Weihnachtswunder to go - Eva Lucia Bolsani - E-Book

Weihnachtswunder to go E-Book

Eva Lucia Bolsani

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Beschreibung

Verliebe dich nicht in jemanden, den du noch nie gesehen hast! Vor acht Monaten hat Alfie Jil in einem Onlinespiel kennengelernt, und seitdem chatten sie regelmäßig miteinander. Jeden Abend freut er sich ein kleines bisschen mehr auf die Nachrichten der jungen Tischlerin. Ob das dieses Verliebtsein ist, um das alle immer so einen Wind machen? Alfie kann es nicht sagen, denn er war noch nie verliebt. Leider lebt Jil 1800 km von ihm entfernt, doch an Weihnachten sieht Alfie seine Chance für ein persönliches Treffen gekommen und lädt Jil auf die Farm seiner Familie ein. Als sie ablehnt, beschließt er kurzerhand: Dann fährt er eben zu ihr! Doch als er im Küstenstädtchen Bluewater Cove ankommt, trifft er nur Jils mürrischen Bruder an, der ihn am liebsten sofort wieder loswerden würde. Aber so schnell gibt Alfie nicht auf! Er ist gekommen, um ein perfektes Weihnachtsfest zu organisieren, da wird er sich doch nicht von so einem Grinch bremsen lassen. Mit unerschütterlichem Optimismus ignoriert Alfie die Mauern, die Julien sorgfältig um sich errichtet hat. Plötzlich backen sie Plätzchen, schmücken Weihnachtsbäume und organisieren gemeinsam ein Weihnachtsfest am Strand. Ein Albtraum für Julien! Oder etwa nicht? Auch Alfie vergisst immer mehr, dass er eigentlich wegen Jil gekommen ist. Aber was ist das zwischen ihm und Julien, und kann er sich wirklich darauf einlassen? Und was passiert, wenn das größte Hindernis nicht Jil oder die Entfernung ist, sondern die Angst, niemals gut enug zu sein? Slow-Burn-Romance trifft auf gefühlvolle Weihnachtsmagie: Mit Lichterketten am Strand, Kleinstadt-Charme und zwei Männern, die erst lernen müssen, einander – und sich selbst – zu vertrauen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Weihnachtswunder to go

Alfie & Julien

Gay Romance Christmas Novella

von

Eva Lucia Bolsani

Toronto, Bellamy & Sterling

Tausend kleine Sterne schwebten durch die Luft, legten sich sanft auf das Gesicht von Maria und Josef und verliehen sogar den etwas blassen Schafen rund um die Krippe eine festliche Aura.

Zufrieden steckte Alfie die Dose mit Glitzer in seine hintere Hosentasche und betrachtete sein Werk. Seiner unbescheidenen Meinung nach war ihm das Schaufenster perfekt gelungen. Es strahlte genau die richtige Menge festlichen Zaubers aus, um die Besucher draußen innehalten zu lassen, aber auch nicht so viel, dass er einen von Mr. Hartleys gefürchteten Vorträgen über »Eleganz statt Zirkus« zu hören bekommen würde.

Vorsichtig machte er sich daran, rückwärts aus der Auslage hinauszukrabbeln. Kein einfaches Unterfangen, denn neben dem obligatorischen Stall bevölkerte eine ganze Schar filigraner Engel das Schaufenster. Teils bestanden sie aus mundgeblasenem Glas, teils aus handbemalter Keramik, einige sogar aus gefaltetem Papier in Cremetönen. Sie baumelten an unsichtbaren Nylonfäden von der Decke, thronten auf künstlichen Wolken aus Watte und rahmten die kleine Krippe wie eine himmlische Eskorte ein.

Nicht schlecht, dachte Alfie, hüpfte aus der Auslage und betrachtete das Schaufenster erneut mit etwas mehr Abstand. Er hatte auf der Leiter balancieren müssen wie ein Zirkusartist, um die obersten Engel anzubringen – seine ein Meter fünfundsiebzig waren eben nicht für Deckenmontagen gemacht. Aber das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Dumm nur, dass sich draußen der November alle Mühe gab, jedes kleine bisschen Weihnachtsstimmung im Keim zu ersticken: grauer Himmel, nasser Nieselregen, matschige Straßen. Eine Kulisse, die eher an einen Horrorfilm erinnerte und nicht an ein Winter-Wunderland. Alfie seufzte. Mitte November war einfach zu früh für Weihnachtsdeko – aber Bellamy & Sterling wartete nicht auf das erste Adventswochenende. Die Schaufenster mussten jetzt fertig sein, damit die Kunden rechtzeitig in Kauflaune gerieten.

