Online ist schlagbar: Das richtige Konzept und Ihr Laden läuft. - Wolfgang Frick - E-Book

Online ist schlagbar: Das richtige Konzept und Ihr Laden läuft. E-Book

Wolfgang Frick

0,0

Beschreibung

Profitieren Sie von erprobten Erfolgsstrategien für den Einzelhandel! Der Online Handel hat so viele Schwächen, dass es für Einzelhändler keinen Grund gibt, auf ihn zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange – davon ist Wolfgang Frick, langjähriges Vorstandsmitglied der SPAR-Gruppe Schweiz, überzeugt. Seine Strategien und Marketingkonzepte für den lokalen Handel zeigen, dass positive Kun-denerfahrungen am Point of Sale der Schlüssel zum Erfolg sind: •Kundengewinnung und Kundenbindung: So kann der stationäre Handel auch morgen noch erfolgreich verkaufen •Einkaufserlebnis, Ladeneinrichtung, Warenpräsentation: Das wollen Kunden wirklich •Warum Big Data in die Irre führen kann – und was der lokale Handel besser macht •Online oder offline? Die Mischung macht es! •Die Zukunft des Handels – eine Prognose für das Jahr 2030 Praxisnahes Handelsmarketing von einem Brancheninsider Wolfgang Frick weiß aus eigener Erfahrung, wie sich der Einzelhandel auf die geän-derten Spielregeln der Digitalisierung einstellen kann. Er fordert die Rückbesinnung auf die ureigenen Stärken und empfiehlt offensives Vorgehen mit guten Servicekon-zepten und emotionalen Erlebnissen. Online-Angebote – intelligent eingesetzt – kön-nen den Abverkauf vor Ort enorm unterstützen. Ob Fachgeschäft, Discounter oder Shopping-Mall, ob Rabattmarken, buy local oder Personal Shopping Assistant: Der stationäre Handel hat sich in den letzten Jahrzehn-ten immer wieder neu erfinden müssen. Warum sollte ihm das heute, in Zeiten des Wandels und im Angesicht der Online-Konkurrenz, nicht wieder gelingen? Mit diesen konkreten Ideen und praxisnahen Tipps für Marketing und Kundenanspra-che können Einzelhändler die Digitalisierung als Chance nutzen und durch Kunden-zufriedenheit ihre Marktposition stärken!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 256

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wolfgang Frick

Online ist schlagbar

Das richtige Konzept und Ihr Laden läuft

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright: FAZIT Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch

Frankenallee 71 – 81

60327 Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung und Illustration: Christina Hucke

Satz: Nina Hegemann, FAZIT Communication GmbH

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage

Frankfurt am Main 2019

ISBN 978-3-96251-059-6

eISBN 978-3-96251-071-8

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

I KLASSISCHER HANDEL IN DER DEFENSIVE?

oder: Warum kein Anlass für Mutlosigkeit besteht

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – auch im Internet

Online erfolglos: zwei Beispiele

Offline erfolgreich: zwei Beispiele

Online contra Offline – eine Bestandsaufnahme und 7 Thesen

1.Online-Kater: Auf Begeisterung folgt Ernüchterung

2.Online-Ärger: Wenn der Postmann ständig klingelt

3.Online-Angst: Fata Morgana „Beratungsklau“

4.Online-Überdruss: Nur Nerds sind reine Netzkäufer

5.Online-Kidults: Was im Laden nervt, vertreibt Kunden

6.Online-Kollateralschaden: Öde Innenstädte als Folge eigener Passivität

7.Online-Sündenböcke: Für eigene Fehler kann das Internet nichts

Mit Big Data zur Big Confusion – digitale Schnellschüsse und Irrwege

Nicht jeder Yamaha-Fan liebt Musik

Wissen ist nicht immer Macht

Wovor Amazon Angst hat – die Achillesferse des Riesen

Amazon ist (auch) ein Ramschladen

Amazon scheitert am Einkaufserlebnis

Amazon goes offline, der Laden lebt

Amazon bekommt Imageprobleme

Wenn der Gegner rennt, darf man selbst nicht trödeln

Fazit: Die richtige Strategie – und der Laden läuft!

II ERFOLGSSTRATEGIEN FÜR STATIONÄRE HÄNDLER

oder: Wie Sie auch morgen noch kräftig verkaufen werden

Man muss Menschen mögen (M4)

Das Einzige, was stört, ist der Kunde?

Wahre Größe entscheidet sich in Kleinigkeiten

Von stinkenden Fischen und lächelnden Mitarbeitern

Kunden kennen – und richtig ansprechen

Der Verkäufer als Lotse und Partner

Was tun, wenn man „alle“ ansprechen will?

Convenience: Hauptsache bequem!

Mach mir das Leben einfach!

Wie ticken die Digital Natives?

Kundenschreck: Die Kassenschlange

Kundenerlebnis: Berühre mich, begeistere mich!

Yes, we’re open! Sind Sie da, wenn man Sie braucht?

