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Die Planspielmethode ist in vielen Kontexten wie Bildung, Beratung und Forschung fest verankert und insofern ein etabliertes "Denkmal". Dennoch ist sie nicht in Stein gemeißelt, sondern muss sich immer wieder neu erfinden. Themen wie Agilität, Digitalisierung, Interprofessionalität und neue Arbeitswelten erfordern es, die Methode neu zu denken, neue Formate auszuprobieren und den Einsatz weiterzuentwickeln. Im vorliegenden zwölften Band der ZMS-Schriftenreihe sind ausgewählte Beiträge von Referierenden des Europäischen Planspielforums 2019 enthalten. Die Beiträge bilden eine Vielzahl an Themen und Inhalten ab. So geht es beispielsweise um die Bedeutung der qualitativen Evaluation von Planspielen und um die Weiterentwicklung von Unterhaltungs- zu Planspielen, die zu Lernzwecken eingesetzt werden können. Weitere Artikel umreißen die Bedeutung von Rollenspielen im Planspiel sowie die Konzeption, Kommunikation und Umsetzung von erfolgreichen Wirtschaftssimulationen. Mit Globe wird ein multinationales Planspiel zur virtuellen Zusammenarbeit in einer Krisensituation vorgestellt, Lego® Serious Play® wird zur Themenfindung studentischer Arbeiten eingesetzt und ein Beitrag behandelt ein Planspiel, das zur Klausurvorbereitung in Veranstaltungen zum Qualitätsmanagement entwickelt wurde. Beschrieben wird zudem die Implementierung von Themen wie Industrie 4.0 und Digitalisierung in innovationsvermittelnde Lehrveranstaltungen. Dieser Band entstand als Kooperationsprojekt des Zentrums für Managementsimulation der DHBW Stuttgart mit der SAGSAGA, der Gesellschaft für Planspiele in Deutschland, Österreich und der Schweiz e.V. - einmal mehr ein Beweis der fruchtbaren Zusammenarbeit der beiden Institutionen.
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2021
Band 12
Die Schriftenreihe des Zentrums für Managementsimulation (ZMS) der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart fördert Innovationen rund um die Planspielmethode.
Die Veröffentlichung dieses Bandes erfolgte in Kooperation mit der SAGSAGA, der Gesellschaft für Planspiele in Deutschland, Österreich und Schweiz e. V..
ISSN: 2192-7502
Unser Dank gilt dem „Verein der Freunde und Förderer der DHBW Stuttgart e.V.“ für die finanzielle Unterstützung des Drucks.
Vorwort der Herausgebenden
Qualitative Evaluation von Planspielen
Susann Zeiner-Fink, Silke Geithner, Angelika C. Bullinger-Hoffmann
From Entertainment to Seriousness
Maria Freese, Heide K. Lukosch, Simon Tiemersma
Rollenspiele im Planspiel - ein gewinnbringender Perspektivenwechsel
Michael Dietrich
Planspielseminare gut konzipiert, kommuniziert und umgesetzt
Torsten Forberg
GLOBE – Multinationales Planspiel zur virtuellen Zusammenarbeit
Markus Bresinsky, Florian von Reusner
Lego Serious Play (LSP) zur Themenfindung studentischer Arbeiten
Stephan Rometsch
„Ein Qualitäter spielt nicht! Oder doch?“
Siegfried G. Zürn, Shendrit Bekolli, Robert P. Pawelek, Christian Ruffner, David Kloss
Industrie 4.0 in Unternehmen
Rebecca Wolff
Autor*innen
Die Planspielmethode ist in vielen Kontexten wie Bildung, Beratung und Forschung fest verankert und insofern ein etabliertes „Denkmal“. Dennoch ist sie nicht in Stein gemeißelt, sondern muss sich stets wieder neu erfinden. Themen wie Agilität, Digitalisierung, Interprofessionalität und neue Arbeitswelten erfordern es, die Methode neu zu denken, neue Formate auszuprobieren und den Einsatz weiterzuentwickeln. Die hiermit verbundene Diskussion stand im Fokus des Planspielforums 2019 und ist Inhalt dieses Bandes.
