Perry Rhodan Neo 226: Erbe des Kristallthrons - Lucy Guth - E-Book

Perry Rhodan Neo 226: Erbe des Kristallthrons E-Book

Lucy Guth

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Beschreibung

Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Als aus dem Imperium der Arkoniden beunruhigende Nachrichten zur Erde dringen, reist Rhodan nach M 13. Er erlebt mit, wie die bisherige Herrscherin gestürzt wird. Mascudar da Gonozal, ein Imperator aus ferner Vergangenheit, will mit allen Mitteln an die Macht gelangen, was fatale Folgen für die Menschheit haben kann. Während Mascudar sich auf die Machtübernahme vorbereitet, wollen die Menschen die MAGELLAN zurückerobern. Dieses Raumschiff hatten sie kurz zuvor den Arkoniden übergeben müssen. Ein riskanter Einsatz führt Perry Rhodan ins Arkonsystem zurück. Dort gerät Mascudars Sohn und Rhodans Freund Atlan zwischen die Fronten und in Loyalitätskonflikte – denn er ist der ERBE DES KRISTALLTHRONS ...

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Band 226

Erbe des Kristallthrons

Lucy Guth

Cover

Vorspann

1. Kristallscherben

2. Traditionen

3. Prinzessin

4. Happy New Year

5. Codes

6. Männlicher Zorn

7. In der Maske

8. Mission Naat

9. Mission Arkon

10. Letzte Kontrolle

11. Das Dahondra

12. Enterkommando

13. Niras Entscheidung

14. Kommando Freigeist

15. Der richtige Moment

16. Arkon erwacht

17. Flucht auf der Baustelle

18. Der Empfang

19. Flucht durch den Kristallpalast

20. Segen und Fluch

21. In einem verlorenen Himmel

22. Imperators Wut

Impressum

Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs.

Als aus dem Imperium der Arkoniden beunruhigende Nachrichten zur Erde dringen, reist Rhodan nach M 13. Er erlebt mit, wie die bisherige Herrscherin gestürzt wird. Mascudar da Gonozal, ein Imperator aus ferner Vergangenheit, will mit allen Mitteln an die Macht gelangen, was fatale Folgen für die Menschheit haben kann.

Während Mascudar sich auf die Machtübernahme vorbereitet, wollen die Menschen die MAGELLAN zurückerobern. Dieses Raumschiff hatten sie kurz zuvor den Arkoniden übergeben müssen. Ein riskanter Einsatz führt Perry Rhodan ins Arkonsystem zurück. Dort gerät Mascudars Sohn und Rhodans Freund Atlan zwischen die Fronten und in Loyalitätskonflikte – denn er ist der ERBE DES KRISTALLTHRONS ...

1.

Kristallscherben

Mit angehaltenem Atem presste sich Mirona Thetin an die steinerne Wand des Gangs. Ihr Puls raste, die Anstrengung ließ ihren Hals eng werden. Der Stein in ihrem Rücken strahlte eine eisige Kälte aus – dieselbe Kälte, die Mirona überall auf Arkon entgegenschlug. Sie hielt sie nicht mehr aus, diese Kälte. Sie hatte sie nicht verdient. Sie war Faktor I, verdammt noch mal! Man hätte ihr als Herrscherin über das Sternenreich von Andrumidia Hochachtung und Respekt zollen müssen. Stattdessen rannte sie wie ein Dieb durch die Gänge des Kristallpalasts. Es ist unwürdig.

Natürlich hatte sie keine andere Wahl. Nicht, wenn sie sich nicht zu einer Figur in diesem elenden Spiel der Kelche, dem Ringen der Hochadelsfamilien um Macht und Einfluss am imperialen Hof, machen lassen wollte. Sie konnte sich auf niemanden mehr verlassen. Nicht mal auf Atlan.

Der Gedanke an ihren Geliebten versetzte Mirona einen Stich, schnell verdrängte sie diese Irritation. Stattdessen spähte sie mit gezogenem Strahler um die Ecke. Bislang war es ihr gelungen, den Wachen aus dem Weg zu gehen. Falls nötig, würde sie aber auch nicht zögern, Gewalt anzuwenden, um zu entkommen – sie hatte noch Asse im Ärmel. Der Gang vor ihr war leer. Die von ihr aus linke Wand war noch nicht fertiggestellt und mit halbdurchsichtigen, hellgrauen Planen verhängt, die Mirona etwas primitiv erschienen. Wie etliche Bereiche des Kristallpalasts war auch dieser Teil eine Baustelle, weit davon entfernt, wieder den ursprünglichen Glanz zu erreichen, von dem Atlan ihr vorgeschwärmt hatte.

