Phantombilder - Heike Mendelin - E-Book

Phantombilder E-Book

Heike Mendelin

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Beschreibung

Wer ist der Mörder? Wie sieht er aus? Ein Zeuge hatte ihn gesehen. Das Gesicht des Täters brannte sich in sein Gedächtnis ein. Ein Phantombild wird erstellt. Der Mörder wird gefasst. Rechtzeitig vor seiner nächsten Tat. Für Phantombildersteller Was muss ein Phantombildersteller alles wissen? Von verschiedenen Techniken bis zu Erkenntnissen aus der Psychologie. Von der Proportionslehre bis zur Alterslehre und vielem mehr. Dieses Buch macht Sie zum perfekten Phantombildersteller. Für Zeugen: Wie prägt man sich Gesichter ein? Wie kann diese Fähigkeit verbessert werden? Werden Sie zur wichtigsten Person bei der Suche nach dem Täter.

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Seitenzahl: 286

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Die Autoren bedanken sich herzlich bei ihren Familien.Und bei jedem, der dieses Buch zur Wirklichkeit machte.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil I

A DER PHANTOMBILDERSTELLER

1 Einleitung

2 Ein Traumjob?

3 Fallstudie 1: Versuchter Mord in mehreren Fällen

4 Qualitätsanspruch

4.1 Vorbedingungen

4.2 Vorteilhafte Fähigkeiten

4.3 Grundlagenwissen

4.4 Zeichnerische Grundlagen

4.5 Psychologische / Wissenschaftliche Kenntnisse

4.6 Grundlagen der Technik / Arbeitsmittel

4.7 Weitergehende Kenntnisse

B DAS PHANTOMBILD

1 Einleitung

2 Geschichte des Phantombildes

3 Begriff Phantombild

3.1 Das Portrait

3.1.1 Proportionslehre Portrait

3.2 Das Profil

3.2.1 Proportionslehre Profil

3.3 Ganzkörperdarstellung / Personengruppen

3.3.1 Proportionslehre Ganzkörperdarstellung

3.4 Gegenstände

3.5 Alterslehre zu Langzeit gesuchten Personen

3.5.1 Zweck der Alterung

3.5.2 Allgemeines

3.5.3 Unterschied Männer und Frauen

3.5.4 Ungleichmäßige Alterung

3.5.5 Die optischen Altersmerkmale vom Baby bis zum Greis

3.5.6 Neugeborenes (0-2 Jahre)

3.5.7 Kleinkind (2-4 Jahre)

3.5.8 Vorschulkind (4-6 Jahre)

3.5.9 Schulkind (6 - 10 Jahre)

3.5.10 Schulkind (10-14 Jahre)

3.5.11 Jugendlicher (14-18 Jahre)

3.5.12 Erwachsener (18 - 40 Jahre)

3.5.13 Älterer Erwachsener (40-60 Jahre)

