen konnten.

Monte Kali (Neuhof, Hessen) - Jochen Nagel

Früher war das anders. Manche sagen - besser. Andere denken, heute wäre es besser.

Aber alle hatten sich an den Monte Kali gewöhnt oder ihn liebgewonnen.

Er gehörte zum Dorf und war schließlich der sichtbare Beweis eines örtlichen Arbeitgebers für zahlreiche Menschen. Und besteigen durfte man ihn auch. Die Aussicht: unbeschreiblich.

„Was waren das noch für schwere Zeiten im Zonenrandgebiet,“ dachte Olli, unser Bergmann, „um jeden Arbeitsplatz mussten wir kämpfen. Ich mag den Monte Kali.“

Auf die mahnenden Worte seines Vaters hatte er im Zusammenhang mit der Arbeit immer gehört. Daher trat er in die Gewerkschaft IG Bergbau und Chemie ein und engagierte sich im Betriebsrat. Man konnte nie wissen, was die Zukunft bringt. Sein Engagement half ihm, den Überblick zu bewahren und seine Kumpel zu beraten.

„Aber heute,“ sinnierte er, „heute erfreue ich mich nach dem Feierabend des schönen Wetters. Die Sonne lacht. Ein paar weiße Wölkchen ziehen über die Pfarrkirche Maria Himmelfahrt hinauf zum Monte Kali.“

Und dann huschte ein Lächeln über seine spitzbübischen Lippen. Sein Plan, was er mit dem Feierabend anfangen wollte, lag so klar wie Kloßbrühe vor ihm.

2

Wenn sich unser Bergmann nicht gerade seinen Schichten „auf Arbeit“ widmete, kümmerte er sich liebevoll um seine Familie. Seinen Vater Robert, den er tatkräftig in Haus und Garten unterstützte. Oder um dessen Diabetes er sich sorgte. Mit den beruhigenden Hinweisen seines Vaters, er habe sich ja getestet und die Werte seien in Ordnung, weshalb er nun auch sein geliebtes Stückchen Kuchen am Abend essen könne, mochte er sich nicht zufrieden geben.

„Was soll ich denn bloß machen,“ sprach er dann bisweilen mit sich selbst, „aber Papa ist ja alt genug.“ Anschließend folgte ein Stöhnen oder Schnaufen.

„Wenn sie nicht werden, wie die Kinder.“

Oder Olli werkelte im eigenen Haus und Garten. Gelegentlich gab es zwar Schwierigkeiten, wenn seine Meinung und die seines Schwiegervaters, wie denn die Bäume wirklich korrekt zu schneiden wären oder der Garten umzugraben sei, mal wieder nicht übereinstimmten.

Er half trotzdem. Seiner lieben Frau zuliebe. Seinen beiden lieben Kindern zur Ehre. Um des lieben häuslichen Friedens wegen, hätte seine Schwiegermutter noch eingeworfen.

Olli schluckte dann, stand selbst zurück und machte, wie meistens eine gute Miene und eine positive Ausstrahlung. Optimismus lag ihm im Blut.

Wie selbstverständlich unterstützte er den örtlichen Fußballverein, für den er viele Jahre erfolgreich gespielt hatte. Dort half er in der Jugendarbeit, bei der Platzpflege oder im Vereinsheim. Wenn Not am Mann oder der Frau war, sprang er bei den Jugendspielen auch mal als Schiedsrichter ein.

Es gab ja so viel zu tun.

Olli, unser Bergmann, musste einfach helfen. Er war eine Seele von Mensch. Herzensgut und liebenswert. Freundlich und zugewandt. So war er erzogen. Und derart verstand er auch Familie, Nachbarschaft, Verein, Gemeinschaft und christliche Nächstenliebe. Ganz praktisch. Jeder gab ein wenig, so viel er oder sie halt geben konnte. Und wenn alle etwas gaben, hatten am Ende alle etwas davon. Die Gabe zu geben.

Doch wo blieb eigentlich Olli, der Bergmann, der Sohn, der Ehemann, der Vater, der Familien- und Vereinsmensch? Gab es auch Raum für ihn, den Unterstützer und Helfer?

3

Doch, doch, es gab sie, diese Momente, diese Gelegenheiten, da war Olli einfach nur Olli. Ganz für sich. Für sich selbst da.

Da war diese eine Sache.

Olli war ein glühender Anhänger eines Fußballvereins. Nicht irgendeines Vereins. Nein, das wäre ihm nicht gerecht geworden. Olli war etwas Besonderes. Und da brauchte es auch einen besonderen, hervorstechenden Club. Der Verein. Ach, was. Ein Gefühl. Ein Lebensgefühl. Eine Herzensangelegenheit.

Olli verstand sich selbst natürlich als den weltgrößten Fan aller Zeiten. Eigentlich mehr ein Verehrer. Und wenn nicht von der Welt, dann zumindest im Dorf hinter den Vogelbergen. Vielleicht im Landkreis? Möglicherweise darüber hinaus. Wer wusste das schon? Und wer wollte das überhaupt wissen?

Schließlich war das auch völlig unerheblich. Ollis Verein, sein Herzensclub war, ist und würde es immer bleiben: der 1. FC Köln. Hauptsache FC. Rot und weiß. Oder „Rut un Wiess“, wie sie in Köln sagen.

Wenn der FC, nein, sein FC spielte, dann war Olli nur für Olli da. Er lebte das Spiel mit. Als ehemaliger