Paketbombe - Matthias P. Gibert - E-Book

Paketbombe E-Book

Matthias P. Gibert

4,4

Beschreibung

Bruno Rühlemann wird vor seinem Haus in Kassel erschlagen aufgefunden. Der mit Preisen überhäufte Enthüllungsjournalist hatte einige Wochen beim größten Online-Buchhändler der Welt gearbeitet. Recherchierte er dort für sein nächstes Buchprojekt? Wollte er so mehr über die angeblich unmenschlichen Arbeitsbedingungen herausfinden? Hauptkommissar Paul Lenz und sein Kollege Thilo Hain stehen vor vielen Fragen. Und dann versucht auch noch jemand, ihre Ermittlungen zu torpedieren.

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Matthias P. Gibert

Paketbombe

Lenz’ 15. Fall

Impressum

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Halbgötter (2015), Müllhalde (2014), Bruchlandung (2014), Pechsträhne (2013), Höllenqual (2012), Menschenopfer (2012), Zeitbombe (2011), Rechtsdruck (2011), Schmuddelkinder (2010), Bullenhitze (2010), Zirkusluft (2009), Eiszeit (2009), Kammerflimmern (2008), Nervenflattern (2007)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2016

Lektorat: Sven Lang

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Stillfx  Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-4904-8

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1. Kapitel

Bruno Rühlemann erhob sich aus der Badewanne, frottierte seinen Körper ab und stieg anschließend in seine aus grauem Filz gemachten Hausschuhe. Mit einem Lied auf den Lippen trat er vor den Kleiderschrank, suchte die Garderobe für den Abend aus und legte sie auf der Kommode ab. Dann ging er zurück ins Badezimmer, wo er sich rasierte und ein Aftershave auftrug. 20 Minuten später war er komplett bekleidet und trat vor den Spiegel in seinem Flur. Mit prüfendem Blick stellte er fest, dass alles so saß, wie er es sich vorgestellt hatte, legte zum Schluss noch einen zu seinem dunkelblauen Wollmantel passenden Schal um und verließ, noch immer das gleiche Lied summend, das Haus.

Beate Schreiber kam zeitgleich mit ihm vor dem kleinen piekfeinen und für Kasseler Verhältnisse teuren italienischen Restaurant an, das er bewusst ausgesucht hatte, um ihr ein wenig zu imponieren.

»Guten Abend«, begrüßte er die 32-jährige Frau ein wenig verlegen, während er ihre Hand schüttelte. »Und sehr schön, dass es geklappt hat mit unserer Verabredung.«

Die Frau sah sich um, wobei ihr Blick auf der hinter ihnen an der Wand angebrachten Speisenkarte hängen blieb. Nach ein paar Sekunden sah sie ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Du musst verrückt sein, wenn du glaubst, dass ich mit dir in so einem Luxusschuppen essen gehe, Bruno. So viel, wie hier ein Abend für zwei kostet, verdienen wir in der ganzen Woche nicht.«

»Das lass ruhig mal meine Sorge sein«, erwiderte er verlegen. »Außerdem habe ich dir doch gesagt, dass ich dir was erzählen muss, und das hängt auch mit diesem Restaurant zusammen.«

Ihre Augen wurden erneut ein Stück größer. »Aber du willst mir hoffentlich nicht erzählen, dass du ein Mafioso bist oder so was? Darauf habe ich nämlich nicht die geringste Lust, ehrlich.«

Nun lachte Bruno Rühlemann laut auf. »Nein, ich bin natürlich kein Mafioso. Oder wirke ich so auf dich? Ich bin einfach ein Mann, der sich darauf freut, mit einer tollen Frau zu Abend zu essen, das ist wirklich alles. Und dass wir das hier machen, hängt damit zusammen, dass ich die Leute hier sehr gut leiden kann, und sie mich auch.«

Beate Schreiber trippelte unsicher von einem Fuß auf den anderen. »Heißt das etwa, du bist hier so was wie ein Stammgast?«

»Das nicht gerade, aber ich kenne die Betreiber ganz gut.« Er berührte sie sanft an ihrem rechten Arm und schob sie Richtung der zwei Stufen, die den Eingang vom Bürgersteig trennten.