3.5.14 Hohes Alter (60-100 Jahre)

3.5.15 Übersicht der Alterungsmerkmale bei einem Erwachsenen

3.5.16 Vorgehensweise

3.5.17 Besonderheit Kleinkinder

3.5.18 Weitere Faktoren

3.6 Auftragsannahme eines Alterungsbildes

3.7 Rekonstruierende Thanatopraxie (Gesichtsrekonstruktionen)

3.8 Rekonstruktion digitaler Aufnahmen/Gesichtskonstruktion

3.9 Weitere Möglichkeiten

C DER ZEUGE

1 Einleitung

2 Das menschliche Gedächtnis

3 Bedeutung von Gesichtern

4 Erinnern von Gesichtern: Beschreiben oder Wiedererkennen

5 Besonderheiten bei der Erinnerung an Gesichter

6 Das Interview

7 Besonderheiten beim Interview

7.1 Lügen und Täuschung

7.2 Hypnose

7.3 Das kognitive Interview

D PERSONENBESCHREIBUNG

1 Einleitung

2 Übersicht Gesichtsteilbeschreibung

2.1 Haare

2.1.1 Fallstudie 2: Autodiebstähle / Kfz-Unterschlagung

2.2 Haarstrukturen

2.3 Haarfarben

2.4 Haaransätze

2.5 Stirn

2.6 Augen

2.6.1 Fallstudie 3: Der Vergewaltiger der Tiere

2.6.2 Aufbau des Auges

2.6.3 Augenfarben

2.6.4 Augenformen

2.7 Augenbrauen

2.8 Nasen

2.9 Mund

2.9.1 Zähne

2.10 Wangen

2.11 Kinn

2.12 Hals

2.13 Ohren

2.14 Bärte

2.15 Kopfformen

2.16 Gestalt

2.17 Besonderheiten

2.18 Äußere Erscheinungsformen / Phänotypus

2.18.1 Europäer

2.18.2 Afrikaner

2.18.3 Asiaten

2.18.4 Amerika und Australien

E DIE PHANTOMBILDERSTELLUNG

1 Einleitung

2 Erstellungsarten

2.1 Zeichnen von Hand

2.2 IdentiKit® mittels Folien

2.3 Spezielle Phantombildsoftware

2.4 Adobe Photoshop® (kommerzielle Software)

2.5 FaceGen®

2.6 GEMINUS

2.7 DAZ 3D®

2.8 Einsatz digitaler Zeichenbretter

3 Erstellungsort

4 Ablauf Phantombilderstellung

4.1 Teil 1: Die Informationsgewinnung

4.2 Teil 2: Die Erstellung des Phantombildes

4.3 Teil 3: Abschluss- und Nutzungsteil

4.4 Beispiele/Übungen Phantombilderstellung

4.4.1 Übung 1

4.4.2 Übung 2

5 Schattentechnik und Zeichnen-Tipps

6 Problemfall Änderung des Alters

7 Problemfall mehrere Zeugen

8 Fallstudie 4: Die Cabrio-Mörder

9 Problemfall fremdsprachige oder stumme Zeugen

F DIE FAHNDUNG

1 Einleitung

2 Fallstudie 5: Der Entführer

3 Fahndungsarten

4 Fallstudie 6: Der Drogenabhängige

5 Rechtsgrundlagen

5.1 Allgemein

5.2 Fahndung mit einem Bild

5.3 Strafrechtsänderungsgesetz

5.4 Grundrechtseingriff Recht am eigenen Bild

5.5 Grundrechtseingriffe durch die Polizei bedürfen eindeutiger Rechtsgrundlagen.

5.6 Die Tatbestandsvoraussetzungen in §131b StPO

5.7 Subsidiarität

5.8 Richtervorbehalt

5.9 Personenkreis

5.10 Gerichtsurteil zu Phantombild

5.11 Gesetzesgrundlagen für weitere Arten von Phantombild-Veröffentlichungen

5.12 Benötigte Unterlagen zur Anordnung der Veröffentlichung

5.13 Fallstudie 7: Der Ladendieb

6 Erfolgsquoten

7 Fallstudie 8: Der Sexualstraftäter

G SONSTIGES

1 Mimik

1.1 Die Mimik als besonderer Gesichtsausdruck

1.2 Mimik bestimmter Gruppierungen

1.3 Mimik in bestimmten Situationen – der schreiende Täter

1.4 Wahre oder falsche Mimik

1.5 Mimik als zusätzliche Information für den Ermittler

2 Das typische Verbrechergesicht

2.1 Bedeutung für die Phantombilderstellung

3 Phantombild aus der DNA

3.1 Bedeutung für die Phantombilderstellung

4 Hormone zur Verbesserung der Wiedererkennung

5 Wer sind die besseren Zeugen - Frauen oder Männer?

6 Vom Prosopagnostiker bis zum Super-Recognizer

7 Medienarbeit

Teil 2

H WIE WERDE ICH EIN GUTER ZEUGE?

1 Einleitung

2 Fallstudie 9: Der Bankräuber

3 Banküberfall, Raub & Co

4 Wie merken Sie sich Gesichter

4.1 Übungen zur Verbesserung des bildhaften Denkvermögens

5 So bereiten Sie sich auf die Phantombilderstellung vor

6 Epilog

Appendix

1 Literaturverzeichnis und weitere Literaturhinweise

2 Bildnachweis für Composite-Bilder

Anlage A

Basisbilder für das Bilddaten-Programm Adobe Bridge®

3 Datenbestand

4 Darstellungsart

5 Qualitätsanspruch

6 Echte oder künstliche Personen

7 Empfohlene Vorgehensweise

8 Größe und Position

9 Hintergrundfarbe

10 Gesichtsfarbe

11 Zusammenstellung virtueller Personen

12 Recherchierbare Bilder

13 Stichwörter erstellen

14 Stichwörter zuweisen

15 Bild-Recherche

16 Stichwörter kombinieren

17 Bildgröße anpassen

Anlage B

Phantombilderstellung mit Adobe Photoshop®

Beispiel Ablauf Phantombilderstellung mit Adobe Photoshop®

Anlage C

Ergebnisse Übungen und Berühmtheiten auf dem Kopf

Vorwort

Unterhalten sich zwei Ermittler: „Haben wir eine Personenbeschreibung vom Täter?“; „Besser - wir haben ein Bild - ein Phantombild! Jetzt hat der Täter ein Gesicht!“

Eine Personenbeschreibung oder die Beschreibung eines Gegenstandes, nur mit ein paar Worten erklärt, ist im Regelfall unzureichend oder ungenau. Durch ein Phantombild wird die Erinnerung eines Zeugen zu einem vorzeigbaren Bild. Der Betrachter hat nun die Möglichkeit dieses mit bekannten Personen oder Gegenständen abzugleichen. Da ein Phantombild eine subjektive Reproduktion der Erinnerung darstellt, kann es leider keine hundertprozentige Abbildung des Gesuchten sein. Mit einem guten Zeugen ist es jedoch möglich, eine sehr hohe Ähnlichkeit zu erreichen oder die individuellen Erkennungsmerkmale darzustellen. So ist es nun möglich, dass jemand den Gesuchten oder das Gesuchte wiedererkennen kann und in der Lage ist, einen hilfreichen Hinweis zur Identifizierung zu geben.

Aber wie werde ich ein guter Phantombildersteller?

Dieses Buch vermittelt alle notwendigen Kenntnisse und Grundlagen für seine Arbeit. Die verschiedensten Erstellungsarten für Phantombilder werden hierbei berücksichtigt. Es ist gleichgültig, ob mit Hilfe einer Software am Computer erstellt oder von Hand gezeichnet wird.

Ohne einen guten Zeugen ist eine erfolgreiche Phantombilderstellung nicht möglich. Der zweite Teil des Buches richtet sich deshalb an alle potentiellen Zeugen wie Bankangestellte und Verkäufer und an alle, die ihr Gehirn für die Wiedererkennung optimal trainieren möchten. Hier wird auf einfache Art vermittelt, wie man sich Personen und Gegenstände so gut einprägt, um sie anschließend visualisieren zu können.

Um die Lesbarkeit des Buches zu erleichtern, ist in der Folge nur die männliche Geschlechtsform von Personenbezeichnungen gewählt. Unabhängig davon bezieht sie sich auf Frauen und Männer gleichermaßen.

Zu den Autoren

Rainer Wortmann ist Kriminalhauptkommissar (KHK) und beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart beschäftigt. Er erstellt seit 1997 Phantombilder.

Nach seiner Ausbildung zum Karosseriebauer und Tätigkeit als Kraftfahrer einer Spedition am Flughafen Stuttgart ging er 1991 zur Polizei. Nach zweieinhalbjähriger Ausbildung und vierjährigem Dienst beim Polizeirevier Stuttgart-Degerloch als Streifenbeamter wechselte er 1997 zur Kriminalpolizei. Hier war er maßgeblich an der Softwareentwicklung zur Digitalisierung der Aufnahme der erkennungsdienstlichen Behandlung beteiligt.

Von 2001 bis 2004 absolvierte er an der Fachhochschule für Polizei das Studium zum gehobenen Dienst als Diplomverwaltungswirt FH Polizei.

Seit 2007 übernimmt er die Fachkoordination Phantombild für Baden-Württemberg. In dieser Funktion ist er für die Aus- und Fortbildung und die Ausstattung für etwa 40 Phantombildersteller im Land verantwortlich. 2009 wurde er zum stellvertretenden Leiter der bundesweiten Arbeitsgruppe Phantombild gewählt, welche sich unter anderem um überregionale zukunftsorientierte Qualitätsstandards und Zusammenarbeit einsetzt.

Im Jahr 2008 erweitere Rainer Wortmann seine zeichnerischen Fähigkeiten an der FBI-Akademie in Quantico, Virginia, USA, bei der Ausbildung zum Forensic Artist (Phantombildzeichner). Es folgte 2010 die Teilnahme am Spezialkurs für Altersanpassung und Gesichtsrekonstruktion am Anthropologischen Institut der University South Florida in Tampa, initiiert durch den National Center For Missing & Exploited Children.

