Paradies perdu - Lukas Hässig - E-Book

Paradies perdu E-Book

Lukas Hässig

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Beschreibung

Wie die Schweiz sich selbst um ihr wertvollstes Gut bringt - und Schwarzgeldanleger rund um die Welt ins Schwitzen Um einen sicheren Hafen für gefährdete Vermögen zu bieten, begründete die Schweiz 1934 ihr Bankgeheimnis. Es entwickelte sich im Laufe der Jahre von einem Enteignungsschutz zu einer Steuerhinterziehungsmaschine, die Milliardengewinne ausspuckte. Jetzt ist Sand ins Getriebe gekommen, und es knirscht ... Angeführt von der UBS, zogen helvetische Bankiers in die Welt hinaus, um mit fragwürdigen Methoden immer noch mehr Gelder am Fiskus vorbei in ihre Tresore zu schleusen. Als ein früherer Kundenberater die UBS in Amerika verriet, krachte das Konstrukt wie ein Kartenhaus zusammen. Motiviert durch tiefe Löcher im eigenen Haushalt, vereinigten sich die großen Länder im Kampf gegen die Schweiz und andere Steuerparadiese. Ihre Jagd auf Schwarzgelder in geheimen Depots ist in vollem Gange, und sie wird lange dauern und gründlich sein. Das Ende seines Bankgeheimnisses zwingt den Sonderling im Herzen Europas, den Gürtel enger zu schnallen und sich neu zu erfinden.

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Lukas Hässig

PARADIES PERDU

Wie die Schweiz

ihr Bankgeheimnis verlor

1. Auflage 2010

Copyright © 2010 by

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

www.hoca.de

Satz: atelier eilenberger, Leipzig

ISBN 978-3-455-50147-6

Datenkonvertierung eBook:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

www.kreutzfeldt.de

INHALT

                  Die Rache    7

EINS         1932

                  Lang lebe das Bankgeheimnis!    26

ZWEI       1999

                  Der Vertrag mit den USA    40

DREI        2002

                  Der UBS-Söldnertrupp    64

VIER        2005

                  Der Whistleblower    84

FÜNF       2007

                  Der Schlachtplan der Amerikaner    108

SECHS     2008

                  Die naiven Schweizer    129

SIEBEN    2009

                  Das Bankgeheimnis fällt    166

ACHT       2009

                  Der Verrat    189

NEUN       2009

                  Arme Schweiz    206

2010

                  Nachwort    236

                  Anmerkungen    242

DIE RACHE

Flug LX52 war pünktlich. Der Airbus der Swiss International Airline hob am 6. Mai 2008, einem Dienstag, kurz nach 17.30 Uhr in Zürich ab. Dank günstiger Windverhältnisse landete die Maschine acht Stunden später in Boston.

Obwohl Bradley Birkenfeld in den letzten Monaten mehrere Flüge in seine Heimat unternommen hatte, war diese Reise für ihn etwas Besonderes. Sein Plan, seine ehemalige Arbeitgeberin in den USA in Verruf zu bringen, war aufgegangen. Birkenfeld, zu diesem Zeitpunkt 43 Jahre alt, hatte bis 2006 vier Jahre lang in Genf für die Schweizer Großbank UBS gearbeitet. Er war Amerikaner, stammte aus einer wohlhabenden Familie, mit einem Vater, der in Boston als Neurochirurg tätig war, und zwei Brüdern, einer davon Anwalt. Bei den Kollegen der Bank galt der groß gewachsene Birkenfeld als Stimmungskanone. Mit ihm konnte man auf den Putz hauen, sei es auf gemeinsamen Geschäftsreisen, sei es nach der Arbeit im nächtlichen Genf. Birkenfeld war ledig und kein Kostverächter. Sein Charme machte es ihm leicht, neue Bekanntschaften zu schließen, und sein Dreitagebart verlieh ihm etwas Ungestümes, Männliches. Wie ein typischer Schweizer Privatbankier sah der Amerikaner, wenn er in seinem BMW M5 vorfuhr, jedenfalls nicht aus.

Dass er nun in dieser Swiss-Maschine saß und seine Agenda Termine mit US-Senatoren und Vertretern der amerikanischen Wertschriftenaufsicht führte, war die Folge einer Entwicklung, deren Dynamik Birkenfeld überraschte – auch wenn er selbst am Anfang dieser Geschichte stand. Als sich nämlich der Kundenberater und seine Arbeitgeberin UBS in die Haare gerieten und seine Schweizer Vorgesetzten ihm die letzte Bonuszahlung vorenthielten, nahm in seiner Vorstellung ein Plan Form an. Nicht mit mir, sagte sich Birkenfeld, zog die Bank im Frühjahr 2006 als Erstes vor ein Arbeitsgericht und erstritt sich auf diese Art über eine halbe Million Franken Entschädigung. Als seine früheren Chefs dachten, sie seien diese »Loose canon« endlich los, zündete Birkenfeld die zweite Stufe. Er packte aus, und zwar dort, wo die Gefahr für die verhassten Schweizer am größten war: in den USA, dem Land der Sheriffs.

