Parker - Just a very good friend - Eva Lucia Bolsani - E-Book

Parker - Just a very good friend E-Book

Eva Lucia Bolsani

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Beschreibung

Wie viele Geheimnisse verträgt eine Freundschaft? Als Parker nach Maple Meadows kommt, erwartet ihn eine Menge Gegenwind. Denn vom möglichen Bau eines Luxusresorts am Serenity Lake sind die Bewohner des kleinen Städtchens alles andere als begeistert. Unglücklicherweise ist Parker im Auftrag des Unternehmens nach Colorado gereist, das die Hotelanlage an dem idyllischen See plant. Durch eine Autopanne lernt Parker den Mechaniker Leon kennen, einen der wenigen Sympathisanten des Bauprojekts. Zwischen den beiden ungleichen Männern entwickelt sich eine zaghafte Freundschaft. Für seinen Besuch in Maple Meadows hat Parker allerdings auch einen privaten Grund, den er seinem neuen Freund verschweigt. Doch Leon verbirgt ebenfalls etwas. Er hat in der Vergangenheit schlimme Fehler gemacht, mit deren Folgen er immer noch zu kämpfen hat. Kann er das wiedergutmachen und schaffen es die beiden Männer ihre Freundschaft zu retten – oder ist da sogar noch mehr? »Just a very good Friend« ist eine Slow-Burn-Liebesgeschichte aus einer entzückenden Kleinstadt in Colorado, mit Age Gap, Bi Awakening und natürlich einem wohlverdienten Happy End. Die Geschichte ist in sich abgeschlossen, für einen größeren Lesespaß wird jedoch empfohlen, mit »River – Just an innocent kiss« zu beginnen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Eva Lucia Bolsani

Parker

Just a very good friend

Smalltown Gay Romance

Covergestaltung: Eva Lucia Bolsani, Bildrechte Umschlagillustration vermittelt durch Shutterstock LLC www.shutterstock.com; iStock www.istockphoto.com

Kapitelzierden: Eva Lucia Bolsani unter Verwendung von Motiven von www.canva.com

Korrektorat: Dominique Daniel www.korrektorat-rechtschreibretter.de

Bei allen Figuren handelt es sich um erfundene Charaktere. Sollte es Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen geben, wären sie rein zufällig. Sofern Namen real existierender Personen und Orte verwendet werden, geschieht dies in einem rein fiktiven Zusammenhang. Die in diesem Buch verwendeten eingetragenen Warenzeichen sind geistiges Eigentum ihrer jeweiligen Inhaber. Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Covermodels aus.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

© 2024 Eva Lucia Bolsani

San Francisco, Duboce Triangle

»Das war oberaffengeil!«

Oberaffengeil? Beinahe hätte sich Parker an seinem Mineralwasser verschluckt. Hastig stellte er die Flasche ab und schnappte nach Luft. Zum Glück, denn Kieran setzte gleich noch einen drauf: »Du bist echt der Megahammer!«

Ja, sie hatten ziemlich guten Sex gehabt. Die Kommunikation hatten sie dabei auf lustvolles Stöhnen und ein gelegentliches »Fühlt sich das gut an?« beschränkt – eine kluge Entscheidung. Kieran schien ganz in Ordnung zu sein, außerdem war er ein Bär von einem Mann und somit genau Parkers Typ. Aber Parker konnte sich nicht vorstellen, sich jemals an seinen krampfhaft jugendlichen und in Wahrheit längst veralteten Jargon gewöhnen zu können.

Zum Glück hatten sie sich bereits im Vorfeld darauf geeinigt, dass es eine einmalige Sache war. Also sagte Parker nichts und gab Kieran einen kurzen Kuss. Eigentlich sollte das die Einleitung zu der Frage werden, ob Kieran noch duschen wollte, bevor er wieder ging. Aber der hatte offenbar andere Pläne, erwiderte den Kuss begeistert, ließ sich dann selig lächelnd zurück in die Kissen fallen, schloss die Augen und – zack! – schlief er einfach ein!

Mit einer Mischung aus Verärgerung und Amüsement betrachtete Parker den Mann, der da wie selbstverständlich in seinem Bett lag und friedlich schlummerte. Nun gut, er würde jetzt kein Arschloch sein und den Kerl hinauswerfen. Wenn Kieran anfing zu schnarchen, konnte er immer noch ins Gästezimmer umziehen.

Obwohl sich Kierans Schlaf als nahezu lautlos herausstellte, fand Parker keine Ruhe. Er stand auf, schlüpfte in seinen Morgenmantel und schenkte sich im Wohnzimmer einen Whiskey ein. Das Glas in der Hand starrte Parker aus dem Fenster auf das funkelnde Lichtermeer von San Francisco.

Bevor er am Abend in einer Bar über Kieran gestolpert war, hatte sich Parker mit seinem Chef Alexander und dessen Ehemann Vince zum Dinner im Bistro L’Ardoise getroffen. Es hatte wahrlich einen guten Grund zum Feiern gegeben! Vince hatte an diesem Tag einen Termin beim Onkologen gehabt und erfahren, dass die Therapie, die ihm seit Monaten zusetzte, erfolgreich verlaufen war. Keine neuen Krebszellen waren gefunden worden.

Parker hatte sich selten so gefreut. Er arbeitete seit 20 Jahren für Eden Retreats, und längst war Alexander mehr als nur sein Boss. Er war Parkers Mentor, sein Freund … und vor langer Zeit war Parker auch mal ziemlich verknallt in Alexander gewesen.

