Pflegende Angehörige - Gabriele Wilz - E-Book

Pflegende Angehörige E-Book

Gabriele Wilz

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Beschreibung

Etwa 2,6 Millionen zu Hause lebende pflegebedürftige Menschen in Deutschland werden überwiegend von Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen betreut. Die Übernahme der Pflegeaufgaben ist für viele der Pflegenden mit einer oft über Jahre andauernden psychischen und körperlichen Überlastung verbunden, die zu einer psychischen Störung führen kann. Psychotherapeuten haben daher unter ihren Klienten oft auch Pflegende Angehörige. Der Band beschreibt wirksame verhaltenstherapeutische Interventionen sowie weitere Unterstützungsangebote, die für die Arbeit mit dieser Zielgruppe geeignet sind. Der Band gibt zunächst einen Überblick über zentrale motivationale, emotionale und krankheitsspezifische Herausforderungen, mit denen Pflegende Angehörige von älteren Menschen konfrontiert sind. Weiterhin werden Modelle der Pflegebelastung und Bewältigung der Pflegesituation aufgezeigt und diagnostische Instrumente zur Erfassung von pflegebedingten Veränderungen vorgestellt. Ausführlich wird auf psychosoziale und therapeutische Unterstützungskonzepte eingegangen. Dazu werden häufige therapeutische Themen, wie z.B. die Pflegemotivation, Rollenanpassung, belastende Emotionen, aber auch die Grenzen der häuslichen Pflege dargestellt und wirksame verhaltenstherapeutische Interventionsansätze skizziert. Zudem wird ein Überblick über mögliche Unterstützungsangebote, die das Versorgungssystem bietet, gegeben, so dass diese Hilfen auch in der Behandlung der pflegenden Angehörigen berücksichtigt werden können.

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Gabriele Wilz

Klaus Pfeiffer

Pflegende Angehörige

Fortschritte der Psychotherapie

Band 73

Pflegende Angehörige

Prof. Dr. Gabriele Wilz, Dr. Klaus Pfeiffer

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Tania Lincoln Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Begründer der Reihe:

Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl

Prof. Dr. rer. nat. Gabriele Wilz, geb. 1966, 1986-1993 Studium der Psychologie in Marburg. 1998 Promotion. 2008 Habilitation. Approbierte psychologische Psychotherapeutin (Kognitive Verhaltenstherapie) und Supervisorin. Seit 2009 Professorin für Klinisch-Psychologische Intervention an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Leitung der Hochschulambulanz und des Weiterbildenden Studiums Psychologische Psychotherapie an der FSU Jena.

Dr. rer. nat. Klaus Pfeiffer, geb. 1966, 1991-1997 Studium der Psychologie in Bremen und Tübingen. 2010 Promotion. Seit 1999 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) Stuttgart. 2001-2006 Koordinator des Geriatrischen Kompetenzzentrums am RBK. Seit 2006 Leitung von Forschungsprojekten und seit 2012 Lehrbeauftragter an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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Tel. +49 551 999 50 0

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[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2019

© 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2735-5; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2735-6)

ISBN 978-3-8017-2735-2

http://doi.org/10.1026/02735-000

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Anmerkung:

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Herausforderungen der häuslichen Pflege älterer Menschen

