Philosophie des Körpers - Michela Marzano - E-Book

Philosophie des Körpers E-Book

Michela Marzano

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Beschreibung

Schönheitsoperationen, Geschlechtsumwandlungen und Gesichtstransplantationen – der Körper des modernen Menschen ist ein Spielplatz seines Willens. Wir tunen, verändern und optimieren unseren Leib fast nach Belieben. Damit beginnt, unbemerkt, ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte. Alle Zeiten zuvor verstanden den Leib als natürliche und unverfügbare Grenze, als Willensbremse des Individuums.

Die französische Philosophin Michela Marzano, eine Grandin unter „Sartres Erben“ (DIE ZEIT), rekonstruiert den grundlegenden Wandel des Körperverständnisses im Lauf der Jahrhunderte. Plastisch erklärt sie die wichtigsten Körpertheorien von Platon bis Nietzsche. Vor diesem historischen Panorama wird unser neues Körperbewusstsein in seinen Ausmaßen überhaupt erst verständlich.
Die Haut, in der wir wohnen
Spannende Geistesgeschichte – dieses Buch schließt eine Wissenslücke
Der Jungstar der französischen Philosophenszene

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Seitenzahl: 160

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Michela Marzano

Philosophie des Körpers

Aus dem Französischen von Elisabeth Liebl

Diederichs

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Die französische Originalausgabe erschien unter dem TitelLa philosophie du corps © Presses Universitaires de France
Die vorliegende Übersetzung wird im Rahmen des Förderprogramms des französischen Außenministeriums, vertreten durch die Kulturabteilung der französischen Botschaft in Berlin, gefördert.
© 2013 Diederichs Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Umschlaggestaltung: Weiss | Werkstatt | München unter Verwendung eines Motivs © Bill Brandt Archive ISBN 978-3-641-09685-4 V003
www.diederichs-verlag.de

Inhalt

Einführung

I. Der zweideutige Status des menschlichen Körpers | II. Der Mensch: ein inkarniertes Wesen

Der Dualismus und seine Etappen

I. Der Körper – Gefängnis der Seele | II. Denken und Ausdehnung | III. Einheit von Körper und Seele | IV. Die Last des Körpers | Kontrolle und Beherrschung | Bild und Erscheinungsbild | »Cyberspace« und »Fleisch« | Blogs und Dating-Börsen | V. Das Ich als Skulptur | Der obsolete Körper | Das lebendige Fleisch

Vom Monismus zur Phänomenologie

I. Der metaphysische Monismus Spinozas | Der Körper – ein komplexes, gut organisiertes Instrument | II. Der materialistische Reduktionismus: Von der Maschine Mensch zur neuronalen Funktion | La Mettrie und die Maschine Mensch | Gehirn und Geisteszustände | III. Nietzsche und der befreite Körper | IV. Die phänomenologische Revolution | V. Sein und Haben | Die Erfahrung der Krankheit | Transplantationen und Identität | Gesichtstransplantation

Der Körper zwischen Natur und Kultur

I. Das Angeborene und das Erworbene | Kultur: Was dem Menschen erlaubt, sich über seine Natur zu erheben | Der Reduktionismus im 1. und 2. Jahrhundert | Identifikation eines Menschen durch seine DNS | II. Die Fallstricke des Konstruktivismus | Der Körper als bloße Fiktion | III. Der kleine Unterschied | Genus und Sexus | Das aufgezwungene Geschlecht | Von den physiologischen Funktionen zur Ökonomie der Triebe

Verwerfung und Verdinglichung: die dunklen Seiten der Materie

I. Der Körper als das »Abjekte« | II. Die Reduktion des Menschen auf seinen Körper | Das Körperding | Auslöschung der Identität | III. Ein Körper ohne Seele | Die Qual des Daseins | Ein eisiger Blick | Der zerstückelte Körper

Sexualität und Subjektivität: der Vollzug des Fleisches

I. Der Andere: das Objekt des Begehrens | II. Das Spiel der Triebe | III. Entfremdung und Achtung | Männlichkeit und Weiblichkeit | Identifikation und Autonomie

