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Im 25. Jahrhundert: Nach den Erschütterungen der jüngsten Zeit richten sich die Menschen auf eine friedliche Zukunft ein. Zusammen mit anderen Sternenreichen möchte man die Milchstraße erkunden und fremde Welten besiedeln. Doch dann werden Perry Rhodan und seine Gefährten durch einen Notruf aufgeschreckt. Das Signal führt sie in die Nähe des Pulsars Vela. Der hyperaktive Neutronenstern öffnet einen Riss in der Raumzeit – den Zugang in einen anderen Kosmos. Dort stoßen sie auf ein sonderbares Raumschiff, dessen Besatzung offenbar verschwunden ist. Die Fremden scheinen einem Bund hoch entwickelter Völker anzugehören, dem sogenannten Konzil. Diese Machtgruppe plant einen Angriff auf die Milchstraße – er soll in Velas Schatten beginnen …
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Band 360
In Velas Schatten
Jacqueline Mayerhofer
Heinrich Bauer Verlag KG, Hamburg
Cover
Vorspann
1. Die Höllenfahrt der IRONCLAD – Teil 1
2. Wenige Tage zuvor: Das Wüten der Wolkenkreatur
3. Mehr als ein Zufall
4. Vorbereitungen und Diskussionen
5. Das Segel des Schiffs
6. Auf der IRONCLAD
7. Doktor Jekyll und Mister Hyde
8. Die Ruhe vor dem Sturm
9. Die Höllenfahrt der IRONCLAD – Teil 2
10. Das sinkende Schiff
11. Auf Erkundungstour
Zwischenspiel 1
12. Auf der Flucht
13. Zwischen Raum und Zeit
Zwischenspiel 2 – Rückblick
Zwischenspiel 3 – Die Eindringlinge
14. Die letzte Option
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Im Jahr 2462: Nach den Erschütterungen der jüngsten Zeit richten sich die Menschen auf eine friedliche Zukunft ein. Zusammen mit anderen Sternenreichen möchte die Terranische Union die Milchstraße erkunden und fremde Welten besiedeln.
Doch dann werden Perry Rhodan und Thora Rhodan da Zoltral durch einen Notruf aufgeschreckt. Er stammt von ihrer verschollenen Tochter Nathalie. Die Eltern brechen sofort zu einer Rettungsmission auf.
Das Signal führt sie in die Nähe des Pulsars Vela. Sie entdecken, dass der hyperaktive Neutronenstern einen Riss in der Raum-Zeit öffnet – den Zugang in einen anderen Kosmos. Dort stoßen Perry Rhodan und seine Gefährten auf eine sonderbare Raumstation, deren Besatzung offenbar verschwunden ist – IN VELAS SCHATTEN ...
1.
Die Höllenfahrt der IRONCLAD – Teil 1
Ein Ruck ging durch die Maxi-Space-Disk. Perry Rhodan sah, wie die Sterne draußen einen Sprung machten – wie sich der Raum um sie verschob.
Die Absorber halten, dachte er sowohl erschrocken als auch erleichtert. Sonst hätte es uns gerade zerquetscht. Was geschieht hier?
Routiniert griff er in einige Hologramme der Steuerkonsole, um die Navigation des kleinen Raumschiffs manuell zu übernehmen. Rhodan wusste, was er als Pilot konnte, und hoffte, erfolgreicher als sogar der schnellste Bordrechner zu reagieren. Doch die IRONCLAD setzte keinen seiner Befehle um – egal was er tat. Im Gegenteil. Sie beschleunigte mit so unglaublichen Werten, dass er sich fragte, wie das möglich war.
Als ob wir von außen gepackt würden, dachte er, während er versuchte, auf den Flugkurs Einfluss zu nehmen.
»Das kann nicht stimmen«, sagte Thora Rhodan da Zoltral, die neben ihm saß. »Die Messinstrumente müssen einen Fehler haben.«
Das Raumboot wurde ein weiteres Mal nach vorn gerissen. Nein, nicht gerissen – es war vielmehr, als würde es von etwas Unsichtbarem angesaugt.
»Was auch immer unsere Systeme beeinflusst, sorgt auch dafür, dass ich nicht dagegen steuern kann!«, rief Rhodan.