Wie die UBS ihren US-Kunden beim Steuerhinterziehen half, welche Geheimdienstmethoden sie entwickelte, um im weltgrößten Finanzmarkt unentdeckt zu bleiben, wie sie ihre Kundenberater ständig antrieb, immer noch mehr – versteuerte oder auch unversteuerte – Vermögen von Klienten zu akquirieren, und sich die Organisation gleichzeitig den Mantel einer besonders sorgfältigen Bank mit strikten internen Regeln umhängte, all das legte Birkenfeld ab Frühjahr 2007 in ausführlichen Gesprächen den amerikanischen Justizbeamten auf den Tisch. Sofort witterten diese ihre historische Chance. Dank der Aussagen des Insiders schien endlich gelingen zu können, was trotz vieler Versuche bisher missglückt war: die Steueroasen dieses Planeten trockenzulegen. Wäre erst einmal die UBS, das Aushängeschild des wichtigsten Offshore-Finanzplatzes, zur Strecke gebracht, träfe dieser Schlag sämtliche Schwarzgeldhochburgen der Welt. Schließlich war im Alpenstaat seit jeher mehr ausländisches Geld gebunkert als anderswo, jeder vierte Dollar lag auf einem Schweizer Bankkonto. Als weiteres Motiv lockte die amerikanischen Beamten die Aussicht, dass ein erfolgreicher Feldzug gegen die UBS, die damals über 3000 Milliarden Franken Vermögen von Kunden verwaltete, der eigenen Karriere gehörigen Schub verleihen würde.

Während die US-Ermittler ihre neue Quelle anzapften, ließ Birkenfeld seine eigene Rolle im Geschäft mit dem unversteuerten Geld bewusst im Dunkeln, ohne dass ihm vorgängig Straffreiheit zugesichert wurde. Dabei hätte es einiges zu berichten gegeben. Der Amerikaner zählte bei der UBS zu jenen Kundenberatern, die beim Verstecken der Vermögen ihrer Klienten kaum Berührungsängste kannten. Besonders einem Kunden, dem russischen Immobilientycoon Igor Olenicoff, der zu den 300 Reichsten der USA zählte, half Birkenfeld, den geschuldeten Obolus zu umgehen. Dessen rund 200 Millionen Dollar verschob der Amerikaner in Scheingesellschaften in Dänemark, Liechtenstein und der Karibik, wo sie vor dem Zugriff der US-Steuerbehörden vermeintlich sicher waren. Als sich Birkenfeld mit seinen UBS-Vorgesetzten verkrachte, nutzte er seine Beziehung zu diesem Russen und verwaltete dessen Vermögen in der eigenen Finanzgesellschaft weiter. Doch unbemerkt von Birkenfeld geriet Olenicoff ins Visier der US-Steuerbehörden und legte Ende 2007 ein Schuldeingeständnis ab, um Schlimmeres zu verhindern. Von Olenicoff erfuhren die USA von dessen UBS-Bankier in der Schweiz. Aus dem Insider Birkenfeld wurde ein Verdächtiger.

Im Frühling 2008 lud Birkenfeld Bekannte ins alpine Zermatt. Dort besaß der Finanzberater ein Chalet: nichts Mondänes, Birkenfeld mochte es bequem und praktisch, den Chic konnte er sich sparen, wenn man das Morgenrot in der Ostwand des Matterhorns glühen sah. Birkenfelds geheimnisvolle Hinweise auf dramatische Entwicklungen rund um seine einstige Arbeitgeberin wurden nun expliziter. Schon ein halbes Jahr zuvor hatte er einen Vertrauten aus gemeinsamer UBS-Zeit wissen lassen, dass er seine Exvorgesetzten zu Fall bringen würde. Nun kündigte der Hüne an, dass der Fall kurz davor stünde zu explodieren. Augenzeugen berichten von starken Rachegelüsten, die sie beim einstigen Kundenberater selbst zwei Jahre nach dessen Ausscheiden aus der Bank spürten. Was aber Brad, wie ihn alle nannten, genau im Schilde führte, blieb ihnen verborgen.

Einzig der Zürcher Korrespondent der englischen Wirtschaftszeitung Financial Times (FT) wusste mehr. Birkenfeld hatte Haig Simonian, wie der englische Journalist hieß, anfänglich anonym, später persönlich über die Machenschaften der UBS und die Ermittlungen der USA informiert. Am 17. Januar 2008 publizierte Simonian Auszüge aus einer E-Mail des für das Nord- und Südamerikageschäft verantwortlichen UBS-Generaldirektors Martin Liechti. Der hatte vor Jahresfrist die Kundenberater angetrieben, jährlich bis zu 60 Millionen Franken Neugeld von bestehenden oder neuen UBS-Kunden anzulocken. Das Schreiben war zu jenem Zeitpunkt geheim.

Seinen größten Coup in dieser Geschichte landete der Schweizer FT-Korrespondent am Mittwoch, dem 7. Mai 2008. Auf der Webseite seiner Zeitung wurde drei Minuten nach Mitternacht ein Artikel von ihm unter dem Titel »UBS-Spitzenmann in den USA verhaftet«1 aufgeschaltet. Die Bank hatte am Vortag im Rahmen ihrer Berichterstattung zum 1. Quartal 2008 pflichtgemäß von Ermittlungen der US-Behörden berichtet. Kein Journalist außer dem FT-Mann wusste aber zum damaligen Zeitpunkt, dass einer der mächtigsten Manager der Schweizer Großbank seit 16 Tagen in den USA festgehalten wurde. Als einziger Außenstehender kannte Simonian auch den Namen des Verhafteten. Es handelte sich ausgerechnet um Martin Liechti, Chef von 800 Mitarbeitern, darunter einst Birkenfeld, und oberster Vermögensverwalter für ganz Amerika.