1.1 Veränderungen hinsichtlich Familie, Berufstätigkeit und sozialer Beziehungen

1.2 Belastende Emotionen

1.2.1 Wut und Ärger

1.2.2 Schuldgefühle

1.2.3 Hilflosigkeit und Angst

1.2.4 Ekel

1.2.5 Verlusterleben und Trauer

1.3 Gesundheitliche Folgen

1.4 Epidemiologische Daten

2 Modelle der Pflegebelastung und Bewältigung der Pflegesituation

2.1 Entscheidung zur Pflegeübernahme und Pflegemotivation

2.2 Pflegebeziehung und Rollenveränderung

2.3 Positive Aspekte – „Uplifts of caregiving“

2.4 Die Bewältigung von Pflegeaufgaben

2.5 Verlauf und Prognose

3 Diagnostik und Indikation

3.1 Erstgespräch – Exploration der Belastungssituation und Festlegung der Therapieziele

3.2 Indikation zur Psychotherapie

3.3 Diagnostische Instrumente zur Erfassung von pflegebedingten Veränderungen

4 Psychosoziale und therapeutische Unterstützungskonzepte

4.1 Therapeutische Grundhaltung und Beziehungsgestaltung

4.1.1 Ressourcenorientierung und Stärkung des Selbstwerts

4.1.2 Würdigung der Belastungssituation und Wertschätzung der Pflegeleistung

4.1.3 Empathisches Verständnis und Raum für das Mitteilungsbedürfnis

4.1.4 Förderung des Annehmens der Veränderungen und Verluste

4.2 Therapeutisches Arbeiten: Themen und spezifische Interventionen

4.2.1 Förderung von Erkrankungswissen und Pflegekompetenz

4.2.2 Veränderung pflegebezogener dysfunktionaler Kognitionen

4.2.3 Problemanalyse und Problemlösen

4.2.4 Selbstfürsorge, Werteorientierung und Akzeptanz

4.2.5 Förderung der Inanspruchnahme professioneller Unterstützung

4.2.6 Förderung der familialen Unterstützung und Kommunikation

4.2.7 Umgang mit belastenden Emotionen – Emotionsregulation und Stressmanagement

4.2.8 Umgang mit Gewalt in der Pflege

4.2.9 Unterstützung im Notfall und der Übergang in institutionelle Pflege

4.2.10 Umgang mit Sterben und Tod

4.2.11 Abschlussgespräch – Förderung des Transfers

4.3 Effektivität psychosozialer und psychotherapeutischer Interventionen

4.3.1 Intensität und Dauer der Intervention

4.3.2 Unterschiedliche Settingbedingungen

5 Der Pflege- und Betreuungsalltag: Überblick zu häufigen Alterssyndromen

5.1 Seh- und Höreinschränkungen

5.2 Immobilität

5.3 Posturale Instabilität und Stürze

5.4 Ess- und Trinkstörungen

5.5 Sexuelle Probleme

5.6 Inkontinenz

5.7 Chronische Schmerzen

5.8 Schlafstörungen

5.9 Depression

5.10 Kognitiver Abbau und Demenz

5.11 Maligne Erkrankungen

5.12 Polypharmazie

5.13 Rechtliche Fragen

6 Weiterführende Literatur

6.1 Fachliteratur

6.2 Ratgeber für pflegende Angehörige

7 Literatur

Karten

Fragen zur Exploration der Pflegesituation

Fragen zur Exploration der sozialen und professionellen Unterstützung

Fragen zur Exploration von Werten und persönlichen Bedürfnissen

|1|Vorwort

In Deutschland werden die 2,59 Millionen zu Hause lebenden Pflegebedürftigen überwiegend von Angehörigen betreut und gepflegt. Vor dem Hintergrund, dass aktuell rund 3,7 Millionen Personen in Deutschland nicht professionelle Hilfe für pflegebedürftige Verwandte, Nachbarn oder Bekannte leisten, kann die Übernahme von Pflege- und Betreuungsaufgaben als eine wahrscheinliche Entwicklungsaufgabe im Lauf unseres Lebens betrachtet werden.

Während die Pflege eines Angehörigen auf der einen Seite emotional sehr bereichernd sein kann, ist sie gleichzeitig für viele Pflegende auch mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Neben den zeitlichen und körperlichen Belastungen müssen immer wieder Krisen überwunden und Versorgungsroutinen angepasst werden. Darüber hinaus sind pflegende Angehörige häufig mit Aufgaben konfrontiert, die emotional sehr belastend sein können. Als Beispiele seien der schrittweise Abschied von der gepflegten Person, der Umgang mit schwierigen Verhaltensweisen (z. B. bei Menschen mit Demenz) oder auch Konflikte mit anderen Familienmitgliedern bezüglich der Übernahme von Pflegeaufgaben an dieser Stelle erwähnt. Diese können in der Summe einen starken Stressfaktor im Leben vieler Pflegender darstellen und mit Überlastungs- und Depressionssymptomen einhergehen. Demzufolge ist es nicht verwunderlich, dass in einer von uns durchgeführten Umfrage knapp zwei Drittel der befragten Verhaltenstherapeutinnen angaben, dass sie zum Erhebungszeitpunkt zwischen einem und fünfzehn Klienten behandelten, die für die Pflege eines Angehörigen verantwortlich waren.