Thora beugte sich über die Datenholos der Externsensoren und wischte durch die Anzeigen. »Perry, die Instrumente behaupten, dass wir mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit fliegen. Im Normalraum! Das ist physikalisch unmöglich.«
Als er selbst einen Blick auf die Holos warf, wurde ihm kurzzeitig schwindlig; die Meldungen verschwammen vor seinen Augen. Rhodan blinzelte einige Male, bis sich seine Sicht wieder normalisierte. Tatsächlich. Was brachte das Beiboot dazu, derart zu beschleunigen?
Die IRONCLAD wurde plötzlich zur Seite gezerrt. Instinktiv versuchte Rhodan, mit Schubstößen der Manövriertriebwerke zu kompensieren, erreichte damit aber nichts. Die Maxi-Space-Disk wurde in die andere Richtung gerissen, als ob Rhodan nichts getan hätte. Zwar spürte er es dank der Andruckabsorber kaum, doch die Fluglageholos verrieten ihm, dass sich das Schiff und seine Besatzung überschlugen. Es war, als gerieten sie in das Innere eines Strudels, der ihnen – wie ein Blatt im Wind, das mehrmals um die eigene Achse rotierte – die Kontrolle über die Steuerung raubte.
Etwas knackte verdächtig laut.
War das gerade der Bootsrumpf?, fragte sich Rhodan alarmiert. Bei einem so stark gepanzerten Raumboot wie der IRONCLAD? Ihm wurde übel.
»Leute, seht euch das an!«, rief Gucky mit einem Mal. Der Mausbiber trat nach vorn zu Rhodan und Thora. Sein pelziges Gesicht wirkte angespannt. Er hielt sich mit einer Hand am Pilotensessel fest, da die IRONCLAD trotz funktionierender Trägheitskompensatoren bedenklich schwankte.
Rhodan hätte sich am liebsten auch irgendwo festgehalten. Es war zwar bloß reine Psychologie, das wusste er, doch in seiner Wahrnehmung ruckte und wackelte alles. Und da suchte man eben Halt. Als Pilot, der für die Besatzung verantwortlich war, war ihm dieser Luxus allerdings nicht vergönnt.
Mit der freien Hand zeigte Gucky auf die transparente Kuppel, die sich über ihren Köpfen spannte. »Hab ich Halluzinationen, oder verändern sich die Sterne gerade?«
Obwohl Rhodan noch immer mit der Navigation der IRONCLAD kämpfte, um das Raumfahrzeug endlich auf Kurs zu bringen, folgte er Guckys Hinweis. Das Licht verhielt sich ungewöhnlich, die Sterne wirkten verschwommen, pulsierten, erloschen und tauchten wieder auf. Danach verzerrten sie sich so stark, als spanne man ein Gummiband, um es anschließend zurückschnalzen zu lassen.
Wenn sie wieder zu ihrer richtigen Form wechselten, präsentierten sie Farbspektren, die es so nicht geben dürfte. Spiralen und feuerwerksähnliche Eruptionen, die sich in sämtliche Richtungen ausbreiteten, schienen die Raum-Zeit zerreißen zu wollen.
»Du träumst nicht, Kleiner«, sagte Rhodan. Er beugte sich über sein Steuerpult und betätigte unter den Hologrammen einen haptischen Schalter. Nichts geschah.
Fragend schaute er zu Thora. Seine Frau erwiderte den Blick irritiert.
Dann wurde der Schaltbefehl mit einem Mal doch umgesetzt. Eine Warnmeldung wurde zwischen sie projiziert – einer der drei Fusionsreaktoren war ausgefallen.
»Was tust du da, Perry?«, fragte Thora beunruhigt.
»Ich wollte den Energieverbrauch reduzieren, weil die Systeme zu überhitzen drohen.« Wie konnte das sein? Sein Befehl hätte die Reaktoren unterstützen und entlasten sollen, stattdessen war das genaue Gegenteil passiert.
Thora sprang ihm weiterhin als Co-Pilotin zur Seite. Ihre Finger huschten durch die Hologramme, während sich Rhodan abmühte, die IRONCLAD stabil zu halten. Unzählige physikalische Widersprüche prasselten auf die Messinstrumente ein, die nur noch chaotisch unsinnige Werte anzeigten. Die Gravitationskonstante nahm unnatürlich zu, trotzdem hatte Rhodan den Eindruck , als würde er immer leichter. Er befürchtete, jeden Moment aus dem Sitz gehoben zu werden, obwohl er sich eher hineingepresst fühlen sollte.