Was Alexander elegant ignoriert hatte, und heute war Parker froh darüber. Vor drei Jahren hatte Alexander dann den Maler Vince getroffen und war sesshaft geworden. Sesshaft und glücklich, und Parker war unendlich erleichtert, weil dieses Glück nicht länger in Gefahr war.

Schaute er deshalb mitten in der Nacht auf die beleuchteten Straßen, die sich wie glitzernde Adern durch die Stadt zogen, den rauchigen Geschmack des Whiskeys auf der Zunge, und grübelte? Wollte er ebenfalls erleben, was Alexander und Vince hatten? Parker stand kurz vor seinem 40. Geburtstag, vielleicht war das so eine Art Midlife-Crisis?

Eigentlich unvorstellbar. Sein Leben war perfekt, so wie es war. Parkers Priorität war sein Job als Vice President of Project Development, aber er hatte durchaus Beziehungen, die länger dauerten als eine Nacht. Jene Art von Beziehungen, bei denen man seine Gewohnheiten, seine Arbeit und erst recht seine Wohnung nicht aufgeben musste. In San Francisco gab es mehr als genug Männer, denen es ähnlich ging. Die ihre Freizeit aber ebenfalls ungern allein verbrachten und die auch nicht jedes Mal durch die Clubs ziehen wollten, wenn sie Lust auf Sex hatten.

Nein, es war wirklich alles gut.

Parkers Gedanken wanderten zurück an seinen Arbeitsplatz. Alexander plante ein neues Luxusresort in Colorado, und Parker hatte seine Mitarbeiterin Lissy angewiesen, sich nach möglichen Standorten dafür umzusehen. Heute hatte sie ihm einige Orte präsentiert, die infrage kommen würden.

Lissy hatte gute Arbeit geleistet, das war also nicht der Grund, weshalb Parker das Gespräch immer noch beschäftigte. Es lag an einem der Orte, den sie ihm vorgestellt hatte.

Maple Meadows.

Bei dem Namen hatte gleich etwas bei ihm geklingelt, und er glaubte, ein hübsches junges Gesicht, umrahmt von kastanienbraunen Locken, vor sich zu sehen.

Hope. Hope Barnes.

Die einzige Frau, mit der er jemals intim geworden war. Wie lange hatte er nicht mehr an Hope gedacht? Er sollte sich schämen!

Seine Begegnung mit Hope war allerdings ewig her. Der Junge, der Parker damals gewesen war, war ihm fremd geworden. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hatte er direkt nach der Highschool sein Elternhaus in Tombstone nach einem scheußlichen Streit verlassen. Ebenso wütend wie verwirrt trampte er damals ein wenig planlos durch die USA.

In Colorado stieg er schließlich zu Hope ins Auto. Sie hatten sofort einen Draht zueinander, lachten viel miteinander, und Hope erzählte ihm von ihren Plänen. Davon, wie unschlüssig sie war, ob sie einen Buchladen in Maple Meadows übernehmen oder als Wanderführerin um die Welt reisen sollte. Vielleicht mochten sie sich deshalb so sehr, beide waren sie noch auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens.

Nachdem sie den Nachmittag an einem Fluss namens Cedar Creek verbracht hatten, war Parker weitergezogen. Wahrscheinlich hatte Hope ihn schnell vergessen.

Ihn hatte seine Reise damals an den Lake Tahoe geführt, wo er einen Job an der Rezeption des Eden Retreats Tahoe Vista ergatterte. Des Umherziehens langsam überdrüssig, rief Parker Hope an, um ihr zu sagen, dass er zum ersten Mal seit Monaten eine feste Adresse hatte. Insgeheim hegte er die Hoffnung, sie könnten Freunde sein, selbst über die Entfernung hinweg. Doch das Telefongespräch verlief anders, als Parker es sich vorstellte. Hope war schroff und abweisend, sagte nur, sie sei auf dem Sprung … wohin, verriet sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie gerade die Entscheidung gegen den Buchladen und für die Arbeit als Wanderführerin gefällt, auch wenn er nicht verstand, wieso sie das nicht einfach sagte. Parker war ein wenig enttäuscht gewesen, hatte die Idee, in Kontakt zu bleiben, dann aber einfach abgehakt.

Dennoch hatte er sie nie ganz vergessen, und Lissys Präsentation an diesem Nachmittag hatte in ihm den Wunsch geweckt, sie wiederzusehen. Egal, ob ein neues Resort von Eden Retreats in Maple Meadows entstehen würde oder nicht, Alexander war fest entschlossen, ein Luxusresort in Colorado zu eröffnen. Was auch bedeutete, dass Parker in ein paar Monaten in diesem Bundesstaat unterwegs sein würde, vielleicht sogar in Hopes Heimat Maple Meadows. Was sprach dagegen, dies zum Anlass zu nehmen, einen Freundschaftsbesuch zu machen?

Wie Hope jetzt wohl aussah? Er selbst hatte vor Kurzem ein paar silberne Strähnen in seinem dunklen Haar entdeckt, ob es ihr ähnlich ging? War sie überhaupt nach Maple Meadows zurückgekehrt oder reiste sie bis heute um die Welt? Würde sie sich an ihn erinnern? Würde sie sich freuen oder käme ein Besuch ungelegen?

Kurz entschlossen holte Parker seinen Laptop und setzte sich damit auf sein weißes Ledersofa. Seine Patentochter lachte ihn regelmäßig aus, weil er immer noch einen Account bei Facebook hatte. »Das ist nur was für Oldies!«, behauptete sie. Na ja, er war ja auch ein Oldie, und Hope war zudem ein paar Jahre älter als er. Gut möglich, dass sie also ebenfalls angemeldet war.