Das Europäische Planspielforum findet bereits seit über 30 Jahren statt. Ziel des Planspielforums ist es, die Variantenvielfalt der Planspielmethode in verschiedenen Formaten zu präsentieren, zukünftige Entwicklungen aufzuzeigen und gemeinsam mit anderen Planspielenden zu Einsatz- und Anwendungsmöglichkeiten ins Gespräch zu kommen. Das Planspielforum soll Personalverantwortliche, Trainer*innen, die mit Planspielen arbeiten, Planspielentwickler*innen sowie Vertreter*innen der Wissenschaft gleichermaßen ansprechen. Zudem ist das Planspielforum die Plattform für die Verleihung des Deutschen Planspielpreises. Veranstalter des Europäischen Planspielforums ist die SAGSAGA – Gesellschaft für Planspiele in Deutschland, Österreich und der Schweiz e. V. Organisiert wird das Planspielforum durch das Zentrum für Managementsimulation (ZMS) der DHBW Stuttgart. Das gemeinsame Know-How beider Institutionen ist dabei die Grundlage für den Blick auf die Innovationen und den Facettenreichtum der Methode.
Zu jedem Planspielforum gibt es im Nachgang auch einen Band der ZMS-Schriftenreihe. Dieser nun vorliegende Band ist bereits die zwölfte Ausgabe. Dabei wird den Referierenden des Forums die Möglichkeit gegeben, einen Artikel über ihre Forschungsaktivitäten bzw. Themenfelder, an denen sie gerade arbeiten, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die qualitative Evaluation von Planspielen ist Thema des Beitrags von Susann Zeiner-Fink, Silke Geithner und Angelika C. Bullinger. Mittels Storytelling- und Bild-Interviews werden verschiedene Planspielelemente untersucht und gezeigt, dass mit partizipativen Methoden Erkenntnisse generiert werden können, die in einer vorstrukturierten und standardisierten Befragung möglicherweise verloren gehen würden.
Maria Freese, Heide K. Lukosch und Simon Tiemersma untersuchen, wie Elemente aus Unterhaltungsspielen zu Lernzwecken eingesetzt werden können. Aufgrund der Analyse der Spielmechanismen von „Ohne Furcht und Adel“ werden ausgewählte Mechanismen auf das Planspiel „MachiaCELLi“ übertragen sowie Lernmechanismen angepasst und eine Debriefing-Phase konzipiert.
Michael Dietrich arbeitet häufig mit Rollenspielen im Planspiel. Neben der Funktion der allgemeinen Auflockerung lassen sich durch die szenische Darstellung und den dadurch angestoßenen Dialog Perspektivenwechsel vollziehen. Er berichtet in seinem Artikel, wie Rollenspiele im Planspiel gewinnbringend eingesetzt werden können.
Im Beitrag von Torsten Forberg geht es um die Konzeption, Kommunikation und Umsetzung von Wirtschaftssimulationen. Anhand eines Fishbone-Spider-Diagramms werden praktische Problemfelder systematisiert und didaktische Erkenntnisse eruiert. Lessons Learned und Best Practices geben Impulse für Lehrende, damit Planspiele erfolgreich gestaltet werden können.
Das Planspiel GLOBE ist ein multinationales Planspiel zur virtuellen Zusammenarbeit in einer Krisensituation. Markus Bresinsky und Florian von Reusner stellen das Planspiel vor, das modular adaptiv die Themen digitaler Kommunikation und das Führen virtueller Teams in einem politik-relevanten Handlungsfeld vermittelt. Das Planspiel wird in Kooperation mit internationalen Partneruniversitäten, Organisationen und Experten durchgeführt.
Stephan Rometsch setzt LEGO® Serious Play ein, um Studierende mit den Themeninhalten ihrer bevorstehenden Bachelorarbeit vertraut zu machen. Auf Basis eines individuellen Legomodells wird die Fragestellung ihrer bevorstehenden Arbeit diskutiert und über die Inhalte der Arbeit zu beraten. Dabei wird ganz bewusst die haptische Modellbildung einer herkömmlichen (Power-Point-) Präsentation vorgezogen.
Siegfried Zürn hat zusammen mit einer Studierendengruppe an der Hochschule Esslingen ein haptisches Planspiel zur Klausurvorbereitung in Veranstaltungen zum Qualitätsmanagement entwickelt. Die gelernte Theorie findet unmittelbar eine praktische Anwendung und durch die Diskussion mit den anderen Spielenden ergibt sich ein unmittelbares Feedback zu den eigenen Ideen im Sinne eines Peer Learnings.