Die IRONCLAD wurde von Neuem durchgeschüttelt.
Plötzlich stürmte Aveline Celestaris in die Zentrale. Die junge Frau mit den langen, schwarzen Haaren und der dunklen Kleidung hatte sie zuvor noch über Bordfunk zu erreichen versucht.
»Was passiert da gerade?« Sie klang nervös, ihre Stimme zitterte. Die dunkle Schminke in ihrem Gesicht betonte ihre derzeitige Blässe. »Ich bin vorhin durch eine Wand gefallen!«
Rhodan war überrascht, hatte aber keine Zeit, etwas darauf zu erwidern. Die Externsensoren lieferten einen absurden Wert für die magnetische Feldkonstante. Demnach nahm die magnetische Flussdichte des Vakuums ab, stattdessen stieg die Feldstärke.
Das ergibt keinen Sinn!, dachte er. Sein Herzschlag beschleunigte sich ungewohnt schnell. Die Ortung entdeckt keinerlei ungewöhnlichen Magnetfelder in unserer Umgebung. Was ist es dann, das uns in seinem Sog festhält? Und vor allem: Wo ist es?
Gucky stieß einen Pfiff aus. »Doch, Aveline. Es betrifft sämtliche Naturkonstanten. Die Daten sind irre.«
Rhodan bemerkte, dass er während seiner Überlegungen wohl einen zwischenzeitlichen Wortwechsel verpasst hatte. Kurz blickte er zurück zu Celestaris. Sie wirkte zutiefst verstört. Er konnte sie verstehen; er empfand die Lage selbst als verfahren.
»Was verursacht diese Störungen?«, fragte die junge Frau fassungslos.
Thora wollte gerade etwas an ihrer Positronikkonsole einstellen, als ihre Hand darin einsank. Sie zuckte zurück, probierte es erneut – und stieß diesmal wie gewohnt auf Widerstand.
Irritiert schüttelte sie den Kopf. »Wir sind dabei, es herauszufinden.«
Celestaris kam zu Rhodan und Thora und blieb neben dem Ilt stehen, der sich mit seinem breiten Biberschwanz auf dem Boden abstützte. Sie überflog gerade die Statusholos der IRONCLAD, als es abermals besorgniserregend laut knackte.
»Was war das?«, rief sie.
»Der Bootsrumpf«, antwortete Rhodan.
»Ich dachte, die Panzerung der IRONCLAD ist stabiler als bei anderen Space-Disks?«
»Ist sie auch.«
»Wieso ...« Celestaris wurde von einem lang gezogenen Quietschen unterbrochen, das wie Metall klang, das aneinanderrieb.
Im nächsten Moment ertönte ein Krachen. Weitere Warnmeldungen flammten in den Hologrammen auf.
»Sagt mir, dass ich mich täusche und es nur so scheint, als würde die IRONCLAD unter der Belastung nachgeben«, sagte sie gehetzt. »Sie bricht nicht wirklich auseinander, oder?«
Auf einmal ging ein so heftiger Ruck durch die Maxi-Space-Disk, dass es Rhodan nach vorn gegen sein Steuerpult warf.
Die Andruckabsorber!, dachte er panisch. Jetzt versagen sie also doch?
Aber nur eine Sekunde später machte er sich klar, dass es sich nur um einen extrem kurzen Teilaussetzer gehandelt hatte. Andernfalls wären wir alle tot, dachte er.
Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass seine Freunde mit ähnlichen Problemen kämpften. Celestaris taumelte durch die Zentrale. Gucky hob sich telekinetisch in die Luft, und Thora klammerte sich in ihrem Sessel fest, um nicht herauskatapultiert zu werden.
Rhodan ächzte und stützte sich ab, war sofort wieder Herr der Lage. »Passt auf, die ...«
Ein schrilles Quietschen, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knall, unterbrach seine Warnung. Die IRONCLAD wurde scharf zur Seite gerissen. Neue Warnanzeigen prangten in den Hologrammen. Das Raumboot war am Heck von einer immensen mechanischen Belastung zerdrückt worden. Der starke externe Sog, der die Maxi-Space-Disk gefangen hielt, hatte das beschädigte Stück abgerissen, und es war für immer im Weltraum verloren gegangen.