Leider ergab seine Suche nichts. Mehrere Bewohner der Kleinstadt Maple Meadows wurden ihm stattdessen vorgeschlagen, doch die kannte Parker natürlich nicht.

Moment … da war etwas. River Barnes. Vielleicht war das ihr Mann? Neugierig klickte Parker das Profil an.

Hopes Ehemann war das eher nicht. Das Profilbild zeigte einen sehr jungen Kerl, dessen Gesicht halb von einer Regenbogenflagge verdeckt wurde.

Hm. War das vielleicht ihr Sohn? Oder ein Neffe?

Parker scrollte nach unten.

Zwischenprüfung am Community College bestanden!, lautete eine Bildunterschrift unter einem Foto.

Der Text interessierte Parker allerdings nicht besonders, ebenso wenig der ältere Mann, der seinen Arm um den Studenten gelegt hatte und mit diesem um die Wette grinste. Parker starrte River an. Lange.

Schließlich erhob er sich, ging wie ferngesteuert in sein Büro und nahm ein Bild vom Regal. Es zeigte Parker an einem Tag vor vielen Jahren, als er sein berufsbegleitendes Studium erfolgreich beendet hatte. Alexander stand neben ihm und sein Gesichtsausdruck sagte deutlich: Habe ich es doch gewusst, der Junge hat es drauf.

Wie in Trance ging Parker zurück ins Wohnzimmer, setzte sich wieder. Seine Hand zitterte, während er das alte Foto vor den Bildschirm legte, auf dem immer noch das Bild von River Barnes zu sehen war.

Sie könnten Zwillinge sein.

Es gab bestimmt tausend gute Erklärungen dafür, wieso es da in Colorado einen Mann gab, der aussah wie Parker vor 20 Jahren. Der lachte wie Parker. Der sein Zeugnis mit der gleichen Geste in die Kamera hielt.

Tausend gute Erklärungen … aber nur eine ergab Sinn.

Parker scrollte nach unten. River Barnes machte kein Geheimnis aus seinem Geburtsdatum.

Und Parker war gut im Kopfrechnen.

Einen Tag nach dem Highschoolabschluss hatte er herausgefunden, dass sein eigener Vater ihn bestohlen hatte. Hals über Kopf verschwand er noch in derselben Nacht aus seiner Heimatstadt Tombstone. Zwei Tage später führte Parkers Reise ihn nach Colorado. Wo er an einer Tankstelle in Hopes hellblaue Rostlaube eingestieg.

Auf den Tag genau neun Monate danach wurde im Memorial Hospital in Oakeridge ein Junge namens River Barnes geboren.

Parker hatte einen Sohn. Und er hatte es auf die beschissenste Weise herausgefunden, die er sich nur vorstellen konnte.

Maple Meadows, sechs Wochen später

Leon rannte.

Äste schlugen ihm ins Gesicht und ein Busch mit fiesen Dornen zerkratzte ihm die Arme. Egal. Immer noch besser, als sich auf den breiten Wegen des Stadtparks durch die lachenden und schwatzenden Besucher des Eichhörnchenfestes zu drängen. Leon keuchte, stürmte jedoch unverdrossen weiter, verfolgt von Elvis Presleys säuselndem: »Aber ich kann nicht anders, als mich in dich zu verlieben.«

Es war natürlich nicht der King höchstpersönlich, der da reichlich viele falsche Töne ins Mikrofon schluchzte, sondern Rick. Rick, der normalerweise an der Kasse des kleinen Supermarktes von Maple Meadows saß. Der sich extra für das Eichhörnchenfest eine Elvistolle hinfrisiert und seinen Wanst in einen weißen, glänzenden Anzug mit aufgeklebten Pailletten gequetscht hatte.

Somit sah Rick zumindest aus wie Elvis, wie ein Elvis in seinen letzten Jahren, dachte Leon böse. Am liebsten wäre er umgedreht, um Rick das zu sagen. Dabei war Rick eigentlich ganz okay. Aber alle waren so scheißglücklich heute, alle außer Leon, und vielleicht würde er sich ein wenig besser fühlen, wenn er versuchte, irgendjemand das alberne Grinsen aus dem Gesicht zu wischen.

War es wirklich erst zwei Wochen her, als er voller Vorfreude auf Tristans Ankunft gewartet hatte? Leon hatte laut gejubelt, nachdem er die Nachricht gelesen hatte, dass sein bester Freund ganze vier Wochen in Maple Meadows bleiben wollte. Sein ehemals bester Freund musste es jetzt wohl heißen. Das hatte Leon damals allerdings nicht geahnt. Er hatte gehofft, die Kluft zwischen Tristan und ihm, die nach der Highschool entstanden war, wäre nur Einbildung, und alles würde wieder wie früher, wenn sein Freund erst hier wäre.

Leon verlangsamte sein Tempo. Armselig wie er war, hatte er sofort eifrig Pläne geschmiedet. Den neuen Club in Oakeridge wollte er Tristan zeigen, wollte zum hundertsten Mal versuchen, ihn beim Billard zu schlagen und stundenlang Street Fighter mit ihm zocken. Am Wochenende hätten sie zum Cedar Creek zum Schwimmen rausfahren oder das Spiel der Highschool-Footballmannschaft anschauen und in alten Zeiten schwelgen können. Alles Dinge, von denen Leon gehofft hatte, sie würden Tristan Spaß machen. Denn Spaß schien sein bester Freund – sein ehemals bester Freund – in Denver, wo er studierte, recht wenig zu haben.