Schlusswort

Anmerkungen

Bibliografie

Einführung

Der Körper ist eines der konstitutiven und evidenten Elemente der menschlichen Existenz: In ihm wird jeder Einzelne von uns geboren, lebt und stirbt. In und durch den Körper schreiben wir uns der Welt ein und begegnen den anderen. Doch wie können wir über unsere fleischliche Existenz reden, ohne in einen reduktionistischen Gestus zu verfallen oder – andersherum – nur die »Körpertechniken« aufzuzählen? Wie können wir eine Philosophie des Körpers schaffen, die den Sinn und den Wert der Körperlichkeit aufzeigt?

Größtenteils haben die Philosophen es ja vorgezogen, über die Seele und ihre Leidenschaften nachzusinnen, den menschlichen Verstand zu erforschen oder die reine Vernunft zu kritisieren. Die Realität des Körpers, ja die Endlichkeit der menschlichen Existenz waren weniger gefragt. Und so nahm die Idee vom Körper verschiedene Färbungen an: der Körper als Gefängnis, als Maschine, als Materie … Obwohl manche Denker durchaus versuchten, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Spinoza zum Beispiel, der Körper und Seele als ein Einziges betrachtete. Oder Nietzsche, für den der Körper der Meister, die Vernunft aber nur dessen Instrument ist.

Die Phänomenologie leitete im 20. Jahrhundert eine echte Revolution ein, was das Nachdenken über den Körper angeht. Sie stellte der klassischen Sicht des Körpers als »Instrument« des Menschen ein intentionales Modell gegenüber, in dem der Körper zwar immer noch Instrument ist, das aber »seinerseits die anderen Instrumente einsetzt zu einem gewissen Zweck, den ich verfolge«.1

Trotzdem gibt es auch heute noch Positionen, die den Körper reduzieren auf das Bild der Last, von der man sich befreien kann, oder auf seine Funktion als komplexer Organismus, abhängig von diversen neuronalen und synaptischen Verschaltungen, die das Verhalten beziehungsweise die Entscheidungen des Menschen steuern.

I. Der zweideutige Status des menschlichen Körpers

Ein Problem, mit dem sich Philosophen konfrontiert sehen, die sich für den Körper interessieren, ist seine ambigue Existenz, die sich weder auf das Dasein eines einfachen Dinges beschränken lässt noch auf seinen Status als denkendes Bewusstsein. »Das Wort ›existieren‹«2, schreibt Merleau-Ponty, »hat zweierlei Sinn, und zwar nur zweierlei Sinn: Existenz als Ding und Existenz als Bewusstsein. Dagegen enthüllt uns die Erfahrung des eigenen Leibes eine Weise des Existierens, die zweideutig ist.«

Denn tatsächlich ist der menschliche Körper zunächst ein »materielles Objekt« und als solches dem »Werden« und »Erscheinen« unterworfen. Daher ist er auf konzeptueller Ebene so schwer zu fassen, daher stößt er als Gegenstand philosophischen Interesses nicht selten auf Ablehnung. Doch ist er auch das, »was wir sind« und als solches Ausweis unserer Menschlichkeit und unserer Subjektivität. Ebendeshalb lohnt es sich, über ihn nachzudenken, wenn wir zu begreifen versuchen, wer oder was der Mensch ist. Wenn wir also davon ausgehen, dass der Körper ein »Objekt« ist, heißt das nicht notwendigerweise, dass er ein Ding wie andere Dinge ist, außer natürlich, wir ziehen die Möglichkeit in Betracht, dass wir uns seiner entledigen könnten. Aber kann man denn den Körper tatsächlich auf Distanz halten?

