Osterreise ins Miteinander - Daniela Noitz - E-Book

Osterreise ins Miteinander E-Book

Daniela Noitz

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Beschreibung

Der Weg vom Hören zum Verstehen, vom Sehen zum Wahrnehmen, von mir zu Dir ist oftmals verstellt durch unnötige Dinge. Fastenzeit, eine Zeit des Verzichts, auch auf die Dinge, die im Wege stehen, damit der Blick auf Dich hin wieder frei wird, hin zu Verstehen und Annahme. Vierzig Geschichten durch die Fastenzeit, beginnend mit der Reinigung der großen Flut, hin zu Ostern, dem Durchgang durch die größte Verlassenheit zu einer Auferstehung in ein neues, ungetrübtes Dasein. Thematisch beginnend mit der „Adventreise ins Miteinander“ wird diese in diesem Buch als Begleiter durch die Fasten- und Osterzeit fortgesetzt.

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG

FASTENZEIT

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Prolog

Der Fasching geht seinem Ende entgegen. Noch ein letzter Abend, eine Nacht der Ausgelassenheit und der Exzesse, denn weil uns nun die Fastenzeit bevorsteht, wird noch so viel wie möglich gegessen und vor allem getrunken– oft sogar mehr. Der Sylvester, der traditionelle Was-ich-doch-nicht-alles-besser-machen-will-Tag, ist schon lange vorbei. Deshalb kommen heute die nächsten guten Vorsätze. 40 Tage sind auch leichter durchzuhalten als 365. Die einen wollen auf Alkohol verzichten, andere auf Fleisch, wieder andere auf Süßigkeiten – und ziehen dabei eine Sauermiene auf, als würden sie gerade ihre letzte Bluse und das letzte Stück Brot hergeben, und müssten von nun an frieren und hungern. Eine einigermaßen zynische Veranstaltung angesichts der Tatsache, dass der größte Teil der Menschheit nach wie vor am Rande des Existenzminimums lebt. Natürlich könnte man sagen, diese Menschen brauchen sich um die Fastenzeit nicht zu bekümmern, denn sie tun ja sowieso nichts anderes, aber wir, die wir in Überfluss und eingehüllt in andauernde Unterhaltung leben, wir müssen uns schon sehr anstrengen um in der Fastenzeit was zu leisten, um uns selbst zu kasteien. Das was für andere selbstverständlich ist, müssen wir uns hart erarbeiten. Und sehnsüchtig wandert der Blick auf die Tafel Schokolade, die nun endgültig im Regal eingesperrt wird. So schwer kann das Leben sein. Damit ist der Sinn der Fastenzeit wohl vollinhaltlich begriffen worden. Oder?

Die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern war in früherer Zeit strengen Reglementierungen unterworfen. So war es nicht nur geboten kein Fleisch zu essen, sondern auch keine Eier und keine Milch. Darüber hinaus gab es die Vorschrift der einmaligen Sättigung. Das bedeutet, einmal am Tag satt essen und das, was man sich spart den Armen zu schenken. Diese gehörten übrigens zu den Gruppen, die von den Fastengeboten ausgenommen waren, neben schwerarbeitenden Menschen, werdenden und stillenden Müttern, Kranken und Kindern. Mittlerweile leben wir – und das ist einzigartig in der Geschichte – unter Bedingungen, die es uns ermöglichen diesem Fasten eine ganz neue Bedeutung zu geben – zumindest in der sog. „Ersten Welt“.

Einerseits kann die Fastenzeit uns frei machen, denn wer nicht ständig braucht, nicht immer auf das Haben fokussiert ist, wird offen für das Sein. Die Gedanken sind nicht mehr ausschließlich auf die Materialität und das Einverleiben derselben gerichtet, sondern können über die generelle Leiblichkeit, Fleischlichkeit hinaus zu einer Freiheit auf die Bestimmung des Mensch-seins hin zielen, sich enthalten, indem wir uns nicht auf das fixieren, worauf wir verzichten, und uns eben entsprechend leid tun, sondern indem wir uns dem zuwenden, was wir gewinnen, den Blick zu richten auf das was wir sein könnten, jenseits der Fixierung auf unsere Abhängigkeiten.