Und schließlich geht Rebecca Wolff der Fragestellung nach, inwieweit Industrie 4.0 und Digitalisierung über innovationsvermittelnde Lehrveranstaltungen in Unternehmen implementiert werden können. Im Beitrag werden das Workshop-Konzept einer Digitalisierungsveranstaltung für Industrieunternehmen erläutert und die Evaluationsergebnisse vorgestellt.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre sowie zahlreiche Impulse und Denkanstöße – vielleicht auch einmal in eine andere Richtung als geplant.
Stuttgart, im Dezember 2020
Tobias Alf, Christian Hühn, Birgit Zürn und Friedrich Trautwein
„Dort, wo wir gespielt haben, ging es 100 Meter quer durchs Gebäude, das heißt, es war wirklich ,Russland’!“
In der Planspielforschung finden qualitative Evaluationsmethoden bisher kaum Anwendung, weil sie für die Forscher einen relativ hohen Aufwand in der Konzeption des Evaluationsdesigns, bei der Datenerhebung (z. B. Interviews mit den Teilnehmenden) und bei der Datenauswertung (z. B. Analyse von Bild- und Videodaten) bedeuten. Sie ermöglichen jedoch die Identifikation unbekannter Einflussfaktoren im Spielgeschehen, die in der Anwendung standardisierter quantitativer Verfahren (z. B. Fragebogen zur Zufriedenheit) übersehen werden können. Anhand eines exemplarischen Planspiels wird im Beitrag ein Vorgehen vorgestellt, das mittels Storytelling- und Bild-Interviews verschiedene Planspielelemente untersucht. Diese Studie leistet einen Beitrag zur qualitativen Erforschung von Planspielen, indem gezeigt wird, dass mit partizipativen Methoden Erkenntnisse generiert werden können, die in einer vorstrukturierten und standardisierten Befragung möglicherweise verloren gehen würden.
In the field of simulation research qualitative evaluation methods are rarely used because they require a high effort for the researchers in the design of the evaluation design, in data collection (e.g. interviews with the participants) and in data analysis (for example analysis of image and video data). However, they allow the identification of unknown influencing factors of a game, which can be overlooked in the application of standardized quantitative methods (for example questionnaires of satisfaction). Based on an exemplary simulation game, the article presents an approach that uses storytelling and participator sketching interviews to examine game elements. Thus, this study contributes to the qualitative research of simulation games by showing that these participative methods can generate insights that could possibly be lost in a pre-structured and standardized survey.
1. Qualitative Evaluation von Planspielen – eine etablierte Forschungsmethode im neuen Forschungsfeld
Aufgrund der vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und des potenziell hohen Wirkungsgrades werden Planspiele als Methode der Kompetenzentwicklung positiv in der Literatur diskutiert (z. B. Schwägele 2016; Kriz, Auchter 2016). Vermeintlich knappe finanzielle, personelle und zeitliche Ressourcen in den Unternehmen sowie die aufwändige Durchführung, Konzipierung und Planung kontextspezifischer Planspiele verhindern jedoch, dass diese als Lernmethode in Unternehmen fest etabliert sind. Dies hat neben den Ressourcenargumenten zwei weitere wesentliche Ursachen: Erstens wird der Berücksichtigung unternehmensrelevanter Situationen und Herausforderungen bei der Konzeption und Durchführung von Planspielen noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Planspiele „von der Stange“ treffen selten adäquat die Bedarfe der Unternehmen, eine kontextspezifische Adaption ist allerdings mit einem hohen Aufwand verbunden. Zweitens mangelt es an überzeugenden Evaluationsstudien, die den Mehrwert von Planspielen sowohl als Form der partizipativen Arbeitsgestaltung als auch als lebensbegleitende Qualifizierungsmaßnahme überzeugend aufzeigen. Obwohl eine große Anzahl an Unternehmensplanspielen besteht, sind diese selten systematisch evaluiert und gelten somit als wissenschaftlich nicht abgesichert (vgl. Trautwein 2011; Kriz, Auchter 2016). Unklar ist, welche Designelemente eines Planspiels das nachhaltige Lernen der Teilnehmenden tatsächlich beeinflussen. Anders formuliert: Um zu überzeugen, müssen Planspiele auf unternehmensrelevante Kontexte abgestimmt sein und ihren Nutzen in Bezug auf die Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden adäquat nachweisen können (vgl. Schulz, Regber 2009; Trautwein 2011). Doch wie können diese Wirkungs- und Kausalzusammenhänge in Planspielen überprüft werden? Ein Nachteil von quantitativer Forschung ist, dass sie der Komplexität und der