River - Just an innocent kiss - Eva Lucia Bolsani - E-Book

River - Just an innocent kiss E-Book

Eva Lucia Bolsani

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Beschreibung

Kann ein unschuldiger Kuss deine Zukunftspläne zerstören? Leider ja, wenn du ihn ausgerechnet vom Schulsprecher deiner Highschool erhoffst. River erfährt das am eigenen Leib, als Tristan ihm einfach so die Aussicht auf ein Stipendium ruiniert – nur weil sie sich beinahe geküsst hätten! Dabei war Tristan genauso scharf auf den Kuss wie River, daran besteht kein Zweifel. Eines Tages wird River seine Rache bekommen, davon ist er überzeugt. Nämlich genau dann, wenn Tristans wohlanständige Fassade bröckelt und alle erfahren, wie er wirklich ist. Fünf Jahre später arbeitet River als Wanderführer. Als Tristan überraschend an einer von Rivers Touren teilnimmt, scheint der Moment endlich gekommen zu sein. Aber ist Tristan wirklich der eingebildete Schnösel, für den River ihn hält? Je länger die beiden in den Wäldern Colorados unterwegs sind, umso mehr zweifelt River daran. Doch nach allem, was passiert ist, kann er Tristan nicht mehr vertrauen. Zum Glück ist River längst über den verpassten Kuss hinweg. Oder? Just an innocent kiss ist eine schwule Haters-to-Lovers-Liebesgeschichte aus einer schnuckeligen Kleinstadt in Colorado, mit jeder Menge Natur, einem Eichhörnchen, das Wünsche erfüllt, ein wenig Herzschmerz und natürlich einem wohlverdienten Happy End.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


 

Eva Lucia Bolsani

 

 

 

 

River

 

Just an innocent kiss

 

 

 

Smalltown Gay Romance

 

Covergestaltung: Eva Lucia Bolsani, Bildrechte Umschlagillustration vermittelt durch Shutterstock LLC www.shutterstock.com; iStock www.istockphoto.com

Kapitelzierden: Eva Lucia Bolsani unter Verwendung von Motiven von www.canva.com

Korrektorat: Dominique Daniel www.korrektorat-rechtschreibretter.de

 

Bei allen Figuren handelt es sich um erfundene Charaktere. Sollte es Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen geben, wären sie rein zufällig. Sofern Namen real existierender Personen und Orte verwendet werden, geschieht dies in einem rein fiktiven Zusammenhang. Die in diesem Buch verwendeten eingetragenen Warenzeichen sind geistiges Eigentum ihrer jeweiligen Inhaber. Der Inhalt des Romans sagt nichts über die sexuelle Orientierung der Covermodels aus.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

 

© 2024 Eva Lucia Bolsani

 

 

 

 

 

Maple Meadows Highschool

 

River mochte Bäume. Vor allem, wenn sie im Wald standen, wo sie seiner Meinung nach hingehörten, und sich selbst darum bemühten, Unmengen von grünen Blättern zu bilden. Als Teil des Bühnenbildes der diesjährigen Schulaufführung hatten sie ihm von Beginn an nicht besonders gefallen. Doch jetzt, unzählige frisch bemalte Pappkameraden später, hasste er sie geradezu. Rivers rechter Arm brannte und seine Klamotten waren mit zahlreichen Farbspritzern in verschiedenen Grüntönen übersät, die vermutlich selbst nach mehrmaligem Waschen nicht rausgehen würden. Und seine schwarzen Haare sahen wahrscheinlich inzwischen aus, als hätten sie Schimmel angesetzt.

Als sei es nicht genug, dass Mrs. Granger die ganze Bühne begrünen wollte, nein, an diesem Nachmittag hatte die Lehrerin River zu allem Überfluss genötigt, bei den Proben dabei zu sein. »Damit du ein Gefühl für den Zauberwald bekommst und dieses Gefühl in die künstlerische Gestaltung der Kulisse mit einfließen lassen kannst!«

Na, vielen Dank auch. River hatte schon nicht kapiert, was an diesem Sommernachtstraum so besonders sein sollte, als sie im Unterricht das erste Mal davon gesprochen hatten. Daran hatte die Probe nichts geändert. Alles, was er gesehen hatte, war ein ständiges Hin und Her zwischen verschiedenen Paaren: Er liebt sie, nein, doch die andere, die wiederum in einen anderen Kerl verschossen ist … und mittendrin ein Kobold namens Puck, der alles schlimmer macht, indem er Liebestränke versprüht.

Seit in ihrer Klasse die ersten Pickel und Bartstoppeln sprießten, ging es da nicht anders zu. Leon wollte was von Kristin, die aber Tristan anschmachtete, der allerdings mit Rebecca in der Eisdiele gesichtet worden war und so weiter. Nur dass in ihrer Klasse die Rolle des Kobolds von Instagram übernommen wurde, wo jeder, der glaubte, irgendwas über irgendwen zu wissen, sogenannte Enthüllungsfotos postete.

Genau der gleiche Quatsch wie bei Shakespeare. Allerdings hätten sie sich die ganzen verdammten Bäume sparen können, wenn sie ein Stück aus dem richtigen Leben aufführen würden. Die Kulisse einer Highschool gab es schließlich gratis.

