Perry Rhodan Neo 33: Dämmerung über Gorr - Alexander Huiskes - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 33: Dämmerung über Gorr E-Book und Hörbuch

Alexander Huiskes

3,5

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Beschreibung

Das Jahr 2037: Eigentlich wollte Perry Rhodan mit dem Raumschiff TOSOMA den großen Sprung für die Menschheit einleiten - eine Reise über Zehntausende von Lichtjahren hinweg, ins Zentrum des größten Sternenreiches der Milchstraße. Doch aus dem euphorisch gestarteten Abenteuer wurde längst ein Alptraum. Die Naats traten auf den Plan, riesenhafte Wesen, die als Söldner des mächtigen Arkon-Imperiums tätig sind. Die TOSOMA wurde abgeschossen, ihre Besatzung getötet oder gefangen genommen. Seither sitzt Rhodan in einer Zelle der Naats. Die Naats bereiten eine große Schlacht gegen die echsenähnlichen Topsider vor. Die Menschen drohen, zwischen die Fronten zu geraten - hilfloses Kanonenfutter im Krieg interstellarer Mächte. Wollen Rhodan und seine Begleiter nicht sterben, müssen sie unbedingt fliehen ...

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Zeit:6 Std. 32 min

Sprecher:Hanno Dinger

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Band 33

Dämmerung über Gorr

von Alexander Huiskes

Das Jahr 2037: Eigentlich wollte Perry Rhodan mit dem Raumschiff TOSOMA den großen Sprung für die Menschheit einleiten – eine Reise über Zehntausende von Lichtjahren hinweg, ins Zentrum des größten Sternenreiches der Milchstraße. Doch aus dem euphorisch gestarteten Abenteuer wurde längst ein Alptraum.

Die Naats traten auf den Plan, riesenhafte Wesen, die als Söldner des mächtigen Arkon-Imperiums tätig sind. Die TOSOMA wurde abgeschossen, ihre Besatzung getötet oder gefangen genommen. Seither sitzt Rhodan in einer Zelle der Naats.

1.

Novaal

Das Holo zeigte eine schmächtige kleine Gestalt in einem ansonsten leeren Raum.

Dieser Mann dort war die Wurzel allen Ungemachs, das spürte Novaal. Er kannte ihn bisher nur via Holonetzverbindung, aber er spürte, dass er kein einfacher Gefangener sein würde.

Aber welcher Arkonide war das schon?

Arkoniden! Allein das Wort zu denken wirkte wie ein Liter Wasser.

Er würgte in seiner Magenkehle, einem Verschlussmuskel zwischen dem ersten und zweiten Magen. Gleichzeitig presste der Muskelmagen die letzten unverdaulichen Fasern zusammen und machte sie bereit für den Schleuderschlund. Er würde sich nicht mit diesem ... Arkoniden befassen, ehe er nicht gereinigt war.

»Kommandant?«, meldete Krineerk aus der Zentrale. »Der Gefangene ist bereit zum Initialverhör.«

Novaal grunzte ungnädig. »Soll warten.«

Verhöre. Eine weitere unmögliche Angewohnheit der Arkoniden.

Er stapfte in den Nebenraum, den seine Mannschaft entkernt und neu aufgebaut hatte, sodass ein Naat dort bequem stehen konnte. Er streifte seine beigefarbene Uniform ab und stellte sich unter die Sandstrahldusche. Das Prickeln, als zahllose winzige Sandkörner seine Haut bearbeiteten und jede Fett- und Talgablagerung herauskratzten, die sich zwischen die dicke, faltige Lederhaut gesetzt hatte, durchrieselte ihn wohlig. Leider dauerte es nur kurz, er hatte ja keine Zeit.

Genau genommen hatte er nie Zeit für das, was wichtig war, sondern immer nur für seine Pflichten. Pflichten für das Imperium.

Niemand fragte die Naats, was für sie persönlich wichtig war.

Er hob seine Uniform auf. Dann ließ er sie achtlos fallen. Sie war nicht angemessen. Sie machte ihn nur zum Offizier, aber diesem Gefangenen musste er anders begegnen. Dieser Perry Rhodan führte sich nicht auf wie einer, der seinen Platz kannte. Eine Uniform würde ihn nicht beeindrucken.

Er war fast wie ein Naat, dachte Novaal belustigt. Aber er war bei Weitem nicht so ausgebildet, erzogen und herangewachsen. Nein, dieser Arkonidenabkömmling war bestenfalls die Parodie eines Naats.

Er stutzte. Nein, so dachte er nicht. So dachte er nicht mehr, seit ...