Sein Handy vibrierte in seiner Hosentasche. Zum dritten Mal in den letzten zehn Minuten.

»Verdammt«, murmelte er und nestelte es aus der Tasche.

Mom.

Natürlich. Wer sonst würde ihn während der Arbeit penetrant anrufen, als würde die Welt untergehen, wenn er nicht sofort ans Telefon ging?

Alfie spähte nervös über die Schulter. Mr. Hartley war nirgends zu sehen, wahrscheinlich war er im Lager und fluchte über eine verspätete Lieferung. Aber das hieß nicht, dass er nicht jeden Moment auftauchen konnte, mit diesem missbilligenden Blick, den er für Leute reservierte, die es wagten, während der Arbeitszeit private Anrufe anzunehmen.

Das Handy vibrierte erneut. Hartnäckig.

Okay, okay.

Alfie ließ seinen Blick durch das spärlich besuchte Untergeschoss des Kaufhauses schweifen und entdeckte seine Rettung: das große Lebkuchenhaus-Zelt für das nächste Schaufenster. Braun-weiß gestreift, mit aufgedruckten Zuckerguss-Verzierungen und roten Gummibärchen-Knöpfen und vor allem: mit einem Zelteingang an der Vorderseite.

Ohne lange zu überlegen, kroch Alfie auf allen Vieren hinein, zerrte den Reißverschluss hinter sich zu und nahm den Anruf an.

»Mom!«, zischte er aufgebracht. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich während der Arbeit keine privaten Gespräche führen kann? Ich muss die Weihnachtsdeko anbringen, und Mr. Hartley dreht durch, wenn er die halbfertigen Schaufenster sieht.«

»Ich würde jederzeit abends anrufen«, zwitscherte seine Mutter unbekümmert, als hätte er überhaupt nichts gesagt. »Wenn ich mir nicht sicher wäre, dass ich dann ohne Umwege auf der Mailbox lande, weil mein Sohn mal wieder dieses seltsame Onlinespiel spielt und keine Zeit für seine alte Mutter hat.«

»Du bist nicht alt«, flüsterte Alfie.

»Warum flüsterst du? Wenn es stimmen würde, dürfte es doch jeder hören!«

»Weil ich in einem Lebkuchenhaus sitze, mich vor meinem Chef verstecke und versuche, dieses Gespräch möglichst rasch zu einem Ende zu bringen«, fuhr Alfie ebenso leise fort.

»Ah, Lebkuchenhaus.« Seine Mutter klang entzückt, als hätte er gerade etwas unglaublich Charmantes gesagt. »Da ist auch schon das passende Stichwort. Ich rufe wegen der Weihnachtsplanung an. Ist es okay, wenn ich die Kids deines Cousins Heribert wieder mit dir in deinem Zimmer unterbringe? Oder willst du diesmal jemanden mit nach Hause bringen?«

Alfie öffnete schon den Mund, um ihr zu sagen, dass die drei Jungs natürlich mit in seinem Zimmer pennen konnten, er liebte die kleinen Racker. Doch dann zögerte er.

Was, wenn …

»Aha!«, trompetete seine Mutter. »Da gibt es jemanden!«

»Nein, so ist das nicht«, sagte Alfie schnell.

»Komm schon, du bist 23. Mir ist klar, dass du nicht mehr unschuldig bist … oder wie sagt man da heutzutage? Egal. Aber wenn es nun endlich jemand in deinem Leben gibt, mit dem du länger zusammen sein möchtest, dann würden wir uns alle freuen, sie kennenzulernen.«

»So ist das nicht«, wiederholte Alfie lahm. Er war nicht mit Jil zusammen. Und er war wirklich das, was seine Mom so schön als »unschuldig« umschrieben hatte. Weil ihn bisher kein Mensch auf der Welt auf diese Weise interessiert hatte.

Alfie war sich auch nicht sicher, ob Jil ihn auf diese Weise interessierte. Aber wenn er überhaupt jemals an Weihnachten irgendwen mit nach Hause bringen würde – dann Jil.

