Politische Gefangene in der DDR - Heidetraud Zierl - E-Book

Politische Gefangene in der DDR E-Book

Heidetraud Zierl

1,0

Beschreibung

Heidetraud Zierl ist eine jener politischen Gefangenen, die in der ehemaligen DDR offiziell als Kriminelle geführt wurden. Durch von der Stasi beschaffte fingierte Anschuldigungen und erzwungene Falschaussagen, war aus einer nicht systemkonformen Ausreisewilligen über Nacht eine Kriminelle geworden, die inhaftiert wurde. Die Bemühungen der BRD, Heidetraud Zierl auszutauschen oder freizukaufen, wurden von den DDR-Behörden lange Zeit blockiert. Als es dann endlich zu einer Einigung kam, wurde dennoch eine zermürbende Verzögerungstaktik praktiziert, sodass die Autorin letztlich in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in Berlin flüchtete und erst danach mit ihren Kindern ausreisen durfte. Heidetraud Zierl berichtet davon, wie es zu dem Zerwürfnis zwischen ihr und dem Regime kam, das in vollständiger Überwachung endete und über 5.000 Aktenseiten hervorbrachte, von den angewandten Methoden, die sie zur Linientreue zwingen sollten, vom bis heute nicht geklärten Tod ihres Mannes und von der Trennung von ihren Kindern, mit denen sie fortwährend erpresst wurde. Sie beschreibt die Haft in Hoheneck, einem berüchtigten DDR-Gefängnis, schildert Schikane, Folter, Zwangsarbeit und schließlich auch Flucht und Ausreise. Auch auf die Zeit nach der Wende wird eingegangen, wie die bundesdeutsche Justiz sich der Einfachheit halber auf die offiziellen DDR-Protokolle und Urteile stützt, ohne die Mitwirkung der Stasi näher zu untersuchen, und letztlich den Status des politischen Häftlings aberkennt, was zu Rückforderungen und Streichung von Renten, Sozialhilfe und Wohngeld führte. Heidetraud Zierl beschreibt ein schwieriges, ein anstrengendes und leidvolles Leben. Sie musste viel erdulden und hart kämpfen, für das Wenige, was sie wollte: Freiheit. Sie engagiert sich weiterhin für die Anerkennung der Opfer des DDR-Regimes und die Opferhilfe. Dieses Buch ist ein kleiner Beitrag zur Aufklärung über die Verhältnisse, die im ehemaligen Arbeiter- und Bauernstaat herrschten.

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Heidetraud Zierl

Politische Gefangene in der DDR

Copyright: © 2014 Heidetraud Zierl

Lektorat, Umschlag & Satz: www.buchlektorat.net

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, er ist nur fern.

Inhalt

Vorwort

Kindheit

Jugend in der DDR

Die glücklichen Jahre

Die ruhigen 70er-Jahre

Das Netzwerk der Stasi

U-Haft in Erfurt

Gefängnisaufenthalt in Hoheneck

Freilassung und Zwangsarbeit

Aberkennung als politischer Häftling

Fazit

Schreiben an das Landesamt

Die Autorin

Vorwort

Nach über 30 Jahren Überlebenskampf in Ost und West ist Heidetraud Zierl heute in der Lage, über ihre schlimmen Erlebnisse, insbesondere im DDR-Zuchthaus Hoheneck, zu berichten.

Dieses Buch soll kein Rachefeldzug sein, sondern dient in erster Linie als Mahnung dazu, dass sich solche Grausamkeiten niemals wiederholen dürfen. Leider leben die Kerkermeister von damals auch heute noch unbehelligt unter uns. Daher muss der Kampf gegen Vergessen, Unterdrückung und Folter noch weitergehen!

Kindheit

Ich wurde 1948 in der DDR als jüngstes Kind geboren. Meine Jugend war sehr bescheiden, denn meine Eltern waren CSSR-Flüchtlinge. Ich sollte eigentlich ein Junge sein, war sehr wild und kein Baum oder Strauch waren vor mir sicher. Ich hatte zwei Geschwister – einen Bruder und eine Schwester. Meine Eltern waren sehr arm, sie schufteten, um ein Grundstück zu bearbeiten. Sie waren die besten Eltern – Vorzeige-Eltern.

Familie Zierl mit Töchtern Heidetraud (vorne) und Anneliese

Ich bin gut behütet, mit Pferden und vielen Tieren aufgewachsen, aber auch mit viel Arbeit am Wochenende: Garten, Kleinholz machen, Kohle in den Keller schaufeln … Die Tiere musste ich täglich noch vor der Schule versorgen. Geschlachtet haben wir auch und im Winter wurden Gänsedaunen gesammelt, für die Betten.

Die ausgelassene Kindheit mit den Tieren und der vielen Arbeit war trotz der Armut großartig und ich hatte viel Spaß. Ich habe auch wilde Katzen in der Scheune meiner Eltern aufgezogen.

