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Die meisten Menschen wünschen sich eine gute Polizei. Sie fordern damit eine moderne, wirksame und angepasste Organisation und eine optimale Ausbildung für einen Beruf, der zu den schwierigsten und anspruchsvollsten gehört. Es ist nicht damit getan die Polizei und Rechtsgebiete zu erlernen. Die vielfältigen Aufgaben und Anforderungen der modernen Zeit erfordern eine unüberschaubare Menge an sehr speziellen Zusatzqualifizierungen. Dieses Buch beschreibt davon einen Teil, der normalerweise nicht beachtet wird. Mit anderen Worten: Sie finden hier ein zweites Curriculum mit Inhalten, die die Effizienz, die Bürgernähe, die Sicherheit und letztlich auch die Arbeitszufriedenheit erheblich verbessern können. Damit sind Voraussetzungen beschrieben, die es dem einzelnen Beamten und der einzelnen Beamtin ermöglichen, berufliche Zufriedenheit und eine beeindruckende und außergewöhnliche Berufsqualität zu erlangen.
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Seitenzahl: 185
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Lothar Röhrig, 1946 in Hamm geboren, machte eine Lehre als Buchdrucker, studierte Verwaltungsrecht und später Psychologie. 1996 promovierte er an der Universität Essen. Er absolvierte zahlreiche Ausbildungen, unter anderem in den Bereichen Verhaltenstraining, Konflikt- und Problemmanagement, Stressbewältigung, Supervision Er arbeitete unter anderem als Psychologielehrer, Trainer, QMA, QMB, Supervisor, Dozent, Mediator, Coach und Therapeut. Seit 1994 war er als Qualitätsmanager bei der Polizei Nordrhein-Westfalen tätig. Zurzeit arbeitet er als Berater, Therapeut, Mediator und Konfliktmanager.
Widerstand und Gewalt gegen die Exekutive
Sicherheitsgefühl als Teil eines Vertrages
Prozent- Sharing
Effizienzsteigerung und Identifikationsstärkung durch Personalrotation
Geschwindigkeit ist Hexerei
Sinnhaftigkeit von Geschwindigkeitskontrollen
Gewalt, eine nicht ausschlagbare Erbschaft?
Klarheit über Gewalt, Macht und Aggression
Ein Beruf kann Dich niederwerfen wie eine schwere Krankheit
Krankheitsbilder und Störungen im Beruf
In Arbeitszufriedenheit investieren bringt den größten Profit
Etwas über die wichtigste und missachtete Zukunftsressource.
Qualitätsmanagement bei der Polizei?
Grundsätze des Qualitätsmanagements
Anforderungen an Einsatzkommunikation
Modelle und Grundlagen
Fehler beim Einschreiten
Ungewohnte Sichtweisen, lohnende Qualitätsverbesserung
Übung und Training reaktiver Handlungskompetenz
Es geht viel mehr, als wir denken.
Es gibt viele Gewalt- und Aggressionstheorien. Sie beschreiben Ursachen, die in der Person liegen, die sich aus der Situation ergeben und solche, die mit Erziehung und Kultur zusammenhängen. Es gibt aber eine relativ unbekannte Ursache, die mit der Ausprägung des Sicherheitsgefühls zusammenhängt. Es soll hier nur dieser Teil dargestellt werden.