In unterschiedlichen Studien während der letzten 15 Jahre konnten wir in Übereinstimmung mit der internationalen Literatur zeigen, dass fokussierte verhaltenstherapeutische Interventionen in unterschiedlichen Settings (in einer Gruppe, telefonisch, im persönlichen Kontakt und auch online) für pflegende Angehörige wirkungsvoll sind. Eine größere zukünftige Setting-Vielfalt von psychotherapeutischen Angeboten für diese Zielgruppe, aber auch Finanzierungsformen unter Einbeziehung der Pflegekassen halten wir daher für wünschenswert.

Ausgehend von unseren bisherigen Erfahrungen wollen wir den Leserinnen und Lesern einen Überblick über charakteristische Themen von pflegenden Angehörigen geben. Hierbei werden diese nicht isoliert, sondern immer in Bezug auf die pflegebedürftigen Personen, die ihre eigenen Bedürfnisse und |2|Wünsche oft nicht mehr in der gewohnten Weise äußern können, betrachtet. Auf die beschriebenen Belastungsfaktoren Bezug nehmend, werden für diese Zielgruppe bewährte Interventionsansätze, die Verhaltenstherapeuten und Verhaltenstherapeutinnen in der Regel bekannt sein dürften und in der Reihe „Fortschritte in der Psychotherapie“ bereits ausführlich beschrieben wurden, kurz skizziert. Ergänzend wird die Perspektive dahingehend erweitert, dass eine psychotherapeutische Intervention für pflegende Angehörige aus unserer Sicht auch immer im Kontext chronischer Pflege und anderer Unterstützungs- und Entlastungsangebote zu sehen ist. Die Leser und Leserinnen sollen angeregt werden, in der Psychotherapie immer wieder aktiv Bezugspunkte zum Versorgungssystem mit seinen gegebenen Möglichkeiten herzustellen und damit die pflegenden Angehörigen soweit möglich und erwünscht in der Aufrechterhaltung ihrer Pflegetätigkeit zu unterstützen.

Der Band „Pflegende Angehörige“ richtet sich somit an Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die entweder in der ambulanten Praxis oder in Institutionen mit den Problemen pflegender Angehöriger konfrontiert werden. Hierfür werden die vielfältigen, herausfordernden Situationen der pflegenden Angehörigen in Kapitel 1 verdeutlicht und die damit in Verbindung stehenden Hauptbelastungsthemen erläutert. Da in diesem Bereich nicht ein psychisches Störungsbild zugrunde liegt, ist dieser erste Abschnitt in wesentliche Belastungsthemen untergliedert. Entsprechend bezieht sich die „Störungskonzeption“ im zweiten Kapitel auf die Probleme der pflegenden Angehörigen und stellt aktuell bedeutsame Pflegebelastungsmodelle dar. Im dritten Kapitel Diagnostik und Indikation werden das Vorgehen im Erstgespräch sowie Modifikationen und Probleme bei der Zielbestimmung vorgestellt. Themenspezifische Fragebögen und Messinstrumente werden hinsichtlich des Anwendungsbereichs erläutert und relevante Aspekte zur Indikation erörtert.

Im vierten Kapitel wird neben der Beschreibung hilfreicher und wirksamer psychotherapeutischer Interventionsstrategien ein besonderer Fokus auf die Beziehungsgestaltung und Besonderheiten in der Arbeit mit Angehörigen im Vergleich zu Psychotherapiepatienten gelegt. Zudem wird ein Überblick zu den wichtigsten pflegebezogenen Unterstützungs- und Entlastungsangeboten gegeben. Weiterhin werden besondere Pflegesituationen wie Gewalt in der Pflege, der Übergang in institutionelle Pflege und der Umgang mit Sterben und Tod thematisiert. Abschließend werden in Kapitel 5 die häufigsten Beeinträchtigungen im Alter aufgegriffen und im Hinblick auf die jeweiligen Herausforderungen für die Pflegenden beschrieben.