Mirona verzog spöttisch die Lippen. Die Arkoniden hängen zu sehr an altem Ruhm und Ehren der Vergangenheit. Ich an ihrer Stelle hätte den Kristallpalast kurzerhand abgerissen und etwas vollkommen Neues aufgebaut.

Der neue Haushofmeister hatte Schnappatmung bekommen, als sie Atlan gegenüber eine entsprechende Bemerkung hatte fallen lassen. Trottel. Was soll es bringen, ein fast völlig zerstörtes Gebäude wieder hochzuziehen? Es ist ein Projekt für Romantiker und Traditionalisten. Genau das ist das Problem.

Mirona schob sich um die Ecke und huschte den Korridor entlang, der auch im weiteren Verlauf immer wieder mit Staubsperrplanen verhängt war. Es war ihr Glück, dass ihre Zimmerflucht relativ günstig im Trichtergebäude lag. Mascudar da Gonozal war nicht so dreist gewesen, bereits vor seiner Inthronisierung in die Gemächer des Imperators im obersten Stockwerk einzuziehen. Noch residierte er stattdessen in den althergebrachten, weitläufigen Gemächern der da Gonozals, die sich nach wie vor auf mittlerer Höhe des Kristallpalasts befanden. Atlan da Gonozal hatte Mirona Thetin in einem Gästezimmer dieses Areals untergebracht. Natürlich lebten sie eigentlich beide zusammen dort, aber Atlan hatte der Form halber offiziell ebenfalls einen Raum in den Familienräumen bezogen. Über einen nahe gelegenen Antigravschacht war es für Mirona leicht gewesen, von ihrem Quartier aus die unteren Sektionen zu erreichen. Nur dieser Gang vor ihr trennte sie noch von der Tür, die nach draußen führte – dorthin, wo ihr Raumschiff direkt neben dem Palast stand.

Eigentlich galt rund um den Kristallpalast auf dem Hügel der Weisen eine Flugverbotszone, aber Mirona hatte sich darüber hinweggesetzt. Sie hätte die GARTAVOUR auf keinen Fall längerfristig weiter entfernt abgestellt. Das wäre ja noch schöner, wenn die Arkoniden mein Schaltschiff in die Finger bekämen. Eigentlich war es Atlans Schiff, wusste sie. Aber das war vorbei, beschloss sie. Ab sofort gehörte die GARTAVOUR wieder ihr.

Abrupt hielt Mirona an, denn ein Warnholo leuchtete unmittelbar vor ihr auf. »Vorsicht, Energieschirm!« Ein Panikimpuls schoss ihr vom Scheitel bis in die Fußspitzen, als sie das hellgrüne Leuchten wenige Schritte vor sich hinter einer weiteren Plane erkannte. Sie haben meine Flucht entdeckt! Sie riegeln das Gebäude ab!

In der nächsten Sekunde erkannte sie ihren Denkfehler. Das Warnholo machte deutlich, dass diese Energiewand wohl schon länger, möglicherweise dauerhaft aktiviert worden war. Vorsichtig ging Mirona näher heran. Der Gang war in seiner vollen Breite aufgerissen. Ein drei Schritt durchmessender Riss klaffte im Boden wie ein Maul auf. Liegen gelassene Werkzeuge und ein feiner Staubdunst in der Luft ließen darauf schließen, dass an dem Spalt vor Kurzem noch gearbeitet worden war.

Noch eine Baustelle! Mirona stöhnte lautlos auf. Sie war dem Ziel doch bereits so nah. Aber nun musste sie entweder das Stockwerk wechseln oder einmal komplett um den unteren Bereich des Palasts herumlaufen – und der »Stiel« des Kelchbaus durchmaß gut und gern fünfhundert Meter.

Ein Scheppern auf der anderen Seite der Plane ließ Mirona zusammenfahren. Sie erstarrte in der Bewegung. Eine weibliche Stimme stieß einen Schwall Schimpfworte aus.

Arkoniden können fluchen? Ich hätte nicht gedacht, dass die Bewohner des Kristallpalasts ihre Lippen damit besudeln ...

Behutsam näherte sich Mirona der Plane und äugte dort, wo zwei Bahnen aufeinandertrafen, durch den schmalen Spalt. Die Plane bestand aus einem seltsamen Material – irgendeine Mischung aus Naturfasertextil und Kunststoff – und fühlte sich kühl an. Als Mirona den Vorhang berührte, verspürte sie ein leichtes Vibrieren.