»Und alle weiteren Fragen werden gern von mir beantwortet, allerdings nicht hier draußen in der Kälte. Geh mit mir rein, und du erfährst alles über mich, was du willst.«

»Na, das hätte ich ja nun nicht erwartet«, murmelte sie leise, bewegte sich jedoch langsam zur Treppe.

»Hier kostet eine normale Suppe schon mindestens acht Euro«, entfuhr es Beate hektisch nach einem intensiveren Studium der Preise. Bereits die Begrüßung durch das komplette Personal des Restaurants inklusive Koch hatte sie mehr als nervös gemacht, aber beim Gedanken an die Preise konnte sie sich ganz und gar nicht beruhigen.

»Nun krieg dich mal ein, Beate, und such dir was Schönes aus. Willst du einen Aperitif, vielleicht einen Aperol oder so was?«

»Meinst du einen Aperol Spritz?«

»Ja, natürlich, wenn du ihn so magst, dann eben auch auf die Art.«

»Was kostet der denn?«

Rühlemann antwortete nicht, sondern nahm ihr stattdessen die Karte aus der Hand und legte sie neben seine auf den Tisch.

»Angelina, wir nehmen zwei Spritz als Aperitif und ein paar Bruschette, bis wir uns für den Rest entschieden haben«, rief er der Frau hinter der Theke zu.

»Subito«, kam es von dort zurück.

»Was ist denn das nun wieder, was du da gerade bestellt hast?«, wollte sie leise wissen. »Und wer sagt dir, dass ich das überhaupt esse?«

»Das werden wir sehen, wenn es auf dem Tisch steht. Wenn du es nicht magst, esse ich es allein und du nimmst einfach etwas anderes. In Ordnung?«

Sie schwieg einen Moment und bedachte ihn dann mit einem wenig schmeichelhaften Blick.

»Ich glaube, du hast recht, du musst mir wirklich ein paar Sachen näher erklären.«

»Das will ich gern machen, aber lass uns doch erst mal was essen.«

»Nein, das will ich nicht. Ich könnte es nicht genießen, wenn ich die ganze Zeit denken würde, dass du dich mit dieser Nummer hier total übernimmst, nur um mich zu irgendwas rumzukriegen.«

»Ich will dich nicht zu irgendwas rumkriegen, Beate, so viel kann ich dir auf jeden Fall schon mal sagen. Alles, was hier und heute Abend passiert, ist total harmlos, und wenn es das irgendwann mal nicht mehr sein sollte, dann weil wir beide es so wollen.«

Er rückte nach hinten, weil der Aperitif kam.

»Und jetzt – salute, wie man hier sagt.«

»Prost«, gab sie schnaubend zurück, stieß ihr Glas gegen seins und genehmigte sich einen tiefen Schluck aus dem Strohhalm.

»Und außerdem weißt du ganz genau, dass ich einen Freund habe, und du kannst dich garantiert auch daran erinnern, dass ich dir erzählt habe, wie eifersüchtig er ist.«

Die Frau stockte und sah sich ängstlich um.

»Es wäre schon eine ausgewachsene Katastrophe, wenn er nur wüsste, dass wir beide uns hier getroffen haben, das kannst du mir glauben. Das wäre für uns beide richtig übel, wirklich.«

»Wie meinst du das?«

Wieder eine Pause.

»Das erzähle ich dir, nachdem du mir deine Geschichte erzählt hast. Vielleicht.«

»Schmeckt wenigstens der Spritz?«

Nun musste Beate Schreiber lachen. »Dass du gut ausweichen kannst, habe ich schon gleich zu Anfang gemerkt, aber damit kommst du jetzt nicht durch. Ja, das Zeug schmeckt ausnehmend gut, aber noch viel besser wird es mir schmecken, wenn du mir erklärt hast, wie du dir das hier alles leisten kannst.«

»Alles auf einmal?«

»Alles, und ohne auch nur die geringste Kleinigkeit auszulassen.«

»Dann mal los.« Er griff über den Tisch und berührte ihre Hand leicht mit seiner, doch sie zog den Arm sofort zurück.