Aber es ist auch die Zeit, die zu Ostern hinführt, dem Hochfest der Auferstehung, der ein grausamer Tod vorangeht. Nicht das Sterben an sich ist das Beklemmende, sondern das Sterben dessen, der als Wort Gottes Fleisch angenommen hat um den Menschen nahe zu sein, das Sterben dessen, der sich Sohn Gottes nennt und sich für uns bis aufs Äußerste entäußert, sich hinabbegibt in die tiefste aller Tiefen und die fernste aller Fernen, in die umfassendste Verlassenheit und die totale Einsamkeit. Nicht nur einfache Verlassenheit, Einsamkeit, sondern die totale Selbstentäußerung, bis in das alles vernichtende, sich selbst nicht schonende, Nichts hinein, eine Entäußerung, die über alle Vorstellungskraft, alles Elend und alle Not, die denkbar sind, selbst von einem oftmals so kranken Hirn wie das des Menschen, reicht. Eine Unvorstellbarkeit des Schmerzes und der Entsagung, die eigentlich EndZeit bedeutet, die jedoch durch die Auferstehung in eine FastEndZeit aufgelöst wird. So führt die Absolutheit in eine Erlösung, zwar innerweltlich, aber doch mit neuen Möglichkeiten gesegnet. 40 Tage FastEndZeit.

FastenZeit

1. Die Unwägbarkeiten des Lebens

Der Schwall geschah vierzig Tage, vierzig Nächte auf die Erde.1

Vielleicht begann es einfach damit, dass dichte Wolken aufzogen, dass es mitten am Tag finster und düster wurde. Nacht mitten am Tag. Bedrohlich näherte sich der Himmel der Erde. Nicht um mit ihr zu verschmelzen, sondern um sie zu bedrohen. Dort, wo die Wolken auf den Gipfel stießen, auf einen der hohen, ganz hohen, dort riss die Hülle entzwei, und der Groll des Donners zerfetzte die Luft. Beispiellos. Die Menschen verkrochen sich in ihren Häusern. Man darf nicht vereinen, was zu Recht getrennt wurde. Man darf nicht trennen was zu Recht vereint wurde. Und doch machen wir es täglich, vereinen die Schuld mit der Unschuld, das Unberührte mit dem Berührten, das Nahe mit dem Fernen, und wir trennen das Miteinander und das Verstehen, lösen es auf in ein nebulöses Irgendwie. Beliebigkeit und Beiläufigkeit. Es betrifft uns nicht mehr als getrennt. Es betrifft uns immer weniger. Es ist einfach zu viel, was Betroffenheit auslösen sollte. Wir schaffen es nicht mehr. Die Flut vom Himmel stürzt auf uns herein.

Jeden Tag trifft uns die Flut an Meldungen und Informationen. Ein, zwei lesen wir oder hören wir uns an. Ein paar werden noch als Überschriften, Schlagwörter wahrgenommen, doch dann ist unsere Aufmerksamkeitsgrenze erreicht, die Aufnahmefähigkeit erschöpft. Wasser, das vom Himmel kommt. Nach den Wolken der Regen. Wasser, das die Erde berührt und in sie eindringt, sich zwischen Steinen und Felsen, zwischen Erdkrumen und Sandkristallen seinen Weg bahnt. Erstarrend am Pol zu Eis. Verdunstend in der Wüste zu Dampf. Irgendwo muss es hin. Und dann ist die Erde übersättigt. Jede Pore ist ausgefüllt. Der Pol ist gänzlich vereist und die Luft über der Wüste kann keinen Dampf mehr aufnehmen. Der Regen kommt vom Himmel. Unaufhaltsam. Die Informationen kommen von allen Seiten. Sie bedrängen uns, machen uns wehrlos, dringen in uns ein, gefrieren zu Eis oder verdampfen, bis wir ganz und gar gesättigt sind. Doch der Regen flutet weiter. Vom ersten Tag bis zum 40. Von der ersten Nacht bis zur 40. Dann kehrt Ruhe ein. Die Wolken waren ausgeregnet. Es war ein Ende absehbar. Es war greifbar.

Der erste Tag Regen. Die Erde nahm ihn auf. Vielleicht noch gierig, durstig. Der zweite Tag Regen. Die Erde verschloss sich dem Wasser, und es mehrten sich die schlammigen Pfützen. Tiere tranken. Und sie waren nicht mehr durstig. Sie suchten sich einen Ort der Zuflucht, dort, wo es trocken war, während es unablässig weiterregnete. Der dritte Tag Regen verwandelte die Pfützen in Lacken, Tümpeln in Seen und Seen in Meeren.

Der vierte Tag Regen. Die Flüsse traten über die Ufer und drangen immer weiter vor in das Land, das bewohnt wurde.

Der fünfte Tag Regen. Die Tiere und die Menschen wichen zurück vor dem Wasser. Sie stiegen auf Hügel.