Pakete, aber anders: Das richtige Package und attraktive Zugaben

Tante Emma statt XXL: Rabatte richtig einsetzen

Shoppertainment: Produkte mit Geschichte(n)

Ambiente mit Wow-Effekt: Zum Kauf verführen

Communities: Analoge Nestwärme

Kunden kauften auch …: Vom Online-Marketing lernen

Gemeinsam stark: Die richtigen Verbündeten

O2O: Online und Offline – das Beste beider Welten verschmelzen

Roadmap für mehr Erfolg im stationären Handeln – fünf Erfolgsrezepte

III DER HANDEL IM JAHR 2030 – Eine Prognose

1.Express-Einkauf in einer Express-Welt

2.24/7 geöffnet

3.Neue Geschäftsmodelle: Flatrates, Abos, Leasing

4.Optimierte Sortimente und Kühlschrankzustellung

5.Die Renaissance des Automaten

6.Smart Home – Maschinen kaufen selbstständig ein

7.Eine neue bunte Verkaufslandschaft und Service 4.0

8.Verkäufer organisieren perfekte Einkaufserlebnisse – oder sie werden durch Roboter ersetzt

9.Die Fragmentierung der Zielgruppen und das Individuum als Maß aller (Werbe-)Dinge

10. Alle Kanäle fließen zusammen

Literaturverzeichnis

Über den Autor

Danksagung

Anmerkungen nach Buchteilen

TEIL I

KLASSISCHER HANDEL IN DER DEFENSIVE? oder: Warum kein Anlass für Mutlosigkeit besteht

Dieses Buch widerspricht gängigen Untergangsszenarien, auch wenn sie sich in einer verunsicherten Welt gut verkaufen. „Der stationäre Handel steht vor dem Aus“, behauptete beispielsweise der Spiegel im Dezember 2017.1 Das Cover des Magazins zierte ein Amazon-Karton, darin das Jesuskind, das Maria und Josef offenbar pünktlich zum Fest bis in den Stall geliefert wurde. Ob das Heilige Paar ein Prime-Abo hatte?

Ein übermächtiger Online-Handel, vor dem der Einzelhandel nur noch kapitulieren kann, dieses Lied wird heutzutage landauf, landab gesungen. Dabei war Handelsentwicklung schon immer Gesellschaftsentwicklung. Die Umstellung von Bedienung auf Selbstbedienung ab Anfang der Sechzigerjahre war die erste „disruptive“ Veränderung, wie man das heute nennt. Der Siegeszug der Discounter setzte wenig später den klassischen Supermärkten und danach auch den Drogerien zu. Bald darauf entstanden die ersten Riesenmärkte auf der grünen Wiese, und auch jenseits des Lebensmittelhandels machten Shoppingmalls und Designer-Outlets dem innerstädtischen Einzel- und Fachhandel das Leben schwerer. Findigen Händlern gelang es dennoch immer wieder, ihre Kunden zu begeistern. Attraktive Öffnungszeiten, die Inszenierung von Warenwelten und überzeugender Service lockten weiterhin Käufer und ließen Händler prosperieren. Und manches, was der Online-Handel heute stolz für sich reklamiert, praktizierten Kaufleute schon, als die E-Commerce-Anhänger noch nicht einmal in den Windeln lagen – die Hauszustellung beispielsweise.

Der stationäre Handel setzte Maßstäbe und erfand sich immer wieder neu. Warum sollte ihm das heute nicht mehr gelingen? Die Welt wandelt sich. Wandeln wir uns mit! Auch in einer von Bits und Bytes bestimmten Zeit wird die Sehnsucht nach persönlichen Begegnungen und echten Erlebnissen nicht aussterben. Und beides kann kein 17-Zoll-Monitor bieten.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt – auch im Internet

Manchmal wird der Eindruck erweckt, wer Waren im Internet feilbietet, ist förmlich zum Erfolg verdammt. Und wer das nicht tut und auf ein „analoges“ Warenangebot setzt, ist ebenso sicher dem Untergang geweiht. Das eine ist so falsch wie das andere. Zur Einstimmung zwei Beispiele aus der Online-Welt und ebenfalls zwei aus der Offline-Welt, die geeignet sind, gängige Schwarz-Weiß-Szenarien infrage zu stellen.

Online erfolglos: zwei Beispiele

Die folgenden Beispiele erheben – wie auch die anschließenden Offline-Beispiele – keinerlei Anspruch auf statistische Repräsentativität. Sie stehen hier als das, was sie sind: Einzelfälle, aus denen sich gleichwohl erste Einsichten ableiten lassen. Zu den Zahlen komme ich später noch ausführlicher.

Der Jeansladen der Zukunft?

„Selten hat jemand die Vorzüge von Onlineshopping so radikal auf den Einkauf im stationären Geschäft übertragen“, jubelte die Fachpresse und sah „ein Modell, das sicher Schule machen wird“.2 Gemeint war Hointer, ein Store für Männerjeans in Seattle, der ganz ohne Verkäufer und Kassen auskam. Einfach am Eingang Hointer-App runterladen, Passform und sonstige Wünsche eingeben und sich vom Smartphone zu passenden Jeansmodellen lotsen lassen. Diese werden im schmucklosen Store nebeneinander an Wäscheleinen präsentiert. Überzeugt das Ausstellungsstück, lässt es sich per QR-Code in der eigenen Größe in eine Kabine ordern. Dort plumpst die Hose per Automat durch einen Schlitz. Gefällt sie, bezahlt der Kunde gleich in der Kabine per Tablet. Gefällt sie nicht, wandert sie über eine zweite Luke zurück. Genial! – Wirklich? Inzwischen ist der digitale Laden ganz ohne Kassen und Personal schon wieder Geschichte. „Dauerhaft geschlossen“ meldet Google.