»Es geht auch ohne, hoffe ich.«

»Gut, dann fange ich mal an.« Rühlemann nahm einen weiteren Schluck von dem orange schimmernden Drink. »Als ich vor acht Wochen bei Everest angefangen habe, konnte ich natürlich nicht ahnen, dass du mir über den Weg laufen würdest, Beate. Aber das ist nur eine der wirklich beeindruckenden Sachen, die ich seitdem erlebt habe.«

Der 41-jährige Mann rollte noch einmal die gesamten Ereignisse auf, die sich in den vergangenen beiden Monaten abgespielt hatten. Er beschrieb sein kurzes Vorstellungsgespräch und seinen ersten Arbeitstag, der gleichzeitig der Tag war, an dem er Beate zum ersten Mal gesehen hatte. Erzählte ihr, wie sehr es ihn gefreut hatte, dass sie in seiner Abteilung war und dass es ihn fast vom Stuhl gehauen hatte, als sie ihm vorschlug, doch eine Fahrgemeinschaft zu bilden, um Kosten zu sparen.

»Von da an habe ich mich auf jede Schicht gefreut und bin immer mit ein wenig Herzklopfen aufgewacht«, erklärte er ebenso freimütig wie sichtbar verlegen. »Aber das war gar nicht das Wichtigste, das war nämlich, als du mir zu verstehen gegeben hast, dass du mich auch ganz gut leiden kannst. Das war in den vergangenen acht Wochen ohne Zweifel das Highlight in meinem Leben.«

»Aber …«

»Ich weiß, ich weiß, du bist vergeben und hast einen Freund und so weiter, ja. Aber jetzt sitzen wir beide hier und freuen uns auf …«

Er brach ab, weil Manglio, der Koch, mit einem Teller auf sie zu hielt.

»Die beste Bruschette, die isch je gemacht habe«, radebrechte er, »für die ssönste Paar, das jemals in die Via Fontana gegesse hat.«

»Du alter Charmeur«, lächelte Rühlemann, wobei er dem Italiener zuzwinkerte.

Manglio präsentierte ihnen in seinem italienisch gefärbten Deutsch die Spezialitäten des Tages, woraufhin sich die beiden für gegrillten Seewolf und das Rinderfilet mit Trüffelsoße entschieden.

»Vornewegge vielleicht eine Vitello tonnato, habe isch ’eute Mittag frische gemacht, die Kalbsnuss.«

»Sehr gern«, erwiderte Rühlemann.

»Ich befürchte«, nahm Beate den Faden wieder auf, nachdem der Koch sich entfernt hatte, »dass du mir heute Abend ein paar Sachen sagen wirst, die mein Leben irgendwie durcheinanderbringen könnten. Stimmt das?«

»Wenn du denkst, dass ich dir sage, dass ich mich in dich verliebt habe, dann hast du auf jeden Fall recht.«

Beate wurde rot. Es war, als hätte Bruno eine Bombe auf den Tisch geknallt, die im gleichen Moment explodiert wäre. Sie nahm mit zitternden Fingern ihr Glas in die Hand und trank es in einem Zug aus.

»So, das hatte ich befürchtet, um ehrlich zu sein.« Sie schob das Glas in seine Richtung. »Kriege ich noch so einen?«

»Klar.« Er bestellte und wandte sich dann wieder seiner Begleitung zu. »Ich weiß, dass du mich magst, natürlich weiß ich nicht, wie sehr du mich magst, aber das ist mir heute Abend auch ziemlich schnuppe. Ich wollte, dass du weißt, wie meine Gefühle für dich aussehen, mit dem Rest musst du leider selbst klarkommen.«

»Na, du bist mir ja ein Kavalier«, lachte sie auf. »Nach der Offenbarung kommst du ohne Umschweife zu den wirklich schwierigen Dingen.«

»Was sind die wirklich schwierigen Dinge? Dein Freund?«

»Du kennst ihn nicht, sonst würdest du nicht so einfach über ihn reden. Er ist, wie ich dir ja auf unseren Fahrten zur Arbeit schon ausführlich geschildert habe, total eifersüchtig und dazu auch noch extrem jähzornig. Und das wirkt halt manchmal wie Nitro und Glycerin, nämlich ziemlich explosiv.«

»Aber jeder Mensch ist frei in seinen Entscheidungen, Beate. Du bist nicht mit ihm verheiratet, und selbst wenn, nicht mal das wäre ein unüberwindbares Hindernis.«

»Du kennst ihn nicht, wie gesagt«, winkte sie ab.