»Oder ist es ein Mann?«, fragte seine Mutter einfühlsam. »Alfie, Darling, du weißt, dass das keine Rolle spielen würde.«

»Nein …« Gerade noch rechtzeitig hielt Alfie sich davon ab, den Satz erneut mit: »… so ist das nicht«, zu beenden, und sagte stattdessen: »Sie lebt in Nova Scotia.«

»Aha«, sagte seine Mom. »Eine junge Dame also. Okay, Nova Scotia ist nicht gerade ums Eck, was zumindest erklärt, weswegen du sie noch nicht mitgebracht hast. Aber man muss kein Spaceshuttle chartern, um an Weihnachten von Nova Scotia nach Orangeville zu kommen, also bringst du sie mit, ja?«

»Nein, so ist das …«

»Ist sie übergewichtig? Sehr groß? Kleinwüchsig? Hat sie eine Narbe? Schämt sie sich deswegen? Sag ihr, dass es egal ist! Wenn du sie magst, werden sie alle für die schönste Frau der Welt halten. Und es ist ja nun wirklich nicht so, dass in unserer Familie alle wie das neueste Topmodel daherkommen.«

Das stimmte sogar. Die Brennans waren ein so großer Clan, dass Menschen in allen Farben und Formen Teil davon waren. Egal, weswegen irgendein Mensch glauben mochte, er oder sie könnte deswegen unangenehm auffallen – irgendein Familienmitglied hatte diese Besonderheit bereits. Und das traf bei Weitem nicht nur auf Äußerlichkeiten zu.

»Nein, ich … also … na ja …«

»Alfred!« Alfie zuckte bei der Nennung seines vollen Namens automatisch zusammen. »Weißt du überhaupt, wie die junge Frau aussieht?!«

»Na klar!«, verteidigte Alfie sich. »Sie hat lange, blonde Haare und blaue Augen!«

Mom stöhnte theatralisch. »Ich bin mir gerade echt nicht sicher, ob ich einen unverbesserlichen Romantiker oder einen schrecklichen Chauvinisten großgezogen habe!«

Nein, dachte Alfie bitter. Nur einen Sohn, der zu feige war zuzugeben, dass er nicht mehr über Jils Aussehen wusste als das: blonde Haare, blaue Augen. Stürmische Augen, die ihn an das Meer erinnerten, an dem sie lebte. Das einzige Mädchen, bei dem er je in Erwägung gezogen hatte, sie an Weihnachten mit nach Hause zu bringen – und er kannte nicht mal ihr ganzes Gesicht.

Vielleicht hätte er »ozeanblaue Augen« sagen sollen, damit Mom ihn wenigstens für einen Romantiker und nicht für einen Macho hielt.

»Es ist nur so …«, er druckste herum und platzte schließlich heraus: »Sie ist … sehr introvertiert.«

»Das ist doch wunderbar!« Er hörte, wie seine Mom in die Hände klatschte. »Dann passt sie perfekt zu dir. Und du kennst doch den Mann, den deine Cousine Bea letztes Jahr geheiratet hat? Peter. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ihn je mehr als ›Guten Abend‹ und ›Vielen Dank für die Einladung‹ habe sagen hören.«

Sie holte kaum Luft. »Es ist mir ein Rätsel, wie er es geschafft hat, Bea einen Heiratsantrag zu machen, aber wahrscheinlich hat sie das selbst übernommen. Macht man das heutzutage so? Ehrlich gesagt, finde ich das wenig romantisch, hoffentlich hat er ihr wenigstens einen Ring gekauft, aber er ist ein netter Kerl, also ist es mir eigentlich egal. Jil muss sich jedenfalls keine Sorgen machen, wenn sie auch nicht mehr als ›Hallo‹ sagen will, ist das völlig okay.«

»Ich muss sie doch erst fragen«, jammerte Alfie.

»Ja, warum hast du das nicht längst gemacht? Du bist doch nicht introvertiert. Also wirklich! Außerdem dachte ich, du musst so dringend arbeiten?! Dann mach das jetzt, und frag deine Jil heute Abend. Ich muss mit Heribert telefonieren, wir müssen uns was wegen der Jungs überlegen.«

»Mom, warte …!«

Doch sie hatte bereits aufgelegt.

Alfie schluckte und starrte auf das nun langsam verlöschende Display.