Wie ein kleines Kind auf Weihnachten hatte sich Leon darauf gefreut. Hatte die Stunden gezählt, bis Tristan ankommen würde. Endlich würden sie mal wieder richtig viel Zeit zum Quatschen haben. Tristan wusste bislang nicht mal, dass Leon vom College geflogen war.

Noch so eine Scheiße. Kam es ihm nur so vor, oder klebte das Pech derzeit an ihm wie Kaugummi unter einem Schuh? Leon beschleunigte seine Schritte. Denn eigentlich wollte er an diesen verflixten Vorfall am College gar nicht mehr denken. Und an Tristan auch nicht.

Aber so richtig funktionierte das nicht.

Als Tristan endlich hier gewesen war, hatte Leon ihn natürlich sofort besucht. So wie früher. Doch Tristan war schrecklich blass gewesen, hatte gesagt, er sei furchtbar müde und zu allem Überfluss habe ihn sein Vater zu einer Wanderung verdonnert, zur Erholung.

Leon hatte seine Enttäuschung runtergeschluckt und einmal mehr darauf verzichtet, Tristan damit zu be­helligen, was am College passiert war, und wieso er jetzt in der Werkstatt seines Großonkels Will arbeitete, anstatt zu studieren. »Kein Ding, wir machen was zusammen, wenn du wieder da bist«, hatte er behauptet und sich bald verabschiedet.

Als Tristan von der Wanderung zurückgekommen war, hatte er zwar besser ausgesehen, aber für Leon hatte er erneut keine Zeit gehabt, hatte nur an sich und seine Probleme gedacht.

Leon ballte die Hände zu Fäusten. Er hatte alles versucht, um seinen besten Freund zurückzubekommen. Vergeblich. Tristan hatte sich für River entschieden.

Es war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, als Tristan River vorhin vor aller Augen zum Tanz aufgefordert hatte. So etwas war ja noch nie dagewesen! Zwei Männer, die zusammen auf dem Eichhörnchenfest tanzten.

Aber das war längst nicht alles. Das war auch der Augenblick gewesen, an dem Leon klar wurde, dass er Tristan endgültig verloren hatte. Wieder einmal stand er allein da. Im Abseits.

Leon schluckte mühsam und blinzelte heftig.

Moment mal, was passierte hier? Er fing doch nicht etwa an, zu flennen? Ging ja gar nicht! Richtige Männer heulen nicht!, erinnerte er sich selbst und zwickte sich schmerzhaft in den Arm, um es bestimmt nicht gleich wieder zu vergessen.

Überhaupt, die ganze Sache war es doch nicht wert, so viele Gedanken daran zu verschwenden. Sollte Tristan doch tun und lassen, was er wollte, ging ihn doch nichts mehr an! Hatte sich Tristan in den vergangenen Monaten vielleicht ein einziges Mal danach erkundigt, wie es Leon ging? Nein! Immer war es Leon gewesen, der ihn angerufen hatte, und immer Tristan, der das Gespräch schnell beenden wollte. Diese sogenannte Freundschaft war ein Witz, und zwar ein verdammt schlechter. Ab sofort war Tristan für ihn gestorben, aber nicht so wie seine Mom, sondern wie ausgelöscht. Genau!

Leon straffte die Schultern und lief weiter. Vor lauter Grübeln hatte er gar nicht auf den Weg geachtet, wollte nur so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Eichhörnchenfest bringen. Jetzt merkte er, dass er schon fast an der Autowerkstatt seines Großonkels angekommen war. Auch recht. Will hatte sicher ein paar Bierchen im Kühlschrank. Solange das Stadtfest noch in vollem Gange war, würde Will die kaum vermissen. Bis Montag konnte er den Vorrat ja wieder auffüllen. Er könnte es sich mit einem Sixpack auf der Bank hinter der Werkstatt gemütlich machen. Das war doch endlich mal ein guter Plan.

Leon schloss die Werkstatt auf, durchquerte die Arbeitshalle und betrat das kleine, staubige Büro. Auf dem Weg zu der windschiefen Küchenzeile in der hinteren Ecke kam er aber nicht umhin, einen Blick in den fleckigen Spiegel über dem Waschbecken zu werfen. Ein rothaariger Kerl mit Sommersprossen starrte ihn an, der Mund ein schmaler Strich, die Augen ein wenig gerötet.

»Versager«, sagte Leon verächtlich und wandte sich ab.

San Francisco, Monterey Heights

»Willst du an der Terrassentür Wurzeln schlagen, oder setzt du dich zu mir?«

Parker seufzte. Natürlich hatte Alexander seine Anwesenheit längst bemerkt, auch wenn sein Chef scheinbar gedankenverloren auf den Lake Merced schaute, während er einen karamellfarbenen Cognac in einem Schwenker kreisen ließ.

»Du hast meinen Reisekostenantrag bewilligt«, sagte Parker anstelle einer Begrüßung und trat hinaus.

»Weil ich davon ausgegangen bin, dass du ihn deshalb gestellt hast.« Alexander hob den Kopf. »Sollte ich in dein Büro stürmen und dich erbost fragen, warum mein Vice President of Project Development plötzlich selbst Standortbesichtigungen durchführt? Dann hättest du das dazuschreiben sollen.«

Parker seufzte erneut. Das hatte er tatsächlich angenommen. Aber Alexander ließ sich natürlich nicht manipulieren, auch von ihm nicht.