»Und ich will ihn auch gar nicht näher kennenlernen, aber dich, dich will ich noch besser kennenlernen. Ich kann nicht mehr schlafen und nicht mehr essen, seit ich dich kenne, und wenn du mich verschmähst, sterbe ich unter der Bar einer Kasseler Spelunke.«

»Mach darüber keine Witze, bitte.«

»Über das Sterben?«

Sie nickte. »Thomas, so heißt mein Freund, hat mir schon viele böse Sachen gesagt, die ich gleich wieder vergessen habe. Aber eine Sache, die er mir in einem Streit mal gesagt hat, werde ich nie vergessen.«

»Und was war das?«

»Wenn du mich mal verlässt oder betrügst, machst du mich zum Witwer.«

»Ach du Scheiße.«

»Jetzt hast du hoffentlich eine Ahnung davon, was mich erwarten würde, wenn ich …«

»Niemand kann so mit einem anderen Menschen umgehen, Beate.« Seine Hand fuhr erneut nach vorn und diesmal zucke sie mit ihrer nicht zurück.

»Ich weiß trotzdem nicht, wie das gehen sollte«, flüsterte sie.

Er sah sie unsicher an. »Würdest du denn wollen, dass es geht?«

Ein kaum wahrnehmbares Nicken. »Ich mag dich, Bruno, echt, und es ist immer so schön und unbeschwert, wenn ich mit dir zusammen bin. So ganz anders als zu Hause.«

»Das heißt …?«

»Das heißt zunächst mal, dass ich dich gut leiden kann. Aber es heißt leider auch, dass es nicht möglich ist. Ich kann es nicht machen, weil er uns beide umbringen würde.«

Bruno Rühlemann schüttelte fassungslos den Kopf. »Das ist nicht dein Ernst, oder? Du willst dir dein gesamtes restliches Leben von so einem Menschen kaputt machen lassen?«

»Ich kann nicht anders, glaub mir.«

»Ich glaube dir, dass du meinst, nicht anders zu können, aber ich sage dir, dass es Mittel und Wege gibt, sich zu wehren. Du musst diese Drohungen und diese Bevormundung nicht länger hinnehmen.«

Er holte tief Luft.

»Ich habe Verbindungen, gute Verbindungen, und ich kann dafür sorgen, dass er dir nichts tut. Dass er dir nichts tun kann.«

Sie hob erstaunt den Kopf. »Aus dir werde ich nicht schlau, Bruno. Du erzählst mir seit zwei Monaten, wie froh du bist, endlich wieder einen Job gefunden zu haben, auch wenn es ein echt mieser ist, und führst mich dann in ein Restaurant, das du dir unmöglich leisten kannst. Dann setzt du dich einfach so hier hin und erklärst mir, dass du dich in mich verliebt hast, wobei das nicht schwer zu erraten war, so wie du dich in den letzten Wochen verhalten hast. Und zu guter Schluss meinst du, du hättest Verbindungen. Wer bist du, Bruno?«

Rühlemann biss in eine der mittlerweile kalt gewordenen Bruschette und kaute eine Weile. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich eine Überraschung für dich hätte, als ich dich gefragt habe, ob du mit mir essen gehen willst.«

Sie nickte. »Ich dachte, die hätte ich schon gehört.«

»Nach deiner Aussage eben dachte ich, das sei keine wirkliche Überraschung für dich gewesen?«

»Auch wieder wahr«, gab sie sich in diesem Punkt geschlagen. »Und was ist dann die wirkliche Überraschung?«

»Das sind mehrere. Zum Beispiel, dass ich morgen meinen Job hinschmeißen werde.«

»Du willst was?«

»Ich werde fristlos kündigen, so wie ich es seit Längerem geplant habe. Dass es ausgerechnet morgen passiert, ist Zufall, aber vielleicht auch der Tatsache geschuldet, dass wir beide uns heute Abend sehen und ich es dir sagen kann.«

»Mensch, Bruno, das ist ja schrecklich.«

Nun sah er sie erstaunt an. »Warum das denn?«

»Weil … weil …«

»Weil du ab jetzt wieder allein zur Arbeit fahren musst?«

»Ja. Nein. Ach, ich weiß nicht.«

»Vielleicht, weil ich dir fehlen werde?«

Sie nickte stumm.