Jil.

Sah so aus, als würde er Jil zu Weihnachten einladen. Auch wenn es definitiv nicht »seine Jil« war.

Als Jil Teil ihrer Online-Spielgruppe wurde, hatte er gleich gespürt, dass sie etwas Besonderes war. Marcus und Dev hatten auf ihre vorsichtige Anfrage, ob sie in ihrer Gruppe nicht noch einen Assassinen brauchen könnten, mit ziemlich dämlichen Sprüchen reagiert.

»Wenn dein Avatar so heiß ist wie du, können wir ja mal eine Proberunde machen«, hatte Marcus gesagt, und Dev war natürlich gleich drauf eingegangen.

Dabei sah man auf ihrem Profilbild nicht mehr als ihre langen, blonden Haare. Sie hatte sich von hinten aufgenommen – vielleicht vor einem Strand, der Hintergrund war verschwommen. Mysteriös, aber nicht aufdringlich. Einfach … zurückhaltend.

»Mann, wie alt seid ihr, 14?!«, hatte Jasmin reichlich genervt gefragt.

Auch Alfie hatte sich an dem pubertären Quatsch nicht beteiligt. Okay, normalerweise wiesen sie Anfragen immer ab, gerne auch mal mit zotigen Sprüchen. Sie spielten seit fünf Jahren zusammen, nur zu viert, klar, dass da andere auf ihre Erfolge aufmerksam wurden. Aber Realms of Aetherwyn war nicht nur ein Spiel für sie, sondern auch der Garant dafür, dass sich die Clique, die in der Orangeville Secondary School unzertrennlich gewesen war, niemals aus den Augen verlieren würde.

Für den nächsten Raid brauchten sie allerdings wirklich dringend einen Assassinen, und deswegen hatte Alfie gemeint: »Wenn dich diese Idioten nicht längst vergrault haben, komm für heute dazu.«

Jil erwies sich als verdammt gute Ergänzung für ihr Team. Nicht nur, weil sie es draufhatte, sie drängte sich auch nicht in den Vordergrund, weder im Spiel noch im Chat. Es störte Jil offenbar auch nicht, dass ständig Insiderwitze im Chat liefen. Sie sagte überhaupt wenig, schien lieber zu schreiben, was auch daran liegen konnte, dass ihr Mikro echt mies war. Alfie hatte nie nachgefragt – manche Leute waren eben so.

Als sie zwei Wochen später wieder ohne einen dringend benötigten Assassinen dastanden, war es ausgerechnet Jasmin, die vorschlug: »Pingen wir doch Jil an. Ich hab’s eh langsam satt, das einzige Girlie zwischen euch Testosteronschleudern zu sein.«

Alfie verbat sich diese Bezeichnung, und Dev setzte noch einen drauf: »Jas, Darling, tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber du bist eine furchterregende Krankenschwester und kein Girlie.«

»Ich bin eine furchterregende Girlie-Krankenschwester!«, hatte Jasmin protestiert, während Alfie bereits Jil anschrieb.

Von dem Tag an war Jil fester Bestandteil ihrer Gruppe. Das war jetzt … wie lange her? Acht Monate? Sie blieb schweigsam und verschwand auch regelmäßig, wenn sie nach der Runde noch im Chat rumhingen und Neuigkeiten austauschten.

Wenn sie mal etwas Persönliches rausließ, dann, wenn sie mit Alfie kommunizierte. Vielleicht, weil er es war, der sie eingeladen hatte. Aber langsam, fast unmerklich, wurde mehr daraus.

Es begann mit kleinen Nachrichten nach den Raids: »Danke für den Heal, du hast mich gerettet.« Dann: »Bist du noch wach? Ich kann nicht schlafen.« Irgendwann tauschten sie Handynummern aus, und plötzlich schrieben sie sich jeden Tag. Über das Spiel, über das Leben, über alles.

Irgendwann hatte Alfie den Mut gefasst und sie gefragt, ob sie ihm nicht ein Bild schicken wolle, das mehr von ihr zeigte. Jil hatte ihm daraufhin das Foto gesendet, auf dem man nur ihre Augen sah.