Ein intelligenter Werkstoff – mit Sicherheit sind das mehr als einfache Planen. Hätte ich mir gleich denken können. Wahrscheinlich absorbiert er den entstehenden Schmutz und hält den Baulärm gleich mit fern, oder die Arkoniden haben sich irgendwas anderes Schlaues einfallen lassen.

Mirona erkannte, dass sich auf der gegenüberliegenden Seite der Innenhof befand: der Dol'Khapor, der Hort der Begegnung, wie ihn Atlan nannte. Ein Stück entfernt liefen dort zahlreiche Arkoniden hin und her, schleppten Tücher und Stühle herum, arrangierten Blumengestecke und scheuchten Untergebene durch die Gegend.

Das Scheppern war auf eine junge Arkonidin zurückzuführen, die einen Stapel flacher Metallschalen fallen gelassen hatte. Ein Mann in einer hellblauen Robe wies sie mit barschen Worten zurecht. »Pass doch besser auf, Dirah. Nun müssen die Schalen erneut gesäubert und geweiht werden. Los, lauf zur Grotte der Sternengötter und übernimm das selbst.«

Die Arkonidin nickte mit gesenktem Blick und raffte die Schalen zusammen, während der Mann sich nach links aus Mironas Blickfeld bewegte.

Sie bereiten die Inthronisation vor – dieses Ritual, das seit Tagen alle beschäftigt, begriff Mirona.

Schräg gegenüber von ihrer Position unterbrach ein riesiges Tor die Wand, dessen Flügel weit offen standen. Sie erkannte es wieder; hinter dem Tor lag der offizielle Eingang des Kristallpalasts, durch den sie das Gebäude das erste Mal betreten hatte. Ihr Raumschiff stand auf einem kleinen Landefeld nicht weit davon entfernt. Sie sah vor dem Tor einen Melshakbaum mit einem markanten, u-förmig gebogenen Ast. Bei ihrer Ankunft war Atlan mit Mirona direkt in den Garten gegangen und hatte ihr eine der grün-gelben Früchte gepflückt.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Wenn sie durch den Garten ging, wäre sie in weniger als zwei Minuten bei ihrem Schiff. Kann ich das wagen? Im Dol'Khapor sind ständig viele Menschen unterwegs, aber wahrscheinlich falle ich gar nicht auf. Zumindest weniger, als wenn ich hier durch die Gänge schleiche. Sie zögerte unschlüssig. Dann hörte sie auf dem Gang in einiger Entfernung ein leises Summen, dort glitt eine Tür auf, schnell schlüpfte sie zwischen den Planen hindurch.

Direkt in der Nähe befand sich derzeit niemand, der unangenehme Fragen stellen konnte. Mirona bemühte sich um eine möglichst gelassene Haltung und ging los, als ob sie ganz selbstverständlich hierhergehörte. Etwa zweihundert Schritte lagen zwischen ihr und dem Haupttor. Das konnte sie schaffen, wenn sie sich arrogant genug gab, um zwischen den arbeitseifrigen Arkoniden nicht aufzufallen. Und wenn sie Glück hatte.

»He! Fremden ist der Zugang zum Dol'Khapor während der Vorbereitungen nicht gestattet!«

Mirona erstarrte. Das Glück war ihr offensichtlich nicht gewogen. Eigentlich nicht verwunderlich, schließlich hatte sie optisch wenig mit einer Arkonidin gemein. Langsam drehte sie sich um. Vor ihr stand der Mann in der eisblauen Robe.

Ich kann ihn vielleicht überzeugen, dass ich das Recht habe, hier zu sein, redete sie sich ein.

In diesem Moment wandelte sich der Gesichtsausdruck des Manns von Missbilligung in Entsetzen – als er den Strahler in Mirona Thetins Hand sah. Die Zeit schien sich zu verlangsamen, während der Arkonide den Mund öffnete, um nach den Wachen zu rufen. Sie würde den Strahler nicht schnell genug hochbekommen.

Aus. Vorbei. Oh Atlan, in was für eine Lage hast du mich nur gebracht?

Einige Stunden zuvor ...

Eine Vase zerbarst mit lautem Klirren an der Wand, gefolgt von einer irdenen Schale. Die unterarmgroße Bronzeskulptur eines Kriegers fing Atlan da Gonozal im letzten Moment auf, ehe sie ihm an den Kopf knallen konnte.