»Das reicht – ich erhöhe die Leistung der Energiegeneratoren wieder!«, beschloss Thora und tätigte die erforderlichen Einstellungen. »Wir müssen aus diesem Mahlstrom raus. Dringend.«
»Wir haben schon einen Fusionsreaktor verloren!«, erinnerte Rhodan sie. »Wenn ein weiterer ausfällt, verschlimmert das nicht nur den Zustand der IRONCLAD. Wir sind dann schnell auch selbst geliefert.«
»Dann leite die Antriebsenergie um! Ich schalte einstweilen sämtliche Systeme ab, auf die wir verzichten können, um Energie zu sparen.«
»Ich bin schon dabei, Thora.« Rhodan bemühte sich weiterhin, ruhig zu bleiben. Er nahm es seiner Frau nicht übel, dass ihr Tonfall schärfer war als sonst. Auch er hörte vor Aufregung sein Blut in den Ohren rauschen. Trotzdem blieb er wie die Arkonidin rational. Musste es sein. Angst konnte er sich im Moment nicht leisten – er hatte gelernt, sie zu unterdrücken.
»Was verursacht denn das wieder?« Celestaris hatte sich einen Sitzplatz nahe Thora und Rhodan gesucht und den Notfallgurt um ihre Taille festgezurrt. Sie zeigte auf das Eingangsschott der Zentrale.
Rhodan warf nur einen flüchtigen Blick nach hinten, doch das genügte. Trotz seiner vieljährigen Erfahrung mit unzähligen anderen – manchmal auch unbegreiflichen – Extremsituationen jagte ihm die Szene einen Schauer über den Rücken.
Das Schott begann sich zu schließen, glitt jedoch immer wieder auf, startete einen neuen Versuch und endete mit demselben Ergebnis. Die Umgebung der Pforte verzog sich und flimmerte wie erhitzter Straßenasphalt an einem heißen Sommertag. Der Schottrahmen bog sich in die Länge, krümmte sich und kehrte wieder in seine ursprüngliche Form zurück.
»Ich glaube, wir haben ein kleines Raum-Zeit-Problem«, sagte Gucky scheinbar locker. Rhodan bemerkte die Anspannung in der Stimme des Ilts dennoch. »Ich verliere nämlich gerade nicht nur sprichwörtlich den Boden unter den Füßen!«, ergänzte der Mausbiber.
Der letzte Satz veranlasste Rhodan, sich alarmiert umzudrehen. Staunend nahm er wahr, was im Leitstand des Raumboots passierte. Tragende Strukturen waren von unheimlichen Phänomenen betroffen und wurden instabil. Sie wölbten oder verdrehten sich und gaben nach. Der Boden sank an manchen Stellen wie zerschmolzenes Metall ein und ließ Lücken zurück, die Einblicke in tiefer gelegene Ebenen der IRONCLAD erlaubten.
Überall flimmerte es, seltsame Lichteffekte irritierten Rhodans Sinne. Feste Materie verflüchtigte sich – langsam, aber unaufhaltsam. Celestaris sank in ihren Sitz ein und wollte sich abschnallen, griff aber mehrmals erfolglos durch den Gurt.
Erst da bemerkte Rhodan, dass es ihm und Thora nicht anders erging. Auch ihre Sessel wurden so weich, dass ihre Körper darin eintauchten wie in eine zähe Flüssigkeit. Positronikkonsolen verloren ihre Festigkeit und wurden zu verschwommenen Flecken. Manche Schalter und Knöpfe schwebten etliche Zentimeter und ohne jegliche Verankerung im Raum davor, flimmerten erst und wurden dann unscharf, als seien sie eine alte Fotografie, bei der die Konturen verschwanden.
Rhodan wurde erneut schwindlig. Er biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich. Gemeinsam mit Thora versuchte er einige Tricks, die für gewöhnlich halfen, Raumschiffe wieder unter Kontrolle zu bringen. Oder zumindest zurück auf Kurs. Thora und er griffen in die Holos, tippten auf Sensorfelder und die mechanischen Notschalter, die es immer noch gab – aber nichts von all dem half.