In Rivers Requisitenraum hingegen sah man inzwischen wirklich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Außerdem stank es nach Farbe und Lösungsmitteln. River beschloss, kurz zu lüften und derweil ein paar Pappbäume auf die Bühne zum Trocknen zu stellen, damit er Platz hatte, um weitere Exemplare zu bemalen. Seine Lieblingsjeans war sowieso eingesaut, da konnte er jetzt durchaus noch ein bisschen weiterarbeiten und sich dann hoffentlich vor zukünftigen Proben drücken.

»Das Glück, das mir so lange diente, hat mich jetzt verlassen. Geliebte Hermia, du sollst nicht allein umherirren. Ich gehe mit dir, nicht so sehr aus Pflichtgefühl, als aus Verzweiflung über das, was uns getroffen hat.«

River grinste, als er sich der Bühne näherte. Na, wenn das nicht Mr. Perfekt höchstpersönlich war! Das einzig Gute an der heutigen Probe war es gewesen, miterleben zu dürfen, wie der Liebling der Maple Meadows High von Mrs. Granger zu hören bekam, seine Darstellung sei »hölzern und wenig überzeugend«. Dafür hatte es sich fast gelohnt, bei diesem Blödsinn hier mitmachen zu müssen. Schließlich war Tristan Anderson einer der Typen, denen immer alles gelang, egal, ob es darum ging, wer Kapitän der Footballmannschaft wurde oder wer das hübscheste Mädchen abschleppte. Tristan war so toll, man musste direkt kotzen. Auch wenn River mit dieser Meinung ziemlich allein dastand.

Deswegen ignorierte er Tristan meistens. Außer auf dem Footballfeld, da ging das schlecht. Weil die Ansagen von Tristan als Teamkapitän dummerweise nicht völlig daneben waren. Das zu ignorieren, würde River wie ein albernes Kleinkind wirken lassen und ihm sicherlich keinen Stammplatz in der Mannschaft sichern.

River hätte sich ja mitsamt seinen Bäumen klammheimlich verzogen, wenn er den Eindruck hätte, Tristan würde seinen Text als Vorwand nutzen, um Hermia, also Kristin, ein wenig auf der Bühne anzuflirten. Aber so steif, wie das klang, wollte der Schnösel wahrscheinlich wirklich nur seine Rolle üben. Zumal seine Favoritin derzeit ja Rebecca war. Laut Instagram. River verfolgte das selbstverständlich nicht ständig, natürlich nicht, aber man kam ja einfach nicht daran vorbei.

Egal. River stapfte lautstark auf die Bühne, sicherheitshalber, falls da doch irgendwas lief. Konnte ja durchaus sein, dass man einen verstaubten Text deklamierte, wenn man ein Mädchen rumkriegen wollte. Darüber wusste River nichts. Er stand auf Jungs. Zwar war es ebenfalls ein Mysterium, wie man einen Kerl dazu bringen konnte, einen zu küssen oder mehr. Mit einem derartigen Gesülze wurde das allerdings bestimmt nichts. Aber vielleicht fuhr Kristin ja darauf ab.

Kaum hatte River die Bühne betreten, erwartete ihn allerdings eine Überraschung: Es war nicht Kristin, die sich die verschwurbelte Liebeserklärung anhören durfte. Tristan sprach mit dem Teil der Kulisse, die den Eingang zu einem antiken Palast darstellen sollte. Ein Torbogen, den River seiner eigenen bescheidenen Meinung nach sehr gut hinbekommen hatte.

»Anderson«, sagte River spöttisch, »wenn du den Stein erweichen willst, musst du dich aber ein bisschen mehr ins Zeug legen.«

Tristan zuckte zusammen, drehte sich um und starrte River einen Moment lang mit weit aufgerissenen Augen an. Doch schnell setzte er wieder seine übliche blasierte Miene auf.

»Barnes. Wie ich sehe, hast du offenbar ebenfalls vor, auf der Bühne zu stehen … Ich bin mir nur nicht sicher, welche Art von Pflanze du darstellst. Vielleicht fehlt ein bisschen Grün?« Dabei musterte er River von oben bis unten. Was diesen an den Zustand seiner Klamotten erinnerte. Ärgerlicherweise merkte River, wie seine Wangen heiß wurden.

»Äh, nein, es fehlen nur die Tannenzweige, um sie mir in die Ohren zu stecken, damit ich mir dein Gesäusel nicht anhören muss«, fiel ihm reichlich spät eine Antwort ein, auch wenn diese nicht gerade originell war.

Zu Rivers Überraschung lachte Tristan. Nicht abschätzig, sondern so, als sei er ehrlich amüsiert. »Der Text ist echt museumsreif, oder? Keine Ahnung, warum die Granger nicht mal ein modernes Stück aufführen lässt.«

Diesmal fiel River gar keine Antwort ein. Mit dem überheblichen Schnösel, den Tristan immer im Klassenzimmer gab, und mit dem strengen Kapitän der Footballmannschaft konnte er umgehen. Mit einem Tristan, der sich ganz normal mit ihm unterhielt und über Rivers alberne Witze lachte, konnte er nichts anfangen.

