Phytotherapie in der Frauenheilkunde - Susan Zeun - E-Book

Phytotherapie in der Frauenheilkunde E-Book

Susan Zeun

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Beschreibung

Heilpflanzen wissenschaftlich fundiert einsetzen. In diesem Buch finden Sie evidenzbasiertes Wissen, um Phytotherapie gezielt und erfolgreich in der Frauenheilkunde einzusetzen. Welche Heilpflanze eignet sich für welche Beschwerden oder Erkrankungen? Die traditionellen Anwendungen werden auf Basis aktueller klinischer Studien bewertet. Lassen Sie sich wissenschaftlich fundiert beraten. - Praxisorientiert: Mit zahlreichen Fallbeispielen, Rezepturen und Hinweisen, was beachtet werden muss. - Umfassend: Das gesamte Spektrum phytotherapeutischer Anwendungen wird abgedeckt, nicht lediglich hormonhaltige/hormonell wirkende Pflanzenteile – inklusive interessanter Hintergrundinformationen. - Nachschlagen: Alphabetisch sortierte Pflanzenportraits mit den wichtigsten Eckdaten zur Nutzung. Die knapp 90 detaillierten ästhetischen Pflanzenaquarelle bieten zudem einen optischen Genuss.

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EPUB

Seitenzahl: 258

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Phytotherapie in der Frauenheilkunde

Praktisches Wissen griffbereit

Susan Zeun

109 Abbildungen

Widmung

Für meine Tochter

Vorwort

Die Verwendung von Heilpflanzen in der Gynäkologie war einst der drittgrößte therapeutische Bereich der abendländischen Phytotherapie nach Verdauungsstörungen und Infektionen. Die heutige Situation bietet jedoch ein Paradoxon: Zwar sind Frauen komplementären Therapien gegenüber sehr aufgeschlossen, allerdings stehen nur wenige Arzneipflanzen als Fertigarzneimittel für gynäkologische oder hormonelle Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen zur Verfügung.

Die Entwicklung von pflanzlichen Fertigarzneimitteln ist für pharmazeutische Unternehmen oft wenig lukrativ, da diese kaum patentrechtlich geschützt werden können. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sich an diesem Umstand in absehbarer Zeit nichts Substanzielles ändern wird. Das ärztliche und therapeutische Wissen um die Möglichkeiten einer individuellen Behandlung von Befindlichkeitsstörungen und des komplementärmedizinischen Einsatzes von Phytotherapie in der Gynäkologie ist somit von großer Bedeutung.

In diesem Buch können Sie praxisnahes Wissen über Arzneipflanzen, deren Wirkstoffe und deren Anwendung in der Frauenheilkunde erwerben. Sie werden kurzweilig durch Geschichte, Zubereitungsformen und rechtliche Bestimmungen geführt. Relevante Fallbeispiele und Rezepturen werden Sie befähigen, selbst komplementärtherapeutisch im Bereich der Phytotherapie mit Ihren Patientinnen zu arbeiten. Es ist zu beachten, dass dieses Buch keine Anleitung zur Selbstbehandlung durch Laien ist.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen und Lernen.