Dazu müssen wir uns zunächst daran erinnern, dass Führungs- und Herrschaftsansprüche seit Jahrtausenden angemeldet werden. Dieses alte Motiv für und über andere bestimmen zu wollen, hat seine Hauptwurzel im angeborenen Dominanzstreben und der damit verbundenen höheren Genfitness. Mit anderen Worten, Könige, Fürsten und andere Führer haben immer bessere Möglichkeiten gehabt, für sich und ihren Nachwuchs zu sorgen. Deshalb ist es kein Wunder, die meisten Menschen wollen Chef sein. Das hat nur einen unangenehmen Nachteil: Die anderen „Bewerber“ müssen überzeugt werden, dass es besser für sie ist, sich unterzuordnen. Die erfolgreichste Strategie ist dabei, zu drohen und Versprechungen zu machen. Deshalb werden attraktive Dinge versprochen, wenn sich die anderen unterordnen und Böses wird geschehen, wenn die Unterordnung abgelehnt wird. Es hat sich nicht geändert. Das ist auch heute noch die Hauptstrategie der Politiker. Sie drohen, schimpfen und versprechen. Und tatsächlich fügen sich die allermeisten Menschen und „unterwerfen“ sich freiwillig. Sie glauben den Versprechungen und wollen in Sicherheit leben und angstfrei ihre Fähigkeiten und Kreativität ausleben. Sie gehen, wenn man so will, einen Vertrag ein:
Ich unterwerfe mich – dafür sorgst du für Sicherheit und Angstfreiheit.
Ich ordne mich unter, werde dafür aber vor Unheil beschützt. Damit hat die Polizei direkt etwas zu tun. Man kann leicht erkennen, dass das viel beschworene „Sicherheitsgefühl des Bürgers“ kein Modegeck oder nur das Ziel des Ministeriums ist, es ist unauflösbare Vertragsbedingung. Es entscheidet über Akzeptanz und Widerstand. Eine Polizei, die den Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat, wird hilflos und unwirksam. Das sollte Jedem klar sein. Denn wenn dieser Vertrag einseitig nicht eingehalten wird, also das Sicherheitsgefühl subjektiv nicht ausreicht, wird auch die freiwillige Unterordnung in Frage gestellt. Zunächst mehrt sich der Unmut über vermeintliche Untätigkeit. Dann werden Maßnahmen kritisiert, diskutiert und immer häufiger nicht mehr akzeptiert und endlich sogar Einsatzkräfte behindert, beschimpft und angegriffen. Leider kann die Exekutive nur einen Teil des Sicherheitsgefühls beeinflussen. Sie können Präsenz zeigen, sich offensiv anbieten und helfen (also nicht aus Überlastung abwimmeln). Die Aufklärung der Bevölkerung und eine zielgerichtete Öffentlichkeitsarbeit haben eine wichtige Sonderrolle. Es fühlen sich z.B. viele Gruppen unsicher, die statisch gesehen gar keinen Grund dazu hätten usw. Der Rest ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, bei der die Polizei wenig ausrichten kann.
Damit nicht genug:
Vergessen haben wir bei dieser Betrachtung noch die Menschen, die sich von vornherein nicht unterordnen wollten. Sie vertrauen nicht, müssen aber sehr konkret damit rechnen, dass ihnen jetzt auf verschiedenen Ebenen Gewalt, Aggression und Sozialisationsbemühungen entgegentreten, auch von Seiten der Polizei. Das kann bis zu offenem Hass gehen. Sie misstrauen jedem staatlichen Handeln und versuchen auch Widerstand gegen polizeiliche Maßnahmen zu leisten.
Jeder Polizist weiß es, auch Menschen mit positiven Einstellungen zur Staatsgewalt schwenken sehr schnell um, wenn die Maßnahmen sich gegen sie persönlich richten. Das ist psychisch gesehen ziemlich normal: „Ich bin ja der Gute, deshalb soll die Polizei sich gegen die wirklichen Störenfriede wenden.“ In solch einem Fall hilft nur sehr kompetente Einsatzkommunikation
1
.
Die Polizei soll die Staatsgewalt vertreten und notfalls auch anwenden. Dabei wäre es sehr klug, daran zu denken, dass jede Gewaltanwendung einen
völlig natürlichen
Widerstand auslöst. Die Behinderung von Verhaltensbedürfnissen frustrieren jeden Menschen. Die meisten sind aber durch ihre Erziehung zur Zurückhaltung angehalten. Wir wissen aber alle, dass das immer weniger funktioniert. Die neuen Generationen haben viel weniger Hemmungen, den aufkommenden Unmut und Frust zu kontrollieren. Der Unmut richtet sich aber nicht gegen den Staat oder die Polizei (auch nicht persönlich gegen den einschreitenden Polizeibeamten), sondern gegen den Zwang der Maßnahme.