Manchmal, wenn Alfie gestresst oder traurig war, sah er es sich an. Na gut, er sah es sich ziemlich oft auch einfach so an. Aber er hatte nie nach einem anderen Foto gefragt. Denn obwohl er keine Probleme damit hatte, mit allen und jedem zu schnattern, er verstand, wie es war, wenn man sich nicht öffnen wollte. Auch sie hatte nie hinterfragt, warum er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen war.

Ihn an Weihnachten zu seiner Familie zu begleiten, wäre bestimmt ein großer Schritt für sie. Andererseits hatte Mom recht: Nirgendwo konnte man besser in der Menge untergehen als auf der Weihnachtsfeier auf dem Hof seiner Familie! Jil brauchte nicht zu befürchten, dass nur sie beide mit seinen Eltern an einem Tisch säßen, die dann die vermeintliche Freundin ihres Sohnes ins Kreuzverhör nahmen. Im Gegenteil. Mehr Trubel ging kaum: Irgendjemand performte immer spontan ein Weihnachtslied, während andere unbekümmert ein Schläfchen machten, ganz sicher schaufelte sich in der Küche gerade jemand einen Snack rein, und irgendwer war garantiert schon besoffen. Die einzige Gelegenheit, bei der alle Anwesenden wach und nüchtern waren und sich gesittet benahmen, war der Gottesdienst am Weihnachtsmorgen.

Wenn Jil ihn persönlich treffen wollte – dann war Weihnachten der perfekte Zeitpunkt. Also würde er sie einfach fragen. Gleich heute Abend.

Alfie ließ sich rückwärts aufs Bett fallen und starrte an die Decke seiner winzigen Wohnung. Winzig war noch untertrieben. Sein Apartment in Kensington Market bestand im Grunde aus einem einzigen Raum, in dem Bett, Sofa – ein durchgesessenes Zweisitzer-Monstrum vom Flohmarkt – und Küchenzeile sich um jeden Quadratzentimeter stritten. Aber hey, er hatte einen Mega-Ausblick auf eine vielbefahrene Straße!

Er griff nach seinem Handy, das schon auf dem Nachttisch lag, und entsperrte es. Die vertraute grüne WhatsApp-Blase zeigte bereits eine neue Nachricht von Jil.

Jil: Und? Wie war dein Tag? Hast du die Engel überlebt?

Alfie grinste und tippte los.

Alfie: Die Engel schon. Aber ich wurde fast von einer Horde kreischender Kinder getötet.

Jil: ???

Alfie: Okay, Storytime: Meine Mom hat mich heute angerufen, während ich mitten in der Deko war. Also hab ich mich in einem Lebkuchenhaus-Zelt versteckt, um mit ihr zu telefonieren.

Jil: Natürlich hast du das.

Alfie: Alles lief gut, bis ich rauskrabbeln wollte. Draußen standen plötzlich drei kleine Kids mit ihren Eltern und haben mich angestarrt. Und dann – ich schwöre, das ist wirklich passiert – hat das kleinste angefangen zu KREISCHEN: »DIE HEXE! DIE HEXE KOMMT RAUS!«

Jil: Oh nein :))

Alfie: Oh doch. Und natürlich kam genau in dem Moment Mr. Hartley vorbei und hat mich zusammengestaucht, weil ich »meinen Job offenbar nicht ernst nehme« und »die Kunden verstöre«.

Jil: Hast du ihm gesagt, dass du nur telefoniert hast?

Alfie: Klar. Er meinte, das macht es nur noch schlimmer. »Brennan, wenn Sie während der Arbeitszeit schon private Anrufe tätigen müssen, tun Sie das bitte AUSSERHALB eines Märchenszenarios.«

Jil: Ja, das klingt nach deinem Boss.

Alfie: Eigentlich ist er schon okay. Nur ein Kontrollfreak. Aber die Kinder haben den ganzen Tag vor dem Schaufenster gestanden und nach der Hexe gesucht. Also war’s am Ende sogar gut fürs Geschäft. :))

Jil: Du ziehst wirklich überall Chaos an.

Alfie: Danke, das nehme ich als Kompliment. Und du? Was hast du heute gemacht?

Eine kurze Pause.

Jil: Nichts so Lustiges. Nur gearbeitet. Ich hab heute den Auftrag für einen Schaukelstuhl bekommen.

Alfie lächelte. Jil war Tischlerin, was er ziemlich cool fand. Sie hatte sogar eine eigene kleine Werkstatt in diesem winzigen Küstenstädtchen, in dem sie lebte. Im Sommer hatte sie viele Aufträge für die Innenausstattung von Booten, aber im Winter schien das Geschäft eher schlecht zu laufen. Umso mehr freute er sich für sie.