Berlin, im April 2021

Dr. med. Susan Zeun

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Widmung

Vorwort

Teil I Grundlagen

1 Was ist Phytotherapie?

1.1 Stellenwert der Phytotherapie

1.2 Risiken der Phytotherapie

1.2.1 Nebenwirkungen

1.2.2 Wechselwirkungen

1.2.3 Toxizität

2 Geschichte der abendländischen Phytotherapie

2.1 Antike

2.1.1 Wichtige Vertreter

2.2 Mittelalter

2.2.1 Wichtige Vertreter

2.3 Neuzeit

2.3.1 Wichtige Vertreter

2.4 Moderne und Gegenwart

3 Zubereitungen und Darreichungsformen pflanzlicher Arzneimittel

3.1 Zubereitungen aus Frischpflanzen

3.1.1 Presssäfte

3.1.2 Frischpflanzendestillate

3.1.3 Homöopathische Urtinkturen

3.2 Wässrige Auszüge (Arzneiteezubereitungen)

3.3 Einfache nicht wässrige Auszüge

3.3.1 Tinktur (alkoholisches Mazerat)

3.3.2 Fluidextrakte

3.3.3 Arzneiöle

3.3.4 Sirupe

3.3.5 Dickextrakte

3.4 Einfache feste Darreichungsformen

3.4.1 Trockenextrakte

4 Einteilung und arzneimittelrechtliche Bestimmungen zu pflanzlichen Arzneimitteln

4.1 Bewertung von Pflanzen zum Einsatz in der Medizin

4.1.1 Kommission E

4.1.2 WHO

4.1.3 ESCOP

4.1.4 HMPC

4.2 Rationale Phytopharmaka

4.3 Traditionelle Phytopharmaka

4.4 Standardzulassungen

4.5 Homöopathika

4.6 Ungeprüfte Produkte und Selbstsammlungen

4.7 Nahrungsergänzungsmittel

5 Rezeptierung

6 Wirkstoffgruppen und Inhaltsstoffe von Arzneipflanzen

6.1 Primäre und niedermolekulare Pflanzenstoffe

6.1.1 Schleimstoffe

6.2 Isoprenoide

6.2.1 Iridoide

6.2.2 Sesquiterpene

6.2.3 Diterpene

6.2.4 Triterpene

6.2.5 Saponine

6.3 Phenolische Verbindungen

6.3.1 Phenolcarbonsäuren und Derivate

6.3.2 Cumarine

6.3.3 Ligane

6.3.4 Flavonoide

6.3.5 Anthranoide

6.3.6 Cannabinoide

6.4 Alkaloide

6.4.1 Pyrrolizidinalkaloide

6.4.2 Solanaceae

6.4.3 Piperidinalkaloide

6.4.4 Methylxanthine

6.5 Sulfinate und Derivate

6.5.1 Senfölglykoside

6.5.2 Alliine

6.6 Ätherische Öle

Teil II Anwendungen von Arzneipflanzen in der Frauenheilkunde

7 Schmerzassoziierte Beschwerden

7.1 Kopfschmerzen

7.1.1 Arzneipflanzen zur Behandlung von Kopfschmerz/Migräne

7.2 Dysmenorrhö

7.2.1 Arzneipflanzen zur Behandlung von Dysmenorrhö

7.3 Mastalgie

7.3.1 Arzneipflanzen zur Behandlung von Mastalgie

7.4 Prämenstruelles Syndrom

7.4.1 Arzneipflanzen zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms

7.4.2 Fallbeispiele mit Rezepturen zur Behandlung des prämenstruellen Syndroms

8 Blutungsanomalien

8.1 Amenorrhö/seltene Blutung

8.1.1 Arzneipflanzen zur Behandlung der sekundären Amenorrhö

8.1.2 Fallbeispiele mit Rezepturen zur Behandlung der sekundären Amenorrhö

8.2 Verstärkte Blutung ohne organische Ursache

8.2.1 Arzneipflanzen zur Behandlung von Blutungen ohne organische Ursache

8.2.2 Fallbeispiele mit Rezepturen zur Behandlung von Blutungen ohne organische Ursache

8.3 Verstärkte Blutung mit organischer Ursache

8.3.1 (Leio-)Myome

8.3.2 Endometriose

8.3.3 Zyklustempostörungen

9 Infektionen

9.1 Zystitis

9.1.1 Bei jungen Mädchen in der Pubertät

9.1.2 Bei sexuell aktiven Frauen

9.1.3 Bei klimakterischen Frauen

9.1.4 Sonderform: Reizblase

9.1.5 Arzneipflanzen zur Behandlung von Zystitiden

9.2 Bakterielle Entzündungen

9.2.1 Vulvo-vaginale Entzündungen

9.2.2 Metritiden und ovarielle Entzündungen

9.3 Mykotische Entzündungen

9.4 Virale Infektionen und Ektopien

9.4.1 Zervikale Veränderungen

9.4.2 Kondylome

10 Klimakterium

10.1 Blutungsstörungen

10.2 Vasomotorische Symptome

10.3 Schlafstörungen

10.4 Vaginale Dystrophie

10.5 Erschöpfung und depressive Verstimmungen

10.6 Virilisierung

10.7 Arthralgien

10.8 Prävention der Osteoporose

10.9 Arzneipflanzen zur Behandlung klimakterischer Beschwerden

11 Schwangerschaft – Geburt – Postpartalzeit

11.1 Schwangerschaft

11.1.1 Morgenübelkeit und Schwangerschaftserbrechen

11.1.2 Vaginale Infektionen

11.1.3 Geburtsvorbereitung

11.2 Geburt

11.3 Postpartalzeit

11.3.1 Postpartale Dammpflege

11.3.2 Mastitis puerperalis

Teil III Pflanzenporträts

12 Die Pflanzenprofile in alphabetischer Reihenfolge

12.1 (Echte) Aloe (Aloe vera)