Als Simonians Artikel auf der FT-Homepage online ging, näherte sich der Swiss-Airbus mit Birkenfeld an Bord seinem Ziel Boston-Logan. Dass Liechti verhaftet worden war, hatte der Kundenberater längst erfahren. Schließlich war der Schlag gegen seinen Exboss ihm zu verdanken. In seinen Gesprächen mit den US-Justizbeamten hatte er nicht nur über die Geschäftsmethoden der UBS ausgesagt, sondern auch die Namen seiner Arbeitskollegen und Vorgesetzten genannt. Birkenfelds Schlachtplan schien aufzugehen, Liechti saß fest, weitere Aussagen vor dem Senat und der Börsenpolizei würden seinen Status als wichtige Quelle stärken, kurz: Alles, was die Amerikaner wussten, kam von ihm, dem Kronzeugen. Birkenfelds Anwälte hatten ihn zwar gewarnt, auch er könne nicht hundertprozentig sicher vor den Ermittlern sein. Doch der Mann, der den größten Steuerfall des Jahrzehnts, wenn nicht des Jahrhunderts ausgelöst hatte, ließ sich nicht beeindrucken.

Am Airport bezogen die Polizisten Stellung. Die Ermittlungsbehörden hatten im Fall UBS einen überraschenden Schwenk vollzogen und am 10. April ihren wichtigsten Informanten im Geheimen angeklagt. Das Verfahren gegen den Russen Olenicoff ließ Birkenfelds Rolle in neuem Licht erscheinen. Als sie von dessen bevorstehender Reise in die USA erfuhren, ließen sie sich vom zuständigen Gericht in Florida grünes Licht geben, die Strafanklage trotz der geplanten Verhaftung bis auf Weiteres unter Verschluss zu behalten. Sie wollten Birkenfeld das Messer an den Hals setzen, um ihn für die anstehende Offensive gegen die UBS als wirkungsvolle Waffe einzusetzen. »Die Regierung glaubt, dass der Angeklagte Birkenfeld imstande ist, maßgebliche Unterstützung bei einer Untersuchung in diesem Distrikt zu leisten, die durch eine Offenlegung der Anklage massiv gefährdet werden könnte«2, schrieben die Ermittler. Mit Birkenfeld als geständigem Täter in der Hinterhand, der mit den Behörden kooperierte, wollten sie zuerst den festgehaltenen UBS-Spitzenmann Liechti weichklopfen und dann die Bank in die Knie zwingen.

Als die Maschine um 19.30 Uhr in Boston aufsetzte, war es in Europa tiefe Nacht, und die Printausgabe der Financial Times mit der Headline der Verhaftung eines hochrangigen UBS-Managers wurde mit Lastern zu den Depots gefahren. Vor seiner Abreise hatte Birkenfeld einer ehemaligen Kollegin vom Genfer UBS-Team gesagt, er würde in Boston an einer Klassenzusammenkunft teilnehmen. Mit keinem Wort erwähnte er seinen Rachefeldzug. Nur seinen Erfolg im Bonusstreit hob er hervor. Die UBS nötige ihre Berater zu illegalen Aktivitäten und setze sie enormen Gefahren aus.

Nach dem Aufenthalt in den USA wollte Birkenfeld zurück nach Genf, wo er seit über einem Jahrzehnt lebte. Dass er seine Wohnung in der Innenstadt ebenso zum letzten Mal gesehen haben sollte wie sein Alpenrefugium in Zermatt, dämmerte ihm erst, als ihn die Polizei am Bostoner Flughafen verhaftete. Nun übernahmen jene Ermittler das Zepter, bei denen Birkenfeld seine Kollegen angeschwärzt, sich selbst aber geschont hatte. Sie verlangten eine uneingeschränkte Kooperation, die für sie von »überragender Bedeutung für die laufende Ermittlung«3 sei. Der überrumpelte Birkenfeld verweigerte sich zunächst, brach aber wenige Wochen später ein und legte ein Geständnis ab. Die nächsten 15 Monate verbrachte er bei seinem Bruder, dem Anwalt im Süden Bostons im Bundesstaat Massachusetts. Selbst für dieses Stück Freiheit mit eingeschränktem Bewegungsradius und elektronischer Fußfessel mussten er und seine Familie Vermögenswerte in siebenstelliger Höhe als Sicherheit hinterlegen.

Seine einstigen Partner vom Justizamt ließen die Katze vier Tage vor dem Prozess aus dem Sack. »Der Angeklagte Birkenfeld hat einen erheblichen Beitrag in der Ermittlung und der Strafverfolgung Anderer geleistet, die sich schuldig gemacht haben«, schrieben sie und hielten damit ihr Versprechen, Birkenfelds Kooperation positiv zu würdigen. Seine Unterstützung sei »pünktlich, erheblich, nützlich, wahrheitsgetreu, umfassend und zuverlässig«4 gewesen. Trotzdem zeigten sie wenig Milde und beantragten zweieinhalb statt der maximalen fünf Jahre Gefängnis. »Dies [das beantragte Strafmaß] zeigt nur, dass es sich hier um einen politischen Angriff auf den Whistleblower handelt«, haderte Birkenfeld kurz vor seinem Prozess in einer E-Mail an einen Exkollegen. »Die UBS erhält strafrechtliche Schonung, Liechti beruft sich auf das Fünfte [Fifth Amendment der US-Verfassung mit dem Recht auf Aussageverweigerung], und ich werde angeklagt.«5