Fazit: Nicht einmal Einkaufsmuffel haben Spaß an einem Analog-Einkauf ohne Seele. Digitalisiert ist eben nicht automatisch gleich kundenorientiert.

Hilfe, mein Online-Shop ist pleite!

Im Sommer 2016 schlug der Bundesverband Onlinehandel e. V. (BVOH) Alarm. Laut einer Branchenumfrage mache rund ein Fünftel der Online-Shops mehr als 25 Prozent Verlust pro Jahr. Verantwortlich dafür seien unter anderem Hersteller und Marken, die den Verkauf über das Internet oder über Online-Marktplätze untersagten oder auch das Einstellen auf Preisvergleichs-Portalen mit einem Verbot belegten.3 Die Trusted Shops GmbH, die ein vertrauensbildendes Gütesiegel für Online-Händler vermarktet, gibt auf ihrer Website Tipps, was Privatkunden tun können, wenn ihr Online-Lieferant in die Pleite geschlittert und die georderte Ware womöglich schon bezahlt worden ist.4 Im Herbst 2018 sammelten sich dort beispielsweise Stimmen verzweifelter Kunden, die vergeblich auf Lieferungen eines Online-Möbelhändlers warteten und zum Teil schon beträchtliche Summen bezahlt hatten.

Fazit: Erfolglosigkeit ist kein Privileg stationärer Händler.

Offline erfolgreich: zwei Beispiele

Wohlgemerkt: Es geht mir nicht um Schadenfreude, sondern um eine nüchterne Einschätzung. Denn, so wie Online nicht der sichere Weg zu Profit ist, ist Offline nicht der sichere Weg in den Untergang. Auch hier zwei Beispiele.

Diesen Buchladen dürfte es eigentlich gar nicht mehr geben

Eine Bekannte schwärmt von ihrer Stadtteilbuchhandlung – einem kleinen, vollgestopften Laden von nicht einmal 40 Quadratmetern. Hier gibt es keine Sitzecke. Keine Kaffeebar. Keine erlebnisorientierte Dekoration. Keine Events wie Kochkurse, Zaubershows oder auch nur Autorenlesungen. Keine Non-Books, keine Taschen, T-Shirts, Kaffeebecher und kein einziges Stofftier weit und breit. Nur zwei engagierte, belesene, freundliche Buchhändler, die neue Kunden ab der ersten Buchbestellung konsequent mit Namen ansprechen und jedes Mal herzlich willkommen heißen. Zwei Buchenthusiasten, mit denen man und frau über Literatur fachsimpeln kann und die ihre Kunden besser kennen als jeder Amazon-Algorithmus: „Der neue Roman von Seethaler würde Ihrer Frau bestimmt gefallen!“ Im Netz unter http://www.meichsnerund.de Und ja, diese schlichte Seite ist wirklich die ganze Website …

Fazit: Das beste Kundenerlebnis ist die (authentische!) menschliche Begegnung.

Interior Guiding statt Home24

Möbelhäuser fühlten sich lange Zeit sicher vor der Online-Konkurrenz. Wer kauft schon ein Sofa im Internet? Inzwischen haben nicht nur die Branchenriesen eigene Online-Shops, es buhlt auch eine Reihe reiner Online-Händler um Kunden jeden Geschmacks und jeder Brieftaschengröße. Die Auswahl ist riesig, und mancher fühlt sich davon restlos überfordert oder hat weder Lust noch Zeit, Stunden durch Möbelhäuser zu streifen oder sich durch das Netz zu klicken. Genau in diese Lücke stößt ein kleiner Innenausstatter in Hamburg. Decorazioni bietet „interior guiding“ mit persönlicher Beratung vor Ort, „Homestyling“, Lichtplanung, Farbkonzepten, „Raritäten-Scouting“ und vielem mehr, von dem IKEA-Kunden kaum zu träumen wagen. Natürlich ist es kein Zufall, dass dieses Angebot im noblen Eppendorf angesiedelt ist. Hier wohnt die Zielgruppe, die sich so einen Service leisten kann und will. Hut ab vor einer durchdachten Businessstrategie und vor der Erkenntnis, die auch schon Garhammer groß gemacht hat: Echte Verkäufer aus Fleisch und Blut sind vor allem dann gefragt, wenn sie es verstehen, ihre Kunden klug an die Hand zu nehmen und durch den Warendschungel zu lotsen, als „Guides“ eben. Vgl. https://www.decorazioni.de/leistungen.html

Fazit: Die Rolle der Verkäufer wandelt sich. Und kluge Positionierung ist das A und O.

Mir ist bewusst, dass Erfolgsbeispiele ihre Tücken haben. Hinterher zu loben, was funktioniert hat, ist weitaus einfacher, als eindeutige Prognosen abzugeben, was in Zukunft funktionieren wird. Deshalb sind Best Practice-Beispiele so beliebt wie heikel. Auch ich habe keine Glaskugel, die simple und todsichere Zukunftsrezepte liefert. Dennoch wage ich mich im zweiten Teil dieses Buches aus der Deckung und skizziere verschiedene Wege, mit denen der stationäre Handel sich meiner Einschätzung und langjährigen Erfahrung nach gegen das Internet behaupten kann. Ich komme aus dem Lebensmitteleinzelhandel, einem der am härtesten umkämpften Märkte überhaupt. Auch ohne die Online-Konkurrenz, die bislang eher schwächelt und in diesem Bereich (noch!) rote Zahlen schreibt, muss man sich hier nach der Decke strecken. Davon abgesehen ist dieses Buch nicht auf den Lebensmittelhandel beschränkt, sondern leuchtet auch in andere Ecken der Handelswelt, wie Sie eben schon gesehen haben.