Die Erkenntnis der Unmöglichkeit der Distanzierung nimmt ein Denken vorweg, das den Körper als Subjekt sieht, wie dies in der postkantischen Philosophie der Fall ist. Allmählich setzt sich die Vorstellung durch, dass der Körper eben nicht nur Objekt ist. Denn das, was wir »Körper« nennen, ist nicht nur ein simples Ding, Gegenstand einer Betrachtung, einer Tat. Er ist vielmehr in die Betrachtung, in die Tat eingebunden. So rückt der Körper bei Merleau-Ponty ins Zentrum der philosophischen Betrachtung, wird zum Herzstück des »an sich« und »für sich« jedes Einzelnen: eine Spur in der Welt, ein »berührendes Berührtes«, »sehend und sichtbar«. Daher entwickelte sich die Frage nach dem Körper / Fleisch zu einer der wesentlichen Fragen im 20. Jahrhundert, wobei das Fleischliche die grundlegende Seinsweise der menschlichen Existenz darstellt.

Obwohl die klassischen Dualismen an Aktualität verloren haben, bleibt der Körper eine Wirklichkeit, die viele glauben sich buchstäblich vom Leib halten zu können – entweder durch die neuen Möglichkeiten der Technik oder durch die Allmacht eines körperlos gedachten Willens. Aus ebendieser Haltung gewinnt die Philosophie des Körpers ihre Bedeutung. Sie versucht, die gegenwärtige Realität zu entschlüsseln, sie fragt nach dem Sinn der leiblichen Existenz des Menschen. Und das ist keine leichte Aufgabe, wenn man sich die Widersprüche ansieht, die der Mensch im Hinblick auf seine Körperlichkeit an den Tag legt. Einerseits scheint der Körper endlich in seiner Materialität akzeptiert zu sein, in seinem Leiden, seinen Bedürfnissen, auch seiner Schönheit, da er ja Gegenstand eines veritablen Kults ist. Andererseits wird er in den Dienst unserer kulturellen und sozialen Konstrukte gestellt.

Die Diskurse über den Körper scheinen in einer Sackgasse zu stecken: Einerseits betrachtet man ihn als Materie, die sich ganz nach – nie befriedigter – Lust und Laune formen lässt. Andererseits ist er es, der uns dem Schicksal, dem Tod unterwirft. Natürlich ist er weitgehend als fleischliches Substrat des Individuums, als Sitz unserer persönlichen Erfahrungen, anerkannt. Doch wird er auch – und das sehr viel häufiger – als Objekt der Repräsentation, der Manipulation, der Formung und der sozialen beziehungsweise medizinischen Technik gesehen. Die frühere Zweideutigkeit von Körpersubjekt und Körperobjekt wird neu interpretiert. Da stehen sich gegenüber: die Körpertotalität, die den Leib mit dem Subjekt, der Person, einfach gleichsetzt, und das Bild vom Körper als Ansammlung von Organen, denen ebenfalls nur Dingcharakter zugebilligt wird. Im ersten Fall wird die Persönlichkeit materialistisch auf das körperliche Sein verengt, im zweiten Fall verleitet die scheinbare Andersartigkeit des Körpers zur Gewissheit, einen Körper objekthaft zu besitzen, sodass der Mensch sich in körperlicher Hinsicht als das »Andere« erlebt. Wie aber können wir diese Paradoxa auflösen?

II. Der Mensch: ein inkarniertes Wesen

Natürlich ist der menschliche Körper ein Objekt. Wir können ihn von außen betrachten und so zu ihm »auf Distanz gehen«. Der Körper eines anderen: ein Körper unter vielen, der jedoch auf eine andere Präsenz zurückverweist, anders als die anderen materiellen Objekte. Ein Körper, der uns ein Bild liefert, eine Erscheinungsform, und der doch zur selben Zeit mitten ins Sein der Person hineinführt, die wir vor Augen haben. Und doch auch unser Körper: ein Körperbild, das wir im Spiegel betrachten können; ein Stückwerk-Körper, wenn wir den Blick nur auf die Hand richten oder auf den Fuß; ein bewegter Körper, wenn wir uns bewegen, ein leidender, sich freuender Körper, wenn wir leiden oder uns freuen. »Der Nacken ist ein Rätsel für das Auge«, schreibt Paul Valéry diesbezüglich. »Wie würde der Mensch ohne Spiegel sich sein Gesicht vorstellen? Und wie das Innere des eigenen Körpers sich vorstellen, wenn er keine Ahnung von Anatomie hätte? Kennt man sie aber, so entgeht uns das Heimliche des Arbeitens dieser Organe dennoch, soweit uns fehlt, was nötig wäre, um es zu sehen und zu begreifen. Nicht dieses entzieht sich; es weicht nicht vor uns zurück; wir sind es, die ihm nicht nahekommen können.«3