Mittlerweile steckte er bereits zur Hälfte in seinem Pilotensessel. Die Materie der IRONCLAD verlor allerorten an Kohärenz – verblasste, verbog und verwandelte sich.
»Diese Phänomene ...«, sagte Thora, die abermals eines der Navigationsholos bedienen wollte. Auch dieses Steuerelement verzerrte sich, und die Arkonidin griff wirkungslos hindurch. Sie runzelte die Stirn, drehte die Hand und betrachtete ihre Finger. »Wieso sind wir selbst nicht davon betroffen?«
Thoras Stimme klang entstellt. Das letzte Wort dehnte sich auffällig in die Länge. Danach wiederholte es sich.
»... betroffen ... betroffen ... betroffen ...«
Das unnatürliche Echo klang, als käme es aus einer anderen Zeit.
»Perry?«
»Perry ... Perry ... Perry ...«
Es war selten, dass er seine Frau so unruhig erlebte. Rhodan beugte sich zu ihr, legte ihr die Hand aufs Knie. »Wir finden eine Lösung, versprochen.«
»... versprochen ... versprochen ... versprochen ...«
Zwar sagte sie nichts darauf, aber der Blick aus ihren goldroten Augen sprach Bände: Thora Rhodan da Zoltral war sich nicht sicher, ob das auch dieses Mal gelang.
Gucky stieg neuerlich telekinetisch in die Höhe und ließ sich neben Aveline Celestaris in den Sitz fallen. Er zuckte mit den Ohren. »Netter Gedanke, Aveline. Aber ich fürchte, so hoch entwickelt sind unsere Einsatzanzüge nicht, dass wir unter diesen Umständen dort draußen lange überleben könnten.«
»Aber die IRONCLAD löst sich auf! Irgendwas müssen wir doch tun können.«
»Gib mir ein paar Momente, um nachzudenken«, bat der Mausbiber ernst.
Rhodan stieß ein Schnauben aus. »Ich fürchte, die haben wir nicht. Wir müssen sofort eine Lösung finden.«
Wie zur Untermalung seiner Worte brachen weitere Segmente der IRONCLAD auseinander und trennten sich vom Rumpf. Laut den Statusanzeigen lösten sich immer mehr Bootssektionen auf. Ganze Bereiche existierten bereits nicht mehr.
Der Tunnelsog hielt das kleine Diskusschiff und seine Besatzung weiterhin eisern in seiner Gewalt, erhöhte die Geschwindigkeit ständig und ließ das gesamte Fahrzeug heftig erzittern.
Wo wird das nur enden?, dachte Perry Rhodan und griff erneut nach einem Holo. Etwas musste doch zu machen sein!
2.
Wenige Tage zuvor
Das Wüten der Wolkenkreatur
»Du hast deinen Rekord gebrochen!«, rief John Marshall erfreut. »Acht Minuten und sechsundvierzig Sekunden. Gratuliere.«
Aveline Celestaris kam vor ihm zum Stehen und stützte sich mit den Händen auf den Knien ab. Sie war außer Atem, grinste Marshall aber trotzdem an. Sie standen sich in einer der Trainingsanlagen des Lakeside Institute of Mental and Physical Health gegenüber. Celestaris hatte gerade ihre fünf Runden auf der Laufbahn hinter sich gebracht.
Elender Schinder!, dachte sie amüsiert. Fehlt nur noch, dass du mit der Peitsche hinter mir stehst, damit ich schneller renne. Dann fiel ihr ein, dass er als Telepath ihre Gedanken lesen konnte, wenn er wollte. Ertappt fügte sie hinzu: War nicht so gemeint, John.
Marshall verzog keine Miene. Wahrscheinlich hielt er sich wie zumeist an seine eigenen Regeln und las die Gedanken anderer Leute nur, wenn es wirklich sein musste.
»Ich erinnere mich ständig an die Lektionen, die mir hier eingebläut werden«, sagte sie laut. »Körperliche Gesundheit ist genauso wichtig wie die mentale.«
Marshall verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte stolz, obwohl es ihr vorkam, als wolle er es verbergen. Ohnehin hatte Celestaris das Gefühl, dass Marshall in ihr einen Schützling sah – jedoch nicht auf unangenehme Weise. Er behandelte sie respektvoll und höflich, trotz all seiner Kenntnisse und Erfahrungen.