„Online ist schlagbar“ bedeutet weder, dass der Online-Handel einfach zu schlagen wäre, noch, dass jeder Händler sich behaupten wird, wenn er nur zwei, drei Kleinigkeiten beherzigt. Auch vor den Zeiten des Internets sind Händler schon gescheitert. Gegen eine unglückliche Standortwahl, Fehlentscheidungen im Sortiment, mangelndes Gespür für Kundenwünsche oder unfreundliche Verkäuferinnen und Verkäufer kann man mit neuer Dekoration und vollmundigen Serviceversprechen allein wenig ausrichten, ebenso wenig mit einem überhastet eingerichteten Online-Shop. Dennoch ist dies ein Mutmach-Buch, das die Diskussion versachlichen und eine vielfach zu beobachtende Resignation im stationären Handel bekämpfen will. Mit Jammern und Klagen macht man keinen Umsatz: Umsatz kommt von umsetzen. Der Online-Handel ist eine neue, zugegebenermaßen mächtige Vertriebsform mit vielen Stärken, aber auch mit Schwächen. Wenn der stationäre Handel diese Schwächen erkennt und als Chance begreift, wenn er sich auf seine ureigenen Stärken besinnt und auch bereit ist, neue Wege zu gehen und sich beispielsweise sinnvoll mit digitalen Angeboten zu verzahnen, dann mache ich mir um seine Zukunft keine Sorgen.

Online contra Offline – eine Bestandsaufnahme und 7 Thesen

Nehmen wir das Beispiel Zalando. Für (weibliche) Teenager von heute ist eine Welt ohne die Online-Modeplattform vermutlich kaum vorstellbar. „Schrei vor Glück“, lautet der Slogan, der offenbar den Nerv traf. Kaum eine Vierzehnjährige, die nicht mit Freundinnen „Zalando-Partys“ feierte: Klamotten ordern, gemeinsam ausprobieren und das meiste wieder zurückschicken. Gekauft wurde und wird dennoch genug: Der Aufstieg des Berliner Unternehmens gleicht einem Kometen. Betrug der Umsatz 2010 noch 150 Millionen Euro, waren es 2017 schon 4,5 Milliarden. In der Schweiz stieg Zalando in nur sechs Jahren 2017 zur Nummer 1 im Textilhandel auf. In Deutschland belegte das Unternehmen im gleichen Jahr Platz 3 der erfolgreichsten Online-Shops, mit knapp 1,3 Milliarden Euro Umsatz. Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) flankiert diese Zahlen mit der Meldung, im gleichen Zeitraum seien in der Schweiz 6000 stationäre Verkaufsstellen verschwunden, während 10 000 Online-Shops mit ch-Domain angemeldet wurden. Der Handelsverband Deutschland HDE seinerseits schätzte, ebenfalls 2017, in Deutschland könnten in den kommenden fünf Jahren rund 50 000 Läden verschwinden. Auch in Österreich ist Ladensterben ein wiederkehrendes Pressethema und Zalando ein Top-Player auf dem Textilmarkt.5

Die Tücken der Statistik

Seit Jahren vergeht so kaum ein Tag, an dem im Netz, im TV oder ganz altmodisch im Wirtschaftsteil der Zeitungen keine Rekordmeldung über den Online-Handel und kein pessimistischer Kommentar zum stationären Handel publiziert wird. Dies erzeugt eine Atmosphäre, in der der „analoge“ Laden unaufhaltsam zum Untergang verdammt scheint. Mag sein, dass dabei auch der etwas naive Glaube eine Rolle spielt, das Neue und technisch Anspruchsvollere werde sich zwangsläufig durchsetzen. Dennoch ist das nur die halbe Wahrheit. Zur Wahrheit gehört auch, dass in Deutschland auch 2018 nach einer Prognose des HDE de facto „nur“ rund 10 Prozent des Einzelhandelsumsatzes online erzielt werden – etwa 52 Milliarden bei einem Gesamtumsatz von 525 Milliarden.6 Die Hälfte des Online-Umsatzes entfällt dabei nach wie vor auf „Fashion“ und „Consumer Electronics“ mit jeweils rund 25 Prozent. Mit Abstand folgen „Freizeit und Hobby“ (14,5 %), „Wohnen und Einrichten“ (9 %) sowie „Fast Moving Consumer Goods“ (FMCG), zu denen auch Lebensmittel zählen. Insbesondere bei klassischen Lebensmitteln ist der Online-Anteil am Gesamtumsatz mit 0,9 Prozent im Jahre 2017 noch gering. Und allem Pressewirbel um AmazonFresh, Allyouneedfresh oder den Lieferangeboten von Edeka und REWE zum Trotz, verdient in diesem Bereich bislang noch niemand Geld. Bei den FMCG werden vor allem Spirituosen (zu knapp 6 %), Kosmetik (zu 10 %) und Heimtierbedarf (zu 16 %) online geordert. Der stationäre Handel ist also alles andere als tot, auch wenn insbesondere die Mode- und Elektronikbranchen starke Online-Konkurrenz haben und sich keine Branche vorschnell in Sicherheit wiegen sollte. Dabei bieten mehr und mehr Fachhändler den Online-Shops auch über das Internet Paroli. So sei der stationäre Handel online stärker gewachsen als „die Onlinehändler mit Online-DNA“, resümiert der HDE. Allerdings wird ein beträchtlicher Anteil dieses Fachhändler-Online-Zuwachses über Amazon Marketplace bestritten, stärkt also auch den Online-Riesen.7

