Politisches Framing - Elisabeth Wehling - E-Book

Politisches Framing E-Book

Elisabeth Wehling

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Beschreibung

Politisches Denken ist bewusst, rational und objektiv – davon sind viele Menschen überzeugt. Doch die moderne Neuro- und Kognitionsforschung hat die ›klassische Vernunft‹ längst zu Grabe getragen. Nicht Fakten bedingen politische Entscheidungen, sondern kognitive Deutungsrahmen, in der Wissenschaft Frames genannt. Dieses Buch deckt auf, welche Frames unsere politischen Debatten bestimmen, und gewährt überraschende Einblicke in unser kollektives politisches Denken.

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Politisches Framing

Die Autorin

Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, leitet seit 2013 am International Computer Science Institute in Berkeley Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung. Sie lebt in Berkeley, Kalifornien, und ist in den USA und Europa als Beraterin für Politik und Wirtschaft tätig.

Das Buch

Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merken. In der Kognitionsforschung ist man sich daher schon lange einig: Sprache ist Politik. Höchste Zeit also, unsere Naivität gegenüber der Bedeutung politischer Sprache abzulegen.

Elisabeth Wehling

Politisches Framing

Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Oktober 2018 © Herbert von Harlem Verlag, 2016 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München, nach einer Vorlage von Prisma / Mike Espenhain Titelabbildung: © Prisma / Mike Espenhain Autorenfoto: © Eleonora Palmieri E-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-8437-1857-8

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

 

Vorwort:Sprachliche Frames bestimmen unser Denken

Anfangsbetrachtung:Unsere Demokratie hinkt der kognitiv-neuronalen Aufklärung hinterher

Teil EinsDemokratie im Gehirn: Die sprachlichen Sockel politischen Denkens und Handelns

Kapitel EinsWir tun ununterbrochen so, als ob: Wie wir Sprache begreifen

Kapitel ZweiWie Sprache die Geschicke unserer Nation lenkt: Politisches Framing

Kapitel DreiWie Politik greifbar wird: Konzeptuelle Metaphern

Teil ZweiVon gejagten Bürgern zu gefälligen Wetteraussichten: Ausgewählte Frames unserer politischen Debatte

Einführung zu Teil Zwei

Kapitel VierVon viel Leid und wenig Freud: Steuern

Kapitel FünfDer gedankliche Abbau unseres Gemeinschaftssinns: Sozialstaat

Kapitel sechsStark, reicher, am besten!: Gesellschaft

Kapitel SiebenVon den Privilegierten, die kränkelnd in der Falle sassen: Sozialleistungen

Kapitel AchtGeben ist seliger denn nehmen: Arbeit

Kapitel NeunErlaubt, aber nicht vergönnt: Abtreibung

Kapitel ZehnDie berechtigte Panik vor den neuen Proto-Muslimen: Islam und Terrorismus

Kapitel ElfKein Platz für kranke Passagiere: Zuwanderung und Asyl

Kapitel ZwölfEin wenig Wandel und viele abgenutzte Energien: Umwelt

Schlusswort: Demokratie heißt auch, Werte zu begreifen und sprachlich umzusetzen

Literatur

Nachwort zur aktualisierten Neuauflage

Anhang

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorwort:Sprachliche Frames bestimmen unser Denken

Weitere Stimmen zum Buch

»In den USA wird Framing spätestens seit Barack Obamas Wahlkampf 2008 als Geheimrezept für gelungene Kampag­nenführung gehandelt, und Wehling und Kollegen gelten als Framing-Docs der progressiven Politikszene. Jetzt hat sie ein Standardwerk für Deutschland geschaffen – erhellend und unterhaltsam.«

Christina Endruschat, USA-Korrespondentin RTL

»Ein fulminantes Plädoyer für die Revitalisierung unserer politischen Sprache – und unserer Demokratie. Pflichtlektüre nicht nur für unsere oft ›sprachvergessene‹ Politik, sondern für alle, die verstehen wollen, wie Alltagssprache, PR und Propaganda unser Denken und unsere gesellschaftliche Wirklichkeit prägen.«