Als Richter William Zloch, ein ehemaliger Footballstar und Navy-Offizier, im Fall Nummer 08-60099, United States of America vs. Bradley Birkenfeld, am 21. August 2009 in Fort Lauderdale zum Hammer griff, saß der Mann, dessen Aussagen die einstige Finanzsupermacht UBS zu Fall gebracht hatte, in dunklem Nadelstreifenanzug und bordeauxroter Krawatte reumütig auf der Anklagebank. Birkenfelds letzte Hoffnung auf ein glimpfliches Ende zerbrach. »Er weigerte sich, seine eigenen Fehler offenzulegen«, beharrte Chefankläger Kevin Downing, der dank Birkenfeld einen seiner größten Triumphe als Staatsanwalt feiern konnte, unerbittlich. »Einen solchen Fall mit Herrn Birkenfeld als Zeugen ist für uns ein echtes Problem. Deshalb verdächtigten wir Herrn Birkenfeld. Deshalb klagten wir ihn an. Deshalb fordern wir Gefängnis für ihn.«6

Dass der vermeintlich moralisch handelnde Whistleblower selbst über Jahre vom UBS-Betrugssystems profitiert, die Betrügereien nach seinem Abgang bei der Bank gar fortgesetzt und dies in seiner Anzeige gegen die UBS unter den Teppich gekehrt hatte, wog auch für den Richter schwer. Zloch erhöhte die beantragte Strafe um zehn Monate, und am 8. Januar 2010 verschwand Birkenfeld in dichtem Schneegestöber in der Strafanstalt Minersville im US-Bundesstaat Pennsylvania, die er am 8. Mai 2013 wieder verlassen kann, falls er seine Strafe vollständig absitzen muss.

»Monatelang bat ich vor, während und nach meiner Kooperation mit dem DOJ [US-Justizdepartement] vergeblich um eine einfache Strafzusicherung«, schrieb Birkenfeld seinem Freund verbittert. »Statt mit mir zusammenzuarbeiten, wollten sie mich anklagen.« 7

Das Schweizer Bankgeheimnis war Geschichte. Innerhalb weniger Monate war die Festung gestürmt, die noch kurz zuvor als uneinnehmbar gegolten hatte. Ein Kundenberater, dessen ehemaliger Chef und eine belagerte Bank hatten genügt. Deren Geständnisse erlaubten es der Supermacht USA, ihre Bürger einzuschüchtern, die im Finanzparadies Gelder angelegt hatten, und diese zu repatriieren. Am 19. August 2009, zwei Tage vor der Verurteilung von Whistleblower Birkenfeld, unterzeichnete die Alpenrepublik einen Kapitulationsvertrag, der nicht nur den amerikanischen, sondern allen Steuerflüchtigen dieser Welt klar machte, dass es kein Verstecken mehr hinter helvetischen Bankmauern gab. Die Auflagen des »Friedensvertrags«, wie ihn die helvetische Außenministerin verharmlosend nannte, offenbarten unmissverständlich, was die Stunde geschlagen hatte. Der Bundesrat, die politische Exekutive des kleinen Landes, half der UBS und deren Verantwortlichen, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, und war dafür bereit, gegenüber Tausenden von Kunden wortbrüchig zu werden.

Das 75 Jahre alte Versprechen der helvetischen Geldhäuser, niemals den Namen eines Kunden wegen Steuerhinterziehung offenzulegen, entpuppte sich endgültig als Illusion. Im Ernstfall war den Schweizer Großbankchefs und ihren Ausführungsgehilfen in der Verwaltung das eigene Hemd näher als das ihrer Kunden. Enttäuscht, ja entrüstet mussten langjährige Klienten zur Kenntnis nehmen, dass das Schweizer Bankgeheimnis keine Stahltür zu einer unangreifbaren Bastion im Granit der Alpen mehr war, sondern eine japanische Washi-Papierwand, die mit einem gezielten Schlag zerrissen werden konnte. Während sich die UBS-Verantwortlichen beim Bundesrat bedankten, wetterten Vertreter kleiner Privatbanken über den »Treuebruch«. Jacques Rossier, Partner der Genfer Privatbank Lombard Odier Darier Hentsch und Vertreter des höchsten Bankenbranchenverbands des Landes, wusste, wer das Fiasko verursacht hatte. »Ich ärgere mich über die UBS und über deren vormalige Chefs, die im Verhältnis mit den USA völlig unverantwortlich und jenseits von Gut und Böse gehandelt haben«, sagte er im Schweizer Radio DRS. Sie hätten »willentlich und wissentlich und systematisch alles gemacht, was man nicht machen durfte«.

War das allein die Schuld der UBS, würde das Schweizer Bankgeheimnis in seiner jahrzehntealten Form noch existieren, wenn sich ihre Manager im US-Offshore-Markt vorsichtiger verhalten hätten? Wäre es demnach möglich gewesen, dass die Schweizer Spezialität, die den überdurchschnittlichen Reichtum und Wohlstand der sieben Millionen Einwohner zu einem guten Teil begründete, den Ansturm ausländischer Mächte ein weiteres Mal überlebt hätte? Oder galt nicht viel mehr, dass die Zeit des Geschäftsmodells von Swiss Banking, das auf einer sophistischen Differenzierung zwischen leichten und schweren Steuersündern basierte, nach der gigantischen Finanzkrise und historischen Staatsverschuldung unwiderruflich abgelaufen war?