Spezifität einer Situation nicht immer gerecht wird (vgl. Gläser-Zikuda 2008). Eine Möglichkeit dieser Problematik zu begegnen, ist die Implementierung von qualitativ partizipativen Methoden in das Evaluationsdesign, die die Teilnehmenden bei der Erhebung der Daten in den Mittelpunkt stellen. Durch die aktive Beteiligung aller Untersuchungsteilnehmenden an der Evaluation kann deren Akzeptanz und Unterstützung bei der Durchführung gewährleistet werden. Gerade bei der Analyse von prozessbezogenen Daten sind qualitative Methoden der Sozialforschung besonders geeignet (vgl. Stockmann 2006). Zudem erlauben partizipative Evaluationsmethoden Einblicke in die subjektive Erfahrungswelt der Beteiligten und geben Rückschlüsse auf deren kognitiven und affektiven Erfahrungshintergrund. Sie unterstützen den Prozess der Datengenerierung und setzen die Evaluationsergebnisse in ihren Entstehungskontext (vgl. Singhal, Durá, Felt 2011). Qualitative Forschung hat in der empirischen Sozialforschung eine lange Tradition und hat sich mit ihrer Vielfalt in Bezug auf Methoden der Datenerhebung und -analyse als Forschungsansatz etabliert (vgl. Mayring 2002; Flick 2006; Lamnek 2010). Allerdings lassen sich bisher nur wenige explizit partizipative Erhebungsmethoden finden, die bereits im Forschungsfeld der Planspielevaluation eingesetzt wurden (vgl. Kriz, Auchter 2016). Daher werden in diesem Beitrag die zwei partizipativ qualitativen Methoden des Storytelling- und des Bild-Interviews beispielhaft vorgestellt. Anhand eines Fallbeispiels wird deren Einsatz exemplarisch aufgezeigt. Der thematische Fokus der Evaluation liegt auf den Designelementen des Planspiels, die den Lernprozess und die Nachhaltigkeitswirkung von Planspielen positiv beeinflussen können.
2. Geschichten und Bilder als partizipative Evaluationsmethoden
Im folgenden Kapitel werden die Methoden, welche zur Erhebung des Erfahrungswissens der Teilnehmenden im hier betrachteten Planspiel eingesetzt wurden, vorgestellt. Diese sind im Vergleich zu nicht-partizipativen für eine qualitative Evaluation besonders geeignet, weil sie die subjektive Wahrnehmung der Teilnehmenden in den Fokus rücken und eine aktive Beteiligung am Evaluationsprozess ermöglichen. Auch wenn ein grundsätzliches Thema bzw. eine Fragstellung durch den Evaluationskontext gesetzt ist, entscheidet nicht der Forscher, sondern die Teilnehmenden, welche Geschichte erzählt oder welches Bild gemalt wird.
2.1 Die Welt der Geschichten – das Storytelling-Interview
Durch die traditionelle Methode des Geschichtenerzählens werden beim Zuhörer imaginäre Bilder erzeugt. Das emotionale Miterleben des Erzählten führt dazu, dass die Geschichten erleb- und begreifbar werden (vgl. Gálvez 2009). Es können Ansichten, Ängste und Erfahrungen geäußert und so Themenfelder angesprochen werden, die andernfalls verborgen bleiben würden (vgl. Thier 2004). Zudem werden Hintergründe erläutert, die eine Übertragung erleichtern sowie Wissenstransfer und Reflexion anregen (vgl. Frenzel et al. 2006). Ziel der Methode ist es, Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven zu erfassen und aufzubereiten und so ein gemeinsames Verständnis zu schaffen (vgl. Kleiner, Roth 1997). Wichtig ist hierbei, dass die Interviewform zu Beginn erläutert wird, sodass sich die Untersuchungsperson auf die Erzählsituation einstellen kann. Der Interviewende übernimmt die Rolle des aktiven Zuhörenden, damit sich das Potential und die Effekte von Geschichten frei entfalten können. Erst im Anschluss an die Erzählung werden mittels eines narrativen Frageteils Erläuterungen zur Geschichte erfragt (vgl. Flick 1999). Beim Storytelling wird somit eine gemeinsame Geschichte der Untersuchungspersonen und des Forschenden erzählt: Durch die Auswahl relevanter Fakten, Hypothesen, Interpretationen und Zitate werden die Erzählungen der Untersuchenden durch den Forschenden zu einer gemeinsamen Geschichte aufbereitet und für alle Beteiligten zugänglich gemacht (vgl. Thier 2004). Durch die Veröffentlichung und Verbreitung der Geschichte(n), können Erkenntnisse, Folgerungen und Lehren erschlossen und Lernprozesse initiiert werden (vgl. Kleiner, Roth 1996). Das heißt, beim Storytelling entsteht ein Prozess, der offenes Erzählen und aktives Zuhören eng miteinander verbindet (vgl. Frenzel et al. 2006). Daher eignet sich das Storytelling gerade bei der Evaluation von Planspielen, da hier der gesamte Spielprozess noch einmal wiedergegeben und reflektiert werden kann, ohne durch direktes Befragen beim Einstieg in das Interview bestimmte Spielaspekte oder Vorkommnisse vorwegzunehmen.