»Das muss nicht sein. Wir können ab sofort …« Er brach ab, weil nun Angelina mit dem Vitello tonnato anrückte.

»Wir können ab sofort …«, fuhr er kurz darauf fort, stoppte jedoch erneut seinen Satz, weil er sah, dass eine Träne über ihre rechte Wange lief.

»Ich verstehe das alles nicht«, schluchzte sie leise.

»Gut, dann werde ich dir jetzt alles erklären, und zwar von Anfang an. Ja?«

Wieder ein stummes Nicken, wobei sie sich mit der Serviette die Träne wegwischte.

»Ich bin kein Studienabbrecher, wie ich es dir erzählt habe, Beate, und ich muss dich auch an dieser Stelle gleich um Entschuldigung bitten für ein paar weitere Flunkereien, die ich dir zugemutet habe, aber die waren wichtig und unabdingbar für meine Tarnung.«

»Deine Tarnung? Wie darf ich das denn verstehen?«

»Ich bin weder Studienabbrecher noch der arme Schlucker, den ich dir vorgespielt habe. Ich bin, ganz im Gegenteil, ein ziemlich erfolgreicher Journalist und Buchautor. Und wenn du es genau wissen willst und wir ohnehin gerade dabei sind, meine Eltern besitzen mehrere große Autohäuser in Frankfurt und Umgebung und sind ziemlich wohlhabend. Man könnte auch sagen, dass sie ziemlich reiche Säcke sind, aber das lassen sie zum Glück nicht raushängen.«

Beate Schröder schluckte. »Das heißt dann ja wohl auch, dass du ein ziemlich reicher Sack bist, oder?«

»So könnte man es sagen, ja.«

»Und warum hast du dir dann den Job bei Everest angetan? Das verstehe ich nicht.«

»Den Job habe ich gemacht, weil ich an einem Buch über die Arbeitsbedingungen und das Unternehmen allgemein arbeite. Der größte Teil davon ist fertig, es hat eben nur noch der Blick ins Innere des Unternehmens gefehlt.«

»Du willst mir ernsthaft erzählen, dass du zwei Monate als Picker bei Everest gearbeitet hast, nur um darüber ein Buch schreiben zu können?«

»Genau deshalb, ja. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich deswegen anschwindeln musste, aber das war für meine Tarnung absolut wichtig.« Er senkte den Kopf und sah eine Weile die Tischdecke an. »Heute weiß ich, dass ich dir vom ersten Tag an hätte vertrauen können, aber …«

»Ja, was aber?«, fragte sie mit mehr Schärfe in der Stimme zurück, als sie es vermutlich beabsichtigt hatte.

»Ich wollte auf keinen Fall meine Recherchen gefährden, deshalb habe ich den Mund gehalten und auch dir diese Komödie vorgespielt, so wie allen anderen.«

Es entstand eine kleine Pause, in der Beate das Tonnato probierte.

»Lecker, was ist das?«

»Eine Thunfischcreme.«

»Und darunter?«

»Gekochte Kalbsnuss.«

»Ich wusste gar nicht, dass Kälber Nüsse haben«, erwiderte sie zweideutig.

»Ja, aber vermutlich nicht da, wo du sie jetzt vermutest.«

Wieder eine Pause.

»Du weißt«, fuhr sie schließlich fort, »dass ich ziemlich sauer sein könnte wegen dieser Lügerei, oder?«

»Dessen bin ich mir voll und ganz bewusst, aber …«

Beate Schröder stoppte ihn mit einer kurzen Handbewegung. »Um was geht es in diesem Buch, das du schreibst?«

»Um Everest als Konzern, als Steuerzahler, als Arbeitgeber und ein paar weitere Sachen.«

»Was bedeutet, dass ich meinen Job verlieren könnte, weil viele Leute es lesen und deswegen nicht mehr bei Everest bestellen?«

»Das könnte eine Folge sein, ja, obwohl meine Hoffnung dahingehend nicht wirklich groß ist.«

