Perry Rhodan Neo 43: Das Ende der Schläfer - Alexander Huiskes - E-Book

Perry Rhodan Neo 43: Das Ende der Schläfer E-Book

Alexander Huiskes

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Beschreibung

April 2037: Seit Perry Rhodan zum Mond geflogen und dort die menschenähnlichen Arkoniden getroffen hat, verändert sich das Weltbild der Menschen in rasendem Tempo. Außerirdische besuchen die Erde, es kommt zu Begegnungen im All, und den Menschen wird klar, wie eng sie in kosmische Geschehnisse verwickelt sind. Das zeigt sich auch auf dem Mars, wo in einer Höhle die sogenannten Halbschläfer gefunden worden sind: intelligente Wesen, die von Pflanzen abstammen und über Gedanken kommunizieren. Die junge Mutantin Betty Toufry, die selbst Gedanken lesen kann, tritt in Kontakt zu diesen Wesen. Sie wird Teil einer ungeheuerlichen Vision: Vor fast 50.000 Jahren waren die Erde sowie die anderen Planeten der Schauplatz eines fürchterlichen Krieges. Wie es aussieht, muss die Geschichte der Erde neu geschrieben werden ...

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Band 43

Das Ende der Schläfer

von Alexander Huiskes

April 2037: Seit Perry Rhodan zum Mond geflogen und dort die menschenähnlichen Arkoniden getroffen hat, verändert sich das Weltbild der Menschen in rasendem Tempo. Außerirdische besuchen die Erde, es kommt zu Begegnungen im All, und den Menschen wird klar, wie eng sie in kosmische Geschehnisse verwickelt sind.

Das zeigt sich auch auf dem Mars, wo in einer Höhle die sogenannten Halbschläfer gefunden worden sind: intelligente Wesen, die von Pflanzen abstammen und über Gedanken kommunizieren. Die junge Mutantin Betty Toufry, die selbst Gedanken lesen kann, tritt in Kontakt zu diesen Wesen.

Prolog

Sie: Schlafend

Es war, als hätt' der Himmel die Erde still geküsst, dass sie im Blütenschimmer von ihm nur träumen müsst'.

Sie sah ein Meer von Blüten, das nicht da war. Nicht mehr. Und sie wusste: Sie schlief in jenem merkwürdigen Zustand, der ihr einerseits bewusst war, gegen den sie andererseits jedoch nichts tun konnte. Sie konnte nicht aufwachen, sie konnte nicht eingreifen, sie konnte nur weiterschlafen, in jenem Zustand des Dämmerns dahintreiben, noch nicht wach und nicht mehr schlafend.

Sie schlief, aber es war kein Fortgang einer Erholungsphase, sondern eine immer gleiche Abfolge des gleichen kurzen Zeitraums, des gleichen quälenden Schmerzes, gegen den sie sich nicht wehren konnte, von dem sie aber mittlerweile wusste, dass er immer wiederkam, mit Pausen dazwischen, die ihn eher steigerten als abschwächten.

Sie wusste nicht, ob sie nun eine Minute, eine Stunde oder sogar schon Tage schlief. Oder eine Ewigkeit.

Sie hatte Vertrauen missbraucht, daran erinnerte sie sich, aber es tat ihr nicht leid. Zur Strafe trieb sie nun dahin in diesem Nicht-Schlaf.

Träumte von Blumen, die es nicht mehr gab.

Sie schlief in dem Wissen, dass nur der Tod ihren Schlaf beenden konnte, und in der Hoffnung, es möge nicht ihr eigener Tod sein.

Sie schlief, und während sie dies tat, wusste sie von der letzten Sicherung, die sie bewahrt hatte und die nun wiederum sie davor bewahrte, sich dem Tod zu überantworten.

Es gibt Hoffnung. Ich muss sie rufen.

1.

Betty Toufry: Kontakt

Betty Toufry war eine ungewöhnliche Frau. Anfang dreißig, wurde sie oft für einen Teenager gehalten. Schwach, ja hilfsbedürftig. Doch das war ein Irrtum. Betty Toufry war eine Mutantin. Sie beherrschte die Telekinese: Mit der Kraft ihres Geistes vermochte sie Gegenstände zu bewegen. Und sie beherrschte die Telepathie: Sie las die Gedanken anderer.