Dr. Leonard Novy, Ko-Direktor Institut für Medien- und Kommunikationspolitik

»›Leistungsträger‹, ›Steuerasyl‹, ›Flüchtlingswelle‹ – in unseren Diskursen reiht sich ein metaphorisches Sprachbild an das nächste, mit immensen Auswirkungen für unser Begreifen politischer Handlungsaufträge. Neben der Analyse wichtiger Schlagwörter gibt Elisabeth Wehling eine auch für den Laien verständliche Einführung in die Theorie des Framing – das war lange überfällig.«

Albrecht Müller, Herausgeber NachDenkSeiten, Autor von Meinungsmache und Wahlkampfmanager Willy Brandts

»Elisabeth Wehling zeigt in einer auch für Nicht-Fachleute verständlichen Diktion, welche Bedeutung die Erkenntnisse der Kognitionswissenschaften und Kognitiven Linguistik für die Analyse politischen Denkens und Handelns haben. Sie zeigt, dass politische Schlüsselwörter Frames, d. h. komplexe Wissens- und Bedeutungsstrukturen, hervorrufen, die unsere Weltsicht prägen. Dies wird in Wehlings Studie an zahlreichen aktuellen Fallbeispielen illustriert und erhärtet. Ein faszinierendes Buch, das eine große Leserschaft verdient!«

Prof. Dr. Klaus-Uwe Panther, Amerikanistik Institut Universität Hamburg

»Dieses Buch liest sich wie das Making-Of der jüngsten europäischen Debatten. Ob Flüchtlingskrise oder Klimawandel – Sprache konstruiert Wirklichkeit und ›macht‹ Politik. Elisabeth Wehling zeigt eindrucksvoll, wie Framing unser Denken steuert, und welche Rolle Medien- und Politikschaffende dabei spielen, ob in Brüssel, Berlin oder Washington. Eine faszinierende Lektüre für alle, die verstehen wollen, warum eine Gesellschaft denkt, wie sie denkt.«

Dr. Stefan Leifert, ZDF-Korrespondent Europastudio Brüssel

»Noch immer unterschätzen Deutsche die Macht von Sprache. Elisabeth Wehling, Europas führende Expertin zu political framing, leistet mit diesem Buch Pionierarbeit: Sie erklärt, warum Sprache hochpolitisch ist. Unbedingt lesen, gerade in diesen bewegten Zeiten.«

Dr. Gregor Peter Schmitz,Leiter Hauptstadtbüro WirtschaftsWoche

»Eine exzellente Einführung in die neuro-kognitiven Grund­lagen von Politik und Ideologie, für interessierte Laien und die Forschung gleichermaßen relevant.«

Prof. Dr. Irene Mittelberg, rwth Aachen

Vorwort:Sprachliche Frames bestimmen unser Denken

Elisabeth Wehling ist in Deutschland zumeist jenen bekannt, die sich aufgrund ihrer Arbeit besonders für Sprache interessieren, genauer für das Verhältnis der Sprache zur sozialen Wirklichkeit. Nun hat die aus Hamburg stammende Autorin ein Standardwerk für die breite deutsche Leserschaft verfasst. Dass sie dieses Buch in Kalifornien (Berkeley) schreibt, wo sie lebt und forscht, erweist sich als Vorteil, denn auf dem spannenden Gebiet der Kognitionsforschung ist man in Kalifornien, der Geburtsstätte dieser Wissenschaft, viel weiter als in Europa. Und so erweist sich: Nicht alles, was über den Atlantik zu uns herüberweht, verdient unser Misstrauen.

Es ist ja nicht so, dass wir erst denken und dann versuchen, dieses Denken in Worte zu fassen. Wir denken schon in unserer Sprache, und diese Sprache, in der wir denken, kennt bestimmte Frames. Im Oxford-Duden sind für ›frame‹ die deutschen Bezeichnungen ›Rahmen‹, ›Gestalt‹ und ›Gerüst‹ angegeben. So ist beispielsweise der Begriff der ›Steuer‹ eingebunden in einem Rahmen, der, meist durch Metaphern, seine Bedeutung, seinen Klang in der Gesellschaft bestimmt. Zu diesem Rahmen gehört unter anderem der Begriff ›Steuerlast‹. Wir haben also eine Last zu tragen – welche, bestimmen die Gesetze. Es gibt Steueroasen, wo man der Steuer entkommt, aber rundherum ist eben die Wüste, in der man Steuer bezahlt. Dass wir die Steuer berappen, damit wir auf guten Straßen Auto fahren können und damit unser Bundesland Lehrer für unsere Kinder bezahlen kann, ist bei diesem Frame ausgeblendet. Daher ist Steuererleichterung immer gut: weniger Last.