12.2 Angelika (Angelica archangelica)

12.3 Arnikablüten (Arnicae flos)

12.4 Baldrianwurzel (Valerianae radix)

12.5 Bärentraubenblätter (Uvae ursi folium)

12.6 Beifußkraut (Artemisiae vulgaris herba)

12.7 Berberitzenwurzelrinde (Berberis vulgaris radicis cortex)

12.8 Birkenblätter (Betulae folium)

12.9 Birnenblätter (Pyri communis folium)

12.10 Bockshornkleesamen (Trigonellae foeni semen)

12.11 Brennnesselblätter und -wurzel (Urticae dioicae folium/rhizoma)

12.12 Brombeerblätter (Rubi fruticosi folium)

12.13 Buchweizenkraut (Fagopyri herba)

12.14 Eisenkraut (Verbenae herba)

12.15 Erdrauchkraut (Fumariae herba)

12.16 Färberdistelblüte (Carthami tinctorii flos)

12.17 Fenchelfrüchte (Foeniculi fructus)

12.18 Frauenmantelkraut (Alchemillae herba)

12.19 Gänsefingerkraut (Potentillae anserinae herba)

12.20 Gelbwurzwurzel, kanadische (Hydrastis canadensis rhizoma)

12.21 Gewürznelke (Caryophylli flos)

12.22 Goldrutenkraut (Solidaginis virgaureae herba)

12.23 Hagebuttensamen (Rosae caninae semen)

12.24 Heidelbeerfrüchte (Myrtilli fructus)

12.25 Himbeerblätter (Rubi idaei folium)

12.26 Hirtentäschelkraut (Bursae pastoris herba)

12.27 Hopfenzapfen (Lupuli strobulus)

12.28 Ingwerwurzel (Zingiberis rhizoma)

12.29 Johannisbeerblätter, schwarz (Ribis nigri folium)

12.30 Johanniskraut, echtes (Hypericum perforatum)

12.31 Kamillenblüten (Matricariae flos)

12.32 Kapuzinerkressenkraut (Tropaeoli maji herba)

12.33 Knoblauchzwiebel (Allii sativi bulbus)

12.34 Kornblumenblüten (Cyani flos)

12.35 Kurkumawurzelstock (Curcumae longae rhizoma)

12.36 Lavendelblüten (Lavendulae flos)

12.37 Lebensbaum (Thuja occidentalis)

12.38 Leinsamen (Linum usitatissimum)

12.39 Mädesüßblüten (Filipendulae ulmariae flos)

12.40 Mariendistelfrüchte (Silybi mariani fructus)

12.41 Meerrettichwurzel (Armoraciae rusticanae radix)

12.42 Melissenblätter (Melissae folium)

12.43 Mistelkraut (Visci albi herba)

12.44 Mönchspfefferfrüchte (Agni casti fructus)

12.45 Mutterkraut (Tanaceti parthenii herba)

12.46 Myrrhe (Commiphora myrrha)

12.47 Nachtkerzensamenöl (Oleum oenotherae)

12.48 Odermennigkraut (Agrimonae herba)

12.49 Orthosiphonblätter (Orthosiphonis folium)

12.50 Passionsblumenkraut (Passiflorae herba)

12.51 Petersilienwurzel (Petroselini radix)

12.52 Pfingstrosenwurzel (Paeoniae radix)

12.53 Preiselbeerfrüchte und -blätter (Vaccinii macrocarpi fructus et herba)

12.54 Ringelblumenblüten (Calendulae officinalis flos)

12.55 Rosenblüten (Rosae flos)

12.56 Rosenwurzwurzel (Rhodiolae roseae radix)

12.57 Rosmarinblätter (Rosmarini folium)

12.58 Rotkleeblüten (Trifolii pratensis flores)

12.59 Sägepalmenfrüchte (Serenoae repentis fructus)

12.60 Salbeiblätter (Salviae folium)

12.61 Schachtelhalmkraut (Equiseti herba)

12.62 Schafgarbe (Millefolii herba/flos)

12.63 Schöllkraut (Chelidonii herba)

12.64 Seekieferrinde (Pinus pinaster bark)

12.65 Süßholzwurzel (Liquiritiae radix)

12.66 Taigawurzel (Eleutherococci radix)

12.67 Taubnesselblüten, weiße (Lamii albi flos)

12.68 Teufelskrallenwurzel (Harpagophyti radix)

12.69 Thymiankraut (Thymi herba)

12.70 Traubensilberkerzenwurzel (Cimicifugae racemosae rhizoma)

12.71 Walnussbaumblätter (Juglandis folium)

12.72 Weidenrinde (Salicis cortex)

12.73 Weinlaub, rotes (Vitis viniferae rubrae folium)

12.74 Weißdornblüten und -blätter (Crataegi folium cum flore)

12.75 Wermutkraut (Absinthii herba)

12.76 Wolfstrappkraut (Lycopi herba)

12.77 Yamswurzel (Dioscoreae radix)

12.78 Zaubernussstrauchblätter (Hamamelis folium)

12.79 Zimtrinde (Cinnamomi cortex)

Teil IV Anhang

13 Literatur

14 Glossar der Arzneipflanzen Latein – Deutsch

Autorenvorstellung

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum/Access Code

Teil I Grundlagen

1 Was ist Phytotherapie?

2 Geschichte der abendländischen Phytotherapie

3 Zubereitungen und Darreichungsformen pflanzlicher Arzneimittel

4 Einteilung und arzneimittelrechtliche Bestimmungen zu pflanzlichen Arzneimitteln

5 Rezeptierung

6 Wirkstoffgruppen und Inhaltsstoffe von Arzneipflanzen

1 Was ist Phytotherapie?

Laut der Gesellschaft für Phytotherapie (GPT) steht Phytotherapie für die Behandlung, Heilung, Linderung und Vorbeugung von Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen durch Arzneipflanzen. Es werden hierfür Pflanzenteile (zum Beispiel Blüten, Blätter, Wurzeln) oder Bestandteile (ätherische Öle) verwendet. Die Anwendung kann enteral, lokal oder topisch in verschiedenen Aufbereitungen erfolgen, wie z. B. durch:

Frischpresssäfte,

Tinkturen,

Trockenextrakte.

Die rationale Phytotherapie ist keine Alternativmedizin, sondern Bestandteil der Schulmedizin und basiert auf naturwissenschaftlichen Grundlagen, auf einem kausalen oder symptomatischen Therapieprinzip

Die traditionelle Phytotherapie beruht auf Erkenntnissen der reinen Erfahrungsheilkunde. Anwendungen und Empfehlungen sollten also differenziert betrachtet werden. Auch wenn die Wirkungsweisen bisher nicht ausreichend nachgewiesen sind, erscheinen die Anwendungen wegen der pharmakologisch wirksamen Inhaltsstoffe der Pflanzen plausibel. Leider ist oft mangelndes kommerzielles Interesse der Grund für fehlende Studiendaten: Eine Pflanze kann nicht patentiert werden.

Rationale und traditionelle Phytotherapie werden in Deutschland zu den besonderen Therapierichtungen gezählt, ebenso wie die Homöopathie und die anthroposophische Medizin.

Die Phytotherapie als integrativer Baustein der modernen Arzneimitteltherapie wird im Rahmen naturheilkundlicher Weiterbildungen und ärztlicher Fortbildungen vertiefend behandelt. Neben der Ernährungs-, Hydro-, Bewegungs- und Ordnungstherapie stellt sie eine der fünf Säulen der Naturheilkunde dar. Nur selten wird sie als eigenständiges Gebiet der Pharmakologie und Pharmakotherapie unterrichtet.

1.1 Stellenwert der Phytotherapie

Die meisten Medikationen mit pflanzlichen Arzneimitteln sind sog. Mite-Medikationen. Das heißt, dass sie eine große therapeutische Breite mit guter Verträglichkeit aufweisen. Daher sind viele pflanzliche Arzneimittel auch zur Selbstmedikation geeignet und frei verkäuflich. Das bedeutet jedoch nicht, dass keine Wirkungen erzielt werden.

Info

Mite-Phytomedikation

Gute Verträglichkeit, geringe Vergiftungsgefahr, wenig bis keine Nebenwirkungen

Forte-Phytomedikation

Starke Nebenwirkungen, genaue Dosierung erforderlich, unter Umständen toxisch

Arzneimittel auf pflanzlicher Basis sind in der Regel keine Arzneimittel der Akut- und Notfallmedizin. Ausnahmen sind Mariendistelfrüchte (Silibinin) zur Behandlung der Knollenblätterpilzvergiftung oder Colchicin-Präparate beim akuten Gichtanfall.

In der Regel werden pflanzliche Heilmittel zur unterstützenden Therapie, zur Selbstmedikation oder zur Rekonvaleszenz eingesetzt.

1.2 Risiken der Phytotherapie

Es mutet eventuell seltsam an, die Risiken der pflanzlichen Arzneimitteltherapie an den Anfang zu setzen. Dies erscheint deshalb wichtig, weil die Annahme, pflanzliche Arzneimittel wären nebenwirkungsfrei, nicht richtig ist. Anwendungsempfehlungen bei schweren Erkrankungen schaden dem Image der Pflanzenheilkunde ebenso wie die Einschätzung als „sanfte“ Medizin, da damit die potenziellen Risiken und Nebenwirkungen bagatellisiert werden.

Vorsicht

Die landläufig übliche Assoziation „pflanzlich entspricht natürlich und natürlich entspricht harmlos“ ist wissenschaftlich gesehen nicht haltbar!

Behandlungen mit pflanzlichen Arzneimitteln bergen folgende Risiken:

Verwendung qualitativ ungeeigneter Präparate (z. B. aus Selbstsammlungen),

falsche Dosierung, Applikationsart und Anwendungsdauer,

Überschätzung der Wirksamkeit bei Unterschätzung der Erkrankungsschwere,

Unkenntnis von möglichen Nebenwirkungen und Interaktionen.