Seit 2013 ist er beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg als Spezialist für den biometrischen Bereich Phantombild und Erkennungsdienst tätig.

KHK Wortmann bildet national und teilweise international für mehrere europäische Länder Phantombildersteller aus. Er organisiert und führt Tagungen durch, tritt regelmäßig weltweit als Referent zum Thema Phantombild bei Konferenzen auf und ist fortwährend in der Presse, im Radio oder Fernsehen präsent.

Rainer Wortmann ist zudem Portrait-Zeichenkünstler, spezialisiert auf Kohle- und Graphitzeichnungen. Eine Auswahl seiner Werke sind auf seiner Website www.rainerwortmann.de zu sehen. Viele seiner Gemälde werden fortwährend bei Ausstellungen präsentiert und können, zumeist als Spende für einen guten Zweck, erworben werden. Auf diese Weise unterstützt er Opfer von Straftaten - zusätzlich zu seiner normalen Polizeiarbeit.

Dr. Heike Mendelin ist approbierte Psychologische Psychotherapeutin und promovierte zum Thema Phantombilderstellung. Nach dem Studium der Psychologie arbeitete sie an der Universität Kapstadt als Dozentin und Forscherin, und etablierte eine jahrelange enge Kooperation mit der südafrikanischen Polizei im Bereich der Phantombilderstellung. Die Forschung bezog sich einerseits auf experimentelle Studien zu Themen wie dem Ethnien-Effekt, der Wiederherstellung des Wahrnehmungskontext zur Verbesserung der Phantombild, der Interviewtechnik etc. Andererseits entstanden in der Zusammenarbeit mit der südafrikanischen Polizei Studien zur Erfassung der praktizierten Phantombilderstellung, der Rahmenbedingungen und der Qualität der Phantombilder, um letztendlich die Qualität der Ausbildung der Phantombildersteller zu verbessern. Diese Forschung stellt sie regelmäßig auf Tagungen und Konferenzen vor.

Seit 2009 arbeitet sie ebenfalls als Dozentin an der Hochschule der Polizei in Baden-Württemberg.

Zusätzlich zu ihrer Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin ließ sie sich in den Bereichen Entspannungsverfahren und Gesprächsführung weiterbilden. Außerdem ist sie seit Jahren Hypnotherapeutin. Zur Zeit ist Heike Mendelin, neben ihrer Tätigkeit als Dozentin, in eigener Praxis als Psychologische Psychotherapeutin niedergelassen.

Teil I

A DER PHANTOMBILDERSTELLER

1 Einleitung

Was ist ein Phantombildersteller? Ist das ein Beruf? Und wenn ja, wie und wo lässt er sich erlernen? Kann das jeder, oder sind bestimmte Voraussetzungen erforderlich? Was stellt man sich unter einem Menschen vor, der Phantombilder erstellen kann: einen Künstler, einen Psychologen, einen Polizisten – oder alles auf einmal?

Phantombilder sind oft in der Zeitung oder im Fernsehen zu sehen. Aber kaum jemand weiß, wer oder welche Arbeit dahintersteckt. „Holt den Phantombildzeichner. Wir müssen wissen, wie der Täter aussieht“, heißt es in Krimi-Serien, wenn der Täter unbekannt ist, aber es Augenzeugen gibt.

Eine Phantombilderstellung ist nicht mit einer polizeilichen Vernehmung vergleichbar, bei der normalerweise jeder Ermittler die Aussage eines Zeugen aufnehmen kann. Ein Bild nach Zeugenangaben zu fertigen, dafür bedarf es eines Spezialisten. Er muss in der Lage sein, etwas zu erstellen, das anschließend wie ein Foto herumgezeigt werden kann. „So sieht also der Gesuchte aus! Wer kennt ihn?“

2 Ein Traumjob?

Als ich, Rainer Wortmann, bei der Polizei mit der Ausbildung anfing, hatte ich bereits etwas über Phantombilder gehört. Sie waren ein Thema im Zusammenhang mit Ermittlungs- und Vernehmungsmethoden. Mir war jedoch schleierhaft, wie so etwas genau funktioniert. Geschweige denn konnte ich mir vorstellen, selbst einmal in der Lage zu sein, Phantombilder zu fertigen.

Meine ersten Erfahrungen als Polizeibeamter nach der fast zweieinhalb Jahre dauernden Ausbildung sammelte ich bei einem Polizeirevier am Rande der Landeshauptstadt Stuttgart. Vier Jahre lang fuhr ich im Schichtdienst Tag und Nacht Streife durch mehrere Stadtbezirke und nahm Verkehrsunfälle auf, schlichtete Streitigkeiten, vernahm Opfer verschiedenster Straftaten, suchte nach Spuren bei Wohnungseinbrüchen, hielt betrunkene Autofahrer an, verfolgte Umweltstraftaten, kontrollierte Lkw-Fahrer und vieles mehr. Es ist die Hauptaufgabe der uniformierten Schutzpolizei, immer der Erste vor Ort zu sein und den sogenannten „ersten Angriff“ durchzuführen. Also zu prüfen, was genau passiert ist oder passieren kann, und die ersten unaufschiebbaren Maßnahmen zu treffen. Es ist dann die Aufgabe der Kriminalpolizei, die weiteren Ermittlungen durchzuführen und insbesondere schwere Straftaten aufzuklären.

Die Kriminalpolizei ist untergliedert in ermittlungsführende Dienststellen und Servicedienststellen wie die Kriminaltechnik und den Erkennungsdienst. Dieser Dienststelle, die für alle Bereiche der Identifikation von Straftätern zuständig ist, galt mein besonderes Interesse. Insbesondere die Einführung der digitalen Bildfertigung mittels Computer Mitte der 90er Jahre eröffnete neue Möglichkeiten in der Tätersuche. Für den Fall, dass der Täter bislang nicht von der Polizei fotografiert worden war, wurde zudem eine Software zur Fertigung von Phantombildern entwickelt. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur vereinzelt Kollegen, die mit einem Foliensystem oder durch Zeichnen von Hand in der Lage waren, Phantombilder zu fertigen. Freischaffende Künstler waren schon seit längerer Zeit aus Datenschutz- und Kostengründen und insbesondere wegen fehlender Vernehmungskenntnisse nicht mehr eingesetzt worden.