Die Menschen, die sie kannten – und erst recht jene, die sie nicht kannten –, waren überzeugt, dies mache ihr das Leben leicht: Die Gedanken jener zu kennen, die einem gegenüberstanden, die tiefsten Geheimnisse auszuloten, die sich unter jener dünnen Tünche regten, die man gemeinhin als »Konversation« bezeichnete …

Nun – Betty Toufry wusste, dass es ganz und gar nicht so war. Die Telepathie war ein schwieriges Unterfangen. Zum einen benötigte sie dafür umso mehr körpereigene Energie, je intensiver sie ihre Gabe nutzte, und zum anderen war es ein bisschen wie in tausend Kilometern Höhe über dem südamerikanischen Regenwald zu schweben und zu versuchen, ein bestimmtes Krokodil ausfindig zu machen. Starke Gedanken, dominierende Leitlinien des Geistes, entsprachen dabei dem Amazonas als Orientierungshilfe, aber alles andere lag unter dem dichten Blattwerk verborgen, zu dem sie erst hinabstoßen und es danach noch durchdringen musste – ohne zu wissen, was sie darunter jeweils erwartete.

Und das galt für die Gedankenwelt von Menschen.

Die Santor waren etwas ganz anderes.

Als Santor bezeichneten sich jene rätselhaften Pflanzenwesen, die unter der Marsoberfläche in einem kleinen Reservat lebten; »Halbschläfer« wurden sie zudem genannt, aber ihre Erklärung für diese Bezeichnung schien nebulös. Sie seien noch nicht erwacht, ihre Zeit nicht gekommen. Zur Aktivität erwacht waren sie nur kurzzeitig, als die Menschen das Terraforming des Mars in Angriff nahmen, weil sie den roten Planeten ungeachtet seiner prinzipiellen Unwirtlichkeit als ihre Heimat betrachteten. Sie hatten den Ferronen Hetcher zu sich gerufen. Er war letztlich in ihnen aufgegangen. Der Historiker Cyr Aescunnar hingegen, der den Ferronen hatte retten wollen, war nach diesen Erfahrungen von den Santor verschont und zu ihrem Boten gemacht worden.

Damit sollte es, wenn es nach den Santor ging, genug sein.

Aber nun war Betty Toufry auf dem Mars, im Auftrag der Terranischen Union. Sie sollte den Kontakt zu den Santor herstellen und »mehr erfahren«. Ganz oben rangierten dabei drei Fragen: Wer waren die Santor, woher kamen sie, welche Ziele verfolgten sie?

Ein Geschöpf, das Aescunnar als »Tweel« bezeichnet hatte, war Bettys Führer gewesen. Worum genau es sich bei diesem Tweel handelte, blieb ihr unklar. Es sei einerseits eine Projektion der Santor, aber es bestehe auch zu einem Teil aus dem Ferronen Hetcher. Ob damit nur ein mentaler Bestandteil gemeint war?

Tweel ließ sich jedenfalls nicht in die Karten schauen. Wenn Betty versuchte, nach seinen Gedanken zu haschen, fuhren ihre geistigen Fühler wie durch Nebel. Ganz unzweifelhaft hatte Tweel ein Bewusstsein, aber es kam ihr vor wie eine Wolke feinster Tröpfchen, nur knapp über Molekülniveau, die sie mit ihrem vergleichsweise groben Netz aus telepathischen Kräften nicht zu fassen bekam.

Tweel rekelte sich vor ihr auf dem feuchten, moosigen Boden der subplanetaren Höhle, in der die Santor lebten. Das merkwürdige Geschöpf, weder Vogel noch Echse, noch Säuger und doch irgendwie alles davon, gab trillernde Laute von sich und behielt Betty Toufry im Blick.

Was dachte Tweel?

Nur das, was ihm die Santor als ihrem Agenten eingaben? Oder lauerte da ein eigener Wille, der unabhängig von seinen Prinzipalen war?

Tweel jedenfalls verriet nichts, gab nichts preis.

Die Santor verhielten sich ähnlich, allerdings hegte Betty den Verdacht, dass sich dies vor allem durch die vollkommen unterschiedliche Wesensart der beiden Spezies ergab, die in Kontakt miteinander treten sollten: hier der Mensch, dort die Tulpe.

Tulpe war selbstverständlich nur eine schwache Analogie und wirkte selbst für Betty, die wusste, wie wenig tulpenhaft die Santor waren, befremdlich. Aber die rund einen halben Meter hohe Lebensform ähnelte mit dem dicken, hellgrünen Stängel, den zwei bis sechs grundständigen Laubblättern und der charakteristischen, turbanartigen Blütenform eben jener tulipa, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts Europa erobert und bald darauf zur ersten großen Finanzkrise der modernen Menschheitsgeschichte geführt hatte.

Bitte, öffnet euch mir!, sendete sie ihre Gedanken und starrte auf die nestartig angeordneten Pflanzenwesen. Ihr duldet mich, also liegt euch ebenfalls an einem Kontakt mit uns Menschen. Ich werde hier nicht weggehen, ehe wir miteinander gesprochen haben.