Alfie: Das ist doch toll! Schaukelstühle sind total gemütlich. Wenn ich jemals eine Veranda besitze, ist ein Schaukelstuhl das Erste, was ich da daraufstelle!

Er tippte weiter, wollte etwas über bunte Kissen und Decken schreiben, mit denen er sich auf so einem Stuhl einkuscheln und Tee trinken würde, aber dann hielt er inne. Seine Finger schwebten über der Tastatur. Das Gespräch mit seiner Mom hallte plötzlich wieder in seinem Kopf nach. »Oder willst du diesmal jemanden mit nach Hause bringen?«

Sein Herz klopfte schneller.

Alfie:

Er starrte auf den blinkenden Cursor und löschte die angefangene Nachricht wieder. Dann tippte er erneut. Löschte wieder.

Komm schon, Alfie. Einfach fragen. Was soll schon passieren?

Eine Minute verstrich. Dann zwei.

Jil: Bist du noch da?

Alfie:

Jil: Bist du müde? Sollen wir für heute Schluss machen?

Alfie: Nein …

Jil: Okay, was ist los? Magst du es mir erzählen?

Alfie starrte auf die Nachricht. Die Worte fühlten sich an wie eine offene Tür. Eine Einladung. Jil fragte nicht oft so direkt. Sie gab ihm Raum, wartete, bis er von selbst kam. Aber jetzt … jetzt fragte sie.

Er konnte nicht tippen. Seine Finger waren nutzlos. Also drückte er das Mikrofon-Symbol und begann zu sprechen.

Sprachnachricht – 1:47 Min

»Okay, also … ähm… hi. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach schreibe, aber … na ja. Also. Meine Mom hat heute angerufen – das hab ich ja schon erzählt, aber … sie hat gefragt, wegen Weihnachten, weißt du? Und normalerweise ist das immer so, dass mein Cousin Heribert … also, er hat drei Jungs, und die pennen dann immer bei mir im Zimmer, was total okay ist, wir haben immer jede Menge Spaß, aber …«

Er holte Luft. Verhedderte sich.

»Jedenfalls hat sie gefragt, ob ich dieses Jahr vielleicht jemanden mitbringen will. Also, nicht die Kids. Sondern … jemand anderen. Und ich hab erst gar nicht … ich meine, ich hab nicht dran gedacht, aber dann … also, sie meinte, dass …«

Pause. Er hörte sich selbst atmen.

»Okay, das kommt jetzt alles durcheinander. Entschuldige. Was ich sagen will: Weihnachten bei uns ist komplett verrückt. Meine ganze Familie ist da, es ist laut und chaotisch, der Weihnachtsbaum fällt immer mindestens einmal um, weil jeder was dranhängen will, und es gibt viel zu viel Essen, und … aber es ist auch schön, weißt du? Und … ich dachte …«

Er schluckte.

»Ich dachte, vielleicht … also, nur wenn du willst, kein Druck oder so, aber … würdest du vielleicht … mit mir … also, zu uns kommen? An Weihnachten? Ich weiß, das ist jetzt total aus dem Nichts, und du musst nicht, aber … ich würde mich echt freuen. Und du müsstest nicht … also, du müsstest nicht mit allen reden oder so, du könntest einfach … da sein. Mit mir.«

Stille.

»Okay. Das war jetzt … ich schick das jetzt einfach ab, bevor ich es mir anders überlege. Bye.«

Er drückte auf »Senden«, bevor sein Gehirn Einspruch erheben konnte.

Dann warf er das Handy aufs Bett, als wäre es eine Handgranate.

»Scheiße«, murmelte er und vergrub das Gesicht in den Händen. »Scheiße, scheiße, scheiße.«

Das Handy lag stumm neben ihm. Die Nachricht war gesendet. Die zwei blauen Häkchen erschienen.

Sie hatte die Nachricht abgehört.

Alfie hielt den Atem an.

Es geschah … nichts. Tippte Jil? Er wagte nicht, auf das Display zu schauen, bis sein Handy schließlich leise vibrierte.

Jil: Ich kann nicht.

Alfie starrte auf die drei Worte.

Ich kann nicht.