Nun konnte jeder Phantombilder fertigen, der mit einer Einweisung und etwas Übung in der Lage war, die neue Software zu bedienen. Es wurde zu einer Standardaufgabe eines Sachbearbeiters beim Erkennungsdienst der Polizei in Stuttgart. Zudem war es begeisternd, bei der Softwareentwicklung mitzuhelfen. Grafikprogramme ließen sich fortan nicht mehr nur zur Verschönerung von Urlaubsbildern verwenden, sondern auch zur Verbrechensbekämpfung. Die Aufklärungsquote stieg. Insbesondere bei Straftaten, die den Ermittlern keine weiteren Ansatzpunkte zur Fahndung nach dem Täter boten.

Zu dieser Zeit gab es hierzulande leider noch keine Lehrgänge speziell für den Bereich der Phantombilderstellung. Die gab es allenfalls ins Ausland. Mittlerweile gibt es in einigen deutschen Bundesländern qualifizierte Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für diese spezielle Polizeiarbeit.

Phantombilderstellung ist heutzutage ein fester Bestandteil des Polizeidienstes. Zum Teil wird sie dezentral bei der Kriminaltechnik, bei örtlichen oder für einen Bereich zuständigen Schutzpolizeidienststellen, oder zentral als spezielle Dienststelle beim für ein ganzes Bundesland zuständigen Landeskriminalamt untergebracht. Zum Großteil sind Phantombildersteller Polizeibeamte, die nach ihrer Ausbildung irgendwann in ihrer beruflichen Laufbahn diesen Weg eingeschlagen haben. Es gibt aber auch Kollegen und Kolleginnen, die nach einem Studium wie Grafik- oder Modedesign anschließend ihren Weg zur Polizei in diesen speziellen Bereich fanden.

Der Berufseinstieg ist also nicht so ganz einfach, wenn man einmal den Entschluss gefasst hat, Phantombildersteller zu werden. Den Phantombildersteller als eigenständigen Beruf gibt es nicht. Es gibt kein spezielles Studium für diese Tätigkeit. Entweder startet man seinen beruflichen Werdegang als Polizeibeamter mit dem Ziel, einmal bei der Kriminaltechnik zu landen. Oder man bewirbt sich nach einem vorzugsweise grafischen Studium auf eine der wenigen Stellen bei einem Landeskriminalamt.

In anderen Ländern sieht es ähnlich aus wie in Deutschland. Die Phantombildersteller sind fast überall bei der Polizei angestellt. Viele erstellen Phantombilder zusätzlich zu ihrer sonstigen Tätigkeit. Es wird zu einer Vollzeittätigkeit, wenn der Bedarf groß genug ist und es nur wenige oder gar einen einzigen Phantombildersteller im Bereich gibt.

In einigen Ländern wie Deutschland und den USA bieten Behörden und erfahrene Phantombildersteller spezielle Lehrgänge für diese Sparte an. Das Absolvieren solcher Kurse und langjährige Erfahrung macht einen Phantombildersteller professioneller und begehrter für die Nutzung seiner Dienste.

Klar ist es ein Traumjob! Schon Polizist zu werden oder für die Polizei zu arbeiten, ist einer der weltweit wohl größten Kinderwünsche, weil Polizisten immer wieder kleinere oder größere Helden sind und Menschen in Not helfen. Der Phantombildersteller setzt dafür zusätzlich seine ganz speziellen Fähigkeiten ein. In manchen unlösbar scheinenden Fällen kann nur noch er helfen und sonst niemand.

3 Fallstudie 1: Versuchter Mord in mehreren Fällen – Rainer Wortmanns erster Fall

Ein junger Mann fährt nachts mit der Stadtbahn vom Shoppen in der Stuttgarter Innenstadt nach Hause. Er ist fast alleine im Abteil. An seiner Haltestelle am südlichen Randbereich der Hauptstadt angekommen, steigt er zunächst als Einziger aus. Kurz bevor die Türen wieder schließen, verlässt plötzlich noch eine weitere dunkel gekleidete Person die Bahn. Der junge Mann bemerkt ihn nicht. Nach Hause sind es nur noch ein paar hundert Meter. Der schlecht beleuchtete Fußweg ist schmal und führt durch einen kleinen Wald an ein paar Schrebergärten vorbei. Der Unbekannte verfolgt ihn eine Weile in größerem Abstand. Dann beschleunigt er seinen Schritt und kommt seinem Opfer immer näher. Er geht zunächst an dem jungen Mann vorbei. Aber nach ein paar Metern Abstand dreht er sich zu ihm um. Er hat ein Messer in der Hand und sticht plötzlich mehrmals auf den jungen Mann ein. Dann verschwindet er und lässt den Schwerverletzten einfach liegen.

Das Opfer hat Glück, wird schnell gefunden und in ein Krankenhaus gebracht. Es überlebt.

Das Geschehene war kein Einzelfall, der junge Mann war bereits das vierte Opfer. Der Tatablauf war in etwa immer der gleiche. Der Täter war als ganz normaler Fahrgast in verschiedenen Stadtbahnen unterwegs. Er wartete auf den Zeitpunkt, bis jemand an einer abgelegenen Haltestelle alleine ausstieg. Dann stieg er auch mit aus und verfolgte sein Opfer. Wenn ihm die Örtlichkeit günstig erschien, stach er zu. Zum Glück gab es noch keine Toten. Bislang hatten alle die heimtückischen Angriffe überlebt.

Nach ein paar Tagen wurde der junge Mann aus dem Krankenhaus entlassen. Anschließend ging er zur Polizei, damit mit seiner Hilfe ein Phantombild des Täters erstellt werden konnte.

Es dauerte 6 Stunden, bis das Bild fertig war. Aufgrund der Verletzungen des jungen Mannes mussten mehrere Pausen eingelegt werden.

Aber die Arbeit war es wert! Das Phantombild wurde veröffentlicht und es meldete sich jemand, der den entscheidenden Hinweis zur Identität des Täters gab. So konnte er schnell gefasst werden. Es stellte sich anschließend heraus, dass er noch für viele weitere ungelöste Fälle von Körperverletzung und andere Gewaltdelikte in Frage kam.

Der Täter wurde verurteilt und kam in Haft, mit psychiatrischer Betreuung. Er war weg von der Straße und konnte niemandem mehr Schaden zufügen.