Der sechste Tag Regen. Das Wasser hatte vorgegebenes Terrain schon längst verlassen und stieg immer höher. Die auf den Hügeln merkten, dass sie nicht hoch genug waren um in Sicherheit zu sein. Sie stiegen wieder hinunter von den Hügeln.

Der siebte Tag Regen. Und das Wasser stieg immer höher und höher. Es war gut gewesen auf einen Berg zu steigen. Die von den Hügeln kamen versuchten die Berge zu erreichen. Nicht immer gelang es. Es ertrank, wem es nicht gelang. Gott ruhte am siebten Tage, hieß es, nur der Regen tat es nicht. Der Regen war nicht Gott.

Er kennt keine Zeit. Er regnet. Das ist alles, was er zu tun hat.

Der achte Tag Regen. Immer höher hinauf stiegen die Menschen. Die Tiere waren ihnen vorangegangen. immer kleiner wurde der Bereich, der nicht mit Wasser bedeckt war. Kälte breitete sich aus und Hunger und Verzagtheit.

Der neunte Tag Regen. Weh denen, die in flachen Gebieten wohnten. Sie wurden Futter für die Fische und anderes Meeresgetier.

Der zehnte Tag Regen. Und die Fische freuten sich. Für viele gab es kein Entrinnen mehr. Sie jedoch waren in Sicherheit.

Einfach so war es geschehen, einfach so ging es weiter, und der Mensch erkannte, es gab Dinge, die er weder beherrschen noch zähmen konnte. Achselzuckend sagten manche, das wären eben die Unwägbarkeiten des Lebens. Das waren die Zyniker. Sie sind nicht alle ertrunken.

1 Gen. 7,12. Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

2. Reine Gegenwärtigkeit

Und der Regen blieb, 40 Tage und Nächte. So war zu lesen. Es ist doch beruhigend zu erfahren, dass einige gerettet wurden, Menschen und Tiere. Ob die Erde den Menschen wirklich vermisst hätte? Das Leben selbst sorgt sich nicht um die Zeit. Es ist und entwickelt sich. Vielleicht, wenn alle Landlebewesen vergangen wären, dann hätte nochmals alles von vorne begonnen. Einfach so. Vielleicht wäre der Mensch irgendwo nochmals aufgetaucht. Aber hätte er wirklich jemandem gefehlt?

Wenn eine Spezies ausstirbt, irgendwo auf der Erde, dann wird das den Lauf der Welt nicht ändern. Wenn der Mensch ausstirbt, dann wird es wohl auch den Weltenlauf nicht verändern, aber die Erde könnte endlich durchatmen. Es gibt niemanden mehr, der sie plündert, der sie vergiftet und ausnutzt. Wenn nur der Mensch nicht mehr auf der Erde wäre, dann würden die Tiere eines Tages erwachen und sich fragen, wo bleibt er, der Mensch. In erster Linie die Haustiere. Vergeblich warten sie auf ihr Futter. Dann die Tiere im Stall. Niemand, der den Kühen die Milch wegnimmt. Sie schreien vor Schmerzen, denn ihr Körper ist auf die Milchgabe programmiert worden. Sollte es denn sein, dass sie nur mehr Milch gibt, wenn sie ein Kalb hat? Niemand, der den Hühnern die Eier wegnimmt. Sollte es denn wirklich sein, dass sie nur noch Eier legt, damit Küken daraus schlüpfen und die Art erhalten bleibt? Als letztes würden es die Wildtiere merken, wenn der Jäger nicht mehr kommt und sie mit seiner Waffe niederstreckt, wenn sie nicht gefangen genommen werden, gejagt und missbraucht.

Und sie würden sich den neuen Gegebenheiten anpassen, weiterleben wie es Tiere eben tun, ohne Gedanken an Gestern oder an Morgen, reine Gegenwärtigkeit. Selbst wo Tiere töten, tun sie es um selbst satt zu werden. Sie denken weder an Vorratshaltung, noch daran sich zu bereichern, sie leben und achten auf ihr eigenes Überleben. Wenn der Mensch so wäre wie die Tiere, dann könnte niemand ausgebeutet werden. Es wäre kein Gedanke an ein Mehr als Notwendig. Was bleibt, jenseits des ewigen Mehr, ist das bloße Leben. Nichts weiter. Nichts weniger. Es bleibt bestehen als gelebt, bis es der Tod umarmt, und an seine Stelle tritt ein neues Leben. Es wird immer so sein. Bis zum Untergang. Und selbst wenn diese Erde untergeht, selbst, wenn diese Sonne verglüht, gibt es andere an ihrer Stelle. Es ändert nichts im Weltenlauf, wenn es den Menschen nicht mehr gibt, nur in der Welt selbst. Es ändert nichts im Universumslauf, wenn es diese Erde nicht mehr gibt.