In dem Monat, der seit ihrer Rückkehr zur Erde vergangen war, hatten sie eng zusammengearbeitet. Auch Gucky sah immer wieder bei ihnen im Forschungsinstitut vorbei, um ihre Fortschritte zu beobachten. Seit Celestaris ihm mal einen Karottenkuchen gebacken hatte, wurden die Besuche sogar häufiger.
Ras Tschubai unterstützte sie gelegentlich bei ihrem Training. Sie war den Mutanten aufrichtig dankbar. Ohne sie und das Lakeside Institute hätte sie nie solche Fortschritte gemacht. Jedenfalls nicht so schnell.
Eidolon – die schattenhafte Manifestation ihrer düsteren Emotionen und Gedanken – schaffte es mittlerweile immer seltener, sie in Bedrängnis zu bringen. Nur zu gut erinnerte sich Celestaris an Eidolons erstes Erscheinen. Die schwarze Wolkenkreatur war aus ihr heraus entstanden und hatte als monströses Schattenwesen alles in Reichweite attackiert. Hatte um sich geschlagen und Geräte zerstört. Menschen verletzt oder sie sogar getötet.
Celestaris hatte verdammt hart dafür trainiert und zahllose Untersuchungen über sich ergehen lassen, damit sie Eidolon besser unter Kontrolle hatte. Die Wolkenkreatur kündigte sich zumeist an, bevor sie aus ihr hervorbrechen wollte, mit einem dumpfen Druck in ihrem Kopf.
In solchen Momenten kostete es sie viel Kraft, das Schattenmonster in sich einzusperren. Anfangs hatte Celestaris den Ärzten und Forschenden misstraut, doch das Lakeside Institute war mittlerweile zu ihrem Zuhause geworden – und das Personal ein Teil davon. Wie eine Familie kam es ihr manchmal vor.
John Marshall, Ras Tschubai und Gucky waren auch außerhalb des Trainings mit ihr befreundet. Vor allem Marshall war ihr neben Gucky ein guter Gefährte geworden. Seine Gesellschaft hatte eine beruhigende Wirkung auf sie.
»Schön zu sehen, dass du immer noch so motiviert bist«, sagte Marshall.
Celestaris lächelte und ging zu einer der Sitzbänke, die meist für Pausen genutzt wurden. Dort hatte sie ein Handtuch deponiert, das sie ergriff und sich damit Stirn und Nacken trocknete. Sie schnaufte einmal durch, nahm ihre ebenfalls bereitstehende Wasserflasche und trank gut die Hälfte in einem Zug leer. Danach strich sie sich die schwarzen Haarsträhnen, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatten, aus dem verschwitzten Gesicht und wandte sich Marshall zu. Er war ihr gefolgt und wartete mit amüsierter Miene ab.
»Hast du was Neues für mich?«, fragte sie. »Den Blick kenne ich doch.«
»Wenn du damit neue Trainingseinheiten meinst – nein. Du hast mich allerdings gebeten, dich an etwas zu erinnern.«
»Wirklich? Woran?«
»Ein kleiner Tipp: Du hast heute nicht nur die Rekordzeit deiner Runden gebrochen.«
Sie runzelte nachdenklich die Stirn. Im Lauf des zurückliegenden Monats hatte sie im Umgang mit Eidolon mehr gelernt als während der gesamten Zeit, in der sie auf sich allein gestellt gewesen war. Durch die Untersuchungen und Tests war es den Experten möglich gewesen, bestimmte Kriterien zu identifizieren, die ihre sonderbare Gabe aktivierten, die man als Parafähigkeit eingestuft hatte. Celestaris kannte diese Indizien nun und vermochte seither, sämtliche negativen Gedanken und aufgestauten Komplexe in ihrem Innern zu kanalisieren, noch während sich einer von Eidolons Ausbrüchen ankündigte. Das half ihr, die dunkle Manifestation zu beherrschen.
Es war vor allem Marshall, der regelmäßig mit ihr übte. Obwohl sie nicht nur für ihn, das gesamte Institut und auch für sich selbst eine Gefahr darstellte, falls Eidolon sie überrumpelte, ging er das Risiko bereitwillig ein, um ihr zu helfen. Zusammen hatten sie das größte Problem herausgefunden, das Celestaris die Kontrolle über die Wolkenkreatur besonders erschwerte.