Sie spürte Reaktion, ohne freilich etwas damit anfangen zu können, wie ein Kräuseln auf der Oberfläche eines stillen Weihers. Die Blütenkelche blieben geschlossen.

Sie versuchte, das schwarze Wasser der fremden Gedankenwelt zu berühren. Es fiel schwer, aber es gelang. Nach Tagen des Tastens und Versuchens endlich ein kleiner Erfolg. Es fühlte sich heiß an, wie pulsierendes Blut, das dennoch stillstand, und zugleich herrlich kühl.

Betty war verwirrt. Ihr Verstand versuchte, eine Art Schnittstelle zu finden, die es erlaubte, die Gedanken der Santor zu verstehen. Er musste dabei Sinneswahrnehmungen verarbeiten, für die der Mensch nicht gemacht war, und sie in plausible Eindrücke zu verwandeln, damit sie begriff.

Du bist für die Antworten nicht bereit, flüsterte eine Gedankenstimme, die mehrstimmig harmonisch klang. Wir haben gesagt, was zu sagen war.

Betty ärgerte sich. Wie leicht fiel es den Santor, sich ihr verständlich zu machen, wenn sie wollten! Ihre eigenen Bemühungen hingegen förderten die Pflanzenwesen nicht, kamen ihr nicht entgegen. Verspotteten sie sie?

Wir verspotten dich nicht, sagte die Mehrfachstimme prompt. Wir hatten wesentlich mehr Zeit, unsere Gabe zu vervollkommnen, als du.

Wie viel Zeit?, fasste Betty sofort nach.

Die Santor wirkten amüsiert. Ist das von irgendeinem Belang? Wir leben länger hier als deine Art, das sollte genügen. Was machen schon ein-, zweitausend Jahre deiner Historie aus?

Ihr seid zweitausend Jahre alt?

Das haben wir nicht gesagt.

Ich rühre mich nicht mehr vom Fleck, bis wir uns miteinander unterhalten haben.

Sie setzte sich auf das weiche Moos des Höhlenbodens und atmete tief ein. Kein Mensch hatte für möglich gehalten, dass so etwas auf dem Mars existieren könnte.

Es war still an diesem Ort.

Friedlich.

Beinahe hätte sie sich des Raumanzugs entledigt, besann sich aber doch eines Besseren. Die Enklave der Halbschläfer passte nicht auf den Mars, und wenn sie sich auflöste – ob durch Willen der Santor, einen Unfall oder gar einen Anschlag –, musste sie sich auf den Schutz des Anzugs verlassen können.

Betty Toufry hing am Leben. Aber ganz bestimmt schadete es nichts, dass sie mit offenem Helm herumlief. Wenn es psychohalluzinogene Pollen oder sonstige Stoffe in der Luft gäbe, wäre sie längst damit konfrontiert gewesen.

Die Luft der Kaverne war wunderbar, am ehesten vergleichbar einem Sommermorgen an einem Seerosenteich zwischen schattigen Tannen, mit strahlendem Sonnenschein nach nächtlichem, heftigem Regenfall.

Tief atmete sie ein, wollte den Frieden dieses Ortes in sich aufnehmen. Sie betrachtete die bunten, leuchtenden Kristalle, die den Santor die Sonne ersetzten, und dachte nach, worum es sich wohl handeln mochte. Was brachte diese Kristalle zum Leuchten? Und woher stammte diese kleine Kolonie Pflanzenwesen wirklich? Was hatte sie auf den Mars verschlagen?

Lazan, sagte die Santorstimme, von der der Chor abfiel wie verwelkte Blütenblätter. Nur eine einzelne Stimme blieb übrig. Wohltäter.

Lazan? Wohltäter? Was soll das heißen? Wer ist dieser Wohltäter Lazan?, fragte Betty und versuchte herauszubekommen, von welcher Pflanze der gedankliche Kontakt ausging. War es die blaue direkt neben ihr? Oder die gelbe, nur eine Armeslänge entfernt?

Langsam griff sie nach einer orangefarbenen Blüte und beobachtete erheitert, wie sich der geschlossene Blütenkelch wegbeugte, als wolle er nicht angefasst werden.

Sie sind bei uns, antwortete der Santor, als sei damit ihre Frage beantwortet.

Beinahe im gleichen Augenblick sah sie die goldenen Funken, spürte den unverkennbaren Luftzug, der entstand, wenn aus dem Nichts eine Masse auftauchte, und hörte einen erstickten Schrei in ihrem Rücken.

»Sid?«, rief sie entsetzt.

Das war so nicht geplant, sagte die Stimme der Santor. Sie klang verärgert – und verängstigt. Die Lazan sind wach.