Letzteres traf zu. Der Verrat am Kunden wäre auch ohne UBS -Betrugssystem, »Verräter« Birkenfeld und aggressive Amerikaner eingetreten. Ein Geschäft, das Milliarden für deren Betreiber abwarf, aber durch Aussagen einiger weniger einbrechen konnte, war im Kern faul. Ohne die Schlagkraft Amerikas und das Risikobanking der UBS hätte die Schweiz im Jahr 2009 vielleicht die Kurve gekriegt. Aber der grundsätzliche Konstruktionsfehler der helvetischen Geldmaschine wäre nicht behoben gewesen, er lag in der Strategie, vermögenden Privatkunden aus aller Welt beim Steuerversteckspiel zu helfen. Zu lukrativ war das Business und zu verankert in Politik und Gesellschaft, als dass die Schweiz bereit gewesen wäre, freiwillig darauf zu verzichten.

Der Fall kam nicht über Nacht. Der internationale Trend habe schon lange in Richtung Transparenz gezeigt, sagte der langjährige New Yorker Wirtschaftsanwalt Robert Katzberg, der aufgeflogene US-Steuerdelinquenten verteidigte, in einem Gespräch. »Der Schutz des Schweizer Bankgeheimnisses verlor über die Jahrzehnte ständig an Bedeutung, angefangen mit der Aufweichung während der Verfolgung der Drogenkartelle in den siebziger Jahren bis hin zur Löcherung im Kampf gegen den Terrorismus in jüngster Zeit.« Laut Katzberg, der als ehemaliger Strafankläger von New York die Mechanismen des US-Justizapparats kennt, wurden die Risse im Bankgeheimnis der Eidgenossenschaft ständig größer. »Eine Evolution ist im Gange, bei der das alte Modell der absoluten Geheimhaltung mehr und mehr zerfällt.«

Dass den Verantwortlichen die Weitsicht für diese Entwicklung fehlte, zeigte sich in dem Moment, als das Bankgeheimnis zerbrach und weitere Staaten zum Sturm auf die wehrlose Festung bliesen. Selbst in diesem historischen Umbruch fehlte es dem Finanz-Establishment am kritischen Blick für das eigene Tun. Die Bankiervereinigung, welche die Finanzpolitik der letzten Jahrzehnte fast im Alleingang bestimmt hatte, wurde von den Ereignissen überrollt. Statt eine eigene Strategie zur Transformation zu entwickeln, konnte sie nur noch die Entscheidungen der Landesregierung abnicken.

Zum »Last man standing« wurde das Enfant terrible des Schweizer Finanzplatzes, Privatbankier Konrad Hummler. Hummler verließ vor Jahren das Führungsgremium der Bankiervereinigung, weil er deren Mainstream-Politik im Einklang mit der Landesregierung nicht länger mittragen wollte. Als Mitbesitzer einer Bank, Wegelin & Co., hatte er einen Leistungsausweis, als Präsident der Privatbankenvereinigung die Gewissheit, dass seine Äußerungen Gehör fanden. Hummler, ein eloquenter Autor von Anlagekommentaren, galt als unbestechliche Instanz, als einer, der nicht wie die Topmanager der Großbanken von Gier getrieben war.

Aber selbst dieser kritische Geist suchte den Ursprung des raschen Niedergangs nicht vor der eigenen Haustür, sondern in den USA – getreu der Devise, bei Krisen ins Ausland zu zeigen. Sein im August 2009 erschienenes Traktat »Abschied von Amerika« rief zum Guerillakampf gegen den übermächtigen Gegner auf. Hummler geißelte die Doppelmoral der USA, die Steuerparadiese im Ausland attackierten, sie aber im eigenen Land duldeten, sprach von einer kriegerischen Nation, die sich mit fragwürdigen Regimes ins Bett legen würde, und zeichnete das Bild eines Staates, der zu viel konsumiere, zu wenig spare und Bildung, Infrastruktur und Gesundheitswesen vor die Hunde gehen lasse. Die moralisch und wirtschaftlich heruntergekommene Supermacht missbrauche ihr Machtmonopol und strecke ihre Steuerklauen auf der ganzen Welt aus. Der fiskalische Beutezug funktioniere nach derart undurchsichtigen Regeln, dass jederzeit und unbeabsichtigt die Grenze zur Illegalität überschritten werden könnte. Als Lösung für die kleine Bank Wegelin & Co. bleibe nur der radikale und vollständige Rückzug aus dem US-Finanzmarkt.

Mit seinem »An die Waffen!« sprach Oberst a. D. Hummler der gedemütigten Schweiz und ihren geprügelten Bankiers aus dem Herzen. Daran, dass die Vergangenheit den Finanzplatz eingeholt hatte, änderte sein Bashing selbstverständlich nichts. Eine lange und schmerzhafte Aufarbeitung begann, auch für sein eigenes Institut, das noch von US-Kunden profitierte, als diese die UBS fluchtartig verließen. Das Festhalten an einem nach ausländischen Maßstäben betrügerischen Modell dürfte besonders den Amerikanern sauer aufgestoßen sein. Trotzig erklärte Hummler dem Sonntagsblick, er meide die USA, da er keine Lust verspüre, »eine Nacht in einer Zelle am Kennedy Airport zu verbringen«.