Sayoaard, dachte er, und wie immer durchflutete ihn Melancholie.

Ein Blick auf die Uhr: Fünf Minuten waren vergangen.

Er drängte seine Gedankenwolken an den Horizont seines Bewusstseins und griff nach der Lapad-Rüstung. Er legte die Lamellen einzeln an und verhakte sie miteinander, prüfte ihren Sitz und die Oberfläche. Er tat es schnell, mit einer Routine, die nur echte Lapad-Krieger hatten. Alles war sauber, alles in perfektem Zustand. Alles war, wie es sein sollte.

Er nahm das Natak von der Wand, die lange, gerade, zweiseitig scharfe Klinge mit den drei Dornenspitzen zum Verletzen, Schwächen und Töten, und gürtete sie nach traditioneller Art auf dem Rücken.

Zuletzt wählte er den passenden Helm aus. Er entschied sich nach kurzem Nachdenken für den Helm der Ehrenhaften Siege. Nicht etwa, weil er am besten zu dem Anlass gepasst hätte – da wären die Haube des Nachdrücklichen Befragers oder der Kopfputz der Siegreichen Belagerung eher infrage gekommen –, sondern weil er auf die meisten Wesen am beeindruckendsten wirkte. Und diesem sturen Gefangenen gegenüber musste er jeden Vorteil nutzen. Der Helm der Ehrenhaften Siege schimmerte golden und spiegelte in jeder einzelnen Schuppe und Lamelle wie ein fehlerloser Kristall. Ja, das war der richtige Helm. Er schützte zudem Schädeldecke, Schläfen und Hinterkopf samt Hals, ließ aber sein Gesicht vollkommen frei.

Er würde dem Feind ins Gesicht sehen.

Das war die Art der Naats.

Er würgte den Faserballen hoch und spuckte ihn aus, sauber und trocken, viel besser als die Verdauungsprozesse anderer Wesen. Er ging hinüber in seinen Arbeitsraum, an das isolierte Terminal, von dem aus er seine ... Beziehung führte. Das Gerät versuchte die Verbindung aufzubauen, aber ergebnislos. Niemand nahm den Anruf entgegen.

Also schön, sagte sich Novaal. Dann muss es eben so gehen.

Er ging zur Tür, verließ seine Kabine und eilte auf allen vieren durch die klaustrophobisch engen Gänge des Arkonidenraumers.

Die Verladekammer war leer, die Decke fast dreimal naathoch. Für ein Wesen von Rhodans Größe musste sie Ehrfurcht gebietend wirken.

Novaal betrat den Raum, und sofort gingen die Lichter an. Von einer Sekunde auf die andere war jeder Winkel taghell ausgeleuchtet. Für Novaal, der das Licht gewohnt war, bedeutete dies kein Problem, aber für den Gefangenen, der in völliger Dunkelheit gestanden hatte, musste es ein Schock sein.

Gut so, dachte Novaal, als er sah, wie sich Rhodans Augen zu Schlitzen zusammenzogen.

»Wo ist Thora da Zoltral?«, begann er das Gespräch.

Der Mensch – Rhodan weigerte sich, als Arkonide betrachtet zu werden, er zog die Bezeichnung Mensch vor – schwieg. Handelte es sich um eine Trotzreaktion? Es war nicht auszuschließen.

Ein Naat würde genauso handeln, aber aus völlig anderen Gründen. Naats waren stark.

»Ich frage Sie noch einmal: Wo ist Thora da Zoltral?« Novaal gab sich keine Mühe, seine Stimme zu dämpfen. Der Hall in diesem Raum war großartig.

Perry Rhodan hob das Kinn. Er suchte tatsächlich Augenkontakt!

»Sie sind Reekha Novaal, nehme ich an.«

Es klang nicht wie eine Frage. Sollte Rhodan ihn tatsächlich wiedererkennen? Nicht viele Arkoniden konnten Naats auseinanderhalten, ihnen fehlte der richtige Blick.

Novaal schwieg. Er würde sich nicht in ein Gespräch ziehen lassen, das er nicht selbst bestimmte. Rhodan brauchte nicht zu wissen, wer er war. Er musste antworten, mehr nicht.

»Kann ich etwas zu trinken bekommen?«, bat Rhodan. »Meine Lippen sind trocken, die Zunge fühlt sich sehr pelzig an und der Hals rau.« Das Schweigen wurde ihm wohl zu lang.

Novaal war verdutzt. Der Gefangene forderte ein Getränk?

Natürlich. Diese ... Menschen waren keine Naats.