Sid und Hollander hatten das Beiboot Leka-3 auf Terrania Orbital gekapert, hatten die Chance genutzt, als auf der Gegenstation des Orbitalfahrstuhls, der Terrania mit dem Weltraum verband, unvermittelt Kämpfe ausgebrochen waren. Eigentlich war es Hollander gewesen, und Sid hatte nur mitgemacht. Aber wie hieß es so schön: Mitgefangen, mitgehangen!

Sid wusste genau, dass sie einen Fehler begingen, aber in diesen Momenten war es ihm vorgekommen, als wäre es völlig unerheblich, wenn zu seinen bisherigen vielen Fehlern noch der eine oder andere dazukäme. Er hatte einfach getan, was Hollander von ihm verlangte, und sich dadurch immer tiefer in eine unerwünschte Lage gebracht.

Er wollte doch nur zu den Sternen fahren. Julian Tifflor hatte es auch geschafft!

Und nun … ein Debakel. Nein, er hatte sich nicht den Streitkräften entziehen und er hatte auch nicht zum Nachbarplaneten der Erde fliegen wollen. Aber sie taten es – weil Hollander es so bestimmte. Hollander, dieser falsche Freund, dieser unsoziale, belehrungsresistente Angeber.

Hollander hatte die Leka-3 direkt auf die Tharsis Montes zugeflogen, ausgerechnet jene Marsregion, in der die Santor lebten. Und diese hatten von der Menschheit unmissverständlich verlangt, den Mars unangetastet zu lassen. Adams nahm deren Forderung so ernst, dass er sämtliche Terraformingprojekte für den Mars auf Eis gelegt hatte.

Was würden die Pflanzenwesen denken, wenn eine Leka auf sie zugerast kam?

Sid und Hollander hatten miteinander gerungen und waren dabei so beschäftigt gewesen, dass sie den ersten Treffer erst mitbekommen hatten, als sie herumgerissen wurden und gegen die Wand prallten, die plötzlich zum Boden geworden war. Und während Hollander in Zorn und Panik verfiel, hatte Sid auf die Übertragung der Außenkameras geblickt. Was er dort sah, ließ ihm beinahe das Herz stehen: Aus dem Nichts klaffte ein zahnloses Maul auf, aus dem ein enormer Energiestrahl jagte. Er glaubte noch, vage einen durchscheinenden Körper wie von einem chinesischen Drachen zu sehen, dann schloss sich das Maul wieder, und die Leka stürzte schwer getroffen auf die Marsoberfläche zu.

Für einen Moment war er wie erstarrt, und für einen weiteren langen Moment überlegte er ernsthaft, Hollander einfach an Bord zu lassen. Aber er konnte seiner Liste von Fehlern nicht noch den Tod eines anderen hinzufügen.

Irgendwo hier musste die Höhle der Halbschläfer sein! Das bedeutete Luft und Leben – nicht den Tod, wie sie ihn auf dem Mars finden mussten, wenn sie abstürzten und ohne Raumanzüge die schrottreife Leka-Disk verließen …

Nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe der nächste Feuerstoß aus dem Nichts die Leka traf und mit einem Schlag alle Systeme überlastete, und nur zwei Sekunden vor dem Aufprall auf den Ausläufern des Marsgebirges berührte Sid den panischen Hollander, setzte seine Parakraft frei – und teleportierte blind, von der einen wahnwitzigen Hoffnung getrieben, sein Talent werde ihn schon in die Nähe der paranormal veranlagten Tulpen bringen …

Betty erkannte diese Art des Funkenregens als typische Begleiterscheinung für jede Teleportation des jungen Sid Gonzalez, als zünde ein unbekannter Witzbold jedes Mal ein paar Feuerwerksraketen.

Tatsächlich erkannte sie den jungen Latino sofort an seinem Gedankenprofil wieder. Optisch hingegen hatte er nicht mehr viel gemein mit dem Teenager, der er vor so wenigen Monaten noch gewesen war. Kam es nur ihr so vor, oder entfaltete der Gang der Ereignisse seit dem Mondflug Perry Rhodans tatsächlich ein beinahe zeitrafferähnliches Tempo? Oder war es schlicht eine Frage des Alters? Mit dreißig Jahren fühlte sie sich in letzter Zeit manchmal ziemlich alt, egal wie jung sie auf andere wirkte.

Sid blutete, sein ganzes Gesicht war verschmiert, wahrscheinlich stammte es von einer frischen Platzwunde an der Stirn. Aber was war das für ein Gesicht! Die Hasenzähne waren fort, die ihn so beschützenswert und auf niedliche Weise hässlich hatten erscheinen lassen, die dunklen Augen waren einem warmen Grünbraun gewichen, der Haaransatz hatte sich verändert, ebenso die Gesichtsform.