1.2.1 Nebenwirkungen

Auch wenn Nebenwirkungen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch selten zu beobachten sind, können dennoch unerwünschte Arzneimittelwirkungen auftreten. Diese unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) pflanzlicher Arzneimittel unterliegen wie unerwünschte Arzneimittelwirkungen chemisch-synthetischer Arzneimittel der Meldepflicht.

Auch die Applikationsart hat Einfluss auf die Nebenwirkungen, so ist Tee häufig besser verträglich als konzentrierte Tinkturen, er führt seltener zu Magen-Darm-Beschwerden.

Allerdings ist es im beruflichen und privaten Alltag oft schwierig, regelmäßig über den Tag verteilt Arzneitee zuzubereiten und zu trinken. Diese Aspekte müssen bei den Verordnungen in Hinsicht auf die Compliance, also die Bereitschaft der Patientinnen zur aktiven Mitwirkung an therapeutischen Maßnahmen, berücksichtigt werden.

Zusätzlich sind allergische Reaktionen bei den natürlichen Stoffgemischen etwas häufiger zu beobachten als bei synthetisch-chemischen Arzneimitteln – allerdings seltener als bei Kosmetika, Hausstaub oder Pollen.

Die durch Pflanzen hervorgerufenen allergischen Reaktionen können fast ausnahmslos dem Typ I (Soforttyp) und dem Typ IV (Spättyp) zugeordnet werden. Die Familie der Korbblütler (z. B. Kamille, Schafgarbe und Mutterkraut) nimmt hier eine zentrale Stellung ein.

Hintergrundwissen

Allergische Reaktionen in der Phytotherapie

Allergische Reaktionen treten in der Pflanzentherapie eher selten auf. Generell spielen zwei Typen von Allergien, Typ I (Sofortreaktion) und Typ IV (Spättyp), überhaupt eine Rolle:

BeimAllergietyp I (Sofortreaktion) bildet der Körper unmittelbar nach Kontakt mit einem bestimmten Allergen passende Antikörper der Gruppe IgE (Immunglobulin E) – das Immunsystem ist nun gegen diese Antigene sensibilisiert. Beim nächsten Allergenkontakt gehen die IgE-Antikörper eine Verbindung ein mit den so genannten Mastzellen, die in Haut und Schleimhäuten vorkommen. Anschließend binden sie die Antigene an sich. Diese Brückenbindung (zwischen Mastzelle, Antikörper und Antigen) bewirkt, dass die Mastzellen den Entzündungsmediator Histamin ausschütten (Mastzellendegranulation). Bei diesem Allergietyp sind Kreuzreaktionen häufig – auch zwischen verschiedenen Pflanzenarten, wenn eine Antigenähnlichkeit besteht. Vor der Verordnung von pflanzlichen Arzneimitteln sollte der Behandelnde eine genaue Anamnese erheben. Lindenblättertee ist zum Beispiel nie pollenfrei, es sollten dann pflanzliche Alternativen eingesetzt werden.

Beim Allergietyp IV (Spättyp), werden überwiegend Allergiesymptome auf der Haut ausgelöst. Allergien dieses Typs können sich unbemerkt über Jahre entwickeln, dann aber plötzlich sehr heftige Immunreaktionen auslösen. Hierbei greifen T-Lymphozyten gemeinsam mit Helferzellen eingedrungene Fremdkörper direkt an. Es handelt sich um eine zellvermittelte Reaktion. Kreuzreaktionen sind seltener als beim Typ I, werden jedoch bei der Verwendung von Korbblütlern häufig hervorgerufen, v. a. wenn diese Sesquiterpenlactone enthalten. Auf Externa sollte bei diesen Personen mit bekannten allergischen Reaktionen des Spättyps verzichtet werden. Es sollten also keine Salben oder Zäpfchen mit Kamille, Schafgarbe, Rainfarn, Mutterkraut oder andere Korbblütler verordnet werden.

Beachte

Kreuzreaktionen

Bei Patienten mit einer hohen allergischen Reaktion auf Korbblütler sollte auch auf Kreuzallergien geachtet werden. Eine Sensibilisierung auf Arnika kann zu einer Kreuzreaktion mit Schafgarbe und Löwenzahn führen und somit zur Entwicklung einer allergischen Reaktion des Spättyps.

1.2.2 Wechselwirkungen

Einige Substanzklassen pflanzlicher Genese haben signifikanten Einfluss auf die Leberenzyme des Cytochromkomplexes. Was bei einer Patientin ohne andere Medikamenteneinnahme keinen Einfluss hat, kann bei einer Patientin mit Dauermedikation zu Änderungen im Wirkstoffspiegel zum Beispiel bei der Pille führen. Monografien von Pflanzen beinhalten auch Hinweise zu solchen möglichen Wechselwirkungen (Interaktionen).

1.2.3 Toxizität

Da für pflanzliche Arzneimittel Daten zur Toxizität (einschließlich Genotoxizität und Reproduktionstoxizität) und Kanzerogenität oft nur bedingt vorliegen, müssen Gesamtbewertung und Erfahrungen aus der bisherigen Anwendungshistorie berücksichtigt werden. Dies limitiert jedoch in hohem Maße die Anwendung zum Beispiel in der Schwangerschaft.

Neu aufgetretene Beschwerden, die auf eine Erhöhung von Leberenzymen hinweisen, sollten stets genau und sorgfältig hinterfragt und abgeklärt werden.

2 Geschichte der abendländischen Phytotherapie

Pflanzen wurden seit Beginn der Menschheitsgeschichte zu Heilzwecken eingesetzt. Die hierbei empirisch gefundenen Wirkungen gehen also sehr weit in die Vergangenheit zurück. Unsere Urahninnen und Urahnen kannten die jeweiligen Inhaltsstoffe jedoch nicht, sondern ließen sich von Gerüchen, Farben und Formen leiten.

Die Vielfalt und auch die Präzision der Anwendungen erstaunt – insbesondere bei Pflanzen, bei denen eine Wirkung sofort eintritt. Toxische Wirkungen und verzögerte Wirkungseintritte waren in der Frühzeit nur schwer mit der Aufnahme von Heilkräutern in Zusammenhang zu bringen. Daher ist allein die Dauer des Einsatzes einer Heilpflanze, also der Verweis auf jahrhundertelange Erfahrungen oder den Einsatz als Heilkraut schon bei Ureinwohnern, nur bedingt ein aussagekräftiges Qualitätsmerkmal, auch wenn dieses häufig als Verkaufsargument eingesetzt wird.