»Na ja, schätze mal, es ist zu spät, ein neues Stück auszusuchen«, fuhr Tristan lässig fort, »nachdem ein halber Wald abgeholzt wurde, damit du ein Bühnenbild draus basteln kannst.«

»Äh, ja«, krächzte River. Nicht gerade elegant. Aber zu allem Überfluss fiel ihm in diesem mehr als unpassenden Moment auf, dass Tristan nicht nur nett sein konnte, sondern auch verdammt gut aussah. Verstohlen musterte River die breiten Schultern, das kräftige Kinn und die strahlend blauen Augen. Selbst die streng zurückgegelten blonden Haare im Dandy-Look fand er in diesem Moment ganz cool. Lag wahrscheinlich an der Beleuchtung.

»Tja, dann hilft es wohl nichts. Du musst diesem Stein einen Heiratsantrag machen«, schlug River vor. »Tu einfach so, als sei das Tor der Eingang zur Candy Cottage Bakery und nicht zu einem ollen Palast. Dann geht es sicher gleich besser.«

Seltsamerweise schien Tristan das auch witzig zu finden. »Und Hermia ist das letzte Zuckerwatten-Cupcake, das sie haben, oder was? O holder Cupcake, erhöre mich.«

Jetzt lachte River ebenfalls. Er stellte die Bäume ab und lief zur anderen Seite der Bühne, sodass er hinter dem Palasteingang stand. »Ruhmreicher Lysander! Bewahre mich vor dem Schicksal, vertrocknet und einsam dahinzuscheiden, und verspeise mich!«

Es hörte sich an, als müsste Tristan ein Lachen unterdrücken, während er deklamierte: »Halte aus, du lieblicher Cupcake. Hilfe naht!«

»Hab Erbarmen!«

»Ich eile herbei!« Tristan musste den Kopf einziehen, als er durch den Pappmasche-Palasteingang trat. »Komm an meine Brust!«

Klar, das war ein Scherz. Aber nachdem Tristan durch das Tor geschlüpft war, stand er plötzlich verdammt nah bei River. So nah, dass River Tristans Duft wahrnehmen konnte, eine Mischung aus Minze und leicht holzigem Aroma. River konnte eine feine Narbe an Tristans Kinn entdecken, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Sie verlieh Tristans Gesicht einen faszinierenden Touch.

Rivers Brust hob und senkte sich, als hätte er soeben einen Marathonlauf durch Shakespeares Zauberwald absolviert, und nicht nur ein paar flapsige Bemerkungen mit einem Klassenkameraden ausgetauscht. Auch Tristans Gesichtsausdruck hatte sich verändert. Mit verhangenem Blick musterte er Rivers Mund, und vermittelte den Eindruck, Rivers Lippen wären der beliebte Cupcake der Candy Cottage Bakery.

Die Hitze, die sich jetzt in Rivers Körper ausbreitete, war mehr als angenehm. Noch nie hatte er Tristan angesehen und sich dabei gefragt, wie es wäre, ihn zu küssen. Na ja, vielleicht war River hin und wieder aufgefallen, wie heiß Tristan war, aber der spielte nun mal in mehr als einer Hinsicht in einer anderen Liga. Doch jetzt, da sie so dicht voreinander standen und Tristan keine Anstalten machte, einen dummen Witz zu reißen oder zurückzuweichen, da konnte sich River nicht vorstellen, wie er einen weiteren Tag überleben sollte, ohne herauszufinden, wie Tristans Küsse schmeckten.

Zumal Tristan ihn auf eine Weise anblickte, als wollte er unbedingt wissen, wie sich Rivers Lippen anfühlten, wenn er seinen Mund darauf drückte.

River überbrückte den letzten, kleinen Abstand zwischen ihnen mit einem halben Schritt. Er konnte die Wärme von Tristans Körper spüren, und er hörte, wie schwer er atmete. Aber noch immer wich Tristan kein Stück zurück oder versuchte, die Situation auf andere Weise zu beenden.

Provozierend leckte sich River über die Lippen, und Tristan sog hörbar die Luft durch seine Zähne. Seine Augen wurden größer, und lugte da nicht die Spitze seiner Zunge zwischen seinen Lippen hervor? River streckte sich, Tristan neigte den Kopf ein wenig und dann …

»Tristan, wo steckst du? Sag nicht, du treibst es jetzt schon zwischen den Kulissen …«

 

 

Tristans bester Freund Leon hatte etliche gute Eigenschaften. Allerdings auch die schlechte, zum unpassendsten Moment wie ein Elefant im Porzellanladen hereinzuplatzen. Nie war Tristan darüber so erschrocken wie in diesem Moment. Reflexartig schubste er River weg. War er wirklich kurz davor gewesen, River zu küssen? River Barnes?! Den durchschnittlichsten Schüler der Maple Meadows High? Den Kerl mit den langweiligen Klamotten vom Wühltisch, den mittelmäßigen Noten und den sportlichen Leistungen, die gerade mal so für das Footballteam einer Kleinstadt reichten? River Barnes war derartig unscheinbar, Tristan konnte unmöglich sagen, wann in den vergangenen Jahren er überhaupt anwesend gewesen war und wann nicht.