Aber er war nicht allein. Ein anderer Mann, den Betty noch nie gesehen hatte, begleitete ihn. Auch in seinem Gesicht und auf seiner Kleidung sah sie das frische Blut.

»Was soll der Dreck?«, pöbelte der andere junge Mann und fing sich damit sofort Minuspunkte bei der eher zurückhaltenden Betty ein.

»Halt doch endlich deine Schnauze!«, jaulte Sid entnervt. Er verpasste ihm einen Kinnhaken. Hollander wurde nach hinten geschleudert, seine rudernden Arme fanden keinen Halt, und er knallte auf das Moos. Wasser spritzte.

Die Santor schrien vor Schmerz. War er auf einem der »Nester« gelandet und hatte diese seltsamen, fünfgeschlechtlichen Pflanzenwesen verletzt?

»Betty?« Der drahtige Latino erkannte die blonde Frau offenbar ebenfalls sofort, mit der er im Januar dieses Jahres – also vor rund drei Monaten – den Stardust Tower in Terrania vor der Zerstörung gerettet hatte. »Was … tust du … hier?«

Sie eilte zu ihm, stützte ihn.

»Öffne dich mir!«, befahl sie scharf und stürzte sich mit ihren telepathischen Sinnen auf seine Gedanken wie ein Raubvogel auf eine fette Maus.

Sid schloss die Augen. Sie spürte sofort, wie peinlich es ihm war. Was konnte es sein, das den jungen Mann derart in Verlegenheit brachte?

Sie sah und hörte, was geschehen war. Die beiden angehenden Kadetten hatten sich den Rauswurf aus der Akademie für Raumfahrer eingehandelt, und als sei das nicht schlimm genug, auch noch eine Leka-Disk gestohlen und Kurs auf den Mars genommen … Und dann …

Wie konnte das geschehen sein? Hatten die Santor etwas damit zu tun? Der Ausruf, als Sid in die Kaverne platzte, schien darauf hinzudeuten.

Aber das musste warten. Sid und sein Kumpan benötigten dringend ärztliche Hilfe.

Rasch holte sie ihren Pod heraus und wischte über die Glasoberfläche, bis sie die richtigen Symbole gefunden hatte. Automatisch verbinden.

Es dauerte keine drei Sekunden, dann erhielt sie die erwartete Meldung: Kontakt!

Der Pod sprach ein Relais an der Oberfläche an, von dem aus die Verbindung direkt zum automatisierten Funkgerät von Bradbury Base ging. Der Hauptstützpunkt zur Erforschung des Mars war verlassen, aber die robuste terranisch-ferronische Technologie funktionierte weiterhin.

»Hier spricht Betty Toufry. Ich benötige dringend Hilfe. Schicken Sie ein Rettungsteam zum Mars, hier sind …«

Sie unterbrach sich. Etwas umklammerte ihren Kopf. Nein, eher ihre Gedanken.

Etwas – oder … jemand?

Lazan!, rief eine Stimme. Ich habe Lazan gesehen!

Was haben wir …?, schrie eine andere in ungläubigem Entsetzen.

Lasst mich los!, versuchte Betty Toufry die Santorstimmen mental zu überdröhnen.

Hör mir zu!, rief eine einzelne Stimme, die wie eine Klammer klang, die alle anderen zusammenhielt. Hört mir alle zu! Und vergebt mir …

Betty Toufrys Gedanken kamen zum Stillstand. Ihr wurde schwarz vor Augen, und für einen winzigen Augenblick blitzte das Bild eines Planeten auf, der über und über von Santor bedeckt war. War dies einmal der Mars gewesen?

Doch so schnell die Vision gekommen war, so schnell verging sie wieder.

Betty Toufry glaubte zu schreien, glaubte zu fallen – und landete.

Aber sie war nicht mehr sie selbst.

2.

Phylior: Erwachen

Hallo, Betty Toufry! Verzeih, dass ich dich so brachial in meine Erinnerungen ziehe und nicht herauslassen werde, ehe ich nicht am Ende bin. Aber etwas geht hier vor, was ich nicht einschätzen kann. Vielleicht bedeutet es für uns endlich die Zeit des Erwachens. Und wenn es so ist, wenn Cyra Abina zurückkehrt, wenn wir Santor an ihrer Seite sein werden – dann bleibt vielleicht keine Zeit mehr.

Ich weiß, dass ich dir vertrauen kann. Ihr Menschen seid nicht unsere Feinde, seid es nie gewesen und werdet es nie sein. Aber du musst etwas erfahren, was ich dir nicht einfach so erzählen kann.