»Warten Sie.« Er überlegte kurz, legte ein Schallisolierungsfeld um sich und forderte ein Getränk an, mit Salzen und Mineralstoffen angereichertes Wasser. Das dürfte genügen. Naats benötigten wenig Flüssigkeit, und so war ihm gar nicht erst in den Sinn gekommen, den Flüssigkeitsstatus seines »Gastes« zu prüfen. Sein Fehler.

Eine handtellergroße Serviceeinheit rollte herein und brachte das Gewünschte. Novaal wies stumm auf Rhodan.

Dieser nahm den Becher – in seinen Händen wirkte dieser arkonidische Fingerhut beinahe groß – und nippte am Inhalt. Sein Gesicht verzog sich ein bisschen, aber er trank weiter. Nicht überhastet, sondern sehr kontrolliert, in kleinen Schlucken.

Man konnte viel über einen Fremden lernen, wenn man ihn nur beobachtete. Wenn man seine Augen öffnete.

Novaal gab sich Mühe, seine Ungeduld nicht spürbar werden zu lassen.

Rhodan trank aus und betrachtete ihn. Eingehend. »Weshalb wollen Sie wissen, wo Thora ist?«, fragte er schließlich.

Der Mensch hatte tatsächlich Mut, sogar mehr, als gut für ihn war. Novaal wartete einen Moment, gerade so lange, dass der andere sich fragen musste, was nun kommen würde. Rhodan hatte ihn bisher jedes Mal genarrt, wenn sie es miteinander zu tun bekommen hatten, und er schätzte ihn mittlerweile so ein, dass er es immer wieder versuchen würde.

»Diese Frage«, sagte er schließlich, »steht Ihnen nicht zu. Also: Wo ist sie?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete Rhodan. »Und das ist die Wahrheit.«

»Die Wahrheit?« Novaal neigte seinen Kopf ein wenig nach unten. »Die Wahrheit ist, dass ich diesen Planeten dort unter uns jederzeit vernichten könnte. Sie nennen ihn Snowman, die Mehandor Gedt-Kemar. Aber diesen Namen werden Sie bald nicht mehr brauchen.«

Es missfiel ihm, fragen und drohen zu müssen. Aber er hatte seine Anweisungen.

Rhodan nickte. Das bedeutete eigentlich Zustimmung. War er wirklich so kaltblütig, dass er es zulassen würde? Er hatte nicht einmal ein Siebtel seiner Leute bei den Mehandor lassen wollen, und nun stimmte er der Vernichtung eines ganzen Planeten zu?

»Das ist die Wahrheit. Aber mit Snowman vernichten Sie womöglich auch Thora.«

Natürlich hat er die Schwachstelle erkannt, dachte Novaal. Jeder kann sie erkennen.

»Also werde ich besser die Besatzung Ihres Raumschiffs exekutieren lassen, einen nach dem anderen. Und beginnen werde ich mit Ihrem Stellvertreter. Wie Sie sehr wohl erkannt haben, brauche ich lediglich Thora. Am Rest Ihres armseligen Beuteschiffes bin ich nicht interessiert und das Imperium erst recht nicht.«

Zuckte Rhodan bei dieser klaren Aussage zusammen? Hatte er ihn so weit?

Die nächsten Worte ernüchterten ihn. »Ja, auch das ist die Wahrheit. Aber Morde an Kriegsgefangenen werden Thora nicht herbeizaubern.«

Novaal schlug sich mit der rechten Hand gegen die Brust. »Schweigen Sie von Dingen, die Sie nicht verstehen, Ehrloser!«

Er bemühte sich, sein Zittern unter Kontrolle zu bringen, sein Muskelmagen revoltierte, als verlange er nach etwas Unverdaulichem. Die rechte Hand fasste nach dem Griff des Natak, ehe er etwas dagegen tun konnte.

Nein!, befahl er sich selbst. Ich werde ihn nicht strafen! Ich werde meine Ehre nicht zerstören, so, wie er es getan hat mit seinen Lügen und seinem Narrenspiel.

Er starrte Rhodan an, den Blick aus der Höhe auf den Wurm gerichtet, der es wagte zu widersprechen. Was gab ihm diesen Mut im Angesicht des Todes? Äußerlich wies nichts auf diese Verwegenheit hin. Er war wie alle Arkoniden ein schwächlicher Zwerg. Ob er nun von sich selbst behauptete, keiner zu sein, war nebensächlich.

Und dennoch: Diese Nicht-Arkoniden, diese Menschen, hatten noch nach keinem einzigen Fiktivspiel verlangt.