Er hielt sich die Augen zu, als könnte er damit die Nachricht ungeschehen machen. Sein Herz hämmerte in seiner Brust, laut und unerbittlich. Dumm. Das war so dumm gewesen. Natürlich konnte sie nicht. Was hatte er sich dabei gedacht? Sie kannten sich nur online, sie hatte nie ihr Gesicht gezeigt, und er hatte sie gebeten, mit ihm zu seiner chaotischen Familie zu fahren, als wäre das die normalste Sache der Welt.

Das Handy blieb stumm. Keine weiteren Nachrichten. Keine Erklärung.

Alfie öffnete die Augen und starrte an die Decke. Auf die bunten Schatten, die von der Ampel draußen kamen. Hatte er jetzt alles kaputtgemacht? Das war das Letzte, was er wollte. Er musste sich etwas einfallen lassen. Schnell.

Alfie: Hey. Ist okay. Du musst mir nichts erklären.

Er hielt inne. Löschte alles wieder. Tippte erneut.

Alfie: Hey. Ist okay. Du musst mir nichts erklären. Tut mir leid, falls ich dich in eine komische Lage gebracht hab.

Senden.

Dann ließ er das Handy auf die Bettdecke fallen und schloss die Augen. Sekunden verstrichen. Das Display leuchtete auf.

Jil schreibt …

Die drei Punkte erschienen. Verschwanden. Erschienen wieder.

Alfie hielt den Atem an. Was auch immer sie schrieb, sie rang offenbar damit.

Dann endlich:

Jil: Alfie, es tut mir so leid. Die Einladung … sie bedeutet mir so viel. Mehr, als du dir vorstellen kannst. Aber ich kann wirklich nicht. Es sind nur wir zwei. Ich und meine Tante. Sie lebt in einem Seniorenstift hier in Bluewater Cove, und sie ist alt und kann nicht mehr reisen. Ich hole sie an Weihnachten ab, und wir feiern ein bisschen bei mir. Es ist nichts Besonderes. Sie ist traurig, aber ich weiß nicht, wie ich es besser machen soll. Ich bin nicht gut darin, Freude zu verbreiten. Nicht so wie du.

Alfie spürte, wie sich etwas in seiner Brust löste. Nicht die Enttäuschung – die blieb. Aber die Scham, die Angst, etwas falsch gemacht zu haben, wich.

Jil: Ich würde es lieben, bei dir zu sein. Wirklich. Aber ich kann nicht. Schick mir jeden Tag ein Bild, ja? Von deiner Familie, vom Essen, von allem. Ich will nichts verpassen. Es tut mir so leid, dass ich nicht zusagen kann.

Alfie las die Nachricht zweimal. Dreimal. Dann atmete er tief durch und lächelte – ein kleines, trauriges Lächeln, aber echt.

Alfie: Hey, kein Stress. Ich verstehe das total. Deine Tante ist wichtig, und dass du bei ihr bleibst, das ist wirklich schön. Ehrlich. Du bist ein guter Mensch, Jil.

Er schickte die Nachricht ab, dann fügte er hinzu:

Alfie: Und klar schick ich dir Bilder. Jeden Tag. Du wirst dir wünschen, du hättest nie gefragt, wenn du siehst, wie viel Chaos meine Familie produziert. :)

Alfie: Wir sehen uns dann eben ein anderes Mal, okay? Wir könnten uns im Sommer mal treffen. Irgendwann nächstes Jahr.

Die Antwort kam diesmal schneller.

Jil: Danke. Das bedeutet mir wirklich viel.

Alfie: ^_^

Alfie legte das Handy wieder beiseite und starrte erneut an die Decke. Die Enttäuschung war immer noch da, schwer und dumpf in seiner Brust. Aber auch etwas anderes: ein warmes Gefühl, das sich langsam ausbreitete.

Jil hatte nicht Nein gesagt, weil sie ihn nicht mochte. Sie hatte Nein gesagt, weil sie ihre Tante nicht im Stich lassen wollte. Und das … das war irgendwie das Schönste, was sie ihm hätte sagen können.

Trotzdem.

Er drehte sich auf die Seite, zog die Decke über sich und schloss die Augen. Draußen rauschte der Verkehr vorbei, gedämpft durch das Fenster. Nächstes Jahr, dachte er. Oder irgendwann.