Durch das Storytelling wird somit ein umfassender und strukturierter Zugang zur Erfahrungswelt des Erzählenden eröffnet (vgl. Flick 1999). Das Verstehen von Zusammenhängen sowie die Nachhaltigkeit des Lernens werden begünstigt (vgl. Frenzel et al. 2006). Ein gemeinsames Verständnis und ein Zugang zu schwer zugänglichem impliziten Wissen wird somit gefördert (vgl. Thier 2004). Im Bereich der Evaluationsforschung wird die narrative Methode des Storytellings bislang noch wenig eingesetzt u.a., weil sie als sehr aufwändig gilt (vgl. Kleiner, Roth 1996; Thier 2004, 2017; Schach 2017). In diesem Beitrag wird jedoch gezeigt, dass durch eine strukturierte Herangehensweise der Einsatz in der Planspielforschung lohnenswert ist.
2.2 Die Welt der Bilder – das Bild-Interview
Die Nutzung von Zeichnungen als Erhebungsinstrument ist in der Literatur der qualitativen Sozialforschung bisher nur selten zu finden. Ebenso sind erkenntnistheoretische Herangehensweisen zur Bildanalyse oder Bild-Interpretation selten. Dennoch nimmt die visuelle Datenerhebung in den letzten Jahren zunehmend Einfluss auf die qualitative Sozialforschung: Einige Belege finden sich u. a. im Einsatz von Kinderzeichnungen oder im „Participatory Sketching“ (vgl. Neuss 2005; Uhlig 2008; Singhal et al. 2011).
In der Erkenntnis- und Bildungstheorie galt das bildhafte Denken lange Zeit als nicht ausreichend entwickelt, als zu einfach oder als infantil, sodass ihm wenig oder keine Bedeutung zugesprochen wurde. Mit Hilfe von Bildern kann jedoch das ‚Unausdrückbare‘ seinen Ausdruck finden. Durch Farben, Formen, Kontraste, Perspektiven und Strukturen können Gefühle deutlicher als mit sprachlichen Mitteln visualisiert werden. Die nonverbale Artikulation der Bilder muss jedoch erst in eine allgemein verständliche Sprache übersetzt werden. Das Bildverständnis entsteht daher erst durch die zugeschriebene Bedeutung des Betrachtenden, indem das eigene Vorverständnis einbezogen wird (vgl. Neuss 2005). Für die Bildinterpretation sind individuelle, soziokulturelle und geschichtliche Zusammenhänge zu berücksichtigen, da in Bezug auf das Verstehen die implizierte Bedeutung die des Künstlers übersteigen kann (vgl. Uhlig 2008). Für die Bildinterpretation ist daher die Bildhermeneutik ein geeignetes Instrumentarium, die an bereits bestehende Konzepte der Kunstsoziologie, -historik oder -pädagogik anknüpft (vgl. Neuss 2005; Sowa, Uhlig 2006; Uhlig 2008). Zudem ist eine qualitativ-kommunikative Herangehensweise notwendig. Diese kann eingesetzt werden, indem beim Verstehen und Interpretieren von Zeichnungen eine Befragung der Untersuchenden zum Bild ergänzt wird. Die Zeichnungen werden somit zu Bedeutungsträgern, da die Bilder im Gesamtzusammenhang betrachtet werden und die Perspektive des Zeichnenden in den Vordergrund der Betrachtungsweise rückt (vgl. Neuss 2005).