Das Fazit: Der Online-Handel hat eine lange Phase stürmischen Wachstums hinter sich, Zalando ist nur ein Beispiel unter vielen. Insbesondere in den Anfangsjahren zu Beginn des Jahrtausends sorgten Wachstumsquoten im Internet-Handel von über 30 Prozent, 2004 und 2005 sogar über 45 Prozent, für Aufsehen. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass solche Raten sich in absoluten Zahlen anders darstellen, bezogen sie sich doch auf 3 oder 4 Milliarden Euro Vorjahresumsatz. Seit 2010 flacht sich die Online-Zuwachskurve kontinuierlich ab, auf 10 bis 12 Prozent jährliche Umsatzsteigerung in den letzten Jahren und eine Prognose von 9,7 Prozent für das Jahr 2018.8 Natürlich sind das für Online-Händler immer noch erfreuliche Zahlen, um die der stationäre Handel sie zu Recht beneiden dürfte. Es zeigt aber auch, dass der Boom Grenzen hat. Dazu passt, dass Zalando 2018 seine Umsatz- und Gewinnerwartungen mehrfach nach unten korrigieren musste.9 Sorgen muss man sich um das Unternehmen dennoch nicht machen, auch wenn in Deutschland ein Traditionsunternehmen der hippen Konkurrenz um Längen voraus ist: Auf Platz 2 der größten Online-Händler Deutschlands steht OTTO, mit knapp 3 Milliarden Jahresumsatz 2017, mehr als doppelt so groß wie Zalando und ein Beispiel dafür, wie ein klassischer Versandhändler die digitale Transformation mit Bravour bewältigt. Wer an erster Stelle steht, ahnen Sie vermutlich: Amazon mit über 8,8 Milliarden Jahresumsatz.10 Dem Online-Riesen ist daher ein eigener Abschnitt gewidmet („Wovor Amazon Angst hat“, S. 27).

Natürlich sind diese Zahlen nur Schlaglichter. Es gibt eine kaum noch übersehbare Fülle von Daten und Zukunftsprognosen zur Handelsentwicklung, auf die ich im Verlauf des Buches immer wieder eingehen werde. Ich bin versucht zu sagen: Studien haben wir inzwischen mehr als genug. Woran es im stationären Handel fehlt, ist beherztes Handeln im doppelten Wortsinne. An allgemeinen Prognosen kann man sich schier schwindelig lesen. Dabei begegnet man Digital-Extremisten, die nach China schauen und darauf verweisen, dass in manchen Stadtteilen Pekings frische Lebensmittel heute schon per App geordert und in einer halben Stunde geliefert werden11 – ein Modell, das vermutlich 95 Prozent aller Chinesen ausblendet und ohne Tagelöhner kaum funktioniert. Und man begegnet Handelsromantikern, die meinen, es werde den Handel retten, wenn man Schaufenster schwarz verklebt und „Buy-local“-Kampagnen startet. Bevor ich stationäre Erfolgskonzepte auslote daher einige grundsätzliche Überlegungen zur weiteren Entwicklung des Handels.

1. Online-Kater: Auf Begeisterung folgt Ernüchterung

In vielerlei Hinsicht sind wir Fricks eine typische Familie: Die Kinder Digital Natives, die Eltern eher zurückhaltend beim Einkauf im Netz. Dass das Familieneinkommen im stationären Handel erzielt wird, hält einen Teenager natürlich nicht von ausgiebigen Einkaufstouren im Internet ab – im Gegenteil. Doch hat die jugendliche Online-Begeisterung in letzter Zeit Dämpfer erhalten. Mein Sohn bestellt online Elektronikzubehör, das prompt geliefert und offenbar aus China bezogen wurde. Leider gibt das Teil nach wenigen Tagen den Geist auf. Was beim Händler vor Ort im direkten Gespräch schnell zu regeln wäre, erfordert nun die umständliche Rücksendung, zahllose E-Mails und bleibt am Ende doch vergeblich. Zumindest in diesem Shop wird man Frick junior nicht mehr sehen. Schlimmer noch ergeht es meiner Tochter: Aus der online bestellten Handtasche zieht sie mit einem lauten „Iiiiieh!!“ als Füllmaterial eine gebrauchte Männerunterhose. Glauben Sie mir, so etwas kann man sich nicht ausdenken.