»Das ist eine Darstellung von Vhrato, dem Sonnenboten, aus der Zeit der Reichsgründung«, sagte er betont ruhig. »Unbezahlbar – ebenso wie die Vase aus der Archaischen Periode.«

»Ach ja?« Mirona Thetin griff kampflustig nach einem edlen arkonidischen Silberkristallkrug, der auf einem zierlichen Tischchen ihrer Unterkunft stand. Sie war bereit, jedes einzelne Teil im Raum zu zertrümmern, so wütend war sie. »Vielleicht trifft ja endlich was deine arrogante Kristallprinzennase, und du hörst mir endlich zu.«

»Aber ich höre dir zu!« Atlan legte die Bronzefigur behutsam auf das ausladende Bett und kam mit erhobenen Händen auf Mirona zu. »Lass den Unsinn, wir sind doch keine Kinder mehr.«

»Dann benimm dich nicht wie eins.« Sie ließ die bereits zum Wurf erhobene Hand sinken und schnaubte.

»Ich? Wer wirft denn hier mit teuren Antiquitäten um sich?«

Erneut überkam Mirona die Wut. Zornig zerschmetterte sie den Kristallkrug vor ihren Füßen. Splitter spritzten in alle Richtungen davon. Ein Reinigungsroboter wuselte aus einem kleinen Schrank und begann umgehend, die Scherben aufzusaugen. Sie hätte dem verachtenswerten Stück arkonidischer Technik am liebsten einen Tritt verpasst, stattdessen ballte sie die Hände zu Fäusten. »Verschwinde, du blödes Ding!«

Der Roboter gehorchte dem akustischen Befehl umgehend und ließ die glitzernden Kristallscherben zurück. Mironas Fingernägel bohrten sich in ihre Handballen, und der Schmerz brachte Sie zur Besinnung. Es half rein gar nichts, wenn sie ihre wachsende Beunruhigung auf diese Weise kompensierte.

»Die Entwicklung auf Arkon macht mir Angst«, gab sie zu. Es war ein Eingeständnis, das sie niemand anderem als Atlan gemacht hätte.

Ihr Gefährte runzelte die Stirn. »Ich kann verstehen, dass der Umgang meines Vaters mit seinen politischen Gegnern ...«

»Das ist es nicht«, unterbrach sie ihn ungehalten. Nach der Verhaftung von Gemlin da Hozarius hatte es eine groß angelegte Säuberungsaktion unter den ohnehin nicht besonders zahlreichen Gegnern von Mascudar da Gonozal gegeben. »Ich finde sein Vorgehen nachvollziehbar und nicht weiter verwunderlich. Wahrscheinlich hätte ich es selbst nicht anders gemacht.«

Atlan nahm ihre Hand. »Die Machtposition meines Vaters ist nun gefestigter denn je. Die Dheraam dama Zhdopanthi steht kurz bevor.«

»Was du nicht sagst.« Mirona entzog ihm die Hand und hob ironisch die Augenbrauen. »Ich hätte die hektischen Vorbereitungen für die Inthronisationszeremonie fast nicht mitbekommen. Dieser traditionelle Ritualkram ist etwas, mit dem ich nichts anfangen kann.«

Er lachte leise. »Du bist vor mehr als fünfzigtausend Jahren geboren worden und kein bisschen altmodisch – dafür liebe ich dich.«

»Tatsächlich? Liebst du mich denn wirklich immer noch?«

Atlan erstarrte. Seine Augen weiteten sich verletzt. »Wie kannst du so etwas sagen?«

»Weil du dich verändert hast. Und das ist es, was mir Angst macht.«

»Ich habe mich nicht verändert.«

Sie schnaubte. »Natürlich hast du das. Schuld daran ist dein Vater.«

Atlan klappte der Mund auf, was in Mironas Augen irgendwie rührend und zugleich ziemlich lächerlich wirkte. »Was soll denn das wieder heißen?«

Sie schloss kurz die Augen und atmete tief durch. »So wie ich das sehe, hat die Begegnung mit deinem Vater offenbar tief in deinem Innern verborgene Wünsche und Sehnsüchte freigelegt.«

»Also ich bitte dich ...«

»Atlan, sei ehrlich: Wolltest du jemals Imperator werden? Nein, du wolltest dich nicht mal, als du die Gelegenheit dazu hattest, zum Herrscher aufschwingen. Und jetzt? Kristallprinz und Thronfolger? Das passt nicht zu dir. Du lässt dich von deinem Vater in seine Pläne einspannen, ohne seine Absichten zu hinterfragen.«

»Das ist nicht wahr. Mein Vater ...«

Mirona ließ ihn nicht ausreden. »Mascudar hat dich stets als unfähig und missraten bezeichnet. Mit dem Kommando auf Liduur – Verzeihung, im Larsafsystem – hat er dich sogar abgeschoben. Ich kann verstehen, dass dich das getroffen hat und dass du glücklich darüber bist, dass dein Vater dich nun anders behandelt.«