In Anbetracht der aktuellen Terrorlage fragen sich viele Menschen, wie es zu so viel Grausamkeit und Gefühllosigkeit z.B. bei den IS-Leuten kommen kann. Das ist eine sehr schwierige Frage, und die Antwort ist überaus kompliziert, aber im Lebenslauf und in dem Begriff Sicherheit zu suchen. Stark vereinfacht kann man sich schrittweise folgendes klarmachen: Zunächst muss ein Neugeborenes nach dem ersten Jahr ein sicheres Gefühl abgespeichert haben, dass es geborgen ist und keine Angst haben muss. Andernfalls wird es ein Urmisstrauen abspeichern und zukünftig so gut wie kein Vertrauen mehr in die Menschen und in die Gesellschaft investieren wollen. Solche Menschen können nicht delegieren oder geschehen lassen. Lebenserfahrene kennen das.
Bis zum 8. Lebensjahr muss beim Heranwachsenden das Gefühl entstanden sein, dass er so wie er ist, gewollt, geachtet und gewertschätzt wird. Leider ist das schon in unserem eigenen Kulturkreis nicht ausreichend gewährleistet. Nahezu die Hälfte aller „modernen“ Kinder empfinden in dieser Phase einen Mangel, der Langzeitschäden auslöst2. Sie hören immer wieder: „ Du bist nicht ok, ändere dich.“ Wer hat schon genau die Kinder, die man idealerweise haben möchte. Jemand, der aber irgendwann glaubt, dass er wirklich nicht richtig ist, also keine Sicherheit empfindet, sondern Angst und Unsicherheit, wird sich nicht ändern, sondern sich zurückziehen, verlogene Rollen spielen, um Zuneigung buhlen, destruktiv, egoistisch, gewalttätig und rücksichtslos werden und möglicherweise darüber nachdenken, Rache zu nehmen, andere zu dominieren, und ihnen die Schuld zu geben, sie für seine egoistischen Zwecke ausnutzen und Gewalt antun. Er wird mindestens so handeln, wie er behandelt worden ist. Mit anderen Worten:
Ablehnende Gewalt bringt neue Gewalt hervor.
Ablehnungen, Aggression und Verletzung warten auf Rache. Es entsteht ein gesellschaftsschädlicher Teufelskreis, den wir täglich beobachten können und leider auch immer mit Nahrung versorgen.
Ist in dieser Zeit und die Jahre danach die Ablehnung und Ausgrenzung dauerhaft sehr stark (durch eigenes Verhalten, auch durch Aussehen und zur Schau gestellten Gruppenzugehörigkeit und Religion) oder ist es aussichtslos, einen Beruf zu erlernen, einem Sinn nachzugehen, wird die damit verbundene tiefsitzende existenzielle Angst abgespalten und nicht mehr aktuell zugelassen. Trotzdem bleibt dieses resultierende Unsicherheitsgefühl bestehen und schlägt leider häufig in Aggression um.
Begierig wird dann jede Idee und Gelegenheit aufgesogen, eine außergewöhnliche Bedeutung zu haben oder auserwählt oder etwas Besonders zu sein. Verschiedene Ideologien bieten sich dafür an. Das Tragische ist, es erfüllt die latenten Bedürfnisse nahezu vollständig und das Unrechtsbewusstsein3 bleibt dabei weitgehend ausgeschaltet. Es ist ja alles für einen edlen Zweck. So sind unbeschreibliche und unmenschliche Grausamkeiten plötzlich möglich und kaum einer versteht es.
Über längere Zeit verändern sich sogar die „normalen“ Haltungen. Die Polizisten werden dann als die Banditen und Gegner wahrgenommen. Diskussionen und polizeiliche Interventionen sind ab dann völlig unsinnig, weil sie sogar das Gegenteil erreichen werden. Es muss deshalb alles vorher geschehen. Die Polizei ist leider mit im Boot, ob sie will oder nicht. Je eher wir begreifen und reagieren, desto besser wird die Zukunft. Wir werden sehen.