In Wirklichkeit verwischt der Alltag den Unterschied zwischen Subjekt und Objekt, denn der menschliche Körper ist zugleich Körpersubjekt und Körperobjekt, ein Körper, den man »hat«, und ein Körper, der man »ist«. Wie Simone Beauvoir einst schrieb: »Wie der Mann ist die Frau ihr Körper: aber ihr Körper ist etwas anderes als sie.«4 Wir können nicht einfach unser Körper »sein«, weil das Individuum sich nicht auf seine Materialität oder seine Organfunktionen reduzieren lässt. Aber wir können unseren Körper auch nicht einfach »haben«, wenn wir nicht davon ausgehen, dass das Subjekt dieses Habens eine Seele ist, die sich in diesem Körper aufhält wie ein Pilot in seinem Raumschiff. Jeder von uns ist zugleich ein physischer Körper, der im »Außen« lebt, und ein psychischer Körper, der zum »Inneren« dieses Wesens gehört.

Der Mensch ist ein inkarniertes Wesen. Ohne Körper würde er nicht existieren. Durch den Körper ist er an die Materialität dieser Welt gebunden. Daher ist die Erfahrung des Körpers immer eine zwiefache: Wir haben zu unserem Körper eine Beziehung, die sowohl instrumental als auch konstitutiv ist. Unsere Haut vermittelt uns die Lust des zärtlichen Berührtwerdens, aber auch den scharfen Biss des Feuers und der Kälte. Unser Körper feiert das Leben und seine zahllosen Möglichkeiten, aber er weist auch voraus auf unseren Tod und unsere Endlichkeit. Jeder Körperteil ist zugleich Teil von uns und äußeres Objekt, das wir betrachten können: »Man betrachtet die eigene Hand auf dem Tisch, und dabei stellt sich philosophische Verblüffung ein«, schreibt Paul Valéry. »Ich bin in dieser Hand und ich bin nicht darin. Sie ist ich und nicht ich. Und tatsächlich ist diese Eigenschaft des Körpers ein Widerspruch, und ebendiese Eigenschaft wäre in einer Theorie des Individuums fundamental, wenn man sie exakt auszudrücken verstünde.«5

Ebendieser widersprüchlichen Existenz wollen wir uns hier in diesem Buch widmen. Wir werden versuchen, uns der Frage von der historisch-philosophischen Seite zu nähern (und erforschen, wie der Körper in der Tradition der abendländischen Philosophie gesehen wurde), aber auch die Paradoxa ausloten, die der körperlichen Existenz jedes einzelnen Menschen innewohnen. Denn jeder von uns »hat« einen Körper, der ihm buchstäblich »am Herzen« liegt: Jeder Mensch kennt das Gefühl, ganz in seinem Körper zu sein, ohne darauf beschränkt zu sein. Außer natürlich, man schlägt den »Weg des Wahnsinns« ein, der darin besteht, sich ganz von seinem Körper abzutrennen. Oder den »Weg der Perversion«, auf dem es keinerlei Unterschied mehr gibt zwischen dem Ich und seinem Körper6.

Der Dualismus und seine Etappen

In der Ilias und der Odyssee sind die Figuren nicht von ihrem Körper zu trennen. Denn der Körper ist nicht nur Zeichen der Vergänglichkeit menschlicher Existenz, er ist auch das einzige Mittel, das die Heroen in den Rang der Götter aufsteigen lässt. Der Held Homers kann seinen Körper gleichsam »leuchten lassen«, ihn mit göttlichen Eigenschaften wie Kraft, Ausdauer und Schönheit (Ilias, Buch IV) ausstatten. Das Ich und sein Körper sind sich einig, draußen und drinnen, Oberfläche und Tiefe, Inneres und Äußeres überlagern sich ständig. Die Gefühle passen zu den Erscheinungsformen. Sinnliche Erfahrungen werden zur Manifestation moralischer Auffassungen. Emotionen drücken sich in plastischen Gesten aus. Daher gibt es im Universum Homers kein Wort, das den Körper als getrennt von der Seele beschreiben würde: Während die psyche der Atem ist, der den Körper am Leben hält, ist dieser Hort zahlloser Möglichkeiten, die sich durch seine Organe, seine Glieder ausdrücken, die Vitalfunktionen unterschiedlichster Natur erlauben, von der Fähigkeit der Bewegung bis zur Gabe des Denkens und zur Willenskraft.