Die schöne neue Online-Welt hat eben auch Schattenseiten. Amazon & Co. kann man beim Kauf weder in die Augen schauen noch vor Ort ins Gewissen reden. Vertrauen beruht hier ausschließlich auf reibungslosen Prozessen. Gerät Sand ins Getriebe, braucht der Kunde mitunter starke Nerven, wie etwa mein Bekannter, der begeistert bei einem großen Online-Möbelhändler einen Sonnenschirm orderte. „Die hatten genau die Größe und Farbe, die ich wollte! Und nach drei Tagen war das Ding da.“ Derart ermuntert, versuchte er es beim selben Online-Händler mit neuen Nachtkästen fürs Schlafzimmer, die vor Ort bei ihm zusammengebaut werden sollten. Hier betrug die Lieferzeit allerdings die handelsüblichen zwei Monate, nach denen sich herausstellte, dass schadhafte Teile an die Montagefirma geliefert worden waren. Also Neubestellung durch die Plattform, was dazu führte, dass der Kunde nun plötzlich vier statt zwei Schränkchen bezahlen sollte. Zugleich wurde er mit Mahnungen für die ersten Möbelstücke überzogen, die er nie erhalten hatte. Nachdem unzählige Mails hin- und hergegangen waren, brachte erst eine schriftliche Beschwerde bei der Geschäftsführung Klarheit. Fazit des Sonnenschirmkäufers: „Das war das letzte Mal, dass ich Möbel im Internet bestellt habe!“

Einzelfälle? Dass der Online-Handel gerade beim Thema Retouren nicht perfekt ist, bestätigt auch eine Mystery-Shopping-Studie der Universität Regensburg (ibi research) 2018. Bemängelt wurden vor allem im Elektronikhandel fehlende Rücksendeetiketten, umständliche E-Mail-Anmeldungen der Retoure sowie ungerechtfertigte Mahnungen. In anderen Branchen wie Wohnen, Heimwerken oder Garten musste der Kunde überdurchschnittlich oft für die Kosten der Rücksendung aufkommen, auch da kommt wenig Kundenfreude auf.12

2. Online-Ärger: Wenn der Postmann ständig klingelt

Was schätzen Kunden beim Einkauf im Internet? Auch das ist inzwischen natürlich weitgehend erforscht. Die Leipziger Handelsexperten Erik Maier und Manfred Kirchgeorg beispielsweise befragten über 800 Kunden nach ihren Gründen für Online- bzw. Offline-Kauf. Online-Kunden schätzen vor allem die Lieferung nach Hause (58 %), gefolgt von Preisvorteilen (56 %) und vom großen Angebot (47 %). Die Rundumverfügbarkeit (24/7) landete bei dieser Befragung erst auf einem erstaunlichen vierten Platz (39 %). Beim stationären Handel steht die Möglichkeit zum sofortigen Testen der Ware für die überwiegende Mehrzahl im Vordergrund (84 %), gefolgt von der direkten Verfügbarkeit (73 %) und der Beratung (61 %).13

Das alles ist auf den ersten Blick naheliegend, auf den zweiten in Teilen dennoch interessant. Denn die vermeintlich problemlose Lieferung nach Hause als Hauptvorteil des Netzhandels klappt vielfach nur, wenn ein freundlicher und leidensfähiger Nachbar ständig Pakete annimmt, und die Retoure ist mitunter auch nicht ganz so einfach wie versprochen, siehe erster Punkt. Mit steigenden Online-Umsätzen droht den Zulieferern zudem spätestens in der Vorweihnachtszeit ein „Paketinfarkt“, wie die Wirtschaftswoche warnte. In Deutschland stieg die Zahl der jährlichen Paketsendungen zwischen 2006 und 2016 von gut 2 auf über 3 Milliarden; für 2021 erwartet der Bundesverband Paket und Expresslogistik über 4 Milliarden. In manchen Innenstädten werden die überall und oft in zweiter Reihe parkenden Paketdienste inzwischen zum nervenden Verkehrshindernis, von möglichen Feinstaubbelastungen mal abgesehen. Fraglich ist, ob auf Dauer noch jedes Paket kostenlos bis an die Haustür gebracht werden kann, auch über Preisaufschläge im Weihnachtsgeschäft wird diskutiert.14 Der Ärger der Kunden wächst, wie man im Internet auf einer Plattform der Verbraucherzentrale unter https://www.post-aerger.de nachlesen kann. Ich denke, die Schwächen des Online-Handels werden über kurz oder lang Offline-Stärken wieder stärker ins Bewusstsein rücken.

Fazit: Der stationäre Handel kann einerseits versuchen, der Online-Konkurrenz mit Lieferdiensten nachzueifern und dabei die logistischen Vorteile einer Zustellung vor Ort und Kooperationen mit anderen Händlern nutzen. Oder er besinnt sich auf seine ureigenen Stärken wie sinnliches Erfahren und Testen der Ware, direkte Verfügbarkeit und kompetente Beratung. Dass letztere nur für 61 Prozent der Kunden Anlass ist, einen stationären Händler aufzusuchen, kann man auch als Bankrotterklärung für die Beratungsqualität am Point of Sale lesen. Zumindest ist hier noch deutlich Luft nach oben!