Und – ein Gedanke, den er eigentlich nicht zulassen wollte – hatte die Gegenwehr der TOSOMA nicht vieles wieder kompensiert? Die Menschen hatten sich nicht gefügt, sie hatten alles versucht, selbst gegen alle Prognosen ihrer Positroniksysteme, die sie zweifellos vorher befragt hatten. Sie hatten sich gewehrt. Beinahe wie Naats, als ob sie wüssten, wie wichtig ein ehrenhafter Tod war.

Er nahm die Hand vom Griff des Natak. Rhodans Haltung entspannte sich.

»Toreead!«, rief Novaal. »Schaff ihn fort! Befehl Trubar-5.«

Der Gerufene trat herein, packte Rhodan grob an den Schultern und schubste ihn vor sich her. Der Mensch taumelte, aber er gab keinen Laut des Schmerzes von sich, beschwerte sich nicht oder hielt sich damit auf, nach Verletzungen zu suchen.

Tapfer bis zuletzt, dachte Novaal.

Novaal verschränkte die Arme auf dem Rücken, ehe er etwas Unbedachtes tat. Selbstkontrolle war der Weg, Probleme zu lösen. Ein Naat, der sich kopfüber in eine Große Grube stürzte, weil ihn der Drang überfiel, überlebte selten mehr als drei oder vier Dolchkreise.

Er stand vor einer Situation, die sich so überraschend wie machtvoll ergeben hatte und die ihn zerreißen konnte, wenn er nicht aufpasste. Novaal hatte selbst um seine Entsendung in die Peripherie des Imperiums gebeten – an einen Ort, an den sich kein dünkelhafter Arkonide begeben würde, wo alle Intrigen um Macht und Einfluss sinnlos wären. Fort vom Zentrum der Macht, fort von den Millionen Augen und Ohren, fort von falschen Zungen und tauben Ohren. Es war ein Ort, an dem er Zeit gewann und sein Geheimnis wahren konnte. Zumindest hatte er das gedacht.

Und dann musste dieser Etztak Kontakt aufnehmen und ihn darauf hinweisen, was sich in seinem Sektor tat. Der Reekha Novaal musste sofort etwas tun, selbst wenn der Naat Novaal lieber abgewartet hätte: Oppositionelle waren aufgetaucht – Crest und Thora da Zoltral. Er würde in Erklärungsnot kommen, bereits wegen des toten Crest, aber mehr noch, wenn ihm nicht einmal die Auslieferung von dessen Ziehtochter an die Imperiale Garde gelang. Er würde seine Ehre verlieren, sein Geheimnis – konnte er es dann noch wahren?

Der Hochedle Sergh da Teffron verspräche sich gewiss keinen Vorteil, das Schweigen zu wahren, wenn er sich Novaals nicht mehr bedienen konnte.

»Reekha?«

Novaal drehte sich langsam um. Hinter ihm stand die blau leuchtende miniaturhafte Holoprojektion seines Stellvertreters in der Luft. Es kam unerwartet, aber das war er gewohnt. In der Eile, Rhodan zu konfrontieren, hatte er vergessen, diese Halle abzuschotten. Krineerk würde also getan haben, was alle getan hätten: sich informiert.

»Was gibt es?«

Krineerk fiel auf ein Knie und erwies ihm damit die Ehre, die er sich durch seine Reputation, durch Duelle und militärische Erfolge erworben hatte. »Ich bitte um die Erlaubnis, die Hinrichtungen vorbereiten zu dürfen.«

Novaal befahl ihm nicht aufzustehen. »Ich habe keine Hinrichtungen angeordnet.«

»Aber ...«

»Ich habe damit gedroht. Sie kennen den Unterschied?« Und Sie wissen, warum ich zu solchen Drohungen greifen musste, die meine Stärke diskreditieren? Weil die Arkoniden es mir abverlangen!

»Diese Menschen hängen aneinander. Ein, zwei Tote, und ...«, versuchte Krineerk zu argumentieren.

»Genug!«, brüllte Novaal. Sein Stellvertreter ähnelte immer mehr den Arkoniden, so hingebungsvoll diente er dem Imperium. Das war es, was er fürchtete: nicht mehr Naat zu sein. Es wäre der Untergang von allem. »Es ist meine Entscheidung, meine Befugnis, meine Ehre. Ich bin jederzeit imstande, diese Entscheidung zu treffen. Falls ich es für richtig halte.«

»Ich ... verstehe.« Krineerk erhob sich – das war erlaubt, da sie ein Thema abgeschlossen hatten, aber auch Erlaubtes konnte unhöflich sein. Die Naats waren, auch wenn viele Arkoniden das wohl abstreiten würden, zivilisiert.