Atlan versteifte sich. »Seitdem ist viel Zeit vergangen.«

»Für dich, ja. Aber für deinen Vater nicht. Er ist schließlich nicht wirklich dein Vater, sondern ein Duplikat, das noch nicht lange existiert. Seine Erinnerungen stammen aus einem Tarkanchar. Was für dich Tausende Jahre her ist, liegt für das Duplikat erst wenige Jahre oder Jahrzehnte zurück. Also, warum sieht er dich plötzlich mit anderen Augen?« Sie kniff die Lippen zusammen. »Die Antwort ist einfach: Er tut es nicht. Er instrumentalisiert dich, und du merkst es nicht mal.«

»Das ist nicht wahr.« Atlan kam einige Schritte auf Mirona zu, und fast glaubte sie, dass er sie packen würde. Aber er blieb schwer atmend vor ihr stehen. »Du kennst mich, Mirona. Du weißt, dass ich kein Idiot bin. Natürlich war ich schwer davon getroffen, wie mein Vater mich früher behandelt hat. Aber das ist vorbei. Ich bin froh, dass wir uns nun besser verstehen.«

Sie schüttelte traurig den Kopf. »Solche Erfahrungen prägen ein Leben lang – sogar wenn du sie mittlerweile begreifst und einordnen kannst. Und ich verstehe dich, ernsthaft. Aber du darfst dich von deinem Vater nicht zu seiner Figur im Spiel der Kelche machen lassen.«

Atlan zuckte zurück, lachte im nächsten Moment jedoch spöttisch auf. »Was weißt du vom Spiel der Kelche? Ich bin damit aufgewachsen, ich kann mich zur Wehr setzen.«

»Ich weiß von dir genug darüber. Genau deswegen bin ich besorgt. Und ich werde mich sicher nicht selbst zu einer Marionette im Ränkespiel der Khasurne um imperiale Macht und Einfluss machen lassen.«

»Warum sollte denn so etwas geschehen?«

»Es geschieht bereits, Atlan!« Wütend stieß sie ihm mit der Hand vor die Brust. »Stell dich nicht dumm. Ich habe gestern eure Unterhaltung belauscht, im Saal der Weisen.« Sie verzog abschätzig den Mund. »Oder eher in der Baustelle der Weisen.«

Am Vortag war sie auf der Suche nach Atlan durch die Gänge des Palasts geirrt. Das riesige Gebäude war in weiten Bereichen nach wie vor kaum mehr als der Versuch, den einstigen Glanz wiederauferstehen zu lassen, fast überall wurde gebaut. Lediglich einige bewohnte Zimmerfluchten, wie die der da Gonozals und anderer wichtiger Adelsfamilien sowie die Räumlichkeiten, die für den laufenden Regierungsbetrieb und die bevorstehende Inthronisierung wichtig waren, präsentierten sich im Endzustand oder zumindest halbwegs vollständig.

Nach einer Weile war Mirona Thetin zum Saal der Weisen gelangt, in dem Wartungsroboter unter der Ägide von arkonidischen Experten ihr Bestes taten, um die Bauarbeiten abzuschließen. Weit waren sie nicht gekommen; die imposanten Holzflügeltüren zum Beispiel hingen noch schief in den Angeln und bedurften einer Restaurierung. Hinter einer davon war sie stehen geblieben, nachdem sie zuerst Atlans und dann Mascudars Stimme gehört hatte. Die beiden schienen in einen Disput verwickelt gewesen zu sein.

»... und ich erwarte, dass du deiner Rolle als Kristallprinz gerecht wirst«, hatte Mascudar gerade gefordert. »Du bist legitimer Herrscher über Andromeda.«

»Das bin ich nicht – Mirona ist diejenige ...«

»Deine Prinzessin wird sich dir unterordnen, wie es ihr gebührt. Ohne dich hätte sie ein solches Sternenreich gar nicht führen können.«

»Sie hat es Zehntausende Jahre lang ohne mich getan.«

Mascudar hatte den Einwand ignoriert, den Atlan nach Mironas Meinung ohnehin eher nur halbherzig vorgebracht hatte, und weitergesprochen. »Mit der geballten Militärmacht der Zweiten Insel eröffnen sich mir ungeahnte Möglichkeiten. Es ist bedauerlich genug, dass Archetz nicht mehr zur Verfügung steht, um meine Flotten mit Transformkanonen auszurüsten.«

»Bedauerlich, allerdings.« Atlan hatte bitter geklungen. »Wie ich hörte, wurde die Zentralwelt der Mehandor komplett vernichtet.«

»Was nicht meine Schuld war. Wenn ich aber bald die Erde und vor allem den terranischen Mond und diese Hyperinpotronik NATHAN unter meiner Kontrolle habe, kann ich ausreichend Transformkanonen bauen. Danach kann mich nichts und niemand mehr aufhalten!«

An dieser Stelle hatte Mirona Thetin ihren Lauschposten entsetzt und wütend verlassen.