»Jetzt steh da nicht herum wie ein Schuljunge, der die Hausaufgaben nicht gemacht hat. Setz dich«, grummelte Alexander.

Parker gehorchte. »Ich habe einen Sohn«, sagte er. Hatte ja keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden, schließlich war er extra nach Monterey Heights rausgefahren, um seinem Freund davon zu erzählen.

Schon öfter hatte sich Parker gefragt, ob es auf dieser Welt wohl etwas gab, was Alexander überraschen konnte. Offenbar hatte er es soeben herausgefunden.

»Wie bitte?!«

»Ich bin mir ziemlich sicher«, schwächte Parker die Aussage ein wenig ab, schließlich wusste er immer noch nicht mehr über den Jungen, als das, was dieser auf seinem Facebook-Account geteilt hatte.

Leise trat Vince zu ihnen und stellte Parker einen Cognac hin. »Soll ich dir nachschenken, Liebling?«, fragte er Alexander. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«

»Nein danke, Vince. Ich glaube, für dieses Gespräch sollte ich so nüchtern sein wie möglich.«

Vince nickte leicht und wandte sich ab.

»Bitte, bleib«, hielt Parker ihn zurück. »Ich habe keine Geheimnisse vor dir.«

Alexander bedachte ihn mit einem sichtlich erfreuten Lächeln. Insgeheim beglückwünschte sich Parker, weil er Vince einbezog und nicht etwa auf einem Gespräch unter vier Augen bestand. Alexander würde seinem Partner sowieso alles erzählen.

»Er hat einen Sohn«, erklärte Alexander seinem Mann auch gleich.

»Vielleicht«, murmelte Parker. »Er lebt in Maple Meadows.«

»Du schuldest mir 100 Dollar, Alex«, stellte Vince fest.

»Falsch«, korrigierte der, »du hast gesagt, es steckt bestimmt ein Verflossener dahinter. Ganz offenbar ist es aber eine Verflossene. Ich schulde dir also gar nichts.«

»Ihr habt darum gewettet, weshalb ich nach Maple Meadows fahren will?«, warf Parker fassungslos ein.

»Sehe ich aus, als ließe ich mich zu solchen Albernheiten hinreißen?«, fragte Alexander. »Das überlasse ich schön Vince. Ich brauchte nicht zu wetten. Ich war mir sicher, du kommst her und sagst mir, was dahintersteckt, bevor du dich auf den Weg machst.«

Parker schluckte. »Tut mir leid …«

Alexander unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung. »Manche Dinge muss man erst mal mit sich selbst klären. Erzähl lieber.«

Also erzählte Parker. Alexander wusste natürlich, weshalb er damals von zu Hause abgehauen war, mit nicht mehr als 200 Dollar in der Tasche. Aber nicht alles, was er erlebt hatte, bevor er seinen ersten Job im Eden Retreats Tahoe Vista bekommen hatte, hatte Parker ihm anvertraut. Auch über den Nachmittag mit Hope am Cedar Creek hatte er noch nie gesprochen.

»Ich habe sie angerufen«, verteidigte sich Parker, obwohl ihm gar niemand vorgeworfen hatte, er habe ungeschützten Sex mit einer Frau gehabt und sei dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden. »Aber sie wollte offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich habe ihr erzählt, wo ich arbeite, wenn sie also gewollt hätte, sie hätte mich jederzeit gefunden.« Parker fuhr sich mit den Händen durch das Haar. »Verdammt, ich verdiene gut. Ich hätte doch … Keine Ahnung, was so ein Junge alles braucht, aber ich hätte ihr wenigstens finanziell unter die Arme greifen können. Ich verstehe nicht, wieso sie das nie gefordert hat.«

Alexander wiegte nachdenklich den Kopf. »Dann hättest du im Gegenzug ebenfalls Forderung stellen können. Zum Beispiel, dass du am Leben des Jungen teilhaben willst. Möglicherweise wollte sie das nicht.«

»Vielleicht bist du auch gar nicht der Vater«, wandte Vince vorsichtig ein.

Parker holte sein Handy heraus. Bereits vor sechs Wochen hatte er das Bild heruntergeladen, das River auf Facebook geteilt hatte. Hundertmal musste er es seitdem aufgerufen haben.

»Oh«, sagte Vince.

»Bisschen viele Zufälle, oder?«, meinte Parker.

Vince räusperte sich. »Vielleicht gibt es auch einen Mann im Leben der Mutter, der sich für den Vater hält? Mit dem sie zusammen ist, und dem sie nicht gestehen wollte, dass sie mit einem anderen geschlafen hat?«

»Ziemlich viele Vielleichts«, stellte Alexander nüchtern fest. »Ich nehme an, deswegen wolltest du hinfahren und dir den Jungen und seine Familienverhältnisse mal anschauen?«

Parker nickte. Bis vor einer Stunde hatte er es für einen tollen Plan gehalten, aber nun, Angesicht zu Angesicht mit seinem Chef, war er sich nicht mehr so sicher.