Hintergrundwissen

Polynesischer Rauschpfeffer

Polynesischer Rauschpfeffer wurde in Polynesien jahrhundertelang als Kava-Kava-Trunk bei Festen konsumiert. Seine anxiolytische Wirkung fand bald auch wissenschaftliches Interesse: Untersuchungen an Probanden mittels Elektroenzephalografie (EEG) bestätigten eine Veränderung des Frequenzmusters. Eine intensive Erforschung des Rauschpfeffers führte zur Zulassung von Kava-Kava-Produkten, die dann zur Behandlung von depressiven Verstimmungen und Schlafstörungen eingesetzt wurden. Die schnelle und intensive Vermarktung wurde mit der langen Tradition der Verwendung bei Naturvölkern begründet. Dass die Naturvölker den Trunk nur sporadisch und nicht täglich zu sich nahmen, wurde nicht beachtet. Aufgrund von hepatotoxischen Nebenwirkungen nach langdauernder Einnahme wurden 2002 alle Kava-Kava-haltigen Arzneimittel vom Markt genommen. Diese Entscheidung wurde im Januar 2020 bestätigt – für alle Produkte, einschließlich homöopathischer Zubereitungen bis D4.

2.1 Antike

Info

Die Antike dauerte von circa 1200 v. Chr. bis etwa 600 n.Chr., wobei die zeitliche Einordnung des Beginns – je nach Ansatz – stark variiert.

Bis etwa 1200 v. Chr. war Heilwissen an Rollen, vor allem an das Priestertum, gebunden. Dieses heilige Wissen wurde zumeist mystifiziert und geheim gehalten. Erst mit der Antike wurde unabhängig vom Priestertum damit begonnen, die Wirksamkeit von Pflanzen zu untersuchen.

2.1.1 Wichtige Vertreter

Einen Überblick bietet hier F.J. Andersons An illustrated history of the herbals ▶ [5].

2.1.1.1 Hippokrates von Kos (ca. 460 v. Chr. bis ca. 370 v. Chr.)

Hippokrates gilt als der Urvater der Medizin und einer der Begründer der Vier-Säfte-Lehre, nach der ein Ungleichgewicht der vier Säfte (schwarze Galle, gelbe Galle, Blut und Schleim) Krankheiten hervorruft. Neben diesen frühen Erklärungsmodellen der Medizin sind ihm zahlreiche Schriften zugeordnet, wobei diese Zuweisung nicht zweifelsfrei belegt werden kann. Darin wird auch die Verwendung von Pflanzen zur Behandlung beschrieben.

2.1.1.2 Theophrastus von Eresos (ca. 371 v. Chr. bis ca. 287 v. Chr.)

Theophrastus von Eresos, im Deutschen auch Theophrast genannt, ein griechischer Philosoph und Naturforscher sowie Schüler von Aristoteles, nahm mit seinen Büchern zur Untersuchung (De causis plantarum) und Herkunft der Pflanzen (De historia plantarum) Teile der Systematisierung durch Carl von Linné vorweg. Er gilt als Begründer der Pharmakognosie (von griechisch φάρμακον [pharmakon] „Heilmittel, Gift, Zaubermittel“ und γιγνώσκειν [gignoskein] „erkennen, erfahren, kennenlernen“).

2.1.1.3 Pedanios Dioskurides (ca. 50 v. Chr.)

Aus dem Leben des griechischen Arztes Dioskurides ist wenig bekannt. Er gilt als einer der Urväter der Pharmakologie. Sein Werk De materia medica(„Über die Heilmittel“) umfasst circa 38 Bände.

Hintergrundwissen

De materia medica

In De materia medica sind über 500 Pflanzen und deren Verwendung beschrieben. Der Gynäkologie sind intensive Ausführungen gewidmet, die insgesamt den drittgrößten beschriebenen Einsatzbereich darstellen. Es werden über 600 Anwendungen aufgeführt, den größten Teil nehmen Anwendungen in der Schwangerschaft und zur Geburtserleichterung ein. Ungefähr 100 Anwendungen beziehen sich allein auf vaginale Beschwerden. Das Buch wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und war bis ins Mittelalter in Deutschland ein Standardwerk, aus dem umfänglich zitiert wurde.

2.1.1.4 Caius Plinius Secundus (ca. 23 n. Chr. bis ca. 79 n. Chr.)

Das Hauptwerk von Plinius, die 77 n. Chr. erschienene Naturalis historica, ist wohl die älteste, vollständig überlieferte, systematische Enzyklopädie. Sie wurde von Plinius zusammengetragen, insgesamt werden mehrere hundert Autoren erwähnt. Von den 37 Bänden befassen sich 12 mit Medizin, Pflanzenheilkunde und Botanik.

2.2 Mittelalter

Ausführliche Informationen zur Klosterheilkunde bietet das Handbuch der Klostermedizin▶ [89].

Zur Zeit der justinianischen Pestwellen im 6. bis 8. Jahrhundert und mit der Völkerwanderung der Normannen brach die antike Hochkultur des Mittelmeerraumes zusammen.

Den Wirrungen und streckenweise chaotischen Zuständen dieser Zeit, geprägt von Seuchen und kriegerischen Auseinandersetzungen, setzten Klöster mit ora et labora („Bete und arbeite“) Regeln und Struktur entgegen.

Um 530 n. Chr. wurde von Benedikt von Nursia in Süditalien das erste nach ihm benannte Kloster gegründet. Den Ordensregeln der Benediktiner, mit ihrer Bedeutung für Pflege und Lehre des Schrifttums, wird großer Anteil bei der Verbreitung und Bedeutung der klösterlichen Medizin beigemessen.

Während große Teile der Bevölkerung Analphabeten waren, wurde in den Klöstern die Lese- und Schreibfähigkeit gelehrt. Die Anfertigung von Abschriften war tägliche Aufgabe in Mönchsklöstern. Hierzu gehörten auch Abschriften von medizinischen Abhandlungen und Pflanzenbüchern. Allerdings mag es zu manchem Fehler gekommen sein – durch schlecht leserliche Handschriften, Kurzsichtigkeit und schlechte Beleuchtung. Leider ist vieles aus diesen Schriften Deutung, da es zum Beispiel noch keine klare Klassifizierung von Pflanzen gab.