»Ich bin also die folgsame Prinzessin an der Seite des Kristallprinzen und habe meinem ›Schwiegervater‹ brav die Zweite Insel, mein Andromeda, zu überlassen, ja?«, warf sie Atlan nun an den Kopf.

Der Arkonide wurde blass und ließ ertappt den Blick sinken. Etwas in Mirona zerbrach. Sie hatte gehofft, dass er das Ganze mit einem Lachen abtun würde, dass er eine Erklärung hatte – vielleicht, dass er das Kalkül seines Vaters lediglich mitspielte, um dessen Pläne zu durchkreuzen. Aber dieses wortlose Schuldeingeständnis traf sie bis ins Mark.

»Du hättest nicht lauschen sollen.« Atlan hob den Blick wieder; er war wütend.

Typisch – er fühlt sich schuldig, will das auf keinen Fall eingestehen.

»Ich bin nicht begeistert über die Eroberungspläne meines Vaters ...«

»Ach ja? Dafür hast du ihm aber erstaunlich wenig widersprochen.«

»Du verstehst das nicht. Ich billige sein Vorgehen im Hinblick auf das große Ganze.« Fassungslos hob Mirona die Augenbrauen, während Atlan fortfuhr: »Frieden und Wohlstand für alle Völker der Milchstraße und Andromedas können unter der Aufsicht und Herrschaft der Arkoniden erreicht werden. Das ist uns bereits einmal gelungen. Dafür müssen eben Opfer gebracht werden.«

»Atlan – hörst du dir überhaupt selbst zu?« Sie konnte ein konsterniertes Lachen nicht unterdrücken. »Du tust damit genau das, was du einst mir vorgeworfen hast: In der Absicht, etwas Gutes zu bewirken, nimmst du negative Auswirkungen in Kauf. Das bist nicht du, Atlan.«

Er schüttelte abwehrend den Kopf. »Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Deine Handlungen wurden von ANDROS beeinflusst, wie wir heute wissen. Er hat dich genarrt und in die Irre geführt. Ich hingegen begründe mein Vorhaben auf Fakten und rationale Erwägungen.«

»Dein Vorhaben? Du meinst, das deines Vaters.«

»Als Kristallprinz ist es auch mein Vorhaben – ich bin sein Erbe.«

Mirona verharrte einige Augenblicke, während die Enttäuschung ihre Fingerspitzen taub werden ließ. Dann ließ sie die Schultern sinken und atmete ein weiteres Mal tief durch. Das, was sie Atlan zu sagen hatte, wollte sie in ruhigem und gefasstem Ton tun, damit er begriff, wie ernst es ihr war. »Ich werde nicht zulassen, dass ihr Andromeda in diesen Konflikt hineinzieht. Dein Vater sollte es gar nicht erst versuchen. Du weißt besser als jeder andere, dass ich das verhindern werde. Und gegen die Macht der Zweiten Insel ist Arkon ein Nichts.« Sie strich sich betont langsam eine Haarsträhne aus dem Gesicht, faltete die Hände vor ihrem Bauch. Er sollte nicht sehen, dass sie bebten. »Es tut mir leid, Atlan. Ich habe dich vorhin gefragt, ob du mich liebst. Bestimmt glaubst du, dass es so ist. Ich liebe dich ebenfalls – aber ich bin an einem Punkt angelangt, an dem meine Liebe nicht mehr ausreicht, um deine Auffassungen zu tolerieren oder zu teilen. Ich kann nicht länger an deiner Seite bleiben.«

Einen Moment lang stand Atlan da Gonozal einfach nur vor ihr. In diesen Sekunden wünschte sich Mirona Thetin nichts sehnlicher, als dass ihre Worte ausreichen würden, um ihn zur Vernunft zu bringen. Sie wusste, wie unsinnig dieser Wunsch war. Dafür kannte sie ihren Geliebten zu gut.

2.