Jena und Stuttgart, im Februar 2019

Gabriele Wilz und Klaus Pfeiffer

|3|1 Herausforderungen der häuslichen Pflege älterer Menschen

Elder care is not about having babies and raising children – the positive aspects of life. Elder care is about the end of life, about aging and dying.

Shonsey, 1994, S. 48

Angehörige, die ein älteres Familienmitglied pflegen, sind mit spezifischen belastenden Realitäten konfrontiert wie der Rollenumkehr bei pflegenden Kindern und dem Wahrnehmen des Alterungsprozesses. Dieser kann, neben positiven Aspekten, bei pflegebedürftigen Älteren mit einem Verlust an Autonomie, an körperlicher Unversehrtheit, Abbauprozessen und der Auseinandersetzung mit dem Thema Sterben und Tod verbunden sein. So kann die Betreuungsarbeit für ältere Familienmitglieder mit deutlich stärkeren psychischen Belastungen verbunden sein als die Fürsorge für die eigenen (gesunden) Kinder.

Wenn von pflegenden Angehörigen gesprochen wird, sind im Allgemeinen Personen gemeint, die einen persönlichen und nicht professionellen Bezug zu einer Person mit einer chronischen Erkrankung oder Behinderung haben und diese auf unterschiedlichste Weise unterstützen. Pflegende Angehörige können eine Hauptpflegeperson oder aber eine von mehreren pflegenden Personen sein, die außerhalb oder in der Wohnung des Gepflegten lebt. In den meisten Untersuchungen wird für die Definition eines pflegenden Angehörigen ein weiteres Kriterium, das sich auf den zeitlichen Umfang der hauswirtschaftlichen, Betreuungs- oder Pflegeleistungen bezieht, definiert. Als Untergrenze wird in der Regel eine Unterstützung von mindestens ein bis zwei Stunden pro Tag gefordert.

Im Folgenden wird die aktuell gebräuchliche Definition von Pflegebedürftigkeit §14 SGB XI vorgestellt.

Definition von Pflegebedürftigkeit (§14 SGB XI Abs.1, Stand 11.12.2018)

„(1) Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und zumindest in der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.“

|4|Prinzipiell haben Angehörige die Herausforderung zu bewältigen, die Pflege mit ihren bisherigen Lebensgewohnheiten und Pflichten zu vereinbaren und dadurch bedingte Lebensveränderungen anzunehmen. Angehörige berichten häufig, dass sie aufgrund der Pflege ihre ursprünglichen Lebensziele aufgeben und ihren Alltag den Pflege- und Betreuungsaufgaben unterordnen mussten. Viele Angehörige fühlen sich durch die Pflege in ihrer Privatssphäre eingeschränkt. Sie sind darüber hinaus mit der Aufgabe konfrontiert, bei einem nahestehenden Menschen die mit dessen Erkrankung und Pflegebedürftigkeit einhergehenden Veränderungen wahrzunehmen, zu akzeptieren und damit umgehen zu lernen. Je nach Beeinträchtigung müssen neue Wege der Kommunikation mit den Pflegebedürftigen entwickelt werden. Zudem nehmen die Anforderungen in der Pflege Älterer in der Regel über die Zeit zu.

Wie die Pflege eines älteren Familienmitglieds von den Angehörigen im individuellen Fall erlebt wird, hängt von zahlreichen weiteren Faktoren ab, sodass nicht von „der Pflegesituation“ und jeweils ähnlichen Belastungen für die Gesamtgruppe der pflegenden Angehörigen ausgegangen werden kann.