40 Tage Regen ertränken das Leben, zerstören alles, was der Mensch mühsam aufgebaut und angehäuft hat, doch letztlich ist es so gleichgültig wie es nur die Gleichgültigkeit selbst sein kann. Das Große und Ganze hat keinen Einfluss auf unser Denken, denn es ist nicht mehr überschaubar. Es ist zu viel um wirklich verstanden zu werden. Wenn ich aber in meinem Bett erwache, am 10 Regentag, dann ist es anders. Längst wurde das Bett durch das Fenster aus dem Zimmer gespült, und ich erwache, so dass ich Dich suche. Ich finde Dich auf dem Gipfel eines Hügels.

Komm zu mir, in mein Bett, das jetzt unser Boot ist und unsere Zuflucht. Jetzt wirst Du Dich nicht mehr darüber lustig machen, dass ich mir einbildete einen Baldachin über mein Bett spannen zu lassen, denn jetzt ist dieser unser Dach über dem Boot, wenn es immerfort weiterregnet und wir immerfort weitergetragen werden. Es geht nicht ums Große und Ganze, das ich nicht fassen kann, sondern nur um Dich, und es ist gut, dass Du bei mir bist, dass wir uns gefunden haben. Der Regen ist leichter zu ertragen. Der allgemeine Tod spielt keine Rolle, nur der Deine. Noch einmal haben wir es geschafft, haben uns gerettet, auf unser kleines Boot mit dem Dach. Wir haben nichts weiter mehr als uns und unser Boot, uns und unser Leben. Was braucht es mehr? Nur alleine sein, das schmerzt. Ohne Dich. Dein Tod, der berührt mich, aber noch sind wir da, und es kann alles gut werden, trotz des Regens. Niemand weiß es, denn die Wolken lösen sich nicht auf wie sonst immer. Sie bleiben. Und der Regen hält an.

3. Der Stachel im Fleisch

40 – Zeit der Reife, Zeit der Prüfung, Zeit der Erziehung.

40 Tage Regen. Dann hört der Regen auf. Die Wolken sind verschwunden. Kein Tropfen fällt mehr. Die Erde ist bedeckt bis zu den höchsten Gipfeln. Es gibt keine Zuflucht vor der Unausweichlichkeit. Es gibt kein Entrinnen der gleichgültigen Naturgewalt. Das Leben geht seinen Weg. Es ist ihm gleich, ob über oder unter Wasser. Es lässt sich nicht aufhalten, noch vertreiben. Selbst wenn wir es schafften alles Grün, überall wo Erde ist, mit Beton zu betäuben, es fände sich ein Samen. Und es ist dieser eine Same, der ausreicht sich den Weg durch den Beton zu bahnen. Das Leben ist und findet immer wieder zu sich selbst. Es kann nicht anders. Die Präsenz wird immer neu gestaltet, und doch bleibt sie sich gleich, selbst oder gerade im Schatten des Todes, wird es seiner selbst getreu bleibend immer neu, als es selbst, und doch in allen Differenzierungen. Das Leben ist.

Vierzig Tage war die Flut über der Erde.2

Über alle Schwellen hinaus war das Wasser gestiegen. Nichts mehr war, als Wasser und unser Bett als Boot und der Baldachin als Dach. Die Erde schien nichts weiter zu sein als Wasser, und das Leben hielt sich darin verborgen, als würde es ruhen. Doch in Wahrheit hatte es sich nur abgesenkt in die Tiefen der Ozeane, die nun zu einem einzigen großen Wasser, einem Urozean vereint waren. Als wäre die Uhr zurückgedreht worden auf Ursprung, als es nur Wasser war, und das Land sich erst hervortun konnte, wenn das Wasser sich zurückzog, Es würde geschehen. Es wird geschehen. Weil der Lauf der Dinge so ist. Und die Sonne, die sich Bahn brach durch die Wolken, trocknete unser Boot und unser Dach und unsere Kleider, bis nur mehr der Salzgeschmack zurückblieb, der des Salzes, das im Meer war, das nun vollständig die Erde bedeckte, als wäre es ein einziges großes Ganzes. Die Vollkommenheit ohne Bruchlinien. Das Salz, das Leben erst ermöglichte, das wir brauchen, und das Salz, das im Übermaß das Leben zerstört. Einzelnes zumindest. Niemals das Ganze. Immer findet das Leben seinen Rückzugsort, und sei es unter Wasser, in den Abgründen des einen einzigen Ozeans, bis hinab in jene Regionen, da das Leben selbst ohne Licht ist. Überall ist sein Platz. Nichts so unwirtlich und tödlich, dass sich das Leben nicht einfinden würde.