Traditionen

Ein Stößel zerquetschte die Zhargfrüchte zu einer blauen Pampe. Mit jeder Handbewegung des Zeremonienmeisters platzte eine weitere Frucht auf, und das Fruchtfleisch quoll heraus wie aus einer tiefen Wunde. Verbissen fuhr Truk Drautherb in seinem Tun fort, immer dieselbe Bewegung, bis der Fruchtbrei zu einem gleichmäßigen Mus geworden war. Dann fügte er eine grünliche Salbe hinzu und verrührte die beiden Zutaten mit einem Holzlöffel zu einer geschmeidigen Paste. Die Zubereitung der Mehinda-Creme erfüllte den Zeremonienmeister mit tiefer Befriedigung.

Wenigstens eine Tradition, die eingehalten wird, dachte er.

Bei drei Imperatoren hatte der mittlerweile über hundertjährige Drautherb die Dheraam dama Zhdopanthi geleitet. Er hatte die Mehinda-Creme sowohl bei Masgar I. als auch bei Emthon V. und bei Zoltral XIII. zubereitet und die neuen Herrscher damit gesalbt. Zumindest das würde er bei seinem künftigen Imperator ebenfalls tun können. Viele weitere Elemente des jahrtausendealten Rituals würden wohl mehr oder weniger improvisiert werden müssen. Das gefiel Drautherb überhaupt nicht.

»Wie laufen die Vorbereitungen, alter Freund?«

Der Zeremonienmeister zuckte zusammen und hätte beinahe die Ritualschale mit der Creme fallen lassen – was eine Katastrophe gewesen wäre, denn die Früchte der extrem seltenen, wilden Zhargsträucher waren zu einer speziellen Stunde gepflückt worden, die sich nicht so schnell wiederholen würde. Bis zum nächsten Tag hätte er auf keinen Fall Ersatz beschaffen können.

Er stellte die Schale vorsichtig auf dem Tisch vor sich ab, legte den Löffel sorgfältig daneben und drehte sich zu dem Sprecher der Frage um. Seine Untergebenen wussten, dass Drautherb bei der Vorbereitung des Rituals in der Kammer der Einkehr nicht unterbrochen werden wollte. Dieser Raum hatte früher an die Hallen der Geschichte angegrenzt, die bei dem Maahküberfall vor vierzig Jahren zerstört worden waren, und war wie durch ein Wunder zum großen Teil erhalten geblieben. Er war traditionell dem Zeremonienmeister vorbehalten. Demzufolge war Drautherb nicht überrascht, sich dem einzigen Mann gegenüberzusehen – vom designierten Imperator einmal abgesehen –, der ihn an diesem Ort aufzusuchen wagte.

»Ka'Mascantis – was verschafft mir die Ehre?« Drautherb setzte ein bemühtes Lächeln auf. Kristallmarschall Erthau da Durian war kein »alter Freund«. Die beiden Arkoniden kannten sich zwar schon lange, aber sie hatten eigentlich nie viel miteinander anfangen können – bis zur Revolte gegen Emthon V.

Ich sollte mir angewöhnen, sie auch in Gedanken wieder Theta zu nennen. Sie ist keine Imperatrice mehr.

Da Durian kam näher und betrachtete neugierig die Schale. »Ich wollte nur sichergehen, dass Sie mit der Organisation des Rituals vorankommen und bis morgen alles am rechten Platz ist.«

Indigniert verschränkte Drautherb die Arme vor der Brust. »Wie Sie wissen, erfülle ich meine Aufgabe nicht zum ersten Mal.«

»Ich bin mir dessen bewusst, schließlich war ich damals bei der Inthronisierung von Masgar dem Ersten ebenfalls dabei.« Der Kristallmarschall hob beschwichtigend die Hände. »Ich komme nicht, um Sie zu kontrollieren, sondern um freundschaftlich zu plaudern.«

Da war es wieder, dieses Wort: Freundschaft. Was hat da Durian vor? Wir sind Mitverschwörer, aber mehr nicht.

Drautherb hatte lange mit sich gerungen, wem seine Loyalität in dem Konflikt zwischen Emthon V. und Mascudar da Gonozal gelten sollte. Als Zeremonienmeister war er am Hof für die strenge Einhaltung der höfischen Etikette und aller traditionellen Sitten und Gebräuche zuständig und demzufolge Traditionalist, auch was die imperiale Politik anging. Thetas Regierungszeit hatte ihn nicht unbedingt davon überzeugt, dass das Kristallzepter bei einer Frau in den richtigen Händen lag. Deswegen hatte er sich schließlich auf Mascudars Seite geschlagen. Er fühlte sich dennoch eher als ein Mitläufer denn als ein Rebell.