»Warum?«

»Weil die Leute im Allgemeinen, und speziell die Everest-Kunden, bequem sind. Und weil es den Everest-Kunden egal ist, ob ein Konzern Steuern in dem Land bezahlt, in dem es Geld verdient, und unter welchen Bedingungen und für welches Geld die Mitarbeiter schuften müssen, solange nur ihre Bestellung pünktlich ankommt.«

»Aber es bleibt dabei, dass es auch um meinen Job geht?«

»Im Endeffekt bleibt es schon dabei, ja. Wobei mein Ansatz eher der ist, dass sich das Unternehmen verändern sollte, damit man mit einem besseren Gefühl dort seine Waren ordern kann.«

»Daran glaubst du, spätestens nach diesen acht Wochen, aber nicht mehr wirklich, oder?«

»Nein, leider nicht.«

Sie nickte. »Damit habe ich absolut nicht gerechnet, Bruno, dass du ein Journalist bist. Deine Liebeserklärung hatte ich irgendwie erwartet, wobei ich mir nicht ganz sicher war, ob dein Mut letztlich dafür reichen würde; aber da hast du mich ja nun eines Besseren belehrt. Bleibt nur die Frage, was wir jetzt mit dieser Geschichte anfangen sollen. Was soll aus uns werden, Bruno, der kleinen Everest-Pickerin und dem erfolgreichen Journalisten und Buchautor, der nach eigener Aussage zudem noch aus ziemlich wohlhabendem Haus ist?«

Rühlemann lehnte sich zurück, nahm einen Schluck vom Aperitif und sah sie lächelnd an. »Na ja, ich denke, wir werden ein glückliches Paar, das in Kassel leben wird, heiratet, ein paar Kinder in die Welt setzt und angesehen und im hohen Alter stirbt.«

»Wenn das mal kein Plan ist …«, bestätigte sie belustigt und mit gleichzeitig strengem Blick auf das Vitello tonnato. »Aber zuerst sollten wir dafür sorgen, dass dieses Zeug hier nicht noch zu kommt, sonst ist dein Freund in der Küche am Ende noch ernsthaft sauer auf uns.«

»Wenn er hören könnte, dass du es Zeug nennst, wäre er vermutlich auch nicht gerade glücklich«, erwiderte Rühlemann lachend.

Zwei Stunden später stoppte Bruno Rühlemann seinen Wagen etwa einen halben Kilometer von dem Haus entfernt, in dem Beate mit ihrem Freund lebte. Die Frau sah auf ihre Armbanduhr.

»Er hat Spätschicht und ist etwa in einer halben Stunde zu Hause. Und wenn ich dann nicht mindestens vor dem Fernseher sitze oder im Bett liege, macht er mir eine Szene, die sich gewaschen hat.«

»Unglaublich« war das Einzige, was dem Mann auf dem Fahrersitz dazu einfiel.

»Ja, da gebe ich dir recht, aber was soll ich machen?«

»Ich meine es ernst, wenn ich sage, dass …«

Weiter kam er nicht, denn sie zog seinen Kopf heran und küsste ihn lang und intensiv.

»Wow«, machte er, nachdem sie sich von ihm gelöst hatte. »Damit hätte ich nun nicht gerechnet.«

»Ich weiß auch nicht, was mich im Augenblick reitet, Bruno, aber mir geht es, glaube ich, gar nicht so viel anders als dir. Allerdings mit der Einschränkung, dass bei mir jemand im Spiel ist, der nicht einfach so klein beigeben wird, wenn ich ihn verlasse.«

Sie hob den Kopf.

»Warte mal, ob bei dir nicht auch jemand wartet, haben wir bisher einfach ausgeklammert.«

»Stimmt, aber ich kann dich beruhigen. Bis auf jede Menge dreckiges Geschirr in der Spüle wartet bei mir niemand.«

Beide lachten und küssten sich erneut, diesmal noch inniger und etwas fordernder.

»Ich glaube, wenn wir so weitermachen, landen wir beide auf dem Scheiterhaufen«, gluckste sie.

»Wenn du willst, kannst du mit zu mir kommen«, erklärte er ihr.

