Polflug - Walter Bauer - E-Book

Polflug E-Book

Walter Bauer

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Beschreibung

Eine packende Erzählung über den Versuch den Schweden August Andrée, im Jahr 1897 mit einem Ballon den Nordpol zu erreichen.

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Seitenzahl: 73

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Inhalt

Adlerflug

Nachrichten und langes Schweigen

Die Insel

Niemandsland

Die Erde von Vitö

Zeittafel

Adlerflug

Am 18. Mai 1897 gegen Abend bei klarem Licht verließen die Schiffe den Hafen von Göteborg. Andrée, Strindberg und Fraenkel fuhren auf dem schwedischen Kanonenboot »Svensksund«, das auch Ballonhülle, Gondel, Ballonnetz und Schleppseile trug. Alles übrige befand sich auf dem langsameren Frachter »Virgo«. In den Gedanken von Tausenden, die ihnen Leb wohl zuwinkten und die Fahrt der Schiffe den Fluß hinab zum offenen Meer sahen, hatte Andrée den Pol schon erreicht. Zwischen Aufbruch und Wiederkehr lag für sie nur ein Atemzug.

Ende Mai trafen beide Schiffe bei dichtem Schneetreiben im norwegischen Tromsö ein, dem gleichen Ort, von dem vier Jahre früher, 1893, Nansen mit der »Fram« in die eisige Freiheit der Arktis aufgebrochen war. Nansen hatte gesiegt. Andrée wollte siegen.

Als sich die Schiffe durch schwere See nach Spitzbergen kämpften, trug Andrée noch immer die Last unbelohnten Vertrauens und noch nicht aufgelösten Mißtrauens zu seinem Plan. Diese Last war um ein Jahr älter und schwerer geworden. Im vorigen Sommer hatte er den Versuch seines Polfluges aufgeben müssen.

Jetzt war er wieder aufgebrochen, endgültig. Er wußte, daß man zweimal nicht aufgeben kann. Zu gut erinnerte er sich der Angriffe und Schmähungen nach der sieglosen Rückkehr. Nun lag das alles weit hinter ihm. Keine Reden, keine Dankesbezeugungen, keine Erklärungen mehr. Jede der langen, sausenden Wogen schien ihm vertraut. Jede Eisscholle, die lautlos an den Schiffen vorübertrieb, brachte ihn dem Wagnis näher. Der scharfe Wind voll reiner Kälte wehte zu ihm: Ich komme vom Pol. Die Schreie der Sturmvögel zuckten durch den grauen Himmel. Was sagten sie ihm?

Auch er wollte siegen. Aber: War er davon noch wirklich, ohne einen Hauch von Zweifel, überzeugt? Auch er, wie Nansen, hatte einen Traum. Aber: War sein Traum nur dünnes Gespinst, das der Tag zerriß, oder enthielt er Wirklichkeit, womöglich Triumph? Und: Besaß er noch die volle Freiheit des Handelns wie vor einem Jahr? Damals hätte er noch zurückgekonnt. Das war jetzt unmöglich. Wer sich der Welt mit einem Abenteuer von solchem Ausmaß vorstellt, wird von ihr gezwungen, es durchzuführen, oder er versinkt als Narr. Andrée war schon zu sichtbar, als daß er noch hätte aufgeben können. Zu viel Hilfe, zu viel Vertrauen schon hatte er empfangen, um plötzlich erklären zu dürfen, er habe eine grundlose Narrheit verfolgt.

Es war keine Narrheit. Mit seinem Plan eines Ballonfluges von Spitzbergen über das arktische Eis stand er in der großen Nachfolge aller Unternehmungen, die den Sieg über den Pol erreichen wollten und das menschliche Wissen immer weiter nach Norden geschoben hatten. Mit Pytheas von Massilia hatte die Reihe angefangen. Am vorläufigen Ende stand, vom Ruhm umflammt, Nansen. Wie immer Andrées Wagnis ausgehen sollte – sein Name würde neben den Namen von Cabot, Hudson, Barents, John Ross, Franklin, de Long stehen – den Namen aller, die als Sieger oder Besiegte versucht hatten, Buchstaben um Buchstaben des Wortes »Unerforscht« im Norden der Welt auszulöschen. Mit seinem Wagnis begann, er ahnte es, eine neue Epoche der Polarforschung. Schiffe und Schlitten würden bald überflüssig sein. Die Arktis wurde fortan ohne Opfer aus der Luft überwunden. Er war der erste. In seinen besten Augenblicken fühlte Andrée, der als Ingenieur nur der Berechnung vertraute und mit zweiundvierzig Jahren Träumen nicht mehr anhing, sich emporgerissen. Er war ein Vorläufer. Er wollte den anderen voraus vom Traum in die Wirklichkeit springen. Hier und da waren in anderen Ländern Leute am Werk, Einzelgänger wie er. Er wußte davon. Lilienthal schwang sich von der Höhe eines Hügels empor und begriff als erster das Geheimnis der Luftströmungen. Ein Realschuldirektor in Kiel hatte den Plan eines Ballonfluges zum Pol ausgedacht. Hermitte und Besançon wollten mit einem Ballon den Pol in fünf Tagen erreichen. Die französische Recherche-Expedition von 1838 hatte zum erstenmal einen Fesselballon zu Beobachtungen aus der Luft verwandt. In Amerika versuchte sich Maxim Hiram an einem Flugzeugmodell. Die Zeit war reif. Nicht mehr lange konnte es dauern, und der Mensch schwebte im Raum. Andrée hatte die Stunde begriffen. Er hatte es auf sich genommen, als Narr angesehen zu werden. Die Majorität ist für den ersten Morgenhauch einer neuen Epoche immer blind. Er wollte siegen. Er konnte es.