Doch die philosophische Tradition lässt sich nicht vom Dichter inspirieren, wo es um den Körper geht. Sie besteht auf dem orphisch-religiösen Denken und entwickelt sich weiter in diese Richtung, vor allem im Denken des Pythagoras, das dem Menschen die Notwendigkeit aufzeigen will, der Relativität und Vergänglichkeit der Welt zu entkommen. Vor diesem Hintergrund ist der Körper nicht Ort der Begegnung und Überlagerung unterschiedlicher ontologischer Kategorien, sondern Sitz der Verdorbenheit und der Immanenz. Daher das Streben nach Reinheit und Askese, daher die Notwendigkeit, den Körper mit Regeln und Normen zu bändigen, damit der Mensch zu Tugend und Erkenntnis aufsteigen kann. Das Ziel der Philosophie ist von Anfang an die Reinigung: Der Mensch erlangt die Vollkommenheit erst dann, wenn er sich von seinen sinnlichen Wurzeln löst.

I. Der Körper – Gefängnis der Seele

Die Vergänglichkeit des Körpers und die Ungreifbarkeit des Denkens werden im Dualismus platonischer und cartesianischer Prägung, wo die Teilung zwischen Körper und Seele ihren Anfang nimmt, scharf gegeneinander abgegrenzt. Obwohl das Denken Platons und Descartes diesbezüglich keineswegs so monolithisch ist, wie es scheinen mag, setzt sich dank ihres Wirkens – vor allem durch den Phaidon und die Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie – eine Logik der Trennung durch, die die Immanenz von der Transzendenz, die Materie von den Gedanken, den Körper von der Seele scheidet.

Die Dualität von Seele und Körper scheint klar auf in der Definition, die Platon in seinem Phaidon Sokrates in den Mund legt: »Nun lasst uns aber sagen, ob wir wohl glauben, dass der Tod etwas sei. […] Und wohl etwas anderes als die Trennung der Seele von dem Leibe? Und dass das heiße tot sein, wenn abgesondert von der Seele der Leib für sich allein ist, und auch die Seele abgesondert von dem Leibe für sich allein ist. Oder sollte wohl der Tod etwas anderes sein als dieses?«7 Seele und Körper sind also nicht nur substanziell verschieden und geschieden, sie können auch jeweils ohne das Andere existieren. Sie sind einander diametral entgegengesetzt, beinahe Gegenspieler. Ihr Antagonismus zeigt sich in zweifacher Weise, zum einen im Hinblick auf die Erkenntnis, zum anderen in Bezug auf das Handeln. Denn die Seele ist gleichzeitig Ursprung des Denkens und Ursprung der Willenskraft.

Wenn die Seele mit dem Leib versucht, etwas »zu betrachten«, schreibt Platon, »wird sie von diesem hintergangen.«8 Wenn der Körper im Zentrum der menschlichen Sorge steht, dann wird der Mensch zum Sklaven der körperlichen Bedürfnisse9. Um also die wahren Ursachen für das Handeln des Menschen zu erkennen, schreibt Platon, müsse der Mensch sich von seinem Körper lossagen und sich dem zuwenden, was darübersteht: »Wird also nicht im Denken, wenn irgendwo, ihr etwas von dem Seienden offenbar? […] Und sie denkt offenbar am besten, wenn nichts von diesem sie trübt, weder Gehör noch Gesicht noch Schmerz und Lust, sondern sie am meisten ganz für sich ist, den Leib gehen lässt und soweit irgend möglich ohne Gemeinschaft und Verkehr mit ihm dem Seienden nachgeht.«10 Die Seele kann also dem Seienden nur nahekommen im Akt des Denkens, dann also, wenn sie sich von dem Körper und seinen Ansprüchen gelöst hat. Die Seele ist also nicht nur Ursprung des Lebens, sie ist auch Sitz der Vernunft und des reinen Denkens, was den Menschen vom Tier unterscheidet.