Im Augenblick sah er allerdings alles andere als durchschnittlich oder unscheinbar aus. Genauso erschrocken wie Tristan selbst. Aber immer noch so aufregend wie einige Sekunden zuvor, mit dem grün gesprenkelten Hemd, welches oben weit genug offen stand, um einen spiralförmigen Holzanhänger an einem Lederband freizulegen. Und die glatte Haut von Rivers Brust darunter. Tristan schluckte mühsam.

»Hey, was geht denn hier ab?«, trompetete Leon. »Hat die Schwuchtel dich belästigt?«

»Quatsch«, sagte Tristan hastig. »Wir haben nur ein bisschen rumgealbert. Wir sind nicht … River ist nicht schwul!«

»Ach ja?«, fragte Leon und schlenderte näher. »Und was, wenn ich dir erzähle, dass River gesehen wurde? Mit Shane. Hand in Hand im Stadtpark.«

Shane. Tristan wollte etwas sagen, aber die Worte blieben in seinem Hals stecken und drückten ihm die Luft ab. Shane war Fotograf für Hochzeiten, Taufen, was in Maple Meadows so alles anfiel. Vor allem aber war Shane der einzige Mann in Maple Meadows, der schwul war. Soweit Tristan wusste, war Shane wahrscheinlich der einzige Homosexuelle im Umkreis von 50 Meilen. Und mit dem hatte River Händchen gehalten? Wieso?!

River verschränkte die Arme vor der Brust. »Das geht dich einen Scheiß an, Mitchell!«, blaffte er Leon an.

Der schnaubte abschätzig. »Ist mir auch scheißegal – jedenfalls so lange, bis du mit meinem besten Freund herumalberst«, er malte zur Unterstreichung des letzten Wortes mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft, »und dabei einen Ständer in der Hose hast. Dann geht mich das sehr wohl was an, das ist nämlich Belästigung, und da verstehe ich keinen Spaß!«

»Du hast was mit Shane?«, brachte Tristan mühsam heraus. Aus irgendwelchen Gründen schien ihm das wichtiger als die Frage, ob River hart geworden war, weil sie sich so nahe gekommen waren. Das war ja auch wichtiger! Weil … also, wegen Shane, natürlich.

»Was dagegen?«, schleuderte River ihm entgegen. »Ja, ich bin schwul, und nein, ich habe kein Interesse an dir! Sonst noch was?!«

»Aber …«, sagte Tristan perplex. Irgendetwas Bedeutsames war gerade passiert, aber er konnte unmöglich sagen, was es war.

»Habe ich es doch gewusst!«, trumpfte Leon auf, wobei sein Gesicht ebenso rot wurde wie sein Haar. »Los, wir verpassen dem Mistkerl eine Abreibung!«

»Trau dich!«, höhnte River.

»Schluss jetzt.« Gerade rechtzeitig erinnerte sich Tristan daran, dass er Schulsprecher war und als solcher eine Schlägerei zu verhindern hatte. Obwohl er River selbst gern eine Ohrfeige verpasst hätte. Tristan wusste gar nicht so genau, weshalb. Irgendwie hatte es mit Shane zu tun, und weil River den armen Kerl verarschte, indem er andere Leute fast küsste. Das ärgerte ihn maßlos, obwohl Tristan nicht mit Shane befreundet war, er kannte ihn nicht mal besonders gut. Trotzdem. So was machte man nicht.

»Du gehst jetzt besser nach Hause!«, sagte Tristan mit seiner Schulsprecherstimme zu River. Das hatte ihm sein Vater beigebracht, die Stimmlage je nach Anlass zu variieren. »Und du kommst mal runter«, wandte er sich an Leon. »Hier ist nix passiert, und wenn River mir irgendwie blöd kommen sollte, würde ich das selbst klären.«

»Zu Befehl«, antwortete River und salutierte mit einer spöttischen Geste. Aber seine Augen sagten etwas anderes. Etwas, über das Tristan lieber nicht so genau nachdenken wollte. Außerdem musste er unbedingt herausfinden, was Leon meinte, gesehen zu haben. River und er hatten schließlich nur ein paar Witze über das Stück gerissen. Was anderes war da nicht. Nein.

River schnaubte und stapfte davon. Tristan packte Leon an der Schulter, um ihn daran zu hindern, River hinterherzurennen.

»Lass gut sein. Ich habe nur meine Rolle geprobt, und River hat ein paar alberne Kommentare losgelassen. Mein Text ist ja auch selten dämlich.« Ja, ganz genau so war es gewesen!