1Fehler beim Einschreiten von Polizeibeamten, -8. Kapitel
2 Verschiedene narzisstische Störungen entstehen so.
Eine sozialwissenschaftliche Fakultät hat zu einer Tagesveranstaltung mit dem Thema „Zeitgerechtes Personalmanagement“ eingeladen. Aus vielen Organisationen sind die Fortbilder und Personalmanager erschienen, um den Einzelvorträgen und Diskussionen zu folgen. Nach der Begrüßung gibt der Veranstalter einige Hinweise zum Programm und zeigt die ersten Ergebnisse des Teilnehmerfragebogens: „Neunzehn Prozent der Anwesenden haben angegeben, dass in ihrem Unternehmen eine Personalrotation durchgeführt wird, 42% denken über eine Einführung nach, 11% haben sie wieder abgeschafft und 28% haben eine ablehnende Haltung“. Das ist eine gute Einleitung für den ersten Referenten. Ein Personalentwickler eines großen Konzerns berichtet über seine Erfahrungen mit der Personalrotation. Nachdem er die guten Leistungen seiner Abteilung und seines Unternehmens kurz dargestellt hat, berichtet er über ein Fünf- und über ein Drei-Jahres-Rotationsmodell für alle neuen Führungskräfte. Auf verschiedenen Folien werden die subjektiven Erfahrungen der Neuen, die Meinungen und Bewertungen der Leitung und allgemeine Einschätzungen der „neuen Führungskompetenz“ dargestellt. An Balkendiagrammen und Verteilungskuchen wird gezeigt, dass eine Rotation von drei Jahren Vorteile hat. Es entsteht der Eindruck bei den Zuhörern, dass das ein Erfolgskonzept ist. Das war wohl auch so beabsichtigt. Für die vorgesehene Anschlussdiskussion gibt es keine Wortmeldung. Bewusst humorvoll, aber doch verärgert, versucht der Veranstalter Diskussionsbeiträge zu locken. Schließlich fragt jemand aus der ersten Reihe: „War das eigentlich Ihr Konzept?“ Erfreut, danach gefragt worden zu sein, berichtet der Redner über die Umsetzungsprobleme seines Konzeptes. Das veranlasst den Fragesteller und seine Nebenleute gut hörbar zu lachen und deutlich vernehmlich zu sagen: „Dann ist ja auch klar, warum da Positives rausgekommen ist!“ Beifälliges Gemurmel ist zu hören. In einer der hinteren Reihen sagt ein älterer Mann zu seinem Nachbarn: „Das ist sowieso alles völliger Quatsch. Ich war von Anfang an dagegen. Sie müssten sich mal in unserem Unternehmen die neuen Führungskräfte ansehen. Da finden Sie von den tollen Ergebnissen nichts wieder. Alle wissen, dass sie nur für eine begrenzte Zeit eingeplant sind. Sie riskieren nichts. Konzepte, die eine lange Entwicklungszeit haben, werden nicht angenommen. Sie wollen schnellen Erfolg und gute Beurteilungen. Einige sind so opportunistisch, dass Ihnen schlecht werden würde. So kann nichts wachsen“.
