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Dichterschlacht mit Rabenpeter.Wawerzinek klaut den deutschen Literaten ihre Spracheund schreibt eine kuriose Literaturgeschichte der Moderne. Es war das Comeback des Jahres 2010, als der Schriftsteller Peter Wawerzinek zuerst den Bachmannpreis erhielt und kurz darauf mit seinem autobiografischen Roman Rabenliebe den Überraschungshit des Herbstes landete. Gut zehn Jahre war es still gewesen um den genialischen Dichter aus (Ost)Berlin, der viele Jahre auch durch sein Bukowski-Leben von sich reden machte. Dabei hatte der begabte Stegreifpoet und grandiose Stimmenimitator schon immer viele Anhänger. Man nannte es den »Wawerzinek-Sound«, wenn man versuchte, die Sprachprovokationen des Autors zu beschreiben, zu dessen Lieblingsübungen seit den 80ern das Parodieren von bekannten Autoren gehörte.Der besessene Vielleser ScHappy – so sein damaliger Spitzname – imitierte nach seiner Lektüre die Texte, indem er – mal in liebevoller Verehrung, mal mit bösartig-bissigem Spott – im Duktus des Autors das Märchen vom Rotkäppchen erzählte. (Schon in der DDR berühmt: Wawerzineks Christa-Wolf-Parodie Spürfalle).Was als Fingerübung und praktische Textkritik begann, ist inzwischen zu einer beeindruckenden Sammlung angewachsen, die sich wie eine kuriose deutsche Literaturgeschichte liest, geschrieben in Parodien. Für das vorliegende Buch wurden die besten Wawerzinek-Parodien herausgesucht, ja mehr noch: Als Freund- und Feindpaarungen wurden die Texte gegenübergestellt.
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Seitenzahl: 99
Peter Wawerzinek
Wawerzineks Raubzüge durch die deutsche Literatur
Parodien
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Wer Augen hat zum Wittern
Und eine Haut zum Zittern
Wer Ohren hat zum Bellen
Und kann mit Krallen hörn
Und kann mit Zähnen lieben
dem seien diese Zeilen hier
gutgeschrieben
DADAExpressionismus Impressionismus Vorkriegszeit
Letzte Weihe
Wie dunkel sind deine Hände
und deine Augen so schwach
ach, deine Kräfte sind am Ende
wie laut ich mich an dich wende
als letzter Biss
der Ölung letztes Schlucken
da regt sich aber auch so gar nix mehr
da ist kein einzig Muskelzucken
ich werd mal nach dem Jäger gucken
den mit dem Schießgewehr
Der Märchenwald liegt brach
er leert sich Jahr um Jahr
ob man mir glaubt oder nicht
Hier wo dein Haupt
noch Kissen ist und leis ein Atmen
altert im Gesicht folg ich dir
ach
bald schon
bald
nach
Verschlingen kann man das Lebendige rückwärts,
ausspeien dagegen muss man es stets vorwärts.
Gasthof Märchenland
Oben, mitten in der Gartenkolonie liegt das Gasthaus Märchenland. Gnadenlos kassiert der Wirt nach jeder Runde ab. Da hocken die Märchengestalten und nippen wässriges Bier. Nach dem dritten Likör schläft Hans im Glück ein, was Dornröschen erbost. Rumpelstilzchen klagt wieder wie kalt ihm immer die Füße sind. Ein wirrer Kopf, den sie Prinz nennen, geht von Tisch zu Tisch, fragt nach interessanten Namen, die einem untergekommen. Hubert scheucht den Irren fort. Heiner macht es ihm nach, und Rosi kann Männer überhaupt nicht in Brustnähe kommen lassen. Manchmal spielt ein dürres Männchen, Frosch genannt, wohl wegen seinem Breitmaul, verrückt, springt quer durch die Kneipe gegen die Wand, will zerplatzen, sich in Adorno, wie er keucht, verwandeln. Pechmarie pult den Dreck unter ihren Fingernägeln, wischt die Nase mit dem Ärmel. Der alte Knauserich an ihrer Hüfte knurrt zum Wirt hin, zeigt ihm sein morsches Gebiss, gibt an, früher hätte er sich mit Waidmanns wilden Horden angelegt. Darauf hebt ihren Pokal hintendrein aus der äußersten Ecke jene, die tagsüber Stiefmütterchen verkauft, ruft: Prost dem Jagdverein!
Der Wirt schließt pünktlich. Die Unwilligsten sind vorher gegangen.
Und wenn sie nicht über Nacht gestorben sind, sitzen sie morgen wieder im Gasthof Märchenland.
Die glückschen Scheingeschluckten
Wohldem
der in seinem Iglu sitzt,
was Menschliches im Bauch hat
und Friede im Herzen.
Deprimier-Tour
Herr Je ging in den Wald
wollt denken und schreiben
so Verse aus sich treiben
und für Frau Je was schnitzen halt.
Wie Herr je mi nee schnitzend war
sprach ihn das Wolfstier Schnuck an
ob er das Fräulein Rotkäppchen wohl sah
Herr Je gab zur Antwort kurz und knapp:
Hau ab und leck mich, Mann.
Das brachte Herrn Wolf in Wut
Eh ich mich vom Je veräppeln lass
mach ich mir nen Extraspaß
Und fraß Herrn Je min sin Frau
die olle tolle Dame zum Tribut
mit Stiftzahn und Dornenhut.