»Mann, die Schwuchtel braucht einen Denkzettel. Sonst macht er sich morgen an den Nächsten ran. Ich weiß was! Er ist überall untendurch, wenn sich herumspricht, dass er vom anderen Ufer ist. Dann spricht keiner ein Wort mehr mit ihm.«

Eigentlich hatte es Tristan ziemlich imponiert, wie River einfach so zugegeben hatte, schwul zu sein. Leichter würde sein Leben dadurch aber nicht werden, und rumsprechen würde es sich eh bald, wenn er mit Shane zusammen war. Trotz alledem verursachte allein der Gedanke, Leon könnte River zusätzlich Schwierigkeiten bereiten, bei Tristan Magendrücken.

»Mensch, Leon, denk doch mal mit! Wenn du hier irgendeinen Scheiß verbreitest, wie steh ich denn dann da? Wie ein Opfer, oder? Mir ist nichts an seinem Verhalten aufgefallen. Ich wusste nicht mal, dass River schwul ist. Behalt’s für dich, okay?«

Leon runzelte die Stirn. »Ja, klar, das wäre scheiße«, gab er zu.

Tristan wurde jetzt erst richtig schlecht. Er hatte das eigentlich nur gesagt, um Leon von seinen Racheplänen abzubringen. Aber schlagartig wurde ihm klar, was passieren könnte, wenn Leon nicht die Klappe hielt. Womöglich entstand das Gerücht, Tristan sei ebenfalls schwul!

»Sag mal, du stehst aber nicht auf den Kerl, oder? Weil du ihn so vehement verteidigst?«, fragte Leon.

Da! Es ging schon los! »Spinnst du?!«, fauchte Tristan empört. »Natürlich nicht!« Stimmte ja. Er war nicht schwul. Er fand Mädchen richtig, richtig gut! »Ich denk bloß an meinen Ruf und ganz nebenbei auch daran, dass du aus dem Team fliegst, wenn du wieder in eine Schlägerei verwickelt wirst. Kannst du dich daran erinnern, was Coach Hensley das letzte Mal gesagt hat? Keine Raufbolde beim Football! Wenn du River fertigmachst, wirft der Coach dich hochkant raus.«

»Scheiße, ja«, gab Leon zu. »Danke, Mann. Trotzdem finde ich es beschissen, River einfach so ungeschoren davonkommen zu lassen. Irgendwas müssen wir uns überlegen!«

Tristan zuckte mit den Achseln. »Versprich mir, keine Prügelei anzuzetteln«, mahnte er. Damit hatte Tristan seiner Meinung nach genug für River getan. Wenn Leon meinte, sich irgendeinen pubertären Schwachsinn ausdenken zu müssen, wie zum Beispiel Rivers Spind mit Zahnpasta zu beschmieren oder die Schnürsenkel seiner Footballschuhe durchzuschneiden, hatte sich River das selbst zuzuschreiben. Denn immerhin war River ihm wirklich ganz schön auf die Pelle gerückt, und das, obwohl Tristan gar nicht schwul war und obwohl River was mit Shane am Laufen hatte.

Leon runzelte die Stirn. »Kapier ich nicht. Wie machen wir der Schwuchtel denn dann klar, dass er sich künftig zurückhalten soll?«, fragte er zweifelnd.

»Keine Ahnung«, sagte Tristan und schlug Leon freundschaftlich auf die Schulter. »Aber jetzt verschwinden wir endlich aus der Schule.« Sicher hatte Leon die Rache an River morgen bereits vergessen.

Und zum Glück schien sich Leon ausnahmsweise mal daran zu halten, was Tristan sagte.

 

 

Nachdem dieser Schnösel mal wieder den Schulsprecher herausgekehrt und ihn einfach weggeschickt hatte, stürmte River wutentbrannt aus dem Gebäude. Was zum Teufel war das eben gewesen?! Er kickte eine Konservendose beiseite, während er über den Schulhof marschierte, die Hände tief in den Taschen seiner Jeans vergraben und den Rücken angestrengt durchgedrückt. Er war schließlich nicht bescheuert, Tristan hatte ihn angesehen, als sei er das Begehrenswerteste, was er je zu Gesicht bekommen hatte. Oder? Ja, hatte er! Na gut, das hatte River verdammt noch mal erregt, aber was ging das den Wichser Leon an?!

Nichts natürlich, aber dieser Vollpfosten hatte River mit seinen dummen Sprüchen so provoziert, dass er sich versehentlich geoutet hatte. Scheiße, so war das nicht geplant gewesen. Eigentlich war das überhaupt nicht geplant gewesen! Okay, er war mit Shane im Stadtpark spazieren gegangen, na und?

In River brodelte es. Er hätte gern nach einer weiteren Dose getreten, aber es lag keine mehr herum, und die erste hatte er wahrscheinlich direkt auf den Mond befördert. Logisch, der dämliche Schulhof war blitzsauber. Schließlich hatten sie Mr. Saubermann höchstpersönlich als Schulsprecher.

An Tristan zu denken, machte es nicht besser. An Tristan, dessen Augen so verlockend gefunkelt hatten, an Tristan, der ihm so nahe gewesen war – und der ihn dann weggeschubst hatte, als hätte River plötzlich die Krätze bekommen. Der so getan hatte, als sei das alles nur ein Witz gewesen. Leider konnte River überhaupt nicht darüber lachen.