Das waren nur noch Scharmützel. Die Amerikaner – wer sonst? – hatten das Tor zum Bankgeheimnis aufgestemmt, die Europäer eilten hinterher. Den Angegriffenen blieb nur, den totalen Frontzusammenbruch schönzureden. Die Aushändigung von 4450 Namen, mit dem der Bundesrat in seinem August-Deal gern gesehene US-Kunden über Nacht zu Betrügern stempelte, sei kein Präjudiz. »Die Beschränkung auf diesen Fall war uns eben [auch] ein wichtiges Anliegen«, beruhigte Bundespräsident Hans-Rudolf Merz in väterlichem Ton. »Am Ende brauchen wir keine Angst zu haben: Das wird eine UBS-Lösung sein.«

Außerhalb des kleinen Paradieses war das Fazit ein anderes. »Der Fall UBS ist vermutlich erst der Anfang«, sagte Alan Granwell von der Rechtskanzlei DLA Piper in Washington schon im Herbst 2009. »Jede Schweizer Bank, ja jede Finanzunternehmung, sollte eine Strategie entwickeln, wie sie ihre Vergangenheit möglichst bewältigen und die Zukunft gestalten will.« In den Augen von Granwell und anderen Beobachtern war die Schweizer Steuer-Haarspalterei zur teuren Altlast mutiert. Sie basierte auf der feinen Unterscheidung zwischen Hinterziehung, einer Unterlassungssünde, und Betrug, einem schweren Delikt. Bei Steuerhinterziehung mussten die Schweizer Banken den Finanzämtern im In- und Ausland keine Auskunft erteilen.

Hinzu kam das Verbot für Bankiers, Kundengeheimnisse zu verraten. Der Passus ging auf die Zwischenkriegszeit zurück, als die kleine Schweiz zum Geldmagneten im stürmischen Europa wurde. Ausländische Fahnder machten damals Jagd auf Schweizer Vermögensverwalter, um die Namen von Kunden herauszupressen, die ihr Vermögen ins Alpenreduit in Sicherheit bringen wollten. Um dem Treiben einen Riegel vorzuschieben und weltweit ein Zeichen als unangreifbares Bollwerk zu setzen, verabschiedete die Schweiz 1934 ein Bankengesetz, das jedem mit bis zu drei Jahren Gefängnis drohte, der »vorsätzlich ein Geheimnis offenbart« 8, das ihm aufgrund seiner Tätigkeit für eine Schweizer Bank bekannt sei.

Das Versprechen, die Kunden ewig vor ihrem Heimatstaat zu schützen, hatte das rohstoffarme Land in ein blühendes Paradies verwandelt. Gemäß einer Studie der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group lagen Ende 2008 28 Prozent oder gut 1800 Milliarden Dollar der rund 6700 Milliarden, die private Bürger außerhalb ihres eigenen Landes angelegt hatten, auf Schweizer Bankkonten. Auf diesen umgerechnet rund 2000 Milliarden Franken Offshore-Geldern erwirtschafteten die helvetischen Geldhäuser saftige Gewinne. Während inländische Kleinkundenanlagen im besten Fall ein halbes Prozent Ertrag pro Jahr abwarfen, war von reichen Auslandskunden mindestens das Doppelte zu erwarten, je nach Anlage in bankeigenen Fonds sogar noch mehr. Geschätzte 30 bis 40 Milliarden Franken pro Jahr dürften die Geldhäuser des führenden Finanz-Schweizparadieses dank ihrer Spezialität verdient haben, das übertraf den addierten Gesamtgewinn ihrer beiden Aushängeschilder UBS und Credit Suisse vor der großen Krise.

Mit über 1800 Milliarden Dollar ausländischem Vermögen war die Schweiz Ende 2008 das führende Offshore-Finanzzentrum. Quelle: Boston Consulting Group, Studie Global Wealth 2009.

Nach dem turbulenten Jahr 2009 fragten sich die Schweizer Bankiers bange, wie viel des verwalteten Schatzes durch die Attacken der hochverschuldeten Großmächte verloren gehen würde. Besonders schwarz malte Ivan Pictet, Partner der gleichnamigen Genfer Privatbank und Präsident der Stiftung Finanzplatz Genf. Auf die Frage eines Journalisten der Zeitung Le Temps, wie sich eine juristische Gleichstellung von Steuerhinterziehung und -betrug auswirken würde, antwortete Pictet: »Ohne diese Unterscheidung könnte es passieren, dass der Finanzplatz um fast die Hälfte schrumpft. Statt zwölf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beizusteuern, wären es dann nur noch sechs bis sieben Prozent.«9 Die von Pictet erwähnten zwölf Prozent umfassten den gesamten Finanzsektor inklusive Versicherungen und Pensionskassen. Bei einer jährlichen Wertschöpfung (Bruttoinlandsprodukt) von 540 Milliarden Franken rechnete er also mit einem Minus von rund 30 Milliarden, was den gesamten Einnahmen aus dem Offshore-Geschäft entspräche.