Es sind deine Ängste, Aveline, dachte sie an Marshalls Vortrag. Du musst sie dir bewusst machen. Wenn du Eidolon zu sehr fürchtest, gibst du ihm Kontrolle über dich. Dann wird es schwerer, ihn zu beherrschen. Wenn du dir aber selbst vertraust und an dich glaubst, werden die Ausbrüche seltener. Eidolon ist ein Resultat von allem Schlechten in dir, all deinen negativen Gefühlen. Wann immer du an dir zweifelst, fütterst du ihn damit. Sei also ein bisschen selbstbewusster. Du hast bereits erstaunliche Fortschritte gemacht und kannst es dir leisten.
Sie hörte Marshalls Worte noch so klar und deutlich in ihrer Erinnerung, als habe er sie erst am Tag zuvor gesagt. Er hatte ihr danach in einer aufmunternden Geste auf die Schulter geklopft. Marshall war nicht nur der Leiter des Lakeside Institute, sondern auch ein hervorragender Lehrer. Da er Gedanken lesen konnte, hatte er seine Gabe von Anfang an in den Dienst der Menschheit gestellt. Er war über all die Jahre hinweg bescheiden geblieben und hielt sich meist im Hintergrund. Außerdem zählte er zu Perry Rhodans engsten Weggefährten.
Weil Celestaris ihre Eltern und beiden Schwestern früh verloren hatte, wusste sie nicht aus eigenem Erleben, wie es sich anfühlte, eine intakte Familie zu haben. Sie vermutete jedoch, dass Marshall dem am nächsten kam, was man als Vaterfigur bezeichnete. Celestaris war zuversichtlich, dass sie die Kontrolle über Eidolon in den kommenden Wochen und Monaten vor allem mit seiner Hilfe würde noch mehr festigen können.
Sie lächelte und nahm einen weiteren Schluck Wasser; da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Du sprichst von meinen Ausbrüchen, oder?«
»Richtig.« Marshall grinste auf eine Weise, die ihn um einige Jahre jünger wirken ließ. »Es ist auf den Tag genau zwei Wochen her, dass du keine größeren Probleme mehr damit hattest, Eidolon zurückzuhalten.«
»Das hast du dir gemerkt?«
»Natürlich. Warum glaubst du, wollte ich dein Training sonst heute wieder mal begleiten?«
»Weil du kontrollieren wolltest, ob ich nicht auf der faulen Haut liege?«, scherzte sie.
»Eher weil du mich darum gebeten hast, dich nach zwei erfolgreichen Wochen daran zu erinnern, dass es einen Grund zum Feiern gibt.«
»Das war doch nur so dahingesagt.« Sie spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Gerade sie war nicht der Typ Mensch, der sich gern in den Vordergrund drängte oder wollte, dass sich alles um sie drehte.
»Trotzdem.« John Marshall legte ihr in einer gewohnten Geste die Hand auf die Schulter. »Du kannst stolz auf dich sein, Aveline.«
Nun wurde ihr die Situation doch unangenehm. »Danke für das Lob. Das weiß ich sehr zu schätzen.«
»Dank nicht mir. Es ist deine eigene Leistung. Meinst du, wir können daraus vielleicht sogar drei Wochen machen?«
»Ich gebe mein Bestes.«
»Und ich werde ein paar deiner Trainingseinheiten schwieriger gestalten. Nicht, dass du dich noch unterfordert fühlst.« Obwohl er es in einem ernsten Ton sagte, um sie anzuspornen, erkannte sie Gutmütigkeit in seinem Blick.
Er brachte sie zum Lachen. »Alles klar. Ich habe nichts anderes erwartet.«
Es waren vor allem die Momente, in denen Celestaris allein war, die es für sie am schlimmsten machten. Besonders dann kamen die Depressionsschübe vermehrt, wenngleich sie es mittlerweile meistens schaffte, sie zurückzudrängen. Aber immer wieder tauchten sie plötzlich auf – ohne Vorwarnung. Dann fühlte es sich an, als würde die Welt um sie herum zusammenbrechen. Als stürze sie in ein dunkles, tiefes Loch, aus dem sie ohne Hilfe nur schwer wieder herauskam.