Okay, Tristan hatte immerhin den Spinner Leon gebremst, gegen den River bestimmt keine Chance gehabt hätte. Dennoch kam er sich im Stich gelassen vor. Er versuchte, sich damit zu trösten, dass ihn Tristan ja eh nicht interessierte. Wahrscheinlich hatte er bei der Pinselei zu viele Farbdämpfe eingeatmet, und deswegen war ihm der Dandy plötzlich so begehrenswert erschienen. Ja, genau, so musste es sein. Am besten, er vergaß die Sache einfach. War ja nichts weiter passiert. Er würde nicht mehr daran denken und damit hatte es sich.

 

Die folgenden Tage verliefen dann auch wie immer. Nach der Schule half River im Buchladen seiner Mutter aus, und Mittwochnachmittag schwänzte er das Footballtraining. Er behauptete, er sei erkältet, in Wahrheit stellte er jedoch die restlichen Bäume für das Bühnenbild fertig. Das war sicher nicht ideal und würde ihm gewiss ein paar Minuspunkte bei Coach Hensley einbringen. Nicht gut, denn nächste Woche würde der Coach bekannt geben, wen er alles mit ins Trainingslager nehmen würde. River hoffte darauf, dabei zu sein. Das würde ihn näher an den erträumten Stammplatz im Team bringen. Andererseits hatte er das ganze Jahr über fleißig trainiert, da würde einmal Fehlen hoffentlich nicht so sehr ins Gewicht fallen.

Diesen verflixten Wald endlich fertigzustellen, ohne dabei jemandem über den Weg zu laufen, war schließlich auch wichtig. Denn weder wollte River von Mrs. Granger ein weiteres Mal dazu genötigt werden, sich anzusehen, wie Tristan Kristin auf der Bühne anschmachtete, noch hatte er Bock drauf, Tristan erneut allein zu begegnen.

Je eher er diese ganze blöde Geschichte hinter sich ließ, umso besser.

 

Beim nächsten Footballtraining stand River selbstverständlich wieder pünktlich auf dem Platz.

»So, Erkältung überstanden, oder was?«, blaffte Hensley ihn an.

»Alles wieder okay, Coach«, sagte River, und tat wieder einmal alles, um zu beweisen, wie sehr er einen festen Platz im Team verdient hatte. Und es lief so verdammt gut. Sie trainierten Sprints, und besonders bei den Widerstandssprints mit dem Zugschlitten konnte niemand River etwas vormachen. Hensley würde ihn als Runningback in Erwägung ziehen, ganz sicher!

Nach dem Training war River zwar klatschnass geschwitzt und die Muskeln in seinen Beinen zitterten, aber er fühlte sich auf angenehme Art ausgepowert. Vor allem, weil es ihm gelungen war, nicht ein einziges Mal in Tristans Richtung zu schauen.

»Barnes«, brüllte Hensley hinter ihm her, als er auf dem Weg zur Dusche war, »in mein Büro!«

Das ließ sich River nicht zweimal sagen. Er eilte hinter Hensley her. Bestimmt würde der Coach ihn fragen, ob er mit ins Trainingslager fahren wollte. Und die Antwort war so was von ja.

Dazu passte Hensleys ernste Miene zwar nicht, dennoch war River guter Dinge, als der Coach begann: »Es geht um das Trainingslager.«

River nickte eifrig. Hatte ja nicht viel Sinn, seine Begeisterung zu verbergen.

»Wie immer gibt es nicht genug Plätze für alle Spieler, und ich musste einige schwierige Entscheidungen treffen.«

Das hörte sich aber nicht gut an. Der Coach hatte ihn doch vorhin gesehen, oder? Er hatte alle anderen hinter sich gelassen!

»Ich habe hart trainiert dieses Jahr«, krächzte River, nicht bereit, die Hoffnung aufzugeben.

»Ja, das bestreite ich nicht. Aber bei der Zusammenstellung des Teams sind nicht nur die sportlichen Leistungen ausschlaggebend. Ein Team ist eine eingeschworene Gemeinschaft, fast so etwas wie eine Familie, und es ist meine Aufgabe, darauf zu achten, dass die Familienmitglieder harmonieren.«

Was sollte das denn heißen? Hatte der Coach die komischen Schwingungen zwischen ihm und Tristan bemerkt? Andererseits waren der Kapitän und er noch nie dicke Freunde gewesen. Sie würden gewiss trotz der bescheuerten Nummer nach der Theaterprobe miteinander auskommen.

»Worauf möchten Sie raus, Coach?«

»Tut mir leid, River, du bist nicht dabei. Ich fürchte, dich mitzunehmen, würde die Teamdynamik beeinflussen. Und zwar auf eine Art, die ich nicht hinnehmen kann.«

Er beeinflusste die Teamdynamik?! Hä?

»Hat sich Tristan über mich beschwert?«, platzte er heraus.