„Das ist bei uns ähnlich“, war die Antwort, „wenn die Leute einigermaßen zu gebrauchen sind, dann gehen sie meistens schon wieder“. Zwischenzeitlich war nach kurzem Applaus der nächste Redner dabei, seine Erfahrungen mit „Jobrotation“ zu beschreiben. Diese waren ähnlich wie beim ersten Redner. Sie gingen aber ein gutes Stück weiter. Es wurde addiert, wie viele Stationen Führungskräfte in seinem Unternehmen durchlaufen müssten, wie viel Zeit und wie viel Kosten das auslöst. Das wurde einer Nutzenschätzung und einer Wirtschaftlichkeitsrechnung unterzogen. Ein Raunen geht durch die Menge. Das Verfahren ist offensichtlich sehr teuer. Das nun folgende ablehnende Resümee wird mit verhaltenem Beifall begrüßt. Ein gut gekleideter älterer Mann tritt an das Raummikro und sagt ziemlich aufgebracht: „Ich finde die Richtung dieser Veranstaltung deutlich einseitig und ärgerlich. In meinem Unternehmen wird das schon seit der Gründung 1902 grundsätzlich mit großem Erfolg durchgeführt. Ich selbst wurde von meinem Vater so ausgebildet, meine beiden Söhne haben ebenfalls erst alle Abteilungen durchlaufen - von der Pike aus gelernt - jede neue Führungskraft wird nach dem gleichen System auf die Aufgabe vorbereitet. Sonst können die doch gar nicht mitreden, werden nicht akzeptiert und sachgerechte Entscheidungen werden ebenfalls fragwürdig“. „Wie haben Sie denn den angeblich großen Erfolg gemessen?“ ruft mit etwas Hohn in der Stimme ein junger Mann dazwischen. Weitere Diskussionsbeiträge sind nicht zu bekommen. Es folgt ein emotionsloser Kurzvortrag über ein völlig anderes Personalentwicklungsmodell ohne Rotation, das besser sein soll. Die Stimmung ist eher schlecht. Dann folgt eine Pause mit einer verhaltenen Diskussion oder besser mit einer Vielzahl von Einzelstatements. Es besteht offensichtlich wenig Neigung, aufeinander einzugehen oder andere Erfahrungen zuzulassen. Ein Fortbilder einer größeren Polizeiorganisation sagt: „Rotation ist für viele Spezialgebiete völlig unbrauchbar. Stellen Sie sich einen Sachbearbeiter vor, der sich mit Spurenauswertung beschäftigt. Der ist erst nach ein paar Jahren gut - und dann soll er wechseln? Oder denken Sie an einen Kontaktbeamten eines Bezirks. Wenn der seinen Bezirk begriffen hat, tragfähige Kontakte entstanden sind, sind auch Jahre vergangen. Dann soll ein Neuer ihn ablösen und von vorn anfangen? Selbst Trainer in der Fortbildung haben nach 3-5 Jahren erst eine solide Kompetenz. Dann erst könnten alle profitieren, aber dann soll er ja etwas Neues machen. So ein Blödsinn!“ „Das ist aber ziemlich speziell, “ entgegnet ein Personalchef, „wir haben viel mehr Probleme mit nachlassenden Leistungen und sich verschlechternden Motivation über die Jahre. Es lässt irgendwie nach. Bedingungslose Kundenzuwendung und Kundenzufriedenheit bekommen Sie mit langjährig Etablierten nicht hin, die werden zu Altlasten.“
Glücklicherweise folgt nach der Pause ein gekonnter und selbstsicherer Vortrag eines Professors der Organisationspsychologie. Er berichtet von verschiedenen Modetrends auf diesem Gebiet und zeigt dabei jeweils die Unabhängigkeit von Forschungsergebnissen. Die Effekte von Teamförderung, von Zeitmanagement, von grundsätzlicher Rotation usw. scheinen schlecht messbar oder wenig erfolgversprechend zu sein. Erstaunlich sei allerdings die Beharrlichkeit solcher Modeströmungen. Negative Forschungsergebnisse haben danach offensichtlich keinen Einfluss auf die Lebenszeit und Motivation für die Umsetzung solcher Konzepte. Irgendwann schlafen diese Trends von ganz allein wieder ein. Manchmal kommen sie aus unerfindlichen Gründen nach mehreren Jahren wieder. Es folgt ein Plädoyer möglicher und sinnvoller Messmethoden und der deutliche Appell mit der Subjektivität Schluss zu machen, zu messen und abzusichern. Als Minimaldatensatz wird empfohlen (Damit ist auch Kundenzufriedenheit abgegriffen):
Arbeitszufriedenheit
Kosten
Qualität.
Beifall folgt und viele Fragen nach konkreten Messmethoden. Der zweite Teil des Vortrags beschäftigt sich mit Hintergründen von Rotationswünschen. Drei Thesen mit entsprechender Begründung sollen endlich eine Diskussion auslösen und mehr Tiefgang erzeugen.