3. Online-Angst: Fata Morgana „Beratungsklau“

Apropos Beratung: Seit Jahren geistert das böse Wort vom „Beratungsklau“ durch die Ladenzeilen. Danach lassen Kunden sich am Point of Sale beraten, um anschließend im Internet nach dem günstigsten Preis für das favorisierte Produkt zu fahnden und dort zu bestellen. Die ganz Dreisten zücken gleich im Laden das Smartphone und ordern anderswo. Solche Kunden gibt es, keine Frage. Aber ist das wirklich ein maßgeblicher Grund für die Schwierigkeiten mancher Einzelhändler? Erhebungen zu verschiedenen Branchen ergeben, dass auch umgekehrt ein Schuh daraus wird: Kunden informieren sich online, um dann im stationären Handel zu kaufen (im Branchenjargon: „ROPO“, Research online, purchase offline). Eine Studie der Beratungsgesellschaft PwC kam zu dem Ergebnis, dass rund zwei Drittel (64 %) der Konsumenten vor dem Kauf beim Händler im Internet recherchieren (manchmal auch als „Webrooming“ bezeichnet). Etwa gleich viele (62 %) gehen den umgekehrten Weg, informieren sich vor Ort und kaufen online („Showrooming“).15 Das sieht nach einem Unentschieden aus. Mir gefällt die Vorstellung, dass jemand Amazon als Info-Datenbank benutzt, um anschließend die Ware stationär in Augenschein zu nehmen und zu kaufen! Denn der eigentliche springende Punkt ist: Schafft der stationäre Handel es, Kunden, die den Weg zu ihm gefunden haben, auch vom Kauf vor Ort zu überzeugen? Folgende Fragen lohnen sich:

•Ist unsere Beratung so gut, dass wir die Kunden animieren, nach dem Verkaufsgespräch auch tatsächlich bei uns zu kaufen?

•Ist unser Verkaufspersonal so kompetent, dass es auch online vorinformierte Kunden gut beraten kann?

•Verstehen es unsere Verkäuferinnen und Verkäufer, eine freundliche Atmosphäre und eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen, sodass Kunden gerne wiederkommen?

•Sind wir online genügend präsent, um bei der Internet-Vorabrecherche der Kunden als stationärer Anbieter ins Auge zu fallen?

Online und Offline verzahnen sich inzwischen immer mehr, sodass Experten inzwischen von einer „Noline“-Verschmelzung beider Kanäle und „Omnichanneling“-Strategien sprechen. Darauf muss der stationäre Handel eine überzeugende Antwort geben. Mehr hierzu im zweiten Teil im Abschnitt „O2O“ (S. 120).

4. Online-Überdruss: Nur Nerds sind reine Netzkäufer

Im Vorweihnachtsgeschäft 2018 sorgte Amazon in Berlin mit einem eher winzigen Pop-up-Shop für Furore. Im #HomeOfChristmas konnten für nur fünf Tage Waren in Augenschein genommen, aber nicht direkt gekauft, sondern online bestellt werden. Das Presseecho war größer als das Lädchen, in dem vorher ein Bubble-Tea-Shop untergebracht war. Das Konzept sei „eher undurchdacht als vielfältig“ und lohne eine weitere Anreise kaum, urteilte das Magazin Chip.16 Auch wenn das Ganze vor allem ein gelungener Marketinggag war: Amazon hat schon länger erkannt, dass das direkte Produkterlebnis online nicht komplett nachzuahmen ist. Und selbst, wenn irgendwann die Virtual-Reality-Brillen zum Shopping-Standard werden, wird es die Frustschokolade auf diese Weise genauso wenig geben wie den Kitzel sämtlicher Sinne auf einmal, den jeder gut geführte Supermarkt und jedes innovative Warenhaus bieten. Angesichts der Unnachahmlichkeit des Anfassbaren stoßen auch andere Online-Riesen auf den stationären Markt vor, etwa Zalando mit seinen Outlet-Stores in Großstädten oder Möbelhändler wie Home24 (vgl. hierzu auch den Abschnitt „Wovor Amazon Angst hat“, S. 27). Das Online-„Erlebnis“ hat Grenzen, und daher werden Kunden auch zukünftig online wie offline kaufen. Ob sie ihr Geld eher im Netz oder eher im stationären Handel ausgeben, wird auch davon abhängen, wie gut es Händler vor Ort verstehen, ihre Kunden zu begeistern. Aktuell zählen laut HDE 52 Prozent der Konsumenten zu den „traditionellen Handelskäufern“, die am liebsten in „echten“ Geschäften einkaufen, 31 Prozent sind „selektive Online-Shopper“, die bestimmte Produkte (etwa Bücher) online ordern, und nur eine Minderheit von 11 Prozent bezeichnet sich als „begeisterten Online-Shopper“, der am liebsten im Netz einkauft. Allerdings verlagert sich das Einkaufsverhalten, je jünger die Käufer sind: Bei den ganz jungen „Smart Natives“ zwischen 20 und 25 bezeichnen sich schon zwei Drittel als „selektive Shopper“ und ein rundes Viertel geht am liebsten ins Internet.17