»Wir werden uns nicht auf Maple Meadows einschießen!«, sagte Alexander prompt, den Blick fest und unnachgiebig auf Parker gerichtet. »Lissy wird den Job erledigen, für den sie bezahlt wird, und sich sowohl Crystal Lake Springs, Whispering Pines Creek und Maple Meadows ansehen.«

»Aber –«

Alexander unterbrach ihn sofort. »Natürlich lasse ich dich nach Colorado reisen, was denkst du denn? Und wenn du nicht einfach Urlaub nehmen, sondern Lissy Arbeit abnehmen und eine Ausrede haben willst, warum du dich da aufhältst und herumschnüffelst, von mir aus. Aber wir werden da kein ganzes Resort hinstellen, wenn es woanders besser aufgehoben wäre, nur damit du deine neu entdeckten väterlichen Gefühle ausleben kannst.« Er hielt kurz inne. »Sag mal, dieser junge Mann … River … der ist nicht zufällig arbeitslos?«

»Er studiert Tourismus- und Eventmanagement am Community College in Oakeridge«, gab Parker ein wenig kleinlaut zu. Sein Freund runzelte die Stirn, und Parker warf die Arme hoch. »Himmel, Alexander, ich würde doch niemals darauf drängen, jemand einzustellen, der nicht für den Job geeignet ist!«, erklärte er. »Aber ich dachte … wenn ich sonst schon zu nicht viel nütze war … Aber vielleicht braucht der Junge einfach eine Chance. So wie du damals einem jungen Kerl mit nicht viel mehr als einem Highschoolabschluss eine Chance gegeben hast.« Er sah Alexander flehend an.

Dessen Miene wurde sofort weicher. »Ach Parker. Du schuldest mir gar nichts, ich dachte, das wüsstest du. Ist das der Grund, weswegen du nicht zu mir kommst, wenn dich etwas bedrückt?«

Das wäre Parker in der Tat niemals in den Sinn gekommen.

»Für jemand, der so viele Talente hat, kannst du manchmal ein ziemlicher Holzkopf sein«, sagte Alexander kopfschüttelnd. »Fahr nach Colorado. Bleib, so lange du magst. Und ruf mich um Gottes willen an, wenn dir irgendwas Sorgen macht.«

Vince drückte Parkers Arm und nickte.

Alexander hatte recht, er war ein Holzkopf. Was auch immer die Reise bringen würde, er war nicht allein damit. Weil er Freunde hatte.

Parker würde es nicht noch einmal vergessen.

Maple Meadows

Leon plumpste auf die altersschwache Bank hinter der Werkstatt und öffnete das zweite Bier. Das erste hatte seine Laune leider nicht heben können. Er versuchte, nicht an Tristan und River zu denken. Sein Blick wanderte über die Autos auf Wills Hof, doch die munterten ihn ebenfalls nicht auf. Seine Zukunft bestand aus einer endlosen Reihe langweiliger Familienkutschen, die möglichst kostengünstig repariert werden mussten.

Aber was sollte er sonst tun? Dad hatte ihm keine Vorwürfe wegen der Sache am College gemacht und auch das Geld für Leons Ausbildung nicht erwähnt. Doch er hatte ebenfalls keinen Zweifel daran gelassen, dass er nicht akzeptieren würde, wenn Leon nur auf der faulen Haut läge, und bot ihm direkt zwei Optionen an: in den Holzhandel ihrer Familie einzusteigen, wie schon seine beiden großen Brüder, oder bei Will in der Werkstatt anzufangen.

Leon hatte nicht lange überlegen müssen, obwohl er eigentlich davon träumte, in einem modernen Büro zu sitzen, zusammen mit anderen Ingenieuren, und an neuen Antriebstechnologien oder innovativen Designs zu arbeiten. Er starrte auf seine Hände. Er hatte sie vor dem Fest ewig geschrubbt, doch er konnte weiterhin den Schmutz und das Öl aus der Werkstatt daran erkennen. Leon hasste es! Alles nur wegen dieser dummen Schlägerei, die eigentlich gar nicht seine Schuld gewesen war. Der andere hatte angefangen!

Das Quietschen von rostigen Scharnieren, die dringend geölt werden sollten, riss Leon aus seinen Gedanken. Onkel Wills Nachbar kam aus seinem Haus und stapfte mit grimmigem Gesicht zur Garage. Offenbar war Leon nicht der Einzige, der keine Lust auf das Eichhörnchenfest hatte. Der alte Schäferhund, den Leon schon ein paarmal gesehen hatte, kam aus seiner Hütte und rannte schwanzwedelnd zu seinem Herrchen.

»Verschwinde!«, knurrte der Nachbar, trat sogar nach dem alten Hund. Was diesen nicht im Geringsten zu irritieren schien, erschreckend eifrig lief er neben seinem Herrn her, stupste ihn mit der Schnauze an. »Hau ab!«, kam es bloß zurück, dann knallte der Mann dem Hund die Eingangstür zur Garage vor der Nase zu. Eine halbe Minute später öffnete sich das Tor, ein Ford kam heraus und tuckerte davon.

Der Hund stand immer noch vor der Garagentür, erst senkte sich die Rute langsam, dann ließ er die Ohren hängen.

Leon hatte plötzlich einen dicken Kloß im Hals. Dem Hund ging es wie ihm! War er nicht auch wie ein dummer Welpe hinter dem strahlenden Tristan hergerannt? Tristan, der überall beliebt war. Jeder wollte mit Tristan befreundet sein, aber es war der Rotschopf Leon gewesen, mit dem er am liebsten abhing.