Und nun wurden in Amerika wegweisende Versuche gemacht, die beweisen, wie stark Frames nicht nur unser Denken, sondern auch unser Fühlen, unser Werten, unser Handeln bestimmen. Und Elisabeth Wehling hat die Methoden, die sie in Kalifornien lehrt, auf unseren deutschen Wortschatz angewandt. Sie hat es mit einem erstaunlichen pädagogischen Geschick getan. Wir lernen gerne bei ihr.

Dass hier ein politisches Buch entstanden ist, hat damit zu tun, dass die Autorin nicht verheimlicht, welche Wertung sie für angemessen, welche sie von welchen Interessen bestimmt sieht, welcher Frame sogar bewusst konstruiert sein könnte.

Ein politisches Buch ist auch deshalb entstanden, weil Elisabeth Wehling selbst sehr klare Vorstellungen davon hat, was einer Gesellschaft gut tut und was nicht. Sie zeigt auf, wie manchen Themen durch Schlüsselwörter ein Frame verpasst worden ist, der sie den dominierenden Interessen gefügig macht.

Wichtig ist dieses Buch aufgrund seiner Methode: Wer nicht aus dem Frame einer Behauptung ausbricht, kann widersprechen, so lange und so laut er will, er wird nur den Frame bestätigen. Nicht nur politisch Tätige können lernen, sich einiges zu ersparen.

Der größte Erfolg dieses Buches wäre, wenn der eine oder die andere unter den Lesern nach seiner Lektüre die eigene Wahrnehmung und Sprache nachhaltig hinterfragen und sich kritisch mit scheinbar allgemeingültigen Frames auseinandersetzen würde.

Erhard Eppler, Frühjahr 2016

Erhard Eppler (SPD) war 6 Jahre lang, von 1968 bis 1974, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Entwicklungshilfe) und eine der herausragenden Persönlichkeiten der Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Er beteiligt sich bis heute an der politischen Diskussion, ist Autor zahlreicher Bücher, z.B. über die Sprache der Politik (Kavalleriepferde beim Hornsignal, Suhrkamp), und gilt als einer der politischen Vordenker Deutschlands.

Anfangsbetrachtung:Unsere Demokratie hinkt der kognitiv-neuronalen Aufklärung hinterher

Menschen sind rationale Wesen. Sie können vernunftgesteuert handeln. Legt man nur alle relevanten Fakten auf den Tisch, können sie diese objektiv gegeneinander abwägen und entscheiden, was zu tun ist – ob beispielsweise ein politisches Vorhaben unterstützt werden soll oder nicht. So denken viele Menschen, so haben wir es gelernt – und so geistert es noch heute über die Flure der Parteizentralen und Medienredaktionen. Doch mit dieser Vorstellung hinken wir den Erkenntnissen der Neuro- und Kognitionsforschung hinterher und verfehlen die Chance, einen wirklich transparenten demokratischen Diskurs zu führen. Wieso?

Weil in politischen Debatten nicht Fakten an und für sich entscheidend sind, sondern gedankliche Deutungsrahmen, in der kognitiven Wissenschaft Frames genannt.

Frames werden durch Sprache im Gehirn aktiviert. Sie sind es, die Fakten erst eine Bedeutung verleihen, und zwar, indem sie Informationen im Verhältnis zu unseren körperlichen Erfahrungen und unserem abgespeicherten Wissen über die Welt einordnen. Dabei sind Frames immer selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere unter den Tisch fallen. Frames bewerten und interpretieren also. Und sind sie erst einmal über Sprache – etwa jener in öffentlichen Debatten – in unseren Köpfen aktiviert, so leiten sie unser Denken und Handeln an, und zwar ohne dass wir es merkten.