4 Qualitätsanspruch

Es stellt sich die Frage, was einen guten Phantombildersteller auszeichnet und ob jeder diese Tätigkeit ausüben kann. Auf die Grund- oder Bewerbungsvoraussetzungen für den Polizeiberuf oder einer Stelle bei einer Landes- oder Bundesbehörde der Polizei, welche für die Phantombilderstellung zuständig sind, wird in diesem Buch nicht eingegangen.

Die hier aufgeführten Ansprüche haben sich erst in den letzten Jahren durch Fortschritte in Hard- und Software und neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft etabliert. Sie dienen vorrangig als Grundlage für die Aus- und Fortbildung und den Inhalt der Lehrpläne. Ein bewährter Phantombildersteller muss also nicht seinen Dienst quittieren, wenn er diese Ansprüche nicht alle erfüllt.

Grundsätzlich kann jeder ein Phantombild erstellen, der mit einem Zeugen kommunizieren und entweder mit zeichnerischem Können oder einer entsprechenden Software umgehen kann. Für bestmögliche professionelle Ergebnisse ist eine fortwährende Wissens- und Fähigkeitserweiterung unerlässlich. Alle erforderlichen Fähigkeiten und das benötigte Wissen zur Phantombilderstellung sind erlernbar. Wer ein künstlerisches Grundtalent besitzt und/oder mit Computern und Software gut umgehen kann, hat jedoch Vorteile.

Die Qualitätsansprüche gliedern sich in vier Bereiche: Die Vorbedingungen, vorteilhafte Fähigkeiten, das Grundlagenwissen und weitergehende Kenntnisse.

Die verschiedenen Bereiche werden zur Übersicht hier kurz vorgestellt.

4.1 Vorbedingungen

Computer-Kenntnisse

Basis-Kenntnisse im Computerbereich, wie das Bedienen von Eingabe- und Peripheriegeräten und handelsüblicher Software sind erforderlich, falls Phantombilder digital erstellt werden oder Handzeichnungen zur Dokumentation und dem Versand per elektronischer Post digitalisiert werden müssen.

Vorstellungsvermögen und Kreativität

Um auf der gleichen Wellenlänge mit einem Zeugen zu sein, muss genügend Vorstellungsvermögen vorhanden sein, um sich die Beschreibung des Gesuchten in Gedanken verbildlichen zu können. Kreativität fördert ganz entscheidend die Möglichkeit, diese Vorstellung auf die bestmögliche und schnellste Weise darstellen zu können. Auf vorgefertigte Schemata kann man sich nicht verlassen, da eine Phantombilderstellung viele Variable besitzt. Jedes Aussehen, jeder Zeuge und jede Erstellung sind einzigartig.

Guter Zuhörer

Dem Phantombildersteller wird eine hohe und ausdauernde Konzentrationsfähigkeit abverlangt. Er muss während seiner Arbeit allen Aussagen und Beschreibungen des Zeugen folgen und weitgehend objektiv aufnehmen können. Nur der Zeuge weiß, wie der oder das Gesuchte aussieht. Die hierbei erlangten Informationen oder unwissende Angaben dürfen nicht durch eigene Erfahrungen, Interpretationen oder Suggestionen verändert oder ergänzt werden.

4.2 Vorteilhafte Fähigkeiten

Ermittlungserfahrung

Eine Phantombildfertigung mit einem Zeugen stellt eine Vernehmungssituation dar. Wer die Ausbildung zum Polizeibeamten durchlaufen hat, dem sollten die theoretischen Kenntnisse in den Bereichen Ermittlungen und Vernehmungen mit einem Zeugen bereits vermittelt worden sein. Zusätzlich sind einige Jahre Praxis sehr hilfreich, diese Kenntnisse umzusetzen und zu vertiefen. Je mehr Routine bei der Arbeit mit einem Zeugen vorhanden ist, umso mehr kann man sich auf die handwerkliche Fertigung des Phantombildes konzentrieren. Dies ist sehr wichtig bei Zeugen, welche beim Vermitteln des Sachverhalts Schwierigkeiten haben.

Zeichnerische Fähigkeiten

Seit Phantombilder am Computer erstellt werden können, sind grundsätzliche zeichnerische Fähigkeiten weniger notwendig. Die Erstellung beruht hierbei hauptsächlich auf das Zusammenstellen von Vorlagen. Somit kann es vorkommen, dass bei unzureichend vorhandenem Material nicht alles so detailliert dargestellt werden kann, wie es der Zeuge beschreibt. In diesen Fällen ist es vorteilhaft oder sogar notwendig, wenn diese Teile digital oder per Handzeichnung neu erstellt oder Vorlagen entsprechend verändert werden können. Hier helfen aus der Zeichenlehre die Grundkenntnisse der Schattentechniken.

4.3 Grundlagenwissen

Das Grundlagenwissen bildet den größten Teil dieses Buches und ist unterteilt in polizeiliche und zeichnerische Grundlagen, psychologische / wissenschaftliche Kenntnisse und den Grundlagen der Technik und Arbeitsmittel.

Polizeiliche Grundlagen

Rechtsgrundlagen für den Bereich Phantombilderstellung und Veröffentlichung

Ein Phantombildersteller ist zwar primär Service-Dienstleister für den ermittelnden Sachbearbeiter. Als Spezialist sollte er jedoch die Rechtsgrundlagen für seinen Bereich kennen.

Vernehmungstechniken

Welche Fragetechniken und Vorgehensweisen sind am besten geeignet, um an die gewünschte Information zu gelangen? Es gibt verschiedene Vernehmungsarten, je nach Art der Information und ob es sich um einen Zeugen oder einen Täter handelt. Auch der Phantombildersteller muss wissen, wie er am effektivsten an die für ihn notwendigen Informationen kommt. Er benötigt eine umfangreiche Beschreibung des Gesuchten. Je nach psychischem und physischem Einwirkungsgrad der Tat, oder ob es sich zum Beispiel um Kinder oder ältere Personen als Zeugen oder Opfer handelt, müssen unterschiedliche Fragetechniken und Umgangsformen angewendet werden.