Weiterhin sind die Bewältigungsmöglichkeiten von Angehörigen, deren Lebensumstände und verfügbaren Ressourcen äußerst unterschiedlich. Die Erkrankung oder Beeinträchtigungen, die ursächlich für die Pflegebedürftigkeit sind, spielen darüber hinaus eine maßgebliche Rolle hinsichtlich des Belastungserlebens und der Bewältigung der Pflegesituation. Bei älteren Pflegebedürftigen können die im nachfolgenden Kasten aufgeführten Unterscheidungen getroffen werden:

Unterschiedliche Formen der Beeinträchtigung bei älteren Pflegebedüftigen

Pflegebedürftigkeit aufgrund von Erkrankungen und Verletzungen, die unmittelbare Beeinträchtigungen der kognitiven und/oder neurologischen Funktionen zur Folge haben (Demenz, Schlaganfall, Parkinson, Schädelhirnverletzungen, psychiatrische Erkrankungen wie Schizophrenie).

Beeinträchtigungen aufgrund von körperlichen Erkrankungen (z. B. Diabetes, Herzkreislauf-Erkrankungen).

Altersbedingte Beeinträchtigungen (Seh- und Hörstörungen, verminderte Vitalität, chronische Schmerzen z. B. aufgrund von Arthrose).

Lebensbedrohliche Erkrankungen (z. B. Tumorerkrankungen).

Anzumerken ist hierbei, dass sich bisher sehr wenige Forschungsarbeiten auf den direkten Vergleich von zwei oder mehr Krankheitsgruppen und deren Auswirkungen auf die Pflegebelastung von Angehörigen fokussiert haben. Hinsichtlich demografischer Charakteristika (Alter, Ehestand, Kinder im |5|Haushalt, Berufstätigkeit) unterscheiden sich pflegende Angehörige verschiedener Zielgruppen (z. B. Tumorerkrankte, Demenzerkrankte, ältere Hilfsbedürftige und Diabetespatienten) jedoch nicht grundlegend voneinander.

Im Vergleich zu Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen ist die Betreuung und Pflege von Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen und Persönlichkeitsveränderungen bis hin zum Verlust der Identität und Persönlichkeit (wie Demenz, Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma oder Schizophrenie) mit den stärksten objektiven und subjektiven Belastungen verbunden. Lediglich pflegende Angehörige von Tumorpatienten berichten vergleichbare Körperbeschwerden, emotionale und finanzielle Belastungen wie Angehörige von demenziell Erkrankten. Dies steht möglicherweise mit den gleichermaßen komplexen, herausfordernden und zeitlich einnehmenden Betreuungsanforderungen, sowie dem progredienten, von Verlusten geprägten, unkontrollierbaren und unvorhersehbaren Krankheitsverlauf in Zusammenhang. Insbesondere das Erleben des Leidens des Gepflegten sowie der eigenen Ohnmacht, nicht helfen zu können, stellt bei diesen Krankheitsbildern eine der stärksten Belastungsquellen dar. Der Umgang mit diesen Erkrankungen und insbesondere der Demenz, mit der sich der Großteil der Studien zur familialen Pflege befasst, wird daher im Folgenden besonders fokussiert.

Angehörige von Menschen mit Demenz pflegen meist über mehrere Jahre. Dabei geben viele pflegende Angehörige an, „rund um die Uhr“ für den Erkrankten verfügbar sein zu müssen. Körperlich mobile Demenzpatienten und nächtliche Störungen stehen hierbei mit einem besonders hohen Belastungserleben in Zusammenhang. Verhaltensauffälligkeiten wie beispielsweise Unruhe, Hinterherlaufen, wiederholtes Fragen sind ebenfalls mit einem erhöhten Belastungserleben der Angehörigen assoziiert. Pflegende Angehörige von Demenzerkrankten schränken ihre Hobbys und Urlaube stärker ein und haben deutlich weniger Zeit für weitere Familienangehörige sowie Freunde zur Verfügung als andere pflegende Angehörige.

Auch Angehörige von Schlaganfallpatienten stehen aufgrund kürzerer Behandlungszeiten in Kliniken und Rehabilitationseinrichtungen vor der Herausforderung, ihr betroffenes Familienmitglied zu Hause oft umfassend betreuen zu müssen. In der Regel sind die Angehörigen auf diese Aufgaben kaum vorbereitet und es stehen wenig ambulante, längerfristige Behandlungskonzepte zur Verfügung. Die Angehörigen müssen in ihrem Alltag mit dauerhaften Langzeitfolgen des Schlaganfalls wie etwa Lähmungen und Störungen der Sensibilität, der Sprache, der Kognition und der Psyche, insbesondere Depressionen, umgehen.