Vorgesetzte müssen umso mehr Kenntnisse über andere Abläufe haben, je weniger sie die Mitarbeiter beteiligen wollen.
Werden Mitarbeiter bei der Zielfindung und bei Veränderungen ausreichend und partnerschaftlich einbezogen, sind genaue Kennnisse über Einzelheiten entbehrlich, weil sie sowieso durch den Stil und durch die Qualität der Beteiligung berücksichtigt werden. Es fehlt nichts. Dann ist eine Rotation wenig sinnvoll und viel zu teuer und ineffizient.
Vorgesetzte müssen umso mehr Kenntnisse über andere Abläufe haben, je weniger sie vertrauen können.
Um dem Misstrauen zu entgehen, um nicht hintergangen oder an der Nase herumgeführt zu werden, um gut von schlecht sicher unterscheiden zu können, sind viele und möglichst bessere Kenntnisse erforderlich. Es entsteht zuzusagen eine Art Zwang. Dieser verursacht nebenbei auch noch ein sehr starkes Bedürfnis nach Informationen. Der Vorgesetzte muss über alles und jeden informiert werden, sonst fühlt er sich unwohl. Delegation ist nur mit ständigen Kontrollen und Diskussionen möglich. Von diesen Personen wird eine Rotation sehr positiv gesehen und erfüllt einen Teil nicht eingestandener Bedürfnisse. Sie tragen natürlich bei Diskussionen andere (rationalisierte) Begründungen vor, nicht ihre Schwierigkeiten zu vertrauen.
Das dahinter liegende Menschenbild ist das des unvollkommenen und unselbstständigen Mitarbeiters, der zur Arbeit angehalten werden muss und der ohne Vorgesetzte wenig leistet und eine schlechte Qualität herstellt.
Damit wird gleichzeitig impliziert, dass das für Vorgesetzte nicht gilt, dass es zwei verschiedene Gruppen gibt. Dieses Menschenbild widerspricht den Erkenntnissen. Es spricht sehr viel für das Gegenteil. In den modernen Unternehmen lösen die amtierenden Führungskräfte erheblich mehr Probleme, Unwirtschaftlichkeit und unnötige Kosten aus als Mitarbeiter. Mit einer rotierenden Ausbildung oder ähnlichen Beschäftigungswechseln wird dieses Phänomen nur verstärkt. Das ist ein schlechter Ratschlag.
Nach diesen forschen Thesen folgt endlich eine angeregte Diskussion. Allerdings beschäftigten sich beinahe alle Beiträge damit, dass Vorgesetzte oder nun besser „Führungskräfte“ so nicht seien. Sie „haben“ Vertrauen und die besten Führungsstile. Erfahrung sei eigentlich unabhängig, ein Wert für sich, den man nicht zerreden solle.
Neue Erkenntnisse stellen sich nicht ein.
Von Weiterentwicklung oder Wachstum ist bis auf einen Versuch nichts zu merken: „Wie wir gehört haben, haben beide Systeme, Job-Rotation und langjähriges Verbleiben, Vor- und auch Nachteile. Warum wird nicht nach einer Möglichkeit gesucht, beides zu verbinden. Beim aktuellen Wahlsystem haben wir auch durch die Kombination wesentliche Nachteile der einzelnen Arten unwirksam gemacht. Das muss doch hier auch möglich sein.“ Eine verhaltene Zustimmung und die hilflose Suche nach solchen Ansätzen beendete die Veranstaltung.
Gibt es solche kombinierten Systeme?