Die strenge Struktur des Klosters spiegelte sich auch in den Klostergärten wider, die stets auch über einen Arzneipflanzengarten verfügten.

Hintergrundwissen

Der Klostergarten

In einem Klostergarten wurde nur eine Pflanze pro Beet angebaut, um Verwechslungen und Durchmischungen vorzubeugen. Diese klare Struktur hatte darüber hinaus den Vorteil, dass eine Hilfe in die Gärten geschickt werden konnte, um Pflanzen aus dem „dritten Beet von rechts“ zu holen. Diese Beschreibung reichte, langwierige Erklärungen oder Beschreibungen der Pflanze waren nicht nötig.

Der Großteil der Heilkräuter wurde zur Behandlung von Verdauungsstörungen, Entzündungen und Erkältungserscheinungen verwendet. Regelmäßig fanden sich auch Arzneipflanzen zur Behandlung von Schlafstörungen und Erregungszuständen aller Art.

Ein Blick auf den Plan eines solchen Heilkräutergartens ( ▶ Abb. 2.1) lohnt sich, er vermittelt auch einen Eindruck des Bedarfs.

Abb. 2.1 Schematische Darstellung des Klostergartens St. Gallen.

2.2.1 Wichtige Vertreter

2.2.1.1 Benediktinerkloster Lorsch

Das Lorscher Arzneibuch (ca. 785 n. Chr. entstanden) gilt als das älteste erhaltene Arzneibuch Deutschlands. Seine Erstellung wird im historischen Kontext als Nachweis des Wiedererstarkens der Wissenschaften unter Karl dem Großen interpretiert. Dieser förderte bei der heimischen Bevölkerung den Heilpflanzenanbau durch Vorschriften für die Anlage eines Bauerngartens, in die klösterliche Heilpflanzen eingebunden waren, um so Selbstbehandlungen zu ermöglichen.

Hintergrundwissen

Rezept aus dem Lorscher Rezeptbuch

Bei Unterschenkelgeschwüren wurde eine Mixtur aus Schafdung, Käseschimmel und Honig auf die Wunde auftragen und 20 Tage auf der Wunde belassen.

So absonderlich diese Rezeptur klingen mag, kann dem Käseschimmel zumindest eine rudimentäre antibiotische Wirkung unterstellt werden, sodass eine positive Wirkung plausibel erscheint.

2.2.1.2 Walahfrid Strabo (ca. 808 n. Chr. bis 849 n. Chr.)

Der schielende (im Lateinischen strabo) Benediktinermönch schuf mit seinem Hortulus-Gedicht ein poetisches und botanisches Meisterwerk. Strabos Liber de cultura hortorum ist ein Lehrgedicht und behandelt Pflanzen in der Reihenfolge, wie sie in einem Klostergarten angepflanzt sind. Neben Duft und Geschmack der Pflanze wird die Indikation beschrieben, Angaben zur Dosierung werden allerdings nicht gemacht. Auch differenzialdiagnostische Symptombeschreibungen müssen im jeweiligen zeitlichen Kontext ausgemacht werden.

2.2.1.3 Odo Magdunensis (11. Jahrhundert)

Der französische Benediktinermönch verfasste ca. 1085 das Lehrgedicht Macer floridus. Dieses Gedicht beschreibt die Wirkung von ca. 80 Heilpflanzen. Es wurde aus dem Lateinischen in zahlreiche Landessprachen übersetzt und erfuhr im frühen Mittelalter eine weite Verbreitung.

2.2.1.4 Hildegard von Bingen (1098 bis 1179)

Keine andere Person der klösterlichen Medizin wird so verehrt wie diese Benediktineräbtissin, die bis heute eine emotionale Behandlungsrichtung prägt. Sicher ist, dass sie eine sehr durchsetzungsfähige Persönlichkeit war. Aufgrund ihrer Stellung und ihrer Bildung konnte sie schreiben, auch stand ihr Pergament zur Verfügung.

Info

Der Begriff „Hildegard-Medizin“ wurde erst 1970 aus Marketinggründen geschaffen.

Der rationalen Pflanzentherapie der damaligen Zeit setzte Hildegard von Bingen eine Theorie entgegen, die Heil und Heilung eines Menschen allein an den Glauben bindet. Nichtsdestotrotz zeichnen ihre Hauptwerke wie die Physica ein umfassendes Bild der Verwendung von Heilpflanzen in der damaligen Zeit. Als Erste benannte sie die Pflanzen beim deutschen und nicht beim lateinischen Namen, was zur weiten Verbreitung ihrer Schriften führte.

Hintergrundwissen

Aufgrund der Beschreibungen der göttlichen Eingebungen, auf deren Basis Hildegard von Bingen ihre Bücher verfasste, vermuten Medizinhistoriker, dass sie an starker Migräne mit Aura litt.

2.3 Neuzeit

Ausführlicher informiert zu diesem Thema Alraun, Beifuß und andere Hexenkräuter▶ [13].

Zu Beginn der Neuzeit verringerte sich der Einfluss der Klöster auf die Medizin. Der klösterlichen Medizin des Mittelalters folgte die scholastische Medizin. Medizin wurde nun an Universitäten als eigenständiges Fach gelehrt. Die Scholastik setzte der rein glaubensbedingten Lehre auf Grundlage der Bibel einen wissenschaftlichen Ansatz entgegen.

Info

Der Beginn der Neuzeit wird oft auf das Jahr der Erfindung des Buchdrucks (ca. 1490) datiert.

Die „kleine Eiszeit“ im 13. und 14. Jahrhundert rief Hungersnöte, Mangelernährung und eine Schwächung der Menschen hervor. Die Städte waren überfüllt, die hygienischen Zustände katastrophal. Zwischen 1315 und 1317 dezimierte sich die europäische Bevölkerung um circa ein Drittel – die Pest wütete. Die Ärzte waren machtlos, sie stachen lediglich die Pestbeulen auf, um die Körpersäfte wieder „ins richtige Verhältnis zu setzen“.