Es ist höchste Zeit, unsere Naivität gegenüber der Bedeutung von Sprache in der Politik abzulegen. Dieses Buch legt dazu den Grundstein. Teil I gibt eine Einführung in die Grundlagen politischen Framings. Teil II wendet sich einigen der gängigsten und augenfälligsten Frames unserer politischen Debatten zu – und gewährt erstaunliche Einsichten in unser kollektives politisches Sprechen und Denken.

Teil EinsDemokratie im Gehirn: Die sprachlichen Sockel politischen Denkens und Handelns

Kapitel EinsWir tun ununterbrochen so, als ob: Wie wir Sprache begreifen

Wie begreift der Mensch eigentlich Sprache, und wie wirkt sie sich auf unser Denken und Handeln aus? Was passiert in unseren Köpfen, wenn wir miteinander reden, morgens beim Frühstück die Zeitung lesen, auf dem Weg zur Arbeit eine Radiosendung hören und im Vorbeifahren am Straßenrand aufgestellte Wahlplakate überfliegen?

In Worten steckt viel mehr, als wir in der Regel glauben. Um Worte zu begreifen, aktiviert unser Gehirn ganze Vorratslager abgespeicherten Wissens – zum Beispiel Bewegungsabläufe, Gefühle, Gerüche oder visuelle Erinnerungen – und simuliert diese Dinge gedanklich, um linguistischen Konzepten eine Bedeutung zuschreiben zu können. Außerdem stecken in einzelnen Worten viel mehr Informationen, aktivieren einzelne Worte viel mehr Wissen und Ideen in unserem Kopf, als die meisten von uns meinen.

Und nicht nur das. Sprache hat einen immensen Einfluss auf unsere Wahrnehmung. Sie kann der Dreh- und Wendepunkt unseres Denkens und Handelns sein. Sprache bestimmt, wie wir unsere Umgebung und andere Menschen wahrnehmen, und mit welcher Leichtigkeit Informationen und Fakten von unserem Gehirn registriert werden. Und sie wirkt sich direkt auf unser Handeln aus – zum Beispiel auf unsere Körperbewegung und unser soziales Verhalten.

Eins.EinsRezipienten sind Nachahmer: Kognitive Simulation

Wann immer unser Gehirn Worte und Ideen verarbeitet, aktiviert es dazu Wissen und Sinnzusammenhänge aus vorangegangenen Erfahrungen mit der Welt. Dazu gehören Bewegungsabläufe, Gefühle, taktile Wahrnehmung, Gerüche, Geschmäcke und vieles mehr. Kurzum: Wir begreifen Worte, indem unser Gehirn körperliche Vorgänge abruft, die mit den Worten assoziiert sind. In der Kognitionswissenschaft fällt dieses Phänomen in den Bereich der Embodied Cognition, auf Deutsch ›verkörperlichte Kognition‹ (siehe z.B. Barsalou 2008, 2009; Lakoff/Johnson 1999; Niedenthal et al. 2005).

Ein einfaches Beispiel verdeutlicht schnell, was gemeint ist. Wenn Sie hier das Wort ›Hammer‹ lesen und ich frage: ›Was denken Sie jetzt?‹, so werden Sie problemlos eine ganze Reihe von Assozia­tionen und Gedanken auflisten können: ›Werkzeug‹, ›hämmern‹ oder auch ›den Nagel auf den Kopf treffen‹. Wer kürzlich auf dem Jahrmarkt war, dem mag als erstes ›Hau den Lukas‹ in den Kopf schießen, und wer sich beim Heimwerkeln schon einmal kräftig mit dem Hammer auf den Daumen geschlagen hat, listet vielleicht ›blauer Daumen‹ als erste Assoziation auf. All diese Gedanken sind bewusst, und zwar in dem Sinne, dass wir sie ohne Probleme benennen können.