Medienarbeit

Die Phantombilderstellung hat durch ihre bildhafte Darstellung von gesuchten Personen und Gegenständen eine große Wirkung auf die Öffentlichkeit. Medien unterstützen die polizeiliche Arbeit durch die Veröffentlichung von Phantombildern. Aber kaum jemand weiß etwas über die Phantombilderstellung und was dahinter steckt. Der Ersteller hat bei Interviews die Möglichkeit, allen Interessierten zu erklären, was die Grundvoraussetzungen sind und wie ein Phantombild gemacht wird. Durch diese Informationsvermittlung und das Wissen, auf was es ankommt, wird einem künftigen Zeugen die Entscheidung leichter gemacht, ob er sich die Erstellung eines Phantombildes zusammen mit einem Profi zutraut. Deswegen muss die Arbeit und der Umgang mit den Medien gelehrt und trainiert werden.

4.4 Zeichnerische Grundlagen

Es gibt Vorgaben aus der Zeichenlehre, wie die Proportionslehre oder die Alterslehre, welche für die Phantombilderstellung angewendet werden müssen. Zeichnerische Fähigkeiten an sich benötigt ein Phantombildersteller bei der Verwendung einer guten Software nicht unbedingt.

Proportionslehre

Die Proportionslehre vermittelt, wo und wie Gesichtsteile, wie zum Beispiel Augen oder der Mund, positioniert und angeordnet werden sollten. Anatomische Fehler werden dadurch vermieden. Bevor eine Zeichnung angefertigt wird, sollten zunächst die Ideal-Positionen für die einzelnen Gesichtsteile auf einem Blatt vorskizziert werden. Der Zeichner hat damit eine Grundkonstruktion, auf die er aufbauen kann. Die Abweichungen von diesen Positionen sind anschließend für die Wiedererkennung entscheidend.

Alterslehre

Es kommt häufig vor, dass beim Zusammensetzen von einzelnen Gesichtsteilen Altersmerkmale wie Falten verschwinden. Das Alter muss anschließend wieder angepasst werden. Altersmerkmale müssen neu erstellt oder neu angeordnet werden. Ebenso kann es vorkommen, dass sich ein Zeuge im Schätzen des Alters der gesuchten Person geirrt hat und es nachträglich korrigiert werden muss.

Phänotypen

Das Aussehen der Menschen unterscheidet sich, je nachdem aus welchem Bereich der Welt sie stammen. Diese sind durch regional typische Merkmale gekennzeichnet wie beispielsweise unterschiedliche Haut-, Haar- und Augenfarben, ungleich große Gesichtsteile oder verschiedene Schädelformen. Somit ist es möglich, die Herkunft aus Osteuropa, Westeuropa, Südamerika und vielen anderen Regionen zu unterscheiden. Falls ein Zeuge in der Lage ist, die gesuchte Person einem Phänotypus einzuordnen, kann eine entsprechende Vorauswahl an Vergleichspersonen vorgelegt werden. Dies schränkt das Aussehen bereits stark ein und vereinfacht die Phantombilderstellung. Eine nachträgliche Änderung der Erscheinungsform ist nicht einfach, durch das Wissen der typischen Merkmale jedoch nicht unmöglich.

Schattentechnik

Grundsätzlich werden für die Phantombilderstellung Vorlagen von Gesichtern oder einzelnen Gesichtsteilen verwendet. Sie dienen zur Konkretisierung der Personenbeschreibung und als Bausteine zur Nachbildung des Gesuchten. Sehr oft sind einzelne Merkmale aber nicht zu 100 Prozent identisch. Manche sind markanter und stärker ausgeprägt und andere weniger markant. Erhöhungen und Vertiefungen werden durch Farbtonverläufe zwischen hell und dunkel angezeigt. Wie und in welchem Maße solche Farbtonverläufe angewendet werden müssen, gehört zu den wichtigsten Kenntnissen bei der Darstellung von Gesichtern.

Techniken der Handzeichnung mit Bleistift und digitalem Zeichenbrett

Um die Kenntnisse aus der Zeichenlehre umsetzen zu können, ist es auch wichtig zu wissen, wie und mit welchen Werkzeugen dies zu bewerkstelligen ist. Der Lehrinhalt umfasst hierbei die Handhabung digitaler Zeichenbretter und die Verwendung von Zeichenstiften.

4.5 Psychologische / Wissenschaftliche Kenntnisse

Die Forschung in der Psychologie machte in den letzten Jahrzehnten einige Fortschritte. Gerade die neuen Kenntnisse im Bereich Gehirnfunktionen und Wiedererkennung sind für die Phantombilderstellung von großem Nutzen. Mit dem Wissen, wie Informationen im Gehirn gespeichert und abgerufen werden können, ist es möglich, entsprechend darauf einzugehen. Vergleicht man Phantombilder zu den Fotos der gesuchten Personen, stellt man fest, dass die heutzutage erstellten Phantombilder dem Gesuchten viel ähnlicher sind, als in früheren Zeiten.

Zeugenfähigkeit

Wer ist ein guter und wer ist ein weniger guter Zeuge für ein Phantombild? Sind unbeteiligte Personen oder betroffene Opfer besser oder schlechter in der Lage, ein Phantombild fertigen zu lassen? Wie lange darf die Begegnung mit dem Gesuchten her sein? Wie alt muss jemand für eine Phantombildfertigung sein? Diese und viele weitere Faktoren sind für die Aussicht auf ein erfolgreiches Phantombild ausschlaggebend. Sobald ein Phantombildersteller mit dem Sachverhalt vertraut ist, kann dieser eine grobe Einschätzung vornehmen und den Sachbearbeiter der Straftat bei der Entscheidung unterstützen.

Gehirnfunktion Wahrnehmung und Wiedererkennung

Wie und wann werden Personen in unserer Erinnerung abgespeichert? Was gehört alles dazu, um sie wiedererkennen zu können? Wie reagiert unser Gehirn, wenn etwas abgespeichert wird und wie wird es wieder abgerufen? Viele interessante und spannende Fragen, welche mittlerweile in der Psychologie sehr gut erklärt werden können.

Erinnerungstechniken

Unser Gehirn ist ein riesiges Speichermedium. Man verwendet Erinnerungstechniken, um an die richtige Information zu kommen. Einfache Fragestellungen aktivieren den Bereich im Gehirn, an dem bestimmte Orte oder Objekte abgespeichert sind.

Kognitives Interview

Das kognitive Interview ist eine relativ neue und umfangreich ausgearbeitete Vernehmungsmethode, um an ein Maximum von Informationen zu gelangen. In modifizierter Form ist sie die beste Vernehmungsart für die Phantombilderstellung. Der Sachverhalt ist zumeist bereits bekannt. Der Phantombildersteller nutzt diese Informationen und baut auf ihnen auf, hin zum detaillierten Aussehen des Gesuchten. Anfangs noch in verbaler Form, relativ schnell aber in visueller Form durch Vorlagen von Beispielen.