Obwohl der platonische Mensch im Körper gefangen ist11, ist er nichts weiter als ein Geschöpf, das von der Seele beherrscht wird12. Deshalb kann er auch erst nach seinem Tod wirklich Leben erlangen, wenn die Seele endlich frei ist, das Seiende zu betrachten, ohne von den Sinnen gestört zu werden13. In diesem Glaubensbekenntnis eines »wahren Philosophen«14 ist der Körper der Hort der Neigungen und Krankheiten, der Illusionen und Leidenschaften. Die Philosophie aber wird zum Purgatorium der Seele, in dem der Philosoph sich der »Torheit des Leibes« entledigt, gleichsam den Tod »übt«.

Seele und Körper sind Antithesen. Wenn sie sich zusammentun, dann nur für kurze Zeit. Die Seele ist ein Element des Ewigen und Göttlichen, das der Schau der Ideen teilhaftig wird. Der Körper hingegen ist das materiellste Element der Persönlichkeit. Die Seele kann die Wahrheit erkennen, der Körper sie nur verhüllen. Die Seele kann Vollkommenheit erlangen, der Körper hingegen ist nicht mehr als ein Hindernis, sowohl im Hinblick auf die Erkenntnis als auch auf das moralische Handeln.15

II. Denken und Ausdehnung

Betrachtet man Descartes’ Position, so lässt sich leicht ein Zusammenhang finden zwischen der platonischen Flucht vor der Wirklichkeit des Körpers und der Descartes’schen Notwendigkeit, sich der durch die trügerischen Sinne vermittelten Eindrücke zu entziehen. In der Zweiten Betrachtung ist es die Abtrennung vom Körper, welche die Täuschung durch das sinnlich Erfahrbare auflöst. Sie gipfelt in der Gewissheit des cogito, in dem das Subjekt sich auf sich selbst bezieht. Der Geist, der sich selbst erkennt, ist nicht nur wesensmäßig leichter zu erfassen als der Körper, letztlich ist auch nur er zur Erkenntnis fähig. Aus diesem Grund geht Descartes in der Dritten Betrachtung zum reinen Denken über und nimmt damit die platonische Idee von der Askese wieder auf. So schnell als möglich will er sich seiner Augen, seiner Ohren, ja des ganzen Körpers entledigen, denn der Körper stört die Seele bei ihrem Aufstieg zur Wahrheit: »Nun will ich meine Augen verschließen, meine Ohren verstopfen, alle meine Sinne will ich abwenden, sogar die Bilder von körperlichen Gegenständen will ich alle aus meinem Denken vertilgen oder, da dies doch kaum möglich sein dürfte, will ich sie wenigstens als leere Trugbilder für nichts achten. Zu mir allein will ich reden und in mein Innerstes blicken, und mich so allmählich mit mir selbst bekannter und vertrauter zu machen suchen. Ich bin ein Wesen, welches denkt.«16

Für Descartes gehören Wahrheit und Seele zur selben Kategorie, nur die Seele besitzt die Fähigkeit zu denken. Seele und Körper sind substanziell verschieden. Die grundlegende Eigenschaft der Seele ist das Denken, die des Körpers hingegen die Ausdehnung17. Eines ist sehr wohl ohne das andere denkbar. Nur der Seele allerdings wird das Privileg zuteil, der menschlichen Existenz Sinn und Wert zu verleihen. Der Körper hingegen wird auf die Materialität der Ausdehnung reduziert. Er lässt sich mit den Augen erfassen, doch er spricht nur, wenn das Urteilsvermögen ihn analysiert. Zumindest beschreibt Descartes dies so in Von der Methode