Leon wusste, dass er nicht so charmant und sympathisch rüberkam wie Tristan, egal, wie sehr er es versuchte. Doch seit er Tristans bester Freund geworden war, hatte das keine Rolle mehr gespielt. Denn ein wenig von Tristans Glanz hatte auf Leon abgefärbt. Dafür hatte Leon aber auch in jeder Situation zu seinem Freund gehalten, ihn gedeckt, wenn sie bei einem Streich erwischt wurden, hatte ganz selbstverständlich seine Mathehausaufgaben für ihn miterledigt … Aber nun brauchte Tristan Leon nicht mehr. Weil er jetzt River hatte. Leons Augen brannten erneut. Er griff nach der Bierflasche, um den verdammten Kloß im Hals hinunterzuspülen, verschluckte sich aber prompt.

Hustend rang Leon nach Luft, würgte und japste. Das würde dem ganzen Scheiß in seinem Leben wirklich die Krone aufsetzen, wenn er an einem Schluck Bier erstickte!

Doch irgendwann endete der Hustenanfall, und Leon konnte wieder normal atmen. Erschöpft sank er zurück an die Lehne der Bank und atmete tief durch, da fiel ihm ein leises Winseln auf.

Der Hund stand inzwischen am Zaun, ganz nah bei Leon. Dabei drückte das Tier seine schwarze Nase durch eine der Maschen. Sie zuckte ganz leicht. Das sah ziemlich ulkig aus. Unwillkürlich musste er grinsen.

»Na? Hast du auch einen Scheißtag, hm?«

Der Hund wedelte verhalten mit seiner Rute, was wahrscheinlich »ja« heißen sollte. Leon stand auf und setzte sich auf seiner Seite des Zaunes auf den Boden. Er war nicht so unklug, einen Finger durch die Maschen zu stecken. Trotz seines Alters hatte der Hund ein beeindruckendes Gebiss, Leon hatte es gesehen, als das Tier einmal den Briefträger angeknurrt und dabei die Lefzen hochgezogen hatte. Aber gegen eine Unterhaltung sprach ja nichts.

»Als wir Kinder waren, haben Tristan und ich alles zusammen gemacht«, erzählte Leon. Das Tier würde schließlich niemand verraten, dass er eben doch nicht aufhören konnte, an Tristan zu denken. »Wir hatten so viel Spaß, und wir haben uns geschworen, es würde bis in alle Ewigkeit so bleiben. Sogar Blutsbrüderschaft haben wir geschlossen, wie bei Winnetou!«

Leon drehte die halb leere Bierflasche ein wenig hin und her, trank aber nicht. »Hast du Geschwister, Hund? Ich habe zwei Brüder, die sind schon okay. Aber ich bin der jüngste, und ich habe als Einziger geheult, nachdem unsere Mom gestorben ist … Das ist ganz schön lang her, aber für die bin ich nach wie vor das Baby.«

Mit Tristan war alles anders gewesen. Tristan hatte es nicht mal gestört, dass Leon auch an dem Tag geweint hatte, als er vom Baum gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte.

»Aber nach der Highschool ist alles schwierig geworden, Tristan hatte nie Zeit, und jetzt … jetzt hat er River, und der wird ihm einen Haufen Scheiße über mich in die Ohren blasen.«

Ein komisches Gefühl beschlich Leon, das ihm sagte, River habe durchaus einen guten Grund, schlecht über ihn zu reden. »Aber doch nur, weil ich von Anfang an gewusst habe, dass er mir Tristan wegnehmen will«, erklärte Leon dem Hund aufgebracht. »Ganz genau so ist es dann auch gekommen!«

Der Hund erwiderte nichts, setzte sich und sah Leon undurchdringlich an.

»Ist mir aber eh egal!«, behauptete Leon.

Der Hund legte den Kopf schief. Glaubte er ihm etwa nicht? Leon griff nach der Bierflasche und nahm einen tiefen Zug.

»Hast du Durst?«, fragte er, nachdem er die Flasche wieder abgesetzt hatte. Der Schäferhund hatte sein Maul geöffnet, seine rosafarbene Zunge hing ein Stück heraus und er hechelte. »Tut mir leid, Bier ist nix für Hunde. Du musst dich schon an dein Wasser halten.«

Leon blickte zur Hundehütte auf dem Nachbargrundstück. Der Hund ebenfalls. Moment mal. War der Wassernapf etwa leer? Leon stand auf. Tatsächlich! Mensch, das ging ja gar nicht. Leon verstand nicht viel von Hunden, aber an so einem warmen Tag ließ man ein Tier doch nicht ohne Wasser zurück. Er drehte sich zur Straße um, als erwartete er, den Besitzer des Tiers jeden Augenblick reumütig zurückkehren zu sehen. Doch alles blieb still. So ein Arschloch!

Und nun? Klar würde er es schaffen, über den Zaun zu klettern, aber was würde der Hund davon halten? Der wusste ja nicht, was er vorhatte, sondern hielt ihn womöglich für einen Einbrecher, der ihn nur zugetextet hatte, um sich sein Vertrauen zu erschleichen.

Aber hey, er hockte immerhin hinter Wills Laden. Wieso sollten die Schläuche, mit denen er sonst die Autos der Kundschaft wusch, nicht ausnahmsweise für was Sinnvolles herhalten?

Eifrig marschierte Leon in die Werkstatt. Es dauerte eine Weile, bis er alles zusammenhatte, weil der Schlauch, den er für gewöhnlich benutzte, nicht vom Wasserhahn bis hinter das Gebäude reichte. Also musste er einen weiteren hinzunehmen und zusätzlich noch ein Verbindungsstück auftreiben.

Als Leon endlich wieder am Zaun ankam, drehte er nicht direkt das Wasser auf, sondern überlegte, in welchem Winkel er den Schlauch halten musste, damit er auch genau den Napf traf. Schließlich wollte er nicht aus Versehen die Hütte des Tiers unter Wasser setzen.