Ich hatte erfahren, dass mein Bruder im Westen sei, aber wusste noch nicht, was Freiheit und Stacheldraht waren. Wenn ich geahnt hätte, was mir Unmenschliches widerfahren würde, wäre ich schon damals zu meinem Bruder in den Westen geflüchtet. Schläge und Tritte in Bauch, Kopf und Rücken, das hätte ich in meinem Elternhaus nie erfahren – außer vielleicht mal einen Klaps auf den Po, weil ich fast ins Eis an der Leine eingebrochen wäre. Meine Eltern hatten nämlich Angst gehabt, dass ich ertrinken würde – mein Bruder hatte mir aus dem Western Schlittschuhe geschickt. Das war etwas ganz Besonderes.

Er hatte es sehr schwer. Mit 18 Jahren ist er in den Westen geflohen und hat dabei Erfolg gehabt. Er bekam in Bielefeld in einer Fabrik eine gut bezahlte Arbeit und konnte uns daher alle vier Wochen ein Paket mit Kakao, Butter, Kaffee oder Ähnlichem schicken. Die Pakete kamen zerfleddert und kaputt an, alles zerrissen. Da wollte ich schon als Kind zu meinem Bruder. Er war bereit mich mitzunehmen, mich über die Grenze zu schmuggeln – versteckt in seinem Auto, aber …

Ich hätte gerne eine Ausbildung als Schauspielerin gehabt, aber meine Eltern ließen das nicht zu. Onkel Otto wollte mich auch haben. Er war Makler, aber meine Mutter gab mich nicht her. Ich bin im Waisenhaus bei den Nonnen in den Kindergarten gegangen und habe die Grundschule mit einem guten Abschluss absolviert, bin allgemein streng katholisch aufgewachsen, habe die Kommunion bekommen – die Jugendweihe nicht, die habe ich abgelehnt.

So fing alles an. Zu den Pionieren bin ich auch nicht gegangen. Ich habe am Ferienlager nicht teilgenommen und deshalb musste ich Appell machen, das war sehr streng. Mit Gruß, Hände hoch, sozialistischer Moral und Anstand. Einmal habe ich mich lächerlich gemacht, weil ich die Fahne an der Stange nicht hochbekam. Da hat man mir eine Strafe aufgebrummt –Kloputzen.

Als junges Mädchen hatte ich keine Erfahrung, weder in der Liebe noch in der Politik – mit nichts. Ich war so naiv, so unschuldig, ich glaubte nie an Böses, nur an das Gute. Meine Eltern haben mich so erzogen. Sie und mein Bruder waren meine Vorbilder. Meine Schwester hingegen war sehr gehässig und schuld an so manchem Elend.

Obwohl wir sehr arm waren und es ständig an Geld fehlte, haben meine Eltern aus dem Nichts einen bescheidenen Grundbesitz aufgebaut. Diese insgesamt heile Welt prägte meine Kindheit.

Als ich neun Jahre alt war wurde meine Mutter schwer krank. Ich musste nun den Haushalt versorgen, also die Rolle meiner Mutter übernehmen. Mein Vater war nicht zu Hause und musste als Berufskraftfahrer seinen Dienst leisten. So wurde ich frühzeitig selbstständig; das kam mir in späteren Jahren zugute.

Jugend in der DDR

Trotz der familiären Probleme war ich in der Schule sehr aufgeweckt. Meine schulischen Leistungen waren mehr als zufriedenstellend. Schon damals war ich als Klassensprecherin sehr aktiv und setzte mich für das Klassenkollektiv ein. Mein schauspielerisches Talent erhielt eine erste Bewährungsprobe, als ich in verschiedenen Märchen wie zum Beispiel Schneewittchen, Der Wolf und die sieben Geißlein und als Weihnachtsengel auftreten durfte. Also eine Karriere ohne Ecken und Kanten.

Aber die ersten Dissonanzen waren unverkennbar: katholisch erzogen, keine Jugendweihe, keine jungen Pioniere, kein Ferienlager. Also schon jetzt ein kleiner Außenseiter, zumal es sich bald herumsprach, dass mein Bruder Franz mit 18 Jahren in den Westen geflohen war. Da begann bereits die Sippenhaft. Schon in der Grundschule wurde ich eingeschüchtert. Ob ich Westkontakte zu meinem Bruder hätte, ob ich Pakete aus dem Westen erhalte … Mit solchen Fragen musste ich mich als kleines Mädchen von zehn Jahren auseinandersetzen, als der Direktor der Schule mich wiederholt zu einem persönlichen Gespräch in seinem Büro empfing.

Ansonsten war das Verhalten der Lehrerschaft als differenziert anzusehen. Nur zwei Lehrer mit SED-Abzeichen taten sich als Scharfmacher hervor, während die übrigen Lehrer eher gleichgültig waren.