Aber ein kleiner, hartnäckiger Teil von ihm flüsterte: Was, wenn nicht?

Toronto, Little Italy

Die Pizzeria war laut und voll, und es roch nach Knoblauch und geschmolzenem Käse. Normalerweise liebte Alfie diesen Ort – das Chaos, die offene Küche, wo die Pizzabäcker den Teig in die Luft warfen, das Stimmengewirr der Gäste, die sich über ihre Tische hinweg anbrüllten. Aber heute fühlte es sich an, als wäre er in Watte gepackt. Die Geräusche drangen gedämpft an sein Ohr, und selbst die Pizza vor ihm – eine Margherita mit extra Basilikum – wirkte irgendwie farblos.

»Erde an Alfie.«

Dev wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht. »Hallo? Bist du noch da?«

»Äh, ja. Klar.« Alfie schüttelte den Kopf und zwang sich zu einem Lächeln. »Sorry. War grad … woanders.«

»Das hab ich gemerkt.« Dev lehnte sich zurück und musterte ihn mit diesem ruhigen, analytischen Blick, den Alfie gleichzeitig liebte und hasste. Dev konnte Menschen lesen wie andere Leute Bedienungsanleitungen. »Du hast in den letzten zehn Minuten vielleicht drei Wörter gesagt, und zwei davon waren ›ähm‹. Was ist los?«

»Nichts.« Alfie griff nach seinem Glas Wasser und trank einen Schluck, nur um etwas zu tun zu haben. »Alles gut.«

»Alfie.«

»Wirklich.«

Dev seufzte und biss in seine Pizza. »Okay. Wenn du nicht drüber reden willst, ist das okay. Aber du siehst aus, als hättest du seit Tagen nicht geschlafen.«

Das stimmte. Alfie hatte seit Tagen nicht richtig geschlafen. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, sah er Jils Nachricht vor sich: Ich kann nicht. Und dann stellte er sich vor, wie sie in einem kleinen Haus am Meer saß, still und allein, während die Welt um sie herum Weihnachten feierte.

Es war lächerlich. Sie chatteten jeden Tag. Alles war wie immer. Jil erzählte von ihren Aufträgen, von dem Schaukelstuhl, den sie gerade baute, von einem Buch, das sie las. Alfie schickte ihr Fotos von seinem Alltag, von den Schaufenstern, von den absurden Dingen, die Mr. Hartley sagte. Oberflächlich betrachtet hatte sich nichts geändert.

Aber irgendwas stimmte nicht. Er spürte es. Eine Lücke, die vorher nicht da gewesen war.

»Ist es der Job?«, fragte Dev vorsichtig. »Hast du keinen Urlaub bekommen?«

Alfie blinzelte. »Was? Ach so. Doch, klar.« Er atmete tief durch und nahm sich vor, sich endlich auf seinen Freund zu konzentrieren. Auch wenn es sie beide nach Toronto verschlagen hatte, fanden sie viel zu selten Zeit für ein persönliches Treffen.

»Aber Mr. Hartley hat natürlich wieder einen Riesenaufriss deswegen gemacht.« Er bemühte sich um einen lockeren Ton. »Wenn in irgendeiner Krippe ein Schäfchen umfällt, braucht man natürlich zwingend einen Schaufensterdekorateur, der es wieder aufstellt.« Alfie verdrehte die Augen. »Als ich den Urlaubsantrag eingereicht habe, hat mein Boss mir eine halbe Stunde einen Vortrag über ›Professionalität und Kundenfreundlichkeit‹ gehalten.«

Alfie schüttelte den Kopf und biss endlich von seiner Pizza ab. »Wemm ihm das so wichtig iss, muff er halt auf seinm Skiurlaub verzichten«, mümmelte er an der Pizza vorbei.

Dev kicherte. »Aber er hat unterschrieben? Du kannst fahren?«

Alfie schluckte runter. »Klar. Spätestens am zweiten Advent muss die ganze Deko stehen, und dann kann ich los. Erst nach den Feiertagen wird es dann noch mal richtig stressig: Engel raus, Glücksschweine rein, und das am besten überall gleichzeitig.«

»Schlimmer als Weihnachten mit deiner ganzen Familie kann es nicht sein.« Dev lachte. »Freust du dich schon auf den Trubel auf eurem Hof?«

---ENDE DER LESEPROBE---