Umgang mit traumatisierten Zeugen (z.B. bei Sexualdelikten)

Je nach Art und Schwere der Straftat war das Erlebte eine große seelische Belastung. Zum Teil könnte es sogar zu einer traumatischen Belastungsstörung werden. Beim Umgang mit davon betroffenen Zeugen sind Kenntnisse in diesem Bereich der Psychologie sehr wichtig. Mit einem falschen Verhalten kann eine Phantombilderstellung unmöglich gemacht werden. Mit den Kenntnissen der heutigen Wissenschaft ist man in der Lage, mit psychisch belasteten Zeugen verständnisvoll arbeiten zu können.

Umgang mit Kindern, älteren Personen oder mehreren Zeugen

Die Erinnerungsleistung und die Wiedererkennung bei Kindern und wesentlich älteren Personen funktioniert anders als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Auch mit ihnen können Phantombilder gefertigt werden. Aber es ist eine dem Alter angemessene Befragung, beziehungsweise Vernehmung, nötig. Falls es mehr als ein Opfer, mehrere Zeugen oder mehrere Täter gibt, wird mit dem zuständigen Sachbearbeiter die Verfahrensweise abgesprochen. Beispielsweise müssen Zeugen grundsätzlich einzeln vernommen werden. Darunter fällt auch die Vernehmung zur Phantombilderstellung.

Vorgetäuschte Straftaten

Kann jemand erkannt werden, der nicht die Wahrheit sagt? Welche Motive gibt es, wenn Sachverhalte erfunden werden? Wie ist die richtige Vorgehensweise beim Umgang mit Personen, die nicht die Wahrheit sagen? Jeder ist es Wert, ernst genommen zu werden. Es gibt viele Gründe für Lügen, die wir erst einmal wissen und verstehen sollten. Ein Phantombildersteller kann eine Vortäuschung zumindest als Übung ansehen.

4.6 Grundlagen der Technik / Arbeitsmittel

Grundkenntnisse der Phantombilderstellungs-Software, die Nutzung von Datenbanken für die Verwaltung von Bildvorlagen sind ebenso wichtig, wie die Fähigkeit im Internet weitere Darstellungsbeispiele zu recherchieren (unter Berücksichtigung der Urheberrechte und des Datenschutzes).

4.7 Weitergehende Kenntnisse

Die Phantombildfertigung ist nicht auf die Erstellung eines Portraits eines Täters begrenzt. Jeder einzigartige Gegenstand, eine bestimmte Zusammensetzung einer Personengruppe, das Tragen ungewöhnlicher Kleidung oder eine besondere Gesichtsform in der Seitenansicht kann als Bild mit hohem Wiedererkennungswert dargestellt werden. Da es diese Möglichkeiten der Darstellung erst seit kurzer Zeit gibt, werden sie bislang selten eingesetzt. Zudem sind derzeit nicht alle Phantombildersteller in der Lage, sämtliche Bereiche abzudecken.

Profildarstellung

Profil- oder Halbprofildarstellungen dienen häufig als Ergänzung zu einer Portrait-Darstellung. In der seitlichen Darstellung kann beispielsweise eine außergewöhnlicher Kinnbart oder eine besondere Form der Nase besser veranschaulicht werden als in der Frontalansicht. Als alleiniges Fahndungshilfsmittel wird aufgrund der eventuell reduzierten Wiedererkennungsmerkmale auf diese Möglichkeit wenig zurückgegriffen.

Ganzkörper- und Gruppendarstellung

Ganzkörperdarstellungen berücksichtigen über das Gesicht hinaus Besonderheiten der Größe, Statur und der Bekleidung. Gerade bei auffälligen Größenunterschieden erweisen sich Gruppenkonstellationen ebenfalls als sinnvoll. Hierzu sind weitergehende Kenntnisse in der Proportionslehre erforderlich.

Gesichtsrekonstruktion

Mit der Gesichtsrekonstruktion ist nicht die Gesichtsweichteilrekonstruktion gemeint, bei der auf einen Schädelknochen die komplette Haut mit Gesichtsteile aufgesetzt und rekonstruiert wird. Es ist eher eine digitale Leichentoilette (Gesichtskosmetik) oder die rekonstruierende Thanatopraxie, bei der eine Leiche wieder anschaulich hergestellt wird. Falls das Gesicht durch einen Unfall oder sonstige Einwirkungen sehr entstellt ist, kann es aus ethischen Gründen und wegen fehlender Wiedererkennungsmerkmale nicht veröffentlicht werden. Mit Hilfe vorhandener und noch intakter Körperteile in Verbindung mit anatomischen Kenntnissen kann ein Gesicht rekonstruiert werden. Anschließend wird es wie ein Phantombild zur Identitätsfeststellung verwendet.

Aufarbeitung digitaler Bilder

Heutzutage werden Überwachungskameras unter Anderem an bekannten Brennpunkten von Straftaten verwendet. Die Identität ist jedoch schwer festzustellen, wenn die Täter nicht frontal aufgezeichnet werden, maskiert oder die Bilder aufgrund geringer Qualität der Kamera oder anderer Einflüsse unscharf sind. Mittels spezieller Software können solche Bilder entweder bearbeitet, oder durch die Fertigung einer Zeichnung verbessert werden. Falls bei maskierten Personen ausreichend Bildmaterial vorhanden ist, besteht die Möglichkeit, eventuell in Verbindung mit ergänzenden Informationen aus Zeugenaussagen, ein Phantombild zu fertigen.

Alterung

Für eine Fahndung nach seit langer Zeit vermissten Personen ist es notwendig, das aktuelle Aussehen durch Alterung einer früheren Abbildung anzupassen. Dies kommt hauptsächlich bei vermissten Kindern und Jugendlichen oder bei entflohenen Straftätern in Frage.

Sachzeichnungen

Viele Gegenstände sind Einzelanfertigungen und haben ein individuelles Aussehen. Darstellungen, beispielsweise von Schmuck, sind deshalb zur Fahndung sehr gut geeignet. Als Referenzbilder lässt sich häufig in das Internet eingestelltes Material nutzen.