»Ja, das hättest du bestimmt gern, und ich vermutlich auch, aber das würde mir wirklich ein bisschen schnell gehen. Lass mich jetzt lieber nach Hause marschieren und darüber nachdenken, wie mein Leben weitergeht, ich habe nämlich auch ein paar Seiten an mir, die du besser nicht kennenlernen solltest.«

»Ich freue mich darauf, es trotzdem zu wollen.«

»Was macht dich so optimistisch, dass aus uns wirklich ein Paar wird, Bruno?«

Er gab ihr einen Kuss auf die Nase. »Ich spüre, dass du mich magst, wobei ich mittlerweile glaube, dass du dich auch ein bisschen in mich verliebt hast.«

Sie zog den Kragen ihres Mantels hoch und griff nach dem Türöffner.

»Hast du?«, hakte er leise nach.

»Hast du mir zugehört in den letzten fünf Minuten?«

»Ja.«

»Dann weißt du es doch.«

»Ich würde es aber gern hören.«

»Vielleicht, vielleicht sogar ganz sicher, könntest du das noch öfter hören, wenn du jetzt nicht drängelst. In Ordnung?«

»Auf jeden Fall, ja.«

»Vielleicht sollte ich dir zum Schluss noch mit auf den Weg geben, dass ich mich in den letzten Wochen auch immer auf die Arbeit, oder besser den Weg dorthin, gefreut habe. Capito?«

»Absolut capito, ja.«

»Und jetzt muss ich wirklich los. Das Schlimmste, was uns nämlich passieren könnte, ist meine Nachbarin, die ihren stinkenden Köter direkt an diesem Auto vorbei Gassi führt, wenn ich mich mit einem Kuss von dir verabschiede.«

»Das heißt, dass es das jetzt mit dem Küssen war?«

»Für heute ja, aber nicht für immer. Versprochen.« Damit riss sie die Tür auf und stieg aus dem Wagen. Nach etwa fünf Metern drehte sie sich noch einmal um und warf ihm einen Handkuss zu. Die dabei kondensierende Luft sah aus wie ein Herz, zumindest für Bruno Rühlemann.

*

20 Minuten, für ihn jedoch gefühlte Stunden später, stand sein Wagen nach wie vor an der gleichen Stelle, und selbst der Journalist hatte sich nicht einen Millimeter auf seinem Sitz bewegt. Nun spürte er die Kälte mit aller Macht seine Beine hinaufklettern und seine Zähne hatten schon mehrmals laut klappernd aufeinandergeschlagen.

Gähnend ließ er den Motor an, schlängelte sich aus der Parklücke, fuhr langsam durch die verlassene Straße, hob an dem Haus, in dem Beate wohnte, kurz den Kopf und nahm dann Kurs auf die nächste Tankstelle, wo er eine Flasche Sekt kaufte und dem jungen Nachtarbeiter ein außergewöhnlich hohes Trinkgeld gab.

»Wow, danke«, antwortete der von schlimmer Akne geplagte Tankstellenmitarbeiter. »Sieht aus, als hätten Sie was zu feiern.«

»Das habe ich, das habe ich wirklich«, rief Rühlemann, der schon die Tür erreicht hatte. »Ich fange ein neues Leben an, und das ist wirklich ein guter Grund zum Feiern.«

Die Antwort des Jungen, sofern es denn eine gab, hörte er nicht mehr, denn er lief mit schnellen Schritten zu seinem Auto, stieg ein, drehte die Musik laut auf und machte sich auf den Heimweg.

Er fuhr bis zum Ende der ruhigen Seitenstraße, in der sein Haus direkt am Feldrand stand, drückte kurz auf den Garagenöffner und wartete, bis das Tor ganz in die Waagerechte gefahren war. Dann parkte er neben seinem Cabriolet ein, vor dem ein geduckt wirkendes Motorrad stand, grinste erneut, nahm die Sektflasche vom Beifahrersitz und schwang sich ins Freie.

Normalerweise betrat er sein Haus durch den Zugang von der Garage, doch in dieser Nacht konnte er nicht anders, er musste an die frische Luft gehen und in den Himmel schauen. Und wie auf Bestellung erschien zwischen einer Wolkenlücke der kreisrunde Vollmond, der strahlend hell einem grinsenden Kindergesicht glich.