In Staatsbürgerkunde bekam ich als Erstes die Repressalien zu spüren. Im Unterricht wurde gegen den kriegslüsternen Westen gehetzt. In meiner damals naiven Art versuchte ich dagegen zu steuern, denn durch meinen Bruder hatte ich vom Westen ein völlig anderes Bild erhalten. Also war ich in der Klasse die Einzige, die vor versammelter Mannschaft den Westen tapfer verteidigte – mit dem Ergebnis, das mich die Lehrer vor der ganzen Klasse bloßstellten. Ich würde gemeinsame Sache mit dem Klassenfeind machen. Ein Schüler, der Sohn von einem Major, schrie mich als Kapitalistin an. Da konnte ich nicht mehr. Ich fing an zu weinen. Daraufhin haben mich alle Schüler ausgelacht und mir den Stinkefinger gezeigt.

Beim nächsten Morgenappell war mir dann alles egal. Bei der Becherhymne, der DDR-Hymne, wurde bei mir aus Deutschland, einig Vaterland stattdessen Deutschland, einig Scheißland, was ich mit voller Inbrunst gesungen habe. Danach durfte ich als Erziehungsmaßname, alleine in der Aula, eine Stunde lang zur Besinnung kommen.

Unter den Schülern gab es eine Zweiklassengesellschaft: Schüler mit Westkontakten konnten ihre neuesten Errungenschaften aus den Westpaketen präsentieren, während die übrigen Schüler leer ausgingen. Das sorgte natürlich für Neid und Missgunst, was ich als Westlerin zu spüren bekam. So wurde einmal meine neue Westjacke gleich so richtig in Empfang genommen, indem sie zerrissen wurde. Auch in den Pausen ging der Kampf unter uns Schülern weiter. Dabei hatte der Majorssohn mich ganz besonders auf dem Kieker. Er zerrte mich ständig an den Haaren, wobei die Lehrer untätig danebenstanden. Lediglich einmal ging ein Sportlehrer dazwischen.

Mit 14 Jahren wurde der Druck immer größer; denn die FDJ wartete auf uns. Dem konnte ich mich nicht entziehen. Aber immerhin durfte ich bei einem Fanfarenzug mitspielen, was mir dann doch Spaß gemacht hat. Außerdem sollte ich bei einem Kabarett mitwirken, da man meine schauspielerischen Talente wohl erkannt hatte.

Der FDJ-Auftrag war klar und eindeutig: Kriegsverbrecher im Westen, Friedenswächter im Osten. Ich musste nun den Friedenswächter spielen, der den Westen schlecht machen sollte. Meine Reaktion war totale Ablehnung: „So etwas kann ich nicht spielen“. Doch man ging gnädig mit mir um. Als Gegenstück sollte ich eine Erzieherin spielen, um einigen (unbelehrbaren) Leuten das sozialistische Bewusstsein beizubringen. Daraufhin sagte ich ganz keck: „Ich möchte einen Fluchthelfer spielen, der DDR-Bürger in den Westen schleust!“ Das brachte nun das Fass zum Überlaufen. Ich wurde zum Rapport zum FDJ-Leiter gebracht. Seine Anschuldigung lautete, ich würde die kalten Krieger in der BRD fördern. Aber das war noch nicht alles! Ich wurde eine Woche lang von der Schule verwiesen. In dieser Zeit sollte ich einen Aufsatz über die positiven Errungenschaften in der DDR schreiben. In Absprache mit meinen Eltern habe ich dann die positiven Errungenschaften der DDR angepriesen, vergaß dabei aber nicht, dass man sich dabei anzupassen habe.

Nach diesen Ereignissen blieb es nicht aus, dass sich meine Schulnoten immer weiter verschlechterten. Insbesondere in Geschichte und Erdkunde konnte ich es nicht lassen und habe die mangelnde Freiheit thematisiert.

Trotz aller Widerstände habe ich meinen Abschluss in der zehnten Klasse geschafft.

Die glücklichen Jahre

Nach meiner Schulzeit begannen eigentlich die glücklichen Jahre in der DDR. Ich habe mich gleich um eine Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule in Babelsberg beworben. Da war ich gerade einmal 16 Jahre alt. Von zwölf ausgewählten Schülern bestanden nur sieben die Aufnahmeprüfung. Diese setzte sich aus Tanz, Mimik und Rollenspiel zusammen. Ich gehörte zu den Glücklichen! Für die weitere Schauspielkarriere war jedoch eine zusätzliche Berufsausbildung Voraussetzung. So musste ich erst einmal den Beruf der Säuglingsschwester mit Hauswirtschaft ergreifen.

Während meiner Ausbildung sollte ich die Parteischule der SED in Erfurt besuchen, wozu es nicht gekommen ist, weil ich mich dagegen sträubte. Diese Parteischule wäre auch für mein Weiterkommen als Schauspielschülerin sehr wichtig gewesen. Meine Eltern waren von meiner Entscheidung nicht gerade begeistert, fürchteten sie doch um meine Karriere. Trotzdem konnte ich die Schauspielschule in Babelsberg besuchen. Mein schauspielerisches Talent hatte wohl doch dazu beigetragen, dass sie mich auch ohne Weihen der Partei genommen haben. Das habe ich auch meinem Vater zu verdanken, der sich als Aktivist der ersten Stunde und als Verdienter Arbeiter des Volkes sehr für mich einsetzte.