Der Fortschritt in der Wissenschaft, insbesondere der Psychologie, die Entwicklung technischer Möglichkeiten und fortwährende Erlangung weiterer Erfahrungen, wird nie stillstehen.

Die vorgestellten Qualitätsansprüche können deshalb nie abschließend sein. Sie werden sich fortwährend ändern und erweitern. Wir sind gespannt, was die Zukunft noch bringt. Wichtig ist hierbei, die Augen und Ohren offen zu halten und weltweit stetig Informationen zu sammeln, welche für die Phantombilderstellung von Nutzen sein können.

B DAS PHANTOMBILD

1 Einleitung

In einem Lebensmittelgeschäft wird die Kassiererin von einem Kunden mit einem Messer bedroht. Sie soll ihm das ganze Geld aus der Kasse geben. Da die Kassiererin nicht sofort reagiert, wird der Täter nervös und flieht ohne Geld.

Der Täter ist nicht bekannt. Es gibt aber eine Zeugenaussage. Die Personenbeschreibung lautet: Männlich, 20 bis 30 Jahre alt, 175cm bis 180cm groß, dunkle Haare und dunkle Augen. Damit kann man aber nicht viel anfangen. Zu viele Personen entsprechen dieser Beschreibung. Aber der Zeuge erklärt, er würde den Täter auf Lichtbildern auf jeden Fall wiedererkennen, mehr noch – er kann den Täter detailliert beschreiben. Er weiß genau, wie er ausgesehen hat.

Nun sind die Fertigkeiten eines Phantombilderstellers gefragt. Er hat die Aufgabe, zusammen mit dem Zeugen aus dessen Erinnerungen ein Bild des Täters zu fertigen. Nach dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“1 kann nun mit dem Phantombild nach dem Täter gefahndet werden.

2 Geschichte des Phantombildes

Es gibt sehr wenige historische Dokumentationen über Phantombilder. Deshalb lässt sich nicht genau datieren, seit wann es sie gibt. Versteht man jedoch unter einem Phantombild ein Fahndungsbild nach einer gesuchten Person, welches aus der Erinnerung an das Aussehen erstellt wurde, gibt es sie vielleicht schon seit Urzeiten. Wer kennt beispielsweise nicht die Wanted-Plakate aus den Western-Filmen?

Autor: Rainer Wortmann

Beispiel Wanted-Plakat der Dalton-Gang

Zu der Zeit als es noch keine Fotografie gab, konnten nur professionelle Zeichner eingesetzt werden, um das Aussehen von Personen darzustellen. Es wurden aber nicht nur unbekannte Gesuchte gezeichnet. Für die Erstellung einer Verbrecherdatenbank wurden auch Bilder von bekannten Tätern gefertigt.

Das vermutlich erste von der amerikanischen Bundesbehörde Federal Bureau of Investigation (FBI) erstellte und dokumentierte Phantombild stammt aus dem Jahre 1932 im Fall der Entführung und dem Mord am Sohn des Atlantik-Überfliegers Charles Lindbergh.

Ab 1950 wurden mehrere verschiedene und einfach bedienbare Systeme erfunden, welche die Phantombilderstellung mittels bereits gefertigter Vorlagen vereinfachen sollten.

In Frankreich entwickelte 1952 die Polizei in Lille eine Methodik, bei der einem Zeugen mehrere Fotos von Personen vorgelegt wurden. Die Gesichtsteile, welche dem Gesuchten ähnlich waren, wurden aus den Fotos ausgeschnitten und zu einem Portrait zusammengefügt. Diese Methode wurde „Foto-Robot“® genannt.

Quelle: „Das subjektive Portrait“ Innenministerium Berlin 1981

Beispiel „Foto-Robot“ ®-Methode

Diese Art der Phantombildfertigung wurde im Laufe der Jahre weiter entwickelt, indem die Gesichtsteile bereits ausgeschnitten und nach geometrischen Formen sortiert abgelegt wurden.

Bei „Identi-Kit“®, welches von der Kalifornischen Gesellschaft „Townsend“® ab 1952 entwickelt wurde, waren auf mehreren Folien unterschiedlich gezeichnete Gesichtsteile wie Haare, Augenpaare und Nasen in verschiedenen Längen und Formen abgebildet. Die vom Zeugen ausgesuchten Folien wurden aufeinander gelegt und konnten je nach Proportionen der Gesichtsteile zueinander verschoben werden.

Eine sehr ähnliche Methodik wurde daraufhin vom Kriminaltechnischen Institut in Polen entworfen und beim 3. Internationalen Symposium für Kriminalistik in Prag 1965 unter dem Namen „Zeichnungs-KompositionsIdentifikator“® vorgestellt. Die anschließende Zusammenarbeit mit dem Kriminaltechnischen Institut der damaligen DDR brachte diesem System weitere Verbesserungen.

Quelle: „Das subjektive Portrait“ Innenministerium Berlin 1981

„Zeichnungs-Kompositions-Identifikator“®

Mitte der 60er Jahre erfand die japanische Firma „Police Science Industry Ltd.“® den „PS309“®. Dies war eine Zusammenstellung mehrerer Projektoren. Jedes Gerät projizierte hierbei ein anderes Gesichtsteil auf eine Leinwand. Zunächst bestand die Sammlung aus verschiedenen Gesichtsteilen auf Diafilmen. Diese wurden ein paar Jahre später von in Alben sortierten Fotofragmenten abgelöst.

Quelle: „Das subjektive Portrait“ Innenministerium Berlin 1981

Spezialprojektor „PS-309“®

In der Bundesrepublik Deutschland wurde auf Initiative von Moritz Furtmayr eine Personen-Identifizierungs-Kartei mit dem Namen „Pik“® geschaffen. Hier waren ebenfalls in Karteien verschiedene gezeichnete Gesichtsteile archiviert. Die vom Zeugen ausgesuchten Teile wurden von Hand zusammengesetzt und auf der Rückseite mit einem Klebestreifen fixiert. Dieses System wurde damals in einigen europäischen Ländern viele Jahre verwendet.

Quelle: „Das subjektive Portrait“ Innenministerium Berlin 1981

Beispiel „Pik“®

Ein ganz ähnliches System war die Methode „Foto-Fit“® aus Großbritannien aus dem Jahre 1970. Auch hier setzte man aus einem Ablagesystem ausgesuchte gezeichnete Gesichtsteile zusammen.

Quelle: „Das subjektive Portrait“ Innenministerium Berlin 1981

Beispiel „Foto-Fit“®