Ja, es ist das Prozent - Sharing (zum besseren Verständnis wird ein Beispiel beschrieben, Anpassungen an Organisation, Formen und Unternehmenskultur sind natürlich notwendig) So könnte ein Beispiel aussehen
Stellen Sie sich eine Polizeibehörde vor. Nach einem Leitungsentschluss, den jeder zur Kenntnis genommen hat, werden alle Personen in ihre Planstelle neu eingewiesen - allerdings nicht zu 100%, sondern nur zu 95 Prozent! (andere Aufteilungen sind natürlich möglich). Das würde bedeuten, dass jeder Mitarbeiter (und Vorgesetzte) ca. einen Tag im Monat nicht in seinem Hauptamt eingeteilt ist. Nach diesem Schritt gibt es eine Vielzahl von Folgemöglichkeiten, z.B. wird verfügt, dass jeder selbst dafür verantwortlich ist, für diesen Tag einen Arbeitsplatz innerhalb der Organisation zu bekommen. Dazu muss er entsprechende Stellen ansprechen und Vereinbarungen treffen. Darüber führt er einen einfachen Nachweis (eine zentrale Steuerung ist erfahrungsgemäß entbehrlich und viel zu aufwendig und teuer). Was wird jetzt neben normalen Widerständen und Debatten passieren?
Zunächst wird überwiegend nach individuellen Bedürfnissen und Neigungen gebucht, z.B.:
Ist meine Wohnung in der Nähe,
Kenne ich dort schon Leute,
Wovon habe ich noch keine Ahnung,
Was mich schon immer interessiert hat.
Ist es ein Bereich, der meine Leistungen und Produkte weiter bearbeitet,
oder eine Stelle, die ich evtl. als nächste anstrebe usw.
Zu einem späteren Zeitpunkt kommen andere hinzu:
Stellen, die viel Arbeit haben,
die ein aktuelles Problem bearbeiten,
die etwas tun, wo ich auch Gutes einbringen kann usw.
Es liegen verschiedenste Motive vor. Aber es sind immerhin Motive, im Gegensatz zu Langeweile, fehlendem Interesse und gegenseitige Schuldzuweisungen. Bezogen auf Motivation ist der Bilanzwert von Anfang an positiv. In den ersten Monaten werden einige „Gastarbeiter“ nicht besonders wirkungsvoll eingesetzt werden können. Das ändert sich aber sehr schnell. Der normale abwehrende Einwand, mit den Leuten könne man doch nichts anfangen, ist nicht wegzudiskutieren, sondern nur abzuarbeiten und zu erproben. Selbst wenn der Neue sich nur ans Telefon setzt und „Stallwache“ hält, kann der so wichtige und unverzichtbare Sachbearbeiter einen Tatort aufnehmen oder andere wichtige Dinge erledigen. Damit ist an Produktivität gewonnen. Beim nächsten Mal aber wird der Neue mit dieser Regelung nicht zufrieden sein und eine andere Variante anstreben. Es wird wachsen und sich entwickeln oder dieser Bereich wird keine Sharing-Unterstützung mehr bekommen. Schon nach kurzer Zeit ist hinsichtlich der Gesamtproduktivität mehr als der alte Stand erreicht. Die Menschen suchen sich langfristig das, was den höchsten Nutzen hat und die meisten Streicheleinheiten auslöst.
Jedem wird klar sein, dass jetzt automatisch mehr Verständnis entstehen wird für die anderen Bereiche der Organisation. Das ist so, als würden alle zusammenrücken. Ein besseres Wir-Gefühl und mehr Identität stellen sich ein. Fehler- und Interaktionskosten sinken.
Fehlt aber denn nicht der Sharing – Tag?
Das werden zunächst viele vehement vertreten und sie haben aus ihrer Sicht ja auch nicht Unrecht. Außerdem müssen sie das auch so sehen. Sonst würden sie so nebenbei auch noch zugeben, dass sie diesen Tag nichts zu tun hätten. Das geht natürlich nicht und außerdem ist das betroffene Sachgebiet sowieso überlastet. Einschränkend muss natürlich eingestanden werden, dass es schon solche Stellen gibt, wo es brennt, wo ein fehlender Tag Probleme auslösen kann. Bei genauem Betrachten dieser Ausnahmen stellt sich aber häufig heraus, dass das nur für bestimmte Zeitpunkte zutrifft, in denen ein besonderer Arbeitsanfall vorliegt. In der Regel wird nur das passieren, was auch eintreten würde, wenn der betreffende zum Arzt, zum Gerichtstermin oder zum TÜV geht. Er holt die versäumte Arbeit nach oder ein anderer vertritt ihn. Der Tag „fehlt“ so gesehen in der Regel nicht. Auf der anderen Seite schlägt der zu leistende Sharing-Tag auf die positive Seite der Bilanz. Bei einem Unternehmen von 1000 Beschäftigten sind das im günstigsten Fall 40 - 50 Vollarbeitsplätze mehr auf der Habenseite. Das ist in Geld ausgedrückt eine große Menge und aus der Sicht des Personalmanagements ein erstaunlicher Gewinn.