Während des Prozesses der Bildentstehung setzt sich die Untersuchungsperson intensiv mit der gestellten Fragestellung auseinander. In Abhängigkeit zur Aufgabenstellung entsteht ein Bild, dass entsprechend der Zeichenkompetenz des Erstellenden visuell reflektiert und akzentuiert wird. Der Zeichenprozess soll dabei unabhängig von zeitlichem Druck und zeichnerischem Können der Probanden erfolgen. Dadurch wird ein Reflexionsraum geschaffen, in dem kein Erzähldruck entsteht. Für den Forschenden wird die subjektive Intension sichtbar und der Bedeutungsinhalt interpretierbar (vgl. Singhal, Greiner 2006; Singhal et al. 2011). Je nach Untersuchungsgegenstand schließt sich an den Zeichenprozess ein halbstrukturiertes oder offenes Interview an (vgl. Neuss 2005; Singhal, Greiner 2006). In der Auswertung werden die Zeichnungen mit den Interviews zusammen interpretiert. Durch die bewusste Verbildlichung von Objekten, Situationen oder Personen und der praktischen sowie kognitiven Reflexion und Gegenüberstellung von zentralen Gesprächsverläufen wird ein Zugang zu bestimmten Informationen geschaffen, der zuvor nicht möglich war. Somit können scheinbar unbedeutende oder beiläufig wahrgenommene Informationen oder komplexe (Lern-)Erfahrungen in der Zeichnung berücksichtigt werden, die allein mit sprachlichen Mitteln nur schwer zu erheben sind (vgl. Neuss 2005). Daher eignet sich die Methode besonders für die Reflektion des Erlebten von Teilnehmenden in Planspielen.
3. Das Planspiel - TLGW Automobil GmbH
Anhand eines selbst entwickelten Planspiels wurde die Erhebung des Erlebens der Teilnehmenden mit den vorgestellten Methoden getestet. Zusätzlich wurde untersucht, welche Planspieldesignelemente den Lernprozess und die Nachhaltigkeitswirkung, das heißt das bewusste Erinnern und Reflektieren des Planspiels, positiv beeinflussen. Im Nachfolgenden werden das Planspiel und dessen Studiendesign vorgestellt.
3.1 Design des Planspiels
Das didaktische Ziel des Planspiels TLGW Automobil GmbH ist es, den Teilnehmenden die Interaktion und Kommunikation im Team, die Anwendung von Web 2.0-Komponenten im Arbeitskontext sowie das Kennenlernen und Erleben organisatorischer und produktionstypischer Herausforderungen zu ermöglichen. Im Spiel können Teilnehmende verschiedene Kenntnisse und Kompetenzen im Bereich der Fahrzeugproduktion (KANBAN-Prinzip, Teilefertigung, Verlagerung einer Produktion), Organisation (Aufbau einer Organisation, Jobrotation, Job-Enrichement, Job-Enlargement, Outsourcing) und Soft Skills (Teamentwicklung, Kommunikation, Konfliktmanagement, Entscheidungsfindung, Führungsstile) erwerben. Das Planspiel ist für eine breite Zielgruppe konzipiert worden und ermöglicht den Teilnehmenden ein Ausprobieren in einer realitätsnahen Produktionsumgebung. Die TLGW Automobil GmbH bildet einen Ausschnitt einer Fahrzeugproduktion ab, bei dem zwei verschiedene LEGO®-Fahrzeugtypen produziert werden. Um schnell in das Spielgeschehen einzusteigen, ist die Produktionslinie einfach gehalten: Es existieren drei Montageabteilungen und eine Geschäftsführung, um die Bestellungen zu kontrollieren. Das Planspiel erfolgt über mehrere Geschäftsjahre, in denen unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen sind und verschiedene Problemlösetechniken und Optimierungsansätze spielerisch ausprobiert werden können. Das Ziel des Spiels besteht darin, den Unternehmensgewinn und damit die Arbeitsplätze der Spielenden zu sichern. Jedoch erschweren Hindernisse, wie Zeitdruck und fehlende Teile die Erreichung der Zielvorgaben. Das Planspiel funktioniert mit mindestens acht Spielenden für eine Zeitdauer von vier Stunden (vgl. Fink et al. 2014). Verschiedene Module, Aufgaben und Herausforderungen können je nach Verlauf und Anwendungskontext flexibel angepasst werden, um die Realitätsnähe zum betrieblichen Alltag zu gewährleisten. Damit erfüllt das Planspiel grundsätzlich die Forderung der kontextspezifischen Anpassung.
Abb. 1: Spieleindrücke des Planspiels TLGW Automobil GmbH (Quelle: Eigene Darstellung)
3.2 Qualitatives Untersuchungsdesign mit Storytelling- und Bild-Interviews