Sie wurde dabei tieftraurig und sämtlicher Hoffnungen beraubt. Es war anstrengend und kostete sie einiges an Kraft, nicht einfach nachzugeben und sich fallen zu lassen. Also dachte sie lieber an positive Dinge, denn diese halfen ihr dabei, die nötige Energie zu finden, um die aufkommenden Tiefs zurückzuweisen.
Lange hatte sie nicht mehr ein so geregeltes Leben wie im Lakeside Institute gehabt. Es war angenehm und schön, fühlte sich nach einem Zuhause an. Die Herausforderung, mit Eidolon klarzukommen, war mit einem Mal leichter zu bewältigen. Ihr Leben schlug derzeit eine Richtung ein, die ihr eine aussichtsreiche Zukunft versprach. Und am wichtigsten war für sie bei all dem, dass sie nicht länger allein war – sie hatte Freunde.
Aveline Celestaris lag in ihrer institutseigenen Wohnung im Bett. Die Kissen hatte sie in ihrem Rücken aufgestapelt und es sich bequem gemacht. Aktuell beschäftigte sie sich mit ihrem Multifunktionsarmband, das ein Hologramm vor sie projizierte. Mittels Wischbewegungen navigierte sie durch das Mesh, das interstellare Daten- und Kommunikationsnetz der Terranischen Union. Wie üblich handelten viele Trivids und Artikel von Perry Rhodan und seinen Gefährten, die vor einem Monat noch als Terroristen und Verräter gegolten hatten.
Auch Celestaris hatte zur Gruppe dieser angeblichen Verbrecher gehört. Doch seit Kurzem war ihr Ruf wiederhergestellt. Das hatten sie einem Ermittler der Solaren Abwehr zu verdanken – er hieß Galen Drex. Als sich Celestaris über diesen Terraner hatte informieren wollen, war sie allerdings nicht weit gekommen. Zwar hatte Drex mithilfe eines Gesprächsmitschnitts beweisen können, wer in Wahrheit hinter den terroristischen Anschlägen gesteckt hatte, doch seither fehlte jede Spur von ihm. Celestaris vermutete, dass ihn die Leute umgebracht hatten, die er als Hintermänner der großen Intrige hatte ausfindig machen können.
Sie rief den nächsten Holoartikel auf. Er zeigte eine Aufnahme von Perry Rhodan und seiner Frau Thora Rhodan da Zoltral. Der Titel bestand aus einem Zitat, das der berühmte Terraner angeblich gesagt hatte: »Zusammen mit NATHAN, den Posbis und vor allem den Hamamesch tun wir alles, was in unserer Macht steht, um wieder Ordnung zu schaffen und den Betroffenen zu helfen!« Diese Überschrift fand sie ganz schön sperrig.
Als Celestaris die Verbindung zum Mesh gerade beenden wollte, traf eine Nachricht ein. Sie stammte von Doktor Caleb Waters. Mit einem Seufzen löschte sie die Mitteilung, ohne sie zu lesen. Nur um keinen Moment später eine private Kontaktanfrage über ihr Multifunktionsarmband zu erhalten. Weil sie an diesem Abend sowieso nichts Besseres mehr zu tun hatte, überwand sie ihren Widerwillen und nahm das Gespräch an. Danach würde sie hoffentlich ein paar Tage Ruhe von seinem Wissensdrang haben.
Ein lebensgroßes Kommunikationshologramm entstand vor ihr und zeigte den Kopf eines Terraners bis zur Brust. Er hatte silberne Dreadlocks und hellblaue Augen, die in auffälligem Kontrast zu seiner dunklen Hautfarbe standen.
Waters strahlte bis über beide Ohren. »Miss Celestaris! Schön, dass ich Sie noch erreicht habe.«
»Wie kann ich Ihnen helfen?« Sie gab sich nicht sonderlich viel Mühe, interessiert zu klingen. Waters war in seinem Arbeitseifer schlimmer als manche Journalisten, mit denen sie gelegentlich zu tun hatte.
»Haben Sie denn schon meinen Fragebogen beantwortet?«
»Ich ... habe ihn erhalten.«
»Kommen Sie vielleicht in den nächsten Tagen dazu, ihn auszufüllen?«
»Kann ich nicht versprechen. Ich schaue, was sich machen lässt.«
»Das wäre super!«, sagte Waters voller Freude.