Ich wollte warten, bis du die Seele der Telepathie selbst begreifst, aber dazu reicht unsere Zeit nicht mehr. Die Lazan mussten sich zeigen, und so neigt sich wohl unsere eigene Zeit ebenfalls dem Ende zu – im Guten wie im Bösen, die beide oft so nahe beieinanderliegen, dass man sie nicht unterscheiden kann, wenn man ihnen so dicht gegenübersteht.

Wenn du jemals eine gute Telepathin werden willst, darfst du nicht eine Gedankenfischerin bleiben, wie du es gegenwärtig noch bist. Du musst dich auf den anderen einlassen, du musst versuchen, in dir selbst den anderen zu finden. Egal, wie abscheulich oder wie erhaben ein anderer wirken mag, du selbst trägst von alldem irgendwo einen Punkt in dir, selbst wenn er dir nicht bewusst sein mag. Finde diesen Punkt, und du findest einen Weg, den anderen zu verstehen und mit ihm zu kommunizieren. Bleib Gedankenfischerin, und du wirst ein ums andere Mal scheitern.

Ich werde es dir beweisen. So viel kann ich tun. Ich bitte dich allerdings, mir vorbehaltlos zu vertrauen, dir wird kein Schaden entstehen.

Sei ich. Sei Phylior, der grüne Halbschläfer, der so viel unverdientes Glück hatte, der von hohen Hoffnungen träumen durfte, dessen großes Leben in einer Tragödie endete und der seitdem auf ein neues Leben wartet. Begleite mich, vom Zeitpunkt meines ersten Erwachens an … und begreife. Begreife, was mir verschlossen blieb. Für die Zukunft, für das Ringen.

Als ich erwachte, spürte ich, wie die Kälte – die ich bisher nicht gefühlt hatte, so wenig, wie ich irgendetwas hatte fühlen können – nachließ. Die Starre, derer ich mir gar nicht bewusst gewesen war, und die Dunkelheit wichen.

Ich kannte dieses Gefühl nicht. Bisher war es immer so gewesen, dass ich zusammensank und mein Leben im geschützten Kern Kraft sammeln ließ, ehe es wieder hervorschießen durfte und mein Bewusstsein wiedererweckte. Jedenfalls glaubte ich mich daran zu erinnern, wenngleich nur schwach. Ich kam mir desorientiert vor. An welchen universalen Koordinaten befand ich mich? Mein Instinkt ließ mich im Stich!

Es gab Bewegung, das spürte ich deutlich an den Schatten, die auf mich fielen und vorübergingen, und an dem Licht, das mich badete. Der Boden vibrierte, als etwas, das ich nicht begriff, vorüberging. Den Erschütterungen nach war es schwer, um ein Vielfaches schwerer als ich, etwa um das Achtzehnhundertfache. Was für ein Geschöpf konnte so schwer sein? War es ein Fleisch- oder ein Pflanzenfresser?

Ich spürte, wie sich etwas in mir regte, eine wohlbekannte Kraft, die aber zu diffus war, als dass ich sie hätte benennen können. Als wolle ich zupacken und wegschieben, aber das waren Begriffe, die nicht recht passten. Ich spürte zwar, dass ich sie kennen sollte, aber dieses Kennen war so weit entfernt wie zehn andere Leben. Ich lauschte in mich hinein, aber dort erklang kein Ton.

Ich hielt mich in der Erde fest, krallte mich mit allen Wurzeln hinein und spürte die Vibrationen dadurch bloß stärker. Die Schatten zogen vorüber, und das Licht badete mich erneut, schenkte mir Kraft.

Licht.

Ich genoss es, ohne zu wissen, woher es kam. Es war da, und es war genau so, wie ich es am liebsten hatte. Mein ganzer Körper sehnte sich danach, und ich richtete ihn so aus, dass er darin baden konnte. Neue Kraft durchströmte mich.

Leben.

Meine Wurzeln spürten die köstliche Feuchtigkeit der Erde, daher trank ich eilig, ließ das Wasser langsam durch meinen Körper wandern, gelöste Mineralien mit sich führend, und mich stärken.

Ich vermochte nicht zu sagen, weshalb, aber ich war mir sicher, nie zuvor an diesen universalen Koordinaten gewesen zu sein. Ich war fremd. Und doch war das Licht so schmerzlich vertraut und der Boden so herrlich weich und sanft, dass er mich umfing und mir vorgaukelte, dieser Ort sei speziell für mich gemacht.