Wenn das kein Zeichen ist, dann weiß ich es auch nicht, dachte er voller Glückseligkeit.

Die Kälte kroch dem Enthüllungsjournalisten erneut die Beine hoch, doch er konnte sich nicht von dem Anblick losreißen. Erst als sich wieder eine Wolke zwischen sich und den Erdtrabanten schob und die ersten Schneeflocken um sein Gesicht tanzten, drehte er sich langsam um, ließ das Garagentor nach unten fahren und machte sich auf den kurzen Weg zur Haustür.

An dem Punkt, an dem eigentlich der Bewegungsmelder das Licht hätte einschalten müssen, blieb er kurz stehen und wartete, doch es geschah nichts. Die LED-Leuchten, die rund um den Eingangsbereich verteilt waren, blieben dunkel.

Vermutlich zu kalt, ging es ihm durch den Kopf.

Rühlemann wandte sich nach rechts und kramte mit der linken Hand in der Jackentasche nach dem Schlüsselbund, als er meinte, neben sich ein leises Rascheln gehört zu haben. Wieder blieb er ruckartig stehen, sah in Richtung der mächtigen Koniferen neben der Hauswand und musste dabei unwillkürlich auflachen.

Die Liebe kann einen Menschen wirklich um den Verstand bringen, dachte er und setzte mit leisem Pfeifen seinen Weg fort. In seiner Hand hielt er bereits den Schlüssel und bewegte seinen Arm Richtung Türschloss, als ihn wieder ein Geräusch irritierte. Doch bevor er die Möglichkeit hatte, sich umzudrehen, traf ihn ein Schlag am Hinterkopf, der ihn nach vorn schleuderte und sein Gesicht auf die Waschbetonplatten knallen ließ. Der Schmerz, der sich in seinem Kopf ausbreitete, war unmenschlich, und in seinem Mund fühlte es sich an, als hätte er auf eine Eisenstange gebissen. Wie durch Watte hörte er die Sektflasche neben sich aufschlagen, dann traf ihn der nächste Hieb, diesmal auf das rechte Ohr. Nach einem weiteren Schlag, diesmal direkt ins Gesicht, wurde er bewusstlos, und alle Sorgen und Schmerzen waren mit einem Mal ganz weit weg.

Bruno Rühlemann kam kurz vor seinem Tod noch einmal für ein paar Augenblicke zu Bewusstsein. Mit blutverklebten und brennenden Augen tastete er um sich. Er konnte nichts sehen, hatte Schmerzen und fror, doch all das löste nicht im Mindesten Furcht in ihm aus, ganz im Gegenteil.

Mit zitternden Fingern tastete er langsam, wie in Zeitlupe, nach dem frisch gefallenen Schnee, mit dem sein Körper bedeckt war. Vor seinem geistigen Auge tauchte das lachende, wunderschön anzuschauende Gesicht von Beate Schreiber auf, die ihm etwas zu sagen schien, doch leider konnte er nichts davon verstehen.

Es hätte schön werden können mit uns, dachte er, bevor sein Herz aufhörte zu schlagen.

Es hätte wirklich schön werden können.

2. Kapitel

»Wenn du jetzt auch noch anfängst mit: ›Mensch, Uwe, was machst du denn für Sachen‹, dann schmeiße ich dich auf der Stelle hochkant hier raus«, brummte Uwe Wagner, der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Nordhessen, und sah dabei seinen Freund Paul Lenz, den Leiter der Mordkommission, müde an.

»Na, Junge, für einen gerade überstandenen Herzinfarkt bist du aber ganz schön angriffslustig.«

»Das täuscht. Ich habe nur echt keine Lust mehr darauf, mich wie ein Verbrecher zu fühlen, nur weil meine Pumpe vorübergehend schlappgemacht hat.«

Lenz schloss die Tür hinter sich, trat neben seinen Kumpel und fuhr ihm sanft über das in alle Richtungen abstehende Haupthaar. »Wenn ich den Doc richtig verstanden habe, dann waren es eher deine zugeschnürten Arterien, die für den Infarkt gesorgt haben. Deine Pumpe selbst scheint noch ganz gut zu funktionieren.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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