Nicht bewusst ist uns, dass unser Gehirn automatisch auch einen Bewegungsablauf plant, während wir das Wort ›Hammer‹ lesen – nämlich das Handhaben eines Instrumentes wie dem Hammer. In unserem Gehirn gibt es einen Bereich, der für das Planen von Bewegungen zuständig ist, prämotorisches Zentrum genannt. In diesem Bereich – und auch in anderen Bereichen, die mit dem gedanklichen Vorbereiten oder Ausführen von Handlungen zu tun haben – feuern, wenn wir Worte wie ›Hammer‹ lesen, neuronale Schaltkreise, die berechnen, was es bedeuten würde, mit dem bezeichneten Objekt zu interagieren, in diesem Falle mit einem Hammer (Rueschemeyer et al. 2010). Dieses Simulieren von Bewegungen, die wir mit Objekten aufgrund unserer Erfahrung assoziieren, ist Teil des Erfassens der Wortbedeutung.

Ein weiteres Beispiel: Lesen wir den Satz ›John tritt den Ball‹, so aktiviert unser Gehirn automatisch jenen Bereich des prämotorischen Zentrums, der für das Planen von Fußbewegungen zuständig ist. Lesen wir hingegen ›John beißt in den Apfel‹, werden Schaltkreise aktiv, die unsere Mundbewegungen planen. Und lesen wir ›John greift nach der Gabel‹, werden jene Areale aktiviert, die für die Bewegung der Hände nötig sind. Wir begreifen also die Bedeutung des jeweiligen Verbes, des ›Handlungswortes‹, indem unser Gehirn die mit den Worten verbundenen Handlungen simuliert (siehe z.B. Hauk/Pulvermüller 2004; Pulvermüller 2001, 2002; Tettamanti et al. 2005; Desai et al. 2010).

Ich habe es oben schon gesagt – indem unser Gehirn Worte und Ideen berechnet, simuliert es nicht nur Bewegungsabläufe, sondern auch anderes abgespeichertes Wissen wie Gefühle, Tastsinn, Gerüche und Geschmäcke. Nehmen wir Gerüche und Geschmäcke als zwei weitere Beispiele: Lesen Probanden Worte, die stark mit Gerüchen assoziiert sind, wie ›Knoblauch‹, ›Jasmin‹ oder auch ›Zimt‹, so werden im Zuge der Sprachverarbeitung jene Regionen im Gehirn aktiviert, die auch beim Riechen aktiv sind (Gonzalez et al. 2006). Und liest man das Wort ›Salz‹, aktiviert das Gehirn diejenigen Areale, die für das Schmecken zuständig sind (Barros-Loscertales et al. 2012).

Und nicht zuletzt wird das schiere Begreifen von Lauten, wie beispielsweise ›i‹ oder ›o‹, über kognitive Simulation gesteuert. Indem wir Laute hören, simuliert unser Gehirn solche Zungenbewegungen, die mit der eigenen Produktion entsprechender Laute einhergehen würden. Anders formuliert: Wir begreifen, was einer sagt, indem unser Gehirn so tut, als würden wir selbst es sagen (siehe z.B. Fadiga et al. 2002).

Wie wichtig kognitive Simulation für unsere Sprachverarbeitung ist, zeigt sich deutlich in den Situationen, in denen sie zum Problem wird.

Das ist zum einen der Fall bei Patienten mit Hirnschäden oder das Gehirn betreffenden Krankheiten wie Parkinson. Wer beispielsweise durch Hirnschlag oder Krankheit solche Verletzungen erlitten hat, die das prämotorische Zentrum und andere motorischer Regionen betreffen, dem fällt es schwerer, Worte zu begreifen, die mit Handlungen zu tun haben – denn die Simulation der implizierten Bewegungen im Gehirn ist gehemmt (siehe z.B. Arevalo/Baldo/Dronkers 2010; Bak et al. 2001, 2006). Und Patienten mit Parkinson, das die Funktion der motorischen Regionen im Gehirn beeinträchtigt, fällt es besonders schwer, Handlungsworte zu begreifen, während sie Nomen weiterhin gut verstehen (Boulenger et al. 2008). Aber nicht nur das: Auch wenn man bei gesunden Probanden motorisch relevante Gehirnregionen zeitweise durch TMS (transkranielle Magnetstimulation) außer Kraft setzt, resultiert dies in einem kompromittierten Begreifen von Verben, die Hand- und Fußbewegungen implizieren (Pulvermüller et al. 2005).