»Ich glaube nicht, dass Sie es verstehen«, sagte Novaal. »Was macht einen guten Jäger aus, Krineerk?«

Sein Stellvertreter wirkte von der zusammenhanglosen Frage überrascht. Wahrscheinlich dachte er an seine Jagdzeit auf Naat. »Er ... nun, er verfolgt die Spur seiner Beute ...«

Novaal hob eine Hand und gebot ihm dadurch zu schweigen. »Ein schlechter Jäger verfolgt seine Beute. Ein guter Jäger läuft nicht hinterher, er erwartet sie, weil er sie kennt. Weil er weiß, was sie tun wird.«

Krineerk schloss das Stirnauge. Er dachte nach. »Sie haben recht, Kommandant«, sagte er schließlich. »Ich verzichte auf Kal'zhochras. Die Nataks werden ruhen. Wieder einmal.«

»Sie werden Kal'zhochras bekommen, Krineerk. Wenn Sie so weit sind. Ich verlöre Sie nur ungern.«

»Ich Sie ebenfalls«, gab er zurück.

»Ist noch etwas?«, fragte Novaal, als das Holobild sich nicht auflöste.

2.

Perry Rhodan

Perry Rhodan kam sich sehr, sehr klein vor.

Bisher hatte er immer gedacht, er wüsste, wie sich das anfühlte: klein und ohnmächtig. Vor wenigen Monaten erst hatte er zusammen mit seinem Freund Reginald Bull vor der riesigen stählernen Kugel der AETRON gestanden, die auf dem Mond notgelandet war. Er und Reg hatten die Köpfe tief in den Nacken gelegt. Vergeblich. Aus der Nähe war es ihnen nicht mehr gelungen, den Berg vor ihnen, der ein Raumschiff war, ganz zu erfassen. Es war ihr Sprungbrett ins All gewesen.

Rhodan und die Menschheit waren in die Unendlichkeit des Weltraums vorgestoßen – aber das hier war etwas vollkommen anderes. Ein Raumschiff war etwas Künstliches, das er bewundern musste, das er aber grundsätzlich auch für sich als beherrschbar klassifizierte; der Weltraum blieb etwas Erhabenes, das sich ihm immer wieder entzog, sooft er ihn betrachtete oder durchreiste, und zu dem ihm jeder echte Referenzpunkt fehlte, um sich wirklich in eine Beziehung setzen zu können. Und Wanderer erschien ihm immer noch wie ein absurder Traum. Kurz: Keine bisherige Erfahrung hatte ihn auf den ersten leibhaftigen Kontakt mit den Naats vorbereitet.

Er hielt sich für einen vernünftigen, aufgeschlossenen Menschen.

Ungeachtet dessen empfand er ein körperliches Unbehagen, als sei er eine Kerze, die ins offene Fenster gestellt wurde, während sich über dem Haus ein Sturm zusammenballte. Der Sturm stand hierbei für Arkon, dessen Vorgehen Rhodan stark an diesem Imperium zweifeln ließ, dessen ganzes Ausmaß er allerdings bislang nicht zu überblicken vermochte. Die Naats waren wahrscheinlich kaum mehr als eine erste Gewitterböe.

Naats. Er wusste nicht viel über sie. Und das wenige, das er aus den Datenbanken und im direkten Gespräch mit Novaal erfahren hatte, machte ihm keinen Mut. Krieger. Wild. Stur. Kompromisslos. Zyklopisch. Diener des Imperiums. Thora hatte sie zugleich verachtet und gefürchtet.

»Mitkommen.« Der Naat, der ihn abführen sollte, starrte mit diesem verwirrenden Dreiaugenblick auf Rhodan herab. Es war unmöglich zu sagen, ob er böse war.

Rhodan spürte, dass es in jedem Fall wahrscheinlich gefährlicher gewesen wäre, weiterhin mit Novaal zu diskutieren. Novaal war der Reekha, der Kommandeur eines Geschwaders, das die Peripherie des Imperiums sicherte. Er konnte sich wahrscheinlich keine Vertraulichkeiten und keine Kompromisse erlauben, wenn er sich nicht angreifbar machen wollte. Die Macht, die ihm gegeben war, engte ihn zugleich ein, denn wie alle imperiale Macht war sie nur auf Zeit geliehen und musste ständig bestätigt werden. Von wem, ob direkt vom Regenten oder einer anderen Figur der politischen und militärischen Konstellationen, blieb offen.