Zählen Sie jetzt einmal zu einem Zwischenergebnis zusammen. Wir haben eine Produktivitätssteigerung, deutlich mehr Verständnis für andere Bereiche, eine höhere Identifikation mit dem Gesamten, eine verbesserte Motivation, mehr Abwechslung (sehr wichtig bei monotonen Tätigkeiten), mehr Arbeitszufriedenheit, weniger Interaktionskosten zwischen den verschiedenen Bereichen und viele andere positive Dinge. Negativ verbuchen müssen wir Mühe, Aufregung, Widerstand und Anfangsprobleme.
Keine Organisationsqualität ist so gut, dass sie nicht formale Probleme auslöst. Mit feinseliger Sorgfalt oder Gleichgültigkeit kann durch Pochen auf Vorschriften und Zuständigkeiten ein enormer Schaden entstehen. Das ist mehr oder weniger überall vorhanden und bekannt. Durch Prozent-Sharing wird die informelle Struktur gepuscht. Man kennt jetzt den einen oder anderen, der Hindernisse wegräumen kann. Feindselige Sorgfalt wird erschwert. Der „Verwaltungspartisan“ hat Probleme, seine Aktionen aufrechtzuerhalten. Andererseits wird weniger übel genommen. Man versteht.
Jetzt tritt die zweite Phase ein. Wirklich überlastete Bereiche gehen jetzt auf die Suche nach geeigneter Unterstützung, werben und sprechen an. Aktueller Spitzenbedarf wird ohne Probleme, ohne Führungsentscheidung und Personalverschiebung abgedeckt.
Damit ist es nicht genug, die stöhnenden, aber wenig ausgelasteten, Bereiche bekommen natürlich auch „Besuch“. Das Stöhnen wird leiser und es werden die tatsächlichen Auslastungsgrade offenkundig. Es wird immer schwerer, anderen in Besprechungen etwas vorzumachen. Nun kann Phase drei eintreten.
Jetzt kann auf aktuelle Probleme unkompliziert und schnell taktisch reagiert werden, in einer Weise, zu der andere Organisationen nicht oder nur mit sehr viel mehr Zeit und unter vielfachen Interaktionskosten und Frust fähig wären. Das kann in der Wirtschaft eine Reaktion auf den Markt oder hier im Polizeibeispiel eine plötzliche Häufung von Wohnungseinbrüchen, eine Grippeepidemie, ein Sondereinsatz oder ein besonderes Output-/Outcome-Ziel sein. Hier genügt ein topdown-Hinweis, die Sharing-Tage für die Zeit X der Abteilung Y zur Verfügung zu stellen. In unserer Beispielorganisation werden damit in einer Woche 250 Frau-Tage rekrutiert. Dafür benötigten sie sonst drei Hundertschaften Reservekräfte. Die könnten noch dazu nicht schnell genug integriert und ohne Vorbereitung nicht sinnvoll eingesetzt werden.
Nach Feinschliff der ersten Phasen und entsprechender Optimierung kann jetzt dazu übergegangen werden, noch flexibler vorzugehen und mehr Freiheit und Eigenverantwortlichkeit zuzulassen. So könnte es sinnvoll sein, dass einige Beschäftigte fünf und andere nur zwei Tage in das System einbringen. Anpassungen an Probleme, an Prozesse, an Qualitätssteuerung und an Individuen sind jetzt möglich.