Zum anderen wird kognitive Simulation zum Problem, wenn sie im Widerspruch zu tatsächlichen Körperbewegungen steht. Wenn man beispielsweise das Wort ›ziehen‹ liest und zugleich eine Tür aufdrücken will, sieht sich das Gehirn mit einem Male einem motorischen Entscheidungskonflikt gegenüber. Einerseits muss es eine Ziehbewegung simulieren, der sprachlichen Sinnzuschreibung zuliebe. Andererseits muss es eine Drückbewegung planen, zugunsten der tatsächlichen Handlungsintention.

Dieser motorische Konflikt lässt sich auch in Experimenten gut beobachten, so zum Beispiel in diesem: Man instruierte Probanden, einen Hebel vom eigenen Körper weg zu bewegen. Zeitgleich wurde ihnen über Kopfhörer ein Satz vorgelesen. Soweit die Probanden im Bilde waren, hingen die beiden Dinge nicht weiter miteinander zusammen. Und nun passierte Folgendes: Spielte man den Probanden den Satz ›Dugibst Andy eine Pizza‹ vor, so führten sie die angewiesene Bewegung weg vom eigenen Körper problemlos aus. Spielte man ihnen hingegen den Satz ›Andy gibt Dir eine Pizza‹ vor, so geriet die Bewegung ins Stocken (Glenberg/Kaschak 2002). Den Probanden fiel es auf einmal schwerer, eine Bewegung weg vom eigenen Körper auszuführen, denn die gehörte Bewegung stimmte mit der auszuführenden nicht länger überein! Und dieses Phänomen lässt sich nicht nur beim Begreifen von Verben, sondern auch beim Begreifen von Nomen beobachten. So erkennen Menschen Gegenstände dann besonders schnell, wenn sie zeitgleich eine mit dem Gegenstand aufgrund ihrer Welterfahrung assoziierte Bewegung ausführen – Probanden ordnen beispielsweise einen Wasserhahn schneller gedanklich ein, wenn sie zugleich mit der Hand eine Drehbewegung ausführen (Barsalou 1999).

Kognitive Simulation, als ein zentraler Teil der Embodied Cognition, ist also das gedankliche ›Nachahmen‹ von Gehörtem oder Gelesenem aufgrund unserer zuvor gesammelten und im Gehirn abgespeicherten Erfahrungen mit der Welt. Und sie ist ein Eckpfeiler unserer Sprachkompetenz.

Eins.ZweiAuf und ab gehört: Simulation in der Sprachverarbeitung

Wir simulieren also, was wir hören oder lesen, um es zu verstehen. Dieser Prozess ist wichtig, um Worte zu begreifen. Und er zeigt sich unter anderem darin, was wir ganz automatisch tun, indem wir Sprache verarbeiten. Zum Beispiel darin, wohin wir blicken, wenn wir Sätze lesen, die Orte bezeichnen.

Stellen Sie sich zur Veranschaulichung einmal vor, Sie würden jetzt gerade Kopfhörer tragen, über die man Ihnen einen Text vorspielt. Während Sie den Text hören, schauen Sie gedankenverloren aus dem Fenster auf eine gegenüberliegende Hauswand. Sie hören zwei Sätze:

Der Mann im fünften Stock war dabei, seine Hemden zu bügeln.

Der Mann im ersten Stock war dabei, seine Hemden zu bügeln.

In beiden Sätzen gibt es einen Protagonisten, der Hemden bügelt. Der einzige Unterschied liegt darin, dass sich dieser Pro­tagonist im ersten Satz weiter oben, und im zweiten Satz weiter unten im Gebäude aufhält.

Und nun wäre Folgendes geschehen, indem Sie die beiden Sätze hörten: Sie hätten bei dem Ausdruck ›fünfter Stock‹ Ihren Blick auf der gegenüberliegenden Hauswand automatisch und völlig unbewusst nach oben wandern lassen. Bei ›erster Stock‹ hingegen wäre Ihr Blick an der Hauswand hinabgeglitten.

Weshalb? Nun, um die Bedeutung der Worte zu begreifen, simuliert Ihr Gehirn die implizierte Verortung.