»Nein«, behauptete Hensley, »aber mir wurde von verschiedenen Seiten zugetragen, einige Spieler würden sich unwohl fühlen, wenn sie im Trainingslager ein Zimmer mit dir teilen müssten … Möchtest du dieses Gespräch wirklich führen, River? Meine Entscheidung steht fest, und du solltest sie wie ein Mann akzeptieren.«

Aha. Damit war die Frage wohl beantwortet, ob sich sein unfreiwilliges Outing inzwischen rumgesprochen hatte. Wäre ja zu schön gewesen, wenn Tristan und der Oberarsch Leon ihren Mund gehalten hätten.

»Auch die Reservespieler sind ein wichtiger Teil des Teams …«, laberte Hensley weiter.

»Ja, klar. Dann geh ich jetzt mal. Schönen Tag noch, Coach«, hörte sich River sagen.

Er hatte keine Ahnung, warum ihn seine Beine überhaupt aus Hensleys Büro heraustrugen. Zurück zum Spielfeld. River starrte über den leeren Platz, hinüber zu der winzigen Tribüne. Das war es also gewesen. Kein Trainingslager, kein Stammplatz im Team. Kein Stammplatz im Team, kein Sportstipendium. Und alles, weil er die Frechheit besessen hatte, sich einen Kuss von Tristan Anderson zu wünschen.

Einen Kuss, den er nicht mal bekommen hatte. River lachte bitter auf. Ein verdammt teurer Spaß.

Hatte er nicht immer geahnt, dass man diesen reichen Schnöseln nicht trauen konnte? Diesen Fehler würde er gewiss kein zweites Mal machen. Aber dieses Mal war es zu spät. Ein ganzes Jahr hatte er sich umsonst den Arsch aufgerissen und trainiert wie ein Blöder. Das würde er gewiss kein zweites Mal tun. Wenn der Coach glaubte, er würde sich brav auf die Ersatzbank hocken und einspringen, falls sich einer seiner Lieblinge wehgetan hatte, hatte er sich geschnitten. Sollte Hensley doch selbst rennen!

Wie in Trance tappte River in die Dusche. Seine Teamkameraden waren natürlich längst weg. War vielleicht besser so. Könnte sich ja wer unwohl fühlen. Haha.

Während das warme Wasser auf sein Gesicht prasselte, drehten sich seine Gedanken immer wieder im Kreis. Eine Footballkarriere war nie sein großer Traum gewesen. Aber eben die einzige Möglichkeit für ihn, auf ein angesehenes College zu gehen. In einer Stadt, die ein paar Einwohner mehr hatte als Maple Meadows und in der es vielleicht sogar eine queere Community gab. In einer Stadt, in der nicht jeder jeden kannte und in der man sich mal danebenbenehmen konnte, ohne das gleich ganz Maple Meadows davon wusste. Und natürlich nichts Besseres zu tun hatte, als direkt in den Buchladen seiner Mutter zu latschen und ihr brühwarm alles zu erzählen.

Der Gedanke, es womöglich nicht zu schaffen, seiner Mutter selbst davon zu erzählen, wieso er keinen Platz im Trainingslager bekommen hatte, weckte endlich so etwas wie Wut in River.

Wut auf Tristan, der doch hinter all dem steckte, da konnte der Coach behaupten, was er wollte! Als Leon hereingeplatzt war, hatte Tristan so getan, als sei die Vorstellung, River zu küssen, völlig absurd. Aber ihm konnte der Schnösel nichts vormachen, Tristan stand nicht nur auf Frauen. Früher oder später würde das herauskommen. Und etwas Gutes hatte die ganze Geschichte immerhin: River würde in diesem Moment hier in Maple Meadows sein. Wenn Tristans Stern unterging, würde er sich einen Platz in der ersten Reihe sichern. Und Tristan sollte sehen, wie viel Freude ihm das machte.

Energisch drehte River das Wasser ab, zog sich an und schickte seiner Mutter eine Nachricht, dass er seinen Großvater besuchen würde. Es gab nichts Besseres, als stundenlang schweigend neben Grandpa am Serenity Lake zu sitzen, auf das dunkle Wasser zu starren und darauf zu warten, ob eine Forelle geruhte, anzubeißen, wenn man einfach mal aus Maple Meadows herausmusste.

O ja, River konnte geduldig sein, sehr geduldig. Deswegen würde er auch geduldig warten, bis ihm seine Rache an Tristan in den Schoß fiel.

Wer zuletzt lacht, lacht am besten, hieß es ja. Und Rivers Lachen sollte Tristan bis ans Ende seiner Tage in den Ohren klingen!

 

 

 

 

 

Maple Meadows, fünf Jahre später

 

»Du musst für mich einspringen!«

»Ach ja?«, fragte River unkonzentriert. Peter klang irgendwie komisch, als hielte er sich einen Wattebausch vor den Mund. Konnte aber auch an Rivers altersschwachem Handy oder der schlechten Verbindung liegen. Außerdem wurde Rivers Aufmerksamkeit größtenteils von seinem Pick-up in Anspruch genommen. Dessen stotternder Motor deutete drauf hin, dass sein klappriges Gefährt vorhatte, ausgerechnet auf dem Highway den Geist aufzugeben. Natürlich ziemlich genau in der Mitte zwischen Oakeridge und Maple Meadows. Da waren Peters Probleme erst mal nebensächlich.