»Im Rahmen meiner Möglichkeiten ist alles vorbereitet.« Drautherb gelang es nicht völlig, seinen Verdruss über die mangelnde Perfektion des anstehenden Zeremoniells zu verbergen. Sein Missmut war zu einem großen Teil im unfertigen Zustand des Kristallpalasts begründet. »Wir müssen einige Abstriche machen. Der originale Khapur ist bei der Schändung des Kristallpalasts vernichtet worden.«

Da Durian verzog schmerzlich das Gesicht. »Was für eine Schande. Aber ein Verlust, den man kompensieren kann.«

Drautherb sah das anders. Der Legende nach hatte Tsual'haigh, einer der zwölf Heroen, einst mit dieser Waffe gekämpft – sie war unersetzlich. Seit unzähligen Generationen hatte der jeweilige Kristallmarschall mit der schweren Keule gegen die Tür geschlagen, um den Höhepunkt des Rituals einzuleiten.

»Nun, wir haben einen ähnlichen Holzbalken beschafft und dem Vorbild entsprechend gestaltet, der seinen Zweck wohl erfüllen wird. Am Saal der Weisen wird derzeit ebenfalls gearbeitet – zumindest die historischen Holzflügeltüren konnten wir weitgehend erhalten und in aller Eile notdürftig restaurieren.« Drautherb seufzte. »Allerdings werden wir aufgrund der weiterbestehenden Baustellen nach wie vor eine andere Route vom Dol'Khapor zum Saal der Weisen nehmen müssen.«

»Das sind unwichtige Details. Hauptsache, das Ritual als solches wird würdig vollzogen.«

»Das wird es, seien Sie versichert. In wenigen Tontas wird Mascudar sein Imperatorengewand anlegen und die imperiale Leibgarde inspizieren.«

»Seine letzte Handlung, bevor die Inthronisation beginnt.« Da Durian lächelte zufrieden. »Atlan als Kristallprinz wird während der Zeremonie stets drei Schritte hinter seinem Vater gehen, ihm im Kristallsaal das Zepter überreichen und ihm dadurch ewige Treue schwören.«

»Jaaaaa«, sagte Drautherb gedehnt. Das war einer der Punkte, die ihm nicht behagten, denn diese Rolle von Atlan da Gonozal – der eigentlich Mascaren hieß – war eine Abwandlung des eigentlichen Rituals. Dass die Wallfahrt zur Elysischen Welt nach deren Zerstörung irgendwie ersetzt werden musste, sah Drautherb natürlich ein, und das Karaketta-Rennen war ein würdiger Ausgleich gewesen. Andere Veränderungen hingegen nahm er mit gemischten Gefühlen hin. Sie waren jedoch von Mascudar persönlich angeordnet, also konnte er ohnehin nichts tun – der zukünftige Imperator flößte ihm gewaltigen Respekt ein.

Drautherb sah sich verstohlen um. Er war nach wie vor mit dem Kristallmarschall allein, die Tür war geschlossen. »Mascudar ist sehr ... entschlossen, oder?«

Da Durian zog die Augenbrauen zusammen. »Das ist der Grund, aus dem wir ihn unterstützen, nicht wahr? Ein Mann wie er, ein Vertreter der alten arkonidischen Werte, wird das Reich voranbringen und zu neuer Blüte führen. Ich dachte, darüber waren wir uns einig?«

»Ja, gewiss.« Drautherb spielte nervös mit dem Saum seines zeremoniellen dunkelblauen Mantels, auf den vierundzwanzig silberne Sterne als Symbol für die She'Huhan gestickt waren. »Es ist nur ... Unser zukünftiger Imperator erscheint mir sehr ... dominant.«

»Genau wie ein Imperator des mächtigsten Sternenreichs sein sollte.«

Drautherb wusste nicht, wie er sich besser ausdrücken sollte, ohne da Durian Anlass zu geben, ihm mangelnde Loyalität zu unterstellen. In Wahrheit hatte Drautherb zwar insgeheim auf einen starken Herrscher wie Mascudar gehofft, war nun aber etwas erschrocken über dessen Vehemenz – vor allem nach der aktuellen Säuberungsaktion. Da Drautherb indes befürchtete, für das Aussprechen solcher Überlegungen ebenfalls »gesäubert« zu werden, hielt er den Mund und nickte nur.

»Und Sie sind den zusätzlichen Aufgaben gewachsen?«, erkundigte sich da Durian. Drautherb meinte, einen lauernden Unterton herauszuhören. »Immerhin müssen Sie – genau wie ich – einige der Pflichten von Gemlin da Hozarius mit übernehmen.«