Wenn er Strindberg und Fraenkel sah, die ihn auf dem Polflug begleiten wollten und für die er sich verantwortlich fühlte, wollte er am Gelingen nicht zweifeln. Ihrer Jugend erschien das Abenteuer als Spaziergang. Fraenkel war siebenundzwanzig Jahre alt, Strindberg, der schon im vorigen Sommer dabei gewesen war, fünfundzwanzig. Strindberg hatte sich, ehe sie aufbrachen, mit einem jungen Mädchen verlobt; so sicher war er des Ausgangs. Selbstverständlich wollte er wieder nach Hause. Spätestens im Oktober würden sie wieder in Schweden sein. Strindberg hatte den Tag der Rückkehr, den 17. Oktober, schon in seinen Taschenkalender eingetragen.

Aber wenn Andrée allein war, wenn er seinen Plan immer wieder durchgrübelte, mußte er sich daran erinnern, daß er über die Unmöglichkeit seines Fluges belehrt worden war. Es war ein Abenteuer, dessen Gelingen vom Zufall abhängen würde; das mußte er wissen. Vor einem Jahr, als sie auf der Däneninsel den Flug vorbereitet hatten, war er noch davon überzeugt gewesen, daß es auf Spitzbergen einen ständig nach Norden wehenden Luftstrom gab, der einen Ballon über den Pol tragen mußte. Er hatte sich dabei vor allem auf Beobachtungen gestützt, die der große Arktisforscher Nordenskjöld in der Wiide-Bai auf Spitzbergen gemacht hatte. Doch dann war wie der Geist eines Schiffes nach drei Jahren vollkommenen Schweigens die »Fram« aufgetaucht und bei der Däneninsel vor Anker gegangen. Nansen war nicht auf dem Schiff gewesen, er hatte nach zwei Überwinterungen der »Fram« im März 1895 mit Johansen das Schiff verlassen, um mit Hundeschlitten den Pol zu erreichen oder ihm so nahe wie möglich zu kommen. Seitdem war er verschollen. Aber die »Fram« war, wie Nansen es berechnet hatte, im Strom der Drift langsam nach Süden getrieben und endlich aus dem Eis geschmolzen worden. Sverdrup, der von einem norwegischen Seehundfänger gehört hatte, daß Andrée auf Spitzbergen seinen Flug vorbereitete, hatte gehofft, von ihm etwas über Nansen zu hören. Deshalb war er zur Däneninsel gekommen.

Andrée mußte sich jetzt daran erinnern, daß Sverdrup ihm auf seine Fragen nach arktischen Erfahrungen geantwortet hatte, er könnte sich den glücklichen Ausgang eines Fluges im Freiballon über das Packeis nicht denken. Es gab den beständigen Südwind nicht, auf den Andrée sich verlassen wollte.

Später hatte er mit Nansen gesprochen, denn Nansen war auf sagenhafte Weise nach einer Überwinterung im Eis aus dem arktischen Nichts zurückgekehrt und stand mit fünfunddreißig Jahren im vollen Licht des Ruhmes, ein Mann, der einen unmöglich scheinenden Plan auf Traum, Mut und Berechnung aufgebaut hatte. Andrée hatte ihn gefragt, ob er seinen Ballonflug für möglich halte, und Nansen hatte geantwortet. Er hatte nein gesagt, der Sieger dem Erfolglosen. Das Nein war bitter, aber es besaß noch nicht alles Gewicht.

Und er selbst – hatte er nicht im vorigen Sommer auf den günstigen Wind gewartet, Tag um Tag, bis die »Virgo« zurückfahren mußte, um nicht in das Eis zu geraten?

Aber jetzt, da jede Stunde ihn Spitzbergen näherbrachte, wollte er nicht mehr zweifeln, und wenn ihn Befürchtungen überkamen, verschwieg er sie. Wichtiger als diese in die Stille der Kajüte gedachten Überlegungen war die Frage, ob das im vorigen Jahr errichtete Ballonhaus dem Winter standgehalten hatte. Wenn es zerstört worden war, mußten sie kostbare Zeit durch den Bau eines neuen Schuppens verlieren.

Am 30. Mai, einen Tag nach dem Auftauchen und Hinabsinken der Bäreninsel, nahmen die Schiffe Kurs nach Osten. Die mächtigen Gletscher von Spitzbergen, im Licht von leuchtend tiefblauer und smaragdgrüner Farbe, traten in den Blick. Die Schiffe durchbrachen das Eis zwischen Amsterdam- und Däneninsel. Andrée konnte den anderen die Fahnenstangen zeigen, die sie neben dem Ballonschuppen errichtet hatten. Dann sahen sie den Schuppen. Er stand noch. Andrée atmete auf. Am Abend lagen die Schiffe im Virgohafen.

Mit ihm und seinen beiden Begleitern waren einige Leute gekommen, die für die Vorbereitungen des Fluges gebraucht wurden: Svedenborg, ein junger Offizier, der als Ersatzmann für Strindberg oder Fraenkel einspringen sollte, der für die Füllung des Ballons mit Wasserstoffgas verantwortliche Ingenieur Stake, Doktor Lembke, der die kleine Expedition bis zum Tage des Aufbruchs betreuen sollte, Machuron, ein Franzose, vertrat die Firma Lachambre in Paris, die den Ballon gebaut hatte.

Sie gingen an Land, um nach dem Ballonschuppen zu sehen. Tiefe, einsame Stille überall. Wenn sie zurücksahen, kam ihnen auch vom Meer und weit draußen vom blitzenden Eis Einsamkeit nach. Seevögel schrien und wehten wie Wolken über die Insel. Von den Bergen schoß Wasser wie silbernes Feuer herab. Zwischen Schneefeldern und nacktem Stein leuchteten grüne Moosflecken. Eishasen spran