»Du musst die Wandergruppe nächste Woche für mich übernehmen«, präzisierte Peter.

»Daraus wird nichts«, entgegnete River. »Normalerweise gerne. Aber nachdem ich durch die Finanzmanagement-Prüfung gerasselt bin, habe ich doch diesen Sommerkurs belegt … Und wenn ich mich nicht langsam mal hinter die Bücher klemme, wird das wieder nix, und ich kann meinen Abschluss vergessen. Das habe ich auch mit Grandpa so besprochen.«

»Tut mir echt leid. Aber der Arzt beharrt darauf, dass man mit einer Unterschenkelfraktur nicht als Wanderführer arbeiten kann.«

»Quatsch, das geht schon«, sagte River. In dem Moment machte sein Pick-up einen Satz wie ein neugeborenes Fohlen, um dann röchelnd am Straßenrand zu verenden. Scheiße!

»River! Ich habe mir ein Bein gebrochen!«, sagte Peter und stöhnte schmerzerfüllt.

Ups.

»Um Himmels willen! Wie geht es dir?« River klemmte sich sein Handy zwischen Ohr und Schulter, stieg aus und öffnete die Motorhaube.

»Ja, wie wohl, beschissen! Es würde helfen, wenn ich wüsste, dass Mr. Sawyer nicht allein mit diesen Städtern dasteht.«

Dem musste River allerdings zustimmen, während er versuchte, durch den Qualm, der aus dem Motorraum des Pick-ups aufstieg, irgendwas zu erkennen. Sein Großvater war der beste Wanderführer im Umkreis von 100 Meilen – theoretisch. Grandpa kannte jeden Stein der Berge um Maple Meadows und jeden Tropfen Wasser der umliegenden Seen persönlich, aber seit Grandmas Tod vor zehn Jahren hasste er es, Fremde um sich zu haben. Besonders, wenn diese Fremden über die Interstate 70 mit ihren Sportwagen aus Denver angebraust kamen und dachten, eine mehrere 1000 Dollar teure Ausrüstung machte sie zu erfahrenen Wanderern.

»Natürlich übernehme ich die Gruppe«, sagte River. Wer brauchte schon einen Abschluss von einem Community College? Zwar wollte River bei Maple Woods Adventures einsteigen, aber sein Großvater würde sich die Verbesserungsvorschläge seines Enkels nicht anhören, weil er mit einem Abschlusszeugnis wedelte. Wenn er ihn überhaupt ausreden ließ, dann deswegen, weil River da war, wenn man ihn brauchte.

»Bist du noch im Krankenhaus? Soll ich dich abholen? Oder was vorbeibringen?«, fragte River, ehe er in den Motorraum des Pick-ups spähte. Hm. Möglicherweise war sein Angebot ein wenig voreilig gewesen. Irgendwas, das ein Schlauch oder ein Kabel sein könnte, sah ziemlich durchgeschmort aus und roch auch so. River hatte keine Ahnung, wozu das Teil gut war, ging aber davon aus, dass es sich nicht zum Spaß in seinem Motorraum befand.

»Nein, Elisa kommt nachher vorbei«, sagte Peter zum Glück.

River wünschte dem Wanderführer gute Besserung und verzichtete darauf, zu fragen, ob Peters Frau Lust hätte, einen kleinen Umweg über den Highway nach Oakeridge zu machen. Sicher hatte Elisa jetzt andere Sorgen, als einen auf dem Highway gestrandeten Kollegen ihres Mannes abzuholen.

River steckte das Handy weg, schloss die Motorhaube wieder und blickte erst in die eine, dann in die andere Richtung. Was er sah, war eine schnurgerade Straße, verdammt viele Bäume und natürlich kein einziges Auto. River mochte Bäume, das tat er wirklich. Er wanderte auch gern zwischen ihnen umher. Nur halt nicht mitten auf dem Highway, wenn er seit dem Frühstück nichts gegessen hatte und schnellstmöglich nach Hause wollte. Aber anscheinend kam er nicht drum rum. Vielleicht kam ja noch jemand vorbei, bevor es anfing, zu regnen, oder was das Wetter in Colorado Ende Juni sonst so für unerfreuliche Überraschungen bereithielt. Bis dahin lief er aber lieber mal los.

Mit einem Seufzen umrundete River seinen Wagen, schob die Ladeflächenabdeckung ein Stück zurück und sammelte die Bücher ein, die er nach dem Unterricht einfach auf die Ladefläche geworfen hatte. Immerhin startete die Wanderung, die er von Peter übernehmen sollte, erst übermorgen. Möglicherweise reichte es ja für die Prüfungen, wenn er bis dahin noch ein wenig in die Unterlagen schaute. Darauf, dass der alte Will seinen Pick-up zeitnah abschleppen konnte, wollte er sich aber lieber nicht verlassen, deswegen blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als die Lehrbücher nach Hause zu tragen.

 

 

Tristan hatte die Interstate 70 kurz hinter Denver verlassen und näherte sich Maple Meadows nun ganz langsam, indem er seine weiße Corvette – ein Geschenk seines Vaters zum 21.

---ENDE DER LESEPROBE---