Bei Tumorerkrankungen sind die Angehörigen aufgrund der zunehmend ambulant erfolgenden Behandlungen und Therapien häufig stark in die Versorgung eingebunden. Sie müssen komplexe Pflegeaufgaben übernehmen sowie |6|praktisch und emotional bei der Bewältigung von Therapien und Operationen beistehen. Studienergebnisse zeigen, dass die Angehörigen psychisch teilweise belasteter sind als die Patienten und gleichzeitig weniger Unterstützung erhalten. Auf der emotionalen Seite stehen beim Angehörigen die Sorgen und Unsicherheit bezüglich eines möglichen Rückfalls und der Zukunft im Vordergrund. Bei einer Wiedererkrankung im fortgeschrittenen Krankheitsstadium und bei höherer Symptombelastung ist das Belastungserleben besonders stark ausgeprägt.

Die in diesem Band vorgestellten belastungsbezogenen und therapeutischen Themen im Zusammenhang mit den primär berücksichtigten drei Haupterkrankungsgruppen (Demenz, Schlaganfall und Tumorerkrankungen) sind so vielfältig, dass diese zumindest wesentliche Teilaspekte anderer Erkrankungsgruppen ebenfalls abdecken. Darüber hinaus sind in Kapitel 5 Übersichten zu den wichtigsten Funktionsstörungen altersbedingter Beeinträchtigungen mit weiterführenden Hinweisen für das jeweilige therapeutische Vorgehen zusammengestellt.

Im Folgenden werden in einem Überblick die wichtigsten Veränderungen, Belastungsquellen, gesundheitlichen Folgen und epidemiologischen Daten der häuslichen Pflege dargestellt.

1.1 Veränderungen hinsichtlich Familie, Berufstätigkeit und sozialer Beziehungen

Rund 55 % der Pflegenden über 18 Jahre sind berufstätig (61 % davon in Teilzeit). Knapp ein Drittel der erwerbstätigen Pflegepersonen hat ihre Arbeitszeit aufgrund der Pflegetätigkeit reduziert. Fast jede achte Hauptpflegeperson (12 %) ist neben der Pflege für die Betreuung und Erziehung von mindestens einem Kind unter 14 Jahren verantwortlich (Schmidt & Schneekloth, 2011; Bestmann, Wüstholz & Verheyen, 2014). Für einen Teil der pflegenden Angehörigen wird die Berufstätigkeit als zusätzliche Belastung erlebt. So berichten etwa die Hälfte der Angehörigen von beruflichen Schwierigkeiten durch die Pflege, wie beispielsweise das häufig notwendige Ändern von Terminplänen, die Reduktion der Arbeitszeit und unbezahlte Fehlzeiten.

Insbesondere Frauen mit eigenen minderjährigen Kindern, die bei zeitgleicher Berufstätigkeit für verschiedene Generationen eine zeitintensive Betreuung und Fürsorge leisten, geben mehr arbeitsbezogene Fehlzeiten und Stress aufgrund der Doppelbelastung an (Tuithof, ten Have, van Dorsselaer & de Graaf, 2015). Diese „Sandwich-Generation“ erlebt überdies oft belastende Schuldgefühle, weil sie den unterschiedlichen Anforderungen nicht in dem von ihnen gewünschten Maße gerecht werden kann. Hinzu kommen Zukunftssorgen und die Angst vor einem Arbeitsplatzverlust.

|7|Für andere ist die zeitgleiche Berufstätigkeit auch eine mögliche Ressource, die eine Auszeit und Regeneration von der Pflege, stärkere soziale Unterstützung und Integration beinhalten kann. Das Selbstwertgefühl der Pflegenden, deren psychische Gesundheit, und auch oft deren finanziellen Spielräume, z. B. für die Finanzierung von Hilfen, sind eng mit der Bewältigung und subjektiven Bewertung der verschiedenen Rollenanforderungen verbunden.