Gleichzeitig ist eine erstaunliche Gegenbewegung feststellbar. 2016 veröffentlichte der Kanadier David Sax ein Buch unter dem Titel „Die Rache des Analogen“ (The Revenge of Analogue). Sax beschreibt darin, dass der Siegeszug des Digitalen keineswegs so zwangsläufig ist, wie gern angenommen wird, und „Warum wir uns nach realen Dingen sehnen“, so der Untertitel. Zu diesen realen Dingen zählen die Vinylschallplatte, das Papier oder auch der Einzelhandel. Sax beschreibt, wie in seinem Viertel beispielsweise nach und nach wieder Plattenläden öffnen, die nichts mit den staubigen Höhlen seiner Jugend gemeinsam haben und ein vorwiegend junges Publikum anziehen, das das „sinnliche Vergnügen“ echter Schallplatten schätzt.18 Ein Nischenphänomen? Mag sein. Aber war das Finden der richtigen geschäftlichen Nische nicht schon immer entscheidend für geschäftlichen Erfolg? Auch in anderen Bereichen feiert das Analoge eine Renaissance, etwa im Bereich der Reisebüros. Noch immer werden 60 Prozent der Reisen von Mensch zu Mensch gebucht, obwohl – oder gerade weil – das Internet eine unüberschaubare Fülle von Angeboten bereithält. Seit 2012 sei die Zahl der stationären Reisebüros stabil, inzwischen steige sie sogar wieder, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung.19 Mancher Kunde kapituliert schlicht vor der Angebotsflut im Netz, manch anderer mag frustriert sein von den Fallstricken der Vergleichsportale, deren unschlagbar günstige Flugangebote sich mit jedem Klick verteuern, oder von den Tücken der Plattformen, deren Hotelbewertungen sich munter widersprechen. Gut durchdachte und kundenzentrierte Angebote im „analogen“ Handel werden daher auch zukünftig Anhänger haben, vorausgesetzt Händler stellen bekannte Ärgernisse ab – siehe nächster Punkt.

5. Online-Kidults: Was im Laden nervt, vertreibt Kunden

Der bekannte Journalist Nils Minkmar mokierte sich Anfang 2018 über seinen Optiker, den er nur noch aus Mitleid aufsuche. Der Laden sei „immer leer“. Dennoch müsse er jedes Mal darum kämpfen, seine Brille für minutenschnell durchführbare Reparaturen nicht dazulassen, sondern gleich wieder mitnehmen zu können. Minkmar vermutet einen stillen Widerstand gegen die neue Zeit, auch in anderen Läden, in denen das Verkaufspersonal entweder abtaucht, wenn ein Kunde das Geschäft betritt, oder durch Ahnungslosigkeit glänzt.20 Fest steht: Seit die Kunden die Wahl haben und ins Netz abwandern können, sind sie anspruchsvoller und ungeduldiger geworden. Im Internet führt der Käufer (zumindest in seinem subjektiven Empfinden) die Regie. Er muss nicht warten, er bestimmt, wie schnell er sich durchklickt und wo er verweilt. Der Suchmechanismus ersetzt das manchmal mühselige Auffinden eines Verkäufers, und Kassenschlangen gibt es auch keine. Dass die Netzsuche manchmal länger dauert als der Gang zum Laden, spielt dabei keine Rolle. Der Kunde ist mächtig, er sitzt am Steuer. Wenig überraschend, dass er immer weniger Lust hat, sich einem Takt anzupassen, den der stationäre Händler ihm vorgibt. Wer das nicht versteht und auf seinem eigenen Trott beharrt, wird das schmerzhaft zu spüren bekommen, es sei denn, er kann mit einem unwiderstehlichen Alleinstellungsmerkmal aufwarten. Nicht ohne Grund hat sich Amazon der Mission verschrieben, das „kundenorientierteste Unternehmen der Welt“ zu sein.21 Jeff Bezos’ Reich wird auch deswegen immer größer, weil es so genial einfach und schnell geht, dort einzukaufen.

Der Kunde sei „zum verwöhnten ‚Kidult‘ geworden, Convenience, Einfachheit und gute Gefühle dominieren sein Einkaufserlebnis“, beschreibt das angesehene Gottlieb Duttweiler Institut dieses Phänomen.22 Wer im Netz scheinbar alles, und zwar sofort, bekommen kann, arrangiert sich immer weniger mit kleinen Ärgernissen im stationären Handel. Kluge Händler wissen das und geben ihren Kunden deutlich zu verstehen, dass ihnen ihr Wohl am Herzen liegt. Dabei geht es nicht darum, den Online-Handel nachzuahmen (was ohnehin nur begrenzt funktioniert). Entscheidend ist vielmehr die Haltung, auf die der Kunde im Laden trifft. Minkmar vergleicht seinen Optiker mit einem Einkaufserlebnis in Indien. Auf dem Weg zum Flughafen erstand er eine Hose. Der Verkäufer bot an, den Saum anzupassen. Minkmar lehnte dankend ab, er habe dafür nicht die Zeit. Das Folgende wäre in Europa kaum vorstellbar: „Der Mann blickte hocherfreut auf seine Armbanduhr, dann zu seinem Kollegen und fragte: ‚Wie viele Sekunden haben wir?‘“ Als Minkmar bezahlt hatte, war seine Hose fertig. Die Begeisterung, mit der dieser Händler seinen Kunden diente, war für ihn unvergesslich. Und hierzulande? Als Kunde wäre man schon hocherfreut, würde der Verkäufer sagen: „Haben Sie noch etwas zu erledigen? In einer Stunde hat unser Schneider Ihre Änderung fertig.“ Stattdessen bekommt man einen Abholtermin in der nächsten Woche. Warum wird das gute Stück nicht wenigstens kostenlos nach Hause geliefert? Sympathien für den Einzelhandel weckt man anders. Das mag sich kleinlich anhören. Doch der große Erfolg ist eine Summe vieler erfreulicher Kleinigkeiten, gerade im Handel.

6. Online-Kollateralschaden: Öde Innenstädte als Folge eigener Passivität