Und die Moral davon:
Kennst du im Wald dich nicht aus,
bleib besser all Tied im Haus.
Mach Urlaub auf dem Balkon.
Weltwende
Dem Jäger fliegt vom Kopf der grüne Hut
in allen Hütten hallt ein Wolfsgeschrei
Rotkäppchen rutschen aus und gehen kaputt
Und an den Küsten – liest man – steigt
die Flut
der Wut
recht gut
wenn sies denn tut
Der Wolf ist gaga geworden, die wilden Zähne
Lechzen nach Norden und hupfen im Wald
wollen Waldbegängerinnen zerstücken
Die geselligeren Tiere haben tüchtig Schnupfen
der Specht im Gedächtnis arg demente Lücken
Trinklied der Wölfe
Ich hab die Oma verschlungen
die Oma war zääääh und alt
Ich habe sie niedergerungen
da war sie aber schon tot und ganz kalt
Ich fraß mit dem frühen Morgen
das kleine Mädchen hinterdrein
Jetzt fange ich an mich zu Sorgen
wer wird wohl mein nächstes Opfer sein
Mein rotes Tuch
Traumdelle
Bis hierher hatte die Kleine laut vorgelesen, nun fielen ihr die Augen zu. Die Mutter beugt sich zu ihr nieder, küsst das Mädchen sanft auf die rote Kappe, klappt das Märchenbuch zu. Warte nicht, sagt sie zum Mann, der ihr die Wange zum Kuss hinhält und weiter im Sportteil liest, obwohl sie ihn die Nuance inniger küsst als sonst je zuvor und im Gehen ungewollt haucht: Na denn mal na denne und, ohne wirklich das Gefühl zu haben, dass sie zu irgendwem im Raume spricht: Es wird mir schon nichts groß passieren. Und weil niemand hinhört oder ihr nachsieht, lässt sie sich selber daraufhin völlig unspektakulär und unbemerkt von hinnen ziehen.
Einmal wenigstens sollte man den Wolf
zur Probe Oma und Rotkind schlingen lassen.
Vielleicht wird ihm schlimm und er übergibt sich kurz darauf.
Eine Kafka-Fabel
»Eu jeu jeu«, stöhnte der Wolf, »der Körper wird mir enger mit jedem Tag. Anfangs war er so breit wie eine aufgeblasene Einkaufstüte kurz bevor das Kind sie mit einem Hieb als Knalleffekt platzen lässt. Der Magen war eine Speisekammer, dass ich Angst hatte, ich könne den Raum nicht füllen und zöge besser mit Sack und Pack und Brod-Korb aus meiner kleinen Prager Wohnung direkt in mich selbst ein. Mein Appetit war so groß, dass ich mich verschlang. Nur so viel. Meine Fingernägel wie Eisbahnen glatt. Die Lippen glänzten und schritten leuchtend mir voran. Meine aalglatten Hände ließen sich schwer nur entfetten. Mir reichte man nicht die Hand. Ich wähnte mich wohlgebaut. Ein Augenschmaus für jedermann, ging ich denn schließlich doch einmal mit mir aus mir heraus. Eu, sie scheuchten mich, statt sich meiner zu erfreuen. Vor ihnen allen sicher und nun schon eine geraume Zeit in Isolation verwahrt, meine ich, die Kammer in mir schrumpfe, ich müsse im Inneren nur noch einen Brod-Kasten beherbergen, vielleicht auch nur eine Butter-Brod-Büchse fürs Butter-Brod-Papier. Ein unglückliches Wesen dämmert hier hingestreckt. Rechts wie links aus der Ferne sehe ich Mädchenriegen zu allem entschlossen anmarschieren, mit lang ausholenden Schritten eilen sie so energisch und schnell auf mich in mir als mein Versteck zu, dass ich in dem letzten Winkel meines Inneren wie in der Falle hockte, in die ich laufe sollte, in die sie mich zu treiben suchten. Es würde schlimm enden, wäre nicht soeben ein mir fremder Fremder als mein Retter eingetroffen.« – »Alles nicht so schlimm«, sagte der Jäger. »Mitunter muss einer im Leben nur die Denkrichtung ändern, das Undenkbare erleben«, und verpasste dem Wolf eine Doppelladung Schrot.
(Gründonnerstag 1920, in der Bearbeitung von Max Brod)
Die Seele jeder Ordnung
ist ein großer Wolfsschlund.
Lied vom Gefressenwerden
Zum Fressen und Gefressenwerden
Gehören immer zwei
Einer der frisst und einer
Welcher der Gefressene ist
Frisst einer für zwei
Steht einer hungernd dabei
Frisst einer den andren auf
Und der hat unterdessen
Einen andren bereits gefressen
Wirft das die eine Frage auf
Wer kam als erster drauf
Und wer wird der Letzte sein
Es geht die Rechnung auf
Wenn der Vielfraß übrigbleibt
Nur eins ist wirklich Mist
Wenn der Fresser
Wenn der Fresser
Nicht hungrig ist
Das Kind zur Waldoma schicken ist sehr leicht.
Schwer ist daran nur, das Ergebnis zu lieben.
Denn der Wolf ist eine KNURRENDE SPEISEKARTE.
Wölfe sind oft die besseren Freunde.
Sie sollten besser nicht die Einzigen in unsrem Leben sein.
Wenn der Hungermann sich überschlägt