Er wünschte sich Thora oder Crest herbei, um ihn zu beraten, ihm dabei zu helfen, sich zurechtzufinden. Andererseits: Thora, die er als brillante Kommandantin zu schätzen gelernt hatte, war als politische Beraterin eine glatte Fehlbesetzung. Ihre Lageeinschätzung sowohl was die Mehandor als auch die Naats anging, war so stark subjektiv gefärbt gewesen, dass er einige schlechte Entscheidungen getroffen hatte.

Sein erster Fehler war das Vertrauen in die Lehrsätze der Arkonidin gewesen. Trau keinem Mehandor, hatte sie behauptet. Aber das war imperiales Denken.

Im Grunde hätte Rhodan der Matriarchin Belinkhar trauen müssen, denn sie hielt sich akkurat an alle Abmachungen. Der Einzige, dem man nicht trauen durfte, wenn man mit Mehandor verhandelte, war man selbst: dass man etwas übersah oder falsch formulierte. Er stellte sich vor, wie die Mehandor das Imperium bei der einen oder anderen Gelegenheit übervorteilt hatten – weil dessen Repräsentanten nicht in der Lage gewesen waren, präzise Abmachungen zu treffen, die exakt ihren Wünschen entsprachen. Den Mehandor konnte man keinen Vorwurf daraus machen, auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein, denn umgekehrt galt ja das Gleiche. Die Kunst des Handelns bestand darin, jede beteiligte Partei glauben zu machen, sie hätte davon am meisten profitiert.

Sein zweiter Fehler war gewesen, seine Denkweise auf eine andere Kultur anzuwenden. Als Belinkhar den Siebten gefordert hatte – ein Siebtel seiner Besatzung auf sieben Jahre an das Gespinst zum Dienst zu binden –, war eine ganze Gemengelage angesprochen worden, die ihm den Blick auf das Wesentliche versperrt hatte. Er hatte an den Zehnten gedacht, der im Mittelalter von den Leibeigenen verlangt worden war und der im Zweifelsfall gnadenlos durchgesetzt wurde, ohne Rücksicht auf die Lebensumstände der armen Menschen zu nehmen.

Er hatte an die Sklaverei gedacht, die auf der Erde ganz harmlos angefangen hatte als Indentur, ein freiwilliges Arbeitsverhältnis, bei dem sich »Indentured Servants« für mehrere Jahre verpflichteten, einem Herrn Dienst zu leisten. Während dieser Zeit waren ihre persönlichen Freiheitsrechte eingeschränkt, auch die Möglichkeit, Besitz zu erwerben. Leute, die kein Geld für die Überfahrt nach Nordamerika hatten, oder Kriminelle, die vor der Wahl standen, ins Gefängnis zu gehen oder sich zu verpflichten, wählten gern die Indentur. Auch die ersten Afrikaner, die nach Nordamerika gebracht wurden, kamen unter dem Eindruck, nach einigen Jahren der Dienstverpflichtung die Freiheit zu erhalten. Aber all das wandelte sich zum Nachteil dieser Indentured Servants, und die Geißel der Sklaverei entstand. Es dauerte lange, ehe Amerika zur Besinnung kam und diese schreckliche, menschenverachtende Institution wieder abschaffte, und es hatte noch länger gedauert, ihre Spuren aus den Bewusstseinen der Menschen zu tilgen.

Ihm, der in den USA aufgewachsen war, wohnte ein innerer Drang inne, etwas Vergleichbares nie wieder zuzulassen. Und so hatte sein gesamtes Vorwissen über die Vergangenheit seiner eigenen Kultur ihn dazu verleitet, Belinkhars Forderungen als derart moralisch falsch zu bewerten, dass ihn diese Einschätzung legitimierte, das Abkommen brechen zu dürfen.

Was für ein Fiasko war daraus entstanden! Von der TOSOMA war nur ein ausgeglühtes Wrack geblieben, versunken im Eis von Snowman. Ein Teil der Besatzung war tot – wie viele, wusste er nicht ...

Es wurde höchste Zeit, dass er das Heft des Handelns wieder in die Hand bekam! Er hatte sich zu sehr treiben lassen, zu stark auf Ratschläge vertraut und mindestens einmal zu oft die Unvoreingenommenheit vermissen lassen, die er sich als Tugend anrechnete. Verdammt! Wenn ich schon keine besonders große Chance habe, werde ich sie wenigstens nutzen! Aufgeben kommt nicht infrage!

Einen ersten Erfolg hatte er schließlich bereits dadurch erzielt, dass Thora und den anderen die Flucht gelungen war. Und er befand sich zwar in Gefangenschaft der Naats, hatte damit aber entschieden bessere Chancen als auf Snowman selbst. Lerne deine Feinde kennen – und wann geht das besser, als wenn man zwischen ihnen schläft?