Da wohl auch aufgrund der geänderten klimatischen Bedingungen Heilkräuter nicht zu finden waren, kamen Aderlass, Schröpfen und die Verwendung von Quecksilber und anderen Mineralien immer mehr in Mode. Es kam zu einer rasanten Verbreitung von Behandlungsmethoden mit Abführmitteln, die die Menschen weiter schwächten. Rückblickend kann man wohl zusammenfassen, dass durch die medizinischen Behandlungen mehr Menschen getötet als geheilt wurden. Für die Pest und das Leid der Bevölkerung mussten jedoch Schuldige gefunden werden. Schon ab dem 13. Jahrhundert verschärfte sich der Ton gegen zumeist heilkundige Frauen, die „Hexen“ genannt wurden ▶ [106].

Hintergrundwissen

Hexenglaube

Thomas von Aquin (1225–1274), führender Theologe und Philosoph der Zeit, beschrieb detailliert die magischen Praktiken der Hexen, zum Beispiel den Pakt mit dem Teufel, die Hexenluftfahrt, die Tierverwandlung oder das Wettermachen. In seinen Augen waren Hexen schadenbringende Weiber. Der renommierte Denker legte damit den theoretischen Grundstein für die späteren unzähligen Hexenverbrennungen.

Der Hexenhammer (lateinisch Malleus malleficarum) von Kramer (1468), eine scholastische Abhandlung in 3 Teilen und der Codex der Hexenverfolgung, stellte auch einen Wendepunkt in der Pflanzenheilkunde dar. Der Terminus der Hexenkräuter wurde geschaffen und existiert leider bis heute.

Wurden die Wirkweisen von Pflanzen bis dato eher neutral beschrieben, einschließlich der vielfältigen Anwendungsgebiete, so wurde nun die Wirkung im Kontext der Bibel bewertet. Während sich bei Hildegard von Bingen, einer Äbtissin, noch lustfördernde und abortiv wirkende Rezepte finden, wurde der Versuch unternommen, diese Anwendungen komplett zu eliminieren. Es kam zu Bestrebungen, Pflanzen mit angeblich abortiven Wirkungen (z. B. Sadebäume) zu verbieten und auszurotten. Die Liste der verbotenen Pflanzen wurde immer länger.

Die abendländische Pflanzenheilkunde verkam in dieser Zeit zu einem Randgebiet, in dem nur noch Mittelchen gegen Husten und zur Verdauung eingesetzt werden durften, um nicht der Hexerei verdächtigt zu werden.

Hintergrundwissen

Unter Berufung auf die Bibel wurde Midweibern (Hebammen) verboten, schmerzlindernde Pflanzen unter der Geburt anzuwenden, da dies gegen den Willen Gottes sei:

„Und zur Frau sprach er: Ich will die Mühen deiner Schwangerschaft sehr groß machen; mit Schmerzen sollst du Kinder gebären […].“

Genesis, Buch Moses, Vers 17

2.3.1 Wichtige Vertreter

2.3.1.1 Paracelsus (1494 bis 1541)

Der Schweizer Gelehrte Theophrastus Bombast von Hohenheim, genannt Paracelsus, wurde hauptsächlich als Arzt wahrgenommen. Sein Wirken kann aber auch als das eines Universalgelehrten angesehen werden, wie seine Erkenntnis „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift, allein die dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“ ▶ [103] deutlich zeigt.

Er entwickelte die im Mittelalter entstandene Signaturenlehre der Pflanzen weiter. Diese basiert auf der Theorie, dass morphologische Ähnlichkeiten von Pflanzen Hinweise auf deren Verwendung als Heilmittel geben. So wurde z. B. die Walnuss wegen ihrer einem Gehirn ähnlichen Form zur Behandlung von Epilepsie und Kopfschmerzen eingesetzt.

2.3.1.2 Carl von Linné (1707 bis 1778)

Der schwedische Naturforscher Carl von Linné entwickelte eine botanische Nomenklatur mit binärem Ansatz, die Verwechslungen und doppelte Benennungen ausschließt.

2.4 Moderne und Gegenwart

Wie bereits erwähnt, ging die Verwendung von pflanzlichen Heilmitteln in Mitteleuropa zum Ende des Mittelalters stark zurück. Waren im ersten europäischen Arzneibuch, der Pharmacopée française von 1818, fast 90 % der Rezepturen noch pflanzlichen Ursprungs, so nahm der Anteil der pflanzlichen Drogen in den europäischen Arzneibüchern mit dem Aufkommen der chemischen Industrie und der Herstellung definierter chemischer Stoffe und der damit zusammenhängenden Entwicklung des Wirkstoffprinzips kontinuierlich ab.

Die Forschung zu pflanzlichen Heilmitteln war bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts stark limitiert und konzentrierte sich auf synthetisierbare pflanzliche Rohstoffe.

Hintergrundwissen

Chinesische Heilkräuter

Die traditionelle chinesische Kräutermedizin war in der Neuzeit nicht wie die traditionell abendländische Pflanzenheilkunde einer gesellschaftlichen Ächtung unterzogen und erfreut sich in den letzten Jahrzehnten auch in westeuropäischen Ländern zunehmender Beliebtheit.

Nur langsam kehrt die Erkenntnis zurück, dass es auch eine abendländische Pflanzenheilkunde gibt. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht verwunderlich, denn die Inhaltsstoffe von Pflanzen sind an klimatische Bedingungen geknüpft, nicht an regionale Medizinströmungen. Es gibt nur wenige Pflanzen, die aufgrund ihrer Inhaltsstoffe eine wirkliche Ausnahmestellung einnehmen (Beispiel: Bromelin in der Ananas). Heimische Pflanzen sind den chinesischen Kräutern in der Wirkstoffzusammensetzung oft sehr ähnlich und keineswegs weniger wirksam.

Die Behandlung mit Arzneipflanzen nimmt zwar weltweit weiterhin einen großen Platz ein, wird in den meisten Ländern aber als die Medizin der Armen, die sich „moderne Medizin mit richtigen Medikamenten“ nicht leisten können, wahrgenommen. Im westlichen Europa findet man diese Assoziation hingegen nicht: Hier behauptet sich die Phytotherapie auf einem festen Platz in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, im Bereich der Fertigarzneimittel verschiedener Hersteller und in der Selbstmedikation.

Basierend auf der Annahme guter Verträglichkeit wird die Phytotherapie häufig als ▶ sanfte Medizin angepriesen. Dies ist allerdings so pauschal nicht haltbar: Die stärksten Gifte kommen im Pflanzenreich vor – hier sei nur an den Schierling erinnert.