Aber wieso wusste ich das? Ich erinnerte mich nicht an die Zeit vor dem Erwachen, nicht konkret. Nur, dass es etwas davor geben musste. Damals wusste ich es noch nicht, aber meine Erinnerungen waren jene des kollektiven Gedächtnisses meiner Spezies, nicht meine eigenen. Alles, was ich heute über meine Vergangenheit weiß, besteht aus zusammengetragenen und miteinander kombinierten Informationen, von denen ich nur hoffen kann, dass sie alle richtig sind.

Aber an jenem Tag, da ich erwachte, wusste ich buchstäblich nichts. Ich ahnte lediglich, dass ich nicht dorthin gehörte, und ein Drang, diffus und unheimlich, erwachte in mir: heimzukehren. Ohne zu wissen, wohin.

Es war von der ersten Minute meines Lebens an wie ein Tier, das unterirdisch an meinen Wurzeln fraß. Aber ich bemerkte es zunächst nicht, weil alles andere mir wichtiger, drängender, aufregender erschien.

Die Welt, in der ich mich befand, war neu, ich hatte bisher nur den Schlaf gekannt. Den kalten, dunklen Schlaf.

Ich tastete nach anderen Lebewesen, doch meine Versuche griffen nur Erde und Luft. Dabei waren Lebewesen in der Nähe, mussten in der Nähe sein. Andere wie ich. Oder andere als ich?

Was war ich?

Wer war ich?

Phylior. Das war mein Name.

Aber was bedeutete er? Was machte die Persönlichkeit dieses Phylior aus?

Eine Berührung, die ich nicht hatte kommen spüren, streichelte meine Stempelregion und glitt am hohlen Rückgrat entlang nach unten.

Ich zitterte. Was mich berührte, war warm, aber nicht so warm wie das Licht.

Ein dumpfes Vibrieren erfasste mich wie starker Wind.

Ich grüße dich, sagte eine Stimme in meinen Gedanken, von der ich nur eines wusste: Es war nicht meine.

Das Licht wurde heller, und der Boden schwankte. Ich begriff nicht, was geschah, und krallte mich umso fester in den Grund, auf dem ich stand. Erneut dieses grollende Geräusch.

Du bist verwirrt. Das verstehe ich nur zu gut. Wie solltest du nicht verwirrt sein, kleiner Gräber, nach deinem langen Schlaf?

Ich erschrak, meine Gedanken erstarben. Dann, zögernd, begann ich damit, eine Frage zu formulieren. Du bist …

Ich konnte spüren, wie das Fremde freundlich und auffordernd abwartete.

Wer bist du?

Ich bin Ketar, sagte die fremde Stimme, als sei damit alles umschrieben.

Und wie ich erfahren sollte, war es das sogar.

Ketar war ein wahrer Wohltäter. Er half mir dabei, zu mir selbst zu finden, obwohl er einer anderen Spezies angehörte. Aber wo waren andere Gräber? Ich konnte unmöglich ein einzelnes Wesen sein, das spürte ich.

Das sei unerheblich, antwortete Ketar auf meine diesbezüglichen Fragen, aber ich war mir nicht sicher, ob er die Antworten nicht kannte oder nicht sagen wollte. Jedenfalls lenkte er mich ab, indem er mich über die Vibrationen aufklärte, die ich gespürt hatte.

Ich erfuhr, dass diese Geräusche die Begleitumstände seiner Gedanken waren. Nun, genau genommen erklärte Ketar es etwas anders. Die Gedanken, die ich von ihm empfing, waren das Echo von etwas, das Ketar Sprechen nannte und das mit dem Sprechen, wie ich es kannte, von Geist zu Geist, überhaupt nichts gemein hatte. Ich konnte es nur als ebenjenes dumpfe Vibrieren meines Körpers wahrnehmen, undefinierbar in der Bedeutung. Unsere gewohnten Kommunikationswege waren also nur sehr begrenzt kompatibel.

Ketar verriet mir, dass die meisten Lebewesen sprechen und hören können wie er, aber dass meine Art – Gräber hatte er mich genannt – als »Sprechen« das Talent der Telepathie verstand: Wir können Gedanken anderer lesen und unsere Gedanken an andere übermitteln. Bei vielen Spezies vermögen wir sogar zu verstehen, was ihnen selbst nicht bewusst ist, bei den allermeisten hören wir das gesprochene wie das gedachte Wort synchron. Die beiden Gedankenebenen zu trennen, würde ich lernen müssen, wollte ich jemals mit anderen in Kontakt treten. Mit ein wenig Übung würde ich sogar lernen, aus den Gedanken anderer heraus deren Sinne zu nutzen und in meine eigene Wahrnehmung umzusetzen. Vielleicht fiele mir das sogar leichter, das wusste Ketar nicht zu sagen, aber er versprach, mir Gelegenheit zu verschaffen.