Es würde ihm irgendwie gelingen, das Ruder herumzureißen. Was er sich vorwerfen konnte, war lediglich seine Naivität. Zu glauben, er könne direkt zum Regenten vorstoßen. Natürlich hatten ihm weder Thora noch Crest abgeraten, die beiden hatten schließlich im Imperium noch ein paar Rechnungen zu begleichen.

Hatte er sich benutzen lassen? Oder war er einfach zu ungestüm vorgeprescht? Doch andererseits: Welche Alternativen wären ihm geblieben? Sich auf der Erde einzuigeln und aufzurüsten, wohl wissend, dass jede beliebige galaktische raumfahrende Zivilisation ihm auf Jahrzehnte hinaus militärisch überlegen wäre? Vom Imperium erst gar nicht zu reden.

Nein: Seine grundsätzliche Entscheidung war wohlüberlegt gewesen. Aber was sich daraus entwickelt hatte ...

Er schüttelte den Kopf. Diese Gedanken brachten ihn bei den aktuellen Problemen nicht weiter, und diesen Problemen musste sein ganzes Interesse gelten. Für Gedankenspiele und Reflexionen war später noch Zeit.

In den letzten Tagen war er ein Getriebener gewesen, der schnell hatte reagieren müssen. Die Gefangennahme durch die Naats verschaffte ihm zum ersten Mal die Gelegenheit, sorgfältig nachzudenken und ganz auf sich konzentriert zu agieren. Das war, selbst wenn er das anfangs nicht begriffen hatte, ein Vorteil, falls er ihn richtig zu nutzen wusste.

Was er zuerst brauchte, waren Informationen. Und neben ihm lief eine potenzielle Informationsquelle – ganz gleich, wie Furcht einflößend sie wirkte.

Auf den ersten Blick war er ein Naat wie alle anderen. Die schwarze Lederhaut wirkte für Rhodan wie eine Uniform, sie ließ individuelle Unterschiede verschwimmen. Aber dieser hier wies ein besonderes Merkmal auf: Eine Hautverfärbung, metallisch blau, lief von der Schläfe am Hals hinunter und verschwand unter der Kleidung. Zudem verlief – im Unterschied zu Kommandant Novaal – sein Mund senkrecht und stülpte sich beim Sprechen leicht vor.

Rhodan sah etwas genauer hin – er hatte ja Zeit. Ihm kam es vor, als handele es sich bei dem Mund der Naats nicht so sehr um je eine Kauleiste auf dem Ober- und auf dem Unterkiefer, sondern um zwei Muskelstränge und dahinter einen Schlund. Beim Sprechen war es ihm aufgefallen: Es wirkte, als forme sich der Mundraum und Hals gerade so wie der Mund selbst. War er also gar nicht mit den Knochen verbunden? Das würde zumindest die unterschiedliche Anordnung des Mundes erklären.

Aber das war nicht wichtig im Moment. Nur die Tatsache, dass Naats Münder hatten und sie zum Reden benutzten, war wichtig. Denn sie mussten miteinander sprechen – er und die schwarzhäutigen Riesen. Wenn sie erst einmal miteinander redeten, baute sich auf diese Weise eine Beziehung auf. Darauf kam es an.

Da der Naat bereits von sich aus gesprochen hatte, wenn auch nur ein einziges Wort, konnte er es hoffentlich ruhigen Gewissens wagen, daran anzuknüpfen. Er versuchte, mit ihm auf einer Höhe zu bleiben, dann räusperte er sich und wartete, bis der Fremde ihn ansah.

»Ich bin Perry Rhodan«, sagte Rhodan versuchsweise das Harmloseste, was ihm einfiel. Würde der Naat reagieren? Und wie?

»Toreead«, sagte der Naat; Novaal hatte ihn mit diesem Wort angesprochen, wahrscheinlich der Eigenname. Es klang jedenfalls nicht wie ein Titel oder ein unübersetzbares Schimpfwort.

»Wohin bringen Sie mich?«

Toreead antwortete: »Dorthin, wo Novaal dich will. Befehl Trubar-5.«

Sie gingen ein paar Schritte. Dann fragte Rhodan schnell: »Und was bedeutet Trubar-5? Was geschieht mit mir?«

»Das, was Novaal bestimmt.«

So kam er also nicht weiter. Lag es an der allgemeinen Verschlossenheit Toreeads, an Rhodans eigener Position oder an der Macht Novaals, die dem Naat verbot, mehr mit ihm zu reden?