Info

Schierling

Ein aus den zerstampften Früchten des gefleckten Schierlings (Conium maculatum) hergestellter Sud wurde in der Antike als Hinrichtungsmittel eingesetzt. Die Schierlingsfrüchte enthalten Coniin, das über Hemmung der Acetylcholinrezeptoren eine Lähmung der Atemmuskulatur hervorruft. Der griechische Philosoph Sokrates wurde wahrscheinlich mit Schierlingssud hingerichtet. Erhalten hat sich bis heute, auch im Zusammenhang mit Sterbehilfe, die Formulierung „jemandem den Schierlingsbecher reichen“.

Leider betrifft die breite Anwendung von pflanzlichen Heilmitteln nicht alle Indikationsgebiete. In der Gynäkologie hat die ärztliche Anwendung in den letzten 50 Jahren eine eher rückläufige Tendenz. Die Ursache dafür ist unter Umständen in der geringen Verfügbarkeit von Fertigarzneimitteln auf pflanzlicher Basis zu suchen.

So gibt es heute nur noch etwa 10 Arzneipflanzen mit gynäkologisch monografierten Anwendungen in den harmonisierten europäischen Monografien (HMPC), während die Gynäkologie in der Antike das drittgrößte Einsatzgebiet für Arzneipflanzen war, was Dioskurides’ De materia medica mit über 600 gynäkologischen Anwendungen eindrücklich zeigt.

Hinzu kam die Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG): Die nach den Forderungen des 1. AMGs (§ 61 AMG) registrierten Phytopharmaka mussten bis Januar 2007 nach den strengen Richtlinien des 2. AMGs nachzugelassen werden. In den meisten Fällen wurden für Nachzulassungen zusätzliche Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit der Arzneimittel erforderlich. Die dafür nötigen Investitionen wurden von Herstellern gynäkologischer pflanzlicher Arzneimittel oft nicht getätigt, ein Nachzulassungsantrag wurde nicht gestellt.

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Weiße Taubnessel

Die weiße Taubnessel (Lamia alba) wurde traditionell zur Behandlung des Fluor albus eingesetzt, aber es wurde kein Nachzulassungsverfahren durchgeführt. Es besteht zwar noch eine Monografie der Kommission E zur traditionellen Verwendung bei Fluor albus. Da der Zulassungsstatus verfallen ist, müssten für eine Inverkehrbringung als Arzneipflanze aber neue Studien durchgeführt werden. Dies ist zurzeit nicht geplant.

Die aktuelle Situation ist widersprüchlich: Frauen sind das Hauptmarktsegment, das an natürlichen Behandlungen interessiert ist und pflanzliche Arzneimittel zur Behandlung von Beschwerden einsetzt. Für die Behandlung frauentypischer Beschwerden steht aber nur eine sehr übersichtliche Anzahl von Fertigpräparaten zur Verfügung – einige hiervon mit relevanten hormonellen (Neben-)Wirkungen.

Pflanzliche Alternativen werden zu einem großen Teil von Vertretern medizinischer Heilberufe eingesetzt. Gelegentlich wird hier eine Remystifizierung von pflanzlichen Arzneimitteln zu Hexenkräutern vorgenommen, die auch Patienten und Patientinnen gerne annehmen.

Info

Eine Abfrage bei einem führenden Onlinebuchhändler am 22. Juni 2020 brachte unter dem Suchbegriff „Hexenkräuter Buch Behandlung“ 154 Ergebnisse.

3 Zubereitungen und Darreichungsformen pflanzlicher Arzneimittel

Pharmakologie und zugehörige Pharmazievorlesungen werden wohl von den wenigsten Studierenden geschätzt – obwohl Verschreibungen von Medikamenten zum Alltag in Heilberufen gehören. Diese sind aber häufig auf Fertigarzneimittel beschränkt. Auch im Bereich der pflanzlichen Arzneimittel stehen viele Fertigarzneimittel zur Verfügung.

Hintergrundwissen

Standardisierung pflanzlicher Arzneimittel

Die Standardisierung der pflanzlichen Arzneimittel beginnt bereits beim Anbau (Good Agricultural and Collection Practices for Starting Materials of Herbal Origin EMEA/HMPC/246816/2006). Dieser Leitfaden ist innerhalb der Europäischen Union (EU) bindend.

Der Hauptteil der Arzneipflanzen kommt mittlerweile aus kontrolliertem Anbau. Spezielle Züchtungen sorgen für einen höheren Wirkstoffanteil oder reduzierte Begleitstoffe, die unerwünschte Wirkungen hervorrufen.

Wildsammlungen werden nur gelegentlich bei reichlich vorkommenden Pflanzen vorgenommen. Hierbei erfolgt regelmäßig eine Mischung aus verschiedenen Regionen, um die unterschiedlichen Chargen für ein Produkt auf einen standardisierten Wirkstoffgehalt zu optimieren. Bei Kräutern aus dem Garten oder aus Wildkräutersammlungen wird das in den seltensten Fällen gelingen: Wer Freude am Sammeln von Kräutern und Pflanzen hat, kann das gern tun, allerdings sollten keine pharmakologisch definierten Wirkungen erwartet werden.

Für die Gynäkologie fehlen Fertigarzneimittel, so dass hier auf Individualrezepturen zurückgegriffen werden muss. Für das Ausstellen solcher Rezepturen ist es sinnvoll, sich mit Terminologie und unterschiedlichen Darreichungsformen auseinandergesetzt zu haben.

3.1 Zubereitungen aus Frischpflanzen

3.1.1 Presssäfte

Durch Auspressen von Pflanzen(teilen) direkt nach der Ernte werden Presssäfte gewonnen. So bleiben die wasserlöslichen und die wasserunlöslichen Stoffe in optimaler Konzentration erhalten. Leider werden diese optimalen Phytopharmaka vor allem von Ärzten sehr wenig eingesetzt. Dies ist verwunderlich, da einige dieser Pflanzen sogar als Arzneimittel nach § 105 AMG zugelassen sind (z. B. Salbei, Thymian, Sonnenhut).

3.1.2 Frischpflanzendestillate

Die Frischpflanze wird einer Wasserdampfdestillation unterzogen. Frischpflanzendestillate enthalten somit hauptsächlich wasserdampfflüchtige Inhaltsstoffe.

3.1.3 Homöopathische Urtinkturen

Homöopathische Urtinkturen