Am anderen Ende des Spektrums lag die Schätzung von Jacques Rossier von Lombard Odier Darier Hentsch. » [Pictets Schätzung] finde ich sehr übertrieben«, sagte der Bankier in der erwähnten Sendung des Schweizer Radios DRS. »Natürlich wird der Finanzplatz schrumpfen, und kleinere Institute werden absorbiert. Aber die Schrumpfung der Vermögen der Privatkundschaft dürfte sich in der Größenordnung von zehn Prozent bewegen.« Bezogen allein auf die ausländischen Privatvermögen entspräche dies 20 Prozent oder rund 400 Milliarden Franken Vermögensabfluss. Bei einer Bruttomarge von 1,5 Prozent käme man auf einen Rückgang der Wertschöpfung um sechs Milliarden. In der Mitte der Schätzungen lagen 18 Milliarden, das wären rund drei Prozent der Wertschöpfung des Landes, die der Schweiz durch das Ende des Bankgeheimnisses verloren gingen.

Als besondere Achillesferse könnte sich die Herkunft der Gelder erweisen. Gemäß der Boston-Studie stammten 55 Prozent oder über 1000 Milliarden Franken von Kunden aus Europa, hinzu kamen sieben Prozent von Amerikanern, von denen viele nach dem »Friedensvertrag« vom August 2009 ihr Vermögen fluchtartig aus der Schweiz abzogen. Es war kaum verwunderlich, dass als Nächstes die Nachbarn zum Halali bliesen. Frankreich hatte von einem ehemaligen Informatiker des Genfer Ablegers der englisch-asiatischen Großbank HSBC die Namen von 3000 Steuerpflichtigen mit insgesamt drei Milliarden Euro auf ausländischen Bankkonten ausgehändigt bekommen. Die Offensive der Regierung Sarkozy war eine Variante des erfolgreichen US-Vorstoßes: zuerst Daten sammeln, dann Kunden unter Androhung harter Bestrafung einschüchtern mit dem Ziel, möglichst viele säumige Steuerzahler zur freiwilligen Deklaration zu bewegen. Der lautstarke Protest des Schweizer Bundesrats, die Daten, die vom 37-jährigen Datenlieferanten Hervé Falciani stammten, dürften nicht zu Steuereintreibungszwecken verwendet werden, ließ die französischen Regierung ungerührt.

Die englischen Steuerbehörden wählten einen eigenen Weg: Sie gingen auf über 300 Finanzinstitute los und forderten die Daten aller Steuerpflichtigen mit Offshore-Vermögen. Besonders spektakulär war die Aktion der Italiener. Ihre Finanzpolizei stellte Überwachungskameras an der Grenze ins Tessin in der Südspitze der Schweiz auf, filmte dann die Nummern der passierenden Autos und führte schließlich Razzien in über 70 Filialen von Schweizer Banken durch. Die dabei erbeuteten Informationen sollten unter anderem mit Kontoinformationen von italienischen Bankkunden abgeglichen werden, die von einem verhafteten Tessiner Anwalt stammten, und wer als Steuerflüchtiger aufflog, wurde mit Namen und Kontostand in einer Zeitung an den Pranger gestellt. Finanzminister Giulio Tremonti sprach davon, den »Bankenplatz Lugano trockenzulegen«. Gleichzeitig offerierte er den Bürgern eine weitreichende Amnestie für vergangene Steuervergehen. Im Vergleich zu früheren Gnadenakten nutzten die Italiener diesmal ihre Chance. Rund 100 Milliarden Euro sollen nach Schätzungen der italienischen Nationalbank ins Land zurückgeflossen sein, davon knapp die Hälfte aus der Schweiz. Der Fiskus konnte dank des erfolgreichen »scudo fiscale«, der Steueramnestie, mit über fünf Milliarden Euro Zusatzeinnahmen rechnen und beschloss, ihn um vier Monate bis Frühjahr 2010 zu verlängern.

Zuckerbrot und Peitsche wählten auch die Deutschen. Nach den lauten Äußerungen Peer Steinbrücks hoffte die Schweizer Regierung auf sanftere Töne der neuen Regierung. Gemäß einer Studie des Schweizer Finanzbrokers Helvea vom Herbst 2009 hatten deutsche Bürger knapp 300 Milliarden Franken auf helvetischen Bankkonten angelegt. Aufgeschreckt durch die Absicht der deutschen Regierung, Tausende gestohlener Daten von Steuerdelinquenten zu erwerben und zu verwenden, stürzten sich die Betroffenen im Februar 2010 wie Lemminge in die Selbstanzeige. Würde dadurch ein substanzieller Vermögensteil zurückfließen, gingen dem Schweizer Finanzplatz erhebliche Mittel verloren. Ob das Loch durch Anlagen von Vermögenden aus Russland, dem arabischen Raum, Fernost und Lateinamerika gestopft werden könnte, war ungewiss.

Worum es allen ausländischen Regierungen ging, war längst klar: erstens Steuersubstrat zurückholen, zweitens im Ausland angelegte Vermögen ins eigene Land bringen, um die gigantische Verschuldung zu finanzieren.

Mit 280 Milliarden Franken lagerte einer neuen Studie zufolge am meisten Geld aus Deutschland auf Schweizer Bankkonten. Besonders viele unversteuerte Vermögen stammten auch aus Italien, Frankreich, England und Spanien. Quelle: Helvea, 2009.