Dort, woher du stammst, war deine Umwelt statisch, und die Sinne, über die du selbst gebietest, reichten vollkommen aus. Hier aber wirst du lernen müssen, die Sinne anderer zu teilen.

Ich verstand nicht. Warum? Was soll anders sein?

Ketar schwieg einen Moment. Das kann ich dir nicht begreiflich machen, sagte er dann. Du würdest es noch nicht verstehen. Aber ich kann es dir benennen. Sobald du gelernt hast zu sehen, wirst du meine Worte selbst mit Bedeutung füllen können. Genügt dir das?

Ich weitete mein Bewusstsein. Sag es mir.

Du befindest dich an Bord eines Raumschiffs und reist durch einen Kosmos, den du nicht kennst, weil deine Ursprünge auf einer anderen Welt liegen.

Warum?, fragte ich verwirrt zurück.

Du wirst gebraucht, um Ordnung zu schaffen. Um Schäden zu beseitigen, die ganze Welten vergiften.

Ich sah in seinen Gedanken, was er meinte. Es war ein edles, gutes Ziel. Schützen. Zukunft geben.

Die Allianz.

Zeig mir mehr!

Ketar schwieg. Dann sagte er: Komm! Komm in meinen Geist, kleiner Gräber!

Ich probierte es sofort aus, aber wurde enttäuscht: In Ketars Geist vermochte ich nicht vorzudringen. Ich empfing an Gedanken nur das, was er sagte, als sei nichts hinter diesen Worten, als sei der Charakter des Wohltäters so dünn wie eine Blattwandung.

Es war eine interessante Situation und für uns beide ungemein überraschend: Ich konnte nur jene Gedanken Ketars hören, zu denen er begleitend redete, und er verstand meine Gedanken bloß, wenn ich ihn direkt ansprach.

Nun – mittlerweile zweifle ich, ob er wirklich so überrascht war, aber ich habe es nie mit Sicherheit erfahren. Es dürfte mich eigentlich nicht wundern zu erfahren, dass er weitaus mehr wusste und für weitaus mehr ursächlich verantwortlich war, als er je zugab. Dabei wirkte er stets vollkommen ehrlich, als hielte er nichts vor mir zurück. Und doch muss es so gewesen sein. Aber ich greife vor, Betty Toufry. Du musst mehr erfahren …

Ich zitterte, als mich Hände Ketars ausgruben. Er hatte mir versprochen, dass er nichts Arges mit mir vorhabe, aber ich verlor jeden Kontakt zum Boden, und mein Körper vertrug das nicht besonders gut.

Du wirst mir noch danken, sagte Ketar, und dann spürte ich bereits den neuen Boden, eine substrathaltige Struktur. Sofort schlug ich meine Wurzeln in den Grund – und stellte fest, dass sie sich nicht beliebig ausdehnen konnten, wie ich es für selbstverständlich gehalten hatte.

Wo bin ich?, fragte ich vorsichtig.

Warte!, sagte Ketar.

Dann spielten sanfte, leichte Windfinger mit meinen Blättern und dem Stempel. Das Licht bewegte sich, als wandere die Sonne viel zu schnell vom Morgen zur Nacht.

Wo …?

Aber Ketar blieb stumm.

Dafür spürte ich andere Gedanken. Neugierige Gedanken. Ich dehnte mein mentales Feld, wie Ketar es mich gelehrt hatte, bis ich das andere Bewusstsein berührte. Bei Ketar hatte ich es ausprobiert, war aber nie weit gekommen: Ketar blieb mir verborgen, sein Bewusstsein war unfassbar für meine Sinne.

Diesmal verlief es ganz anders. Es war ein atemberaubendes Erlebnis. Plötzlich konnte ich mich an den Gedanken des anderen festhalten und in ihn hineinhangeln. Es glich einem Sog, als ob ich mit den Wurzelenden Wasser aufnähme, nur auf ganz andere Weise. Die Welt, wie ich sie kennengelernt hatte, blähte sich auf und fiel sofort wieder in sich zusammen. Die Echos jener fremden Wahrnehmung klebten sich an meine gewohnten Sinne, während meine Gedanken versuchten, sie in Worte zu kleiden, Verbindungen herzustellen, die es mir erlaubten, den anderen zu verstehen.

Sein Name war Paal'chck, und er war ein Chi'quan.

Ich weiß, dass es für dich ungewohnt sein muss, Betty Toufry, meine Gedanken zu teilen und dich zu fragen: Wie fühlt es sich an?

Aber du kennst es längst. So, wie es dir mit uns ergeht, erging es mir einst ebenfalls.

Mir …