»Novaal flößt Ihnen gehörigen Respekt ein, was?«

Toreead grunzte. »Komm! Ich tue, was zu tun ist. Ich respektiere Novaal.«

Immerhin: Das waren schon mehrere Sätze. Nun wagte er sich etwas weiter vor, vielleicht war Toreead gesprächsbereiter, wenn er andere Fragen stellte als nach sich selbst.

»Was ist mit meinen Leuten? Mit der Besatzung der TOSOMA?«

Der Naat blieb abrupt stehen. Er grollte, als bewege sich etwas seinen Hals hinauf und würde zurückgezwungen. »Du musst ein extrem kurzes Leben haben, dass du so viele Fragen wie möglich in einen Moment hineinzudrängen versuchst.«

Beinahe hätte Rhodan gelacht. »Ich bin eben neugierig. Sie nicht?«

Der Naat starrte mit den beiden äußeren Augen auf ihn herunter, mit dem mittleren blickte er an die Decke. »Wer gierig ist, ist schwach. Aber du bist kein Naat, du verstehst das Leben sowieso nicht. Wir gehen weiter.«

Rhodan hastete an seine Seite. Der Riese machte plötzlich selbst für seinesgleichen enorm große Schritte, als habe er es auf einmal sehr eilig, den Gefangenen loszuwerden. »Also – was ist nun mit meinen Leuten?«

»Die, die stark sind, leben.«

Und Reg? Immerhin war er verletzt ... Er krallte seine Rechte in den erstaunlich weichen Uniformstoff Toreeads. »Und mein Freund, Reginald Bull? Hat Novaal ihn getötet?«

Wieder blieb der Naat stehen. Grob streifte er die Hand des Menschen ab und schob Rhodan ein Stück weg. »Du hast dich gestellt. Es bestand kein Grund, sein Leben zu nehmen.« Nach einem kurzen Moment des Zögerns fügte er hinzu: »Dein Freund ist stark.«

Rhodan war verblüfft. »Sie kennen Reg?«

»Niemand verdient eine Antwort ein zweites Mal. Wir gehen weiter.« Er führte Rhodan zu einem Aufzug, der wie ein Zylinder geformt war und in dem gepolte Schwerkraftfelder den Passagier an seinen Zielort brachten. Antigravschächte, dachte Rhodan. Eigentlich kaum etwas anderes als antike Paternoster, aber sie faszinierten ihn immer wieder. Ein ganz banales Stück Alltagstechnik, an das er sich zwar gewöhnt hatte, das er aber längst nicht in allen Details begriff.

»Trubar-5!«, sagte Toreead und betrat den Schacht. Wie selbstverständlich folgte ihm Rhodan. Wohin hätte er auch flüchten sollen?

Toreead musste sich unbehaglich fühlen, während er den für seine enormen Schultern engen Schacht hinabgetragen wurde. Ja, diese Schiffe waren eindeutig nicht für Naats konzipiert worden, jedenfalls nicht im Hinblick auf Komfort.

Ihre Reise führte sie über drei Ebenen, dann schoben die Kraftfelder sie sanft auf den Ausgang zu. »Gefangenensektor Trubar-5«, sagte eine geschlechtslose Stimme aus dem Nichts. Vor ihnen wurde ein bisher dunkler Gang von gelb leuchtenden Deckenplatten erhellt.

»Was wollen Sie von uns?«, fragte Rhodan.

»Das bestimmen nicht wir«, lautete die nichtssagende Antwort. Aber der Naat wirkte nicht wie jemand, der sich aus der Verantwortung stahl. Also hakte Rhodan nach.

»Wer bestimmt es dann?«

Toreead gab ein undefinierbares Geräusch von sich, irgendwo zwischen Gurgeln und Husten. »Das Oberkommando. Arkoniden.«

»Naats erledigen also die Schmutzarbeit für die Arkoniden, ist es das?«, provozierte Rhodan seinen Begleiter. Er ahnte, dass sie gleich am Ziel sein würden und ihm dann keine Fragen mehr beantwortet würden.

Toreead stieß ihn ansatzlos so heftig vor die Brust, dass er taumelte und fiel. Die kolossale Gestalt ragte schwarz und bedrohlich über ihm auf. »Wir sind da! Hinein da!«

Zischend fuhr eine Tür in Rhodans Rücken auf.

Als er seine Zelle betrat und die Tür wieder zuglitt, hörte er noch Toreeads letzte Worte: »Arkoniden befehlen, Naats gehorchen. Das war schon immer so.«

3.

In der Kuppel

»Ein Methan! Natürlich!« Hisab-Benkh hatte die Worte kaum zu Ende gesprochen, da schrillte der Alarm auf.