Der Schweizer Altlast nahm sich Peter Siegenthaler an, Chef der eidgenössischen Finanzverwaltung und Leiter einer im Frühjahr 2009 eingesetzten Strategiegruppe, die für den Schweizer Finanzplatz einen Weg in die Zukunft suchte. Wie sollten die Schweizer Banken ihre ausländischen Kunden in die Steuerlegalität begleiten?, lautete eine der Kernfragen der Gruppe. »Der steuerliche Kern, der während Jahrzehnten zu unserem Bankgeheimnis gehörte, war für Steuerpflichtige im Ausland plötzlich in Frage gestellt«, sagte Siegenthaler. »Das ist ein derart abrupter Gezeitenwechsel, der ein einzelnes Institut überfordert. Es braucht eine Branchenlösung.« Zentral sei, dass die Schweizer Banken jene Ausländer, die keine Offenlegung wünschten, nicht preisgeben würden. »Das wäre ein Verrat an den bisherigen Kunden«, sagte Siegenthaler in Anlehnung an Privatbankier Hummler. »Im Gegenzug müssen die Banken freiwillig auf neues unversteuertes Geld verzichten. Nur so erhalten sie vom Ausland die Chance, ihre Vergangenheit selber aufzuarbeiten.«

Siegenthalers Äußerungen und die aggressiven Vorstöße des Auslands machten klar, dass die fetten Jahre für die Schweizer Banken vorbei waren. Notgedrungen mussten sie akzeptieren, was in den Großstaaten Mehrheitsmeinung ist: Steuerhinterzieher gelten als Parasiten, die sich zu Lasten der Gemeinschaft bereichern. Ihr egoistisches Verhalten erhöht die Kosten, welche die übrigen Bürger für Straßen, Soziales, Bildung und anderes aufzubringen haben. Besonders in den USA ist Steuerumgehung kein Gentlemandelikt. Von der Boston Teaparty gegen den britischen Steuervogt im 18. Jahrhundert bis zur Reichensteuer der Regierung Obama in der heutigen Zeit zieht sich das Thema durch die Geschichte, und wer wissentlich und willentlich seinen Obolus umgeht, muss mit bis zu fünf Jahren Gefängnis rechnen. Für die USA gibt es nicht »leichte« Hinterziehung oder »schweren« Betrug, für beides gilt: It’s a crime.

Wäre das schweizerische und amerikanische Rechtsverständnis nicht derart verschieden, hätte der Konflikt zwischen den beiden Staaten um die Großbank UBS einen glimpflicheren Ausgang genommen. Denn besäßen die Bürger des kleinen Bankenlandes die gleiche Steuermentalität, dann hätten ihre Bankiers die Lücken im US-Gesetzesdschungel wohl nicht genutzt. Ein auf Steuerdelikten basierendes Geschäftsmodell wäre für die UBS, die Credit Suisse und die übrigen Schweizer Banken kein erfolgversprechender Weg gewesen. Doch die Einsicht, dass man mit seinem Tun anderen Staaten und deren Bürgern Mittel entzieht, fehlte. Nicht nur bei der UBS, dort aber ausgeprägt. Als größte Schweizer Bank hatte sie ein besonders aggressives Steuerhinterziehungsmodell betrieben. Das explosive Gemisch von Größe und Aggressivität brachte 2009 das Bankgeheimnis mit einem lauten Knall zum Ende, statt dass die Ära wie von vielen erhofft langsam und schmerzlos ausgelaufen wäre. Als Resultat blieb ein Lehrstück für ein reiches Land, das sich für schwierigere Zeiten wappnen musste.

EINS     1932

LANG LEBE

DAS BAAKGEHEIMNIS!

An der Zürcher Bahnhofstraße 44, auf halber Strecke vom Hauptbahnhof Richtung See, taucht auf der linken Straßenseite ein kleiner Schmuck- und Juwelierladen auf. Sein Name ist Programm: Les Millionaires – Zürich, Monte Carlo. Im Schaufenster glitzern diamantene Fingerringe und wuchtige Goldkreationen, die Preisspanne reicht von erschwinglich bis nach oben offen. Dass sich das Minigeschäft den hohen Mietpreis dieser Lage leisten kann, hat mit den vielen Millionären zu tun, die hier verkehren und denen das Geld locker in der Tasche sitzt. Sie stammen häufig aus dem Ausland, halten einen Teil ihres Vermögens auf einem Schweizer Bankkonto vor dem Zugriff ihres Steueramts versteckt und besuchen einmal jährlich ihren Zürcher Bankier, um über Finanzielles und Privates zu sprechen. Anschließend bleiben sie ein paar Tage im Land, besuchen Touristenorte in Luzern oder im Berner Oberland, übernachten in teuren Hotels und kaufen Geschenke für die Liebsten in der Heimat ein.

Ohne ausländische Millionäre und Milliardäre würde es an der Zürcher Bahnhofstraße wohl keine Bijouterie Les Millionaires, keinen Hermès und keinen Orientteppichladen geben. Die physische Nähe zu den Banken und deren reicher, spendierfreudiger Klientel ist das Businessmodell der Luxusboutiquen. Vom Les Millionaires über die Straßenbahngleise gelangt man zu Nummer 45, dem Hauptsitz der schweizerischen Großbank UBS. Der rechteckige Steinbau wirkt einladend mit seinem hellen Mauerwerk und den herausgehauenen Figuren an der Frontseite, graue Bildschirme zeigen das ständige Auf und Ab an den Weltmärkten und brechen die klassische Eleganz des Gebäudes.