Und die Sonne, die sich Bahn gebrochen hatte durch die Wolken, die nun ausgeleert und leer waren, trocknete unsere Kleider und ließ unsere Haut vertrocknen. Die Sonne, die das Leben wärmt und wachsen lässt. Eben jene Sonne lässt auch verdorren und sterben. Es rührt sie nicht, denn niemals kann sie alles verdorren lassen, wenn es auch unsere Haut war. Wir stellten uns der Unausweichlichkeit, unterzogen uns der Prüfung, um zu reifen, um erzogen zu werden. Vielleicht zu einem neuen Mensch-sein, jenseits der Zerstörung und der Verwünschung und der Flut.

Vielleicht ist es ja möglich, dass der Mensch reift an einer Prüfung, auch wenn er sie nicht unbedingt versteht. Allzu leichtfertig schiebt er die Schuld von sich, aber wer Schuld von sich weist, der kann nicht wachsen, weil er meint nichts falsch gemacht zu haben, und so wird das Leben, doch der Mensch nicht, entwickelt sich das Leben, aber der Mensch nicht, kann das Leben sich differenzieren, nur der Mensch nicht. Aber dem Leben ist es einerlei. Und wenn der Mensch ganz versinkt in den Untiefen des Ozeans, so spielt es weiters keine Rolle, außer, dass die Erde ein Antlitz erhält, das lebenswert ist und bleibt, unbeeinflusst von der Hand dessen, der um nichts weiter als seiner eigenen Bestätigung willen mordet und zerstört. Er wird nicht fehlen, der Mensch, inmitten des Lebens, das ungerührt wird, und doch, er geht durch die Flut hindurch und bleibt. Vielleicht ist er der Stachel im Fleisch der Erde, der an die Unvollkommenheit gemahnt.

2 Gen. 7. 17 Aus: Die Schrift, verdeutscht von Martin Buber gemeinsam mit Franz Rosenzweig. Gerlingen: Schneider, 1997.

4. Zeit des Rabens – Zeit der Taube

An Ende von vierzig Tagen geschahs: Noah öffnete das Fenster des Kastens, das er gemacht hatte, und schickte den Raben frei, der zog in Zug und Kehre, bis das Wasser von der Erde getrocknet war. Er schickte die Taube von sich aus frei, zu sehen, ob das Wasser von dem Antlitz des Ackers verringert sei. Die Taube fand keine Ruhstatt für ihre Fußsohle, sie kehrt zu ihm in den Kasten, denn Wasser war auf dem Antlitz der Erde, er schickte seine Hand aus und nahm sie und ließ sie zu sich in den Kasten kommen. Er wartete nochmals ein andres Tagsiebend und schickte wieder die Taube aus dem Kasten. Zur Abendzeit kam die Taube zu ihm, und, da, ein gepflücktes Ölblatt in ihrem Schnabel!3

Zeit des Rabens – Zeit der Taube.

Zeit zu bleiben – Zeit zu gehen.

Wenn die Zeit der Prüfung vorbei ist und Du gereift bist, dann kannst Du Dich bewähren. Wenn Du der Rabe bist und keinen Platz findest, an dem Du sesshaft werden könntest, dann musst Du zurückkehren und bleiben. Du bist noch nicht so weit. Kehrst Du zurück, kannst Du noch wachsen, doch wenn Du nicht zurückkehrst, dann kannst Du Deine Kreise ziehen bis Dich die Kraft verlässt und Du untergehst, abstürzt und versinkst, in den Wellen der Bedeutungslosigkeit.

Kehre um und lass Dich schützen, so lange es notwendig ist, so lange Du des Schutzes bedarfst. Noch bist Du klein und Deine Kraft reicht nicht für die Ewigkeit. So hat alles seine Zeit. Wenn Du aber die Taube bist und einen Ölzweig findest, dann weißt Du, nur noch eine kleine Weile, und Du kannst ausziehen Deinen Platz zu suchen. Denn dann wirst Du ihn auch finden.

Zeit des Säens – Zeit zu Wachsen.

Die Frucht wird eingebracht, in die Erde.