Der Hund hatte sich derweil in eine Ecke des Gartens zurückgezogen und schien recht misstrauisch zu beäugen, was Leon da tat.

»Wasser marsch!«, rief der und lachte erfreut auf, als seine Berechnungen wirklich aufgingen und das Wasser zielgenau im Napf landete.

»Bitte schön, es ist angerichtet«, meinte Leon, drehte das Wasser ab und setzte sich erneut an den Zaun. Der Hund verharrte einen Moment an Ort und Stelle, dann trottete er zu seiner Hütte, schnüffelte erst ausführlich an dem Napf, dann schlabberte er eifrig das ganze Wasser auf. Er hatte also wirklich Durst gehabt. Wie gut es tat, jemand helfen zu können, selbst wenn es nur der alte Hund des Nachbarn war!

Als er fertig war, kam der Hund zurück, wedelte etwas heftiger mit seiner Rute als zuvor und setzte sich dann wieder.

»Gern geschehen«, sagte Leon großzügig.

Der Hund legte sich hin, und auch Leon streckte sich neben dem Zaun im Gras aus. Vielleicht wirkte das Bier ja doch, denn er fühlte sich ein wenig leichter als vorher.

Die Zeit heilt alle Wunden, kam ihm plötzlich der dumme Spruch in den Sinn, den er nach dem Tod seiner Mutter tausendfach gehört hatte. Ein bisschen was Wahres war da sogar dran. Er vermisste sie immer noch, aber es tat schon lange nicht mehr so weh wie zu Beginn. Würde es mit Tristan ähnlich sein?

Aber wie sollte das gehen? Jetzt, da Tristan mit River zusammen war, würde er sicherlich häufig nach Maple Meadows kommen. Wegen Leon hatte Tristan Denver nicht verlassen, er war zu unwichtig. Aber für River würde Tristan bestimmt öfter herfahren. Überall in Maple Meadows würde Leon über das junge Glück stolpern.

Es sei denn …

Leon richtete sich auf.

Der Hund, der offenbar eingedöst war, hob sofort den Kopf.

»Weißt du was? Wenn sie dieses Hotelresort am Serenity Lake bauen, dann wird River sein Camp woanders eröffnen, und dann bleibt auch Tristan weg«, erklärte Leon dem Tier eifrig. »Momentan sind zwar viele gegen das Projekt, aber Bürgermeister Anderson ist kein Esel. Ich wette, die Interessenten haben Geld ohne Ende und kein Problem damit, es einzusetzen, um die Bewohner von Maple Meadows auf ihre Seite zu ziehen. Du wirst sehen, wie schnell die Leute ihre Meinung ändern, wenn es um ihren eigenen Vorteil geht«, sagte er aufgeregt. »Weißt du was? Ab heute gehöre ich offiziell zu den Unterstützern von Bürgermeister Anderson.«

Zufrieden streckte sich Leon wieder aus. Na also. Dieses Mal würde er es sein, der auf der Gewinnerseite stand!

Maple Meadows, zwei Wochen später

»Leon!«, brüllte Will über den Hof. »Auf dem Weg zum Cedar Creek sitzt ein Touri fest. Fahr los und zieh den Hornochsen da raus!«

Leon verdrehte die Augen. Na super. Es war Samstagnachmittag kurz vor Feierabend. Er hatte zwar nichts Aufregenderes vor, als sich mit seinem Dad die Übertragung des Spiels der Colorado Rockies anzuschauen, trotzdem nervte es ihn, noch mal loszumüssen.

Eigentlich durfte Leon den Abschleppwagen auch nur leer fahren, für alles andere fehlte ihm noch die Commercial Driver’s License. Aber seit sein Onkel Will Sheriff Maxwell mal aus einem Graben gezogen und hinterher Stillschweigen über den Vorfall bewahrt hatte, drückten die Bullen ein Auge zu, wenn Leon mit dem Abschlepper unterwegs war.

Normalerweise fuhr Leon echt gern raus – wenn er nicht gerade den Anfang eines Baseballspiels verpasste. Im Gegensatz zu seinem Onkel, der pünktlich vor dem Fernseher sitzen würde. Aber mit Will zu diskutieren war, als versuchte man, eine Kuh zum sonntäglichen Kirchgang zu überreden.

»Geht klar!«, rief Leon also nur, schnappte sich den Schlüssel und tuckerte los.

Doch sobald er außer Hörweite war, ließ er seinem Ärger freien Lauf. »Ich wette, das ist so ein Schnösel mit Sportwagen. Der sich einbildet, der tollste Fahrer der Welt zu sein, und der wahrscheinlich gar nicht darauf kommt, dass ich vielleicht was Besseres zu tun habe. Sieht doch jeder, den Weg zum Fluss packt nur ein Jeep. Aber diese Städter sind ja alle oberschlau!«

Leon schimpfte immer noch vor sich hin, als er Maple Meadows hinter sich ließ und auf der Straße nach Summerville das Gaspedal durchtrat, bis er den Wegweiser zum Cedar Creek erreichte. Auf dem Schild war ein Fußgänger zu sehen, kein Tesla Model S. Genau so ein Auto war allerdings auf dem Waldweg gestrandet. Der Wagen leuchtete in makellosem Weiß, als wäre er gerade erst vom Band gerollt und hätte sich dabei in den Wäldern Colorados verirrt.

---ENDE DER LESEPROBE---